In vorchristlicher Zeit herrschte einmal Krieg zwischen den heidnischen Königen von Portugal
und Sizilien. Doch als der sizilianische König mit seiner Streitmacht an den Grenzen der
Länder Portugals stand, bemühten sich beide Seiten um Einigung und Versöhnung. So wurde
dem Sizilianer die wunderschöne jungfräuliche Tochter des Kontrahenten, Wilgefortis (zu
Niederdeutsch Ontcommer), versprochen. Die heilige Jungfrau aber weigerte sich unter Bekenntnis
zum christlichen Glauben und sagte, sie wolle sich keinem anderen als ihrem gekreuzigten
Gott hingeben, worauf sie von ihrem erzürnten Vater zur Läuterung in den Kerker
gesperrt wurde. In ihrer großen Not rief sie schließlich ihren Herrgott an, er möge sie so gestalten,
dass sie nicht mehr von Männern begehrt werde. Ihre Bitten wurden erhört und Gott
ließ ihr einen großen Bart wachsen. Als ihr Vater sie so sah, ordnete er an, dass seine Tochter
wie ihr Heiland am Kreuz sterben müsse, wenn sie nicht ihrem Glauben entsagte. Die heilige
Märtyrerin allerdings blieb beständig und wurde ans Kreuz geschlagen. Doch noch vor ihrem
Tod rief sie ein weiteres Mal Gott an und bat ihn, dass von nun an alle, die sich ihrer Leiden
erinnerten und um Hilfe bitten würden, von ihren eigenen Leiden befreit werden würden. Gott
erfüllte ihr diesen Wunsch. Zum Zeitpunkt ihres Todes schließlich herrschte ein tobendes
Unwetter, sodass im Zuge dessen der Palast ihres Vaters vom Blitz getroffen wurde und abbrannte.
Der Todestag der heiligen Jungfrau und Märtyrerin St. Ontcommer war der 20. Juli.1
So präsentiert sich uns zusammengefasst das erste schriftliche Zeugnis der Legende um die
heilige Ontcommer oder Kümmernis, wie sie im süddeutschen Raum heißt. Im Laufe dieser
Arbeit werden die Gestalt der heiligen Kümmernis, ihre Legende und bildhauerischen beziehungsweise
malerischen Darstellungen dieser interessanten Heiligen, deren Verehrung am
Scheideweg zwischen Mittelalter und Neuzeit beginnt, untersucht werden. Die Heilige und ihr
Kult wird in die damalige religiöse Gesellschaft im Wandel infolge der Devotio moderna2 und
der beginnenden Reformation eingeordnet werden. Außerdem wird der Frage, warum ihre
Bewunderung gerade zu dieser Zeit begann und lange bis in die Neuzeit anhielt, nachgegangen.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Die heilige Kümmernis – die bärtige Jungfrau am Kreuz
- Textgeschichte der Legende um die heilige Kümmernis
- Ikonographie der heiligen Kümmernis
- Die heilige Kümmernis und Volto Santo
- Unterschiede zwischen niederländischem Kult und Volto Santo
- Zeitgeistliche Deutung
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Legende der heiligen Kümmernis, einer Jungfrau, die sich durch einen Bart vom Heiratsdruck befreite und schließlich am Kreuz starb. Ziel ist es, die Entwicklung der Legende in schriftlicher Form zu untersuchen, die Ikonographie der Heiligen zu analysieren und ihre Verehrung im Kontext des Zeitgeistes zu deuten.
- Entwicklung der Legende in schriftlicher Form
- Ikonographie der heiligen Kümmernis
- Zeitgeistliche Deutung des Kultes
- Bedeutung der Heiligen in der religiösen Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit
- Gründe für die Popularität des Kultes
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Abschnitt der Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der Legende in schriftlicher Form. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse des Mythos um die heilige Kümmernis sind in den Gebieten Nordfrankreichs, Belgiens und der Niederlande zu finden und zwischen 1430 und 1500 entstanden. Die frühen Namen der Heiligen waren „Wilgefortis“ und der mittelniederländische Name „Ontcommer(a)“. Im süddeutschen Raum wurde sie „Kümmernis“ genannt. Die Arbeit untersucht verschiedene Versionen der Legende und analysiert die Unterschiede zwischen der niederländischen und der deutschen Tradition.
Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Ikonographie der heiligen Kümmernis. Die Arbeit analysiert verschiedene bildhauerische und malerische Darstellungen der Heiligen und untersucht die Entwicklung ihrer Ikonographie im Laufe der Zeit. Besonderes Augenmerk wird auf die Beziehung zwischen der heiligen Kümmernis und dem Volto Santo gelegt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die heilige Kümmernis, die Legende, die Ikonographie, die Devotio moderna, die Reformation, der Kult, die religiöse Gesellschaft, die Zeitgeistliche Deutung, die niederländische Tradition, die deutsche Tradition, die Unterschiede zwischen den Traditionen, die Entwicklung der Legende, die Bedeutung der Heiligen, die Popularität des Kultes.
- Arbeit zitieren
- Tobias Wehrmeister (Autor:in), 2005, Die heilige Kümmernis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114808
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