Bringt das gemeinsame Sorgerecht der geschiedenen Eltern auch Vorteile für das Kind? Ist das gemeinsame Sorgerecht tatsächlich ein Faktor, der den von Scheidung betroffenen Kindern die Anpassung an die neue Familien- und Lebenssituation erleichtern kann?
Diesen Fragen will ich in der folgenden Arbeit nachgehen. Dazu soll zunächst ein Überblick zu den allgemeinen Folgen einer Scheidung für die Kinder im Hinblick auf das Alter, das Geschlecht der Kinder und im Hinblick auf den sozioökonomischen Status gegeben werden. Anschließend soll der Forschungsstand zu der Frage, ob das gemeinsame Sorgerecht geschiedener Eltern die Anpassung der Kinder an die Scheidung erleichtern kann, dargestellt werden. Schließlich soll die Lebenssituation von Kindern, deren Eltern nach einer Trennung das gemeinsame Sorgerecht ausüben und die Auswirkung der Scheidung auf die psychische Verfassung und das Verhalten dieser Kinder erläutert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Reaktion der Kinder auf die Scheidung
2.1 Im Hinblick auf das Alter
2.2 Im Hinblick auf das Geschlecht
2.3 Im Hinblick auf den sozioökonomischen Status
3. Das gemeinsame Sorgerecht
3.1 Die verschiedenen Modelle des gemeinsamen Sorgerechts
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bereits seit Jahrzehnten steigt die Scheidungsrate in Deutschland kontinuierlich an, eine Abschwächung der jährlichen Zunahme an Scheidungsfällen ist derzeit nicht in Sicht. Bereits seit längerem beschäftigt sich die Wissenschaft mit der Erforschung der psychischen Auswirkung der Scheidung auf die betroffenen Kinder. Eine Durchsicht der Untersuchungen zu den Scheidungsfolgen zeigt, dass die Scheidung der Eltern für die meisten Kinder ein einschneidendes Ereignis in ihrem Leben ist, das sie nur schwer verarbeiten können und das oft zu psychischen Problemen und Verhaltensstörungen führt. Insgesamt können als typische Scheidungsfolgen Verhaltensauffälligkeiten, Angst vor dem Verlassenwerden, Wut, Trauer, Schuldgefühle, Störungen des Selbstwertgefühls, Loyalitätskonflikte und ein allgemeines Misstrauen in die Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen identifiziert werden. Allerdings weisen auch einige Autoren darauf hin, dass auch einige Kinder die Scheidung und die stressvolle Zeit der Umstellung danach relativ unbeschadet überstanden haben (vgl. Hetherington 1980, Camarra & Resnick 1980). Es stellt sich somit die Frage, welche Variablen diesen Kindern helfen, die Scheidung besser und unproblematischer zu verarbeiten als anderen Kinder, um sich gut an die neuen Lebensverhältnisse anzupassen.
Als eine diese Anpassung fördernde Variable wird zunehmend die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts der geschiedenen Eltern angesehen. Es wird vor allem von Seiten geschiedener Väter, aber auch von Psychologen, von Juristen und von Sozialarbeitern die Forderung erhoben, nach einer Scheidung die Kinder nicht mehr einem Elternteil allein zuzusprechen und dem anderen Elternteil lediglich ein Besuchsrecht einzuräumen, sondern die rechtliche Möglichkeit zu eröffnen, dass sich beide Eltern auch nach der Scheidung das Sorgerecht für ihre Kinder teilen. Dass diese Reglung für den ansonsten nur besuchsberechtigten Elternteil Vorteile mit sich bringt, ist evident. Sie ermöglicht die Mitentscheidung bei wichtigen Weichenstellungen im Leben des Kindes, so z. B. bei der Schulwahl oder der religiösen Erziehung und begründet ein Informationsrecht z. B. durch Schule und Ärzte, was ihm ohne das gemeinsame Sorgerecht verwehrt wäre. Überdies bietet das gemeinsame Sorgerecht mehr Möglichkeiten zu Kontakt und Umgang mit dem Kind, als es ein lediglich besuchsberechtigter Elternteil hätte.
Bringt das gemeinsame Sorgerecht der geschiedenen Eltern jedoch auch Vorteile für das Kind? Ist das gemeinsame Sorgerecht tatsächlich ein Faktor, der den von Scheidung betroffenen Kindern die Anpassung an die neue Familien- und Lebenssituation erleichtern kann?
Diesen Fragen will ich in der folgenden Arbeit nachgehen. Dazu soll zunächst ein Überblick zu den allgemeinen Folgen einer Scheidung für die Kinder im Hinblick auf das Alter, das Geschlecht der Kinder und im Hinblick auf den sozioökonomischen Status gegeben werden. Anschließend soll der Forschungsstand zu der Frage, ob das gemeinsame Sorgerecht geschiedener Eltern die Anpassung der Kinder an die Scheidung erleichtern kann, dargestellt werden. Schließlich soll die Lebenssituation von Kindern, deren Eltern nach einer Trennung das gemeinsame Sorgerecht ausüben und die Auswirkung der Scheidung auf die psychische Verfassung und das Verhalten dieser Kinder erläutert werden.
2. Reaktionen der Kinder auf die Scheidung
Die Reaktion der Kinder auf die elterliche Scheidung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Das Alter sowie das Geschlecht der Kinder spielt eine Rolle für ihr Verhalten nach der Scheidung, zudem beeinflusst die sozioökonomische Lage der Familie ihre Reaktion.
In Langzeituntersuchungen wurde festgestellt, dass Kinder geschiedener alleinerziehender Eltern insgesamt mehr Anpassungsprobleme haben und sozial und schulisch weniger kompetent waren als Kinder aus nicht geschiedenen Ehen und Kinder, die bei einem geschiedenen, aber wiederverheiratetem Elternteil lebten (vgl. Sluka, 1996, S. 7).
Die Scheidung der Eltern ist für das betroffene Kind immer ein gravierendes Lebensereignis, das sie zunächst in eine Krise stürzt. Über die unmittelbaren Krisensymptome hinaus belastet die Scheidung sie schwer und langdauernd und verunsichert sie für ihren weiteren Lebensweg. Akute Symptome einer Scheidungskrise sind Trauer, Gefühle der Kränkung, Wut, Schuldgefühle, Ruhelosigkeit, Loyalitätskonflikte, Angst vor weiteren Verlusten, verstärkte Abhängigkeit von verbliebenem Elternteil, sozialer Rückzug, Enuresis, Schlaflosigkeit, Lernstörungen, disziplinäre Schwierigkeiten in der Schule und Familie und unter Umständen auch psychosomatische Erkrankungen. Zudem kann es noch zu chronischen Auswirkungen kommen, im Sinne einer erhöhten Disposition für spätere neurotische Entwicklungen.
2.1 Im Hinblick auf das Alter
Im Hinblick auf das Alter der Kinder ist nach Langzeitstudien bewiesen worden, dass Kinder im Vorschulalter (3 bis 5,5 Jahre) in der Zeit nach der Scheidung massive Verhaltensveränderungen aufweisen. Sie neigen zu Aggressionsausbrüchen, sind weinerlich, irritierbar und ängstlich. Sie leben mit der Angst, den ihnen verbliebenen Elternteil auch noch zu verlieren und verlieren das Vertrauen in ihre Bezugspersonen. Durch diese Verhaltensänderungen folgen Rückfälle in der Reinlichkeitserziehung, ferner leiden die Kinder unter Schlafstörungen. Viele Kinder dieses Alters geben sich selbst die Schuld, dass ein Elternteil die Familie verlassen hat. Sie werfen sich vor, wenn sie folgsamer gewesen wären, wäre der Vater/die Mutter bei ihnen geblieben. Daraus resultiert dann ein verringertes Selbstwertgefühl der Kinder, sie fühlen sich wertlos und nicht liebenswert genug, um den Elternteil zu halten.
Das genannte Verhalten der Kinder lässt sich jedoch nur in dem unmittelbaren Zeitraum nach der Trennung der Eltern beobachten, schon nach einem Jahr wird bei vielen Kindern eine Verbesserung hinsichtlich ihrer Angst und ihrer regressiven und aggressiven Verhaltensweisen festgestellt. Einige Kinder zeigen jedoch auch eine Verschlechterung der Symptomatik, dies speziell in den Fällen, in denen die Eltern ihren Streit noch über die Ehe hinaus fortsetzten.
10 Jahre nach der Scheidung lassen sich jedoch keine schwerwiegenden Probleme mehr als Folgen der Scheidung identifizieren. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass viele der Kinder eine starke Sehnsucht nach einer intakten Familie haben. Den meisten Kindern ist auch der Kontakt zu dem nicht sorgeberechtigtem Elternteil, meistens dem Vater, sehr wichtig (vgl. Sluka, 1996, S. 9).
Betrachten wir nun etwas ältere Kinder, nämlich die, die sich in der frühen Latenzphase (5,5 bis 7 Jahre) befinden. Diese reagieren mit Trauer und Schmerz auf die elterliche Scheidung, außerdem lassen sich Zukunftsängste feststellen, die sich bis hin zur Panik entwickeln. Sie haben Angst um ihr Leben, da sie meinen, die Sicherheit beider Elternteile zu brauchen. Die Kinder haben ihrer Altersgruppe gegenüber Schuldgefühle für die Scheidung ihrer Eltern. Sie entwickeln Hass und Zorn auf ihre Mutter, da diese in ihren Augen den Vater weggeschickt hat. Es fällt zudem auf, dass die meisten Kinder die Schuld für die Scheidung bei dem Elternteil suchen, bei dem es lebt. Somit ist bei ihnen eine starke Sehnsucht nach dem Vater feststellbar und zwar unabhängig von der Intensität der Beziehung zwischen dem Vater und dem Kind vor der Scheidung. Die Kinder werden durch ihre Eltern in einen Loyalitätskonflikt gedrängt, was ein wichtiges Problem ist. In dem Alter besitzen die Kinder noch nicht die Fähigkeit mit diesem Konflikt umzugehen, sie wollen ihren Vater nicht hassen, auch wenn die Mutter das von ihnen verlangt. Ein äußeres Zeichen dieser psychischen Konflikte ist die allgemeine Konzentrationsschwäche und der Abfall der schulischen Leistungen.
Nach einem Jahr nach der Scheidung der Eltern stellt man fest, dass die meisten Kinder dieser Altersgruppe sich traurig und resigniert zeigen, insgesamt verringert sich aber die Intensität der Reaktionen, mit Ausnahme der Kinder, deren Eltern auch über die Scheidung hinaus ihre Konflikte ausleben. Bei Kindern, die in solch einer Situation leben, muss man einen verschlechterten Zustand feststellen.
Viele der Kinder jedoch wollen auch ein Jahr nach der Scheidung noch mehr Kontakt zu dem Vater haben, auch in den Fällen, in denen der Vater die Kinder ablehnt und nichts zum Gelingen der Vater-Kind-Beziehung beiträgt.
Die Kinder, die sich in der späten Latenzphase befinden, während die Eltern sich scheiden, durchleben nach der Scheidung Angst, Scham und Wut. Sie haben nun Angst, dem Elternteil ausgeliefert zu sein, bei dem sie nun leben. Zudem sind sie traurig darüber, dass ihre Familie zerbrochen ist. In diesem Alter kann es schon dazu kommen, dass die Kinder die elterliche Scheidung als unmoralisch ansehen. Sie zeigen sich den Eltern gegenüber ärgerlich, dass diejenigen, die sie zu Disziplin und zur Moral anhielten, selbst unmoralisch agieren. Diese Tatsache weckt in den Kindern ein Schamgefühl. Aus diesem Scham und dem Ärger entwickelt sich bei den Kindern ein aggressives und unangemessen forderndes Verhalten den Eltern gegenüber. Die Kinder dieser Altersgruppe zeigen jedoch ein intensives Bemühen mit der neuen Situation fertig zu werden. Dies tun sie am meisten damit, in dem sie sich nach außen, aus der Familie heraus, orientieren, zum Beispiel, indem sie in der peer-group neue Erfahrungen sammeln oder einen Sportverein besuchen.
Die Kinder dieser Altersgruppe fühlen sich ebenfalls in einen Loyalitätskonflikt gestürzt, welcher häufig mit einer klaren Verbündung mit einem Elternteil und mit intensivem Ablehnen des anderen Elternteils endet. Der Elterteil, mit dem sich das Kind verbündet, wird meist ziemlich fürsorglich und empathisch behandelt und unterstützt. Es kommt bis zu einem Rollentausch, bei dem sich das Kind nachher mehr um den verbündeten Elternteil kümmert als andersherum. Mit dieser Situation ist das Kind dann jedoch überfordert. Zudem kommt es bei Kindern in der späten Latenzphase zu Identitätsbrüchen sowie zu einer Unsicherheit über ihr Selbstbild. Infolge dessen äußern einige Kinder somatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen. All diese Konflikte verursachen bei Kindern dieser Altersgruppe einen Abfall der schulischen Leistung sowie eine erhöhte Aggressivität in der Schule und im Umgang mit anderen Kindern.
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- Arbeit zitieren
- Linda Brüggemann (Autor:in), 2005, Scheidungsfamilien - Das gemeinsame Sorgerecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114508
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