Diese Arbeit bearbeitet die Frage, ob eine Einbeziehung sprachlicher Vielfältigkeit in den DaF-Unterricht sinnvoll ist. Bezieht man die Tatsache mit ein, dass Lerner des Deutschen außerhalb des Unterrichts und Klassenzimmers praktisch ständig mit Sprachdynamik und Sprachenvielfalt in einer natürlichen Art und Weise konfrontiert werden, erscheint die für lange Zeit übliche Praxis, gesprochene Alltagssprache als eine Abweichung von der festgesetzten "Standardsprache" zu betrachten und damit in Hinblick auf den DaF-Lehrplan eher zu vernachlässigen, als dringend reformbedürftig. Aus wissenschaftlich-linguistischer Sichtweise kann nicht einmal von einem sprachlichen "Standard" ausgegangen werden. Dass Variation im natürlichen Sprachgebrauch unumgänglich ist und de facto nicht vermieden werden kann, ist ein neuer Ansatz, der in den letzten Jahren zunehmend verstärkt diskutiert und in Betracht gezogen wurde.
„Variety is the spice of life“1 – Wenngleich sich dieses Sprichwort primär auf die Variation und das Abwechslungsreiche im Leben bezieht, so kann es nichtsdestotrotz auch im linguistischen Sinne verstanden werden, denn dass Sprache keinesfalls „tot“ und unveränderlich ist, ist eine Tatsache, die selbst jene, die nicht sonderlich im Feld der Linguistik bewandert sind, ohne große Mühen anerkennen würden. So reicht es beispielsweise bereits aus, ein Schriftstück aus der Zeit der vorletzten Generation genauer zu studieren, um graphematische und lexikalische Unterschiede im Vergleich zum heutigen Sprachstandard ausmachen zu können. Dieser natürliche sprachliche Wandel wird in Laienkreisen nur allzu oft mit sprachlichem Verfall gleichgesetzt, wie es etwa die teilweise hysterischen Untergangsprophezeiungen der Anti-Anglizismen-Fraktion gerne seit Jahrzehnten propagieren und deren Argumentationen dabei in aller Regel auf wissenschaftlich unzureichendem Nährboden gründen. Andererseits zeichnet die deutsche Sprache neben der natürlichen Tendenz zum sprachlichen Wandel eine gewisse Stabilität aus, die einerseits durch strikte sprachliche Gesetze und Normen, die gegen solche äußeren Einflüsse vorzugehen versuchen2, erreicht wird, andererseits aber durch sprachliche Varietät und Vielfalt, die eben jene Normen wieder bricht und somit ein Gleichgewicht zwischen Sprachnorm und Sprachwirklichkeit entsteht, das der Sprache ihre Dynamik verleiht.
Bezieht man die Tatsache mit ein, dass Lerner des Deutschen außerhalb des Unterrichts und Klassenzimmers praktisch ständig mit der oben beschriebenen Sprachdynamik und Sprachenvielfalt in einer natürlichen Art und Weise konfrontiert werden, erscheint die für lange Zeit übliche Praxis, gesprochene Alltagssprache als eine Abweichung von der festgesetzten „Standardsprache“ zu betrachten und damit in Hinblick auf den DaF-Lehrplan eher zu vernachlässigen, als dringend reformbedürftig, zumal aus wissenschaftlich-linguistischer Sichtweise nicht einmal von einem sprachlichen „Standard“ ausgegangen werden kann. Dass Variation im natürlichen Sprachgebrauch unumgänglich ist und de facto nicht vermieden werden kann, ist ein neuer Ansatz, der in den letzten Jahren zunehmend verstärkt diskutiert und in Betracht gezogen wurde, etwa bei Günthner (2000), die die „Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Gesprochene-Sprach-Forschung [für] erstrebenswert“ hält (Günthner: 252), oder bei Roche (2006), der Variation als Chance verstanden wissen und verschiedene Variationsarten, wie etwa die Kanak-Sprak im Hinblick auf die natürliche Mehrsprachigkeit in den DaF-Unterricht mit einbezogen haben will (vgl. Roche 2006).
Variation zieht sich in der Tat in großem Maße durch die deutsche Sprache, teilweise ohne dass die meisten Sprecher dies bemerken oder die entsprechenden Phänomene als Variationen deuten würden. Da Menschen keine Maschinen sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass jede sprachliche Handlung exakt gleich stattfindet und produziert wird. Typische Phänomene der alltäglichen Konversationen stellen beispielsweise Interjektionen, Füllwörter, Modalpartikel, Gesprächspartikel und Verkürzungen, etwa durch sogenannte Elisionen, Pro- und Enklisen und Assimilationen dar. Assimilationen dienen oftmals der Artikulationserleichterung, indem teils benachbarte Laute oder weiter entfernte Laute (Fernassimilation) einander qualitativ angeglichen werden. Dies kann partiell oder auch vollständig, total, erfolgen. Die in der Umgangssprache häufig vorkommende Variante des Wortes <haben> à <ham> verdeutlicht z.B. mehrere Lautwandelprozesse, in deren Verlauf sich der alveolare Nasal [n] unter Einfluss des bilabialen Plosivs [b] zu einem bilabialen Nasal [m] entwickelt hat und schließlich der bilabiale Plosiv [b] vollständig getilgt wurde à [habm] à [ham].
Pro- und Enklisen sind ebenfalls sehr prominent in der gesprochenen Sprache, sogar derart, dass sie ebenso bereits im geschriebenen Deutsch Fuß gefasst haben, obgleich eher als informellen Stil. Eine Enklise beschreibt die Anlehnung eines schwach oder nicht betonten Wortes an das vorangehende bei gleichzeitiger Abschwächung (vgl. Schwitalla: 37ff.). So sind beispielsweise in der Standardsprache geläufige und vollkommen akzeptierte Präpositionen wie <vom>, <am>, <unterm> enklitische Kontraktionen für <von dem>, <an dem>, <unter dem>. In alltäglichen Gesprächssituationen (und sicherlich auch dialektal unterschiedlich stark ausgeprägt) finden sich häufig Enklitika, wie z.B. <aufm>, <fürs>, <haste>, <machste>, etc.
Elisionen bezeichnen den Ausfall eines Vokals und kommen in zwei Varianten, der Apokope (= Ausfall des Vokals am Ende des Wortes, etwa <ich sag‘>) oder der Synkope (= Ausfall des Vokals innerhalb des Wortes, etwa <sie warn/laufn>) vor. (vgl. ebd.)
Modalpartikel zählen zu den Besonderheiten der deutschen Sprache, die für ausländische Lerner ziemlich schwierig sind, systematisch zu verstehen und anzuwenden und für deren Vermittlung keine klaren Regeln existieren, aktuell wird aber die Vermittlung mithilfe sogenannter „constructions“ (etwa, Sinneinheitsblöcke) durchgeführt. Modalpartikel bringen Sprechereinstellungen und -haltungen zum Ausdruck. Die neun häufigsten Modalpartikel nach Hentschel (1986; 247) sind ja, doch, mal, auch, eben, denn, schon, eigentlich, wohl. Die Schwierigkeit für Nicht-Muttersprachler liegt darin, das nötige Sprachgefühl für eine korrekte Anwendung von Modalpartikeln zu entwickeln – gerade englischsprachige Muttersprachler kompensieren die Verwendung von Modalpartikeln durch paraphrastische Konstruktionen, die sie dann oftmals 1:1 ins Deutsche übertragen.
Auch Vagheitsausdrücke, Gesprächspartikel und Interjektionen zählen zu den Phänomenen der gesprochenen deutschen Sprache, die von Deutschlernern entsprechend gemeistert werden müssen. Gesprächspartikel sind kleine Einheiten innerhalb eines Gespräches, die der Gesprächssteuerung und Gesprächsorganisation dienen (Schwitalla 2002) und im Zuge der Konversationsanalyse, einem Teilbereich der Linguistik, untersucht und erfasst werden. Sie dienen ferner auch als Gesprächsmarker innerhalb eines Gespräches und können Gesprächskontakt herstellen oder beenden. Interjektionen stellen ferner eine Hürde dar, da diese sowohl ohne lexikalische Bedeutung als Ausdruck von Emotionen (= primäre Interjektionen wie „ och“, „ach“, „pfui“ …), als auch als sekundäre Interjektionen auftreten können. Bei letzteren handelt es sich dann um Ableitungen aus Lexemen, etwa „oh Gott“ (vgl. Nübling 2004). Vagheitsausdrücke finden sich indes beispielsweise häufig in Varietäten der Jugendsprache: Wortverbindungen wie „ und ich so, und er so, …“ ersetzen mittlerweile komplette Satzeinheiten (= „und dann antwortete ich/er“) und gehören in entsprechenden Zielgruppen mittlerweile zum natürlichen Ausdrucksinventar.
Ein weiteres Phänomen, das unter sprachlicher Variation im gesprochenen Deutsch einzuordnen ist, stellt die Verbzweitstellung in durch Kausal- und Konzessivpronomina eingeleiteten Nebensätzen dar. Auch dieses Phänomen stellt Lerner des Deutschen vor erhebliche Probleme, da es in erster Linie den grammatischen Regeln für die Bildung standardsprachlicher deutscher Haupt- und Nebensätzen widerspricht: „ der kann nicht mit ins Kino, weil er hat kein Geld mehr “. Der durch die „ weil “-Konjunktion eingeleitete „Nebensatz“ liefert hierbei die Information bzw. die Begründung für eine im vorausgegangenen Teilsatz getroffene Aussage (vgl. Günthner: 359ff). Ähnlich verhält es sich auch in Konstruktionen, die mit der Konjunktion „ obwohl “ einleiten: „ ich sollte mal anfangen zu lernen. Obwohl, ich hab noch Zeit. “ Im Unterschied zu einer konzessiven Lesart, bei der die Verbstellung am Schluss zu erwarten wäre, wird in dieser Form eine berichtigende bzw. korrigierende Funktion bezüglich des vorangegangen Satzes ausgeübt (vgl. ebd.: 362). Eine abgeschwächtere Variante und damit als Vorlaufelement einer Nichtübereinstimmung zu betrachten stellt „ obwohl “ in Sätzen wie: „ das ist echt das beste Bier. Obwohl, es gibt schon bessere.“ dar.
Unter Sprachvariation fallen darüber hinaus allerdings auch die deutsche Sprache prägenden zahlreichen Mundarten, die zwar bisher im Unterricht meist toleriert, aber viel zu wenig integriert werden, was, so vermutet Studer (2002), dem Umstand geschuldet ist,
dass die ambivalente Einschätzung des Dialekts seitens der LehrerInnen auch mit einer gewissen Verunsicherung zu tun hat, die ihrerseits auf das Fehlen einschlägiger Konzepte zur Integration der Dialekte in das Lehren und Lernen von Fremdsprachen allgemein und in den DaF-Unterricht besonders verweist (Studer: 1).
Auch Baßler & Spiekermann (2001) unterstützen die vollständige Einbindung von Sprachvariationen in den DaF-Lehrplan, die sich laut ihnen schwerpunktmäßig nur auf den lexikalischen Bereich bezieht, „phonologische, prosodische, morphologische und syntaktische Merkmale [aber] vernachlässigt bzw. sprachlich nicht authentisch [darstellt]“ (Baßler / Spiekermann: 5.2). Untermauert wird ihre Forderung zudem durch eine selbst durchgeführte Statistik im Goethe-Institut Freiburg, in der Meinungen bzw. Haltungen gegenüber verschiedenen Mundarten und der Standardsprache sowohl von DaF-Lehrenden als auch Lernenden eingeholt wurden (vgl. Baßler / Spiekermann: 5.1). Die Studie verdeutlicht, dass „Dialektkompetenzen in Alltagssituationen für den Aufbau und die Erhaltung befriedigender kommunikativer Beziehungen [für nicht muttersprachliche Lerner des Deutschen] sehr wichtig sind“ (ebd.: 5.1).
Es versteht sich daher von selbst, dass neben den landeskundlichen Inhalten auch lokal-sprachliche Varietäten in den DaF-Lehrplan mit einbezogen werden sollten; unter Berücksichtigung des aber meist erst mittelmäßig ausgeprägten Sprachniveaus sollte dabei allerdings der „Schwerpunkt auf die Ausbildung des Hörverstehens [gelegt werden] ohne aber auf aktive regionalsprachliche Kompetenzen zu insistieren“ (ebd.: 5.1). Dies könne beispielsweise durch authentische Alltagsgesprächssituationen, wie etwa Gespräche beim Einkaufen, Arzt, Metzger, etc. erzielt werden. Der Vorteil liegt darin, dass neben der Schulung des Hörverständnisvermögens so auch gleichzeitig natürliche kommunikative Kompetenzen erworben werden können in Hinblick auf die dialektale Umgebung (vgl. ebd.: 5.2). Aufgrund der Dialektvielfalt, die im deutschsprachigen Raum vorzufinden ist, sehen Baßler & Spiekermann das Medium Internet als nützliches Hilfsmittel, um den verschiedenen Mundarten durch Text- und Übungsbeispiele zu begegnen. Zudem erachten sie die Sensibilisierung fremdsprachlicher Deutschlernender für die Existenz von Varietäten der deutschen Sprache als sinnvoll – beispielsweise durch die Einbindung von Hörtexten mit Sprachaufnahmen aus den verschiedenen Dialektgebieten Deutschlands. Für die Verwendung dieser Methodik, müsse, so Baßler & Spiekermann weiter, für den DaF-Unterricht außerhalb Deutschlands aber allerdings ein größerer Bezug zu landeskundlichen Inhalten hergestellt werden, da DaF-Lerner im Ausland keine Möglichkeit haben, in direkten Kontakt mit Sprache und Sprechern zu gelangen (vgl. ebd: 5.2).
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1 http://idioms.thefreedictionary.com/Variety+is+the+spice+of+life (27.02.15)
2 Ein extremes Beispiel für sprachlichen Nationalpatriotismus liefert Frankreich und die dort tätige „Académie française“
- Citation du texte
- Jannik Streeb (Auteur), 2015, Arbeitsgebiete und Methoden des Faches Deutsch als Fremdsprache. Phänomene des gesprochenen Deutsch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1146075
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