Die Effizienz von Bildungssystemen ist für den sozialen Zusammenhalt von Gesellschaften von enormer Bedeutung. Ihr Potential ökonomische und soziale Integrationsleistungen zu vollziehen, manifestiert sich auch in der Integration von Immigranten (Kons. Bildungsb., S.1; 137). Dieses reflektiert sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Bildungssysteme, vor Allem in Bezug auf die Sicherung von Chancengleichheit, ihre Leistungsfähigkeit und den Grad der „Ausschöpfung von Begabtenreserven“ erfahren (ebd.). Sowohl in Deutschland als auch in den USA haben viele Studien insbesondere veranlasst durch die PISA Studen Zugang zu Bildung in Abhängigkeit von ethnischen und sozialen Faktoren untersucht. Dabei war es das Verdienst der PISA Studie, die Aufmerksamkeit „zu den institutionellen Barrieren [...]“ verlagert zu haben (Gomolla 2006, S.87; s.a. Geißler 2005, S.71).
In Deutschland überwiegen dabei allerdings Vergleiche des heimischen Bildungssystems mit als vorbildhaft erachteten Beispielen aus den skandinavischen Ländern. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir interessant, die Verhältnisse in den USA mit den enormen Integrationsleistungen des dortigen Bildungssystems im Rahmen dieser Arbeit mit den hiesigen zu vergleichen. Einen Schwerpunkt soll dabei die kritische Betrachtung der Auswirkungen insititutioneller Hürden und struktureller Nachteile bilden. Ein besonderes Augenmerk gilt den sozioökonomischen Bedingungen und immigrantenspezifischen Nachteilen. Die USA und die BRD sind beides Einwanderungsländer, jedoch lohnt eine Betrachtung der USA vor Allem deshalb eine genauere Betrachtung im Vergleich mit demjenigen der BRD, weil dort die Integration von Ausländern in das Bildungssystem signifikant besser gelinge (Stanat/Christensen, S.33) als hierzulande, wo bis heute keine ausreichend schulische Integration geleistet wird (Gomolla/Radtke, S.105), so dass die in der PISA Studie festgestellten Leistungsdifferenzen zu autochthonen Schüler wesentlich ausgeprägter sind als in den USA (OECD, S.98). Das Schulsystem der USA wird aber trotz dieser Erfolge selten zu Vergleichen herangezogen (Wolf, S.138).
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I Die Bedeutung von Bildung: Gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit
II Bildungsinstitutionen und (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit
III Faktoren der ungleichen Verteilung von Bildungschancen
III.1 Vor- und Grundschule als Grundstein von Selektion
III.2 Die deutsche Selektion
III.3 Reversibilität von Bildungsentscheidungen in Deutschland ?
III.4 Die amerikanische Einheitsschule – Gleiche Chancen für alle ?
III.5 Distinktionsmechanismen innerhalb der Bildungssysteme
IV Außerinstitutionelle Erklärungen für die Bildungsungleichheit
IV.1 Der Einfluss der Familie
IV.2 Regionale Faktoren der Ungleichheit in Deutschland und den USA
IV.2.1 Regionale Faktoren der Ungleichheit in Deutschland
IV.2.2 Regionale Faktoren der Ungleichheit in den USA
IV.3 Kapitalmangel als Determinante von Bildungsungleichheit
IV.3.1 Die Rolle des kulturellen Kapitals
IV.3.2 Bestrebungen dominanter Schichten zur Werterhaltung von Kapital
IV.3.3 Kulturelle Distanz, Einstellung und Engagement
IV.3.4. Peer Effekte
IV.3.5. Sozioökonomische Erklärungen
IV.4 Geschlechtsspezifische Aspekte der kulturellen Assimilation
IV.5 Immigration und Spracherwerb
V Schulische Determination tertiärer Bildung
V.1 Schulische Förderung und Universitätsbesuch in den USA
V.2 Tertiäre Bildung in den USA und in Deutschland
VI Fazit
VII Ausblick
VIII Bibliographie
Einleitung
Die Effizienz von Bildungssystemen ist für den sozialen Zusammenhalt von Gesellschaften von enormer Bedeutung. Ihr Potential ökonomische und soziale Integrationsleistungen zu vollziehen, manifestiert sich auch in der Integration von Immigranten (Kons. Bildungsb., S.1; 137). Dieses reflektiert sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Bildungssysteme, vor Allem in Bezug auf die Sicherung von Chancengleichheit, ihre Leistungsfähigkeit und den Grad der „Ausschöpfung von Begabtenreserven“ erfahren (ebd.). Sowohl in Deutschland als auch in den USA haben viele Studien insbesondere veranlasst durch die PISA Studen Zugang zu Bildung in Abhängigkeit von ethnischen und sozialen Faktoren untersucht. Dabei war es das Verdienst der PISA Studie, die Aufmerksamkeit „zu den institutionellen Barrieren [...]“ verlagert zu haben (Gomolla 2006, S.87; s.a. Geißler 2005, S.71).
In Deutschland überwiegen dabei allerdings Vergleiche des heimischen Bildungssystems mit als vorbildhaft erachteten Beispielen aus den skandinavischen Ländern. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir interessant, die Verhältnisse in den USA mit den enormen Integrationsleistungen[1] des dortigen Bildungssystems[2] im Rahmen dieser Arbeit mit den hiesigen zu vergleichen. Einen Schwerpunkt soll dabei die kritische Betrachtung der Auswirkungen insititutioneller Hürden und struktureller Nachteile bilden. Ein besonderes Augenmerk gilt den sozioökonomischen Bedingungen und immigrantenspezifischen Nachteilen. Die USA und die BRD sind beides Einwanderungsländer, jedoch lohnt eine Betrachtung der USA vor Allem deshalb eine genauere Betrachtung im Vergleich mit demjenigen der BRD, weil dort die Integration von Ausländern in das Bildungssystem signifikant besser gelinge (Stanat/Christensen, S.33) als hierzulande, wo bis heute keine ausreichend schulische Integration geleistet wird (Gomolla/Radtke, S.105), so dass die in der PISA Studie festgestellten Leistungsdifferenzen zu autochthonen Schüler wesentlich ausgeprägter sind als in den USA (OECD, S.98). Das Schulsystem der USA wird aber trotz dieser Erfolge selten zu Vergleichen herangezogen (Wolf, S.138).[3]
In meinen Betrachtungen jedoch werde ich mich nicht nur auf Ausländer erster Generation, sondern auch auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund[4] konzentrieren unter Einschluss der zweiten und dritten Generation. Da in den USA Daten über die Nationalität oder den Migrationshintergrund der Schüler (bis auf die Census Daten) nicht erfasst werden (Portes/Macleod, S.258) und dort nur nach Ethnien[5] klassifiziert wird, muss ich mich hier auf die beiden größten Einwanderergruppen – die Asiaten und die Latinos - konzentrieren und von dem sicher interessanten Vergleich mit kaukasischen Einwanderern Abstand nehmen. Um den Fokus auf Immigranten nicht zu verlieren, beziehe ich die schwarze Bevölkerung in den USA (trotz geringer Migrantenanteile) nicht mit ein.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit sollen dabei keine numerisch exakten Vergleiche von Schulleistungen und Abschlüssen (mangels Vergleichbarkeit) stehen, sondern eher untersucht werden welche Faktoren sich sowohl in Deutschland als den USA positiv bzw. negativ auf den Schulerfolg von Immigranten auswirken. Dabei sollten der Art und Wirksamkeit institutioneller Hürden, die Bildungsungleichheit in den beiden Ländern herstellen, sowie struktureller Faktoren, die an der (Re-)Produktion von sozialer Ungleichheit beteiligt sind besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich auf Basis des konflikttheoretischen Ansatzes von Bourdieu, sowie des Rational-Choice Ansatzes von Boudon-Goldthorpe[6] die institutionellen Hindernisse, die zum Einen die Reproduktion des sozioökonomischen Status der Eltern, sowie die systematischen Schichtabgrenzungen über Distinguierung von Bildungstiteln und die Zumessung von Prestige an die sie ausstellenden Institutionen sowie die systematische Ausgrenzung vor Allem auch gegenüber Ausländern nicht-westlicher Herkunft und aus den südlichen Staaten, aufzeigen und darlegen, wie sich diese auf das individuelle Verhalten und die Konstruktion von schichtspezifischen Habitusformationen, vor Allem jedoch auf die Wahl von Bildungsverläufen, sowohl in den USA als auch in Deutschland im Sinne einer transnationalen Reproduktion sozialer Ungleichheit auswirken.
Zunächst wird dazu die Bedeutung von Bildung in der (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit als der zentrale Faktor herausgestellt werden, der über die gesellschaftliche Verteilung von Erwerbspositionen und ökonomischen Ressourcen entscheidet. Dann werden Selektions- und Gruppierungsmechanismen in Bildungssystemen und ihre soziale Sensitivität und dessen Folgen für den Bildungserfolg von Immigranten in den beiden Bildungssystemen herausgearbeitet werden. Im Anschluss an die Untersuchung dieser institutionellen Faktoren der ungleichen Verteilung von Bildungschancen wird die Bedeutung von familiärem Hintergrund in Anlehnung an Bourdieus Kapitaltheorie, regionale Faktoren und ihr Bezug zum sozioökonomischen Status, sowie die Bedeutsamkeit von kulturellem Kapital und geschlechtlichen Faktoren in Bezug auf die Bildungschancen von Immigranten beleuchtet werden. Abschließend wird verdeutlicht werden welche Implikationen sich aus den Differenzen in der Primar- und Sekundarbildung für die Tertiärbildung (und den damit verbunden Berufschancen) ergeben.
Ziel dieser Arbeit wird es sein zu hinterfragen, ob tatsächlich Immigrantenspezifische Nachteile bestehen oder ob diese nicht vielmehr Folge von Mängeln an kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital sind.
I Die Bedeutung von Bildung: Gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit
In allen Gesellschaften hat es Formen sozialer Ungleichheit gegeben, die sich zumeist auf den Stand oder die berufliche Position und damit verbundene Einkommen gründeten, die zu einem „Mehr oder Weniger an bürgerlichen Rechten führen konnten“ (Hradil, S.15 ff.): Dabei ist Bildung im Laufe der Zeit zu einem jener „wertvollen Güter“ geworden, die soziale Ungleichheit konstituieren und den Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen sowie die Verteilung ökonomischen Kapitals steuern (Hradil, S.28; Dravenau/Groh-Samberg, S.119; Hamburger, S.11; Opielka, S.133). In der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft schließlich wird Bildung zu einer „zentralen Ressource sozialer Teilhabe“, indem „sozialer Status nicht mehr ohne Weiteres auf die nächste Generation transferiert wird“, sondern der „Umweg über individuell erworbene Bildungszertifikate und Arbeitskontrakte“ (Solga, S.28) genommen werden muss, die wiederum eine „entscheidende Variable sozialer Ungleichheit“ darstellen (Opielka, S.127; Wolf, S.14f.). Bildungsinstitutionen vermögen daher nicht nur individuelle Lebenschancen zu verteilen und die individuelle Regulationsfähigkeit (Kons. Bildungsb., S.2) herzustellen, sondern kontrollieren auch im Rahmen emergenter Prozesse, ob es zu einer Reproduktion oder Veränderung sozialer Ungleichheit kommt (Solga, S.30), indem sie Erhalt und Erwerb von Privilegien steuern (Böttcher 2005, S.61; Wolf, S.14). In der Folge schaffen Bildungssysteme nicht nur wichtige gesellschaftliche Fähigkeiten und sichern die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, sondern sind maßgeblich an der Schaffung sozialer Ungleichheit beteiligt, indem Bildung neben Macht, materiellem Wohlstand und sozialem Prestige zur vierten Basisdimension sozialer Ungleichheit geworden ist (Hradil, S.31). So hat sich im Zuge der fortschreitenden Tertiärisierung und „de-industrialization“ (Wilson, S.31) der Ökonomien die Bedeutung qualitativ hochwertiger Bildung als Folge von anspruchsvolleren Qualifikationsprofilen in vielen Tätigkeiten gesteigert (Kons. Bildungsb., S.15) und sind Stellen für niedrig Qualifizierte bei deutlichen Reallohnverlusten, sowohl in Deutschland als auch in den USA massiv abgebaut worden (Wilson, S.32). Gleichzeitig ist der Anteil der Berufe, die u.a. hohes Fachkönnen voraussetzen, von 1950-1987 um 22% gestiegen (Vester 2006, S.41). Wie auch die PISA Studie bestätigt (Hamburger, S.11), spielen in Folge dessen Bildung und Wissen eine immer „[...] bedeutsamere Rolle bei der Statuszuweisung und der (Re-)Produktion und Legitimation von sozialer Ungleichheit“ (Berger/Kahlert, S.7), .
Diese Erkenntnis hat u.a. Allmendinger/Leibfried dazu veranlasst, Bildungsarmut nicht länger als Analphabetismus zu bezeichnen, sondern darauf zu verweisen, dass diese aufgrund ungünstiger Verteilungspositionen im innerstaatlichen Verteilungsgefüge bereits beim Verlassen der Schule ohne Abschluss anzunehmen ist (S.47f.). Ähnlich definiert das US Census Bureau „illiteracy“ als „the state of being 14 [...] not having completed more than six years of school“ fest (Dorr/Brannon, S.73). Bildungsarmut wird heute weniger entlang der Linie geschlechtlicher Unterschiede, sondern verstärkt durch herkunftsbedingte und ethnische Ungleichheit determiniert, die dazu führt, dass Immigranten zunehmend vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen bleiben und sich somit ihr Status als „Fremde“ durch kulturelle und ökonomische Distanz verfestigt (vgl. Berger/Kahlert, S.15). Dieses Phänomen wertet Solga als Resultat einer Entwicklung, die den Zugang zu Schullaufbahnen über die „gezeigte und bewertete vorangegangene Leistung“ steuert und somit „notwendigerweise (!) mit Herkunftsunterschieden in der Schule verbunden“ ist (S.20). Die Ausgestaltung des Zugangs zu Bildung ist in demokratischen Gesellschaften auf „Verteilungskämpfe um Zugangschancen und Privilegien zurückzuführen“ (Solga, S.20). Folge ist die Herausbildung von „hegemonialen Bildungsmilieus“ (Vester 2005, S.62), die in pressure groups z.B. in Deutschland auf die Konservierung des dreigliedrigen Schulsystems drängen, indem sie über „von primär spontan gleichgerichteten Strebungen des Habitus getragene Kooperationen“ und formale Aushandlungssysteme den Charakter der Lernanstalten als „Bildungsstätte und als Stätte der klassenbezogenen Akkulturation“ mit dem Ziel wahren helfen, den Zugang zum gehobenen Bildungsmilieu einzuschränken (Opielka, S.131-135). Die Teilhabe an höherer Bildung basiert demnach nicht immer auf dem meritokratischen Prinzip. In Kombination mit proportionaler Benachteiligung von sozioökonomisch und soziokulturell benachteiligten ethnischen Gruppen[7] trägt dies dazu bei, dass soziale Ungleichheit in Deutschland auch von sozialer Ungerechtigkeit begleitet wird. Diese ist vor Allem auf die durch die Stratifizierung des Bildungssystems erzeugten regionalen und sozialen Ungleichheiten zurückzuführen und Folge einer Betrachtungsweise, die den Zusammenhang von Bildungs- und Sozialpolitik verkennt, die in den USA wesentlich ausgeprägter ist (Opielka, S.127; Massey et al., S.5 ff.; vgl. auch Wilson).
Dennoch hat sich in beiden Ländern gezeigt, dass es trotz der Bildungsexpansion einen Fortbestand sozialer Ungleichheiten gibt (Gladieux, S.20), der auf differenzierten Qualifizierungen, anstelle von chancengleicher Bildungsbeteiligung beruht und Folge einer „Stabilisierung und Reproduktion“ unterschiedlicher Bildungschancen auf höherem Niveau ist (Vester 2005, S.44; Solga/Wagner, S.191; Wolf, S.18). Maßgeblich hierfür ist vorrangig das Zusammenwirken von primären und sekundären Herkunftseffekten (Becker, S.165 ff.), die sich in der Form von Sozialisationsbedingungen, in „institutionellen Verteilungsprozessen“ (Vester 2006, S.16) sowie in unterschiedlichen „Aspirationsniveaus“ (Becker, S.167; Solga/Wagner, S.193) und Ressourcen äußern, und von denen Immigranten in besonderem Maße betroffen sind. So sind Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund nicht per se „auf die Eigenschaften der Kinder und ihre migrationsbedingten Startnachteile zurückzuführen, sondern werden in der Schule selbst erzeugt“ und sind somit oft nicht Folge durch „Leistung, Können und Anstrengung“ gezeigter schulischer Leistungen, sondern sozialer Benachteiligungen (Gomolla/Radtke, S.21; Ditton, S.244). Dieses reflektiert sich darin, dass auch in der Pädagogik Merkmale von Immigranten als defizitär angesehen werden[8] („Bildungsbenachteiligung“), so dass häufig davon ausgegangen wird, dass sie Defizite durch Akkulturation zu überwinden haben, und diese seltener als jene „anderen Potentiale“ („Begabungsreserve“), die es zu fördern und zu honorieren gilt, verstanden werden (Vester 2005, S.64; Schelle, S.41; dagegen Sandfuchs/Zumhasch, S.159 ff.; Gogolin 2005, S.279 ff.). Die soziale Benachteiligung wiegt besonders schwer, da sie der Grundannahme westlicher Gesellschaften einer meritokratischen Idee widerspricht, nach der jeder als Folge der „Verwertungs- und Profitinteressen des modernen Industriekapitals“ (Solga, S.22) „sich im freien Leistungswettbewerb einen angemessenen Platz in der Bildungs- und Berufshierarchie erarbeiten könne“ (Vester 2006, S.14) und somit Ungleichheiten quasi verdient seien, da sie als Produkt „meritokratischer Selektion“ in Form von Bildungskarrieren, Schulnoten und Abschlüssen als Zugangsvoraussetzungen zu insbesondere höheren sozialen Positionen angesehen werden müssten (Solga, S.22; Gomolla/Radtke, S.25). In der Folge lässt sich ein binäres Muster von dominantem und unterworfenem entlang der Reproduktionslinien zwischen den gesellschaftlichen Gruppen erkennen (Brantlinger, S.6). Dieses zeigt sich darin, dass die „Institutionen des Bildungswesens [...] Kinder aus den unterschiedlichen Klassen trotz ihrer verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen und ihrer differenziellen Verfügung über kulturelles Kapital [...] gleich [behandeln] und damit Unterschiede in der individuellen Kapitalausstattung als individuelle Begabungsunterschiede [naturalisieren].“ (Georg 2006a, S.8). Dabei werden der Prozess der Selektion sowie die Definition von Begabung selbst Produkte sozial vereinbarter Kriterien und somit durch gesellschaftliche Kräfte geformt (Solga, S.25). So ist der Erwerb von Bildungsabschlüssen an eine organisierte und zertifizierte Form gebunden ist und muss gesellschaftlich anerkannt und kontrolliert sein, während Kompetenzen, die außerhalb von Bildungsinstitutionen erworben wurden, keine Berücksichtigung finden. Grundmann et al. sehen hierin eine „zentrale Ursache“ für die Herausbildung von Bildungsungleichheit (S.43), während Solga aufgrund dessen Bildung nicht als „Kompetenz per se“ ansieht (S.27). In folge dessen zeigte sich im Rahmen einer Höherqualifizierung bzw. eines „upgrading“ von Berufsgruppen, dass ein erweitertes Allgemeinbildungsniveau als Zugangsvoraussetzung für traditionelle Arbeiterberufe im Rahmen der Bildungsexpansion zu einer „allgemeinen Kompetenzrevolution“ (Vester 2005, S.56f) mit erweitertem Anspruch an das kulturelle Kapital geführt hat und somit die Marxsche[9] Befürchtung einer Fragmentierung der Arbeit in dequalifizierte Massenarbeit und hoch qualifizierte geistige Arbeit als Folge der Arbeitsteilung nicht eingetreten ist (Vester 2006, S.40f). Dieser gewachsene Anspruch zeigt sich darin, dass ein Hauptschulabschluss heute fast nur noch für Berufe mit vorwiegend manueller, körperlicher Arbeit qualifiziert, die in immer geringerem Umfang in westlichen Gesellschaften nachgefragt werden, und auch klassische Ausbildungsberufe im Dienstleistungsgewerbe in vielen Fällen ein Abitur bzw. einen High School Abschluss voraussetzen (Stevenson/Nerison-Low, S.101; Wilson, S.27; Vester 2006, S.40f.). Gleichwohl ist die Aussagekraft von Bildungszertifikaten, trotz der starken „Glaubenbasis“, auf denen diese - sowie die Meritokratie per se - insbesondere bei Mitgliedern unterer Schichten stehen (Wilson, S.11ff.), in Bezug auf die Kompetenzen von Individuen und deren meritokratische „Gerechtigkeit“ angesichts der durch gesellschaftliche Kräfte geformten Ansprüche an die individuelle Kapitalausstattung, wie ich noch zeigen werde, in Frage zu stellen (Radtke, S.145).
II Bildungsinstitutionen und (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit
Schulen sind in Bezug auf die Nivellierung sozialer Ungleichheit janusköpfige Institutionen, da sie einerseits in mannigfaltiger Weise Einfluss auf die Bildungsübergänge ausüben und somit wenig zum „Abbau von sozialen Ungleichheiten“ beitragen, andererseits jedoch „nicht nur aus funktionalistischer Sicht“ Orte sind, an denen „herkunftsbezogene Ungleichheiten“ kompensiert werden (sollen) (Hillmert, S.83). Dabei hat es sich gezeigt, dass die Zahl und Höhe der zu überwindenden Barrieren maßgeblich dafür verantwortlich ist, in welchem Maße Bildungssysteme soziale Ungleichheit (re-)produzieren und somit eine „Struktur der intergenerationalen Bildungsvererbung“ schaffen (Becker/Lauterbach 2007a, S.27; s.a. Becker, S.161; Wilson, S.151). Aus diesem Grund schneiden vor allem Bildungssysteme, die auf einem Gesamtschulkonzept beruhen, in Bezug auf die Integration breiter Bevölkerungsschichten besonders gut ab (vgl. Lemke et al. 2001; Lemke et al. 2005). Bestätigt wurde dieser Befund auch durch die Ergebnisse der IGLU-Studie[10], nach der die Leistungsstreuung am Ende der vierten Jahrgangsstufe klein ist und somit davon auszugehen ist, dass die integrierte Beschulung der Grundschule Herkunftseffekte zu kompensieren vermag (Auernheimer, S.10). Dieses Ergebnis ist in Deutschland vor Allem darauf zurückzuführen, dass hier die Wohnsituation weit weniger von Segregation geprägt ist als in den USA[11]. Das Bild der geringen Leistungsstreuung reproduziert sich jedoch in der PISA Studie[12] nicht, nach der 33% der Schüler in Abhängigkeit vom sozioökonomischen Status gerade einmal die Lesekompetenzstufe I erreichten, während sogar über 21% darunter blieben. Hieraus lässt sich insbesondere auch im Vergleich mit den USA schlussfolgern, dass es Mechanismen im deutschen Schulsystem gibt, die zu Benachteiligungen von sozioökonomisch schwachen Schülern, sowie Schülern mit Migrationshintergrund, führen (Auernheimer, S.10; Waterman/Baumert, S.62f.; Lemke et al (2005), S.14). So ließ sich belegen, dass die Empfehlungen von Grundschullehrern für den Übergang auf weiterführende Schulen häufig ungeachtet der objektiven feststellbaren Leistungen der Schüler Herkunftsmilieus spiegeln, so dass es für 90% von Ihnen bereits im Kindesalter zu einer Festschreibung des Bildungsverlaufes und damit der zukünftigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt kommt (Gogolin 2006, S.47; Solga/Wagner, S.189). Das von Rabe-Kleberg angesprochene Strukturmoment sozialer Ungleichheit in der Kindheit kann sich somit ein Leben lang als Folge des Eingriffes in den „kindlichen Schonraum“ auswirken (S.78). So besuchen im deutschen drei- bzw. viergliedrigen Schulsystem Kinder aus Familien der oberen Dienstklasse überproportional oft das Gymnasium, während Arbeiterkinder unterrepräsentiert sind (Dt. PISA Kons., S.355). Weiterhin lag die Wahrscheinlichkeit, dass Akademikerkinder das Gymnasium statt der Hauptschule besuchen, 14-mal höher als bei Arbeiterkindern der Geburtskohorte 1964-1971 (Hillmert/Jacob, S.163ff.). In der Folge kommt es zu einem sozialen „creaming out“ der Schülerschaft auf dem Gymnasium, das für 70% der Fähigkeitsvarianz zwischen den Schulen verantwortlich gemacht wird (Solga/Wagner, S.192; Baumert/Stanat/Watermann, S.95). Gymnasium und Universität erweisen sich so als „Mobilitätsbarrieren“ (Georg 2006b, S.141), da sie den Zugang zu höheren Sozialpositionen regeln und somit das sozial gestufte Schulsystem unmittelbar in ein sozial gestuftes Berufssystem überführen (Vester 2006, S.14; S.36). Brantlinger zieht daraus die Erkenntnis, dass es im Interesse der herrschenden Mittelklasse liege, eine sozial homogene Schülerschaft durch Abtrennung von den unteren Klassen entstehen zu lassen (S.58f.). Hieraus ergeben sich jedoch dramatische Folgen für die Bildungsverteilung: Diese Homogenisierung hat als Produkt der kontinuierlichen Selektion in Abhängigkeit von dem ökonomischem Status und kulturellem Kapitalbesitz der Eltern zu einer hohen Standardabweichung und einem überproportional hohen Anteil an Schülern, die in Abhängigkeit von ihrem sozioökonomischen Status lt. PISA Studie noch nicht einmal die Kompetenzstufe I erreichen, geführt (Georg 2006b, S.123). Vor Allem in Deutschland ist der auch von vielen Lehrern geteilte Glaube an eine angeborene Intelligenz und Begabung weit verbreitet, während die meisten Lehrer in den USA, wie die Studie von Stevenson/Nerison-Low belegt, dem elterlichen Einfluss und anderen Sozialisationseinflüsse (z.B. Nachbarschaftseffekte) mehr Bedeutung beimessen (S.54f.; s.a. Weber, S.73), die, die nach der Studie von Chase-Lansdale et al. auch stets mit den gemessenen Intelligenzwerten korrelieren (S.94ff.). Folgt man Studien, wie der von Steinberg und der von Wilson, lässt sich kein linearer Zusammenhang zwischen gemessenen IQ Werten und Schulerfolg nachweisen, so dass eine klare Trennung von anderen sozialisatorischen Einflüssen nicht erfolgen kann, und de facto nur aggregierte Ergebnisse von sozialem Status und Bildung gemessen werden, deren Trennung von „Intelligenz“ oder „Fähigkeit“ Schulen bzw. einzelne Lehrer nicht zu leisten vermögen können sollten (Steinberg, S.59; Wilson, S.XVI). Dennoch wird in Deutschland häufig zur Entlastung der Schule eine geringere intellektuelle Leistungsfähigkeit ungeachtet ihrer Beeinflussung insbesondere durch sprachliche Faktoren (Chase-Lansdale et al., S.100) neben einem negativen Einfluss der Eltern als Ursachen ins Feld geführt, wenn Schulerfolge von Migrantenkindern ausbleiben (Gomolla/Radtke, S.185). Es scheint demnach, dass vielen Akteuren im Bildungssystem das Bewusstsein dafür fehlt, dass „soziale Reproduktion unter meritokratischen legitimierten Bedingungen ihre Prozesslogik verschleiern muss“, was konkret bedeutet, dass „die ungleiche Verteilung kulturellen Kapitals in verschiedenen Segmenten der Sozialstruktur in der Weise naturalisiert wird, dass sie als individuell zurechenbare Begabungs- und Fähigkeitsunterschiede überhöht wird“, was von vielen mitgetragen wird (Georg 2006b, S.124; s.a. Wilson, S.179ff.; Rabe-Kleberg, S.81).
III Faktoren der ungleichen Verteilung von Bildungschancen
III.1 Vor- und Grundschule als Grundstein von Selektion
Bereits im Vorschulalter werden Bildungsentscheidungen und somit sekundäre Herkunftsfaktoren relevant in Bezug auf den Bildungserfolg. So hängt z.B. in Deutschland der Besuch eines Kindergartens und der daraus zu erwartende Nutzen für das Kind von verschiedenen Faktoren ab (Stanat/Christensen, S.128f.). Fehlende Kindergartenzeiten wirkten sich im Ergebnis negativ auf die Wahrscheinlichkeit der Einschulung im entsprechenden Alter aus (Gomolla/Radtke 2007, S.179). Auch wenn der Kindergarten in den seltensten Fällen besondere Sprachförderungen anbietet, wird sein Besuch oft „wie eine implizite Mitgliedschaftsbedingung als allgemeingültiges Entscheidungskriterium“ bei der Entscheidung über die Einschulung von Kindern angeführt (Gomolla/Radtke 2007, S.179). Zwar ergeben empirische Untersuchungen (z.B. PISA 2003; Jungbauer-Gans, S.189), dass die vorschulische Erziehung grundsätzlich für die spätere schulische Entwicklung, insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund, von Vorteil ist (Becker/Lauterbach 2007b, S.125ff.;OECD, S.104f.), jedoch wird sie von Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status und Immigranten (Schulze/Soja, S.194) häufig aus finanziellen Gründen (Kreyenfeld, S.104f.) wahrscheinlicher jedoch aus Mangel an Informationen (OECD, S.16), seltener in Anspruch genommen (Hamburger, S.18; s.a. Diefenbach, S.221), weshalb auch der OECD Wirtschaftsbericht 2008 eine Ausweitung (S.9) und Verbesserung der Qualität (S.106) der Kinderbetreuung anmahnt um eine Kompensation primärer Herkunftseffekte zu ermöglichen (Becker/Lauterbach 2007b, S.125ff.). Eine vergleichbare „Aggregation von Herkunftseffekten“ bereits im Vorschulalter lässt sich in ähnlicher Weise in den USA feststellen, wo die Kinderbetreuung größtenteils von privaten Unternehmen angeboten wird (Rabe-Kleberg, S.84f.; Chase-Lansdale et al., S.80), sich jedoch trotz höhere Kosten wesentlich höhere frühkindliche Betreuungsquoten einstellen als in Deutschland (OECD, S.107) und einzig in der Gruppe der 3-5 Jährigen im Vergleich zu Deutschland die Kinderbetreuungsquote niedriger ausfällt (ebd., S.108). Die tendenziell positiven Effekte eines Kindergartenbesuch (Becker/Lauterbach 2007b, S.150) sollten sich folglich auch in den USA einstellen. In Deutschland ist jedoch vor Allem die Grundschule bedeutsam in Bezug auf die schulische Entwicklung von Immigranten. So werden in vielen Fällen bei der Schuleingangsuntersuchung festgestellte Defizite in der deutschen Sprachfähigkeit bei Kindern aus Einwandererfamilien mit anderen Mängeln in der kognitiven und psychomotorischen Entwicklung der Kinder auf der Basis von generalisierten Erfahrungswerten (Stereotypisierungen) und subjektivem Empfinden assoziiert, so dass Immigranten überproportional häufig von der Einschulung zurückgestellt werden (Gomolla/Radtke 2007, S.169ff.; Kons.Bildungsb., S.151). Gerade die Grundschule aber soll als verantwortliche Institution hauptsächlich für die Vermittlung von Sprachkompetenzen positiven Einfluss auf die sprachliche Entwicklung von Migrantenkindern nehmen (2006, S.41). Vielmehr werde jedoch die Deutschnote im Verhältnis zu anderen Kompetenzen übergebewertet was, so Diefenbach, bereits hier Formen der indirekten institutionellen Diskriminierung auftreten lasse (S.234). Diese Gewichtung der deutschen Sprachkompetenz lässt das Risiko für Immigrantenkinder steigen im Einschulungsalter aufgrund sprachlicher Defizite oder fehlender Kindergartenzeiten in den Schulkindergarten zurückgeführt zu werden (Gomolla 2006, S.91; Gomolla/Radtke 2007, S.135ff.). Eine Ursache ist hier sicher in dem hier herrschenden Fachkräftemangel im Bereich Deutsch als Fremdsprache zu suchen (Bender-Szymanski, S.225). Zu vermuten ist ferner, dass sich in den gründlicheren Einschulungstests bei Immigranten Pygmalioneffekte eingestellt haben könnten, in Folge dessen derartig betroffene Kinder zudem noch von dem Stigma der Überalterung betroffen werden (Gomolla 2006, S.94). Unter Anderem hieraus könnte schließlich der enge Zusammenhang zwischen im heimischen Umfeld gesprochener Sprache und der schulischen Entwicklung in Deutschland, vor Allem im Vergleich zu den USA resultieren. (Lemke et al. 2001, S.48; OECD, S.98).
III.2 Die deutsche Selektion
Die PISA Studie hat zu der Erkenntnis geführt, dass die „sozialhierarchische Schichtung des Bildungserfolgs“ in keinem Land so groß ist wie in Deutschland (Opielka, S.129). Dieses mag man darauf zurückführen, dass Deutschland vor allem dem „Prinzip der Exzellenz“ in der Beschulung folgt, wonach primär die als besonders begabt angesehenen Schüler im Sinne einer Herausbildung maximaler Leistungsentwicklung gesondert gefördert werden sollen (Peek/Neumann, S.132), wobei davon auszugehen ist, dass sich auch bei „Verringerung der Gliederung [und Aufgabe des Exzellenzprinzips] kein Trade-Off zwischen Effizienz und Chancengerechtigkeit“ einstellen würde (OECD, S.112) . Diese (nicht immer) leistungsabhängige Selektion von Schülern, zur Erreichung homogener und fördernder Entwickungsmilieus Begabter führt dazu, dass viele Schüler mit einem herkunftsbedingten Mangel an dominantem kulturellen Kapital weniger Chancen für dessen Erwerb erhalten (Auernheimer, S.12; OECD, S.112), wodurch Reproduktionsmechanismen verstärkt werden. Vor Allem für Einwanderer aus den ehemaligen Anwerbestaaten ergeben sich latente Folgen in Bezug auf die Akkumulation kulturellen Kapitals. Sie stammen zumeist aus niedrigen Sozialschichten und sind im Vergleich zu den Deutschen doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Hier können Humankapitaldefizite (vgl. OECD, S.15) nur sehr schwer abgebaut werden, was zu einer Manifestation vergleichbar hoher Arbeitslosigkeit der Folgegeneration führt (Jungbauer-Gans, S.178; Hamburger, S.16; Nauck et al., S.709). Dementsprechend werden die niedrigen Bildungsgänge überproportional häufig von Ausländern und Kindern aus niedrigen Sozialschichten besucht, während Angehörige höherer Sozialschichten in den attraktiven Bildungsgängen vergleichsweise überrepräsentiert sind (Kornmann, S.75). Als Erklärungsansätze werden, wie etwa im Fall der türkischen Mitbürger in Deutschland, Defizite auf Grund eines „kulturellen Anders-sein“ als Folge der Herkunft aus „vormodernen Gesellschaften“ herangezogen (Jungbauer-Gans, S.178). Die entsprechenden Defizite bei Immigranten lassen sich jedoch nicht allein durch Defizite in der Sprachfähigkeit und kulturelle Distanz erklären. Sie werden vielmehr vor Allem durch eine vom sozioökonomischen Status abhängige und durch kulturelle Unterschiede verstärkte „Segregation im gegliederten Schulsystem“ verursacht (Auernheimer, S.18), die sich in der Freizeit fortsetzt (Böhmisch, S.145). Sie verhindert oder erschwert zumindest dauerhaft eine Verbesserung der Sprachkenntnisse als eine Voraussetzung für das Gelingen einer Integration, weshalb auch der OECD Wirtschaftsbericht 2008 dazu rät die Gliederung des Schulsystems zu verringer (OECD, S.9). Im Falle der türkischen Migranten wird die ohnehin starke Tendenz zur Segregation noch verstärkt (Auernheimer, S.18; s.a. Stanat, S.194; Müller/Stanat, S.250; Kons. Bildungsb., S.161). Vester argumentiert, dass diese kulturelle Segregation „zur Grundlage auch formeller institutioneller Segregation werde“ (2005, S.26), was zur Folge hat, dass fast 50% der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund die Hauptschule besuchen, von denen wiederum 20% diese ohne Abschluss verlassen[13]. Die Konzentration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus benachteiligten sozialen Milieus an den Hauptschulen verstärkt die „subkulturelle Abschottung“ mit gravierenden Folgen für das Schulklima[14], das, so Peek/Neumann, andernfalls positiv im Sinne einer Entkopplung von sozialer Herkunft und Schulleistung wirken könnte, durch die starke soziale Selektion jedoch zu der Herausbildung von nachteiligen Lern- und Entwicklungsmilieus in der Hauptschule und im Rahmen von „Basking-in-reflected-glory-Effekten“ zu einem „Selbstwertverlust“ der Schülerpopulationen führt (S.135). Als Folge von Stigmatisierungs- und Labellingprozessen kommt es aufgrund von negativen Verhaltensattributionen, insbesondere von Kindern mit ohnehin wenig kulturellem Kapital (Böhmisch, S.18) zu Diskriminierungen (Solga/Wagner, S.187; Baumert/Stanat/Watermann, S.99-102; S.151), die massive ethnische und kulturelle Selektionen mit negativen Auswirkungen auf den Verlauf der schulischen und beruflichen Karrieren, die „Chancen der Kompetenzentwicklung“ (Watermann/Baumert, S.67) und damit den späteren durch den Beruf vermittelten sozioökonomischen Status auslösen. Im Rahmen von Übergangsempfehlungen zeigen sich oft Formen indirekter institutioneller Diskriminierung, indem Kinder mit Migrationshintergrund oft trotz gleicher Schulleistungen in niedrigere Schulformen als deutsche Kinder unter Hinweis auf sprachliche Defizite empfohlen werden, wovon in ähnlicher Weise nur autochthone Schüler aus niedrigen Sozialschichten durch ihre schichtspezifischen Codes im Sinne der Defizit- und Differenzhypothese betroffen sind (Bernstein, S.15 ff.; Gomolla 2006, S.94; Ditton, S.250; Hummrich/Wiezorek, S.114-115; Kons. Bildungsb., S.165). Dieses führe zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber Diskriminierungen in der Schule und dazu, dass zwischen gerechtfertigter oder diskriminierender Bewertung der eigenen Leistung nicht mehr differenziert werden könne und sich zudem durch wiederholten Misserfolg „Leistungsängste, Frustration und negative Leistungsmotivationen“[15] einstellten (Schulze/Soja, S.200-203; Gomolla/Radtke, S.84; Grundmann et al., S.47). Neben sprachlich-kulturellen Differenzen beruhen etwaige Muster der Diskriminierung in den Übergangsempfehlungen auch auf Persönlichkeitsmerkmalen der Schülers, die sich als Folge der sozialen Zusammensetzung der Lehrerschaft an den Erziehungsidealen und Wertvorstellungen einer konventionellen Mittelschichtsmoral zu messen haben, wodurch Unterschichtenschüler und Schüler aus fremden Kulturkreisen trotz mit denen der deutschen Mitschüler vergleichbarer Leistungen als ungeeignet für das Gymnasium etikettiert (im Sinne des Etikettierungsansatzes; Böhmisch, S.63ff.) werden (Dravenau/Groh-Samberg, S.108-109; Ditton, S.249; Konsortium Bildungsberichterstattung, S.165). Ausschlaggebend dürfte hier sein, dass neben den gezeigten schulischen Leistung viele andere Faktoren, wie „gute Umgangsformen“ und „Sozialverhalten“, die Empfehlung der Grundschule beeinflussen (Jungbauer-Gans, S.176; Ditton, S.256f.). Zudem wird oft das Erfordernis „perfekter Deutschkenntnisse“ in paternalistisch klingenden Argumentationen (Gomolla/Radtke, S.251) als Hürde für den Gymnasialbesuch angesehen, wodurch die „odds ratios“ für den Besuch höherer Schulformen sinken, wie Müller/Stanat in Bezug auf türkische und aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion stammende Jugendliche gezeigt haben (S.233). Diese wiesen bei Kontrolle der Leseleistung aufgrund teilweise höheren Aspirationsniveaus und daraus resultierender gesteigerter Motivation sogar höhere Chancen auf als die Deutschen, hatten jedoch insgesamt und vor Allem bei Kontrolle des sozioökonomischen Status signifikant geringere Chancen (Gomolla/Radtke, S.244; Konsortium Bildungsberichterstattung, S.152; Stanat/Christensen, S.8; 69). Derartige Formen des wohlmeinenden Paternalismus zeigten sich auch in den USA bei der leistungsabhängigen Sortierung von Schülern mit Migrationshintergrund (Brantlinger, S.12), wobei dieser, wie eine Lehrerbefragung verdeutlicht, in Deutschland wohl häufig auch von einer Art Protektionismus geprägt ist, der der Sorge von Lehrern entspringt, durch einen steigenden Anteil von Kindern aus „ausländischen Arbeiterfamilien“ und eine laxere Handhabung der Gymnasialzulassung eine Herabsenkung der Standards herbeizuführen (Stevenson/Nerison-Low, S.124). In dieser Sorge reflektiert sich oft die Auffassung der Nicht-Zugehörigkeit von Immigranten zur deutschen Gesellschaft (Hamburger, S.7f.). Es darf aber angenommen werden, dass viele Kanalisierungen „ohne Intention und Bewusstsein“ (Lange-Vester/Teiwes-Kügler, S.59) vorgenommen worden sind, was Gomolla/Radtke auch als das Hauptmerkmal indirekter institutioneller Diskriminierung ansehen (S.84). Dieser Befund erschwert die empirische Forschung auf diesem Gebiet, da Kontrollinstrumente zur Aufdeckung ihrer Institutionalisierung in Organisationen in der Form von „formalen Rechten, etablierten Strukturen, eingeschliffenen Gewohnheiten, etablierten Wertvorstellungen und bewährten Handlungsmaximen in der Mitte der Gesellschaft“ (Gomolla/Radtke 2007, S.18) fehlen. So gehen Nauck/Diefenbach/Petri davon aus, dass Diskriminierungs- und Institutioneneffekte nicht nachweisbar seien (S.701). Neben den herkunftsspezifischen Kanalisierungen, die z.T. auf Formen des Paternalismus, einer Diskriminierung, sowie (Miss-)Erfolgserwartungen auf Grund unzureichender Sprachkompetenzen basieren, werden bei den Übergangsempfehlungen oft die mangelnde Schulbildung der Eltern, ihre „falschen“ Bildungsaspirationen und ihre Unkenntnis des deutschen Schulsystems angeführt (Gomolla 2006, S.94-95). Dabei wird vielfach von „kulturell defizitären“ Grundannahmen ausgegangen, die auf kulturellen Differenzen zwischen Elternhaus und Schule basieren, so dass sich das ökonomische Kapital sowie das Bildungsniveau der Eltern trotz eines mit deutschen Mitschülern vergleichbaren Leistungsniveaus signifkant auf die Zugangswahrscheinlichkeit zum Gymnasium auswirken (Diefenbach, S.224; Weber, S.72; Hummrich/Wiezorek, S.105; Hinz/Groß, S.210). Einfluss gewinnen hier auch schichtabhängige Bildungsaspirationen, die durch familiäre Erwartungen und schulische Empfehlungen geprägt sind (Solga/Wagner, S.193) aus. In ihnen zeigt sich die „resignative Zurückhaltung“ (Ditton, S.249) unterer Sozialschichten, die primär negative Assoziationen mit höherer Bildung haben, was sich darin zeigt, dass Eltern aus niedrigeren Sozialschichten bei gleichen Schulleistungen eher zu niedrigeren Schulformen tendieren als Eltern aus höheren Sozialschichten (Geißler 2005, S.77; s.a. Hillmert/Jacob, S.163; Becker, S.172f.). De Graaf & de Graaf sprechen in diesem Zusammenhang von Mechanismen der „Selbstselektion“, die, neben der unmittelbaren Selektion durch Dritte, den Bildungserfolg von Kindern aus Familien mit wenig kulturellem Kapital beeinflussen und sich dabei als sozial selektiver als die Lehrerempfehlungen erweisen (S.149, s.a. Ditton, S.258). Die unterschiedlichen Verhaltensmuster lassen sich in vielen Fällen damit erklären, dass in höheren Sozialschichten „eher mit Unterstützung unterschiedlicher Art“ gerechnet werden kann und zudem Erfahrungen versprechen, dass „man gar nicht besonders clever sein muss, um es an einer Universität zu schaffen“ (Vester 2006, S.17). Neben Formen der Selbstselektion und kulturell-selektiven Übergangsentscheidungen beeinflussen auch „logistische“ Faktoren die Bildungsverläufe in Deutschland, die sich z.B. darin zeigen, dass Grundschulen sich in ihren Übergangsempfehlungen an der Kapazität der Sekundarschulen richten (Gomolla 2006, S.96; Gomolla/Radtke, S.28) und somit das Selbsterhaltungsstreben einzelner Schulen sowie das regionale Angebot maßgeblich an der Entstehung struktureller Ungleichheiten beteiligt sind (Gomolla/Radtke, S.118ff.). Dieser Faktor wird dadurch noch verstärkt, dass sich auch in individuellen Bildungsentscheidungen schulformunabhängige Entscheidungen für konkrete Institutionen in Abhängigkeit vom regionalen Angebot zeigen (Hillmert, S.86f.) und somit „[...] die Menge der Bildungschancen von der Beschaffenheit des Schülerpublikums abhängig ist und sich aus institutionellen Festlegungen ergibt“ (Diefenbach, S.230). Folglich ist die Übergangsempfehlung nicht nur Subjekt der „Deutungsmacht“ der „Gatekeeper“ (Roscigno/Ainsworth-Darnell, S.100) im Bildungssystem, sondern zugleich auch ein zentrales Instrument, das zu „herkunftsbedingten Kanalisierungen im Bildungssystem“ führt (Solga, S.31). Diese Kanalisierungen sind z.T. auch ex post in Fällen beobachtet worden in denen die Gesamtschule, die einen positiven (kompensatorischen) Einfluss[16] auf den Schulerfolg von Immigranten hat, als „ideale Schule für Migrantenkinder“[17] gepriesen wurde. Durch den erhöhten Andrang an den Gesamtschulen kam es im Untersuchungsgebiet auch dort zu gestiegener Selektivität, so dass die so empfohlenen Schüler oft schließlich doch aufgrund fehlender Plätze die Hauptschule besuchen mussten (Gomolla 2006, S.95; Gomolla/Radtke, S.252ff.; S.273).
Ferner wurde deutlich, dass es auch zu einer durch Vorurteile geprägten differentielle Diskriminierung[18] durch Institutionen des Bildungs- und Arbeitssektors kommt. Diese Diskriminierung lässt sich auch durch eine Reihe von Migrantenerlebnissen dokumentieren (vgl. Schulze/Soja, S.200ff.). Diese festzustellende Art der Diskriminierung kann teilweise mit dem Etikettierungsansatz erklärt werden, da davon auszugehen ist, dass sowohl erfolreiche als auch erfolglose Schüler „zu einem entscheidenden Anteil Konstrukt und Produkt der Organisation, deren Unterscheidungen und der darauf folgenden Entscheidungen“ seien (Gomolla/Radtke, S.59; S.29). Dies schlägt sich schließlich in Schulformspezifischen Pygmalioneffekten nieder, indem sich in den Schulen des dreigliedrigen Schulsystem unterschiedliche Erwartungshaltungen entwickeln (Auernheimer, S.12). Kinder mit Migrationshintergrund benachteiligenden Etikettierungen und Stigmatisierungen (Gomolla/Radtke, S.200) zeigen sich schließlich auch darin, dass sie überproportional häufig auf die Sonderschule überwiesen werden. Die entsprechenden psychopathologischen Diagnosen der Lehrkräfte sind dabei nicht selten von „ethnischen Stereotypen und Beurteilungsfehlern geprägt“ (Walter, S.61; Kons.Bildungsb., S.166). Im Ergebnis ist das relative Risiko eines Sonderschulbesuches für ausländische Schüler, das lediglich für autochthone Kinder un- und angelernter Arbeiter ähnlich hoch ausfällt, mit 4,72% im Vergleich zu 2,12% bei Deutschen im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch: Hieraus resultierte 2002 ein Ausländeranteil von 17,66% in Sonderschulen mit dem Schwerpunkt „Lernen“ (Kornmann, S.72; Gomolla/Radtke, S.140; Vester 2006, S.19; Weiss, S.183; Nauck/Diefenbach, S.710). Dabei traten allerdings erhebliche regionale Differenzen zu Tage. So lag der Ausländeranteil unter den Sonderschülern mit dem Schwerpunkt „Lernen“ in den neuen Bundesländern wesentlich niedriger (Weiss, S.183). Vor diesem Hintergrund kommen Gomolla/Radtke zu dem Schluss, dass durch die Existenz einer Sonderschule eine „auf informellen und unausgesprochenen Wegen durch ihre Routinen und täglichen Verfahren als ein unzerstörbarer Teil des institutionellen Habitus“ basierende insitutionelle Diskriminierung erst ermöglicht wurde[19], indem Sonderschulüberweisungen als „Routine, gewohnt [und] selbstverständlich“ Ausländer mit Sprachschwierigkeiten betrafen (S.18; s.a. Gomolla 2006, S.90). Die Studie von Gomolla/Radtke hat einen messbaren Anstieg der Wahrscheinlichkeit der Überweisung an eine Sonderschule für die Gruppe der ausländischen Kinder, bei gleichzeitigem Absinken der Wahrscheinlichkeit der Überweisung für deutsche Kinder, alleine aufgrund des Umstandes festgestellt, dass „Vorbereitungsklassen in Langform“ weggefallen waren (S.141ff.). Dieser Wegfall führte zu einem Anstieg des Ausländeranteils in der Regelschule, den diese befürchtete nicht bewältigen zu können, während die Existenz von Sonderschulen im Untersuchungsgebiet durch sinkende Schülerzahlen bedroht war, so dass auch hier administratorische Gründe anzunehmen waren (S.141ff.). Gomolla/Radtke sehen hier nicht zu Unrecht einen Beleg dafür, dass die Entscheidungen für eine Überweisung teilweise willkürlich getroffen werden (S.141). Bei einer genauen Überprüfung zeigten Sonderschulgutachten häufig nur unzureichende Überprüfungen der Fähigkeiten, die nicht Funktion der deutschen Sprachkompetenz sind (ebd., S.200ff.). Die Gutachten schlossen vielmehr oft aus Defiziten in der Sprachfähigkeit auch auf intellektuelle Defizite, die z.T. sogar direkt aus defizitären Merkmalen von Familienangehörigen abgeleitet wurden (ebd., S.200ff.). Diese Tendenz zur Separation zeigt sich auch bei Betrachtung der Förderprogramme für den Spracherwerb, die in Deutschland nicht wie in anderen Ländern erfolgreich in den Schulalltag integriert sind, sondern in separaten Klassen stattfinden, den Charakter einer „Zusatzaufgabe“ erhalten und die segregativen Elemente des dreigliedrigen Schulsystemes reproduzieren (Gomolla 2006, S.108ff.). Sie sind in eine Tradition separater Beschulung eingebettet, die seit den 1970er Jahren mit den „Vorbereitungsklassen in Langform“ (oft ohne Möglichkeit eines Schulabschlusses) gepflegt wird (ebd., S.108ff.), obwohl Studien ergeben haben, dass eine integrierte Förderung einen wesentlich höheren Nutzen erzielt (Hurrelmann, S.174; Wilson, S.XV ff.).
Vor dem Hintergrund sozialstruktureller Differenzen und unterschiedlicher Verhältnisse in den einzelnen Bundesländern zeigten sich zudem bei der PISA Studie enorme Überlappungen in den Kompetenzen zwischen den unterschiedlichen Sekundarschultypen (u.a. Solga, S.26). Eine bundesweit leistungsgerechte Verteilung leistungsgerechte Verteilung von Schülern auf die einzelnen Schultypen scheint damit in weiter ferne zu liegen. Vielmehr werden bestehende Ungerechtigkeiten durch die Selektionsmechanismen im deutschen Schulsystem noch verstärkt. Die Beibehaltung der Differenz ist dabei „als notwendige Bedingung zur Herstellung sozialer Ordnung“ zu verstehen, die es notwendig macht die anzuzweifelnde formale Chancengleichheit bei Aufrechterhaltung von Ergebnisungleichheiten beizubehalten, da „Gleichheit in den Ergebnissen als dysfunktional gilt“ (Solga, S.26; s.a. Opielka, S.128). Die Stratifizierung des deutschen Schulsystems führt schließlich dazu dass Kompetenzen, die die Schule erst vermitteln soll implizit bereits vorausgesetzt werden und somit das Ergebnis durch soziale Selektionsmechanismen bereits vorweggenommen wird (Jungbauer-Gans, S.180). Die Mechanismen führen schließlich dazu, dass sich ein ausgeprägter Zusammenhang von sozioökonomischem Status und ethnischer Herkunft mit dem Bildungserfolg einstellt, die z.T. auf diskriminierenden Annahmen und ihren Konsequenzen beruht. Sie zeigen sich vor Allem in Form der institutionellen Hürden im Übergang zwischen primärer und sekundärer Bildung.
III.3 Reversibilität von Bildungsentscheidungen in Deutschland ?
Als Folge falscher Übergangsentscheidungen auf Basis der von der Schule ausgegebenen Empfehlungen bzw. fehlender Bildungsaspirationen der Eltern kommt es bei Kindern mit Migrationshintergrund sehr oft zu „verschlungenen Bildungspfaden“ mit häufigen Schulwechseln (Schule/Soja, S.198). Zwar lässt die Studie von Schulze/Soja keine klaren Tendenzen eines Schulwechsels zu Gunsten einer höheren oder niedrigeren Schulform erkennen (S.198) und erfasst auch den sozioökonomischen Status der untersuchten Schüler nicht, doch lässt sich auf Basis der Daten von Hillmert/Jacob annehmen, dass ein höheres Bildungsniveau der Eltern einen Schulwechsel in eine höherwertigere Schulform genauso begünstigt, wie ein niedrigeres Bildungsniveau umgekehrt die Wahrscheinlichkeit eines Schulwechsels in eine niedrigere Schulform erhöht haben muss (S.166). So stellen auch Gomolla/Radtke in Bezug auf türkische Immigranten heraus, dass von Autoritäten im Bildungssystem „ohne antizipierte Elternunterstützung“ der Übergang in „höhere Bildungsgänge, vor Allem zum Gymnasium kategorisch ausgeschlossen wird (2007, S.256). Hieraus wird gefolgert, dass im deutschen Schulsystem die soziale Ungleichheit „von Stufe zu Stufe kumulativ verstärkt wird“ (Vester 2006, S.19), was insbesondere Schüler, die mit Problemen aufgrund ihres sozioökonomischen und kulturellen Hintergrunds zu kämpfen haben und ihre Platzierung „gegen die Schule“ durchsetzen müssen, benachteiligt (Schulze/Soja, S.200). Die Benachteiligung ist dabei weitreichend, da jedweder Schulwechsel zur Erreichung eines angestrebten Bildungstitels, so Hillmert/Jacob, mit einem erhöhten individuellen Einsatz verbunden ist, der sich aus der Leistung zur Anpassung an die neue Schulumgebung ergibt, so dass diese Schüler offensichtlich höheren Belastungen ausgesetzt sind als die, die keinen Schulwechsel vollziehen müssen (S.158f.). Durch einen Schulwechsel erhöhen sich die Risiken von Bildungsinvestitionen, was insbesondere sozial schwächere Familien davon abschrecken dürfte einen Schulformwechsel, insbesondere hin zu einer weiterführenden Schule zu vollziehen (Dravenau/Groh-Samberg, S.107; Hillmert/Jacob, S.166; Kristen/Granato, S.124). Dieser Anstieg der Risiken von Bildungsinvestitionen führt dazu, dass es durch die Wahrnehmung „zweiter Chancen“ durch eine Korrektur einmal eingeschlagener Bildungswege nicht zu einer Kompensation, sondern zu einer Vergrößerung von Bildungsunterschieden kommt (Hillmert/Jacob, S.172f.). Ein Schulwechsel wirkt sich nämlich primär für Akademikerkinder positiv auf ihre Chancen des Abiturerwerbs aus, während für Kinder aus Arbeiterfamilien in Folge der Durchlässigkeit des Schulsystems „nach unten“ die Chancen im Verlauf der Bildungskarriere derart sinken (OECD, S.114), dass ihre Chancen auf ein Hochschulstudium im Alter von 26 Jahren letztlich 24-mal niedriger ausfallen als für Akademikerkinder (Hillmert/Jacob, S.172f.). Dies belegen auch die Daten von Hinz/Groß, die aufzeigen, dass 26% der 15-jährigen Schüler einen Abstieg in eine niedrigere, aber nur 3% dieser Altersgruppe einen Aufstieg in einer höhere Schulform vollzogen hatten (S.213). Folglich wird in Bezug auf das deutsche Schulsystem von einer ausgeprägten „Abwärtsmobilität“ gesprochen (Watermann/Maaz, S.232; Gomolla/Radtke 2007, S.94f.; S.237; OECD, S.114), die vor Allem auf der Bewahrung von guten Schülern in der Real- und Hauptschule beruht, da deren Schülerschaft ja durch Elternwille und Abschöpfung der Gesamtschulen schon sehr stark selektiert ist (Gomolla/Radtke, S.235f.). Zu anderen Erkenntnissen kommt jedoch die LifE Studie, die zeigt, dass bei einer langfristigen Betrachtung von Schülerkarrieren letztlich 30% der Hauptschüler einen höheren als den Hauptschulabschluss, 30% der Realschüler einen höheren als den Realschulabschluss und 25% der Gymnasiasten nicht das Abitur erreichen, wobei sozioökonomische und ethnische Daten leider fehlen (Fend, S.275). Gleichwohl belegen auch diese Daten, dass in der Schulpraxis offensichtlich in großem Umfang keine gerechte, den individuellen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Eignungsprognose für Schüler vorgenommen werden kann und durch falsche Übergangsentscheidungen für einen beträchtlichen Anteil von Schülern in Deutschland erhebliche individuelle Mehrkosten[20] entstehen, wie auch Vester in Bezug auf die Revidierbarkeit von Bildungsentscheidungen im Vergleich zu den USA feststellt (2006, S.19). Mehrkosten entstehen insbesondere bei Schülern, die aufgrund einer Sonderschulüberweisung keine Möglichkeit zur Rückkehr in einen anerkannten Schulabschluss mehr erhalten (Gomolla/Radtke, S.95; Becker, S.162). Baethge argumentiert schließlich, dass das dreigliedrige Schulsystem aus diesen Gründen zum „spürbaren Hemmschuh der Entwicklung einer Gesellschaft“ werde, was sich in der „Stagnation der Hochschulexpansion“, „Mängeln in der Heranbildung von Spitzenqualifikationen und Fachspezialisten“ sowie dem „Rückfall Deutschlands auf einen mittleren Platz im durchschnittlichen Bildungsgrad unter den OECD Ländern“ zeige (S.580). Nicht zuletzt deshalb mahnt die OECD auch an, die Durchlässigkeit des gegliederten Schulsystems zu erhöhen um den Zusammenhang von sozioökonomischem Status und Schulerfolg zu entschärfen (OECD, S.17).
[...]
[1] In den USA lebten 1990 19,8 Millionen und 1997 25,7 Millionen Ausländer.Über 12% (1997) bzw. 14% (2000) sind Ausländerkinder und sprechen Englisch nicht als Muttersprache. (U.S. Department of Education. National Center for Education Statistics (2000), S. 54; Lemke et al. (2001), S.45; Konsortium Bildungsberichterstattung, .S.172; Portes, Rumbaut, S.6); Deutschland ist hingegen das wichtigste Einwanderungsland in Europa mit insgesamt 15,3 Mio Menschen mit Migrationshintergrund von denen 7,3 Mio als Ausländer geführt werden und 8,0 Mio eingebürgerte Ausländer sind. (Konsortium Bildungsberichterstattung, S.140; S.171)
[2] Eine kurze Beschreibung des amerikanischen Bildungssystems findet sich u.a. bei Dorr/Brannon, S.72f.
[3] Wolf liefert hierzu jedoch auch keine Erklärung.
[4] Stanat/Christensen heben hervor, dass die sog. Bildungsinländer, die bereits in 2. oder 3. Generation in Deutschland leben, den größten Leistungsabstand zu der deutschen Bevölkerung aufweisen, so dass diese Ausweitung m.E. sinnvoll ist (S.32).
[5] Stanat hebt hervor, dass es in den USA eine Vielzahl Studien zum Einfluss des ökonomischen Status, sowie des ethnischen Hintergrundes gebe. Sehr wenige Studien befassten sich explizit mit Einwanderern, da diese oft als Teil von benachteiligten Ethnien angesehen werden. ( S.196 ) Zur Konstruktion von Ethnizität siehe auch Portes/Rumbaut, S.135ff.
[6] Vgl. hierzu Georg (2006a), S.7-8
[7] Hier sind vor allem Einwanderer aus den klassischen Anwerberstaaten in Deutschland zu nennen, die zu 91% über keinen akademischen Abschluss verfügen (Konsortium Bildungsberichterstattung, S.158), sowie die lateinamerikanischen Einwanderer in den USA, zu einem hohen Prozentsatz keinen High School Abschluss erreichen (Massey et al., S.42 ff.)
[8] Hierfür gibt es eigentlich keinen besonderen Grund. Viele Immigranten - so stellen Portes/Rumbaut in Bezug auf die USA fest - repräsentieren bereits eine leistungsselektierte Gruppe, die i.d.R. qualifizierter ist als der Durchschnitt der Bevölkerung im Herkunftsland. (S.10ff.)
[9] Vgl. hierzu u.a. Münch 2002a, S.117ff.
[10] Die Ergebnisse der IGLU-Studie wurden u.a. in Bos et al. 2003, Bos et al. 2004 und Bos et al. 2005 zusammengefasst.
[11] Dennoch gibt es auch in Deutschland Fälle, in denen ähnlich wie in den USA, als Folge der Segregation innerhalb von Städten, Schulen in solchen Stadtteilen in ihrer Arbeit stark beeinträchtigt sind. (Konsortium Bildungsberichterstattung, S.163)
[12] Die Ergebnisse der PISA Studien wurden u.a. in Baumert 2001, Baumert et al. 2004, Baumert et al. 2007 zusammengefasst.
[13] Im Vergleich dazu : Nur 16% der Deutschen ohne Migrationshintergrund besuchen die Hauptschule. Insgesamt besuchen 31,8% der Schüler mit Migrationshintergrund (16,6% ohne) die Hauptschule, 29,7% (38,6%)die Realschule, 14% (11,6%) die Gesamtschule und 24,6% (32,2%) das Gymnasium. (Ratzki, S.24; Konsortium Bildungsberichterstattung, S.152; Nauck/Diefenbach, S.709
[14] So zeigen sich Ausländerquoten von bis zu 80% an den Hauptschulen, während diese auf den Gymnasien stets unter 50% bleibt. So besuchen 28% der Hauptschüler eine Schule mit hohem Migrantenanteil, aber nur 1% der Gymnasiasten, woraus sich alleine durch die soziale Zusammensetzung Implikationen für die Schulqualität ergeben. (Konsortium Bildungsberichterstattung, S.162-164
[15] PISA 2003 zeigt jedoch höhere Motivationswerte in Mathematik bei Immigranten (Stanat/Christensen, S.90)
[16] Auf der Gesamtschule wurde 4,25% öfter eine Hochschulreife erreicht, 11,05% öfter ein Realschulabschluss erreicht, während 10% weniger einen Hauptschulabschluss erlangten und 5% weniger die Schule ohne Abschluss verließen. (Diefenbach, S.230)
[17] Dieses zeigt sich auch im steigenden Ausländeranteil auf Gesamtschulen, wodurch die Odds-Ratios für den Gesamtschulbesuch von türkischen Jugendlichen, nicht jedoch von Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion, sehr hoch ausfallen (Müller/Stanat, S.233)
[18] Kinder unterschiedlicher Nationalität sind mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit Diskriminierungserlebnissen ausgesetzt. Vgl. Nauck/Diefenbach/Petri, S.701
[19] Da es in den USA keine Sonderschulen gibt, kann eine derartige Diskriminierung hier nicht zu Tage treten. (Stevenson/Nerison-Low, S.72)
[20] Zeitkosten, entgangener Arbeitslohn und Rentenzahlung und zusätzlicher Aufwand durch Umstellungen/Umschulungen etc, sowie eine herabgesetzte Lebensarbeitszeit, die neben der insgesamt teureren und längeren Beschulung, die Gesellschaft belastet.
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