Vorläuferfähigkeiten und -fertigkeiten im mathematischen Bereich sind basal für das Erlernen weiterer mathematischer Kompetenzen in der Grundschule.
Die Förderung dieser kann als Ansatzpunkt zur Prävention und Intervention von Dyskalkulie genutzt werden. Um die Relevanz der Förderung der Vorläuferfähigkeiten zu durchleuchten, wird der aktuelle Forschungsstand anhand einiger zentraler Studien abgebildet.
Dyskalkulie – Relevanz der Förderung der Vorläuferfähigkeiten
Einleitung
Die vorliegende Ausarbeitung behandelt das Störungsbild der „Dyskalkulie1 “ und geht speziell auf die mathematischen Vorläuferfähigkeiten ein. Um die Relevanz der Förderung der Vorläuferfähigkeiten zu durchleuchten, wird hierzu der aktuelle Forschungsstand anhand einiger weniger zentraler Studien abgebildet. Dyskalkulie bezeichnet – im Gegensatz zur Akalkulie (vgl. Jacobs, Petermann & Tischler, 2013, S. 182) – die Störung im Erwerb der Rechenfertigkeiten, insbesondere der Grundrechenarten, wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division (Jacobs & Petermann, 2009, S. 208 f.; Jacobs et al., 2013, S. 182). Hinzukommend zu Schwierigkeiten im Erwerb, fällt es Betroffenen auch schwer, bereits erworbene numerisch-rechnerische Kompetenzen abzurufen und anzuwenden (Moraske et al., 2019, S. 142). Der Störungsbeginn liegt meist im Kleinkindalter bzw. in der Kindheit (vgl. Tischler, 2019, S. 5), denn bereits zu Beginn des Erwerbs ist häufig eine nicht altersgemäße Entwicklung im Bereich der mathematischen Basiskompetenzen bzw. „Vorläuferfähigkeiten“ zu verzeichnen (Jacobs et al., 2013, 181 ff.). Diese Unsicherheiten in ; den mathematischen Basiskompetenzen begünstigen dann auch Defizite in den Rechenfertigkeiten (Ennemoser, Sinner & Krajewski, 2015, S. 46).
Vorläuferfähigkeiten
Vorläuferfähigkeiten sind solche Kenntnisse, welche bereits vorschulisch oder zu Beginn der ersten Klasse, vor dem eigentlichen Rechenerwerb, vorhanden sein sollten (vgl. Nolte, 2015, S. 61). Sie stellen somit die Basis für den weiteren Rechenerwerb dar (Ennemoser et al., 2015, S. 46). Hierzu zählen insbesondere Kenntnisse wie das Schätzen und Vergleichen von Mengen, Zählfertigkeiten sowie das Kennen und Benennen von arabischen Zahlen (Haberstroh & Schulte-Körne, 2019, S. 108; Moraske et al., 2018, S. 32). Zudem sollten Kinder lernen bzw. gelernt haben sicher abzuzählen und die Zahlwortreihe zu beherrschen (Fischer, Roesch & Moeller, 2017, S. 27). Hinsichtlich der Zahlwortreihe spricht man vom „ordinalen Zahlverständnis“, d.h. das Kind weiß, „dass jede Zahl eine feste Position in der Zählsequenz hat“ (ebd., S. 27). Es handelt sich demnach um eine Eins-zu-Eins-Zuordnung zwischen Objekt und Zahlwort (ebd., S. 27). Auch den „Kardinalaspekt“ sollten Kinder erlernen (ebd., S. 27). Dieser Aspekt bezeichnet die Verknüpfung zwischen Zahl und Menge (ebd., S. 28). Auf Basis dessen entwickeln sich Zahlbeziehungen und erste Zahlenraumvorstellungen (ebd., S. 30). Sind diese Vorläuferfähigkeiten (noch) nicht ausgebildet, können Kinder nur zählend, nicht rechnend zu Ergebnissen kommen (vgl. Kuhn, Schwenk, Souvignier & Holling, 2019, S. 98). Das Stellenwertsystem und insbesondere der Umgang mit dem Zehner-Übergang gilt als zentrale Herausforderung (vgl. Jacobs et al., 2013, S. 181 f.). Zudem fällt es Kindern mit defizitären Vorläuferfähigkeiten (und auch Kindern mit Dyskalkulie) schwer Zahlen zu transkodieren (ebd., S. 182). Die Transkodierung geht auf das Modell von Dehaene zurück (vgl. Dehaene & Cohen, 1995, S. 84 ff.; vgl. Dehaene, Piazza, Pinel & Cohen, 2003, S. 288 ff.). Es handelt sich hierbei um Probleme die semantische Größenrepräsentation, die verbale Zahlrepräsentation und die visuell-arabische Zahlabbildung zu erkennen und in eine der jeweils anderen Abbildung überführen zu können.
Wie bereits erläutert, beruhen Defizite in den Rechenfertigkeiten oft auf Unsicherheiten in den Basiskompetenzen (Ennemoser et al., 2015, S. 46). Aufgrund dessen wird im Folgenden der Forschungsstand zur Förderung dieser Vorläuferfähigkeiten dargestellt.
(Dehaene & Cohen, 1995; Dehaene, Piazza, Pinel & Cohen, 2003)
Aktueller Forschungsstand
Die Vorläuferfähigkeiten stellen einen Ansatzpunkt dar, welcher bei Kindern mit Dyskalkulie bzw. auch bereits bei Kindern mit drohender Dyskalkulie zur Förderung dienen kann (vgl. Moraske et al., 2018, S. 32).
Es sind drei Metaanalysen zu dem Thema der Wirksamkeit von Interventionen bei Dyskalkulie bzw. im Speziellen der Wirksamkeit der Förderung von Vorläuferfähigkeiten zu finden. Die aktuellste Metaanalyse von Haberstroh und Schulte-Körne (2019, S. 111 ff.) kann jedoch zur Untersuchung der Wirksamkeit der Förderung von Vorläuferfähigkeiten keine aussagekräftigen Daten liefern, da hier wenig zwischen den verschiedenen Arten zu fördern, differenziert wird. Es ist lediglich ersichtlich, dass es wirksamer ist, symptomatologisch zu intervenieren. Das heißt, an den Mathematikleistungen oder zugrundeliegenden mathematischen Kompetenzen anzusetzen, statt andere relevante Bereiche, wie bspw. das Arbeitsgedächtnis, zu fokussieren. Dies würde zumindest für eine Wirksamkeit der Förderung von Vorläuferfähigkeiten sprechen, belegt diese aber nicht.
Chodura, Kuhn und Holling (2015, S. 129 ff.) führten eine Metaanalyse durch, in welcher insgesamt 35 Studien mit Prä-Post-Erhebungen und Experimental- sowie Kontrollgruppen miteinbezogen wurden. Alle Interventionen richteten sich an Grundschulkinder, nicht an Vorschulkinder. Die Autor*innen differenzierten zudem dahingehend, ob die jeweilige Studie die Wirksamkeit der Förderung bei Kindern mit diagnostizierter Dyskalkulie, Kindern mit drohender Dyskalkulie (geringem Prozentrang in Testung, aber noch nicht Kriterien der Diagnose erfüllend) oder alleinig Kinder mit schwachen Mathematikleistungen (ohne standardisierter Testung) untersuchten. Hinsichtlich der Förderung von Vorläuferfähigkeiten lässt sich in der Zusammenschau schlussfolgern, dass eine durchschnittliche Wirksamkeit zu berichten war (ebd., S. 135). Es wird jedoch von keiner signifikanten Veränderung durch den Ansatz an mathematischen Basiskompetenzen berichtet. Speziell für Kinder mit drohender Dyskalkulie kristallisierte sich heraus, dass ausschließlich die Art der Förderung, welche insbesondere die Problemlösekompetenz fokussiert, als signifikant wirksam erscheint (ebd., S. 141). An den Vorläuferfähigkeiten anzusetzen ist demnach bei Risikokindern nicht signifikant wirksam. Die Autor*innen räumen jedoch ein, dass dies dadurch geschuldet sein kann, dass nur die wenigsten Studien dies untersuchten und es weiterer Forschung bedarf, um die Wirksamkeit der Förderung von Vorläuferfähigkeiten bei Kindern mit (drohender) Dyskalkulie zu untersuchen (ebd., S. 139).
Eine weitere Metaanalyse wurde von Ise, Dolle, Pixner und Schulte-Körne (2012, S. 183 ff.) verfasst. Hier wurden acht Studien mit Prä-Post-Vergleich und Kontroll- sowie Experimentalgruppe berücksichtigt. Auch hier wurden nur Studien einbezogen, bei denen Grundschulkinder gefördert wurden. Alle geförderten Kinder hatten zu Beginn einen Prozentrang unter 25. Es wurde nicht weiter differenziert, wie viele der Kinder alleinig zur Risikogruppe zählten und wie viele die Kriterien einer Dyskalkulie erfüllten. Die Autor*innen gruppierten hier nach der Art der Förderung, entweder curricular (=am Lehrplan orientiert) oder nicht-curricular (= nicht am Lehrplan orientiert). Die Förderung von Vorläuferfähigkeiten fiel hier in die Kategorie der entwicklungspsychologisch, nicht-curricularen Förderung. Hierbei ließ sich erkennen, dass die Förderung der mathematischen Basiskompetenzen zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung zu einer signifikanten Verbesserung der Rechenfertigkeiten führte. Auch andere Verfahren, wie curriculare Förderung oder nicht-curriculare, neuropsychologische Interventionen zeigten sich als signifikant wirksam. Die Förderung der Vorläuferfähigkeiten bei Grundschulkindern scheint demnach, genau wie andere Verfahren auch, signifikante Verbesserungen zu erzielen. Da jedoch nur kurzfristige Effekte metaanalytisch ausgewertet werden konnten, wird angenommen, dass nicht-curriculare Interventionen zu bevorzugen sind (ebd., S.190 f.). Dies liegt daran, dass die Effekte anhand der Veränderungen von Rechenleistungen gemessen wurden. Bei curricularen Förderungen wurden diese explizit trainiert. Bei nicht-curricularen Förderungen hingegen wurde nicht konkret an der Rechenleistung angesetzt. Es ist als Transferleistung zu betrachten, dass sich die Rechenfertigkeiten signifikant verbessert haben, obwohl diese nicht gezielt gefördert wurden, sondern sich durch das Fördern der mathematischen Basiskompetenzen ergeben haben.
Zusammenfassend aus den Metaanalysen zeigt sich demnach, dass die Förderung von Vorläuferfähigkeiten wirksam zu sein scheint. Es bedarf jedoch zwingend weiterer Forschung, da zum einen langfristige Effekte noch nicht untersucht sind und zum anderen nur die Studie von Ise et al. (2012, S. 183 ff.) signifikante Effekte berichtet. Chodura et al. (2015, S. 129 ff.) bestätigen zwar die Wirksamkeit der Förderung mathematischer Basiskompetenzen, jedoch fiel diese im Vergleich zu anderen Interventionen nicht signifikant aus. Im Hinblick auf weitere Forschungen sollte zudem geschaut werden, ob es Unterschiede bzgl. der Wirksamkeit bei verschiedenen Zielgruppen gibt. Es könnte möglich sein, dass der Ansatz bereits bei Vorschulkindern genutzt werden kann, um auch präventiv tätig werden zu können (vgl. Moraske et al., 2019, S. 141 ff.).
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1 Synonym zu Dyskalkulie kann i.S. der Klassifikationssysteme auch von „Rechenstörung“ (Vgl. Weltgesundheitsorganisation, 2015) oder „Lernstörung mit Beeinträchtigung beim Rechnen“ (Vgl. American Psychiatric Association, 2018) gesprochen werden.
- Citation du texte
- Laura Kersten (Auteur), 2021, Dyskalkulie – Relevanz der Förderung der Vorläuferfähigkeiten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1144626
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