Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit folgender Frage: Wie hat sich der Sportbegriff im Laufe der Zeit verändert?
Um den passenden Hintergrund zur Beschreibung eines strukturellen Wandels des Sports zu liefern, widmet sich der erste Teil der nun folgenden Arbeit zunächst einzelnen Phänomenen der Individualisierung.
Den Ausgangspunkt für die Beobachtung eines Strukturwandels des Sports bildet die Situation des Sports während der 50er und 60er Jahre. Von welchen Vorstellungen war der Sportbegriff zu jener Zeit geprägt? An welchen Werten war er orientiert? Wie war er hauptsächlich organisiert? Antworten auf diese Fragen zu finden, ist Ziel des zweiten Abschnittes dieser Arbeit.
1. Einleitung
Werden die gesellschaftlichen Entwicklungen der Industrienationen im Laufe der letzten fünfzig Jahre betrachtet, so herrscht in sozialwissenschaftlichen Kreisen allenthalben Einigkeit darüber, dass sich ein fundamentaler sozialer Wandel vollzogen hat. Wenn auch die Begrifflichkeiten zur schlagwortartigen Umschreibung der aktuellen Gesellschaftsformen variieren - „Erlebnisgesellschaft“, „Risikogesellschaft“ oder „Spaßgesellschaft“, um nur einige zu nennen –, so ist doch allgemein von einer postmodernen Gesellschaft die Rede, deren grundlegendes Merkmal der (fortschreitende) Prozeß der Individualisierung ist.
Die Vermutung liegt nahe, dass sich Sport als gesellschaftliches Teilsystem im Rahmen jener Individualisierungsphänomene ebenfalls strukturell verändert hat und es verwundert daher nicht, wenn einige (sport-)soziologische Untersuchungen während der letzten Jahrzehnte einen „Strukturwandel des Sports“ diagnostiziert haben.
Um den passenden Hintergrund zur Beschreibung eines strukturellen Wandels des Sports zu liefern, widmet sich der erste Teil der nun folgenden Arbeit zunächst einzelnen Phänomenen der Individualisierung.
Den Ausgangspunkt für die Beobachtung eines Strukturwandels des Sports bildet die Situation des Sports während der 50er und 60er Jahre. Von welchen Vorstellungen war der Sportbegriff zu jener Zeit geprägt? An welchen Werten war er orientiert? Wie war er hauptsächlich organisiert? Antworten auf diese Fragen zu finden, ist Ziel des zweiten Abschnittes dieser Arbeit.
Die Frage, ob mit strukturellen Veränderungen auch die Entwicklung verschiedener Bedeutungs- und Inhaltsebenen des Begriffs „Sport“ einhergeht, steht im Mittelpunkt des dritten Teils dieser Untersuchung. Dabei soll geklärt werden, ob sich die Motive des Sporttreibens, die Organisation des Sports, das Angebot des Sports und somit auch das Sportverständnis gewandelt haben.
Begleitend soll die Frage diskutiert werden, inwieweit Sport über den Rahmen struktureller Entwicklungen hinausgehend Einflüsse auf die Alltagskultur genommen hat.
2. Wertewandel und postmaterialistische Gesellschaft
Sowohl der Begriff der „postmaterialistischen“ Gesellschaft als auch der damit verbundene Begriff des „Wertewandels“ gehen zurück auf den amerikanischen Politikwissenschaftler Inglehart (1977), nach dessen These der materielle Wohlstand in den Nachkriegsjahren dergestalt angestiegen sei, dass die Jugend der sechziger Jahre in (materieller) Sicherheit aufwuchs und somit immaterielle Werte – soziale, kulturelle, intellektuelle Bedürfnisse der Selbstverwirklichung und Mitwirkung - immer wichtiger werden konnten.1
Abb. 1: Dimensionen des Wertewandels2
Einfachheit,Genügsamkeit,Sparsamkeit > Genussorientierung, Konsumorientierung
Religiösität und Selbstdisziplin > Weltliche Orientierung, Schrankenlosigkeit
Abhängigkeit, Konformität > Unabhängigkeit
Unterordnung unter Autoritäten > Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung
Soziale Kontrolle, Selbstkontrolle > Verhaltensfreiheit, Selbstentfaltung
Ingleharts These des Überganges von materiellen zu immateriellen Werten und der möglichen lebenslangen Beibehaltung einmal erworbener Wertorientierungen wurde später jedoch als unzureichend empfunden, wenn es darum ging, den komplexen Wertewandel in der Gesellschaft zu beschreiben:
„Politisch bedeutsam ist ... daß auch die breite Mehrheit der bundesrepublikanischen Gesellschaft heute von einem Wandel ihrer Werte erfaßt wird, der sich über das INGLEHARTsche Gegensatzpaar kaum mehr erfassen läßt.“ (Digel, 1986:21)
Gemeint ist, dass es innerhalb der postmaterialistischen Gesellschaft zu komplexen, teils widersprüchlichen Wertemustern und zu einer alle gesellschaftlichen Schichten betreffenden Auflösung tradierter Normen und Wertevorstellungen kommt.
Der Soziologe Beck (1986) spricht diesbezüglich von einem „neuen Modus der Vergesellschaftung“ (1986:205) und einem grundlegend veränderten Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, welches durch vollständig individualisierte Existenzformen und Lebenslagen geprägt ist.3 Am Beispiel des golfspielenden Anwalts, dessen Vorliebe für Sportwagen den vegetarischen Ernährungsstil und das Engagement bei amnesty internatonal nicht ausschliesst, zeigt sich gar die mögliche Koexistenz widersprüchlicher Wertevorstellungen innerhalb einer Biographie und macht zugleich deutlich, warum Soziologen von einer defragmentierten, entstrukturierten oder pluralisierten Gesellschaft und der Individualisierung der Lebensstile sprechen.
Einige der dem grob beschriebenen sozialen Wandel zugrunde liegenden Aspekte sind beispielsweise die Gleichberechtigung der Frau, die zunehmende Technologisierung der Arbeits- und Privatwelt, die Entwicklung der Massenmedien und der Wandel des Freizeitbegriffes. Letzterer erklärt sich unter anderem durch den Rückgang der durchschnittlichen Wochen- Jahres- und Lebensarbeitszeit, der durchschnittlichen Arbeitsbelastung und den Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung.4 Es kommt demnach neben einer „Steigerung der Dispositionsfreiheit“ (Heinemann, 1999:24) zur „Abnahme all jener Werte, die sich auf die berufliche Arbeit beziehen, bei gleichzeitiger Zunahme der positiven Bewertung der freien Zeit“ (ebd.). Ausserdem konnte in „Zeitreihenvergleichen ... festgestellt werden, daß dabei das aktive Sporttreiben eine besondere Rolle spielt“ (Digel, 1986:31).
Um einschätzen zu können, inwieweit dem Sporttreiben in der heutigen, individualisierten Gesellschaft andere Funktionen, Vorstellungen und Rollen zugrunde liegen als noch vor fünfzig Jahren, bietet sich an dieser Stelle ein Rückblick auf den Sportbegriff der 50er und 60er Jahre an.
3. Von der Einheit des Sports
Grundlegend für das damalige Verständnis vom Sport war der organisationspolitisch und normativ geprägte Ansatz des Deutschen Sportbundes (DSB), einen Sport für alle sichern zu wollen. Ziel war es, Sport vor dem Hintergrund der „Einheitlichkeit seiner Wertorientierungen, seiner Erlebensgehalte und der Motive und Einstellungen seiner Mitglieder“ (Hartmann-Tews, 1996:172) unter einem Dach zu organisieren.
„Der Sport, wie er durch die Vereine als nahezu ausschließlicher Organisationsform gestaltet wurde, hatte in den 50er und 60er Jahren ein deutliches Profil“ (Hartmann-Tews, 1996:172).5
Da Sport zu diesem Zeitpunkt mehr oder minder auf zwei Säulen basierte, nämlich der Turnsportbewegung und dem Wettkampfsport, beruhte diese klare Struktur auf einer Monostruktur der überwiegend kleinen Sportvereine, die hauptsächlich eine Sportart organisierten, welche sich dann fast ausschließlich am Wettkampf- und Leistungssport orientierte und für deren Ausübung besonderes motorisches Können und die Fähigkeit zu überdurchschnittlichen physischen Leistungen Voraussetzung war. Zusammenfassend lassen sich folgende Merkmale der Situation des Sports in den 50er und 60er Jahren darstellen:6
- Eine einheitliche Sportmoral des Vereinsmitgliedes, welche sich nicht nur in einer disziplinierten und leistungsorientierten Sportlerrolle erschöpfte, sondern darüber hinaus eine Identifikation des Sportlers mit spezifischen Regel- und Grundsatzgeflechten des Vereins, gemeinschaftliches Miteinander und häufig ehrenamtliches Engagement erforderte.
- 78,4% der Vereine waren Kleinvereine (bis zu 200 Mitglieder), demgegenüber hatten Grossvereine (über 1000 Mitglieder) ledigich einen Anteil von 1,6%.
- Die soziale Zusammensetzung der Mitglieder war relativ homogen: vor allem Männer und Jugendliche aus mittleren und oberen Sozialschichten trieben vereinsmässig Sport.
- Der Verein stellte eine Traditionsgemeinschaft dar, welche für die Mitglieder identitätsstiftend war (affektive Werte der Vereinsgeschichte, Vereinslieder und der Vereinsfarben) und die durch die hohe Integrationskraft nach innen ein relativ geschlossenes System nach aussen bildete.
Sport erschien demnach tatsächlich als relativ einheitlich und überschaubares System. Zudem erfüllten die damaligen 'grossen' Sportarten wie Turnen oder Leichtathletik zugleich alle vier konstitutiven Elemente des Sports - körperliche Bewegung, Wettkampf, sportartenspezifisches Regelwerk und Unproduktivität -, welche nach Heinemann den Sportbegriff eingrenzen.
Inwieweit sich diese zentralen Momente des Sports geändert haben, wird in der Folge zu sehen sein.
[...]
1 Im Gegensatz zu den materiellen Bedürfnissen wie Nahrung, Kleidung, Sicherheit, Wohlstand.
2 Bürklin, 1994
3 Vgl. Beck, 1993
4 Vgl. Heinemann, 1998:289.
5 „Sport für alle!?“, Hartmann-Tews, 1996.
6 Vgl. Hartmann-Tews, 1996:173.
- Citation du texte
- Robin Lackas (Auteur), 2004, Strukturwandel des Sports, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1144050
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