In meiner Arbeit möchte ich die vorherrschende diskursive Dichotomisierung der IS Frauen, die entweder als Opfer oder als Täterinnen vor allem in Bezug zur gegenwärtigen Staatsbürgerschaftsdebatte dargestellt werden, aufbrechen. Dabei möchte ich vorrangig dem Spannungsverhältnis der globalen Schwesternschaft-Debatte zwischen dem liberalen und dem postkolonialen Feminismus im Kontext der globalen Rekrutierung von Frauen zum Islamischen Staat nachgehen. Meine Forschungsfrage formuliere ich daher, wie folgt: Kann das Konzept von Schwesternschaft der Terrorgruppe des Islamischen Staates im Sinne von Mohanty‘s postkolonial-feministischem Vorschlag einer antikapitalistischen "noncolonizing feminist solidarity across borders" in Abgrenzung zum liberal feministischen Konzept einer globalen Schwesternschaft verstanden werden?
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
1.1 Motivation und Forschungsfrage
1.2 Methodologi
1.3 Stand der Forschung
2. Imperialismu
2.1 Westlicher Femonationalismu
2.2 IS Genderapparth
3. Diskursive Kolonisieru
3.1 Konstruktion von Differenze
3.2 IS Genderpropaga
4. Essentialismus
4.1 Schwesternschaft
4.2 Hierarchisierung von Identitäte
5. Repräsentation und Subalternit
5.1 Repräsentation der IS Subalter
6. Konklusi
7. Literaturverzeich
1. Einleitung
Frauen, die sich terroristischen Gruppen anschließen und ihnen dienen, sind kein neues Phänomen. Was dies in Bezug zum Islamischen Staat (IS) allerdings einzigartig macht, ist die große Zahl von Rekrut_innen auch aus westlichen Teilen der Welt - ihr Anteil wird auf 18% von den insgesamt 3.000 Rekrut_innen aus westlichen Ländern geschätzt (Pooley, 2015, S.18) –, die sich dem IS an-geschlossen haben, um ihm bei der Errichtung eines globalen Kalifats zu unterstützen. Dazu kom-mt die geschlechtergerechte Propagandastrategie des IS, seine spezifische Frauenpolitik und sein strikter Genderapparat, die den IS von anderen terroristischen Gruppierungen abheben.
Aktuell werden Debatten über die nationale Sicherheit im Hinblick auf die Rückkehr der IS Frauen geführt. Von Großbritannien und den USA kommt der Vorschlag, sie in ihr Herkunftsland zurück-zuschicken, womit das Land gemeint ist, aus dem ihre Eltern ausgewandert sind. Dies ist allerdings nur möglich, wenn diese Frauen eine doppelte Staatsbürgerschaft besäßen oder es eine Rechts-grundlage gäbe, um ihnen ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen. Damit laufen sie nun Gefahr völ-kerrechtswidrig staatenlos gemacht zu werden. (cyrachoudhury, 2019)
1.1 Motivation und Forschungsfrage
Meine Motivation zu den Frauen im Islamischen Staat zu arbeiten hängt von meinen persönlichen Studieninteressen ab. Ich habe bereits einen BA in Politikwissenschaft gemacht und einen MA in Menschenrechte, in denen ich mich vor allem mit inter- und intranationalen Konflikten beschäftigt habe, genauso wie damit verbunden mit dem Schutz der Zivilbevölkerung und der Women, Peace and Security Thematik. Mein Interesse ist allerdings nicht nur politischer Natur, sondern ich möchte es auch mit meiner Leidenschaft für die Gender Studies verbinden. Ich belege an der Interna-tionalen Entwicklung auch das Gender Spezialisierungsmodul (VM7) und habe einige genderspe-zifische Praktika, wie z.B. in der Office for Gender Equality bei UNIDO oder bei der Interventions-stelle für Betroffene des Frauenhandels (LEFÖ/IBF) absolviert.
In den geisteswissenschaftlichen Arbeiten spielt die eigene Positionierung und die damit einherg-ehende Notwendigkeit zur Selbstreflexion eine große Rolle. Ich bin mir darüber im klaren, dass ich mich selbst eher im liberalen Feminismus verorte und möchte mich daher in dieser Arbeit einmal mit dem postkolonialem Feminismus eingehender beschäftigen, zumal das Seminar auch den Fo-kus auf die materialistische Perspektive des Intersektionalismus gelegt hat. Die intersektionale Perspektive soll in diese Arbeit vor allem in Bezug zu den Kategorien Gender, Religion und Her-kunft einfließen, um die Verwobenheit von Einschluss und Ausschlusserfahrungen der IS Frauen si-chtbar zu machen und eine herrschaftskritische Perspektive einzunehmen.
In meiner Arbeit möchte ich die vorherrschende diskursive Dichotomisierung der IS Frauen, die en-tweder als Opfer oder als Täterinnen vor allem in Bezug zur gegenwärtigen Staatsbürgerschafts-debatte dargestellt werden, aufbrechen. Dabei möchte ich vorrangig dem Spannungsverhältnis der globalen Schwesternschaft Debatte zwischen dem liberalen und dem postkolonialen Feminismus im Kontext der globalen Rekrutierung von Frauen zum Islamischen Staat nachgehen. Meine Forsch-ungsfrage formuliere ich daher, wie folgt: Kann das Konzept von Schwesternschaft der Terror-gruppe des Islamischen Staates im Sinne von Mohanty‘s postkolonial-feministischem Vorschlag ei-ner antikapitalistischen „noncolonizing feminist solidarity across borders“ (2003, S. 503) in Abgren-zung zum liberal feministischen Konzept einer globalen Schwesternschaft verstanden werden?
Meine beiden Hypothesen dazu möchte ich auf negative Weise formulieren:
- Hypothese 1: Nein, da aus postkolonial-feministischer Sicht die Handlungen der IS Frauen weder non-colonizing, noch solidarisch waren.
- Hypothese 2: Nein, da aus kritischer Perspektive auf die postkolonial-feministische Sicht die Handlungen der IS Frauen vor allem nicht feministisch waren.
1.2. Methodologie
Zur Beantwortung meiner Forschungsfrage möchte ich mit der Theorie des postkolonialen Feminis-mus aus kritischer Perspektive arbeiten. Dafür ziehe ich Literatur von postkolonal-feministischen Theoretiker_innen, wie Mohanty, Spivak, Castro Varela und Dhawan heran. Die Kernthematiken des postkolonialen Feminismus sollen dabei als Analyseeinheiten fungieren anhand derer ich meine Kapitel dieser Arbeit ausrichte: Imperialismus, Diskursive Kolonisierung, Essentialismus, Repräsen-tation und Subalternität. Dabei möchte ich, wie bereits oben erwähnt, Augenmerk innerhalb der einzelnen Kapitel auf die Intersektionalitätskategorien Gender, Religion und Herkunft legen, um die Verwobenheit von Erfahrungen der IS Frauen aus macht- und herrschaftskritischer Perspektive auf-zeigen zu können.
Zudem werde ich abgesehen von Sekundärliteratur über den Islamischen Staat und der IS Frauen das „Manifesto for Women in the Islamic State“ (ab hier kurz „Manifesto“), welches von der Al-Khanssaa-Brigade, der rein weiblichen Polizei- und Medienabteilung des IS, herausgegeben wurde, sowie die IS Online-Magazine Rumiyah und Dabiq als primäre Quellen heranziehen. Letztere be-schränken sich auf jene, die auf Englisch verfasst wurden, da ich keine Arabischkenntnisse besitze.
Bezüglich der Konzeptualisierung von Terminologien, möchte ich anmerken, dass ich einerseits mit
Von Knops geschlechtsspezifischer Interpretation des „female jihad“ arbeiten werde, da diese Kon-zeptualisierung auf der Idee aufbaut, dass Frauen Emanzipation nicht notwendigerweise nur im Kampf erfahren, sondern indem sie terroristische Operationen im Hintergrund unterstützen und er-möglichen, wodurch sie starken Einfluss auf die aktuelle und nächste Generation von Dschiha-disten nehmen (2007). Diese differenziertere Perspektive finde ich passender für meine Analyse, als jene Interpretation des Dschihads, die sich ausschließlich auf den körperlichen Kampf bezieht und hauptsächlich Männern vorbehalten ist.
Andererseits werde ich mit Cheslers Konzept der „gender appartheid“ arbeiten, das sich auf eine asymmetrische Form der Geschlechtertrennung bezieht, einschließlich Praktiken, die Mädchen und Frauen zu einer untergeordneten Existenz verurteilen. Diese Konzeption finde ich im IS Kontext an-gebracht, da sie über die reine Geschlechtertrennung hinaus geht, indem sie die soziale und wirt-schaftliche Entmachtung von Frauen miteinschließt und die Gefahr von Einbußen der körperlichen Integrität mit anerkennt. (2011)
1.3. Forschungsstand
Sofern ich der Literatur entnehme, beschäftigt sich die Forschung über die IS Frauen vor allem mit den geschlechtsspezifischen Rekrutierungspraktiken des IS, den Beweggründen von Frauen dem IS beizutreten, sowie mit den spezifischen Funktionen von IS Frauen im Islamischen Staat und den Bedingungen denen sie ausgesetzt waren. Diese Thematiken werden hauptsächlich aus einer Women, Peace and Security Perspektive heraus bearbeitet, wobei ihr zugrundeliegende Motivation vor allem die Terrorismusbekämpfung zu sein scheint. Auch lassen sich Einträge finden, die sich aus einer Perspektive der Frauenrechte mit den IS Frauen befassen und dabei vor allem sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (SGBV) im Islamischen Staat thematisieren. IS Frauen werden daher meist entweder als engagierte Dschihadistinnen oder als Opfer eines brutalen Regimes dar-gestellt.
Mit dem Konzept der Schwesternschaft im Islamischen Staat beschäftigt sich die Forschung nur marginal und es sind nur vereinzelt online Beiträge zu finden. Auch zur postkolonial-feministischen Perspektive über die IS Frauen lässt sich so gut, wie nichts finden, geschweige denn zum Intersek-tionalismus, der hauptsächlich indirekt in die Arbeiten mit einfliesst, aber selten bewusst thema-tisiert wird. Ich denke daher, dass diese Arbeit nicht nur eine Lücke in der gegenwärtigen For-schung zu den IS Frauen schließt, sondern auch und einen wichtigen Beitrag zur globalen Schwes-ternschaft Debatte zwischen dem liberalen und postkolonialen Feminismus leistet.
2. Imperialismus
Der postkoloniale Feminismus oder auch „Dritter-Welt-Feminismus“ genannt, entstand als Reaktion auf den westlichen Mainstream-Feminismus, dem ein gewisser Eurozentrismus, sowie die Tendenz zur Homogenisierung und Universalisierung von Frauen und ihren Erfahrungen vorgeworfen wird. Denn er gehe nicht auf die Unterschiede in Bezug auf Klasse, Rasse, Gefühle und Einstellungen von Frauen aus einst kolonialisierten Territorien ein. (Kumar Mishra, 2013) Damit kritisiert der post-koloniale Feminismus die Vorstellung eines globalen Patriarchats und der Schwesternschaft aller Frauen, welche eng mit dem globalen liberalen Feminismus, sowie mit der Aktivistin Robin Morgan und ihrem Buch „Sisterhood is global“ (1984) in Verbindung gebracht wird; denn diese würde sich oft in Form von Imperialismus äußern. (Kerner, 2020, S. 76-81)
Speziell Mohanty weist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr der Verschmelzung von hege-monial-feministischen Konzepten mit dem westlichen (Neo-) Imperialismus hin. Diese Vorstellung drückt sich auch speziell im postkolonial-feministischem Konzept der „doppelten Kolonisierung“ aus, welches darauf schließt, dass Frauen nicht nur in den ehemaligen Kolonien von lokalen pa-triarchalen Ideologien, sondern auch von imperialistischen kolonisiert waren. Der postkoloniale Feminismus macht sich daher insbesondere zur Aufgabe die Verwobenheit von patriarchalen und kolonialen Herrschaftsstrukturen zu beleuchten. Dabei hinterfragt er nicht nur kritisch die Prämis-sen feministischer Theorie, sondern zeichnet sich auch durch einen hohen Grad an Selbstre-flektivität aus. (Edthofer, 2011, S. 60-65)
Ina Kerner bringt an dieser Stelle hingegen ein wichtiges Argument ein: Kritische Feministinnen im Westen hätten diesen Vorwurf ernst genommen und sich von der Realisierung einer globalen Schwesternschaft – aber damit auch von der Nord-Süd Solidarität und von der Bestrebung um globale Gerechtigkeit insgesamt – verabschiedet. Kerner bezeichnet diese Position als „feminis-tischen Provinzialismus“, den es ihrer Meinung nach zu problematisieren gilt. (Kerner, 2020, S. 81) Mohanty berichtigt sich allerdings in ihrer postkolonialen Selbstkritik und betont wie wichtig stra-tegische Allianzen zur Durchbringung politischer Forderungen seien. Alternativ zur globalen Schwe-sternschaft schlägt sie daher eine „feminist solidarity accross borders“ vor, die notwendigerweise antikapitalistisch sein müsste; denn in der kapitalistischen Globalisierung lägen imperialistische Tendenzen, die es abzulehnen gilt. (Mohanty, 2003, 503-509)
Wie kann nun der Vorwurf des Imperialismus in der globalen Schwesternschaftdebatte, der aus postkolonial-feministischer Perspektive eingebracht wird, im Kontext der Genderdebatte über die Terrorgruppe Islamischer Staat verstanden werden?
2.1. Westlicher Femonationalismus
Ein zentraler Aspekt, den es hier zu beleuchten gilt, ist der westliche Femonationalismus, mit dem speziell der Islamismus in einem reaktionärem Spannungsverhältnis steht. Der Begriff Femonati-onalismus bezeichnet die „contemporary mobilization of feminist ideas by nationalist parties and neoliberal governments under the banner of the war against the perceived patriarchy of Islam in particular, and of migrants from the Global South in general.“ (Farris, 2012, S. 185) Er spiegelt die Instrumentalisierung von Frauengleichstellung zu politischen Zwecken rechter europäischer Partei-en wider in enger Verbindung mit der Integration und Entschleierung muslimischer Frauen. Um es mit Spivak auszudrücken, fällt dieses Vorgehen in die Kategorie “white men [claiming to be] saving brown women from brown men” (Farris, 2012, S. 186) und erinnert an missionierendes Vorgehen. Dabei wird der Islam, als Religion, angegriffen und militärische Interventionen, wie zB die US-Intervention in Afghanistan, werden im Namen der Frauenbefreiung legitimiert. (Farris, 2017)
In Reaktion auf den globalen Krieg gegen den Terror, sowie auf femonationlistische Maßnahmen in Europa (zB Burkabann in Frankreich) nimmt der IS den ideologischen Kampf nicht nur mit dem Westen, sondern auch dem Pan-Arabismus auf, der von nationalistischen und säkularen Ideen ei-ner vereinten arabischen Welt geprägt ist. (Trimmel, 2019) In Abgrenzung dazu folgt der IS klaren pan-islamistischen Überzeugungen, die darauf abzielen, ein globales Kalifat zu errichten, um alle Muslime unter einem islamischen Staat zu vereinen. Mit seiner social media Propaganda und sei-nem „Manifesto“ versuchte er Frauen aus dem globalen Norden und auf der Arabischen Halbinsel, denen eine Hinwendung zum westlichen Nationalismus und der Moderne vorgeworfen wird, zu überzeugen, in IS Gebiete zu ziehen, wo die Scharia gilt, der Säkularismus verurteilt und ein islam-istisches Frauenbild jenseits von Geschlechtergleichheit gelebt wird. (2015, S. 12-40)
Den Frauen wurde dabei eine sehr romantisierte Vorstellung vom traditionellen Leben im Islami-schen Staat vermittelt. Ins Zentrum wurde dabei ihre Rolle als Frau eines heroisierten Dschihadis-ten gerückt, sowie ihre Wichtigkeit in ihrer komplementären Rolle als Mutter und Erzieherin der nä-chsten Generation von Dschihadisten im Kontext eines größeren Staatenbildungsprozesses. Der IS sorge für sie, indem er ihnen einen Wohnort zur Verfügung stünde und außerdem würden sie in Ausnahmefällen auch kämpfen können; viel wichtiger sei aber ihre unterstützende Rolle in der IS-Propagandamaschinerie zur Rekrutierung weiterer Frauen. (Steele, 2015) All das, mache laut Knop den „female jihad“ aus, zudem sich viele Frauen aus aller Welt hingezogen fühlten. (2007)
Warum schlossen sich nun aber viele Frauen dem IS an, wo ihnen der globale Norden doch Befrei-ung verspricht? Pooley geht in ihrer Diplomarbeit den Ursachen dieses Phänomens auf die Spur und sieht diese in Islamophobie, religiöse Diskriminierung, der Erosion des Multikulturalismus, Ne-gativperzeptionen muslimischer Identität und dem Wunsch nach Sinn und Zugehörigkeit begrün-det; Faktoren die klar durch femonationalistische Politik begünstigt werden. Sie belegt dies bei-spielhaft mit Situationen aus denen hervorgeht, dass britische muslimische Frauen und Mädchen, die zwar im Westen aufgewachsen waren, aber dennoch ihre Muslime Identität behalten wollten, gezwungen waren, sich für eine zu entscheiden; etwa, als ihnen ein Job aufgrund ihres Kleidungs-stils verweigert wurde oder als sie von der Schule ausgeschlossen wurden, weil sie ein Kopftuch trugen. Diese Ausschlusserfahrungen in Europa sind ihnen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Religion spezifisch und gingen mit einer gewissen Anfälligkeit für IS Propaganda einher. (2015)
2.2 IS Genderappartheid
Im Islamischen Staat angekommen, treffen die Frauen auf ein System, das von konstruierten Un-terschieden zwischen Mann und Frau geprägt ist und den ihnen zugeschriebenen Status aufrecht erhält. Damit einher geht primär das Verbot der Vermischung von Männern und Frauen im öffen-tlichen Raum, das bis ins Private durchsickert. (Rumiyah Nr. 5, S. 8). Segregationsmaßnahmen ent-lang der Kategorie Geschlecht sorgen für getrennte Einrichtungen für Frauen und Männer, wie ge-trennte Schulen und Krankenhäuser (Manifesto, 2015, S. 3), aber auch bestimmte Praktiken, die Frauen und Mädchen in eine getrennte und untergeordnete Unterexistenz und in bestimmte Rol-len verbannen stehen an der Tagesordnung. (Chesler, 2011)
Das „Manifesto“ stellt dieses System der Geschlechter-Apartheid als erstrebenswert für Frauen dar, denn nur so könnten sie ihren göttlichen Zweck erfüllen. Aufgrund ihrer Natur sollten Frauen nicht nach Gleichberechtigung mit Männern streben, da Allah sie als von Natur aus ungleich geschaffen hätte. (2015, S, 25). Ihre wichtigste Rolle sei im Haushalt mit ihren Männern und Kindern, um die Ummah (= gesamte muslimische Gemeinschaft) zu vermehren und zu erziehen. Diesen gilt es nur verschleiert zu verlassen, wenn sie ihre Religion praktizieren oder studieren möchten. Die Ehren-haftigkeit, die dieser Aufgabe zugeschrieben wird, vermittelt das Manifesto wie folgt „It is always preferable for a woman to remain hidden and veiled, to maintain society from behind this veil. This, which is always the most difficult role, is akin to that of a director, the most important person in a media production, who is behind the scenes organising.“ (2015, S. 22)
Das heißt, selbst wenn IS Frauen nicht aktiv im Kampf eingebunden werden konnten – eine Aus-nahme, die nur für wenige bestand - wurde den IS Frauen das Gefühl vermittelt, einen wertvollen Beitrag zum Dschihad zu leisten. Den wenigsten gelang es allerdings in privilegierte Funktionen aufzusteigen, wie zB den Frauen der Al-Khanssaa Brigade, der rein weiblichen Exekutive, die das System der Genderappartheid überwachten und exekutierten. Sie waren u.a. mit der Rekrutierung von Frauen in IS-Territorien, dem Betrieb von Kontrollpunkten, der Überwachung von IS Frauen und Sklaven, sowie der Strafverfolgung beauftragt. (Spencer, 2016, S. 83) Sie waren berüchtigt für ihre Brutalität; eine Augenzeugin berichtet: „They used this [the breast biter] on my neighbor who was cleaning in front of her house without the headscarf [...] Then they took her away for lash-ings. She never came back.” (in Kavanov, 2016)
Abgesehen von ihrer Exekutivfunktion waren die Al-Khanssaa Frauen auch die Herausgeberinnen des “Manifesto”, der IS Gender Policy, und betreu-ten und publizierten für die “sistern in den IS Magazinen Dabiq und Rumiyah. Wer diese Frauen waren und warum sie diese privilegierten Positionen innehatten, möchte ich allerdings erst in einem späteren Kapitel nachgehen.
Für dieses Kapitel ist ausschlaggebend, dass die IS Genderappartheid also eindeutig mit der Ins-trumentalisierung von Frauen zur Errichtung eines globalen Kalifats und der damit verbundenen Vermehrung der Ummah einherging und in engem reaktionärem Zusammenhang mit westlichen femonationalistischen Politiken und Maßnahmen stand. Der Verbarrikadierung von Frauen in tradi-tionelle Rollen und deren Überwachung und Propagierung durch IS Frauen selbst, sowie der globa-len Rekrutierung von Frauen durch Frauen in den Islamischen Staat können also genauso imper-ialistische und totalisierende Tendenzen angelastet werden, wie sie den Interventionen des Wes-tens und dem weißen mainstream Feminismus oft zugeschrieben werden.
3. Diskursive Kolonisierung
In Anlehnung an die Imperialismusdebatte übt der postkoloniale Feminismus auch Kritik an imperi-alistischen Diskursen, in denen die Kolonialisierten immer als die unzivilisierten, irrationalen „An-deren“ in Abgrenzung zu den zivilisierten und rationalen Europäer_innen dargestellt wurden und somit als missionierungsbedürftige Subjekte deklariert wurden. Parallel dazu wurde auch in patri-archalen Diskursen die Strategie des „othering“ angewendet, um die Frau als „die Andere“ im Ver-gleich zum rationalen männlichen Subjekt zu porträtieren, womit ihre Vertretung durch einen Mann gerechtfertigen werden sollte. Mit dieser Strategie hat man einerseits versucht die eigene herrsch-ende Position und Identität diskursiv positiv zu konstruieren und zu stärken, und andererseits die Position und Identität der beherrschten „Anderen“ negativ zu konstruieren und zementieren, um ein bestimmtes Machtgefälle zu schaffen, das mittels politischer Maßnahmen aufrecht zu erhalten war. (Edthofer, 2011, S. 62)
[...]
- Quote paper
- Anna Scheithauer (Author), 2021, Der Postkoloniale Feminismus im Kontext der globalen Schwesternschaft-Debatte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1148316
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.