Diese Arbeit möchte darstellen, vor welchem Hintergrund sozialpädagogische Familienhilfe stattfindet und wie Externalisieren als Technik in diese Kulisse passt. Hierzu werden die Rahmenbedingungen und theoretischen Grundlagen im ersten Teil der Arbeit skizziert. Im zweiten Teil wird die Übertragung in die Praxis dargestellt.
Die sozialpädagogische Familienhilfe stellt ein vielschichtiges sozialarbeiterisches Tätigkeitsfeld dar, für das man zahlreiche Kenntnisse, Methoden und Techniken benötigt, um der Mannigfaltigkeit an Problemlagen in den unterschiedlichen Familien zu begegnen. Die rechtliche Verortung ist das Gerüst für die sozialpädagogische Familienhilfe. Auch die Gründe, weshalb sozialpädagogische Familienhilfe installiert wird, sind vielfältig. Hervorzuheben ist, dass die rechtliche Grundlage ein Selbsthilfeprinzip ausweist. Hilfe zur Selbsthilfe kann nur geschehen, wenn ich weiß wie mein "Selbst" ist, also wer und wie ich bin, was ich kann und was mich ausmacht. Wie wird also Identität konstruiert? Ist dies ein unveränderbarer Prozess oder kann Identität umstrukturiert werden?
Inhalt
Einleitung
A. Wissenschaftliche Definitionen, Rahmenbedingungen und Verortungen
1. Soziale Arbeit mit Familien
1.1 Problemlagen in Familien
1.2 Rechtliche Grundlagen
1.3 Sozialpädagogische Familienhilfe
1.3.1 Meldungdurch Dritte
1.3.2 Meldungdurch die Familie selbst
2. Theoretische Grundlagenfür die Sozialpädagogische Familienhilfe
2.1 Lebenswelttheorie
2.2 Systemischer Ansatz
2.3 Wirksamkeitsfaktorenfür Erzieherische Hülfen
3. Die Heimat des Externalisierens: Narrative Therapie nach Michael White
3.1. Externalisieren macht das Problem zum Problem
3.2. Metaphern - Mit Sprache externalisieren
3.3 Identität eine Konstruktion der Lebenswelt
3.3.1 Das Verständnisvon Identität - im Laufe der Geschichte
3.3.2 Kultur und Identität entstehen durch Narrationen
3.3.3 Narration als Basis der Kultur und Identität
3.3.4 Konstruktion der Lebensgeschichte
B Externalisieren in der Sozialpädagogischen Familienhilfe - Praxisbeispiele
4. Kreative Anwendungsmöglichkeiten des Externalisierens
4.1. Im Spiel
4.2 Externalisieren über Schreiben
5. Anwendung in der sozialpädagogischen Familienhilfe
5.1 Mit der gesamten Familie „Externalisieren im Spiel“
5.2 Mit einzelnen Mitgliedern der Familie „dievier Frage-kategorien“
5.3 Die Verwendungvon externalisierenden Metaphern um Problemlagenzu beschreiben am Beispiel des Bilderbuchs „Der Schal derimmerlängerwurde“
6. Reflexion der Technik im Kontext Sozialpädagogischer Familienhilfe
6.1 Haltung der Familienhelferjn
6.2 Grenzen
Zusammenfassung
Literatur
EINLEITUNG
and she knows she's more than just a little misunderstood (Round Here-Counting Crows 1993)
Das 1993 erschienene Lied „Round Here“ der Counting Crows enthält die Textzeile „and she knows she's more than just a little misunderstood“ - die mich seit Jahrzehnten fasziniert und die mich seither bei meiner Arbeit begleitet. Schon als Leiterin in Ferienfreizeiten, die ich mit 16 begann, hatte ich ein „Händchen“ für die auffälligen Kinder, von denen alle anderen Erwachsenen genervt waren. Ich als Mensch übte auch eine Anziehungskraft auf diese Kinder aus, so dass sie in jedem Jahr meiner Leitungstätigkeit, die von mir geleitete Arbeitsgemeinschaft wählten. Mir war damals nicht bewusst, was in meinem Verhalten diese Kinder dazu bewogen hat, so auffällig meine Nähe zu suchen. Jahre später traf ich eines dieser Kinder bei einem Gemeindefest. Er trat auf mich zu und bedankte sich dafür, dass ich ihm gegenüber immer gerecht war und ihn nie auf seine Verhaltensauffälligkeit reduziert habe. Das hätte ihm sehr geholfen. Ich war sehr gerührt, war ich also für dieses Kind ein „Resilienzfaktor“. Welche Haltung verbarg sich hinter meinem Verhalten? Recht schnell kam mir oben genannte Textzeile in den Sinn, dieses Kind war eben mehr als seine Verhaltensauffälligkeit. Die Musik der Counting Crows hat mich über die Jahre begleitet und es war immer deutlich, dass Adam Duritz, der Sänger und Texter der Band, eine psychische Erkrankung hatte. 2008 machte er öffentlich, dass er seit Jahrzehnten an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leidet. Im Sommer 2014 erschien ein neues Album, welches im Vergleich zu den anderen Alben,weniger traurige Lieder, enthält. Der Sänger erzählte in einem Interview dazu folgendes „A friend told me that I've been writing for 20 years about what it's like to live with mental illness, but this record is not as limited. He said that it gives a much more complete picture of me, that there's more to me than my illness. That I'm funny, I'm a lot of things“ (Aberback, 2015). Das drückt aus, was ich als Sozialarbeiter_in meinen Klient_innen vermitteln möchte. Sie sind mehr als eine Diagnose oder eine Problemlage, sie sind vielfältig, spannend, lustig, aufregend (im doppeldeutigen Sinne), stur, verängstigt, vor allem sind sie es wert, dass man sie nicht reduziert auf einen Aspekt ihrer Persönlichkeit, ihrer Biographie oder ihrer Lebenswelt.
Fachlich betrachtet ist Externalisieren für mich ein Teil dieser Grundhaltung und die Anwendung in der sozialpädagogischen Familienhilfe daher nur logisch.
Die sozialpädagogische Familienhilfe stellt ein vielschichtiges sozialarbeiterisches Tätigkeitsfeld dar, für das man zahlreiche Kenntnisse, Methoden und Techniken benötigt, um der Mannigfaltigkeit an Problemlagen in den unterschiedlichen Familien zu begegnen. Die rechtliche Verortung ist das Gerüst für die sozialpädagogische Familienhilfe. Auch die Gründe, weshalb sozialpädagogische Familienhilfe installiert wird, sind vielfältig. Hervorzuheben ist, dass die rechtliche Grundlage ein Selbsthilfeprinzip ausweist.
Hilfe zur Selbsthilfe kann nur geschehen, wenn ich weiß wie mein „Selbst“ ist, also wer und wie ich bin, was ich kann und was mich ausmacht. Wie wird also Identität konstruiert? Ist dies ein unveränderbarer Prozess oder kann Identität umstrukturiert werden?
Diese Arbeit möchte darstellen vor welchem Hintergrund sozialpädagogische Familienhilfe stattfindet und wie Externalisieren als Technik in diese Kulisse passt. Hierzu werden die Rahmenbedingungen und theoretischen Grundlagen im ersten Teil der Arbeit skizziert. Im zweiten Teil stellte ich die Übertragung in die Praxis dar.
Ich verwende die Schreibweise der Personen mit Unterstrich - den sogenannten Gender Gap, wie beispielsweise bei Sozialarbeiter_in, weil dieser Unterstrich in der Gendertheorie für all diejenigen gilt, die sich keinem Geschlecht zuordnen können oder wollen. Dennoch klingt eine weibliche Schreibweise durch, da ich aus meiner Erfahrung heraus berichte und ein Identitätsaspekt von mir „Frau sein“ ist.
A. WISSENSCHAFTLICHE DEFINITIONEN, RAHMENBEDINGUNGEN UND VERORTUNGEN
Erkenntnisinteresse
Erst während meines Studiums habe ich gelernt, dass es einen Namen dafür gibt, was ich mit Klient_innen schon viele Male durchgeführt habe: Externalisie- ren und narrative Beratung. Nicht immer korrekt nach der Technik von Michael White, doch intuitiv richtig im Sinne der sprachlichen Distanzierung und Selbstbemächtigung über das Problem, Ressourcenorientierung und dem Blick auf die Anteile der Identität, die wichtig sind - für eine gutes Leben für die Kinder und sich selbst. Externalisieren ermöglicht den Zugang zu Gefühlen und kann dabei unterstützen neue Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren.
Begriffsklärung
Laut Duden bedeutet Externalisieren „nach außen verlagern“ (Duden.de:2015
1995 wurde Externalisieren im Fachlexikon Psychologie als Übertragen von etwas Innerem nach außen beschrieben (vgl. Fachlexikon Psychologie, 1995:142). Fünf Jahre später lautete im Lexikon der Psychologie die Beschreibung wie folgt:
Im Bereich der Attributionspsychologie werden zwei unterschiedliche Formen der Attribuierung dargestellt:
„Internal (or dispositional) attribution: Process of assigning the cause of our own or others' behaviour to internal or dispositional factors.“
„External (or situational) attribution: Assigning the cause of our own or others' behaviour to external or environmental factors“ (Hogg/Vaughan, 2010:43)
Eine weitere Begriffsdefinition ist die des Lexikons der Psychologie, auf die sich diese Arbeit stützt:
„Externalisierung des Problems, Technik der systemischen Therapie. Es wird versucht, ein Problem und die persönliche Identität eines Problems zu unterscheiden und damit die Muster der Beschreibung zu zerstören, über die das Problem aufrechterhalten wird„ (Lexikon der Psychologie, 2000:455).
Externalisieren verändert den Attributionsprozess um das Problem. Die interne Attribution („ich bin eine essgestörte Person), kann in eine externe Attribution umgewandelt werden. Die Klient_in übernimmt Verantwortung für ihr Problem, ist aber nicht mehr an ihrem Problem Schuld (vgl. Beyebach, 2008:82).
Ethische Grundhaltung als Basis für Soziale Arbeit
In der beruflichen Praxis von Sozialarbeiter_innen ist ein ethisches Bewusstsein eine grundlegende Basis. Dieses ethische Bewusstsein ergibt sich auch aus der Definition Sozialer Arbeit die von der International Federation of Social Workers wie folgt definiert und ins Deutsche übersetzt wurde:
„Soziale Arbeit ist eine praxisorientierte Profession und eine wissenschaftliche Disziplin, deren Ziel die Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts sowie die Stärkung und Befreiung der Menschen ist. Die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, die Menschenrechte, gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlagen der Sozialen Arbeit. Gestützt auf Theorien zur Sozialen Arbeit, auf Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften und indigenem Wissen, werden bei der Sozialen Arbeit Menschen und Strukturen eingebunden, um existenzielle Herausforderungen zu bewältigen und das Wohlergehen zu verbessern.
Die obige Definition kann auf nationaler und/ oder regionaler Ebene noch erweitert werden“ (DSBH, 2014:29).
Soziale Arbeit kann also als Menschenrechtsprofession verstanden werden und die genannte Definition als Basis für die Praxis.
Für Kinder und minderjährige Jugendliche ist ein eigener ethischer Zugang erforderlich. Das Kindeswohl als Gesamtheit steht gegenüber der Autonomie der Erwachsenen, weshalb das Dreiecksverhältnis Sorgerecht, Personensorgeberechtigter und Garantenpflicht eine wichtige Rolle spielt. Der Schutz des Kindes muss im Hinblick auf die UN-Kinderrechtskonvention wahrgenommen werden. Dies führt zu einem Dilemma zwischen den Freiheits- und Mitbestimmungsrechten des Kindes und der Eltern und den Kindeswohlinteressen, so dass im Gefährdungsfall von staatlicher Seite eingegriffen werden muss (vgl. ebd.:42).
Vorstellung der Einrichtung und Leitbild für dieses Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit
Die Salus Jugendhilfe GmbH wurde im Dezember 2010 von zwei Sozialarbeitern gegründet. Überwiegend bietet Salus ambulante erzieherische Hilfen nach SGB VIII § 27 ff an.
Das sind wie folgt:
- Soziale Gruppenarbeit nach §29 SGB VIII
- Erziehungsbeistandschaft nach §30 SGB VIII
- Sozialpädagogische Familienhilfe nach §31 SGB VIII
- Hilfe für junge Volljährige nach §41 SGB VIII
- Clearing im Rahmen des §31 SGB VIII, zur Abklärung des Kindes wohls (§8a SGB VIII) und des Hilfebedarfs
- Aufsuchende Familientherapie
- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
- Inklusive sozialpädagogische Begleitung im Rahmen des § 35a SGB VIII
- Inklusive sozialpädagogisches Clearing im Rahmen des § 35a SGB VIII
Das Leitbild von Salus beruht, auf den ethischen Grundsätzen der Sozialen Arbeit und sozialarbeitswissenschaftlichen Theorien. Die Arbeit mit Jugendlichen und Familien orientiert sich entsprechend, wie die folgenden Grundsätze zeigen:
- Achtung der spezifischen Lebenswelt des Jugendlichen bzw. der Familie
- Orientierung an den vorhandenen Ressourcen und Lösungsmöglichkeiten des Jugendlichen bzw. der Familie
- Ausgewogenheit zwischen Empathie und Konfrontation
- Respekt vor der jeweiligen Kultur unserer Klienten
- Berufsethische Rahmung unserer Arbeit, vor allem im Bereich der Führung professioneller Hilfebeziehungen
- Fachliche bzw. methodische Professionalität
- Wissenschaftliche Orientierung und Reflexion unserer Fallarbeit
(vgl. Homepage salus-jugendhilfe.net).
Im Folgenden wird detailliert auf die inhaltliche und rechtliche Verortung des Tätigkeitfeldes Sozialpädagogische Familienhilfe eingegangen werden.
1.SOZIALE ARBEIT MIT FAMILIEN
Dieses Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit handelt meist von sozialpädagogische Problemstellungen. Die Bearbeitung dieser erfolgt überwiegend durch Bildung, im Sinne der Aufklärung über Entwicklung und Verhalten von Kindern, der Korrespondenz von elterlichem und kindlichem Verhalten, Erweiterung der erzieherischen Kompetenzen der Eltern und Erziehungsberatung im Rahmen der Interaktion zwischen den sozialpädagogischen Fachkräften und den Mitgliedern der Familie. Ziel dieses Bereichs der Sozialen Arbeit ist, mit Hilfe von verschiedenen Methoden und Techniken, familiäre Konflikte zu lösen und soziale Probleme zu bewältigen. Alltäglichkeit wird vor dem Hintergrund der Auflösung von Routinen und Sicherheit durch die zunehmende Pluralisierung und Differenzierung der Gesellschaft immer mehr in Frage gestellt. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten und Risiken im Bereich der individuellen Lebensgestaltung und die Entstehung von neuen Ungleichheiten in der Gesellschaft. „Lebensweltorientierte Soziale Arbeit muss deshalb fragen, welche Aufgaben in einem veränderten gesellschaftlichen Raum notwendig und sinnvoll sind und welche Konsequenzen sich hieraus für die Entwicklung der Institutionen Sozialer Arbeit und hinsichtlich der professionellen Handlungskompetenzen ergeben“ (Füssenhäuser, 2006:293).
Die Struktur von Familien hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt und ihre „Funktionsweise“ differiert. Hauptaufgabe der Familie bleibt jedoch die Fürsorge und Erziehung von Kindern (vgl. Uhlendorff et al, 2013:12 - 13).
Für die Arbeit mit Familien heißt das für die Sozialarbeiter_innen und Sozialpä- dagog_innen in den Familien Bedingungen zu schaffen, die soziale Ungleichheiten jetzt und zukünftig zu mindern.
Soziale Arbeit mit Familien ist ein Balanceakt „zwischen allgemeinen gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen, den institutionellen Normalitätserwartungen, ihren eigenen Vorstellungen und den Normalitätsvorstellungen“ (ebd.:18) der betreuten Familien. Um diesen Balanceakt zu bewältigen und mit den Familien Lebensentwürfe zu entwickeln, die sozial verträglich sind, benötigen Sozial- arbeiter_innen ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit und - bereitschaft, eine Wissenschaft die Konzepte der Normen erforscht und hinterfragt (vgl. Dewe/Otto 2012 zitiert in ebd.:19) und einen Ausbildungsstandard, der die Entwicklung der reflexiven Professionalität unterstützt (vgl. Kessl, 2006 zitiert in ebd.).
1.1 PROBLEMLAGEN IN FAMILIEN
Die Problemlagen in Familien sind unterschiedlicher Natur, häufig kumulieren verschiedene Problemlagen miteinander, weshalb manchmal von „Multiproblem- lagen-Familien“ gesprochen wird. Neben persönlichen Problemen der Eltern, wie Sucht und/oder psychische Erkrankungen und auch der Kinder, wie Entwicklungsverzögerung, sind die Familien häufig mit sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut, ungünstigen Wohnbedingungen, also insgesamt prekären Lebenslagen konfrontiert. Diese Probleme werden häufig von Vernachlässigung und/oder Gewalt begleitet (vgl. Uhlendorff et al, 2013:15).
Die Familie ist überwiegend ein wichtiger Bereich für eine primäre Sozialisation, trotz der Wandlungsprozesse in den vergangenen Jahren. Ergebnisse des Nationalen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS) benannten folgende Faktoren: die Abnahme der durchschnittlichen Kinderzahl, die Zunahme nicht ehelicher Partnerschaften und Alleinerziehender (überwiegend Frauen) und hohe Scheidungsraten. Ein Rückgang der Geburtenrate wurde verzeichnet, gleichzeitig jedoch ein Anstieg von Heranwachsenden, die von Armut betroffen sind. Kinder mit Migrationshintergrund haben zusätzlich eine komplexere Lebenssituation zu bewältigen als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund (vgl. RKI, 2008:17). Armut hat häufig Nebenwirkungen, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen beeinflussen: Beeinträchtigung von kognitiver und sprachlicher Entwicklung, emotionale Instabilität, soziale Ausgrenzung, schlechtere Schulnoten und Verhaltensauffäligkeiten (vgl. ebd.). Im Vergleich mit Gleichaltrigen ist bei Kindern und Jugendlichen welche in einer Eineltern- oder Stieffamilie aufwachsen, ist das Risiko einer psychischen oder sonstigen Verhaltensauffälligkeit zwei- bis dreimal so hoch (vgl. ebd.:23).
Eine besondere Problemlage ist die Kindeswohlgefährdung in Familien. Immer wieder kamen in den vergangenen 20 Jahren durch Vernachlässigung und Misshandlung Kinder in ihren Familien oder Pflegefamilien zu Tode. Angesichts dieser Todesfälle wurde den Jugendämtern vorgeworfen Fehler bei der Beurteilung und Bearbeitung von Kindeswohlgefährdungsfällen zu machen. Entspre- chend wurden Forderungen nach mehr Kontrolle von Fachkräften und Familien und verlässlicheren Verfahren, um das Risiko zu minimieren (vgl. Biesel/Wolf, 2014:12) laut. Im Oktober 2005 trat daraufhin der „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ § 8a SGB VIII in Kraft. In dieser Verfahrensvorschrift werden zentrale fachliche Standards als Rahmen für den Umgang vermuteter oder festgestellter Kindeswohlgefährdung normiert, die Schwelle der Aufgabenwahrnehmung definiert und konkretisiert wann der Schutzauftrag aktiv wird (vgl. Münder et al 2013, S. 113).
Im Jahr 2012 war die Ursache für die Einleitung einer Hilfe zur Erziehung in 15% der Fälle Kindeswohlgefährdung (vgl. Fröhlich-Gildoff, 2014:111). Eine Auswirkung auf das Handlungsfeld der Sozialpädagogischen Familienhilfe ist, dass es seit 2005 mehr Hilfen nach § 31 SGB VIII im Rahmen eines Zwangskontextes beziehungsweise einer Kindeswohlgefährdung gibt. Der organisatorischen Ablauf gestaltet sich wie folgt: Das Jugendamt erhält eine Kindeswohlgefährdungsmeldung nach § 8a SGB VIII und hält nach Einschätzung der Lage eine Gewährung von Hilfe zur Abwendung der Gefährdung für notwendig.
Soziale Arbeit bewegt sich folglich in der Praxis in einem Spannungsverhältnis zwischen „Hilfe und Kontrolle“. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich in den rechtlichen Grundlagen, gemäß denen Staat einerseits die Familie schützt und unterstützt und andererseits darüber wacht, dass die Eltern ihren Rechten und ihren Pflichten nachzukommen haben.
1.2 RECHTLICHE GRUNDLAGEN
In Deutschland sind der Schutz der Familie und die elterlichen Rechte im Grundgesetz verankert. Dort heißt es in Art. 6, Abs. 2, Satz 1, dass die Eltern das natürliche Recht und die obliegende Pflicht haben, ihre Kinder zu pflegen und zu erziehen. Um sicherzustellen, dass dies gelingt wacht die staatliche Gemeinschaft über diese Rechte und Pflichten (vgl. Art. 6, Abs. 2, Satz 1) und bietet Hilfe in Notlagen an. Im Sozialgesetzbuch VIII - Kinder und Jugendhilfe - wird in § 1 das Recht auf Erziehung, die Elternverantwortung und die Jugendhilfe benannt. In Abschnitt 3 Punkt 4 heißt es „[Die Jugendhilfe soll] dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine Kinder - und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“ (§ 1 SGB VIII, 2012:1809). Darin wird der Auftrag der Jugendhilfe, gute Lebensbedingungen für Familien zu schaffen, verdeutlicht. Es finden sich familienunterstützende Angebote und Maßnahmen in unterschiedlichen Formen für verschiedene Zielgruppen im Bereich der §§ 16 - 21 SGB VIII. Allen Paragraphen gemein ist der Preventions- und Hilfegedanke. In den Hilfen zur Erziehung (§ 27 - 35 SGB VIII) sind ambulante Maßnahmen gelistet, die - trotz drohender Kindeswohlgefährdung - einen Verbleib in der Familie unterstützen sollen (vgl. Uhlendorff et al, 2013:107 - 109).
In § 31 SGB VIII wird die Hilfe für Familien konkret mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH):
„Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen, sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie“ (SGB VIII:2012:1819).
Hilfen zur Erziehung werden von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe im Auftrag des Jugendamtes durchgeführt, die Träger sind dazu angehalten Fachkräfte einzustellen und je nach Aufgabe Fachkräfte mit Zusatzausbildung einzusetzen (vgl. § 72, SGB VIII).
1.3 SOZIALPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE
Gemäß § 31 SGB VIII soll, dass „Hilfe zur Selbsthilfe“ geleistet werden soll. Sozialpädagogische Familienhilfe setzt also „an der Lebenswelt der Adressaten an und versucht, von dort aus den Menschen bei der Bewältigung ihrer Lebensverhältnisse zu helfen“ (Gut, 2014:71).
Eine Million junge Menschen wurden im Jahr 2010 durch eine Hilfe zur Erziehung unterstützt. Jede zweite Hilfe, die im Jahr 2010 begonnen wurde war für Alleinerziehende gewährt worden. Familien mit einer in 2010 begonnenen Hilfe waren zu 61% vollständige oder teilweise Bezieher von sozialen Transferleistungen. Der Anteil der sozialpädagogischen Familienhilfe hat sich innerhalb von fünfzehn Jahren bis 2010 verfünffacht und ist damit von 18.000 auf über 100.000 angestiegen (vgl. Wabnitz, 2014:39 - 41). Diese Zahlen bestätigen die Ergebnisse des KIGGS, wonach Armut und Familienkonstellation sich auf Gesundheit und Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen auswirken.
Einer der Wirkfaktoren für ein Gelingen der Hilfe ist die Passung und Beziehung zwischen Familienhelfer_in und der Familie. Sie stellt die Grundlage für alle Interventionen und Impulse dar. Zeit in Form von Fachleistungsstunden ist ein wichtiger Faktor um einer flexiblen Erziehungshilfe wie der sozialpädagogischen Familienhilfe, die Rahmenbedingungen zu bieten, um diese Basis aufzubauen und das Potential der Hilfe zu entfalten (vgl. ebd.:42). Denn um einen dialogisch reflexiven Verständigungsprozess in Gang zu setzen, benötigt man einen sicheren und ausreichend großen zeitlichen Rahmen (vgl. Lenz, 2002:21). Nur so kann es den Familienhelfer_innen gelingen, die Bedingungen für einen Entwicklungsprozess zu schaffen, welcher ein Selbstgestalten ihres Lebens für die Menschen ermöglicht (vgl. ebd.:16). Des Weiteren muss jedoch deutlich gemacht werden, dass sozialpädagogische Familienhilfe einen pädagogischen Auftrag wahrnimmt der zeitlich begrenzt ist. Meist enden die sozialpädagogischen Familienhilfen nach längstens 18 Monaten, obwohl es keine rechtliche Grundlage für eine zeitliche Begrenzung gibt, die Gründe für die zeitliche Begrenzung sind ökonomischer Natur. Danach gibt es in der Regel keine weiterführenden Angebote für die betroffenen Familien. Eine hieraus resultierende Folge ist, dass die Familien sich wiederholt an das Jugendamt wenden um erneute Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn die nächste Krise oder ein neuer Konflikt bewältigt werden muss (vgl. Frindt, 2010:37). Hinzukommt eine allgemeine Reduzierung der Fachleistungsstunden, welche den verschärften Problemlagen und Lebensbedingungen der Familien diametral gegenüberstehen.
Zunächst soll hier kurz erörtert werden, unter welchen Voraussetzungen eine Kinder- und Jugendhilfemaßnahme eingerichtet werden kann. Sowohl Eltern, Kinder, Jugendliche, Kindergärten, soziales Umfeld der Familie, Freunde, Nachbarn, etc. haben die Möglichkeit, das Jugendamt anzurufen, um auf eine kindeswohlgefährdende Situation aufmerksam zu machen oder um Hilfe zu bitten. Die Gesellschaft gibt also eine Normalitätsdefinition vor, welche Probleme veränderungsbedürftig sind. Soziale Probleme von einzelnen wirken sich in Familien automatisch und oft tiefgreifend auf alle Mitglieder der Familie aus (vgl. Uhlendorf, 2013:71).
1.3.1 MELDUNG DURCH DRITTE
Wird eine Kindeswohlgefährdung durch Dritte gemeldet, unterschreiben die Familien den Antrag auf Hilfe zur Erziehung notgedrungen, weil das Jugendamt möglicherweise als Alternative eine Inobhutnahme angedroht hat. Dieser Zwangskontext führt häufig dazu, dass die Familien nur vordergründig oder gar nicht mitarbeiten. Doch dies ist für eine sozialpädagogische Familienhilfe essentiell (vgl. § 31 SGB VIII) um die Gefährdungslage abzuwenden. In diesen Familien ist ein erhöhter Zeitaufwand für die Beziehungs- und Vertrauensarbeit nötig. Deshalb ist im Falle einer Nicht-Abwendbarkeit der Gefährdungslage eine Fachberatung notwendig von der die Familienhelfer_in Unterstützung erfährt und die ihr hilft Möglichkeiten zu finden, den Kinderschutz zu gewährleisten und gleichzeitig die Vertrauensbasis nicht zu stören. Gelingt der Aufbau einer kooperativen Zusammenarbeit mit den Eltern und ihren Kindern, können mit der Familie durch die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen, förderliche Entwicklungsbedingungen für die Kinder in der Familie geschaffen werden.
1.3.2 MELDUNG DURCH DIE FAMILIE SELBST
Im Rahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe, sollen Methoden, Verfahren und Techniken angewendet werden, welche die Selbsthilfekräfte aktivieren, Unterstützung aus dem Sozialraum einfordern und die für ein Selbstbewusstsein über die eigenen Ressourcen der einzelnen Familienmitglieder fördern. Die (Arbeits-) Bedingungen für den Aufbau der (Arbeits-) Beziehung der sozialpädagogische Familienhilfe sind häufig spürbar leichter, wenn die Familie sich selbst an das Jugendamt wendet.
2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN FÜR DIE SOZIALPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE
In einer Studie von 2006 (Fröhlich-Gildoff) wurde festgestellt, dass die Problemlagen in den zu betreuenden Familien seit 1996 zugenommen haben (vgl. Frindt, 2010:16). Dies erfordert ein hohes Maß an Professionalisierung und Qualifizierung in der sozialpädagogischen Familienhilfe (vgl. ebd.:38).
Welche Fähigkeiten eine Familienhelfer_in im Kontext der sozialpädagogischen Familienhilfe mitbringen soll, zeigt dieses Zitat von Anja Frindt:
„Die MitarbeiterInnen sollen Fälle adäquat verstehen, Respekt vor den Bewältigungsversuchen der KlientInnen haben, schwierige Situationen aushalten, Methoden fall- und situationsbezogen auswählen, Parteilichkeit und institutionelle Aufträge in Einklang bringen, mit anderen beteiligten Akteuren kooperieren und vieles mehr“ (Frindt, 2010:39).
Diese Auflistung veranschaulicht welches Ausmaß an Flexibilität und wie viel Fachwissen von den Familienhelfer_innen gefordert wird. Die Metapher des „Werkzeugkoffers“ wurde schon häufiger im Bezug auf die Soziale Arbeit verwendet. Der Werkzeugkoffer einer sozialpädagogischen Familienhelfer_in muss mit einem weiten Methoden- und Interventionsspektrum gefüllt sein und der Familienhelfer_in einen schnellen Zugriff auf den Inhalt gewährleisten. Im Kontext der sozialpädagogischen Familienhilfe ist die Mobilität des Werkzeugkoffers ein wichtiger Faktor. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Inhalt des Werkzeugkoffers mobil sein und mit wenigen Hilfsmitteln auskommen muss. Weiterhin auf geringer räumlicher Fläche und/oder in ungewöhnlichen Umgebungen durchführbar sein sollte.
Die Grundlagen für den Inhalt des Werkzeugkoffers finden sich laut zwei Studien in „den Prinzipien der lebensweltorientierten sozialen Arbeit nach Thiersch“ (Petko 2004) und im systemischen Ansatz, der im Kontext der sozialpädagogischen Familienhilfe populär ist (Fröhlich-Gildoff 2006) (vgl. Frindt, 2010:38). Diese Grundlagen treffen auch auf die Arbeit in erzieherischen Hilfen der Salus Jugendhilfe GmbH zu.
Im Fokus steht auch der ethnographische Blickwinkel, der die Kultur der Menschen wahrnimmt und die Aufmerksamkeit auf die der Familie eigene Kultur richtet, ohne eigene Normalitätsvorstellungen anzulegen (vgl. Frindt/Wolf, 2009:8).
2.1 LEBENSWELTTHEORIE
Hans Thiersch hat das Konzept der Lebensweltorientierung formuliert, dass die Soziale Arbeit in Deutschland seit den siebziger Jahren, stark beeinflusst. Nach diesem Konzept muss Soziale Arbeit bei der Lebenswelt der Adressaten ansetzen. Neben den tatsächlichen Lebensverhältnissen und den Erfahrungen der Betroffenen in dieser Lebenswelt, gehören auch deren Selbstdeutungen, Weltsicht und Bewältigungskompetenzen dazu. Lebensweltorientierung als sozialpädagogische Handlungsorientierung ist in den rechtlichen Rahmenbedingungen des SGB VIII verortet (vgl. Gut, 2014:69). Sozialpädagogische Programme treten in den Hintergrund, der Mensch in seiner Lebenswelt steht im Vordergrund. Habermas unterschied Lebenswelt in drei strukturelle Komponenten:
1. Lebenswelt enthält die kulturellen Wert- und Deutungsmuster zur Alltagsbewältigung
2. Lebenswelt stiftet und regelt Normen sozialer Ordnung und Beziehungen
3. Lebenswelt bildet die Basis für Prozesse der Sozialisation und stiftet somit Identität
(zitiert in Frank, 1997:610).
Diese strukturellen Komponenten können als zu beachtende Rahmenbedingungen in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit benannt werden. Dazu gibt es fünf Handlungsleitlinien: Prävention, Alltagsnähe, Regionalisierung, Integration und Partizipation. Diese werden als gemeinsame Zielperspektive gesehen, welche in unterschiedlicher Ausprägung die einzelnen Angebote beeinflussen (vgl. ebd:74 - 76). Als Familienhelfer_in muss man also erst herausfinden, welcher Art die drei strukturellen Komponenten sind, um passende Angebote zur Erreichung der Zielperspektive anzubieten.
Sozialpädagogischen Familienhilfe ist eine Hilfe deren Alltagsnähe besonders hervorzuheben ist. Das niederschwellige aufsuchende Angebot der sozialpäda- gogischen Familienhilfe findet in dem Lebensraum der Familien statt. Dort kann man die Realität der drei Strukturkomponenten beobachten und erleben. Dieses „Einlassen“ der Familienhelfer_in in die Wohnung und auf die Person die da kommt und regelmäßig kommen wird, kann als Beziehungsangebot der Familie gewertet werden. Nicht alle Familien lassen sich schnell auf die Hilfe ein, oft steht man vor verschlossener Tür. In beiden Fällen ist Verbindlichkeit der Familienhel- fer_in wichtig. Verbindlichkeit ermöglicht die Kooperation von den Familien, die es bedarf um alltagsorientiert, transparent und offen an den - oft vom Jugendamt vorgegebenen - Zielen der Familie zu arbeiten. Ressourcenorientierung ist ein weiterer Aspekt, der ganz im Sinne des Selbsthilfe-Prinzips aus § 31 die Selbsthilfekräfte wecken soll um mit den Problemlagen anders umzugehen. Ganz im Sinne von Virginia Satir „Das Problem ist niemals das Problem. Die Art und Weise, wie wir mit dem Problem umgehen, bereitet uns Probleme“ (zitiert in Löschen/Strehl, 2008:50). Womit wir beim systemischen Ansatz als theoretische Grundlage für die sozialpädagogische Familienhilfe wären. Denn der Umgang mit dem Problem ist von Familienmitglied zu Familienmitglied unterschiedlich und kann - vielleicht gerade deswegen - zu weiteren Problemen führen.
2.2 SYSTEMISCHER ANSATZ
Beim systemischen Ansatz wird das Individuum untrennbar von seinem Kontext (Lebenswelt) betrachtet. Das Verhalten des Individuums kann nur im Zusammenspiel mit wichtigen Beziehungen verstanden werden. Es gibt keinen linearen Ursache-Wirkungsgedanke mehr, sondern ein zirkuläres Systemmodell. Teil dieses Systemmodells wird auch die Sozialarbeiter_in, denn diese betrachtet das System der Familie von ihrer eigenen subjektiven Struktur. Maturanas Beobachtertheorie wies darauf hin, dass jede Form der Erkenntnis durch die Struktur des Beobachters bestimmt wird. Ein weiterer Beobachter erkennt andere Dinge. Weitere theoretische Grundlagen des systemischen Ansatzes sind die Kybernetik, die Systemtheorie, die Kommunikationstheorie und der Konstruktivismus. Ziel der Zusammenarbeit mit Klienten innerhalb des systemischen Ansatzes ist, die vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen innerhalb ihrer Lebenswelt zu aktivieren und diesen Entwicklungschancen zu geben, um die Problemlage zu bewältigen. Gemeinsame Lösungsstrategien werden in einem kommunikativen Prozess entwickelt. Die Sozialarbeiter_in ist mit ihrem Handeln, sowie der Kontext in dem sie arbeitet, beispielsweise einem Kinderschutzauftrag, Teil des zirkulären Prozesses (vgl. Enders, 1997:941).
Schweitzer und Von Schlippe haben die unterschiedlichen Modelle der Systemtherapie klassifiziert. 1977 finden sich drei verschiedene Ausrichtungen, die strukturelle Familientherapie (z. B. Minuchin), strategische Familientherapie (z. B. Haley) und die systemisch-kybernetische Familientherapie (Selvini Palazzoli). Daneben werden die erlebnisorientierte Familientherapie (z. B. Satir 1990, Whitaker 1991) und das Mehrgenerationen-Modell (Boszormenyi-Nagy & Spark, 1981, Stierlin 1978) den klassischen Modellen zugeordnet. Methoden aus diesen Modellen, wie zum Beispiel Reframing, Zirkularität, Paradoxie, u. v. m. werden auch in der sozialpädagogischen Familienhilfe angewendet. Unter dem Modell „Kybernetik 2. Ordnung“ finden sich die systemisch-konstruktivistische Therapie (z. B. Boscolo et al. 1988, Stierlin 1988) und das Reflecting Team von Andersen (1990). Auch hier haben sich einige Methoden für die sozialpädagogische Familienhilfe bewährt (Reflecting Team, Zirkuläre und hypothetische Fragen). Narrative Ansätze werden als dritte Modelkategorie benannt, darunter finden sich die konstruktiven und hilfreichen Dialoge nach Anderson und Goolishian (1990, 1992), Therapie als Dekonstruktion (z. B. White, 1992) und die lösungsorientierte Kurz-Therapie (z. B. de Shazer, 1989). Die Wunderfrage, die Suche nach Ausnahmen u. a. sind Methoden aus dieser Modellkategorie, die auch in der sozialpädagogischen Familienhilfe zu finden sind (vgl. Von Schlippe/Schweitzer, 2007:24).
In der Systemischen Therapie ist es vorrangiges Ziel eine Veränderung von Interaktions- und Verhaltensmustern anzuregen. Dies geschieht durch die Eröffnung von neuen Perspektiven, Prozessen und Wahrnehmungsmustern (vgl. Ratzke, 2003, 61). Dieser Öffnung dient ein sprachlich sensibler Umgang, der in vielen Techniken umgesetzt wird, auch um eine Distanzierung vom Problem zu erreichen, wie zum Beispiel „Refraiming“. Dort wird mit einer sprachlichen Umdeutung versucht eine andere Sinnhaftigkeit zu erzeugen. Externalisieren wird in vielen Varianten auf direkte oder indirekte Weise verwendet, beispielsweise in Form von Familienskulpturen, wo bestimmte Probleme „eingefroren“ werden (vgl. Asen/Scholz, 2012:46). Die Nutzung der sprachlichen Distanzierung vom Problem wird im systemischen Ansatz auf vielfältige Weise angewendet.
Für die Sozialpädagogische Familienhilfe ist der systemische Ansatz eine gute Grundlage, da er nicht nur die Familien als System betrachtet, sondern die Familienhelfer_in mit in das System einbezieht. Sie allein ist durch ihre Anwesenheit Teil des Systems und muss Beziehungen zu allen Familienmitgliedern aufbauen. Sie kann gar nicht „nicht Teil“ des Systems sein. Dies geschieht im Rahmen des professionellen Dilemma „Nähe - Distanz“. In diesem Dilemma verbirgt sich die Gefahr zu sehr „Teil des Systems“ zu sein und bedarf regelmäßiger Supervision und kollegialer Beratung.
2.3 WIRKSAMKEITSFAKTOREN FÜR ERZIEHERISCHE HILFEN
Die Wirksamkeit von erzieherischen Hilfen wird seit dem Jahr 2000 immer wieder diskutiert. Trotz des Anstiegs von erzieherischen Hilfen, insbesondere der sozialpädagogischen Familienhilfe und obwohl im Laufe der letzten Jahre die Anzahl der Fachleistungsstunden abgenommen und die Problemlagen in Familien zugenommen haben, wird die Wirksamkeit von erzieherischen Hilfen in Frage gestellt (vgl. Frind, 2010:42). Das hat zum einen ökonomische Gründe, jedoch spielen auch fachliche Fragen bezüglich der Wirksamkeit eine Rolle (vgl. Moch, 2011:628). Mehrere empirische Studien haben es sich zur Aufgabe gemacht, Wirkfaktoren für die Hilfeprozess zu entdecken (vgl. Fröhlich-Gildoff et al., 2006; Wolf, 2006; Frindt, 2006; Hofer & Lienhart, 2008; zusammenfassend Frindt, 2010, Albus et al., 2009).
Folgende Faktoren konnten als wirksam auf den Hilfeprozess herausgefiltert werden:
- Passung
- Beziehung
- Partizipation
- Ressourcenorientierung
- Kooperation (vgl. Fröhlich-Gildoff, 2014:112 - 113)
Kontrolle - ein Faktor der auch verstärkt in Bezug auf § 8a SGB VIII auftritt, konnte nur unter bestimmten Bedingungen (u. a. vertrauensvolle Beziehung, Kontrolle erfolgt durch einen akzeptierten Menschen) als konstruktiv von Wolf et al. nachgewiesen werden.
3. DIE HEIMAT DES EXTERNALISIERENS: NARRATIVE THERAPIE NACH MICHAEL WHITE
Was bedeutet das Wort “Narrativ”? Das Wort Narrativ kommt von narrare (lat.) und heißt "erzählend" - "in erzählender Form darstellend" (Duden.de, 2015).
Erzählen ist Bestandteil unseres Alltags, wir erzählen einander davon, was am Tag passiert ist, wir sehen uns Filme an und lesen Bücher, die uns von Erfahrungen anderer erzählen. In der Beratung gehört das Erzählen, insbesondere über das Problem, zur Basistechnik. Kein Berater jedweder Richtung kann seine Profession ausfüllen, wenn ihm nicht vom Problem erzählt wird.
In der Ausbildung von Berater_ innen spielten die Kommunikationsregeln nach Watzlawik und auch die verschiedenen Seiten von Nachrichten nach Schulz von Thun eine tragende Rolle. Doch erst in den 1990 er Jahren rückten die Sprache und das Erzählen für sich genommen mehr in das Blickfeld. Dabei fand die Erzählung und individuelle Sprache der Klient_innen als Ausdruck ihrer individuellen Sichtweise, sowie ihr kultureller Ausdruck mehr Beachtung. In der Art und Weise wie_und was erzählt wurde konnte die Konstruktion von Wirklichkeit erfahren werden (vgl. Nestmann, 2004, S.749).
Bei der narrativen Therapie und Beratung geht es nicht um eine neue Art von Beratung sondern in besonderer Weise um eine neue Sicht auf Therapie und Beratung, die Beratungshaltung ist im Fokus und in besonderer Weise spielen sprachliche und erzählerische Aspekte eine besondere Rolle.
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- Sandra Noé (Author), 2016, Externalisieren als Technik in der sozialpädagogischen Familienhilfe. Hintergründe, Chancen und Grenzen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1148352
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