Dieses Essay liefert eine Begriffsbestimmung von Demokratie in Baruch de Spinozas politischer Philosophie, welche sich auf ausgewählte Textstellen des Tractatus theologico-politicus sowie des Tractatus politicus stützt. Für die heutigen Leser*innen – beispielsweise Studierende der Philosophie – ist es notwendig, mit unvoreingenommenem Blick an Spinozas Werk heranzutreten. Nur allzu schnell unterliegen wir dem Irrtum, unser heutiges Demokratieverständnis, welches durch die Sozialisation in einer modernen, demokratischen Gesellschaft geprägt ist, auf Spinozas politische Philosophie zu projizieren.
Baruch de Spinoza schreibt in seinem 1670 anonym veröffentlichen Tractatus theologico-politicus von der Demokratie. Der demokratische Staat, so meint Spinoza, ist unter allen Herrschaftsformen am besten dazu geeignet, die menschliche Gemeinschaft zu ordnen, da er "der natürlichste ist und der Freiheit, die die Natur einem jeden gewährt, am nächsten kommt". Spinoza selbst erklärt seinen Leser*innen an anderer Stelle, dass verschiedene Arten des demokratischen Staates denkbar sind , doch welche Art von Demokratie erdenkt sich Spinoza für seinen Idealstaat?
Baruch de Spinoza schreibt in seinem 1670 anonym veröffentlichen Tractatus theologico-politicus (TPT) von der Demokratie. Der demokratische Staat, so meint Spinoza, ist unter allen Herrschaftsformen am besten dazu geeignet, die menschliche Gemeinschaft zu ordnen, da er „der natürlichste ist und der Freiheit, die die Natur einem jeden gewährt, am nächsten kommt“ (TPT, S. 246). Spinoza selbst erklärt seinen Leser*innen an anderer Stelle, dass verschiedene Arten des demokratischen Staates denkbar sind1, doch welche Art von Demokratie erdenkt sich Spinoza für seinen Idealstaat?
Für die heutigen Leser*innen – beispielsweise Studierende der Philosophie – ist es notwendig, mit unvoreingenommenem Blick an Spinozas Werk heranzutreten. Nur allzu schnell unterliegen wir dem Irrtum, unser heutiges Demokratieverständnis, welches durch die Sozialisation in einer modernen, demokratischen Gesellschaft geprägt ist, auf Spinozas politische Philosophie zu projizieren. Zum Zweck einer Überprüfung folgt eine Begriffsbestimmung von Demokratie in Spinozas politischer Philosophie, welche sich auf ausgewählte Textstellen des Tractatus theologico-politicus (TPT, Kapitel 16-20) sowie des Tractatus politicus (TP, Kapitel 11) stützt.
Grundsätzlich beschreibt Spinozas Demokratiebegriff eine Herrschaftsform, bei der das Volk die Herrschaft, bzw. die höchste Gewalt hat. Der Philosoph formuliert es wie folgt: „Sie [die Demokratie] ist die ungeteilte Versammlung von Menschen, die gemeinschaftlich ein höchstes Recht über alles, was in ihrer Macht steht, innehat“ (TPT, S. 244). Damit allerdings eine solche höchste Gewalt entsteht, ist es nötig, dass jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft sein natürliches Recht auf alles, was in der individuellen Macht steht, abgibt. Das individuelle Recht muss eingeschränkt werden, damit ein übergreifendes Recht entsteht, dem jedes Mitglied in gleicher Weise untersteht. Dieser Gedanke ist auch aus heutiger Sicht gut nachvollziehbar. Der Mensch muss sich im gesellschaftlichen Leben einschränken und gewisse Grenzen seiner Rechte achten, welche meist durch die Rechte der anderen Menschen abgesteckt sind. Der so entstehenden kollektiven Staatsmacht sind alle Individuen unterworfen und zu Gehorsam verpflichtet.2
Nun bleibt weiter zu fragen, wie diese Gemeinschaft in Spinozas Demokratie einen Willen formt, bzw. wie Entscheidungen getroffen werden. Hierzu finden sich im TPT zwei Textstellen, an denen von Entscheidungsprozessen die Rede ist.3 Nach Spinozas Auffassung resultieren aus Mehrheitsentscheiden die besten Entschlüsse: „Denn es ist nahezu unmöglich, daß in einer Versammlung, wenn sie nur groß genug ist, die Mehrheit sich zu ein und derselben Widersinnigkeit zusammenfindet“ (TPT, S. 245). Aus diesem Zitat geht hervor, dass der Wille der Mehrheit durchgesetzt werden soll. Weiter sagt Spinoza:
„In einem demokratischen Staat […] kommen alle, wie wir gezeigt haben, darin überein, nach gemeinsamem Beschluß zu handeln, nicht aber zu urteilen und nachzudenken; und das bedeutet, daß sie, weil nicht alle Menschen die gleiche Ansicht haben können, übereingekommen sind, derjenigen Ansicht Gesetzeskraft zu verleihen, die die meisten Stimmen erhielt, unter dem Vorbehalt freilich, diese Beschlüsse aufzuheben, sobald sie etwas Besseres ausfindig machen“ (TPT, S. 314).
Diese Aussage legt nahe, dass in Spinozas demokratischem Staat Gesetzesentscheidungen durch eine relative Mehrheit getroffen werden. Es setzt sich jene Meinung durch, die die meisten Stimmen auf sich vereinen kann. Darüber hinaus weist diese Textstelle darauf hin, dass Spinoza von einer pluralen Gesellschaft ausgeht, in der auch ein Dissens existieren darf, solang sich das Handeln aller nach den Entscheidungen der Mehrheit richtet.
Um Spinozas Demokratiebegriff weiter zu charakterisieren, soll geklärt werden, welche Individuen in Spinozas Demokratie stimmberechtigt sind. Im TPT finden sich Stellen an denen Spinoza zwischen Sklaven, Kindern und Untertanen, bzw. Bürgern unterscheidet. Allerdings finden sich dort keine konkreten Aussagen bezüglich eines Wahlrechts oder einer Mitsprache im Staat. Dafür erörterte Spinoza in seinem Politischen Traktat (TP), der aufgrund seines Todes unvollendet blieb, welchen Individuen im Staat das Stimmrecht zukommen soll:
„Alle diese Menschen [mit Staatsbürgerecht], ich betone alle, haben nämlich einen Rechtsanspruch auf das Stimmrecht im Staatsrat und auf Zugang zu den Staatsämtern, und dieser darf ihnen nur verweigert werden, wenn sie straffällig geworden oder für ehrlos erklärt worden sind“ (TP, S. 111). Weitere Einschränkungen des Stimmrechts sind für Spinoza: „Sie müßten, […] im übrigen über eigenes Recht verfügen, um Frauen und Knechte auszuschließen, die der Gewalt ihrer Männer bzw. Herren unterstellt sind, sowie Kinder und Unmündige, solange sie der Gewalt der Eltern bzw. des Vormunds unterstehen“ (TP, S. 112).
Spinoza spricht also grundsätzlich jedem Menschen mit Staatsbürgerrechten das Stimmrecht zu, ganz wie in unserer modernen Demokratie. Die erste Einschränkung, die Spinoza macht, schließt Straftäter von diesem Recht aus. Diese Exklusion finden wir auch in heutigen Demokratien, wie in den USA4. Zudem sollen auch ehrlose Individuen davon ausgeschlossen werden. Darunter verstehe ich Menschen, die Werte und Normen des Kollektivs verletzt haben und dadurch ihre Ehre, bzw. ihr Ansehen innerhalb der Gemeinschaft verloren haben. Weiter geht Spinoza auf Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft ein. Menschen, die in ihren Handlungsentscheidungen vom Willen Anderer abhängig sind, sollen kein Stimmrecht erhalten. In Spinozas Gesellschaft tritt diese Abhängigkeit auf Kinder, Knechte und Frauen zu. Diese seien jeweils von ihrem Vormund, Herren oder Ehemann abhängig. Spinoza merkt an, dass der Ausschluss von Frauen in Frage gestellt werden könne, doch er stützt diesen Entscheid mit einem deskriptiven Argument, wonach Frauen in allen ihm bekannten Gesellschaften den Männern unterlegen seien.5 Dieser Ausschluss widerspricht unserem heutigen Verständnis von geschlechtlicher Gleichberechtigung, stellt zu Spinozas Zeit jedoch sicher, dass alle Stimmberechtigten eine freie demokratischen Wahl treffen können. Denn wenn wir davon ausgehen, dass Kinder, Knechte und Frauen ihre Stimme nach der Meinung eines Dritten richten müssten, so wäre dies keine freie Wahl. Da in Spinozas Demokratie, wie ich zuvor erörtert habe, Mehrheitsentscheide getroffen werden, ist ebenfalls davon auszugehen, dass das Kriterium der gleichen Wahl in Spinozas Demokratie erfüllt ist.
Das vorherige Zitat weist ebenfalls auf den Zugang zu den Ämtern des Staatsrates hin. Demnach haben alle Staatsbürger einen freien Zugang zu diesen Ämtern. Wie die Ernennung in den Staatsrat geregelt sein soll, geht nicht aus dem fragmentarischen Demokratiekapitel im Politischen Traktat hervor. Denkbar sind hier direkte oder indirekte Wahlen, doch dies führt zu weit in den Bereich der Spekulation, als dass ich damit fortfahren will.
An der Spitze von Spinozas Idealstaat steht eine Instanz, die die höchste Gewalt hält und der alle Individuen zu Gehorsam verpflichtet sind – der Souverän. Dieser hat die Aufgabe die Herrschaft über den Staat zu behaupten und mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Mitglieder des Staates sind aus Gründen der Vernunft sowie zum Zweck des Staatserhaltes dazu verpflichtet, „alle Anordnungen des Souveräns unbedingt auszuführen“ (TPT, S. 244). Denn nur durch die höchste Staatsgewalt, der es allein obliegt, die Einhaltung des Friedens im Staate sicherzustellen, ist ein vernunftorientiertes und sicheres Zusammenleben möglich.6 Für Spinozas Idealstaat ist es von immenser Bedeutung, dass der Souverän nicht nur nach bürgerlichem Recht, sondern auch nach natürlichem und göttlichem Recht allein die Gesetze des Staates schützt und somit auch über die Regelung der Religion im Staate bestimmt.7 Der Souverän kann im TPT näher als das gesamte Volk identifiziert werden:
„Denn in diesem Staat überträgt niemand sein natürliches Recht derart einem anderen, daß ihm fortan kein eigenes Erwägen verbleibt, sondern jeder überträgt es der Mehrheit der gesamten Gesellschaft, deren konstitutiver Teil er selbst ist. Auf diese Weise bleiben alle, wie vorher im Naturzustand, gleich“ (TPT, S. 246).
Folglich erkennen wir auch im Rechtssystem, wie zuvor im Wahlsystem, das Kriterium der Gleichheit zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft in Spinozas Demokratie. So entspricht der bürgerrechtliche Zustand in seiner Demokratie auch dem natürlichen Zustand des Menschen und kommt der Natur des Menschen am nächsten – ist folglich die natürlichste und beste Herrschaftsform für den Menschen.8
Bezüglich der Ausübung der Regierungsgewalt in Spinozas demokratischem Staat möchte ich noch anmerken, dass im TP die Ernennung des Staatsrates erwähnt ist. Daraus ist zu schließen, dass es auch zur indirekten Ausübung der Regierungsgewalt durch die Repräsentanten des Staatsrates kommt. Ob es auch eine direkte Ausübung der Volksgewalt im Sinne von direkten Volksabstimmungen gibt, bleibt offen.
Ein weiteres wichtiges Kriterium in modernen Demokratien ist die Gewaltenteilung. Eine Trennung dieser Kompetenzen lässt sich in den eingangs angeführten Kapiteln nicht nachweisen. Eher scheint es so, als wären alle drei Gewalten dem Souverän zu eigen: „Unter bürgerlichem Privatrecht können wir nichts anderes verstehen als die Freiheit eines jeden, sich in seinem Zustand zu erhalten, eine Freiheit, die von den Erlassen des Souveräns begrenzt und allein von seiner Autorität verteidigt wird“ (TPT, S. 247). Sowohl die gesetzlichen Erlasse, die wir auch Gesetze nennen können (Legislative), als auch die Durchführung ihrer Verteidigung (Exekutive) obliegt dem Souverän. „Die Gerechtigkeit beruht, wie wir schon gezeigt haben, allein auf dem Beschluß des Souveräns; mithin kann niemand gerecht sein, wenn er nicht gemäß den von ihm erhaltenen Beschlüssen lebt“ (TPT, S. 310). Als dritte Gewalt untersteht folglich auch die rechtssprechende, richterliche Gewalt (Judikative) dem Souverän. Ob, oder inwiefern diese drei Gewalten in unabhängige Staatsorgane unterteilt sind, geht aus den untersuchten Textstellen Spinozas nicht hervor.
Abschließend soll betrachtet werden, welche Freiheit Spinoza den Bürgerinnen und Bürgern im Staat zugesteht. Wie zuvor angeführt, bezeichnet Spinoza das bürgerliche Recht als jenes, welches die Selbsterhaltung beinhaltet. Doch Spinoza spricht den Individuen der Gesellschaft noch weitere Freiheiten zu. Er verteidigt die Freiheit der persönlichen Meinung, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie das Recht den inneren religiösen Kult (innerer Gottesdienst) auszuleben. Doch diese Freiheit gilt nicht uneingeschränkt. Die Handlungen sowie der äußere religiöse Kult haben sich stets nach dem Entscheid des Souveräns zu richten.9 „Aufgegeben hat damit jeder nur das Recht, nach eigenem Beschluß zu handeln, nicht aber das Recht, nachzudenken und zu urteilen“ (TPT, S. 309). Kritik an Entscheidungen des Souveräns darf geäußert werden, sofern sie vernunftorientiert ist und ein konstruktives Ziel verfolgt und somit keine schädigende Wirkung für den Staat hat. Diese Freiheit muss die oberste Gewalt in Spinozas Idealstaat den Menschen zugestehen, auch wenn freie Meinungsäußerung und Regierungskritik zuweilen lästig für die Herrscherinstanz ist.10
[...]
1 Vgl. Politischer Traktat (TP), S. 112.
2 Vgl. TPT, S. 244-246.
3 Siehe TPT, S. 245, 246.
4 Anmerkung, Autor: „In 48 Staaten der USA führt eine Haft- und oft auch schon eine Bewährungsstrafe zum Verlust des Wahlrechtes. In zwölf fast durchgängig republikanisch geprägten Staaten verlieren verurteilte Straftäter ihr Wahlrecht auf Lebenszeit.“ Denkler, Thorsten: Wahlsystem-Manipulationen sind in den USA Alltag. Süddeutsche Zeitung. Letzte Bearbeitung: 04.05.2019. Zuletzt aufgerufen am 18.08.2021 unter https://www.sueddeutsche.de/politik/haeftlinge-usa-wahl-diskriminierung-1.4432454-2.
5 Vgl. TP, S. 113.
6 Vgl. TPT, S. 244-246.
7 Vgl. TPT, S. 252, 297.
8 Vgl. TPT, S. 246.
9 Vgl. TPT, S. 292, 293.
10 Vgl. TPT, S. 309.
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- Anónimo,, 2021, Spinozas demokratischer Staat. Eine Begriffsbestimmung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1141914
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