In dieser wissenschaftlichen Studie wird philosophiegeschichtlich die Philosophie als ein Kampfgeschehen zwischen Materialismus und Idealismus substantiiert, wobei wissenschaftsgeschichtlich der Nachweis erbracht wird, dass bestimmte Affinitäten vorliegen: die der Naturwissenschaften zum Materialismus, die der Religion zum Idealismus.
Die Geschichte der Philosophie stellt in ihrer Essenz die Geschichte des Kampfes zwischen Materialismus und Idealismus dar. Schon Plato sprach, ohne sich der klassenmäßigen Wurzeln dieses Konflikts bewusst zu sein, von einem Kampf zwischen materialistischen Giganten und idealistischen Göttern. Über Jahrhunderte wurde im sogenannten abendländischen Kulturkreis die intellektuelle Welt repräsentiert von einer sehr kleinen Elite, die lesen und schreiben konnte. Sie wurde vom Idealismus platonischer Prägung mit einem stark christlichen Einschlag dominiert. Die Rede von der spezifischen platonisch-christlichen Leibfeindlichkeit macht bis heute die Runde. Diese Dominanz verweist auf Gesellschaftssysteme, in denen Menschen Menschen mit einem Herrschaftsanspruch auf Ewigkeit zu dominieren trachteten und trachten. Immer segneten und segnen klerikale Kreise rein weltliche Herrschaftsformen mit dem Sakralkreis unantastbarer göttlicher Glorifizierung ab. Über den Daumen gepeilt kann festgezurrt werden, dass es in der Intention von Idealisten liegt, tradierte Klassenherrschaft abzusichern und zu verewigen, in der Intention der Materialisten, eben diese aufzulösen. Die Idealisten heulen mit den Wölfen, wortwörtlich heißt es in einem Brief von Hegel, er habe sich entschlossen, mit den Wölfen zu heulen. Die Materialisten dagegen schwimmen gegen den Strom. Der Idealist erweist sich in der Geschichte und auch aktuell als reaktionär, der Materialist zumindest als progressiv, wenn von ihm nicht noch viel mehr zu verlangen ist als eine bloß subjektive Einstellung. Marx und Engels schrieben im Feuerbach-Kapitel der ‘Deutschen Ideologie‘, dass es sich für den Materialisten darum handelt, die Dinge praktisch anzufassen.
Wir können heute theoretische Versuche bürgerlicher Idealisten verfolgen, die weltweite Herrschaft des Bankkapitals über die ganze Gesellschaft als unverzichtbare Instanz von Recht und Ordnung zu untermauern. Die Bourgeoisie schafft sich eine Welt nach ihrem Bilde. In einer Welt von ihm verursachter Kriege und Hungerkatastrophen suhlt sich der Bourgeois mit Vorliebe auf animalische Art herum. Der Idealist fungiert oft unbewusst aus religiöser Ansicht als ideologisches Instrument der herrschenden Minderheit; der mit der materialistischen Dialektik ausgestattete Materialist mit naturwissenschaftlich untermauerter atheistischer Einsicht stets bewusst als Instrument der unterdrückten Massenmehrheit. Engels benannte diese Dialektik als das beste Arbeitsmittel und als die schärfste Waffe revolutionärer Materialisten. 1. Materialisten sind Monisten, sie gehen von einem einzigen Universum aus und lehnen die Kernspaltung des Menschen in ein irdisches und in ein himmlisches Wesen ab. Materialisten gehen von der fortschreitenden Erkenntnis des gesamten Universums in seiner ganzen Vielfältigkeit aus, erkenntnisoptimistisch vom Nichtwissen zum Wissen als einen zeitweise unterbrochenen, nicht linearen Bereicherungsprozess ohne Abschluss aus. Fast alle Menschen sind wissenschaftlicher Weiterbildung zugänglich. Indessen sagt der Materialist Heraklit: “Sie sind wie taub: hören, aber verstehen nicht. Der Spruch bezeugt’s ihnen: Anwesende sind abwesend“. 2.
Der Kampf zwischen Giganten und Göttern darf nicht schablonenhaft ausgelegt werden. Der mechanische Materialismus, von dem Demokrit einige Züge vorweggenommen hatte, degenerierte aus einer progressiven philosophischen Strömung in eine reaktionäre. Im Idealismus Hegels wurden die allgemeinen Bewegungsformen der Dialektik zuerst und in umfassender und bewusster Weise dargestellt. 3. In der ersten Feuerbachthese aus dem Jahr 1845 kritisiert Marx beide Strömungen, die materialistische und die idealistische in einem Atemzug: Der Materialismus hat die Wirklichkeit nicht als Praxis gefasst, der Idealismus kennt nicht die sinnliche Tätigkeit. 4. Auch wenn soeben zu lesen war, dass die Materialisten Monisten sind, so stimmt das nicht vorbehaltlos. Im historischen Materialismus kommt es gerade darauf an, hinter eingebildeten subjektiven Triebkräften der Geschichte objektiv gesetzmäßige, eben solche von ökonomischer Substanz, offen zu legen.
Bruno, der bedeutendste Philosoph der Renaissance, der auch in Helmstedt lehrte, vertrat gegen Ende des 16. Jahrhunderts einen Materialismus, der stark atheistische Züge aufwies. 1584 erschienen zwei Hauptwerke: ‘Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen‘ und ‘Von dem Unendlichen, dem Universum und der Welt‘, Bücher, die schon von ihrem Titel her die Aufmerksamkeit der Inquisition auf sich ziehen mussten. Mit diesen Büchern entzog Bruno allerdings dem feudalen Weltbild den Boden, er vertrat die Unendlichkeit des Universums und ging, über Kopernikus hinaus, wie der ionische Naturphilosoph Anaximander aus der Antike von einer unendlichen Zahl von Sonnensystemen aus. Auf Grund der Materialität des Universums vermutete er Leben auf anderen Planeten. Bruno zahlte einen zu hohen Preis dafür, dass er seiner Zeit voraus war. Am 17. Februar 1600 wurde er durch die Inquisition auf dem Campofiore in Rom dem Flammentod übergeben. So, durch qualvollen Mord, siegte das Mittelalter vorerst über die Neuzeit, das ptolemäische Weltbild über das kopernikanische.
Die Idealisten sind nicht ohne, wenn es um ihre materiellen Belange geht. Zum Beispiel war Rom als Mittelpunkt des Universums für die katholische Kirche von zentraler Bedeutung, Sie sind auch nicht ohne, wenn es um ihre sadistischen Neigungen geht. Ganz bewusst hatte ja Voltaire 1756 in seinem ‘Essai über die Sitten und den Geist der Nationen‘ in antichristlicher Absicht die Geschichte der Zivilisation im alten China beginnen lassen. Das beinhaltete die Ablösung von der die Geschichte als Heilsgeschehen auffassenden Geschichtstheologie, der noch der Idealist Hegel anhing. Für die Theologie ist das reale Weltgeschehen das Beiherspielende, ein Beispiel für die Existenz Gottes. Der Begriff ‘Philosophie der Geschichte‘ stammt nicht von Hegel, sondern von Voltaire. Bereits der antike Philosoph Celsus sah im Christuskult eine Absurdität. Im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus musste es eine Serie von Entwurzelungen geben, die ab 1789 praktisch fortgesetzt wurden. Sakrales wurde als Folge der Diskreditierung der christlich-idealistischen Schöpfungsgeschichte Profanes.
Leider ist es bürgerlichen Propagandisten gelungen, den Idealismus gegen das angebliche Wüten des Pöbels als etwas moralisch Hohes und sittlich Edles zu drapieren. Indessen waren sie es, die neunzehn Jahre nach dem Flammentod des größten Materialisten der italienischen Renaissance 1619 den Materialisten Lucilio Vanini hinrichten ließen, vorher wurde ihm aber noch die Zunge herausgerissen. Galileo Galilei überlebte nur, weil er buchstäblich zu Kreuze kroch.
Kein materialistsicher Philosoph ist bis heute gehässiger verfolgt worden als Epikur, den die Idealisten textwidrig als ‘Lüstling des Fleisches‘ denunzieren. Er strebte die Glückseligkeit der Seele an, es waren interessanterweise seine idealistischen Feinde, die, mit welchen Hintergedanken auch immer, diese Glückseligkeit körperlicher Lusterfüllung gleichsetzten. Das Verbrechen des Athener Lehrersohns Epikur, der sich unter dem Einfluss des Atomisten Demokrit entwickelte, bestand und besteht darin, die Welt atheistisch-autonom, also aus sich selbst heraus zu erklären. Er war nach Marx und Engels der eigentliche Aufklärer der Antike, der die Religion offen angriff. Er verneinte ein Weiterleben der Seele nach dem Tod.
Der Idealismus hat zwei fundamentale Makel. Für ihn muss es eine Weltschöpfung aus Nichtmateriellem gegeben haben, was schon von antiken Materialisten (Anaxagoras, Epikur u.a.) bestritten wurde. Es fügt sich, dass Hegel die Geschichte als Gotteswerk auffassen und den Zugang zu einem historischen Materialismus verbauen musste. Er ist damit in guter Gesellschaft, selbst die fortschrittlichsten Materialisten der französischen Aufklärung und auch noch Feuerbach waren nicht in der Lage, Geschichte und Materialismus in eins zu setzen. Nur aus dieser theoretischen Grundlage heraus ist das Proletariat angelegt, Geschichte in Weltgeschichte zu verwandeln. Der zweite Makel ist die Heuchelei. Der Philister, auch der philosophische, versteht unter Materialismus Fressen und Saufen und alle Laster, “denen er selbst im stillen frönt“ 5.
In beide Wunden müssen die Materialisten unablässig Salz streuen, das ist schmerzhaft. Aber die Materialisten reißen keinem die Zunge heraus; im Gegenteil, insbesondere die kommunistischen Materialisten wirken unter den Arbeitern und Bauern, unter den Werktätigen, dass sie ihre alltäglichen, stündlichen Misshandlungen durch die kapitalistischen Ausbeuter aus sich heraus in die Welt schreien. Auf dieser perfiden Knechtung auf vertraglicher Grundlage “Gleicher“ beruhen denn heute auch Idealismus und Religion. Basis und Überbau bestätigen sich reziprok. Die Bourgeoisie schafft sich eine Welt nach ihrem Bild, in dem die Naturwissenschaften und die Religionen auf ewig nebeneinander bestehen bleiben sollen.
[...]
- Quote paper
- Magister artium Heinz Ahlreip (Author), Durch den Dschungel der Dialektik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1153911
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.