Wie wird der, die oder das Fremde wahrgenommen? Die Wahrnehmung des Fremden, Vermischung und Abgrenzung von Kulturen und die Frage nach Identität rücken in der Gegenwartsliteratur in den Vordergrund. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, ein literarisches Konzept kultureller Vielfalt zu eröffnen, um diverse Perspektiven des Fremden zu beleuchten, sie nicht nur zu benennen, sondern sie wahrzunehmen und die Möglichkeiten kultureller Vielfalt in literarischer Hinsicht darzustellen.
Dazu wird zunächst der Betrachtungsgegenstand eingegrenzt, durch einen Einblick in die interkulturelle Literaturwissenschaft und die damit verbundenen Studien und Definitionen von Fremdheit, um weiter das Verhältnis bzw. den Forschungsstand einer interkulturellen Literaturwissenschaft in Bezug auf Postkolonialismus bzw. Postmoderne zu prüfen, Interkulturalität zu definieren sowie aktuelle Aus- und Einblicke in die zeitgenössische Literatur zu geben. Es gibt unterschiedliche Strategien fremde Kulturen literarisch zu verarbeiten und die üblichen Konstruktionen der Fremde aufzubrechen.
Die Analyse soll ein literarisches Konzept von kultureller Vielfalt anhand des Werkes des Autoren Ilija Trojanow darstellen, ein kosmopolitischer Autor, der von sich selbst behauptet in der Welt Zuhause zu sein. Er ist nur ein Beispiel wichtiger Akteure der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die nicht-deutsche Muttersprachler sind, aber sich mit Kultur und Gesellschaft in ihren deutschsprachigen Werken auseinandersetzen. Dazu wird unter anderem erläutert, wie er sich gegen einen Kampf von Kulturen und für einen Zusammenfluss von Kulturen ausspricht. Der Wert der Sprache rückt ins Licht und die Bedeutung seiner Arbeit für die Forschung und Literatur der Postmoderne.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Literatur und Interkulturalität
2.1 Interkulturelle Literaturwissenschaft
2.2 Postkoloniale Germanistik und postkoloniale Studien
2.2.1 Orientalismus
2.2.2 Die Verortung der Kultur
2.2.3 Can the subaltern speak?
3. Die Wahrnehmung des Fremden
3.1 Der, die, das Fremde
3.1.1 Fremderfahrung und Fremdanspruch
3.1.2 Kollektive Fremdheit
3.2 Die Aneignung des Fremden
3.3 Interkulturalität
3.4 Literatur und Migration
3.5 Weltliteratur
4. Trojanow als kosmopolitischer Autor
4.1 Leben und Werk
4.2 Weltbürgertum als Ideologie
5. Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen
5.1 Kampfabsage
5.2 Kampf der Kulturen
6. Der Weltensammler – Ein Konzept kultureller Vielfalt
6.1 Britisch-Indien. Die Geschichten des Schreibers des Dieners des Herren
6.2 Arabien. Der Pilger, die Satrapen und das Siegel des Verhörs
6.3 Ostafrika. In der Erinnerung verschwimmt die Schrift
6.4 Kultureller Grenzgang und Postkolonialismus
7. Nach der Flucht – Perspektiven des Fremden
7.1. Von den Verstörungen
7.2 Von den Errettungen
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wie wird der, die oder das Fremde wahrgenommen? Die Wahrnehmung des Fremden, Vermischung und Abgrenzung von Kulturen und die Frage nach Identität rücken in der Gegenwartsliteratur in den Vordergrund. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel ein literarisches Konzept kultureller Vielfalt zu eröffnen, um diverse Perspektiven des Fremden zu beleuchten, sie nicht nur zu benennen, sondern sie wahrzunehmen und die Möglichkeiten kultureller Vielfalt in literarischer Hinsicht darzustellen. Dazu wird zunächst der Betrachtungsgegenstand eingegrenzt, durch einen Einblick in die interkulturelle Literaturwissenschaft und die damit verbundenen Studien und Definitionen von Fremdheit, um weiter das Verhältnis bzw. den Forschungsstand einer interkulturellen Literaturwissenschaft in Bezug auf Postkolonialismus bzw. Postmoderne zu prüfen, Interkulturalität zu definieren sowie aktuelle Aus- und Einblicke in die zeitgenössische Literatur zu geben. Es gibt unterschiedliche Strategien fremde Kulturen literarisch zu verarbeiten und die üblichen Konstruktionen der Fremde aufzubrechen.
Die Analyse soll ein literarisches Konzept von kultureller Vielfalt anhand des Werkes des Autoren Ilija Trojanow darstellen, ein kosmopolitischer Autor, der von sich selbst behauptet in der Welt Zuhause zu sein. Er ist nur ein Beispiel wichtiger Akteure der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die nicht-deutsche Muttersprachler sind, aber sich mit Kultur und Gesellschaft in ihren deutschsprachigen Werken auseinandersetzen. Dazu wird unter anderem erläutert, wie er sich gegen einen Kampf von Kulturen und für einen Zusammenfluss von Kulturen ausspricht. Der Wert der Sprache rückt ins Licht und die Bedeutung seiner Arbeit für die Forschung und Literatur der Postmoderne.
Im ersten theoretischen Teil der Arbeit wird zunächst ein Einblick in die interkulturelle Literaturwissenschaft und die postkoloniale Germanistik gegeben, um herauszustellen welche Begrifflichkeiten und Forschungsgegenstände zu betrachten sind, wie Fremdes wahrgenommen wird und sich kulturelle Vielfalt literarisieren lässt.
Im zweiten Teil der Arbeit wird dann das literarische Konzept Trojanows untersucht, um Aspekte der Gegenwartsliteratur zu veranschaulichen und einen möglichen Lösungsansatz und literarischen Zugang herauszuarbeiten, wie das Fremde zu Wort kommen und repräsentiert werden kann. Ein Fremdverstehen als Überwindung kultureller Gegensätze. Und dabei nicht nur eine Sicht zu beleuchten, sondern die in den Werken verschiedenen Perspektiven sprechen zu lassen. Es werden drei seiner Werke in chronologischer Reihenfolge ihrer Veröffentlichungen untersucht, um zunächst seinen Standpunkt zum Kulturbegriff herauszuarbeiten und dann im weiteren Verlauf zu erläutern, wie er mit Reisen ins Unbekannte Räume eröffnet, um Kolonialismus aus heutiger, postkolonialer Sicht zu literarisieren und um Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen. Und weiter die Aktualität kultureller Komplexitäten zu veranschaulichen, Kritik auszuüben und auf die heutige Gesellschaft anzuwenden, das heißt einen Ausblick von Möglichkeiten zu schaffen, sich mit dem Unbekannten zu befassen. Dazu wird im Folgenden ein Konzept zur gegenwärtigen Fremdheitswahrnehmung untersucht, um sich dem Fremden anzunähern und den Ausblick einer Weltliteratur und eines Weltbürgertums zu schaffen.
2. Literatur und Interkulturalität
2.1 Interkulturelle Literaturwissenschaft
Ein Einblick in die Forschung zur interkulturellen Literatur zeigt den Denkansatz, dass der Mensch von der Natur durch die Kultur getrennt wird. Als Kultur gilt, was als sinnvoll bestimmt ist und für den Menschen in einer Art verändert wurde, der Mensch schafft sich also Kultur durch die Veränderung der Natur. Außerhalb dieses Ansatzes wird deutlich, dass „Leben und Materie (also ‚Natur‘) außerhalb des menschlichen Bewusstseins und Verstandes und unabhängig von seinen gestalterischen Bemühungen (also unabhängig von ‚Kultur‘) existieren.“1
Unter Kulturen im Plural lässt sich verstehen, dass einzelne Kulturen zu einer Gemeinschaft mit derselben Sprache und denselben Traditionen zusammenkommen. Beispielsweise Nationen lassen sich als Gemeinschaft bezeichnen, entstanden durch eine nationale Identität, die aber gleichzeitig immer Veränderungen ausgesetzt sind und nur in Bezug auf andere Nationen verstanden werden können, d.h. nur durch unterschiedliche Kulturen als solche eingegrenzt werden können.2
Der Begriff Interkulturalität entsteht demnach also, wie der Begriff bereits andeutet, zwischen zwei oder mehreren Kulturen und zeigt, „dass kulturelle Identität nur in diesem Austausch und in der Mischung zwischen Eigenem und Fremdem begriffen werden kann.“3 Die Literatur selbst ist ein Medium der Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen und Nationen und wird gleichzeitig zum Gestaltungsspielraum, um die Identität einer Kultur zu gestalten und darüber hinaus die Illusion bestimmter Vorstellungen eines Volkes oder einer Nation zu kritisieren und zu erforschen. Die Konfrontation mit dem Fremden, also einer Alterität, ist „eine[r] intensive[n] Erfahrung der Differenz, die in Abgrenzung umschlagen kann; das Fremde kann zum ‚Befremdenden‘ werden.“4 In dieser ständigen Auseinandersetzung von Kulturen und Individuen kommt es zu einer Transformation.
Zum einen durch die Auseinandersetzung und Anregungen, zum anderen kann es aber auch durch Überforderung mit dem Fremden beeinflusst sein, demnach ist
der zivile Umgang mit Alterität und Fremdheit [ist] die Basis eines friedlichen Miteinanders innerhalb jeder Gesellschaft und auch zwischen verschiedenen Gesellschaften. Er ermöglicht schließlich auch die bereits 1800 angedachte Vorstellung von der ‚Weltgesellschaft‘.5
Die Wahrnehmung des Fremden spielt nicht nur in der Migrationsliteratur der Gegenwart eine Rolle, sondern ein Blick in den Kanon der deutschsprachigen Literatur zeigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Fremden in Bezug auf das Eigene zu den grundsätzlichen Themen gehört und somit einen Beitrag zu einer interkulturellen Kommunikation ebnet.
Von Migration und Transmigration geprägten Jahrzehnten rückt die Auseinandersetzung mit dem Stellenwert von Fremdheit für den eigenen Selbstentwurf, aber auch mit Heterogenität, hybriden Äußerungen, Dialog und Anerkennung unübersehbar ins Zentrum der deutschsprachigen Literatur.6
Diese Entwicklung wurde besonders durch die Globalisierung und Migrationsbewegungen seit den 1960er Jahren vorangetrieben. Explizit in der Germanistik bildeten sich interkulturelle Sichtweisen ab den 1990er Jahren heraus und die Entwicklungen hinsichtlich der Globalisierung schienen auch in der Literatur angekommen zu sein. Nicht nur dieser Aspekt, sondern auch die Einordnung der Germanistik als Kulturwissenschaft, brachten die Interkulturalität als eigenen Forschungsbereich hervor. Es entsteht eine eigenständige interkulturelle Literaturwissenschaft, vergleichsweise entwickelten sich in angloamerikanischen Ländern „postcolonial studies“ und ebneten eine neue Perspektive der Forschung. Dazu rücken Konzepte wie die von L. Kreutzer in den Vordergrund, er analysiert und interpretiert die Literatur, die bis dahin zum Kanon gezählt wurde, hinsichtlich der Entwicklung und Modernisierung neu und definiert die germanistische Literaturwissenschaft als kritische Entwicklungsforschung.7 Aufgrund der Veränderung der Gesellschaft und der zunehmenden Beschäftigung von kulturpolitischen Problemen, findet sich dies auch in der Literatur wieder.
Mit dem zunehmenden Wandel der deutschen Gesellschaft zu einer globalisierten, polykulturellen Kultur gibt es in den letzten Jahren im literarischen und akademischen Betrieb eine zunehmende Sensibilisierung für den Beitrag von Schriftstellerinnen und Schriftstellern zur Gegenwartsliteratur, deren Muttersprache nicht oder nicht nur deutsch ist und die nach Deutschland immigriert oder Kinder bzw. Enkel von Immigranten sind.8
Die Literaturwissenschaft wandelt sich zu einer offeneren, interkulturellen, welche „die zum einen die Illusion einer homogenen Identität als auch nicht-bipolare und hierarchische Begegnungen mit dem Fremden erfahrbar macht, die Fremdheit artikuliert und die Festschreibung von Fremdheit unterläuft.“9
Zugleich ergeben sich durch die postkolonialen Studien Ansätze, die auf die deutsche Kultur und Germanistik übertragen werden können. Dazu rückt unter anderem die Studie von Edward Said „Orientalism“10 in den Vordergrund, sie war eine der ausschlaggebenden für diese Studien. Ein umfassender Überblick wird mit dem Band „Postkoloniale Germanistik“11 dargelegt, der die theoretischen Grundlagen der Forschung darlegt und neue Ausblicke schafft. Daraus geht die Motivation einer Zusammenarbeit von interkultureller Literaturwissenschaft und den postkolonialen Studien hervor. Als Schlüsseltexte dieser Bewegung der postkolonialen Studien und somit auch der postkolonialen Germanistik sind die Werke von Edward Said (Orientalismus/ Kultur und Imperalismus), Homi Bhabha (Die Verortung der Kultur) und Gayatri Chakravorty Spivak (Can the subaltern speak?) zu nennen, die im weiteren Verlauf tiefgreifender erläutert werden.
2.2 Postkoloniale Germanistik und postkoloniale Studien
Die postkolonialen Studien haben sich in der kulturwissenschaftlichen Germanistik etabliert und eine Erschließung im Zusammenhang der Weltliteratur steht im Mittelpunkt dieser Forschung, „dabei reflektieren postkoloniale Studien kulturelle Globalisierungsprozesse und überwinden durch die Thematisierung von kultureller Differenz, Hybridität, Inter-, Multi- und Transkulturalität nationalphilologische Grenzen.“ Weitergehend ist die postkoloniale Germanistik eine Bündelung neuer Ansätze, um eine Neugestaltung der bisherigen Forschung zu voranzubringen, beispielsweise A. Honold fasst die Bestrebung zusammen und plädiert für eine ‚doppelte Fokussierung‘ von Interkulturalität und postkolonialen Ansätzen als zwei Paradigmen, die sich komplementär ergänzen und die durch die Betonung von Zwischenräumen (Bhabha) und Differenzkritik ein produktives Irritations- und Innovationspotenzial für die Germanistik darstellen.12
G. Dürbeck beschäftigt sich in ihren postkolonialen Studien mit dem derzeitigen Stand der Germanistik. Dazu zählen vor allem die Referenzen von Said, Bhabha und Spivak, die sich der postkolonialen Entwicklung zuwenden und nicht nur die Germanistik geprägt haben, sondern auch allgemein den Begriff der Postmoderne. Ziel ist es nicht einen vollständigen Überblick über die postkolonialen Studien zu geben, sondern Tendenzen herauszustellen, die relevant sind hinsichtlich der Analyse literarische Texte der heutigen Zeit und somit Bedeutung erlangen. Weitergehend lassen sich die postkolonialen Studien zu der interkulturellen Germanistik zählen, jedoch wird von einem eigenen Forschungsstand ausgegangen, auch wenn der Postkolonialismus erst spät Bedeutung in der Germanistik fand, überlagert von der Erinnerungsarbeit und der Aufarbeitung des Holocausts. Die Prozesse beider Forschungsbereiche sind also der Relevanz der kulturwissenschaftlichen Germanistik untergeordnet. Die Grenzen verschwimmen in der Forschung genau wie im Gegenwartsbereich selbst, zum einen das Herausbilden einer Weltgesellschaft durch Globalisierung und Dekolonialisierung mit dem Ergebnis einer kulturellen Vielfalt, Multikulturalität wird zur Problematik in der Bestimmung kultureller Grenzen in den Prozess eingebracht. Mit der postkolonialen Literatur, die durch interkulturelle Zusammenkünfte geprägt ist, wird sie selbst zum Teil einer Bildung einer Weltliteratur.13
Aus germanistischer Perspektive wird der deutsche Kolonialismus als ‚globales Phänomen‘ verstanden und in sozial-, kultur- und literaturgeschichtlicher Hinsicht in den Kontext der Moderne gestellt, wobei die postkoloniale Perspektive auf Revision und Kritik der Moderne ausgerichtet ist.14
Der eigentliche Begriff, der schon die Abgrenzung implementiert, wird gleichzeitig zum Gegenstand der Kritik und die Tendenzen der interkulturellen Germanistik prägen eine „andere Moderne“, die die Literatur aus einer anderen Perspektive in einem neuen Raum beleuchten. Dem Fremden wird entweder mit Aneignung, Beherrschung oder Abwehr begegnet und der Postkolonialismus steht neben der Interkulturalität als ein Ansatz der Kulturwissenschaft, der sich durch die Kritik an dieser Macht bzw. Abwehr des Fremden auszeichnet.
Der Begriff Kolonialismus bewegt sich eher in die Richtung der Globalisierung, demnach erscheinen die Phänomene und Indikatoren kultureller Fremdheit in neuem Licht; das Verhältnis zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten ist nicht mehr (wie im antiken Hellenismus) auf Symbiose oder gar auf Synthese angelegt, sondern vom Imperativ der Anpassung an der kolonialen Leitkultur getragen.15
Die Werke des „postkolonialen Begehrens“ beruhen auf einer Auseinandersetzung mit dem unbekannten Fremden „in der sich Abenteuerlust, Zivilisationsflucht und Kolonialisierungseifer die Waage halten und der Wunsch nach Inbesitznahme oft genug einhergeht mit der Bereitschaft, sich selbst aus- und die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen,“16 und nicht die kolonialen Machtverhältnisse zu beleuchten. Im Hinblick auf die postkolonialen Studien im angloamerikanischen Raum, rücken vor allem drei Texte in den Vordergrund und werden von der Forschung als Schlüsseltexte anerkannt. Diese werden in den folgenden drei Kapiteln zusammengefasst.
2.2.1 Orientalismus
Said eröffnet mit seiner Orientalismus-These ein Konzept im Diskurs zur postkolonialen Kritik im Allgemeinen. Der Begriff „Orientalismus“ ist nach ihm der vom Westen geprägte Umgang mit dem Orient und dieser „grenzt nicht nur an Europa, er barg auch seine größten, reichsten und ältesten Kolonien, ist die Quelle seiner Zivilisationen und Sprachen, sein kulturelles Gegenüber und eines seiner ausgeprägtesten und meist variierten Bilder ‚des Anderen‘.“17 Der Orient wird zum Gegenstand des Westens in jeglicher Form und wird somit auch zum festen Bestandteil der kulturellen Auseinandersetzung. Der Orientalismus zeigt also die ungleichen Verhältnisse der beiden „Mächte“ auf und kritisiert die Repräsentationen des Westens als überlegende Macht. „Die Beziehung zwischen Okzident und Orient ist ein hegemoniales Macht- und Herrschaftsverhältnis“18, wodurch sich die Dominanz herausfiltert und der Diskurs resultiert. Darüber hinaus ergibt sich vor allem, dass diese Konstitution des Orientalismus als Bestandteil unserer Kultur, vielmehr vom Westen selbst geschaffen wurde, als eigentlich vom Orient selbst.
Mit dieser Studie vertritt Said die Überzeugung, „dass man die gesellschaftliche und die literarische Kultur nur zusammen erforschen und begreifen kann.“19 Diese grundlegende Repräsentation der ungleichen Verhältnisse kritisiert und nutzt er als Fundament, um die Kultur und Literatur zu erforschen. In seiner Studie bilden sich zwei Stränge ab, zum einen greift er den Ethnozentrismus auf, der aus diesen Machtstrukturen hervorgeht, also „Kollektive, die erst durch die Abgrenzung vom Fremden ihre Identität gewinnen.“20 Europa oder der Westen grenzen sich so also vom Orient ab. Ein weiterer Aspekt ist die Reflexion, die aus dieser Erhebung entsteht. Anhand der Spiegelung resultiert für den Westen ein neues Verständnis und „für den Westen [ist] der Orient nicht nur ein Ort der Unterwerfung und Ausbeutung, sondern auch der Korrektur […]. Er hat auch den Auftrag, dessen Fehler und Unzulänglichkeiten zu beheben.“21
2.2.2 Die Verortung der Kultur
In seinem Band „Die Verortung der Kultur“ beschäftigt sich Bhabha mit der Frage welche Verortungen von Kultur sich im postmodernen Raum ergeben und somit ergibt sich daraus seine Intention daß [sic!] Subjekte gerade nicht auf eine ethnische Position festgelegt werden, sondern als Überschreitung jener verschiedenen Teilaspekte der divergierenden ethnischen, klassen- oder geschlechtsspezifischen Zugehörigkeiten begriffen werden, die nur als Verknotung die kulturelle Identität des Individuums ausmachen.22
Zudem kritisiert er die Einordnung von Ethnien, Klassen oder Geschlechtern zu einer Zugehörigkeit als ambivalent. Der Standpunkt einer Erzählung eines Subjekts sei ebenso durch Ambivalenz, also auch durch verschiedene Betrachtungsweisen beeinflusst im Hinblick auf die kulturelle Verortung. Er deutet „das Unbewußte [sic!] als eine Stelle des Fremden inmitten des psychischen Apparates, als einen beunruhigenden, ambivalenten und widersprüchlich kodierten Zwischenraum.“
Seine Auseinandersetzung beruht auf „der Erkenntnis, daß [sic!] das Andere nie außerhalb oder jenseits von uns verortet ist, sondern seine Stelle einnimmt innerhalb eines jeden kulturellen Systems“23. Diese Differenz befindet sich demnach inmitten des Eigenen und Fremden und kann nicht abgegrenzt werden. Unsere Identität konstituiere sich also an einem dritten Ort, einem sogenannten Zwischenraum.24 Bhabha eröffnet mit dieser Metapher einen Raum, welcher Platz schafft für eine Verbindung oder Interaktion von Eigen- und Fremdraum und „dieser zwischenräumliche Übergang zwischen festen Identifikationen eröffnet die Möglichkeit einer kulturellen Hybridität, in der es einen Platz für Differenz ohne eine übernommene oder verordnete Hierarchie gibt.“25 Dieser geschaffene Raum bietet Platz zur Übereinkunft, bietet aber auch gleichzeitig die Möglichkeit zur Ausübung von Kritik.
Er beschreibt den Begriff „Postmoderne“ eher als veraltet, denn man solle nicht nur von einem „danach“ ausgehen, sondern sich mit Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen beschäftigen.26 Dabei bezieht Bhabha klar Stellung daß [sic!] Weltliteratur eine im Entstehen begriffene, präfigurative Kategorie sein könnte, bei der es um eine Art kulturellen Dissens und kulturelle Alterität geht und aus der sich nicht auf Konsens beruhende Formen von Zugehörigkeit auf der Basis von historischen Traumata entwickeln können. Das Studium der Weltliteratur könnte das Studium der Art und Weise sein, in der Kulturen sich durch ihre Projektion von ‚Andersheit‘ (an-)erkennen. Während einst die Weitergabe nationaler Traditionen das Hauptthema einer Weltliteratur war, können wir jetzt möglicherweise annehmen, daß [sic!] transnationale Geschichten von Migranten, Kolonisierten oder politischen Flüchtlingen – diese Grenzlagen – diese Gebiete der Weltliteratur sein könnten.27
Bhabha kritisiert die rein „westliche“ Theorie. Die Handlungsmacht wird eher dem Westen zugeschrieben, man kann auch von einer Ausgangsposition des Eurozentrismus sprechen, der im weiteren Verlauf näher erläutert wird.
In einem Vergleich von kultureller Diversität und Differenz eröffnet Bhabha einen kritischen Vergleich, demnach impliziere „die Anerkennung vorgegebener kultureller Inhalte und Bräuche, und als Position in einem zeitlichen Rahmen des Relativismus führt diese Anerkennung dann zu liberalen Begriffen wie Multikulturalismus, kulturellen Austausch oder der Kultur der Menschheit.“28 Im Gegenzug dazu steht die kulturelle Differenz mit ihrer Problematik.
Daß [sic!] das Problem der kulturellen Interaktion nur an den signifikatorischen Grenzen von Kulturen auftaucht, an denen Bedeutungen und Werte (miß)verstanden [sic!] oder Zeichen aus ihrem Kontext gerissen werden. Kultur entwickelt sich nur dort zu einem Problem oder einer Problematik, wo die wechselseitige Infragestellung und Artikulation des Alltagslebens von Klassen, Geschlechtern, Ethnien, Nationen zu einem Verlust an Bedeutung führen.29
Bhabha eröffnet eine neue Perspektive, indem er die kulturelle Identität neu betrachtet und das Konstrukt bzw. die Eingrenzung von Kulturen überdenkt. Er eröffnet einen „Dritten Raum“, in dem Ort und Subjekt der Äußerung „um Bedeutung zu produzieren […] in eine Bewegung versetzt werden, bei der sie einen Dritten Raum durchlaufen.“30 Dieser Raum bietet die Möglichkeit „daß [sic!] die Bedeutung und die Symbole von Kultur nicht von allem Anfang an einheitlich und festgelegt sind und daß [sic!] selbst ein und dieselben Zeichen neu belegt, übersetzt, rehistorisiert und gelesen werden können.“31 Aus dieser Annahme ergibt sich die Hoffnung einer internationalen Kultur „die nicht auf der Exotik des Multikulturalismus oder der Diversität der Kulturen, sondern auf der Einschreibung und Artikulation der Hybridität beruht.“32 Dabei betont Bhabha, dass das Dazwischen immer ein Hauptaugenmerk kultureller Zuweisung bedeutet, Interkulturalität ist also das, was zwischen den Kulturen geschieht und an Bedeutung gewinnt. „Indem wir diesen Dritten Raum erkunden, können wir der Politik der Polarität entkommen und zu den anderen unserer selbst werden.“33 Also zu denen, die sich in Bewegung begeben zwischen den kulturellen Räumen.
Das Konzept, welches in „Die Verortung der Kultur“ erarbeitet wird, rückt drei Analysekonzepte besonders in den Vordergrund, um die Ambivalenz der postkolonialen Studien aufzuzeigen. Das Fremde oder Andere wird zur Darstellung oder Spiegelung von Erwartungen und möglicherweise auch Ängsten gegenüber eben diesem. Zudem bietet Hybridität die Möglichkeit von kultureller Diversität, die Mimikry in Form von einer Nachahmung der bestehenden Machtverhältnisse und der Dritte Raum, ein Zwischenraum, der Platz bietet für Annäherung an das Fremde und möglicherweise die eigene Identität hinterfragt.
2.2.3 Can the subaltern speak?
Spivak befasst sich in ihrer Arbeit „Can the subaltern speak?“ mit dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie, nicht im räumlichen Sinne, sondern in Form von Kommunikation und der Macht über Wissen, das bedeutet, wer eigentlich spricht und wer über andere sprechen darf oder gehört wird. Wie bereits der Titel ihrer Arbeit ankündigt, geht sie der Frage nach, ob Subalterne sprechen können und wie allgemein ein Individuum oder das subalterne Subjekt der „Dritten Welt“ innerhalb der gegenwärtigen Diskurse dargestellt wird.34 Sie verdeutlicht, „dass die Kolonisierten und ihre Nachfahren auf Schwierigkeiten der Artikulation stoßen, weil sie sich der Sprache der Kolonialherren bedienen müssen – der und vor allem die Subalterne hat keine eigene Sprache“35. Aus der Studie geht hervor, dass Subalterne Subjekte sind „denen jegliche soziale Mobilität verwehrt bleibt und denen zudem […] jene Komplexität abgesprochen wird, die diese Diskurse westlichen Subjekten in der Regel zuschreiben.“36
„Die imperialistische Konstruktion der nicht-westlichen Anderen besteht damit nicht >lediglich< in homogenisierenden und gegebenenfalls herabsetzenden Repräsentationen.“37 Spivak sieht also als Lösungsansatz die Subalternen für sich sprechen zu lassen und die Unfähigkeit der Kommunikation und Unfähigkeit der Veränderung gegenüber den postkolonialen Subjekten zu überwinden. Die Aufgabe der Forschung sei es zu den zum Schweigen gebrachten Subjekten zu sprechen und uns dabei von den Mustern der Hierarchie zu lösen.38
Aus der Perspektive dieser drei Autor*innen entsteht ein Abbild der postkolonialen Studien und erst die Abgrenzung zu bestehenden Ansätzen eröffnet die Möglichkeit einer neuen Betrachtung, „aus deren Perspektive die globale Ordnung der Moderne aus dem Kolonialismus entstanden ist, dessen kulturelles und gesellschaftliches Erbe bis in die Gegenwart hineinreicht.“39 Im Überblick zeigen diese drei postkolonialen Studien die Asymmetrie der Interkulturalität bzw. den Zusammenkünften solcher politischen Aspekte und des Kolonialismus, es lässt sich also auch von einer Machtasymmetrie in der Interaktion von Kulturen sprechen. Diese Arbeiten zeigen also den Versuch, diese umzukehren und die „Anderen“, „Subalternen“ sprechen zu lassen.
Aus diesen Studien, sowie weiteren weiterführenden geht die Intention hervor „die Bedingungen und Rechtfertigungsstrategien ethnischer Inferiorisierung zu erforschen und damit zu deren Überwindung beizutragen.“40
Die Postmoderne oder Diskurse der Postmoderne deuten einheitlich auf einen Prozess der Demokratisierung hin, dabei prägen sich gegenseitig Diskurse wie Interkulturalität, Feminismus und Postkolonialismus und bilden sich seit den sechziger Jahren stetig hin zur Individualisierung, das Besondere, Einzelne und die Vielfalt und Pluralität von Denkansätzen rückt in den Vordergrund.41 Es wird weniger in „Schubladen“ gedacht, sie öffnen sich und ein Denken in Gegensätzen wird mit der Kritik an der Gegenwart überwunden.
Dieser Überblick über die neuartigen Herangehensweisen an die Untersuchung der Literatur der Moderne und die Hinterfragung der üblichen Strategien, ergibt sich, dass diese Konzepte „die Asymmetrie interkultureller Begegnungen in politischen Verhältnissen wie den Kolonialismus verdeutlichen und dass die Frage nach dem Sprechen über den Anderen zur Kernfrage der interkulturellen und postkolonialen Literatur und Kultur wird.“42 Also ergibt sich daraus letztendlich die Frage, wie überhaupt über das Fremde oder das Andere geschrieben werden könne und dabei nicht nur eine andere, neue Perspektive angenommen wird, sondern dies sogar durch eine Multiperspektivität, um dem Eurozentrismus die Perspektive des Ethnozentrismus entgegen zu bringen.43
Nach dieser Herausstellung der Tendenzen in der interkulturellen Literaturwissenschaft, wird im weiteren Verlauf betrachtet, wie „das Fremde“ eigentlich definiert wird und sich die Annäherung an das Fremde vollzieht, um letztendlich untersuchen zu können, wie sich die postkolonialen Einflüsse in der Gegenwartsliteratur wiederfinden, weiterentwickelt werden und wie das Fremde zu uns spricht bzw. welcher Raum eröffnet wird, um dies möglich zu machen.
3. Die Wahrnehmung des Fremden
Die Wahrnehmung des Fremden ist vermutlich von Subjekt zu Subjekt unterschiedlich, jedoch entstehen durch die Wahrnehmungen gleichzeitig Erfahrungen, die zur kulturellen Entfaltung beitragen. Um diese zu erläutern, sollte zunächst ein theoretischer Rahmen geschaffen werden, der im weiteren Verlauf zur Analyse beitragen wird, um das Fremde als Phänomen zu verstehen.
Waldenfels greift in seinen Studien zur Phänomenologie des Fremden die Problematik auf, die sich allein schon mit der Spezifizierung des Fremden in der deutschen Sprache ergibt. Beispielsweise wird aus der Sprache die Fremdsprache oder der Kultur eine Fremdkultur, somit wird das Wort an sich in seiner Einordnung „verfremdet“, eine Konfrontation mit etwas, das wir nicht kennen. So ließe sich von einer Ordnung ausgehen, die dem Eigenen und Bekannten entspricht, also Dingen und Erfahrungen, die wir verstehen und kategorisieren können. Jedoch gibt es in jeder Hinsicht Grenzen des Verstehens und unserer Erfahrungswerte, das heißt alles darüber hinaus ist für uns fremd bzw. sind Dinge, die wir nicht kategorisieren können und die offensichtlich nicht in dieser Ordnung enthalten sind.
Aufgrund der Entwicklung kultureller Pluralität in den letzten Jahrzenten wird dies ein immer größer werdender Bestandteil des Alltags. In der Ausdrucksweise oder in vermittelten Werten definiert sich nicht nur eine nationale Kultur, sondern entsteht gleichzeitig eine Vielfalt kultureller Räume. „Die Kultur wird dadurch zu einem Instrument der Ex- und Inklusion.“44
3.1 Der, die, das Fremde
Nach Waldenfels‘ Anschauung des Fremden lässt sich davon ausgehen, dass das Fremde „als ein Anderswo und als ein Außer-ordentliches, das keinen angestammten Platz hat und sich der Einordnung entzieht“45, definiert wird. Es sollte losgelöst von der Eingrenzung in Eigenes und Fremdes, also unabhängig von der eigenen Ordnung von außerhalb, betrachtet werden. In diesem Sinne aus der „Fremde“.
Waldenfels betont allerdings seine Überzeugung, dass das Fremde nicht etwas ist, was unsere eigenen Wahrnehmungen überschreite, sondern „vielmehr geht die Fremderfahrung von einem fremden Anspruch aus, der unserer Eigeninitiative zuvorkommt. […] Die Vereinnahmung des Fremden beginnt damit, daß [sic!] diese Differenz und mit der Differenz auch das Eigene verkannt wird.“46
In Alfred Schütz‘ Abhandlung „Der Fremde“ geht dieser im Hinblick auf die Erläuterung des Fremden von einer typischen Situation aus, in der sich ein Immigrant in einem neuen sozialen Gefüge versucht zurecht zu finden und sein Verhältnis gegenüber der Gesellschaft und Kultur zu definieren. Seiner Definition nach beschreibt der Begriff „Fremder“ „einen Erwachsenen unserer Zeit und Zivilisation […], der von der Gruppe, welcher er sich nähert, dauerhaft akzeptiert oder zumindest geduldet werden möchte.“47 Der Immigrant ist hierbei nur ein Beispiel einer Situation, so ließe sich dies auch auf andere „Fremde“ beziehen, die sich einer fremden Welt nähern wollen.
Grundsätzlich ist das „Fremde“ etwas, was uns vertraut ist bzw. ständig im Alltag auftaucht, ob es sich dabei um die Vielfalt der Sprachen handelt, denen wir täglich begegnen, oder um das Gast- oder Asylrecht, von denen Fremde und Verfolgte Gebrauch nehmen und nach Deutschland immigrieren. Allerdings bleibt diese Fremderfahrung immer noch innerhalb des Gefüges, welches wir bereits kennen. Gehe man jedoch von einem „radikal Fremden“ aus, bedeutet das nach Waldenfels, „daß [sic!] es keine Welt gibt, in der wir völlig heimisch sind, und daß [sic!] es kein Subjekt gibt, das Herr im eigenen Hause wäre.“48 Er stellt also eine relative einer radikalen Fremderfahrung gegenüber. Inwieweit diese Radikalität als Herausforderung bewältigt werden kann, bleibt allerdings offen.
Ergänzend zum Verständnis der Kultur und der damit einbezogenen Fremdheit betont Franz-Peter Burkhard in einem Aufsatz zur kulturellen Wahrnehmung von Fremdheit die Bedeutung des Strukturalismus für die Erkenntnisgewinnung, demnach „ist die Grenzziehung eine Notwendigkeit der Bedeutungskonstitution. Zeichen erzeugen Differenz und damit Erkennbarkeit in einem ansonsten ununterschiedenen Kontinuum.“49 Die Zuordnung von Zeichen ist unabdingbar, um allgemein zu verstehen, somit „ist das Fremde eine Herausforderung an dieses Verstehen, und Unverständliches wäre wiederum eine Bedrohung des In-der-Welt-seins.“50
Mit der Sinngebung entstehen Grenzen, werden verschoben oder sogar durchbrochen. Vertrautheit und Fremdheit stehen also in ständiger Interaktion. Aus anderer Perspektive gesehen veranlasst [der Fremde] das Eigene ‚mit anderen Augen‘ zu sehen. Der Fremde bewirkt also eine Dynamisierung der Gesellschaft, ohne die sie erstarren würde, gleichzeitig aber auch eine Relativierung, die von Seiten des gesellschaftlichen Systems begrenzt und beherrscht werden muss.51
3.1.1 Fremderfahrung und Fremdanspruch
Um näher auf die Erfahrung und die Wahrnehmung von Fremdheit einzugehen, sollte zunächst die Erfahrung an sich kurz erläutert werden. Eine Erfahrung ist ein Ergebnis und gleichzeitig ein „Prozeß [sic!], in dem sich Sinn bildet und artikuliert und in dem die Dinge Struktur und Gestalt annehmen.“52 Von dieser Erfahrung lässt sich auf eine Ordnung schließen, die wie bereits erwähnt, innerhalb der Grenzen unserer Wahrnehmung besteht. Diese Einordnung von Erfahrungswerten impliziert jedoch nicht, dass es nur eine einzige richtige Ordnung gibt. Diese Eingrenzung ist die Bedingung für Fremdes, welches sich dieser Ordnung entzieht.53
Nach Waldenfels lassen sich drei Hauptaspekte ausmachen, die das Fremde vom Eigenen unterscheiden. Erstens der Ort, also alles was außerhalb unserer Grenzen vorkommt, zweitens das Besitztum eines Anderen und drittens die Art, also jegliche Dinge, die uns fremdartig erscheinen.54 Ein Fremder teilt die grundsätzlichen Annahmen einer Gruppe nicht, somit ist im Idealfall das Ziel des Fremden, diese mit der neuen Gruppe zu teilen. Allerdings ist er von sämtlichen bisherigen Erfahrungen ausgegrenzt. Schütz spricht dabei von der Perspektive der Gruppe aus betrachtet von einem „Mensch ohne Geschichte.“55 Diese neue Ordnung beginnt der Fremde mit seinen üblichen Denkmustern seiner „alten“ Gruppe zu bestimmen. Mit dieser Deutung und Erfahrung des Fremden entstehen Nähe und neue Orientierungsmuster innerhalb der neuen Gesellschaft. Ihm bleibt also vorerst nur der Versuch einer „Übersetzung“ in Muster seiner Heimatgruppe. Indem er die Schwierigkeiten seiner bisherigen Deutungen feststellt, entstehen eigene Auslegungsschemata. Der Spracherwerb ist hierbei ein Beispiel für ein erworbenes Ausdrucksschema. Jedoch betont Schütz, dass eine Sprache nicht vollständig verstanden werden kann, aufgrund der Geschichte bzw. den vergangenen Erfahrungen und Traditionen der Gruppe.56
3.1.2 Kollektive Fremdheit
Weitergehend rückt auch der Begriff der „Identifizierung“ in den Vordergrund, der gleichzeitig eine Verbindung zur „kollektiven Fremdheit“ herstellt. Denn wenn sich ein Individuum mit einer Gruppe identifiziert, rückt das soziale Selbst in den Vordergrund. Alles, was nicht diesem Kollektiv angehört, wird ausgeschlossen. „Fremdheit bedeutet in diesem Sinne Nichtzugehörigkeit zu einem Wir.“57 Daraus folgt, dass sich bei dem „Eigenen“ und „Fremden“ von feststehenden Bildern ausgehen lässt, die sich nicht nur dadurch definieren, nicht zum Bereich, Besitz oder einfach der Art des Individuums zu gehören, sondern auch durch eine kollektive Fremdheit und Identifizierung zu einer Gruppe entstehen können.
Wenn man von einem bestimmten Ort als „Fremdort“ ausgeht, so ist dieser gleichzeitig eine Grenzüberschreitung, also eine Art Nicht-Ort, der noch nicht in unserer Ordnung besteht. Fremdes lässt sich nicht nur an Fremdorten finden, sondern gleichzeitig auch ins uns selbst, denn „Fremderfahrung ist und bleibt eine Form der Erfahrung, nur eben in der paradoxen Form einer originären Unzugänglichkeit, einer abwesenden Anwesenheit.“58 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Fremdes nicht nur auf einen Ort bezogen werden kann, sondern auch etwas Persönliches, nicht Greifbares in uns selbst sein kann. Das Fremdheitsgefühl entsteht im Individuum selbst, herbeigeführt durch bestimmte Auslöser. Im Falle der kollektiven Fremdheit entschließt das Individuum sich zur Identifizierung mit einer bestimmten Gruppe, grenzt dadurch aber gleichzeitig andere aus dieser Ordnung aus. Somit ist das Selbst nicht nur der Beginn des Fremden, sondern definiert auch was fremd ist und was nicht. Daraus folgt eine Trennung zwischen der Eigen- und Fremdwelt, alles Zugängliche, mit dem wir uns identifizieren können, abgrenzt vom Undefinierbaren. Allerdings ist diese Trennung wiederum abhängig von der jeweiligen Gruppe oder Ordnung, in der man sich befindet. Die Grenzen zum Fremden können variieren.59
[...]
1 Hofmann/Patrut: Einführung in die interkulturelle Literatur, S. 7.
2 Vgl. Ebd., S. 7.
3 Ebd., S. 7.
4 Ebd., S. 8.
5 Ebd., S. 8.
6 Ebd., S. 8.
7 Ebd., S. 9f.
8 Schmitz: Einleitung: Von der nationalen zur internationalen Literatur, S. 7.
9 Ebd., S. 8.
10 Vgl. Said/ Holl: Orientalismus.
11 Vgl. Dürbeck: Postkoloniale Germanistik.
12 Ebd., S. 11.
13 Vgl. Ebd., S. 24ff.
14 Ebd., S. 34.
15 Honold: Poetik des Fremden, S. 77.
16 Bay/Struck: Postkoloniales Begehren, S. 463.
17 Said: Orientalismus, S. 9f.
18 Ebd., S. 14.
19 Ebd., S. 39.
20 Zifonun: Edward W. Said, Orientalism, S. 191.
21 Ebd., S. 191.
22 Bronfen: Vorwort, S. 9.
23 Ebd., S. 11.
24 Vgl. Ebd., S. 9ff.
25 Bhabha: Die Verortung der Kultur, S. 5.
26 Ebd. S. 1ff.
27 Ebd., S. 17f.
28 Ebd., S. 52.
29 Ebd., S. 52.
30 Ebd., S. 55.
31 Ebd., S. 57.
32 Ebd., S. 58.
33 Ebd., S. 58.
34 Vgl. Spivak: Can the subaltern speak?
35 Hofmann/Patrut: Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft, S. 18.
36 Kerner: Gayatri Chakravorty Spivak, „Can the subaltern speak?“, S. 135.
37 Ebd., S. 136.
38 Vgl. Spivak: Can the subaltern speak?
39 Zifonun: Edward W. Said, Orientalism, S. 192.
40 Dürbeck: Postkoloniale Germanistik, S. 45.
41 Vgl. Lützeler: Schriftsteller und Dritte Welt, S. 7ff.
42 Hofmann/Patrut: Einführung in die interkulturelle Literatur, S. 18.
43 Vgl. Ebd., S. 18.
44 Rauh: Fremdheit und Interkulturalität, S. 7.
45 Waldenfels: Topographie des Fremden, S. 12.
46 Ebd., S. 14.
47 Schütz: Der Fremde, S. 45.
48 Waldenfels: Topographie des Fremden, S. 17.
49 Burkhard: Von Gästen und Menschenfressern, S. 43.
50 Ebd., S. 44.
51 Ebd., S. 47.
52 Waldenfels: Topographie des Fremden, S. 19.
53 Vgl. Ebd., S. 20.
54 Vgl. Ebd.
55 Schütz: Der Fremde, S. 50.
56 Vgl. Ebd., S.52ff.
57 Waldenfels: Topographie des Fremden, S. 22.
58 Ebd., S. 30.
59 Vgl. Ebd., S. 34f.
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