Über 50 Jahre sind seit der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten vergangen. Betrachtet man die Anzahl der errichteten Gedenkstätten und Mahnmale, die große Fülle an wissenschaftlichen und literarischen Publikationen so wie die unüberschaubare Menge an dokumentarischen Beiträgen im Fernsehen und cineastischen Thematisierungen, sollte man meinen, dass die Erinnerung an die 6 Millionen ermordeten Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Kommunisten und Widerständler sowie anderer Opfergruppen nie zuvor so lebendig war.
Das wachsende Interesse an diesem Thema kann im Wesentlichen auf drei Gründe zurückgeführt werden. Zum einen erleben wir durch die Innovationen der elektronischen Medien externer Speicherung und damit des künstlichen Gedächtnisses eine kulturelle Revolution, die in ihrer Auswirkung mit der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks vergleichbar ist.2 Zum anderen lässt die moderne Gesellschaft komplementär dazu die eigene kulturelle Tradition nur
noch als Gegenstand der Erinnerung und als kommentierende Aufarbeitung in den Blick treten. Viel persönlicher und existentieller betrifft uns aber das Sterben der letzten Zeitzeugen der schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Darin liegt vielleicht das entscheidende Motiv für das Interesse. Assmann schreibt dazu:
„40 Jahre markieren eine Epochenschwelle in der kollektiven Erinnerung: wenn die lebendige Erinnerung vom Untergang bedroht und die Formen kultureller Erinnerung zum Problem werden. Auch wenn die Debatte um Geschichte und Gedächtnis, Memoria und Mnemotechnik teilweise höchst abstrakte und gelehrte Formen annimmt, scheint mir doch dies der existentielle Kern des Diskurses zu sein.“3
Dem kulturwissenschaftlichen Vokabulars Assmanns folgend besteht die besondere Situation unserer heutigen Zeit darin, wie das kommunikative Gedächtnis der Zeitzeugen Eingang in das kulturelle Gedächtnis der Nachgeborenen findet. Dass diese Frage mit viel Emotionalität und Brisanz geführt wird, zeigen die jüngsten Diskussionen über die Bedeutung des Holocaust. Als Beginn dieser Diskussionen können sicherlich der unglückliche Besuch Helmut Kohls und Ronald Reagans auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg (1985) und insbesondere der Historikerstreit (1986/87) genannt werden. Die Frage nach der Singularität des Holocaust ist letztlich die Frage nach der Bedeutung der Shoa für die kommenden Generationen. Die Friedenspreisrede von [...]
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- KAPITEL I: DIE „ZWEITE GESCHICHTE“ DES NATIONAL-SOZIALISMUS
- Ein Rückblick auf die Geschichte der „Vergangenheits-bewältigung“ in Deutschland
- Die Instrumentalisierung der Erinnerung im innerdeutschen Systemkonflikt.
- ,,Politik mit der Erinnerung“ in der DDR...
- „Politik mit der Erinnerung“ in der alten Bundesrepublik nach 1945..
- Erinnerung zwischen Beschweigen, juristischer Aufarbeitung und moralischer Distanzierung.....
- Erinnerung zwischen Historisierung und Singularität
- Resümee.........
- Ein Rückblick auf die Geschichte der „Vergangenheits-bewältigung“ in Deutschland
- KAPITEL II: GRUNDLAGEN DER INDIVIDUELLEN UND KULTURELLEN ERINNERUNG........
- Psychologische Aspekte der Erinnerung
- Die Kodierung eines Ereignisses
- Der Abruf von Erinnerungen.
- Erinnerungen konstruieren.
- Zeit und Autobiographie.…………………………………....
- Das Vergessen - eine adaptive Eigenschaft des Gedächtnisses....
- Die Konsolidierung von Erinnerungen......
- Die Erinnerung einer Lebensgeschichte....
- Emotionale Erinnerungen
- Zusammenfassung der wesentlichen Merkmale des individuellen Gedächtnisses.
- Kulturelle Aspekte der Erinnerung.....
- Individuelles und kollektives Gedächtnis….......
- Die Außendimensionen des menschlichen Gedächtnisses
- Das kommunikative Gedächtnis….....
- Das kulturelle Gedächtnis
- Der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis
- Medien des Gedächtnisses – Sprache, Schrift, Bild
- Zusammenfassung der wesentlichen Merkmale des kollektiven Gedächtnisses.…………….
- Charakteristika moderner Erinnerungskulturen
- Säkularisierung, technische Modernisierung und Politisierung der Erinnerungskultur.
- Demokratisierung und Materialisierung der Erinnerung..
- Globalisierung der Erinnerung...
- KAPITEL III: ERINNERUNG NACH AUSCHWITZ.
- „Erinnern einer Wunde\" - Erinnerung der Überlebenden nach Auschwitz
- Die Perspektive der Überlebenden.
- Die Scham der Überlebenden
- Die Scham der Erinnerung
- Die Scham, überlebt zu haben.
- Die Scham der Welt
- Die Singularität der Katastrophe...………………………….
- Moralische Erinnerung.
- Resümee.........
- Formen der Repräsentation von Erinnerung nach Auschwitz
- Gedenkstätten, Denkmäler und Museen - Die Perspektive der Erinnerung
- Die ersten Museen - ein Beweis der vollbrachten Vernichtung ...
- Die Museen der Überlebenden – das Beweisen des Verbrechens.
- Die Nachkommen der Überlebenden - dem Schweigen eine Stimme geben.
- Yad Vashem und die Erinnerungskultur im Staat Israel
- Dachau - Eine Gedenkstätte der Täter...
- Versöhnliche Erinnerung..
- Postmoderne Ästhetik des Holocaust
- Vergangenheit aus zweiter Hand..
- Anti-erlöserische Erinnerung
- Anti-erlöserische Erinnerung in Deutschland
- Wie der Leere eine Form geben? - Das neue Jüdische Museum in Berlin
- Eine Verortung
- Das Jüdische Museum und das Berlin Museum...
- „Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum\"\n
- ,,Between the Lines“ - Der Entwurf von Daniel Libeskind.
- Die vierdimensionale geistige Struktur des Gebäudes
- ,,Zwischen den Linien“.
- „Void“
- Die unterirdische Verbindung zwischen dem Berlin Museum und dem Erweiterungsbau Jüdisches Museum...
- Architektonische Skulptur versus Ausstellung..
- Resümee
- Irritationen......
- Eine Verortung
- Perspektiven: Verstehen – Erinnern – Schweigen.................
- Gedenkstätten, Denkmäler und Museen - Die Perspektive der Erinnerung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieses Werk befasst sich mit der Geschichte und der heutigen Bedeutung der Erinnerung an den Nationalsozialismus und die Shoa. Die Arbeit analysiert verschiedene Aspekte der individuellen und kulturellen Erinnerung, insbesondere im Kontext des Holocaust, und untersucht, wie die Erinnerung an diese Tragödie in der deutschen Gesellschaft und international verarbeitet wird.
- Die „zweite Geschichte“ des Nationalsozialismus und die deutsche Erinnerungskultur.
- Psychologische und kulturelle Aspekte der Erinnerung.
- Die besondere Bedeutung des Holocaust für die Erinnerungskultur.
- Die Repräsentation von Erinnerung nach Auschwitz durch Gedenkstätten, Museen und Kunst.
- Perspektiven auf die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Gegenwart.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die besondere Bedeutung der Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Holocaust in der heutigen Zeit dar. Sie beleuchtet das wachsende Interesse an diesem Thema und führt in die zentralen Fragestellungen des Werkes ein. Kapitel I befasst sich mit der Geschichte der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland, insbesondere mit der unterschiedlichen Art und Weise, wie die Erinnerung an den Nationalsozialismus in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland behandelt wurde. Kapitel II untersucht die psychologischen und kulturellen Grundlagen der Erinnerung, wobei insbesondere die Rolle des individuellen und kollektiven Gedächtnisses beleuchtet wird. Kapitel III fokussiert auf die Erinnerung an den Holocaust, untersucht die Perspektiven der Überlebenden und analysiert verschiedene Formen der Repräsentation dieser Erinnerung in der Kunst und in Gedenkstätten.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen des Werkes sind: Erinnerungskultur, Vergangenheitsbewältigung, Holocaust, Shoa, individuelles und kollektives Gedächtnis, Gedenkstätten, Museen, Kunst, Repräsentation, Perspektive der Überlebenden, deutsche Geschichte, Nationalsozialismus.
- „Erinnern einer Wunde\" - Erinnerung der Überlebenden nach Auschwitz
- Psychologische Aspekte der Erinnerung
- Arbeit zitieren
- Frank Dreyer (Autor:in), 2003, Verstehen-Erinnern-Schweigen: Aporien einer Erinnerung nach Auschwitz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11479