Was sind die Ursachen für den Bystander-Effekt und wann sind Zeug*innen bereit zu helfen? Jene Fragen sollen im Folgenden diskutiert werden.
Der Bystander-Effekt ist der Sozialpsychologie zuzuordnen. Diese beschäftigt sich unter anderem mit prosozialem Verhalten und dementsprechend auch mit dem gegenteiligen Verhalten. Es handelt sich um die Erforschung zu den Gründen unterlassener Hilfeleistung und damit im Zusammenhang mit der Bedeutung von Gruppenprozessen und Gruppendynamiken. Gerade in Bezug auf die unterlassene Hilfe ist die Erforschung des Bystander-Effekts so relevant, da daraus zu schließen ist, wie sich Menschen in Notfallsituationen sowohl als Opfer als auch als Passant*innen verhalten sollten. Dies dient der Bewältigung eben jener Gefahrensituationen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Bystander-Effekt
1.1 Definition
1.2 Der Kitty Genovese Mordfall
1.3 Forschung zum Bystander-Effekt
2. Fünfstufiges Entscheidungsmodell für Hilfeverhalten
3. Hauptursachen des Bystander-Effekts
3.1 Pluralistische Ignoranz
3.2 Verantwortungsdiffusion
3.3 Bewertungsangst
4. Handlungsempfehlungen in Notsituationen
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Täglich geraten Menschen in Notfallsituationen, in denen sie sich nicht selbst helfen können. Sei es ein Überfall, sexuelle Übergriffe oder andere physische Gewalttaten. All das sind Gefahrensituationen, die nicht ausschließlich an unbeobachteten Plätzen passieren, sondern auch in Fußgängerzonen, in Bahnen, Zügen, Bussen oder auf der Straße. In solchen Fällen ist davon auszugehen, dass Passant*innen derartige Situationen wahrnehmen, Zivilcourage zeigen und einschreiten. Dies ist allerdings nicht immer der Fall. Trotz unserer vorhandenen Empathie gegenüber Anderen und einer altruistischen Denkweise fallen viele Menschen dem Bystander-Effekt oder auch Zuschauereffekt zum Opfer. Dieser kann unter Umständen Zeug*innen davon abhalten zu helfen. Oftmals wird die unterlassene Hilfeleistung auf Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. mangelnde Zivilcourage, zurückgeführt. Tatsache ist aber, dass Menschen eher durch die Situation beeinflusst werden, in der sie stecken(Stürmer, 2016, S. 106). Psycholog*innen beschäftigen sich seit den 1960er Jahren mit dem Bystander-Effekt. Was sind die Ursachen für den Bystander-Effekt und wann sind Zeug*innen bereit zu helfen? Jene Fragen sollen im Folgenden diskutiert werden.
Der Bystander-Effekt ist der Sozialpsychologie zuzuordnen. Diese beschäftigt sich unter anderem mit prosozialem Verhalten und dementsprechend auch mit dem gegenteiligen Verhalten. Es handelt sich um die Erforschung zu den Gründen unterlassener Hilfeleistung und damit im Zusammenhang mit der Bedeutung von Gruppenprozessen und Gruppendynamiken. Gerade in Bezug auf die unterlassene Hilfe ist die Erforschung des Bystander-Effekts so relevant, da daraus zu schließen ist, wie sich Menschen in Notfallsituationen sowohl als Opfer als auch als Passant*innen verhalten sollten. Dies dient der Bewältigung eben jener Gefahrensituationen.
Im ersten Kapitel wird der Bystander-Effekt definiert und dessen Ursprung erläutert. Der zweite Punkt beschäftigt sich mit dem fünfstufigen Entscheidungsmodell für Hilfeverhalten von Latané und Darley, den Begründern des Bystander-Effekts. Damit einhergehend geht diese Hausarbeit auf die Ursachen wie die pluralistische Ignoranz, die Bewertungsangst und die Verantwortungsdiffusion ein. In diesem Zusammenhang werden im letzten Kapitel Handlungsempfehlungen beschrieben, um dem Bystander-Effekt zu entgehen.
1 Bystander-Effekt
Das erste Kapitel definiert den Begriff des Bystander-Effekts und geht auf dessen Ursprünge ein.
1.1 Definition
Der bystander-effect (oder auch zu Deutsch Bystander-Effekt, non-helping-bystander effect, Genovese-Syndrom, Zuschauereffekt) besagt, dass „[…] die Wahrscheinlichkeit einer Hilfeleistung (prosoziales Verhalten) für Personen, die sich in einer Notsituation befinden, […] mit der Zahl der in dieser Situation anwesenden Personen ab[nimmt].“(Six, 2019). Der Begriff „bystander“ ist mit Zeug*innen oder Zuschauer*innen zu übersetzen.
Im folgenden Punkt wird der Begriff „Genovese-Syndrom“ erläutert und dessen Ursprung verdeutlicht, welcher auf den Mordfall an Kitty Genovese zurückzuführen ist.
1.2 Der Kitty Genovese Mordfall
Am 13. März 1964 verstarb Catherine Susan Genovese (auch genannt Kitty Genovese) in Queens in Folge einer Messerstecherei. Winston Moseley verfolgte, vergewaltigte und beraubte sie und stach mehrmals auf sie ein. Die Straftat zog sich über eine halbe Stunde. Innerhalb der Untersuchungen wurden 38 Personen befragt, die das Verbrechen hätten wahrnehmen müssen(Decoin & Bach, 2011). Die New York Times veröffentlichte zwei Wochen später einen Artikel in der sie das Geschehen nacherzählen, aber auch die Gefühlskälte der Menschen und die fehlende Hilfsbereitschaft der Zeug*innen anprangern(Gansberg, 1964). Jene Publikation sorgte in vielen Bereichen für ein Hinterfragen, warum die mutmaßlichen Zeug*innen dem Opfer nicht halfen. Aufgrund dessen beschäftigten sich die Sozialpsychologen John M. Darley und Bibb Latané seit den 60er Jahren mit dem Thema Hilfsbereitschaft in Notsituationen und gaben dem Bystander- Effekt seinen Namen.
Der Artikel der New York Times stellte sich später als Falschmeldung heraus, da es sich nicht um 38 Zeug*innen handelte, die den Überfall beobachtet oder gehört haben. Tatsache ist, dass nur einige Wenige bruchstückhaft die Verfolgung sehen und/oder hören konnten, aber im Gegensatz zur Meldung auch die Polizei verständigten. Die Vergewaltigung hat ebenfalls keiner der Nachbar*innen vernommen(Getlen, 2014).
Diesem Präzedenzfall entstammt der Begriff „Genovese-Syndrom“, welcher synonym zu Bystander-Effekt verwendet wird.
1.3 Forschung zum Bystander-Effekt
Der Bystander-Effekt wurde über die letzten Jahrzehnte anhand von Experimenten erforscht. Latané und Darley(1970)unterschieden in ihrer Forschung in ‚emergency situation‘ (gefährliche Notsituation) und in ‚non-emergency situation‘ (ungefährliche Hilfesituationen). Diese Unterscheidung ist deshalb so bedeutend, da der potenziell Helfende eine innerliche Kosten-Nutzen-Abwägung durchläuft. In Notsituationen können Helfende mit höheren Kosten, wie bspw. Zeit, Aufwand, aber auch körperliche Unversehrtheit, konfrontiert werden(Alle & Mayerl, 2010, S. 5). Überwiegend wurden in den Feld- und Laborexperimenten, gerade wegen der Kosten-Nutzen-Abwägung, eher ‚gefährliche‘ Notsituationen untersucht. Aufbauend auf den Ergebnissen von Latané und Darley wurden im Experiment von Harris und Robinson(1973)bspw. Asthma-Anfälle simuliert. Ross und Braband(1973)untersuchten den Bystander-Effekt mithilfe von männlichen Schülern und Studenten, die einer Rauchentwicklung in einem Raum ausgesetzt waren. Fischer, Greitemeyer, Pollozek und Frey(2006)wiederum generierten ein Umfeld, in dem eine Vergewaltigung und damit eine höchst gefährliche Situation vorgetäuscht wurde. Die Ergebnisse dieses Experimentes ergaben allerdings, dass der Bystander-Effekte in wirklich kritischen Situationen nicht so stark auftritt wie vermutet. Dies ist mutmaßlich darauf zurückzuführen, dass kein großer Spielraum für Interpretationen bleibt und die Kosten, nicht zu helfen, ansteigen. Dies waren nur ein paar von vielen unterschiedlichen Experimenten.
2 Fünfstufiges Entscheidungsmodell für Hilfeverhalten
Latané und Darley (1970)entwickelten im Zusammenhang mit ihrer Forschung ein Entscheidungsmodell für Hilfeverhalten (engl. model of bystander intervention). Dieses fünfstufige Modell beschreibt die Hürden, die Zeug*innen durchlaufen müssen, um in einer Notsituation wirklich tätig zu werden und welche Faktoren dazu führen können, dass Hilfe unterlassen wird. Laut diesem Modell schreiten Zeug*innen in einer Gefahrensituation erst ein, wenn sie alle fünf Schritte korrekt durchlaufen haben.
Stufe 1 beinhaltet lediglich die Wahrnehmung des Ereignisses. Eine Situation kann unbemerkt bleiben, wenn Passant*innen beispielsweise durch Lärm abgelenkt sind oder die Sicht schlichtweg versperrt ist. Auch der Mangel an Zeit kann dazu führen, dass Menschen eine Notsituation nicht wahrnehmen (wollen)(Darley & Batson, 1973, S. 107). In Stufe 2 geht es darum eine Situation als gefährlich einzuordnen und zu interpretieren. Hierbei kann es aufgrund von Unklarheiten zu Fehleinschätzungen in Bezug auf die Gefahr kommen. Pluralistische Ignoranz ist auf dieser Stufe ein wichtiger Faktor, der die Handlungen der Zeug*innen beeinflussen kann. Im nachfolgenden Schritt müssen Bezeugende persönlich Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen. Die Verantwortungsdiffusion stellt hierbei die Hürde dar, da mit steigender Anzahl an Personen die Unklarheit über die Verantwortung ebenfalls wächst. Wurde die 3. Stufe überwunden muss folglich über die Art der Hilfe entschieden werden. Wissen die Helfenden nicht, wie sie helfen, was sie tun oder sagen sollen, bleibt auch an dieser Stelle ein Eingreifen aus. Man kann hier von Aktionsignoranz sprechen. Die letzte Stufe und damit das tatsächliche Helfen wird in einigen Fällen mit der vorletzten Etappe in Verbindung gebracht, da meist davon auszugehen ist, dass Zeug*innen einschreiten werden, sobald über die Art der Hilfe entschieden wurde. Soziale Normen, die das Helfen verbieten oder Angst vor den Konsequenzen des Einschreitens können allerdings das Handeln auf letzter Ebene noch beeinflussen und somit verhindern. Besonders die Stufen 2, 3 und 5 sind in hohem Maße von der Personenanzahl innerhalb der Situation abhängig, da es wie bereits erwähnt zu pluralistischer Ignoranz, Verantwortungsdiffusion und Bewertungsangst bei den Beteiligten kommen kann. Diese Begriffe werden im folgenden Kapitel genauer erläutert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Fünfstufiges Entscheidungsmodell für Hilfeverhalten (eigene Darstellung), in Anlehnung an das „model of bystander intervention“ (Darley & Latané, 1968; Latané & Darley, 1968, 1970)
3 Hauptursachen des Bystander-Effekts
Das vorliegende Kapitel handelt von den drei wichtigsten Faktoren, die eine Entscheidung, einer Person zu helfen, negativ beeinflussen können.
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- Citar trabajo
- Vanessa Reich (Autor), 2021, Der Bystander-Effekt und sein Einfluss auf das Verhalten von Zeug*innen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1148310
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