Mutismus wird oft als simple Schüchternheit zu Sprechen interpretiert, da er recht selten vorkommt und besonders selektiver Mutismus oft unscheinbar wirkt. Es kann angenommen werden, dass LehrerInnen, sowie pädagogischen Fachkräften, schlicht die Fachkenntnis und dementsprechende Instrumente zur Erhebung und Identifikation von Mutismus nicht zur Verfügung stehen. In einer Studie von Stark und Subellok konnte festgestellt werden, dass die Dunkelziffer von Kindern mit selektivem Mutismus in der Primarstufe wesentlich höher ist, als angenommen. Es konnten 2,6% Mädchen und Jungen mit deutlichen Symptomen von selektivem Mutismus gefunden werden. Dies überschreitet bisherige Prävalenzraten deutlich.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, pädagogisches Fachpersonal im Hinblick auf Mutismus zu sensibilisieren. Dies sollte mit der Absicht geschehen das konkrete Störungsbild vor dem Hintergrund seiner Vielschichtigkeit und Individualität betrachten zu können und Schlüsse für die Praxis erkennbar zu gestalten. Darüber hinaus werden integrative Wege benötigt, Kinder mit Mutismus in den Alltag einzubinden. Dies erfordert interdisziplinäre Zugänge, sowie aktive Angehörigenarbeit.
Die Thematik eröffnet sich ebenso im Hinblick auf die stetige Migration von Kindern mit multikulturellem Hintergrund. Die Häufigkeit des Auftretens von Mutismus wurde bei dieser Personengruppe besonders beobachtet. Daraus ergibt sich weiterhin die Relevanz der Arbeitsweisen mutistischer Kinder, da Kinder mit Migrationshintergrund oder aus multikulturellen Haushalten keine Seltenheit in der pädagogischen Praxis darstellen. In der Absicht das Arbeitsfeld mit mutistischen Kindern zu eröffnen, gliedern sich die nachfolgenden Ausführungen an. Zum einen müssen theoretische Grundlagen erörtert werden, zum anderen bedarf es konkreter und praktischer Umsetzungswege in der Arbeit mit diese Personengruppe.
Gliederung
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
3. Praktische Umsetzung
4. Fazit
5. Literatur
1. Einleitung
Mutismus wird oft als simple Schüchternheit zu Sprechen interpretiert, da er recht selten vorkommt und besonders selektiver Mutismus oft unscheinbar wirkt. Es kann angenommen werden, dass LehrerInnen, sowie pädagogischen Fachkräften, schlicht die Fachkenntnis und dementsprechende Instrumente zur Erhebung und Identifikation von Mutismus nicht zur Verfügung stehen (vgl. Starke & Subellok 2012, S.63). In einer Studie von Stark und Subellok konnte festgestellt werden, dass die Dunkelziffer von Kindern mit selektivem Mutismus in der Primarstufe wesentlich höher ist, als angenommen. Es konnten 2,6% Mädchen und Jungen mit deutlichen Symptomen von selektivem Mutismus gefunden werden (vgl. Starke & Subellok 2012, S.63). Dies überschreitet bisherige Prävalenzraten deutlich.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, pädagogisches Fachpersonal im Hinblick auf Mutismus zu sensibilisieren. Dies sollte mit der Absicht geschehen das konkrete Störungsbild vor dem Hintergrund seiner Vielschichtigkeit und Individualität betrachten zu können und Schlüsse für die Praxis erkennbar zu gestalten (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.11). Darüber hinaus werden integrative Wege benötigt, Kinder mit Mutismus in den Alltag einzubinden. Dies erfordert interdisziplinäre Zugänge, sowie aktive Angehörigenarbeit (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.11). Die Thematik eröffnet sich ebenso im Hinblick auf die stetige Migration von Kindern mit multikulturellem Hintergrund. Die Häufigkeit des Auftretens von Mutismus wurde bei dieser Personengruppe besonders beobachtet (vgl. von Schelling 2019, S.75). Daraus ergibt sich weiterhin die Relevanz der Arbeitsweisen mutistischer Kinder, da Kinder mit Migrationshintergrund oder aus multikulturellen Haushalten keine Seltenheit in der pädagogischen Praxis darstellen.
In der Absicht das Arbeitsfeld mit mutistischen Kindern zu eröffnen, gliedern sich die nachfolgenden Ausführungen an. Zum einen müssen theoretische Grundlagen erörtert werden, zum anderen bedarf es konkreter und praktischer Umsetzungswege in der Arbeit mit diese Personengruppe.
2. Theoretische Grundlagen
In diesem Kapitel werden theoretische Inhalte zum Mutismus dargelegt mit Hauptaugenmerk auf selektivem Mutismus. Diese Ausführungen ermöglichen im Nachfolgenden die Angliederungen praktischer Umsetzungsmöglichkeiten für den pädagogischen Alltag. Das Hauptaugenmerk wird auf selektivem Mutismus liegen, da diese Form bei Kindern wesentlich häufiger anzutreffen ist (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.21).
2.1 Definition
Grundsätzliche stammt das Wort „Mutismus“ aus dem lateinischen und meint Schweigen. In fachliterarischen Kreisen finden sich unterschiedliche Bezeichnungen für dieses Phänomen. Der ICD-10 benennt ihn unter F94.0 als „elektiven Mutismus“ (Katz-Bernstein 2007, S.20). Dahingegen differenzierte Schoor 2002 expliziter, indem er die Begriffe partielles und universelles Schweigen nutzte (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.20). Auch Hartmann 1997 nutzt ähnliche Unterscheidungswege. Seine Umschreibungen benennen totalen und elektiven Mutismus. Totaler Mutismus meint eine absolute „Verweigerung der Lautsprache bei erhaltenem Hörvermögen“ (Katz-Bernstein 2007, S.20). Wobei der Begriff elektiv suggeriert, dass man eine Wahl dazu getroffen habe. Dagegen beschreibt der selektive Mutismus keine derartige Entscheidungsfreiheit (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.21). Allerdings wird Schweigen hierbei als Bewältigungsstrategie genutzt und ein konsequentes Schweigen entgegen der Verlockung zu Sprechen bedürfe extremer Anstrengungen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.21). Im nachfolgenden wird die Begrifflichkeit des selektiven Mutismus verwendet, da zu bezweifeln steht, in wie fern eine bewusste Wahl zur Verhaltensstrategie in der Kindheit getroffen werden kann und eine Verharmlosung der Symptomatik könne sich vollziehen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.21).
Selektiver Mutismus beschreibt eine Kommunikationsstörung, welche ihren Beginn in der Kindheit findet. Diese wird meist mit Angst assoziiert (vgl. Starke & Subellok 2015, S.106). In mindestens einer sozialen Situation legen Betroffene eine umfassende Sprachlosigkeit auf (vgl. Starke & Subellok 2012, S.64). Nichtsdestotrotz sind sie in anderen Settings durchaus in der Lage zu kommunizieren. Besondere Kennzeichen sind oft eine Diskrepanz zwischen der Kommunikation zu Hause und der in der Öffentlichkeit (vgl. Starke & Subellok 2012, S.64). Selektiver Mutismus sollte stets als mehrdimensionales und systemisches Phänomen betrachtet werden. Bei der Ursachenforschung bedarf es der Betrachtung der systemischen Konstellationen, in welchen das Kind schweigt (vgl. Subellok et al. 2014, S. 454). Die Symptomatik variiert enorm, je nach Kind. Jene kann begründet in Personen, Orten oder Situationen liegen. Grundlegend spiegelt sich in der Ursachenforschung eine hohe Individualität wider (vgl. Starke & Subellok 2015, S.106).
2.2 Erscheinungsbild
Fortfolgend sollte aufgeklärt werden, welche besonderen Erscheinungsformen und Merkmale der (selektive) Mutismus innehält. Folgende Kriterien können zur erstmaligen Feststellung hilfreich sein, besonders bei Kindern im Kindergarten- und Schulalter (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.63).
„Das Schweigen dauert über sechs Monate an. Es zeigt sich keine Entwicklung in Richtung Sprache. Das Schweigen zeigt sich als systematisch und wirkt „eisern“. Beim Ansprechen senkt das Kind den Kopf und/oder erstarrt. Das Kind zeigt ein ritualisiertes Verhalten zur Etablierung des Schweigens. Es wird z.B. stellvertretend ein sprechendes Kind aus der Gruppe organisiert oder ein Zeichensystem für die Verständigung entwickelt. Das Kind schweigt auch im Spiel mit einzelnen Kindern, in informellen Situationen und im versunkenen Spiel. Es sind sonstige Verhaltensauffälligkeiten, soziale Risikofaktoren, Behinderungen und/oder Störungen zu beobachten. Die Berichte der Eltern zeigen eine Diskrepanz zwischen den Verhaltensweisen zu Haus und dem Verhalten in der Einrichtung (z.B. redet das Kind zu Hause „ganz normal“ oder „wie ein Wasserfall“, ist ganz frech und aufsässig).“ (Katz-Bernstein 2007, S.63).
Können aus diesem Kriterienkatalog mehrere mit einem „Ja“ beantwortet werden, so sollte eine fachliche Diagnostik zu Rate gezogen werden. Um eine Abgrenzung zu anderen Beeinträchtigungen, wie Autismus oder kindlicher Schizophrenie ziehen zu können, bedarf es einiger Ausschlusskriterien. Es muss die Kenntnis zur gesprochenen Sprache vorliegen. Zudem können eine Kommunikationsstörung und eine tiefgreifende Entwicklungsstörung ausgeschlossen werden.
Das Phänomen des (selektiven) Mutismus weist eine Korrelation zu anderen Verhaltensauffälligkeiten und psychiatrischen Störungsbildern auf (vgl. Feldmann & Kramer 2008, S.19-20). Dazu zählen etwa soziale Ängste, depressive Symptomatiken oder Regulationsstörungen der Ausscheidungen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.28). Auch Zwänge, Aggressivität und passives Rückzugsverhalten können häufig beobachtet werden als zusätzliche psychopathologische Auffälligkeiten.
2.3 Ätiologie
In der Entwicklungspsychologie geht man davon aus, dass leichte Stresssituationen die kindliche Entwicklung ermöglichen. Dabei wird die Anforderung an das Kind gestellt, sich mit neuen Erfahrungen oder unbekannten Aufgaben auseinanderzusetzen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.31). Dies wiederum führt zu einer Entwicklung neuer Kompetenzen, wenn sie aus eigener Anstrengung oder mit Hilfe anderer bewältigt werden können. Allerdings führen Anforderungen mit starken Stressniveau dazu, dass Bewältigungsreaktionen ausgelöst werden, welche nicht zwangsläufig eine adäquate Bewältigung mit sich ziehen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.31). Aus entwicklungspsychologischer Sicht fehlt bei mutistischen Kindern eine kommunikative und sprachliche Kompetenz, welche es erschwert einen Übergang zwischen Vertrautem und Fremdem zu vollziehen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.31). Die starren Grenzen zwischen vertraut und fremd stehen einem Lernprozess im Weg. Kindliche Entwicklung bewegt sich über die Ausdehnung von Ausschnitten seiner Umwelt hinaus, welche auch krisenanfällige Übergänge beinhaltet (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.32).
Daneben kann Mutismus auch durch traumatisch empfundene Ereignisse ausgelöst werden. Dazu können unter anderem Trennung, Umzug oder der Tod zählen (vgl. Feldmann et al. 2012, S.14). Mutismus wird als Störung bezeichnet, welche posttraumatisches Syndrom bekannt ist. Demnach kann Mutismus „auf vergangene oder gegenwärtige Gewalterfahrungen oder auf Übergriffe sexueller Art hinweisen“ (Katz-Bernstein 2007, S.65).
Darüber hinaus können Risikofaktoren festgestellt werden, die Mutismus als Störung identifizieren, welche Wechselwirkungen und Potenzierung mit vielfältigen weiteren Störungen des Kindes in Verbindung steht (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.30). Diese Risikofaktoren können unter anderem Migration, Bilingualität, Persönlichkeitsstörungen der Eltern oder pränatale Komplikationen sein.
2.4 Bezug zur Sprachentwicklung
Nach aktuellem Kenntnisstand der Wissenschaft vollzieht sich der Spracherwerb zusammen mit der Einführung eines Kindes in die soziale Welt. Daneben steht die Korrelation zwischen der Sprechfähigkeit und der Denkfähigkeit (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.37). Sprache wird in diesem Bezug verwendet, um Bedürfnisse und Absichten auszudrücken, Handlungen zu planen und zu steuern. Ebenso möchte das Kind über sich selbst nachdenken und erzählen. Dadurch erlangt es die Fähigkeit sich von anderen Menschen zu differenzieren und entwirft seine eigene Identität (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.37). Auch ontogenetische Prozesse nehmen ihren Einfluss auf die sprachliche Kompetenzbildung durch individuelle Erfahrungen und eigene Organisation jener Erfahrungen.
Sprachentwicklungsstörungen und Redestörungen bei Kindern lassen sich oft auf ein Defizit bezüglich der inneren Repräsentation von Dialogregeln zurückführen, wie bei Kindern mit Mutismus (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.39). Die verinnerlichten Regeln beinhalten den Umgang in kommunikativen Situationen und zeigen auf, wie die Unbekanntheit eines Gegenübers überwunden werden kann. Die auftretende Spannung in einer solchen Kommunikation wird bewältigt, um Kontakte herzustellen und zu differenzieren welche Kontinuität diese Beziehung innehält (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.39). Auch das Nähe-Distanz-Verhältnis wird dadurch reguliert. Defizite in der Gestaltung eines Dialogs zeigen sich zum einen in Distanzlosigkeit und zum anderen in der Weigerung die Fremdheit zu überwinden (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.39-40).
Grundlegend kann festgestellt werden, dass der Spracherwerb in einer Wechselwirkung zu Identität, linguistischen und sozialen Kompetenzen steht (vgl. Feldmann & Kramer 2008, S.20). Somit kann der Spracherwerb als komplexer und vielschichtiger Vorgang dargestellt werden, welcher eine Anfälligkeit für Störungen von „psychologischer, kognitiver, emotionaler und sozialer Art“ (Katz-Bernstein 2007, S.56) ist. Jene Störungen wiederum können dem Erwerben der sozialen Fähigkeit Fremdheit zu überwinden im Wege stehen. Abhängig zeigt sich diese Kompetenz von einer Instanz, welche Handlungsoptionen und deren Konsequenzen gegeneinander abwägen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.57). Jene Instanz reguliert und findet ihren Weg im kindlichen Spiel, wobei die Verinnerlichung und Abstraktion von Sprache Ausdruck findet. Demnach ist sie durch Sprache strukturiert und zeigt die Möglichkeit auf, zwischen spontanen Bedürfnissen und sozialen Interaktionsregeln Kontakte zu knüpfen (vgl. Katz-Bernstein 2007, S.57). Um Störungen in diesem Bereich auszugleichen tritt die Bewältigungsstrategie des Mutismus auf den Plan.
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- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2021, Mutismus und seine Auswirkungen auf die pädagogische Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1151836
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