Dies ist der Forschungsbericht zur Bachelorarbeit mit dem Titel "Diasporische Identitäten. Afghanische Frauen in Deutschland zwischen Fundamentalismus und Saekularismus".
Basierend auf ethnografischen Beweisen der Forschung, wollte ich die signifikanten Veränderungen im Lebensentwurf (Vorstellung von zukünftigem Leben) unter afghanische Migrantinnen untersuchen. Gehen sie eine Ausbildung nach? Lernen sie Deutsch? Arbeiten sie schon? Wie vereinbaren sie eventuell Berufstätigkeit und Familie? Halten sie an der Vorstellung der „imaginierten Heimat“ und weigern sie sich aus den tradierten Rollen herauszugehen oder nehmen sie die Herausforderung eines westlichen Lebenskonzeptes an? Das ist der Inhalt der Fragen und Gespräche, die ich für die Forschung vorbereitet habe. Das Feld meiner Forschung lässt sich in zwei Kategorien einordnen.
Zum einen habe ich ein digitales Forschungsfeld erkundet: dies sind alle Online-Recherchen über Afghanistan und Frauendasein, Diaspora, Migration und Ethnographien von afghanischen Frauen (wissenschaftliche Texte, Analysen , Fotos, historische und aktuelle Videoberichte, Artikel in Zeitungen) und allgemeinen Informationen über das Land und Menschen. Zum zweiten die Erfahrung der lokalen Forschung, jedoch mit einem sehr geringen Anteil an teilnehmende Beobachtung, aufgrund der Covid-19 Pandemie. Nach sorgfältiger theoretischer und organisatorischer Vorbereitung und Erfahrung in der Bildungsarbeit mit Migrantinnen aus Afghanistan, wurden für diese Forschung bereitwillige Frauen gesucht. Anfangs war eine höhere Anzahl von Teilnehmerinnen geplant, was dann im Laufe der Pandemie, sich als unrealistisch erwiesen hat. Nur sechs Frauen, haben zugestimmt und mir vorläufige Ergebnisse liefern können. Von den sechs erwähnten Personen ist eine Frau in Deutschland aufgewachsen und hat kaum Erinnerungen an Afghanistan. Sie kennt Afghanistan fast nur durch ihre Eltern. Die restlichen fünf Frauen kamen im erwachsenen Alter nach Deutschland. Infolgedessen erlebten sie die Phase ihrer Sozialisation in Afghanistan und den Kulturschock der Migration in Deutschland.
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Deskriptiver Teil
Abbildungsverzeichnis und Anhänge
2. Reflexiver Teil
2.1 Analytischer Teil
3. Fazit
1. Einleitung
Meine Forschung für das Praxismodul hat zum Ziel gehabt, eine Untersuchung der Veränderungen, die sich in diasporischen Identitäten der afghanischen Frauen, die von mir interviewt worden sind, ergeben haben. Dafür hat der Einfluss der neuen Lebensumstände in Deutschland eine entscheidende Relevanz. Ich habe das Forschungsprojekt von Oktober 2020 bis Ende Februar 2021 durchgeführt und in Offenbach gestartet. Im Laufe der Zeit und Pandemiebedingt, hat sich der Kreis der Informant*innen geografisch erweitert. Die Interviewfragen wurden sorgfältig als offene Frage vorbereit und auf die von mir angestrebten Ziele und Theorien konzipiert. Basierend auf ethnografischen Beweisen der Forschung, wollte ich die signifikanten Veränderungen im Lebensentwurf (Vorstellung von zukünftigem Leben) unter afghanische Migrantinnen untersuchen. Gehen sie eine Ausbildung nach? Lernen sie Deutsch? Arbeiten sie schon? Wie vereinbaren sie eventuell Berufstätigkeit und Familie? Halten sie an der Vorstellung der „imaginierten Heimat“ und weigern sie sich aus den tradierten Rollen herauszugehen oder nehmen sie die Herausforderung eines westlichen Lebenskonzeptes an? Das ist der Inhalt der Fragen und Gespräche, die ich für die Forschung vorbereitet habe. Das Feld meiner Forschung lässt sich in zwei Kategorien einordnen.
Zum einen habe ich ein digitales Forschungsfeld erkundet: dies sind alle Online-Recherchen über Afghanistan und Frauendasein, Diaspora, Migration und Ethnographien von afghanischen Frauen (wissenschaftliche Texte, Analysen , Fotos, historische und aktuelle Videoberichte, Artikel in Zeitungen) und allgemeinen Informationen über das Land und Menschen. Zum zweiten die Erfahrung der lokalen Forschung, jedoch mit einem sehr geringen Anteil an teilnehmende Beobachtung, aufgrund der Codiv19 Pandemie. Nach sorgfältiger theoretischer und organisatorischer Vorbereitung und Erfahrung in der Bildungsarbeit mit Migrantinnen aus Afghanistan, wurden für diese Forschung bereitwillige Frauen gesucht. Anfangs war eine höhere Anzahl von Teilnehmerinnen geplant, was dann im Laufe der Pandemie, sich als unrealistisch erwiesen hat. Nur sechs Frauen, haben zugestimmt und mir vorläufige Ergebnisse liefern können. Von den sechs erwähnten Personen ist eine Frau in Deutschland aufgewachsen und hat kaum Erinnerungen an Afghanistan. Sie kennt Afghanistan fast nur durch ihre Eltern. Die restlichen fünf Frauen kamen im erwachsenen Alter nach Deutschland. Infolgedessen erlebten sie die Phase ihrer Sozialisation in Afghanistan und den Kulturschock der Migration in Deutschland.
Durch den Bericht, werden meine Vorgehensweise für den Forschungsverlaufs sowie die geplante- und nichtgeplanten Strategien, die durch die Zeiten der Epidemie erforderlich wurden, um dieses Forschungsprojekt stattfinden zu lassen. Ich beschreibe die Beobachtungen und Erfahrungen mit den Akteuren und die daraus folgenden Reflexionen und Analyse.
Im folgenden deskriptiven Abschnitt beschreibe ich den Start ins Praxismodul, die allgemeinen Voraussetzungen und Feldzugang unter unerwarteten Ereignissen, mein persönliches Bezugsfeld, das Forschungsfeld an sich und die Wahl der Forschungsmethoden, die Interaktion mit Institutionen, politische Initiativen, Personen und Fokusgruppe im chronologischen Projektverlaufs. Eine historische Ergänzung des Themas, wird durch gesammelten Fotos dargestellt, die von einer Informantin zu Verfügung gestellt wurden, am Kapitelsende.
Weiterhin werden unter Reflexionen, mein Lernprozess angesichts der Herausforderungen der Forschung sowie meine gewonnenen Erkenntnisse und Kompetenzen hinterfragt und dargestellt. Reflektiert werden auch meine Erwartungen und vorgefundene Realität sowie die ethnologischen Erfahrungen bei persönlichen Begegnungen und bei der Regie der Forschung. Mit dem analytischen Abschnitt folgt einen Überblick der ersten Ergebnisse, bezogen auf die Fragestellung(en). Mit dem Bezug auf die gesamten Daten wird meine Argumentation zur Fragestellung analysiert und ausgewertet. Zusammenfassend wird einen bewertenden Überblick über die Ergebnisse und die Fragestellung(en) des Projektes dargestellt. Vor diesem Hintergrund legt diese kleine Forschung in einer ethnologischen Perspektive den Fokus der Untersuchung auf diasporische Identitäten von Migrantinnen aus Afghanistan, die hier in Deutschland (vielleicht) eine zweite Heimat gefunden haben. Darüber werde ich im folgenden Abschnitt berichten.
1.1 Deskriptiver Teil
Ich konnte mein Praxisprojekt, aus persönlichen Gründen erst im Oktober 2020 angehen und auf dem Weg dahin stand ich schon bewusst dem Hindernis der Pandemiezeit gegenüber, wobei die Prognosen sowie die Inzidenzzahlen schwankend waren.
Seit Jahren habe ich Kontakte zu Frauen und deren Familien aus Sympathie gepflegt, da sie am Alphabetisierungskurs oder ersten Deutschkurs mit Mann und Kinder teilgenommen hatten. Meine Arbeitskollegin (und Sozialarbeiterin) Diwa, mir afghanischen Migrationshintergrund, die mir zur Seite stehen wollte, hätte mich ursprünglich bei Hausbesuche und Interviews bei vielen afghanischen Frauen, planmäßig als Dolmetscherin helfen wollen. Sie war bereit mich auf meine Feldforschung im Kreis Offenbach zu begleitet, weil sie Dari (die überall in Afghanistan als Muttersprache gesprochen wird) versteht und wir hätten unter Frauen viele Gespräche geführt, rund um die offenen Fragen, die ich vorbereitet habe. Damit ich meine Projektteilnehmer*innen auf das Interview vorbereiten konnte, wollte ich gerne die Fragen ins Dari übersetzten lassen. Eine Version der übersetzten Fragen, sollte zumindest die Frauen erreichen, die lesen und schreiben können. Da meine Kollegin und Schlüsselinformantin Diwa in Deutschland aufgewachsen ist und keine Gelegenheit hatte die schriftliche Sprache ihrer Eltern zu erlernen, konnte sie dabei nicht behilflich sein. Demnach habe ich mich, nach einer Suche über Freunde und Bekannten, an die Ausländerbeauftragte der Polizei in Offenbach gewandt und von meinem Forschungsvorhaben erzählt. Sie war am Vorhaben interessiert. Sie ist Iranerin und hat daher fundierte Kenntnisse sowohl in Dari als auch Farsi (die sehr ähnlich sind). Wir kannten uns aus vorausgegangenen Sprachkursen, zu denen sie für ein paar Stunden mit einem Kollegen der Polizei (Ausländerbeauftragter) eingeladen wurden, um ihr Set von Informationen rund um Gesetzte und Bräuche in Deutschland zu präsentieren. Sie hat sich gerne Zeit für eine Übersetzung genommen. Es wurde alles Handschriftlich übersetzt, und zwar auf Papier da sie keine geeignete Tastatur mit persischen Schriftzeichen hatte. Ich sah darin kein Problem, da man das Dokument scannen und versenden kann, was ich dann tatsächlich auch getan habe.
Mein nächster Schritt war die Frauen zu kontaktieren, deren Nummer mir bekannt waren. Einige Frauen hatten ihre Handynummer geändert und daher nicht mehr erreichbar, bei anderen waren noch zu viele Verständigungsprobleme vorhanden, weil seit Jahren keine Deutschförderung mehr hatten oder aufgrund der Kindererziehung, selbst nicht an Kurse teilnehmen konnten. Bei den Frauen, die ich erreichen konnte, wurde ich immer wieder zum Ehemann weitergeleitet, weil sie leider mein Vorhaben nicht verstehen konnten. Nach einer Reflexion habe ich mir als Ziel vorgenommen, mich direkt an die Frauen (ohne männliche Mediatoren) zu wenden indem ich ihnen die übersetzten Fragen via WhatsApp gesendet habe. Es hätte sein können, dass der Inhalt der Befragung eventuell etwas Konfliktpotenzial in der Beziehung zu den eigenen Ehemännern hätte. Als ich die Fragen verschickte, war das Kommunikationshindernis noch nicht beseitigt, weil Informantinnen zwar die Fragen verstanden aber mir weder auf Deutsch noch auf Englisch beantworten konnten. Inzwischen (in November) hatte sich die Inzidenz der Infektionszahlen im Stadt- und Kreis Offenbach so verschlechtert, dass meine Schlüsselinformantin und Kollegin, nicht mehr bereit für Hausbesuche und selbst krank wurde. Der schwere Lauf der Dinge sah somit anfangs erfolgslos aus, aber ich wollte die Lage sehnlichst umkehren und habe nach weiteren Schritten und Lösungen gesucht.
Endlich meldete sich die erste Frau zurück (Pakiza), die ich aus einem ehemaligen Sprachkurs kannte und bereit war, mit mir die Fragen durchzugehen. Wir haben mehrmals telefoniert und überlegt wo wir uns treffen konnten, was in November nicht sehr einfach war. Kaffees und Gastronomische Treffpunkte waren schon geschlossen. Schließlich als ich Bücher zur Bockenheimer Bibliothek zurückbrachte, konnte ich feststellen, dass die Mensa geöffnet war und dass man sogar im geringen Umfang, was zu essen und trinken bekommen konnte und vor allem eine Weile sitzen bleiben durfte. Es war erstaunlich und ungewohnt noch solch ein Ort in Frankfurt zu entdecken und es schien mir ideal für ein Gespräch zu den Fragen, die ich schon im Vorfeld via WhatsApp an Pakiza geschickt hatte. So lud ich sie zum Kaffee und Kuchen in der Mensa ein und sie freute sich darauf. Das erste Interview konnte beginnen. Wir hatten nur zwei Stunden, da sie nachmittags zum Deutschkurs musste, aber das reichte völlig aus, um alle Fragen zu besprechen und eine weitere Informantin zu finden. Pakiza ist Tadschikin, aus Herat und seit 2015 In Deutschland. Als sie noch in Afghanistan lebte, hat sie in einem Modegeschäft ihren Mann kennengelernt. Er war Inhaber des Geschäfts, beide haben sich ineinander verliebt. Ihre Familie hat ihre Beziehung nicht zugestimmt, weil ihr Vater ein militanter Mudjahedin war und er, als inoffizieller Verlobter kommunistische Ideen vertrat, weshalb sie aus dem Land fliehen mussten, um zusammen zu bleiben. Seit der Flucht, hat sie ihre Eltern nie wiedergesehen. Als die Fragen des Fragenbogens komplexer wurden, grenzte sie an ihrer Sprachbarriere und konnte ihre Einsichten nicht auf Deutsch ausführen. Es war dringend eine Lösung angesagt und zum Schluss kam sie auf die Idee, bei ihrer Kusine in Hamburg anzurufen, die besser Deutsch verstand. Der Versuch war erfolgreich, denn zum Glück war die Kusine Pako schon von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte auch ein ausgesprochen großes Interesse, sich ins Gespräch einzubringen. Nach dem Interview mit Pakiza, hatte ich schon einen weiteren Gesprächstermin mit Pako und an den darauffolgenden Abenden konnten wir mehrmals telefonieren, sobald ihre Kinder eingeschlafen waren. Pako, hatte mit ihrer Familie lange in Pakistan gelebt, danach in Tajikistan, dann erfolgte die Flucht nach Deutschland, weil sie und ihren Mann unter der Taliban Herrschaft nicht mehr sicher waren.
In Hamburg ist sie seit 5 Jahren und neben der Kindererziehung hat sie eine Ausbildung als PTH absolviert, sodass sie eine Teilzeitstelle in einer Apotheke hat und im Sommer gerne Motorrad fährt. Ich bekam historische Bilder aus ihrem Archiv, die Frauen aus den 60er und 70er Jahren zeigen, ohne Burka und elegant - westlich gekleidet. Ihre Großmutter und zum Teil auch ihre Mutter hatten diese Zeiten erlebt und auch genossen, ergänzte sie. Die Vorstellung eines freien Lebens ohne sittliche und religiöse Zwänge habe sie zur Flucht verholfen. Auf der Suche nach weiteren lokalen Kontakten in der Umgebung, habe ich als nächster Schritt den Frankfurter Verein afghanischer Frauen „Zan e.V“ sowohl mit Elektronischer Post als auch telefonisch kontaktiert. Auch unzählige andere Vereine von afghanischen Frauen in verschiedene Städte bundesweit, habe ich via E-Mail kontaktiert. Leider ohne Erfolg. Bei der Suche nach Vereinen konnte ich feststellen, dass afghanische Frauen sehr engagiert und aktiv Informationskampagnen über die fehlenden Menschenrechte führen und vielerlei Aktivitäten ins Leben rufen, sowohl im Weiterbildungsbereich als auch in sozial-politischer Hinsicht. Doch leider habe ich keine Rückmeldung bekommen. Nur der Verein ENP (Entwicklungspolitisches Netzwerk Hessen e.V.) durch Tzehaie Semere aus Eritrea hat mir eine Informantin vermittelt. Auf meine Anfrage antwortete mit mehreren Telefonnummern von afghanischen Frauen Vereine in Deutschland, die Teil seines Netzwerkes sind. Doch nur eine afghanische Frau, die auch in Frankfurt lebt, hat mir geantwortet und war bereit am Interview teilzunehmen. Das war Hangama meine dritte Projektteilnehmerin. Sie stammt aus einer Paschtunischen Großfamilie aus Mazar-e-Sharif und hatte dort für die deutsche Streitkräfte gearbeitet. Sie kann schon Deutsch verstehen und besucht einen Deutschkurs für die B1 Prüfung. Wir konnten mehrmals telefonieren. Ich hatte vorgeschlagen, uns an der Hauptwache in U-Ebene (wegen der Kälte und weil die Mensa in Bockenheim geschlossen wurde) zu treffen, um uns kurz kennenlernen zu können und besprechen, wie wir vorgehen können. Da sie ein Kind hat und offensichtlich nicht sehr gerne allein raus geht, haben wir beschlossen zu telefonieren und das Interview fand telefonisch statt. Danach hat sie mir noch eine schriftliche Zusammenfassung zukommen lassen.
Im Zentrum Offenbachs arbeitet eine afghanische Frauenärztin. Nach einer Recherche stellte ich fest, dass sie die einzige afghanische Ärztin in Offenbach ist und ich ließ mir einen Termin geben. Einige Tage später konnte ich, anhand des Termins zu ihr gehen und ihr in ihrem Untersuchungszimmer von meinem Vorhaben erzählen. Es war Freitag, sie brauchte mich nicht zu untersuchen, ich war die letzte Patientin und sie war von der Idee begeistert. Ich konnte ihr einen Briefumschlag mit den Fragen überreichen. Sie zeigte viel Anteilnahme, versprach mich zu kontaktieren oder die Fragen via E-Mail. Wir tauschten unsere E-Mail-Adressen aus. Danach war die Korrespondenz leider nicht so rege und hin und wieder schickte ich einen Erinnerungsgruß an sie, worauf sie sich eines Tages meldete und entschuldigte, aufgrund der knappen Freizeit und den viele Widrigkeiten der Pandemie. Allein die Maske den ganzen Tag zu tragen, würde sie sehr ermüden und ihr die letzten Kräfte berauben. Ein weiteres Gespräch ist bisher nicht zustande gekommen, denn nach ihrer letzten E-Mail, ordnet sie sich nicht als Angehörige einer Diaspora ein. Sie gab mir jedoch eine weitere Empfehlung, wodurch ich ein weiteres Interview führen konnte. Die virtuelle Begegnung mit Shaima, die aus Kabul stammt und in Nord - Hessen lebt, war fruchtbar. Sie war bereit mir einige schriftliche Informationen zu ihrer Person und einigen Fragen zu geben. Ich habe zum Fragenkatalog angemerkt, dass sie bei der Beantwortung, beliebig wählen dürfe ob sie von allen Fragen oder nur einige angesprochen fühle und mir ihr Lieblingspseudonym (die sich jede Frau ausgesucht hat) mitzuteilen. Sie schickte mir ausführliche Informationen über den Verlauf ihres Exodus und ihre Tätigkeiten in Deutschland, wo sie eine zweite Heimat gefunden hat.
Sie ist Ingenieurin und durfte mit einem Stipendium auch in Bulgarien studieren wo sie ihre erste Auslanderfahrungen sammeln konnte. Sie floh unter der Burka, mit drei kleinen Kindern, ihrem Mann aus Afghanistan, nachdem die Mudjahedin dort die Herrschaft übernommen hatten. Sie lernte sehr mühevoll die neue Fremdsprache (Deutsch)und nach mehreren Jahren konnte sie sich als Migrationsberaterin qualifizieren. Im Anhang hatte sie auch eine Zeichnung und ein Gedicht von ihr angefügt.
Ich kontaktierte erneut Pako und fragte sie ob eine Frau aus ihrem Bekanntenkreis kenne, die an den Themen der Forschung Interesse haben könnte. Eine Weile danach meldete sich eine Bekannte von ihr: es war Kathera, eine verfolgte Journalistin aus Herat, die seit wenigen Jahren in NRW lebt und hervorragend Deutsch spricht. Trotz zwei Kinder (im Alter von sechs und drei Jahre) und eine sehr schmerzliche, gefährliche Flucht durch die Balkan Route, bereitet sich auf ein Studium vor. Sie ist 29 Jahre alt und lebt in Deutschland seit 2016. Ein Schulkollege, der in der Nachbarschaft wohnte, verliebte sich in sie und ließ seine Mutter um die Hand, bei ihrer Familie bitten. Obwohl sie nicht ein einziges Wort ausgetauscht hatten, waren sich sympathisch und sie willigte ein. Nach dem Abitur heirateten beide und zogen in die Hauptstadt Kabul um. Sie arbeitete als Journalistin und ihr Mann als Bau- Ingenieur. Sie bekam Drohungen von Talebanen und drei ihrer Kolleginnen kamen uns Leben. Andere Mitarbeiter wurden schwer verletzt. Unter den Umständen sahen sie keine andere Wahl als Koffer zu packen und fliehen. Sie flüchteten zu dritt, da sie ein kleines Kind hatte. Zuerst flüchteten nach Pakistan, danach in den Iran, dann weiter in die Türkei wo sie zwei Monate blieben, bis zur gefährliche Überführung nach Griechenland mit dem Boot.
Am schlimmsten war es an zwei Stationen ihrer Flucht: einmal in Bulgarien, wo ihr Mann verhaftet wurde und nach fünfzehn Tage gegen Lösegeld (ca. 1000 Dollar) und anwaltlicher Hilfe, freigelassen wurde.
Die zweite schwerste Phase war an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn, wo sie 35 Tage auf der Straße verbringen mussten (ohne Hilfe).
Was ihr Kraft für all diese Anstrengungen gab, war die Gewissheit mehr Sicherheit und Menschenrechte in Deutschland vorzufinden. Als sie in Passau angekommen waren, überströmt sie ein Glücksgefühl.
Eine weitere Afghanin kam dann im Laufe der Zeit hinzu: Frooza. Ich sprach sie in einem afghanischen Laden der Offenbacher Innenstadt an, wo man neben Lebensmittel auch Handys erwerben kann. Ich kaufte etwas und machte sie auf die kleine Forschung aufmerksam. Sie hat mir spontan etwas über ihr Ankommen in Deutschland erzählen wollen, bis ihr Chef in den Laden kam. Sie bat mir die Fragen in ihrer Muttersprache vorbeizubringen. Als ich sie bald darauf wieder besuchte, erzählte sie mir, schon zweimal in ihrem Wohnort (Kreis Offenbach) besucht worden zu sein, einmal von der Caritas und einmal von einer NGO. Als sie hat dann viel aus ihrem Leben erzählt hatte, bekam sie eine Geldzuwendung als Dankschön. Nach einem small talk wollte sie mir alles sofort spontan erzählen und zudem es schriftlich als E-Mail versenden (in der Hoffnung, dass ihre Tochter alles schreiben würde) da sie nur sprechen aber nicht Deutsch schreibe. Zwei wochenlang kam keine Nachricht von ihr und ich war inzwischen wieder in dem Laden gewesen, um Tee zu kaufen, wobei ich ihr sagte: sie müsse nichts schreiben, weil ich es aufnehmen würde. Ihr Chef war allerdings hin und wieder geschäftlich im Laden, was ein richtiges Interview unmöglich machte und ich schlug vor, alles telefonisch stattfinden zu lassen, da sie keine Zeit hat sich am Wochenende zu treffen. Da ich weder EMail noch Telefonnummer von ihr hatte, wartete ich auf ihr Lebenszeichen.
Als eine Woche vergangen war, ging ich am Samstag zu ihr, von der Offenbacher Stadtbibliothek aus, wo ich zufällig ein Buch (vom Verkaufstisch von ausgeschiedenen Büchern) eines afghanischen Autors, über seine Flucht und Ankommen in Deutschland erworben hatte. Da Frooza an der Vorstellung hält, eine Schriftstellerin zu werden, habe ich ihr das Buch geschenkt, was ihr offensichtlich sowohl eine Überraschung als auch eine Freude bereitet hat. An darauffolgenden Sonntag rief sie an und ein Teil des (sechsten) Interview konnte stattfinden.
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- Quote paper
- Giovanna Silvestro (Author), 2021, Diasporische Identitäten. Afghanische Frauen in der Migration, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138912
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