Der gewählte Titel dieser Arbeit zum Thema Narzissmus verdeutlicht bereits treffend, dass über die reine Deskription des klinischen Störungsbildes hinaus ein Bezug zu soziologischen und sozialpsychologischen Fragestellungen hergestellt werden soll. Gibt es Gesellschaftsformen oder gesellschaftliche Systeme in denen die Entwicklung narzisstischer Persönlichkeiten begünstigt wird? Werden in diesem Kontext eventuell bestehende Dispositionen zu narzisstischem Verhalten in kollektiv orientierten und individualistisch geprägten Kulturkreisen unterschiedlich stark gefördert? Kann man einen Zusammenhang herstellen zwischen Narzissmus und solchen Gewalttaten wie beispielsweise dem Amoklauf von Erfurt? Welche Rolle spielen die Medien? Welchen Einfluss hat die Werbung? Solche und ähnliche hypothetische Fragestellungen sollen im dritten Teil ausgiebig diskutiert werden. Voraussetzung für eine solche gesellschaftskritische Diskussion ist allerdings das Wissen um die spezifischen Ausprägungen solcher Persönlichkeitsstörungen. Deswegen soll im zweiten Teil zunächst einmal die Frage beantwortet werden, was denn Narzissmus eigentlich ist. Dies schließt eine etymologische Zuordnung des Wortes Narzissmus genauso ein, wie eine kritische Auseinandersetzung mit den laienhaften Vorstellungen von Narzissmus. Eine deskriptive Darstellung des Störungsbildes sowie eine Abgrenzung unterschiedlicher Formen von Narzissmus markieren die Überleitung zum dritten Teil, welcher sich mit den eingangs erwähnten Hypothesen und Fragestellungen beschäftigt.
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
II.Was ist Narzissmus?
1.) Etymologie
2.) Laienhafte Vorstellungen von Narzissmus
3.) Deskriptive Merkmale narzisstischer Persönlichkeiten
4.) Infantiler vs. pathologischer Narzissmus
III.Narzissmus & Gesellschaft
1.) Die Rolle der Medien
a) Werbung & Marketing
b) Film & Fernsehen
c) Internet & Virtual Reality
2.) Aktuelle Bezüge: Amok & Terror
3.) Individualistische vs. kollektivistische Kulturen
IV.Zusammenfassung
V.Literaturverzeichnis
I. EINLEITUNG
Der gewählte Titel der vorliegenden Hausarbeit zum Thema Narzissmus verdeutlicht bereits treffend, dass über die reine Deskription des klinischen Störungsbildes hinaus ein Bezug zu soziologischen und sozialpsychologischen Fragestellungen hergestellt werden soll. Gibt es Gesellschaftsformen oder gesellschaftliche Systeme in denen die Entwicklung narzisstischer Persönlichkeiten begünstigt wird? Werden in diesem Kontext eventuell bestehende Dispositionen zu narzisstischem Verhalten in kollektiv orientierten und individualistisch geprägten Kulturkreisen unterschiedlich stark gefördert? Kann man einen Zusammenhang herstellen zwischen Narzissmus und solchen Gewalttaten wie beispielsweise dem Amoklauf von Erfurt? Welche Rolle spielen die Medien? Welchen Einfluss hat die Werbung? Solche und ähnliche hypothetische Fragestellungen sollen im dritten Teil ausgiebig diskutiert werden. Voraussetzung für eine solche gesellschaftskritische Diskussion ist allerdings das Wissen um die spezifischen Ausprägungen solcher Persönlichkeitsstörungen. Deswegen soll im zweiten Teil zunächst einmal die Frage beantwortet werden, was denn Narzissmus eigentlich ist. Dies schließt eine etymologische Zuordnung des Wortes Narzissmus genauso ein, wie eine kritische Auseinandersetzung mit den laienhaften Vorstellungen von Narzissmus. Eine deskriptive Darstellung des Störungsbildes sowie eine Abgrenzung unterschiedlicher Formen von Narzissmus markieren die Überleitung zum dritten Teil, welcher sich mit den eingangs erwähnten Hypothesen und Fragestellungen beschäftigt. Eine Zusammenfassung der Themen findet sich im vierten und letzten Teil dieser Arbeit.
II. WAS IST NARZISSMUS?
1.) Etymologie
Die Herkunft der in der Psychiatrie und Psychologie verwendeten Termini wie Narzissmus, narzisstisch, Narzisst usw., lässt sich zurückführen auf die vielfältig faszinierende Welt der griechischen Mythologie. In diesem Falle interessiert uns die Überlieferung der Sage um den schönen Jüngling Narkissos (Narziss), dessen Name nun viele Zeitalter später als Wortstamm für die besagte Persönlichkeitsstörung herhalten muss. Zum besseren Verständnis, wie es denn zu dieser für Narkissos recht unvorteilhaften Verknüpfung kam, sei dessen Geschichte im folgenden kurz skizziert. Narkissos1, der schöne Sohn des Flussgottes Kephissos, verschmähte die leidenschaftliche Liebe der anmutigen Bergnymphe Echo und wurde deshalb, von der in diesem Falle wenig erfolgreichen und beleidigten Liebesgöttin, mit unstillbarer Selbstliebe bestraft. Narkissos, dem Element des Wassers in Funktion eines Spiegels recht zugeneigt, beugte sich nun infolgedessen die holde Weiblichkeit ignorierend über den Fluss seines Vaters um sich darin selbstverliebt zu betrachten.2 Diese überschäumende Egomanie führte letztendlich bei dem Versuch der Selbstumarmung des unerreichbaren Spiegelbildes zum Tod durch Ertrinken. Er verzehrte sich also buchstäblich vor Gram, weil ihm der Gegenstand seiner Sehnsucht ewig unerreichbar blieb, was letztendlich zu seinem eigenen Ende führte. Die nach ihm benannte weiße Blume gilt als Sinnbild kalter, herzloser Schönheit. Nach ihm bezeichnete der einflussreiche Psychoanalytiker Siegmund Freud als Erster jene Persönlichkeitsstörung, die heute unter dem Namen Narzissmus allgemein bekannt ist. Es existieren viele mehr oder weniger psychoanalytisch gefärbte Interpretationen dieser dramatischen Geschichte.
Einen kurzen Ausschnitt der Interpretation des Philosophen Arnulf Marzluf möchte ich an dieser Stelle einfügen:
„Es geht hierbei nicht hauptsächlich um die Liebe zum eigenen Antlitz, sondern um die Unerreichbarkeit des Geliebten. Das Schattenbild im Wasser ist aber nicht Narziss selbst, sondern eben ein Abbild, und es liegt nahe anzunehmen, dass mit dem Geliebten, das er nie besitzen kann, weniger ein Schönes, als die Schönheit selbst gemeint ist als Idee, die als Gestalt im Wasser erscheint. Ihre Faszination bei gleichzeitiger Unbesitzbarkeit gereicht Narziss zur tödlichen Sehnsucht. Zudem gilt in allen primitiven Vorstellungen das Schatten- und Spiegelbild als Seele, die doppelgängerisch mit dem Menschen verbunden ist.“ (Marzluf, 1976)3
2.) Laienhafte Vorstellungen von Narzissmus
Die Vorstellung von Laien über das was Narzissmus ausmacht, weicht bei genauerer Betrachtung doch erheblich von der tatsächlichen Komplexität dieses Störungsbildes ab und stellt deshalb oft eine grobe Simplifizierung der klinischen Realität dar. Im Volksmund ist ein Narzisst jemand, der in erster Linie auf oberflächliche Schönheit wert legt. Dies schließt eine übertrieben Kosmetik sowie ein unverhältnismäßiges konsumieren teurer Bekleidung oder anderer prestigeträchtiger Luxusgüter mit ein. Darüber hinaus werden persönlichkeits- beschreibende Adjektive wie ü berheblich, arrogant, eingebildet, angeberisch, ehrgeizig und selbstbewusst oft fälschlicherweise synonym mit dem Begriff narzisstisch verwendet. Jedoch werden wir im folgenden noch sehen, dass all diese Eigenschaften durchaus in unterschiedlicher Ausprägung Bestandteil der Gesamt- Charakteristik einer narzisstischen Persönlichkeit sein können. Eine laienhafte Reduzierung auf einige wenige dieser Eigenschaften allerdings, wäre angesichts der Vielschichtigkeit dieses Phänomens völlig unzulässig und würde den klinischen Tatsachen einfach nicht gerecht.
3.) Deskriptive Merkmale narzisstischer Persönlichkeiten
Aufgrund der Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen narzisstischer Störungen kann die folgende Beschreibung keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Eine weiterführender Vergleich mit verwandten Störungsbilder muss leider entfallen, da ein solcher Versuch zwangsläufig den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Zu nennen wäre hier beispielsweise die histrionische-, dissoziale- sowie Borderline-Pers ö nlichkeitsst ö rung. 4 Nach Otto F. Kernberg (1983) gibt es eine Gruppe von Patienten deren Hauptproblem in einer Störung ihres Selbstwertgefühls im Zusammenhang mit spezifischen Störungen in ihren Objektbeziehungen5 zu bestehen scheint. Für diese Patienten schlägt Kernberg den Terminus narzisstische Pers ö nlichkeit vor. Diese weisen bei oberflächlicher Betrachtung möglicherweise keinerlei schwere Verhaltensstörungen auf. Im Gegenteil dazu sind viele solcher Patienten sogar sozial äußerst gut angepasst, funktionstüchtig und besitzen häufig einen hohen sozialen und finanziellen Status. Bei näherer Betrachtung fallen solche narzisstischen Persönlichkeiten jedoch auf durch ihre übermäßige Selbstbezogenheit im Umgang mit anderen Menschen und ihr starkes Bedürfnis von anderen geliebt und bewundert zu werden. Hier offenbart sich ein immenser Widerspruch zwischen einem künstlich aufgeblasenen Selbstkonzept und gleichzeitig einem maßlosen Bedürfnis nach Bestätigung durch andere. Selbstkonzept ist hier im Sinne eines großartigen Image zu verstehen, welches der Narzisst auf Kosten seines wahren defizitären Selbst pflegt. Gefühle die diesem Image widersprechen werden einfach verleugnet (Lowen, 1992). Sie empfinden wenig Empathie oder Interesse für die Gefühle anderer.
Man kann sagen, dass diese Menschen nach der Definition Golemans (1997)6 eine niedrige oder gar keine Emotionale Intelligenz besitzen. Einzige Quellen der Lebensfreude sind Selbstbestätigungen durch andere Menschen oder eigene Größenfantasien. Stehen keine Quellen der Selbstbestätigung mehr zur Verfügung, leiden sie schnell unter Langeweile und innerer Leere. Auch ist ein starker Neid auf andere zu beobachten, die etwas besitzen, was sie nicht haben. Hiermit sind auch immaterielle Dinge wie z.B. Freude gemeint. Ferner besteht eine starke Neigung Menschen von denen narzisstische Gratifikationen zu erwarten sind stark zu idealisieren. Sind von den zuvor idealisierten Personen keine Gratifikationen mehr zu erwarten, werden diese entwertet und verachtet. Hier offenbart sich der rücksichtslos ausbeuterische bzw. parasitäre Charakter. Diese Menschen nehmen für sich das Recht in Anspruch, über andere Menschen nach belieben zu verfügen, sie zu beherrschen und diese auszunutzen. Schuldgefühle natürlich ausgeschlossen. Doch die arrogante, herrschsüchtige Einstellung erweist sich nach gründlicher Analyse häufig als Abwehrmechanismus gegen paranoide Tendenzen. Diese Persönlichkeiten sind, wie das nachfolgende Zitat verdeutlicht, zutiefst zerrissen in ihrer inneren Widersprüchlichkeit:
„Häufig werden solche Patienten als sehr Abhängig angesehen, weil sie so stark auf Bewunderung und Bestätigungen durch andere angewiesen sind, aber im Grunde sind sie völlig außerstande eine echte Abhängigkeit zu entwickeln, d.h. sich auf einen anderen Menschen wirklich zu verlassen und zu vertrauen, weil sie zutiefst misstrauisch sind und andere verachten.“ (Kernberg, 1983)7
Ein weiteres Charakteristikum solcher Menschen ist das Fehlen echter und tief empfundener Gefühle von Traurigkeit, Sehnsucht und Bedauern.
Kernberg (1983) sieht im Unvermögen zu echten depressiven Reaktionen einen Grundzug narzisstischer Persönlichkeiten. Jedoch sind Narzissten nach einer Enttäuschung oder Zurückweisung durchaus in Lage starke Gefühle von Wut und Empörung zu zeigen, woraus impulsive Rachebedürfnisse resultieren können. Verstehbar werden solche Affekte durch die Tatsache, dass bei solchen Menschen Größenfantasien und Omnipotenzgefühle mit starken Minderwertigkeitskomplexen alternieren. Eine mangelhaft ausgeprägte oder gar fehlende Impulskontrolle8 kommt oft noch erschwerend hinzu. Vor diesem Hintergrund wirkt ihre Befähigung zu äußerst aktiver und beharrlicher Arbeit in spezifischen Bereichen überraschend. Eine Erfüllung ihrer Größenambitionen vorausgesetzt, können hochintelligente Narzissten auf führenden Positionen in der Industrie, oder auch in akademischen Berufen hervorragendes leisten. Auch in kreativen künstlerischen Bereichen sind Narzissten häufig anzutreffen. Bei Betrachtung über einen längeren Zeitraum, fallen deren Arbeiten allerdings oft durch Anzeichen von Oberflächlichkeit und einen Mangel an Tiefe auf. Solche und andere Tätigkeiten sollen dem Narzisst die dringend benötigte Anerkennung anderer Menschen sichern, während er gleichzeitig immer darum bemüht ist, die Leere und Substanzlosigkeit hinter einer glänzenden Fassade dauerhaft zu verbergen. Diese glänzende Fassade kann das bereits erwähnte maßlose Konsumieren überteuerter Luxusgüter und eine übertriebene Kosmetik mit einschließen. Die Rolle der Kleidung ist für den Aufbau eines gewünschten großartigen Image natürlich besonders gut geeignet. Auf diesen Aspekt möchte ich im dritten Abschnitt näher eingehen, in dem es unter anderem um die Rolle der Medien und den starken Einfluss der allgegenwärtigen Werbeindustrie geht.
4.) Infantiler vs. pathologischer Narzissmus
In diesem Abschnitt möchte ich durch die Abgrenzung unterschiedlicher Formen und Schweregrade narzisstischer Störungen der Vorstellung entgegenwirken, dass narzisstische Bestrebungen lediglich bei schwerst gestörten Individuen zu beobachten sind. Narzisstische Manifestationen sind im Gegenteil dazu sowohl bei kleinen Kindern, als auch in der weiteren Adoleszenz bei Jugendlichen verstärkt zu beobachten. Als Beispiel sei hier die bereits erwähnte mangelnde Impulskontrolle genannt, die zum Stereotyp des unreifen Jugendlichen ebenso dazugehört, wie eine verstärkte Beschäftigung mit der eigenen Person und Feststellung der eigenen Großartigkeit. Diese Manifestationen müssen sich jedoch im weiteren Verlauf des emotionalen und kognitiv-intellektuellen Reifeprozesses dieser jungen Menschen, gerade auch im Kontext soziokultureller Einflüsse, nicht zwangsläufig zu pathologischen Formen entwickeln:
„Die moderne Entwicklungspsychologie bestätigt zwar, dass das Jugendalter sowohl für die Jugendlichen selbst als auch für Ihre Eltern eine Zeit von Aufregung und Angst, von Glück und Belastung, von Neuentdeckungen und auch von Erstaunen und Verwirrung ist. Zugleich hat die wissenschaftliche Perspektive dieses „negative“ Bild sehr stark relativiert und (...) ,die Bewältigungsfähigkeit des Jugendlichen stärker betont. Das Jugendalter ist offensichtlich schon immer vom Auftreten intensiver Gefühle, von Stimmungsschwankungen und dem (manchmal) deutlichen Ausdruck eigener Gefühle und Bedürfnisse geprägt. Der Umgang mit diesen Gefühlen scheint somit ein zentrales Thema gerade für das Jugendalter zu sein, das als eine Entwicklungsphase gilt, die mit der Biologie beginnt und in der Gesellschaft endet.“ (Zimmermann, 1999)9
Für narzisstische Manifestationen im Kindesalter wird der Terminus infantiler Narzissmus verwendet. Diese kindliche Form unterscheidet sich (nach Kernberg, 1983) von den pathologischen Formen des Narzissmus in folgenden Merkmalen. Die Größenfantasien normaler Kleinkinder und ihre wütenden Anstrengungen die Mutter oder Spielkameraden unter Kontrolle zu halten, sowie das ständige Bestreben im Mittelpunkt zu stehen, sind um ein Vielfaches realitätsgerechter, als das bei pathologisch narzisstischen Persönlichkeiten der Fall ist. Bei kleinen Kindern findet man neben Überreaktionen auf Kritik und Misserfolg immer auch Äußerungen echter und tief empfundener Liebe, Interesse und Dankbarkeit für andere Menschen. Zudem kommt eine Fähigkeit sich vertrauensvoll von wichtigen Objekten (z.B. der Mutter) abhängig zu fühlen hinzu. Dies ist etwas, das pathologische Narzissten mit allen zur Verfügung stehenden Abwehrmechanismen primitiver oder höherer Art zu vermeiden suchen. Darüber hinaus zeigt sich normaler infantiler Narzissmus in einer Anspruchshaltung des Kindes, die sich auf reale Bedürfnisse bezieht, während der schwer gestörte Narzisst sich in übermäßigen und überwiegend unerfüllbaren Ansprüchen ausdrückt. Die emotionale Kälte und die abweisende Haltung pathologischer Narzissten, sowie deren Tendenz zur Missachtung anderer Menschen, sind offensichtlich diskrepant zur lustvollen Selbstbezogenheit eines Kindes. Die normalen infantilen Fantasien von Macht, Reichtum und Erfolg, beinhalten keinen alleinigen Besitzanspruch auf alles Beneidenswerte. Dies ist aber eine charakteristische Fantasie narzisstischer Individuen. Sie wollen als alleinige Besitzer solch wertvoller Güter von allen bewundert und beneidet werden. Bei Kindern sind solche Fantasien von Großartigkeit verknüpft mit dem Wunsch, liebenswert und akzeptabel für diejenigen zu werden, die das Kind liebt und von denen es geliebt werden möchte.
Diese Formen kindlich-narzisstischer Bestrebungen sollten bei normal verlaufender Entwicklung zum Erwachsenen durch reife Zielsetzungen, Ideale und realistische Erwartungen ersetzt werden. Ist dies nicht der Fall spricht man von einer Regression des normalen Erwachsenen zum normalen infantilen Narzissmus. Eine derartige Fixierung oder Regression auf infantil neurotische Konflikte gilt als die relativ leichteste Form narzisstischer Störungen bei Erwachsenen, welche der ersten Stufe der Pathologie des Narzissmus entspricht, wie sie Kernberg (1983) formuliert hat. Der zweite Schweregrad narzisstischer Störungen ist in Fällen erreicht, in denen das Individuum in seiner inneren Vorstellung wie auch im äußeren Leben, sich ständig und dauerhaft mit einem Bestimmten Objekt identifiziert und Objekte liebt, die projektiv für sein eigenes gegenwärtiges oder früheres Selbst stehen. Diese Objekte müssen nicht zwangsläufig idealisierte Personen, also reale Menschen sein. Wie wir im dritten Teil noch sehen werden, können auch Gegenstände bzw. Produkte für diese Funktion der projektiven Übertragung herhalten. Die dritte und schwerste Stufe narzisstischer Störung geht mit einer noch erheblich Verschlechterung der Objektbeziehungen einher. Hier besteht zwischen dem Selbst des Narzissten und externen Objekten keinerlei Beziehung mehr. Externe Objekte bzw. Personen werden überhaupt nicht mehr als eigenständig existierende Individuen wahrgenommen. Es bestehen lediglich mehr oder weniger temporäre Beziehungen zwischen einem primitiven pathologischen Gr öß en-Selbst 10 und einer zeitweiligen Projektion eben dieses übersteigerten Selbst auf bestimmte Objekte. Hier verlaufen die Beziehungen nicht mehr von Selbst zu Objekt oder von Objekt zu Selbst (siehe erste und zweite Stufe), sondern nunmehr ausschließlich von Selbst zu Selbst. Laut DSM-IV sind 50-75% der Personen mit der Diagnose Narzisstische Pers ö nlichkeitsst ö rung männlich.
III. NARZISSMUS & GESELLSCHAFT
1.) Die Rolle der Medien
a) Werbung & Marketing:
Das unglaublich Ausmaß in dem jedes einzelne Individuum unserer Gesellschaft den Werbebotschaften ausgesetzt ist, kann nicht ohne Folgen für die Psyche dieser Individuen bleiben. Die ständige Präsenz der Marketing-Maschinerie in allen verfügbaren Medien kommt einem gezielten „ Brainwashing “ ziemlich nahe. Bei der Schaffung aktueller Werbekonzepte wird psychologisches Fachwissen aus den Bereichen Kognitions-, Persönlichkeits- und Sozialpsychologie genutzt, um die Werbemaßnahmen noch wirksamer zu gestalten. So gut wie alle Produkte werden mit immer wiederkehrenden Prädikaten wie neu, wertvoll, exklusiv und besser angepriesen. Die konkurrierenden Werbeagenturen überbieten sich hierbei mit Superlativen und oft absurd wirkenden Neologismen. Auf diese Weise wird dem potenziellen Kunden vermittelt, dass diese neuen Produkte etwas Besonderes sind und außergewöhnlich zur Verbesserung seiner Lebensqualität beitragen. Bei prestigeträchtigen Luxusgütern wird diese Strategie besonders offensichtlich. Durch den Kauf solcher Produkte soll sich das exklusive Image und die Besonderheit auf den Käufer übertragen, wodurch sich der narzisstische Käufer von den durchschnittlichen Menschen abgrenzen kann. Seine Vorstellung von einer durch Luxusartikel aufgewerteten Einzigartigkeit fällt oftmals wie ein Kartenhaus in sich zusammen, wenn z.B. auf einer Party festgestellt wird, dass eine andere Person dasselbe Produkt trägt. Eine Entwertung des zuvor idealisierten alten Produkts tritt ein, woraus sich eine gesteigerte Konsumsucht nach neuen Artikeln ergibt, die dem Konsumenten erneut für einen begrenzten Zeitraum narzisstische Gratifikationen sichern. Die Ziele der Werbeindustrie liegen somit auf der Hand. Dieser ständig wiederkehrende Prozess von Idealisierung, Entwertung und Neuorientierung wird absichtlich forciert, um ein dauerhaftes Konsumieren neuer Produktlinien zu gewährleisten. Ein solches Marketing bietet einer narzisstischen Persönlichkeit also vielfältige Möglichkeiten zu kompensatorischer Befriedigung und stellt somit einen idealen Nährboden für narzisstische Bestrebungen dar. Überträgt man diesen Sachverhalt von der Produktebene auf eine gesellschaftliche, so lässt sich durchaus auch dort ein Trend zur Entwertung alter „Dinge“, materiell wie immateriell, feststellen:
„Wie ihre bürgerlichen Eltern folgten sie der Devise, dass nur das Neue schön sei, und entwickelten fast ein phobisches Desinteresse an jeglicher Tradition und dem Denken der bedeutendsten Köpfe, die die Menschheit hervorgebracht hat.“ (Fromm, 1980)11
An dieser Stelle möchte ich näher auf die Ziele der Industrie in Bezug auf den Konsumenten eingehen, wie sie in der Fachliteratur definiert werden. Hier unterscheidet man nach Kroeber-Riel (1992)12 vier mögliche Funktionen der Werbung:
1.Sie soll informieren
2.Sie soll motivieren
3.Sie soll sozialisieren
4.Sie soll verstärken
Werbung soll nach Kroeber-Riel gemäß dem dritten Punkt „ Normen und Modelle f ü r das Konsumverhalten bereitstellen “ , und Felser (2001) fügt ergänzend hinzu: „ Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn die Werbung Verhaltensm ö glichkeiten zeigt, die normal sind oder sein k ö nnen. Gerade in solchen F ä llen sozialisiert sie. “ Kinder und Jugendliche werden in dieser Hinsicht bereits sehr früh sozialisiert und übernehmen Einstellungen und Gewohnheiten, die durch die Eltern entsprechend kolportiert werden. Die Familien und auch Peer- Gruppen 13 tragen somit unfreiwillig dazu bei, dass Werbebotschaften weiter verbreitet und verinnerlicht werden. Zielgruppenorientiertes Marketing, welches narzisstische Gratifikationen in Aussicht stellt, findet sich auch in der Gastronomie des modernen Nightlife. Besonders Diskotheken und Clubs fördern durch eine diskriminierende Auswahl potenzieller Kunden eine Aura des Elitären. Entspricht ein Kunde äußerlich nicht dem gewünschten Idealtypus, so wird der Einlass verweigert. All diejenigen denen Einlass gewährt wird, können sich in narzisstischer Manier der Bewunderung der Ausgegrenzten sicher sein, da man fortan zu einem Kreise der Auserwählten gehört. Die Hypothese, dass narzisstische Persönlichkeiten zu solchen spezifischen Formen der Freizeitgestaltung neigen, ist eine in diesem Zusammenhang besonders interessante Fragestellung und wäre sicherlich eine empirische Überprüfung wert.
b) Film & Fernsehen:
Das die Traumfabrik Hollywood mit ihren fiktiven Leinwandabenteuern dem Kinobesucher immer auch die Möglichkeit zur Identifikation mit den Protagonisten der Filme gibt, ist nichts Neues und nicht unbedingt mit jener überhöht idealisierten Identifikation eines Narzissten vergleichbar. Obwohl die Verehrung von Filmhelden durch pubertierende Jugendliche bisweilen groteske Formen annehmen kann. Doppelt befremdlich wird dieser Umstand dadurch, dass die idealisierten Figuren des Films oft gefühlskalte, rücksichtslose Gewalttäter sind, was wiederum Interpretationen in Richtung Narzissmus zulässt. Die Entwicklungen des privaten Fernsehens seit Beginn der 90er Jahre lassen in dieser Hinsicht allerdings noch viel konkretere Erkenntnisse zu. Es ist für den Normalbürger viel einfacher geworden im Fernsehen selbst präsent zu sein. Das geht über sämtliche Formen der Gameshows und Quiz-Sendungen, bis hin zum weltweit erfolgreichen Big Brother-Experiment. Einfache Menschen ohne erkennbare Talente werden über Nacht zu bewunderten Stars. Solche Sendungen sind für narzisstische Persönlichkeiten also ideale Plattformen, um schnell an Gratifikationen großen Ausmaßes zu kommen. Besonders interessant ist das Format der sogenannten Daily-Talkshows. Hier findet jeder noch so defizitäre Charakter auf täglicher Basis die Möglichkeit sich in egomanischer Weise zu produzieren und sein aufgeblähtes Selbstkonzept aufdringlich großartig in die Fernsehwelt hinaus zu posaunen. Da die Gäste dieser Shows sehr häufig Jugendliche sind, liegt der Schluss nahe, dass die dort gezeigten narzisstischen Verhaltensweisen eher den bereits beschriebenen temporären infantilen Formen zuzuordnen sind, wie sie für die Adoleszenz typisch sind, was ebenfalls empirisch zu beweisen wäre. Auch steht das häufig geringe Bildungsniveau und der niedrige Status dieser Klientel auffällig im Widerspruch zum Typus des sozial hervorragend angepassten, erfolgreichen und hoch gebildeten Narzissten, der sich angesichts der inflationären Vielfalt solcher Talkshows sicher von dieser Möglichkeit abwendet, da ein solches Massenphänomen nicht seinen Kriterien von exklusiver Einzigartigkeit genügen kann. Darüber hinaus würde dieser sich niemals mit dem „ ungebildeten Talkshow-P ö bel “ abgeben wollen.
c) Internet & Virtual Reality:
Neben den erwähnten klassischen Werbemöglichkeiten, bieten die sogenannten neuen Medien multimediale Möglichkeiten der Kundenwerbung und Kundenbindung. Das weltweit erfolgreiche Internet ist hierfür das neue Medium schlechthin. In diesem Abschnitt möchte ich jedoch auf einen anderen Aspekt eingehen. Die Bestrebungen narzisstischer Menschen ein großartiges Image aufzubauen, das wenig oder gar nichts mit der eigenen als minderwertig eingestuften Persönlichkeit zu tun hat, wurden im deskriptiven Teil ausgeführt. Das Internet bietet viele Möglichkeiten sich anderen in einer künstlich konstruierten grandiosen Selbstdarstellung zu Präsentieren. Menschen die in der Realität vielleicht nicht zu den attraktiven Exemplaren unserer Gattung gehören und gleichsam wenig erfolgreich sind, mutieren z.B. in so bezeichneten Chat-Rooms 14 zu großen blonden und erfolgreichen Karrieremenschen. Diese narzisstische Metamorphose beginnt bei der harmlosen Nutzung eines Pseudonyms und endet mit der völligen Verleugnung der eigenen Person. Eine weitere Möglichkeit narzisstischer Imagepflege im Internet ist die Bereitstellung einer eigenen Homepage, wobei fein unterschieden werden muss zwischen der eindeutig sachorientierten Homepage (z.B. für Bewerbungen) mit realitätskonformen Inhalten und eben jenen Seiten, die lediglich eine übersteigerte Selbstdarstellung zum Ziel haben. Das World Wide Web hält jedoch noch steigerungsfähige Möglichkeiten narzisstischer Realitätsentfremdung bereit: Online-Computerspiele. In sogenannten Rollenspielen wird der am heimischen PC Sitzende in die Lage versetzt, selbst einen heroisch-mächtigen Charakter zu kreieren, in dessen Rolle zu schlüpfen, diesen durch eine virtuelle Welt zu manövrieren, um mit anderen ebenfalls artifiziellen Individuen zu interagieren und natürlich zu kämpfen. Ist das Endziel des Spiels nach einem Sieg seines Größen-Selbst erreicht, taugt dieses Spiel nicht mehr für Gratifikationen narzisstischer Art und man konsumiert einfach ein neues. Es gibt auch Spiele in denen man sofort die Rolle eines omnipotent wirkenden Gottes einnimmt, welcher die machtlosen Menschen nach Gutdünken willkürlich kontrollieren, beherrschen und bestrafen kann. Die besondere Nähe zu pathologischen Allmachtsfantasien narzisstischer Persönlichkeiten muss hier eigentlich nicht mehr gesondert erwähnt werden. Solche Computerspiele werden in wachsendem Maße, oft von Jugendlichen, in suchtähnlicher Form konsumiert und können die Wahrnehmung der Grenze zwischen virtueller und tatsächlicher Realität stark beeinträchtigen. Die rasch fortschreitenden Technologien der Computerindustrie ermöglichen die Schaffung immer perfekterer virtueller Welten, was den zuvor beschriebenen Prozess der Entfremdung fortlaufend intensiviert. Die häufig exzessiven Darstellungen aller Formen sadistischer Gewalt und deren Auswirkungen auf die Psyche junger Computerspieler werden derzeit aus aktuellem Anlass äußerst kontrovers Diskutiert. Abschließen möchte ich diesen Teil mit der Frage, ob folgende Thesen zur Gewalt von Hacker (1973)15 auch auf das Verhältnis virtueller Charakter und Computerspieler angewendet werden können:
„Gewalt ist die geheime Botschaft der Massenmedien; in ihren Konfliktlösungsmodellen wird der gerechtfertigte, vorschnelle, sogar präventive Gebrauch von Gewalt ermutigt. Der Held ist nicht weniger, sondern erfolgreicher, oft auch rascher brutal. Gerechtfertigte Gewalt verführt zur Nachahmung sowohl der Rechtfertigung wie der Gewalt.“
2.) Aktuelle Bezüge: Amok & Terror
Betrachtet man die unglaublichen Ereignisse der letzten Monate, wie zum Beispiel den Amoklauf von Erfurt oder den Anschlag auf das World Trade Center in New York, mit den Augen eines Psychoanalytikers, so treten narzisstische Beweggründe offensichtlich ja aufdringlich zu Tage. Betrachten wir zunächst einmal die Tat des Schülers, der an einem Erfurter Gymnasium ein Blutbad anrichtete. Robert Steinh ä user bestand zum wiederholten male die Abiturprüfungen nicht und es drohte der Schulverweis. Diesen Umstand könnte man durchaus als narzisstische Kr ä nkung bezeichnen, aus der ein völliger Verlust der Impulskontrolle und ein überwältigendes Rachegefühl resultierte. Der Tatverlauf zeigt deutlich den schwersten Grad narzisstischer Persönlichkeitsstörung, welcher durch maximal gestörte Objektbeziehungen gekennzeichnet ist. Um in dieser Art und Weise gezielt
17 Menschen hinzurichten, mussten diese für den Täter zu entmenschlichten störenden Objekten werden, die in narzisstischer Wut gerechtfertig eliminiert werden können. Oft ist im Zusammenhang mit dieser Tat von Nachahmung die Rede. Da ähnliche Vorfälle in den USA massiv durch die Medien vermarktet wurden, erschloss sich dem Täter hier vielleicht eine Möglichkeit traurige Berühmtheit zu erlangen. Ehemalige Mitschüler berichteten einen ständigen Drang nach Aufmerksamkeit und ein großspuriges Auftreten mit Worthülsen wie „ irgendwann bin ich eine gro ß e Nummer “, was aber keiner so richtig ernst nahm. Im übrigen war Robert S. Fan sogenannter Ego-Shooter. Das sind Computerspiele bei denen man alles aus der Ich-Perspektive sieht (!) und mit allen erdenklichen Feuerwaffen um sich schiessend durch eine virtuelle Welt wandelt. Vor monokausalen Erklärungsansätzen in diesem Zusammenhang möchte ich jedoch warnen, da solche Vereinfachungen definitiv nicht richtig sein können.
Jene muslimischen Gotteskrieger, die sich in religiösem Wahn für den Heiligen Krieg hingeben und unzählige unschuldige Menschen mit in den Tod reißen, repräsentieren eine noch pervertiertere Art narzisstischer Selbstaufopferung. Terror als gerechtfertigtes Mittel der Rache, zur Verwirklichung narzisstischer Ziele. Der zu erwartende Lohn dieser Bemühungen: Post mortem für alle Zeit als Märtyrer des Islam gottgleich verehrt zu werden. Gibt es ein narzisstischeres Motiv? Auch zeigt die manische Verehrung des Osama Bin Laden und anderer radikal-islamischer Anführer eine narzisstische Idealisierung in Reinkultur. Hier möchte ich einmal mehr die Thesen zur Gewalt von Hacker (1973) bemühen, da diese äußerst treffende Gedanken enthalten:
„Die Legitimierung von Gewalt bedient sich des Etikettenschwindels: Eigene Gewalt wird als Notwendigkeit, natürliches Recht, Pflicht, Selbstverteidigung und Dienst an höheren Zielen dargestellt und empfunden.“
3.) Individualistische vs. kollektivistische Kulturen
Durch die vorangegangenen Ausführungen dürfte klar geworden sein, dass es erhebliche Einflüsse soziokultureller Art gibt, die eventuelle Dispositionen zu narzisstischem Verhalten beeinflussen. Die kulturelle Ausrichtung der westeuropäischen Länder sowie der United States of America ist eine individualistische. Kinder werden zum Individualismus erzogen und wachsen auf mit der Erkenntnis etwas Besonderes zu sein. Dem Kind wird vermittelt, dass man sich gegebenenfalls „ mit den Ellbogen “ gegen andere durchsetzen muss, um die eigenen Ziele zu erreichen. Dieses Selbstverständnis des Individuums ist die Grundlage des kapitalistischen bzw. marktwirtschaftlichen Systems und findet in diesem seine logische Konsequenz.
Ich halte diese Verbindung im Hinblick auf eine mögliche Förderung narzisstischer Verhaltensweisen für besonders problematisch, da aus dieser Kombination eine kulturelle Egomanie pathologischer Güte hervorgegangen ist.
„Eine Gesellschaft, die die natürliche Umwelt dem Profit und der Macht opfert, verrät, dass sie für menschliche Bedürfnisse unempfindlich ist. Die Verbreitung materieller Güter wird zum Maßstab des Fortschritts im Leben, (...) Wenn Reichtum einen höheren Rang einnimmt als Weisheit, wenn Bekanntheit mehr bewundert wird als Würde, wenn Erfolg wichtiger ist als Selbstachtung, überbewertet die Kultur selber das Image, und man muss sie als narzisstisch ansehen.“ (Lowen, 1992)16 In Kulturen in denen dem Kollektiv mehr Bedeutung zukommt, das ist bei vielen asiatischen Ländern der Fall, wachsen Kinder im Selbstverständnis auf Teil einer Gruppe zu sein und sehen sich dazu verpflichtet, die eigenen Ziele denen der Gruppe unterzuordnen. Soziale Kompetenzen werden in besonderer Weise gefördert, da das empathische Miteinander zur Wahrung der Harmonie oberste Priorität hat. In welchem der beiden beschriebenen Kulturkreise wird die Generierung narzisstischer Persönlichkeiten wohl eher begünstigt? Die Unterscheidung zwischen Gesellschaftsformen des Habens und des Seins nach Fromm (1980) ist für diese Fragestellung von nicht zu unterschätzendem Wert:
„Doch der Unterschied zwischen Sein und Haben ist nicht identisch mit dem Unterschied zwischen östlichem und westlichem Denken. Er entspricht vielmehr dem Unterschied zwischen dem Geist einer Gesellschaft, die den Menschen zum Mittelpunkt hat, und dem Geist einer Gesellschaft, die sich um Dinge dreht. Die Haben-Orientierung ist charakteristisch für den Menschen der westlichen Industriegesellschaft, in welcher die Gier nach Geld, Ruhm und Macht zum beherrschenden Thema des Lebens wurde.“17
Diskrepant wird es dort, wo die traditionell kollektive Ausrichtung auf eine den Individualismus (und Narzissmus?) fördernde kapitalistische Wirtschaft trifft, wie dies z.B. in Japan der Fall ist. So eine Synthese bleibt natürlich nicht ohne Folgen positiver wie negativer Natur. Gemäss der in dieser Arbeit formulierten Thesen müsste die Tendenz zu narzisstischem Verhalten, nach der Etablierung marktwirtschaftlicher Reformen durch die US-amerikanische Siegermacht18 und dem daraus resultierenden wirtschaftlichen Erfolg Japans, verstärkt zu beobachten sein. Es ist ein Faktum, dass gerade bei den jüngeren Generationen der extreme Drang zum Konsum unübersehbar ist. Tradierte ideelle Werte werden durch materielle ersetzt. Der damit einhergehende Werteverlust und eine steigende Gewaltbereitschaft derjenigen, die dem Leistungsdruck nicht standhalten, sind für japanische Verhältnisse in dieser Ausprägung recht neue Phänomene.
„Das Thema der Globalisierung des Konsums wird natürlich auch in Tokyo ausgespielt, (...) Im Zeitalter der fortschreitenden Liberalisierung des Handels wirken sich die von der kapitalistischen Marktwirtschaft entfesselten Kräfte weltweit homogenisierend aus. (...) Was sich freilich gerade in Japan zeigt, ist, dass der Kapitalismus trotzdem nicht alles platt walzt, nicht alle Unterschiede nivelliert.“ (Coulmas, 2001)19
Ich persönlich bin, was die wirtschaftliche Globalisierung angeht, nicht ganz so optimistisch, weil ich für die problematischen gesellschaftlichen Auswirkungen der marktwirtschaftlichen Expansion keine praktikablen Lösungen sehen kann. Da die individualistisch-narzisstische Gesinnung so tiefgreifender Bestandteil der modernen Marktwirtschaften zu sein scheint, möchte ich mir hier nicht anmaßen konkrete Vorschläge für eine Grundlegende Reform dieser Gesellschaften feil zu bieten.
IV. ZUSAMMENFASSUNG
In der vorliegenden Hausarbeit zum Thema Narzissmus sollte über die reine Deskription des klinischen Störungsbildes hinaus ein Bezug zu soziologischen und sozialpsychologischen Fragestellungen folgender Art hergestellt werden. Gibt es Gesellschaftsformen oder gesellschaftliche Systeme, in denen die Entwicklung narzisstischer Pers ö nlichkeiten mehr als in anderen beg ü nstigt wird? Solche und ähnliche hypothetische Fragestellungen wurden im dritten Teil ausgiebig diskutiert. Voraussetzung für eine solche gesellschaftskritische Diskussion war allerdings das Wissen um die spezifischen Ausprägungen solcher Persönlichkeitsstörungen. Aus diesem Grund wurde im zweiten Teil der Arbeit zunächst die Frage beantwortet, was denn Narzissmus eigentlich ist. Dies schloss eine etymologische Zuordnung des Wortes Narzissmus genauso ein, wie eine kritische Auseinandersetzung mit den laienhaften Vorstellungen von Narzissmus. Eine deskriptive Darstellung des Störungsbildes sowie eine Abgrenzung unterschiedlicher Formen von Narzissmus markierten die Überleitung zum dritten Teil, welcher sich mit den eingangs erwähnten Hypothesen und Fragestellungen beschäftigte.
V. LITERATURVERZEICHNIS
Arnold, Eysenck, Meili: Lexikon der Psychologie( Band 2), 1. Auflage Bechtermünz - Verlag (1996)
Coulmas, Florian: Die Deutschen Schreien - Beobachtungen von einem der aus dem Land des L ä chelns kam, 1. Auflage Rowohlt - Verlag (2001)
Felser, Georg: Werbe- und Konsumentenpsychologie, 2. Auflage Spektrum -Verlag (2001)
Friedlmeier/Holodynski (Hrsg.): EmotionaleEntwicklung, 1. Auflage Spektrum -Verlag (1999)
Fromm, E.: Haben oder Sein - Seelische Grundlagen einer neuen Gesellschaft, 5. Auflage Deutscher Taschenbuch -Verlag (1980)
Goleman, D.: Emotionale Intelligenz, 1. Auflage Deutscher Taschenbuch -Verlag (1997)
Hacker, F.: Aggression - Die Brutalisierung der modernen Welt, 1.Auflage Rowohlt Verlag (1973)
Houben, Saß, Wittchen, Zaudig (Hrsg.): Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer St ö rungen, Hogrefe -Verlag (2000)
Kernberg, Otto F.: Borderline-St ö rungen und pathologischer Narzissmus, 1. Auflage Suhrkamp - Verlag (1983)
Lowen, A.: Narzissmus - Die Verleugnung des wahren Selbst, 1. Auflage Goldmann -Verlag (1992)
Menzel, Ulrich (Hrsg.): Im Schatten des Siegers(Band 3): Japan- Ö konomie und Politik, 1.Auflage Suhrkamp-Verlag (1989)
WHO: Internationale Klassifikation psychischer St ö rungen - ICD 10 Kapitel V (F) 4. Auflage Hans Huber Verlag
INTERNET-QUELLEN:
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,2044,OID665550,00.html
http://www.lateinforum.de/thesauru/WdAntike/N/narkisso.htm
http://www.spiegelherz.de/thema.html
http://www.is-bremen.de/~marzluf/narziss2.html
http://www.mdr.de/brisant/themen/index_thema5799.html
[...]
1 Quelle: http://www.lateinforum.de/thesauru/WdAntike/N/narkisso.htm
2 Quelle: http://www.spiegelherz.de/thema.html
3 Quelle: http://www.is-bremen.de/~marzluf/narziss2.html
4 Siehe hierzu Anhang 1 - Diagnostische Merkmale nach ICD-10 & DSM IV
5 Objektbeziehungen = Innere Repräsentanzen äußerer Objekte (Personen, Gegenstände )
6 Goleman, D.: EQ - Emotionale Intelligenz, 1. Auflage Deutscher Taschenbuch -Verlag (1997)
7 Kernberg, Otto F.: Borderline - St ö rungen und pathologischer Narzissmus, (Seite 262, Zeile 18 ff.)
1. Auflage Suhrkamp - Verlag (1983)
8 Impulskontrolle = Fähigkeit Emotionen der Situation angemessen zu äußern bzw. zu kontrollieren
9 Zimmermann, P.: E motionsregulation im Jugendalter (S. 220, Z.12ff), erschienen in Friedlmeier/Holodynski (Hrsg.): Emotionale Entwicklung (1999)
10 Das Größen-Selbst oder auch grandioses Selbst ist ein von Kohut (1971) vorgeschlagener Terminus.
11 Fromm, E.: Haben oder sein - Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (S. 78, Z.15ff), 5.Auflage dtv (1980)
12 Felser, G.: Werbe- und Konsumentenpsychologie, 2.Auflage Spektrum (2001)
13 Peer-Gruppen = Gruppen gleichaltriger Jugendlicher, in denen soziale Bindungen außerhalb der Familie geknüpft werden. Die sozialen Normen und Werte der Peer-Gruppe haben oft einen höheren Stellenwert für die Jugendlichen als die der elterlichen Familien.
14 Chat-Room = Offenes Forum in dem man live schriftlich miteinander kommuniziert
15 Hacker, F.: Aggression - Die Brutalisierung der modernen Welt, (S. 13 ff.)
16 Lowen, A.: Narzissmus - Die Verleugnung des wahren Selbst (S. 7, Z. 19 ff.)
17 Fromm, E.: Haben oder Sein - Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (S.31, Z.10ff.)
18 Menzel, U. (Hrsg.): Im Schatten des Siegers: Japan- Ö konomie & Politik (Suhrkamp)
19 Coulmas, F.: Die Deutschen Schreien - Beobachtungen von einem der aus dem Land des L ä chelns kam (S. 131 f.)
- Quote paper
- Cand.Psych. Stefan Lojewski (Author), 2002, Narzissmus und Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114594
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