In den letzten Jahren haben sich vermehrt weibliche Pioniere wie Shirin David, Loredana und Juju erfolgreich in der männerdominierten Rap-Branche durchgesetzt. Einige dieser Künstlerinnen nutzen in Youtube-Musikvideos gezielt ihre Selbst-Sexualisierung und propagieren diese als Empowerment. In der Musikwelt und auch in wissenschaftlichen postfeministischen Sexualisation of Culture-Debatten herrscht ein Konflikt darüber, inwiefern das bewusste Sexualisieren des eigenen Selbst als Ermächtigung bezeichnet werden kann und ob dies nicht viel eher eine maskierte Objektifizierung ist.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde anhand von Fokusgruppen-Diskussionen untersucht, wie junge Frauen sich und die Selbst-Sexualisierung der Rapperinnen innerhalb des benannten Diskurses verorten. Ist für sie die Selbst-Sexualisierung der Künstlerinnen Empowerment oder Objektifizierung? Ist die jeweilige Rapperin eine Boss Bitch oder ein Lustobjekt? Die Ergebnisse der Diskussionen wurden innerhalb einer Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 1
2 Theoretischer Hintergrund 3
2.1 Erläuterung zentraler Begrifflichkeiten 3
2.1.1 Definition von Empowerment 3
2.1.2 Definition von (Selbst-)Objektifizierung 4
2.1.3 Definition von Selbst-Sexualisierung 4
2.1.4 Definition von Youtube-Musikvideos 5
2.2 Thematischer Hintergrund 5
2.2.1 Die vierte Welle des Feminismus 6
2.2.2 Postfeminismus 6
2.2.3 Wer schön sein will, muss leiden? 8
2.2.4 Von Girlbossen und Powerfrauen 9
2.2.5 Die Sexualisation of Culture 10
2.2.6 (Male) Gaze Theory 13
2.2.7 Forschungsstand bezüglich Musikvideos und Sexualisation of Culture 13
2.2.8 Theoretische Erklärungsansätze für die Wirkung von Rap-Videos 16
2.2.9 Aufstieg der Frauen im Deutschrap 17
2.2.10 Der Aufstieg von Shirin David 18
3 Die verwendete Methodik 19
3.1 Fokusgruppen 19
3.2 Auswertung: Die qualitative Inhaltsanalyse 22
3.3 Gütekriterien der qualitativen Inhaltsanalyse 24
4 Die Analyse 25
4.1 Auf der positiven Seite 25
4.2 Boss Bitch oder Lustobjekt? 28
4.3 Selbst-Sexualisierung als Promoter für Empowerment 31
4.4 Selbst-Sexualisierung als Bedrohung für Empowerment 34
4.5 Individuelle Wahl vs. soziokulturelle Zwänge 40
5 Fazit und Ausblick 45
6 Literaturverzeichnis 49
7 Darstellungsverzeichnis 58
Anhang
I. Eidesstaatliche Erklärung
II. Leitfaden
III. Kategoriensystem
IV. Tabellen der Kategorienbildung
V. Transkripte
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Erläuterung zentraler Begrifflichkeiten
2.1.1 Definition von Empowerment
2.1.2 Definition von (Selbst-)Objektifizierung
2.1.3 Definition von Selbst-Sexualisierung
2.1.4 Definition von Youtube-Musikvideos
2.2 Thematischer Hintergrund
2.2.1 Die vierte Welle des Feminismus
2.2.2 Postfeminismus
2.2.3 Wer schön sein will, muss leiden?
2.2.4 Von Girlbossen und Powerfrauen
2.2.5 Die Sexualisation of Culture
2.2.6 (Male) Gaze Theory
2.2.7 Forschungsstand bezüglich Musikvideos und Sexualisation of Culture
2.2.8 Theoretische Erklärungsansätze für die Wirkung von Rap-Videos
2.2.9 Aufstieg der Frauen im Deutschrap
2.2.10 Der Aufstieg von Shirin David
3 Die verwendete Methodik
3.1 Fokusgruppen
3.2 Auswertung: Die qualitative Inhaltsanalyse
3.3 Gütekriterien der qualitativen Inhaltsanalyse
4 Die Analyse
4.1 Auf der positiven Seite
4.2 Boss Bitch oder Lustobjekt?
4.3 Selbst-Sexualisierung als Promoter für Empowerment
4.4 Selbst-Sexualisierung als Bedrohung für Empowerment
4.5 Individuelle Wahl vs. soziokulturelle Zwänge
5 Fazit und Ausblick
6 Literaturverzeichnis
7 Darstellungsverzeichnis
Anhang
I. Leitfaden
II. Kategoriensystem
Abstract
In den letzten Jahren haben sich vermehrt weibliche Pioniere erfolgreich in der männerdominierten Rap-Branche durchgesetzt. Einige dieser Künstlerinnen nutzen in Youtube-Musikvideos gezielt ihre Selbst-Sexualisierung und propagieren diese als Empowerment. In der Musikwelt und auch in wissenschaftlichen postfeministischen Sexualisation of Culture-Debatten herrscht ein Konflikt darüber, inwiefern das bewusste Sexualisieren des eigenen Selbst als Ermächtigung bezeichnet werden kann und ob dies nicht viel eher eine maskierte Objektifizierung ist. Im Rahmen dieser Arbeit wurde anhand von Fokusgruppen-Diskussionen untersucht, wie junge Frauen sich und die Selbst-Sexualisierung der Künstlerinnen innerhalb des benannten Diskurses verorten. Ist für sie die Selbst-Sexualisierung der Rapperinnen Empowerment oder Objektifizierung? Die Ergebnisse wurden innerhalb einer Inhaltsanalyse nach Mayring (2020) ausgewertet und zeigen, dass für die Frauen Selbst-Objektifizierung auch Empowerment sein kann, solange diese selbstbestimmt ausgeführt wird. Die Selbst-Sexualisierung der Künstlerinnen in ihren Musikvideos sehen die Frauen sowohl als Bedrohung als auch als Promoter für Empowerment und weitere feministische Entwicklungen. Einerseits könne sie andere zu mehr Selbstbestimmtheit und Body Positivity bestärken und einen feministischen Diskurs provozieren, andererseits könne sie bestehende patriarchale Strukturen verstärken und bei jungen Mädchen und Frauen den Drang aufkommen lassen, sich sexuell präsentieren zu müssen, um als empowered zu gelten. Die Teilnehmerinnen verorten sich auf der optimistischen Seite des besagten Konflikts und priorisieren einen individualistischen Standpunkt, ohne jedoch die kritische Hinterfragung soziokultureller Strukturen zu vernachlässigen.
Vorwort
Vor etwa zehn Jahren stand ich vor dem Fernseher in unserem Wohnzimmer - in meiner Hand ein Bambusstock - und habe mich wie eine Kämpferin gefühlt. Auf dem Bildschirm schwang Mulan genau wie ich ihre Waffe. Bis heute ist sie meine Kindheitsheldin und mein Vorbild. Denn, während die meisten anderen Disney-Prinzessinnen und weiblichen Hauptcharaktere - von den wenigen, die es damals gab - von einem Prinzen gerettet werden mussten und ihr Hauptmerkmal ihre Schönheit war, hat Mulan sich als Mann verkleidet, ist für ihren kranken Vater in den Krieg gezogen und hat ihr ganzes Land – China - gerettet. Ein frauenunterdrückendes Land, wohlgemerkt (zumindest damals).
Als junge Frau habe ich mich in einer Gesellschaft voller Erwartungen oft verloren, falsch und unter Druck gesetzt gefühlt. „Du musst schön sein, du musst den Männern gefallen, du musst einen Mann an deiner Seite haben”. Doch immer, wenn diese Zwänge einen Schleier aus Unsicherheit und Selbstzweifeln über mich legten, habe ich mich wieder an das Gefühl des Bambusstocks in meiner Hand erinnert und daran, wie Mulan in einer Gesellschaft voller falscher Erwartungen auf ihr Herz gehört und selbstbestimmt ihre Ziele verwirklicht hat.
Mulans Geschichte kann man als Metapher für das heutige Deutschrap-Business sehen: Deutschrap war und ist teilweise immer noch genauso frauenfeindlich und männerdominiert wie das alte China und doch schaffen es einige weibliche Pioniere, sich darin durchzusetzen und für ihren Erfolg zu kämpfen. Im Vergleich zu Mulan verkleiden sie sich jedoch nicht als Mann. Ganz im Gegenteil: Viele von diesen Rapperinnen inszenieren bewusst ihre Weiblichkeit.
Auch heutzutage stehen junge Mädchen und Frauen vor den Bildschirmen wie ich vor zehn Jahren, auch wenn man keine Filmkassette mehr einschieben, sondern sich nur in Youtube oder Netflix einloggen muss. Doch inwiefern können diese heute durch die Rapperinnen zu mehr Selbstbestimmtheit und Empowerment motiviert werden, wie ich damals durch Mulan? Inwiefern können besagte Künstlerinnen mit ihrer Selbst-Sexualisierung als Vorbilder für weibliches Empowerment fungieren wie Mulan für mich? Einer Antwort zu diesen Fragen näher zu kommen - das war das Ziel dieser Thesis!
Diese Bachelorarbeit hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Allein dafür hat es sich schon gelohnt, sie zu schreiben. Für Phänomene, die ich als Teenagerin und junge Frau bei mir selbst und meinen MitmenschInnen unterbewusst gespürt und wahrgenommen habe, habe ich nun wissenschaftliche Konstrukte und Namen. Abstrakte Gefühle und Strukturen haben endlich ein Gesicht. Gewissermaßen war diese Arbeit auch ein Stück weit Selbsttherapie. Deshalb hoffe ich, dass diese Thesis nicht nur mir, sondern auch allen, die sie lesen, ein Stück weit die Augen öffnen und einen Denkanstoß geben kann. Vielleicht auch einigen jungen Mädchen und Frauen, die - wie ich damals - gerade vor dem Bildschirm stehen, ob mit Bambusstock oder ohne.
Danksagung
Zuallererst ein riesiges Dankeschön an alle starken, wunderschönen und engagierten Frauen, die mit mir in den eineinhalbstündigen Focus Groups diskutiert haben. Ohne euch hätte es das Herzstück dieser Arbeit nicht gegeben. Danke für euren Einsatz, eure Einwände und eure Einblicke.
Danke auch an Frau Hefner - meine Dozentin und Betreuerin - für Ihre schnellen Antworten, Ihre Ermutigung und dass ich mich bei Ihnen gut aufgehoben gefühlt habe.
Mama, danke dafür, dass du mir immer wieder Mut machst, mir immer zuhörst, mir ein mindestens ebenso gutes Vorbild wie Mulan bist und mir täglich Bilder und Videos von unserem Kater schickst!
Danke Papa, Ilka, Ronny, Fiona, Charlie, Carmen und Cornelius - ich bin froh euch meine Familie nennen zu können und danke euch für eure Unterstützung, euren Halt und eure Liebe.
Jess - meine Dancingqueen, Essensschwester und beste Freundin - unsere Gespräche und deine regelmäßigen Inspirations(essens)bilder (und Pakete) haben aus einer Motivationsfliege oft einen Motivationsbabyelefanten gemacht.
Danke an alle meine anderen Freunde (aus Angst, versehentlich jemanden auszulassen, nenne ich jetzt nicht alle Namen). Gracias für eure Liebe und Unterstützung.
Danke, liebe Annika, dass du mich generell bei der Arbeit unterstützt hast und mir geholfen hast, meine Formalien nochmal auf Vordermann zu bringen. Du bist ein Engel!
Ein großes Dankeschön geht auch an meine Mitbewohnerinnen. Die Gespräche mit euch in der Küche waren eine nötige Ablenkung, wenn mein Kopf nicht mehr zum Denken fähig war. Zusammen haben wir einige Lernphasen durchgestanden und einige nervige Lärmbelästigungen überlebt.
Auch unserem Kater Murphy möchte ich danken: deine Bilder, Videos und meine Privatstreichelaudienzen bei dir haben mir immer ein Lächeln auf die Lippen gezaubert.
Ein kräftiges Dankeschön an mein Fitnessstudio. Bei dir konnte ich kurzzeitig meinen viel zu vollen Kopf ausschalten und zur Ruhe kommen. Deine Sauna ist genial!
Ein deftiges Dankeschön möchte ich all dem leckeren Essen widmen, das mich in meinen Nervenzusammenbrüchen besänftigt und mir meine motivierten Zeiten versüßt hat.
Zuallerletzt: Danke lieber Kaffee, dass du meine Gelüste, meinen Geist und meinen Gaumen befriedigst.
1 Einleitung
„The future is female” - ein Leitspruch, der momentan viele feministische und postfeministische Diskurse begleitet (Curtis et al., 2018) - kann sich heutzutage auch auf das Deutschrap-Business übertragen lassen. Vor ein paar Jahren plädierten Friedrich und Klein (2003) noch, Hip-Hop sei eine „Männerwelt von Männern - für Männer“ (S.24). Jetzt hingegen schreibt die Welt: „Frauen im Deutschrap haben es an die Spitze geschafft, Hip-Hop im Jahr 2020 ist so weiblich wie nie zuvor“ (Sand, 2020). Gemeint sind deutsche Rapperinnen wie Shirin David, Loredana und Juju, die mit ihren Songs große Erfolge feiern.
Es ist über 20 Jahre her, dass es zuletzt einer Frau - Sabrina Setlur - gelang, Gold in den deutschen Charts zu erreichen (Vogue, 2019). 2019 hat es Shirin David erneut mit ihrer Single „Gib ihm“ geschafft, die auf der Plattform Youtube bis heute über 62 Millionen Klicks erreicht hat (David, 2019). Mit ihrem dazugehörigen Album „Supersize“ landete zum ersten Mal ein Soloalbum einer deutschen Rapperin auf Platz eins der Charts (Stuttgarter Zeitung, 2020).
In ihren Musikvideos zeigen sich besagte Rapperinnen oft bewusst freizügig. Shirin David liegt in „Gib ihm“ beispielsweise leicht bekleidet zwischen Hundewelpen und singt: „Das Outfit ist nicht gewagt, sondern notwendig“ (David, 2019). Auf dem Cover ihres Albums räkelt sie sich nackt vor einem Pool. „Funktioniert es also doch nur mit sexistischen Klischees?“, fragt sich daraufhin die Stuttgarter Zeitung (2020).
Ex-Gangsta-Rapperin Lady Bitch Ray kritisiert, dass durch Frauenbilder, wie das, das Shirin vermittelt, „sexistische und patriarchale Strukturen“ gestärkt werden und „leider nicht jede Feministin ist, die die deutschen Hip-Hop-Charts stürmt“ (Stuttgarter Zeitung, 2020), während Shirin David selbst bekräftigt, ihre Songs seien „für alle starken Frauen da draußen“ (Genius, 2019) und auf Instagram widerspricht: „Ist das Recht, den eigenen Körper so präsentieren zu dürfen, wie man es möchte, nicht einer der Aspekte, für den zahllose Generationen von Frauen gekämpft haben?“ (Stuttgarter Zeitung, 2020).
Im Rap spiegelt sich ein feministischer Konflikt wider, der auch in der Wissenschaft diskutiert wird: sex-negative vs. sex-positive (Lamb & Peterson, 2012, S.703). Thompson und Donaghue (2014) fassen diesen wie folgt zusammen: Die Debatte findet zwischen jenen statt, die argumentieren, dass die zunehmende Sexualisation of Culture Frauen mehr Möglichkeiten zur sexuellen Selbstdarstellung, Befreiung und Ermächtigung bietet beziehungsweise bieten kann, und jenen, die argumentieren, dass es sich lediglich um eine als Ermächtigung maskierte Objektifizierung handelt, die aber wenig dazu beiträgt, die Sexualpolitik wirklich zu ändern und die Möglichkeiten für die sexuelle Selbstdarstellung von Frauen zu erweitern (S.23–24).
Meenagh (2017) bekräftigt zudem, dass seit dem Aufkommen der besagten Sexualisation of Culture vor allem junge Frauen mit Herausforderungen und Chancen konfrontiert sind, wenn sie sich als sexuelles Subjekt konstruieren. Es sei eine Herausforderung, ein „neoliberal postfeminist subject” (S.449) zu werden, da es eine Konfrontation mit oft widersprüchlichen Diskursen nach sich ziehe. Wie gehen Frauen also mit den Widersprüchen und der Ermächtigung innerhalb der Sexualisation of Culture-Diskurse um und wie interpretieren sie diese? Welchen Einfluss haben die (Sozialen) Medien darauf?
Ein besonders relevantes Soziales Medium ist das Videoportal Youtube: monatlich wird es von 47 Millionen Menschen besucht und durch die Corona-Krise nimmt die Nutzung weiterhin zu (Schamberg, 2020). Bei der Verteilung der täglichen Nutzungsdauer nach Genre belegen Musikvideos in Deutschland den ersten Platz (Statista, 2021). Musikvideos sind für Produzenten und Rezipienten gleichermaßen bedeutsam: „Sie liefern die wesentlichen Informationen des aktuellen Popdiskurses in drei Minuten - vertont, vertextet und visualisiert; schnell, bunt, rhythmisch” (Schoch, 2016, S.1). Zudem sind sie aus sozialer und theoretischer Perspektive ein wichtiger Stimulus, vor allem wegen ihrer Popularität unter jungen Erwachsenen (Aubrey et al., 2011, S.361). Darüber hinaus können Medieninhalte laut Lamb und Peterson (2012, S.710) sowohl Promoter als auch eine Bedrohung für das sexuelle Empowerment junger Frauen darstellen. Die Repräsentation von Frauen in Musikvideos kann beispielsweise sexuelle Einstellungen und die eigene Selbstwahrnehmung, aber auch die Vorstellung und das Verständnis von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie Frauenrechte beeinflussen (Aubrey & Frisby, 2011, S.498).
Deshalb soll im Rahmen dieser Arbeit erforscht werden, wie junge Frauen die Selbst-Sexualisierung von deutschen Rapperinnen in Youtube-Musikvideos interpretieren. Wie ordnen sich die jungen Frauen innerhalb des beschriebenen Konflikts in der Rap-Branche und in der Wissenschaft ein? Welche Erkenntnisse bieten die Interpretationen der Frauen, wenn man sie in den größeren soziokulturellen Kontext stellt? Ist die Rapperin laut den Frauen eine Boss Bitch1 oder ein Lustobjekt2 ?
Hierzu soll zuallererst ein Überblick über die für die Arbeit relevanten Begrifflichkeiten gegeben werden. Darauf aufbauend wird ein Einblick in den Postfeminismus und die Sexualisation of Culture-Debatte und deren Hintergründe gegeben und ein Überblick über den Forschungsstand, die Rap-Branche und dem Aufstieg benannter Frauen darin, präsentiert. Mit allen wichtigen Konstrukten als Fundament wird die Methodik der Arbeit erläutert, die in der anschließenden Analyse mündet. Ein resümierendes Fazit und ein Ausblick fassen schließlich alle Erkenntnisse in Bezug auf die Forschungsfrage dezidiert zusammen.
Dabei ist es das Ziel der Arbeit, den besagten Konflikt innerhalb der Rap-Branche und die Interpretationen der Frauen in den weiteren Sexualisation of Culture-Diskurs einzubetten und diesbezüglich zu neuen Erkenntnissen beizutragen. So postuliert Meenagh (2017, S.449), dass es unabdingbar sei, sich auch auf den soziokulturellen Kontext zu fokussieren, in dem junge Frauen situiert sind, um zu verstehen, wie sie komplexe und teilweise widersprüchliche Diskurse innerhalb der Sexualisation of Culture-Debatte navigieren.
2 Theoretischer Hintergrund
Vor allem zwei theoretische Kern-Konstrukte sollen in dieser Arbeit gegenübergestellt werden: Empowerment und (Selbst-)Objektifizierung. Diese und weitere relevante Begriffe sollen im Folgenden vorgestellt und definiert werden.
2.1 Erläuterung zentraler Begrifflichkeiten
2.1.1 Definition von Empowerment
Laut Peterson (2010) ist (sexuelles) Empowerment ein wichtiges Konzept für viele Feministen. Jedoch gibt es verschiedene Aspekte und Definitionen und „no ultimate version“ (Lamb & Peterson, 2012, S.709). In der Wissenschaft ist man sich uneinig darüber, ob Empowerment als subjektive und interne Gefühle von Macht und Kontrolle definiert werden kann (Zimmerman, 1995) oder objektiv als Zugang zu politischer Macht und Ressourcen (Riger, 1993). Ersteres wird oftmals als „power to“, zweiteres als „power over“ betitelt (Peterson, 2010, S.308). Deshalb ordnen Lamb und Peterson (2012) sexuelles Empowerment als „continuous and multidimensional construct“ ein: „at any given time, girls (and women) are likely to experience sexual empowerment on some levels and disempowerment on other levels“ (S.709). Die „Power to“-Definition resultiert unter anderem in Selbstvertrauen und dem Gefühl, Kontrolle über das Leben zu haben (Alimoradi et al., 2017, S.81). Zudem kann man sagen, dass Empowerment dann auftritt, wenn Individuen Einschränkungen, mit denen sie konfrontiert sind, überwinden und dadurch ihre Entscheidungsfreiheit erhöhen (Meenagh, 2017, S.448).
Bei der „Power over“-Variante kann man Ermächtigung aus der Perspektive von Segal et al. (1995) als einen Prozess der Kontrolle und Beeinflussung der Organisations- und Gesellschaftsstruktur, in der man lebt (S.215), beschreiben. In der feministischen Theorie bezieht sich das Konzept - so Ponterotto (2016) - darauf, sich vom Bewusstsein weiblicher Objektifizierung zu überzeugter und aktiver sozialer Handlungsfähigkeit und von Passivität zu Engagement zu bewegen. Der erste Schritt zur Ermächtigung von Frauen sei daher das Erkennen des patriarchalen Designs hinter dem „normierten“ Modell des weiblichen Körpers (S.147).
2.1.2 Definition von (Selbst-)Objektifizierung
Das Konstrukt Objektifizierung beschreibt, wie ein Mensch als Objekt betrachtet wird, welches ausschließlich oder hauptsächlich für dessen Nutzen für andere geschätzt wird (Szymanski et al., 2010, S.8). Sexuelle Objektifizierung tritt vor allem dann auf, wenn der Körper (oder Körperteile) eines Menschen von ihm als Person getrennt und in erster Linie als Gegenstand des sexuellen Verlangens eines anderen benutzt wird.
Selbst-Objektifizierung manifestiert sich in einer stärkeren Betonung eigener äußerlicher und sexueller Attribute anstatt kompetenzbasierter Eigenschaften und darin, wie häufig jemand sein Aussehen beobachtet und seinen Körper entsprechend erlebt (Szymanski et al., 2010, S.8)
Ein theoretisches Konstrukt im Rahmen der Selbst-Objektifizierung ist die „Objectification Theory“ von Fredrickson und Roberts (1997). Diese besagt, dass Frauen von ihrer Kultur so „geformt“ werden, dass sie die Perspektive eines äußeren Beobachters in Bezug auf ihr äußeres Erscheinungsbild als Hauptansicht annehmen, anstatt ihrer eigenen. Dies birgt Risiken bezüglich der mentalen Gesundheit wie beispielsweise unipolare Depressionen, sexuelle Dysfunktionen und Essstörungen (Fredrickson & Roberts, 1997, S.173).
2.1.3 Definition von Selbst-Sexualisierung
Sich selbst zu sexualisieren bedeutet, bewusst eine offene Art der sexuellen Selbstdarstellung auszuüben (Ward et al., 2016, S.13). Motive für Selbst-Sexualisierung sind beispielsweise attraktiv und begehrenswert wirken und das andere Geschlecht auf sich aufmerksam machen zu wollen (Smolak et al., 2014, S. 383). Die Ausübung von Selbst-Sexualisierung erfolgt laut Thompson und Donaghue (2014) hauptsächlich durch junge Frauen, beispielsweise durch das Tragen freizügiger Kleidung bei Club-Besuchen und sexuell anzügliches Tanzen (S. 24).
Peterson (2010) stellt authentischer empowerter Sexualität Selbst-Sexualisierung gegenüber, „which is merely a performance of the narrow version of female sexuality as defined by commercial discourses“ (S.308). Laut Ward et al. (2018) bedeutet sich selbst zu sexualisieren zudem, den eigenen Sex-Appeal und das eigene sexuelle Auftreten über andere Eigenschaften zu stellen und sich selbst zu objektifizieren: „equate their own attractiveness with being sexy“ (S.31).
Blake, Bastian und Denson (2016, S.2) postulieren jedoch, dass Selbst-Sexualisierung auch dazu dienen kann, sich selbst ermächtigt zu fühlen, dadurch, dass gesellschaftliche Normen bezüglich weiblicher Sexualität überschritten werden und somit sexuelle Selbstbestimmtheit demonstriert wird.
In der Wissenschaft herrschen demnach zwei verschiedene Konnotationen von Selbst-Sexualisierung, die sich in den genannten Konflikt innerhalb der Sexualisiation of Culture-Debatte einbetten lassen: Die einen sehen in Selbst-Sexualisierung eine Chance zur Ermächtigung, die anderen sehen darin eine Selbst-Objektifizierung.
2.1.4 Definition von Youtube-Musikvideos
Ein Musikvideo führt Musik und visuelle Darstellungen zusammen (Jost et al., 2013, S.18) und umfasst demnach Audiovisualität und zumeist auch Text. Darüber hinaus sind Musikvideos „wichtige Bestandteile der Popkultur“ (Schoch, 2016, S.1), in welchen „unterschiedliche kulturelle Diskurse verarbeitet [werden] “. Sie sind zum einen ein „massenmediales, kommerzielles Phänomen“ (S.1) und gleichzeitig ein Produkt der Kunst. YouTube ist dabei eine „Videoplattform“ (Marek, 2013, S.16), auf der jeder besagte Musikvideos hochladen und die der anderen Nutzer rezipieren kann.
2.2 Thematischer Hintergrund
Bevor die genannte Thematik genauer untersucht wird, soll zunächst der Hintergrund beleuchtet werden, der für die spätere Analyse als Argumentationsbasis dienen soll. Hierzu werden zuallererst die Grundlagen des Postfeminismus und der besagten Sexualisation of Culture-Debatte ins Auge gefasst. Im Anschluss wird der theoretische Wissensstand aufgearbeitet, an den später angeknüpft werden soll. Zuletzt werden die Entwicklungen im Deutschrap und besagte Rapperinnen näher veranschaulicht und ein Zusammenhang zwischen Deutschrap, Feminismus und Empowerment erarbeitet.
2.2.1 Die vierte Welle des Feminismus
Die feministische Geschichte kann zunächst in drei Phasen - sogenannte Wellen - aufgeteilt werden. Wrye (2009, S.185ff) fasst diese wie folgt zusammen: Die erste Welle wurde von feministischen Aktivistinnen der Suffragettenbewegung während der Wende des 20. Jahrhunderts ins Leben gerufen, in den 1960ern und 70ern kam die zweite Phase als eine gesellschaftspolitisch-kulturelle Bewegung auf und in den 1980er und 90ern entwickelte sich schließlich die dritte Phase, in der besonders das Jonglieren von Karriere, Sex und Mutterschaft besondere Bedeutung fand.
Frisse (2019, S.38) postuliert jedoch, dass inzwischen bereits von einer vierten Welle ausgegangen werden kann, die unter anderem die Verbreitung digitaler feministischer Inhalte über Social Media beinhaltet und vor allem Sexualpolitik in den Vordergrund rückt. Hier kann man beispielsweise die #MeToo-Debatte und weitere Medien-Diskurse einordnen. Von dieser vierten Welle soll auch in dieser Arbeit ausgegangen werden.
2.2.2 Postfeminismus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 (Adriaens & Van Bauwel, 2014, S.180)
Laut Adriaens und Van Bauwel (2014) existieren in der Wissenschaft verschiedene Interpretationen und ein „lack of consensus” (S.175) bezüglich des Postfeminismus und dessen Entstehung. Grundlegend herrsche eine Polarisierung zwischen zwei verschiedenen Perspektiven: der pessimistischen und der optimistischen.
Auf der einen Seite des Kontinuums positionieren sich die Optimisten gegen die totalitäre Beseitigung traditioneller Geschlechterrollen durch den Feminismus. In diesem Fall bedeutet das „post” so viel wie „in Bezug auf“ oder „bezogen auf“ Feminismus und wird verwendet, um auf die Veränderungen im feministischen Diskurs hinzuweisen (S.175). Das zentrale Konzept dieser Perspektive ist die persönliche Wahlfreiheit: Menschen, werden als eigenverantwortliche Individuen betrachtet, die weitestgehend von sozialen Einflüssen und Zwängen befreit sind. Teil davon ist das sogenannte „double entanglement“ (S.178), das beinhaltet, dass neokonservative Werte und liberale Werte koexistieren. Eine Frau kann demnach sowohl als Hausfrau zu Hause bleiben als auch eine große Karriere anstreben, solange es ihre selbstbestimmte Entscheidung ist. Diese Koexistenz lässt sich ebenfalls in Bezug auf Femininität und Macht wiederfinden. Konventionell weibliche Attribute wie Lippenstift, High Heels und Glamour stehen hier nicht im Widerspruch zu weiblicher Macht oder weiblichem Empowerment. Die Optimisten sind aus dieser Sicht „everything but marionettes of patriarchy“ (Adriaens & Van Bauwel, 2014, S.177). Der positive Postfeminismus bestreitet zudem das Vorkommen von Ungleichheit der Geschlechter im aktuellen westlichen Frauenleben und zelebriert Frauen als uneingeschränkte Subjekte (Thompson & Donaghue, 2014, S.25). Postfeminismus wird so zu einem Diskurs, der Frauen die Möglichkeit gibt, gleichermaßen feminin, attraktiv und feministisch zu sein und wird im aktuellen gesellschaftlichen Kontext zu einer neuen Form des Empowerments (Adriaens & Van Bauwel, 2014, S.179).
Auf der anderen Seite plädiert die negative Sichtweise, dass sich der Feminismus von einer effektiven politischen Bewegung zu einem leeren individualistischen Konsumstil (Adriaens & Van Bauwel, 2014, S.176) - dem Postfeminismus - gewandelt habe und dieser demnach nur ein „smart marketing trick” (S.176) sei. Viele Vertreter dieser Perspektive reklamieren, dass das Phänomen des Postfeminismus von den Medien und der Werbewirtschaft für deren Profit ins Leben gerufen worden sei. In diesem Sinne bedeutet das „post“ in Postfeminismus „nach“ oder sogar „anti“ Feminismus (S.176). So nennen McRobbie et al. (2016) den Postfeminismus auch „Pseudo-Feminismus“ (S.17) und werfen diesem vor, dass er Elemente des Feminismus wie Ermächtigung (Empowerment), Handlungsfähigkeit (Agency) und Wahlfreiheit (Choice) in einen individualistischeren Diskurs umtransformiert habe und nun im neuen Gewand - vor allem in den Medien und der Populärkultur - als ein Feminismus-Ersatz verwendet werden würde. Dabei seien vor allem junge Frauen die Zielgruppe, die zu neuen überzeugten Anhängerinnen des „Pseudo-Feminismus“ werden sollen, weswegen man um deren Zustimmung und Teilnahme werbe. Adriaens und Van Bauwel (2014) nennen die Girlgroup Spice Girls3 als ein Parade-Exemplar und Produkt des Postfeminismus, da diese von patriarchalen Unternehmen kreiert wurden „who only use feminism and girl power to increase sales“ (S.177). Im Gegensatz zum Feminismus präsentiert sich der Postfeminismus als „sexy“, „smart“, „cool“ und „angenehm“ und umfasst demnach eine Kommerzialisierung und „Popisierung“ des Feminismus, welche vor allem von „kapitalistischen … Power-Frauen‘“ repräsentiert werden (Volkmann, 2011, S.347). Darüber hinaus fehle in der positiven individualistischen Sichtweise ein Gefühl von Zwang und Druck, welches die persönliche Wahl der Individuen beeinflussen könnte (Thompson & Donaghue, 2014, S.25). Von der pessimistischen Seite wird dahingehend kritisiert, dass in neoliberalen und postfeministischen Diskursen, strukturelle Faktoren von individualistischen Sichtweisen verschleiert und soziokulturelle Einflüsse vernachlässigt werden (Meenagh, 2017, S.447).
Wie in Abbildung 1 von Adriaens & Van Bauwel (2014, S.180) verdeutlicht wird, muss das Phänomen des Postfeminismus im Kontext des liberalen 21. Jahrhundert betrachtet werden, welches von Neoliberalismus4, Kapitalismus, Konsumgesellschaft, Individualismus und vermindertem Interesse an Politik und Aktivismus geprägt ist. Dahingehend könne Postfeminismus weder als gänzlich gut oder schlecht angesehen werden. Es ist laut Genz (2006) ein Konzept der „micro politics” (S.333), in welchem Frauen dazu aufgefordert werden, sich auf ihr individuelles Privat- und Konsumleben zu konzentrieren, anstatt als Aktivistin eines politischen Kampfes zu agieren. Eher sind Postfeministinnen Sexualaktivistinnen, die ihren Körper und ihre Attraktivität als Instrument zur gesellschaftlichen und persönlichen Veränderung nutzen (Genz, 2006, S.345). Grundlegende Bestandteile des Phänomens sind Unabhängigkeit, individuelle Wahlmöglichkeiten, (sexuelle) Lust, Konsumkultur, Mode, Humor und die erneute Fokussierung auf den weiblichen Körper (Adriaens & Van Bauwel, 2014, S.179). Zudem könne der Postfeminismus von WissenschaftlerInnen zur Analyse von Produkten der Populärkultur verwendet werden.
2.2.3 Wer schön sein will, muss leiden?
Wie besagt, spielen Weiblichkeit und sexuelle Attraktivität im postfeministischen Diskurs eine wichtige Rolle und sind eng mit Empowerment verknüpft (Genz, 2006, S.345). Laut Volkmann (2011) wird ein ästhetisches Äußeres im Postfeminismus demnach zum Kernelement der Femininität und somit zur „Hauptquelle der Identitätsfindung“, woraufhin die Frau zum „postfeministischen, neoliberalen Subjekt wird, das sich über seinen Körper selbst definiert“ (S.304). Junge Frauen werden demnach im postfeministischen Diskurs dazu ermutigt, ihre Femininität im Sinne von weiblichem Empowerment zu betonen. Bialik (2017) kritisiert die Gleichstellung von Empowerment mit Attraktivität und Sexiness in der öffentlichen Debatte: „Well I think the trap that we`re falling into is that we start to equate empowerment not with strength or intelligence or confidence, but with sexiness" (01:47-01:56). Vor allem die Sexualisierung in den Medien soll laut Lamb und Peterson (2012) die Vorstellung davon, was sexuell empowered sein bedeutet, beeinflussen, welche jedoch sehr limitiert und vor allem rassistisch, heteronormativ und diskriminierend gegenüber Älteren sei (S.705).
Da sexuelle Attraktivität in der postfeministischen Sicht als Mittel zur Macht dargestellt wird (McRobbie et al., 2016, S.98), wird innerhalb der Diskurse auch ein großes Augenmerk auf die kosmetische und ästhetische Selbstoptimierung gelegt. Von dem postfeministischen Subjekt wird erwartet, dass es sein Aussehen durch Konsum optimieren soll. McRobbie et al. (2016) nennen es das „Regime der Selbstverbesserung” (S.98) und postulieren, dass die patriarchale Autorität durch dieses „Regime der Selbstkontrolle” (S.98) in neuer Form existiert und Frauen sich an dessen strikten Kriterien ständig messen müssen „von ihren jüngsten Jahren bis ins fortgeschrittene Alter“ (S.98). Sie machen besonders die Medien für diese Inszenierung idealisierter Weiblichkeit verantwortlich. Die Gleichstellung der, in der Konsumkultur glorifizierten, sexuellen Attraktivität mit Empowerment führe schließlich dazu, dass „(most often young) women enthusiastically perform patriarchal stereotypes of sexual servility in the name of empowerment“ (Tasker & Negra, 2007, S.3). Gill (2012) mahnt diesbezüglich, dass junge Frauen trotz möglicher Medienkompetenz5 nicht unbedingt davor gefeit seien, sich durch die perfektionierten Darstellungen von Weiblichkeit in den Medien unzufrieden mit sich selbst zu fühlen (S.493).
2.2.4 Von Girlbossen und Powerfrauen
Eine weitere Strömung innerhalb der postfeministischen Debatte ist der #Girlboss-Feminismus, auch Karrierefeminismus oder „corporate feminism” genannt (Cheek, 2020). Der Begriff und das zugehörige Phänomen wurde von Sophia Amoruso eingeleitet und geprägt, einer jungen Frau, die durch ihr Modeunternehmen Nasty Gal sehr reich geworden ist. Der Begriff #Girlboss-Feminismus steht demnach für starke Frauen, die sich in einer männerdominierten Welt durchgesetzt und Karriere gemacht haben (Campisi, 2020). Jankovska und Feller (2020) beschreiben diesen jedoch als „Pseudo-Feminismus“ und kritisieren, dass die Girlboss-Strömung, historisch betrachtet, nicht für weibliches Empowerment, sondern für „Kapitalismus in seiner Reinform“ (Jankovska & Feller, 2020, S.18f) stehe. Wölfl (2020) bestärkt: Girlboss-Feminismus stehe für Frauen, die andere Menschen ausbeuten und sich selbst dafür auf die Schulter klopfen. Campisi (2020) bekräftigt zudem, dass es im Feminismus schließlich nicht um Individuen gehe, die es innerhalb der patriarchalen Strukturen an die Spitze schaffen, sondern es das Ziel des Feminismus sein sollte, patriarchale Strukturen zu verändern, sodass nicht nur einzelne, sondern alle Frauen gleichberechtigt sind.
2.2.5 Die Sexualisation of Culture
Das Phänomen Sexualisation of Culture beschreibt laut Attwood (2009, S.2), wie die westliche Kultur zunehmend von sexuellen Darstellungen überflutet wird und sich dies immer mehr normalisiert hat. Eine sexualisierte Kultur ist zum Mainstream geworden. Dies zeigt sich vor allem in den Medien durch die dramatische Zunahme der Verbreitung sexuell expliziter Bilder und das Mainstreaming von Pornografie (Thompson & Donaghue, 2014, S.23). In dieser „era of neoliberalism and postfeminism“ (Meenagh, 2017, S. 447) werden Frauen dazu ermutigt, als autonome Subjekte zu agieren und sich nur zu ihrem eigenen Vorteil (und nicht für Männer) auf sexualisierte Selbstdarstellungen einzulassen (Thompson und Donaghue, 2014, S.25). Vor allem in diesem Kontext steht die Selbst-Sexualisierung junger Frauen im Fokus.
Wie zu Beginn aufgezeigt wurde, werden - wie im Postfeminismus - hier jedoch auch eine optimistische und eine pessimistische Seite gegenübergestellt.
Thompson und Donaghue (2014) fassen auf der „Sex positive“-Seite drei Punkte zusammen, durch welche die Sexualisation of Culture- Debatte als ermächtigend für Frauen verstanden werden kann:
Demokratisierung des Begehrens
Zunächst bezeichnet eine wissenschaftliche Perspektive bezüglich des weiblichen Empowerments die Zunahme von sexualisierten Darstellungen in den Mainstream-Medien als Ausdruck einer allgemeinen „democratisation of desire“ (S.24). Denn diese expliziten sexuellen Darstellungen sollen Frauen erlauben, eine Version von Weiblichkeit auszuleben, die aktiv, selbstbewusst und begehrend ist, im Gegensatz zu unterdrückenden Vorstellungen von der weiblichen Sexualität als passiv oder durch die männliche Sexualität definiert. Durch die neuen Möglichkeiten des sexuellen Selbstausdrucks soll so eine schädliche Doppelmoral beseitigt werden, eine Doppelmoral, die Frauen verurteilt hat, die von den Grenzen des gesellschaftlich akzeptierten Sexualverhaltens abweichen (Thompson & Donaghue, 2014, S.24).
Erotisches Kapital
Ein zweites Konzept ist das des „erotic capital“ von Hakim (2010). Dieses beinhaltet die Kombination von Schönheit, Sex-Appeal, Fähigkeiten der Selbstdarstellung und sozialen Kompetenzen (Hakim, 2010, S. 500), die für Frauen eine wichtige Form der Macht darstellen kann. So argumentiert Hakim (2010), dass Frauen sich jetzt ermächtigen können, indem sie eine Art des Einflusses nutzen, die ihnen schon immer zur Verfügung stand, ohne die Sanktionen zu riskieren, die diese Art der Ermächtigung zuvor überschatteten. Beispiele für diese Art des Empowerments findet man in der Werbung, in der - meist junge und konventionell attraktive6 - Frauen suggerieren, dass sich ihnen die Männer nicht mehr widersetzen können, wenn sie ihre sexuelle Attraktivität richtig einsetzen (Gill, 2003; Gill, 2008).
Affektive Erfahrung
Zuletzt konzeptualisieren Thompson und Donaghue (2014) Empowerment als „affective experience“ (S.25), die eine Mischung aus Selbstvertrauen, Spaß und (harmloser) Grenzüberschreitung zusammenfasst. So ergaben beispielsweise Studien mit Frauen (Holland & Atwood, 2009), die an Poledance-Kursen teilnahmen, dass diese ein Gefühl von Erfolgserlebnis und Selbstvertrauen durch die Ausübung von „sexy moves“ (Thompson und Donaghue, 2014, S.24) erlangten. Zudem würden hier symbolische Grenzen - die akzeptablen Formen der sexualisierten Selbstdarstellung - überschritten, was Frauen einen direkten Erfahrungsnachweis für ihre erweiterten Möglichkeiten und Freiheiten in einer postfeministischen Welt aufzeigt.
Die „Sex negative“-Perspektive kritisiert jedoch, dass Frauen innerhalb der Debatten dazu ermutigt würden, sich dafür zu entscheiden, eine bestimmte Art von sexuellem Subjekt zu werden: einem, das heterosexuelle Männer anspricht (Gill, 2007, S.152). Zudem könne das Argument der individuellen Wahl innerhalb der postfeministischen Sexualisation of Culture-Debatten nicht erklären, warum sich eine Mehrheit westlicher Frauen „autonom“ dazu entscheide, dieselbe exhibitionistische, sexuell attraktive Version von Weiblichkeit anzustreben, die derzeit auch von der sexualisierten Kultur angepriesen wird. Denn, obwohl die sexualisierte Kultur auch alternative sexuelle Darstellungen bietet, überwiegen Bilder, die sich kaum von traditionellen objektifizierenden Darstellungen von Frauen unterscheiden lassen: junge, schlanke, konventionell attraktive Frauen in kurzen Kleidern und sexuell suggestiven Posen (Thompson & Donaghue, 2014, S.25). Sexuelles Empowerment soll so zu einer neuen Form der Anordnung geworden sein, bei der junge Frauen dazu gezwungen sind, das derzeitige sexualisierte Ideal aufzugreifen, um sich als befreit, modern und weiblich zu repräsentieren und nicht als veraltet oder prüde zu gelten (S.25).
Laut Bay-Cheng (2015) müssen sich junge Frauen heutzutage durch ein „normative minenfield” (S.268) navigieren, das kontinuierliche Selbstkontrolle erfordere. Sie unterliegen einer sexuellen Doppelmoral: einerseits wird von ihnen eine befreite sexuelle Subjektposition erwartet, andererseits werden sie gesellschaftlich dafür bestraft (Bay-Cheng, 2015). Meenagh (2017) beschreibt die sexuelle Handlungsfähigkeit junger Frauen im postfeministischen Kontext als ein „Oxymoron“ (S.450): Frauen sind gefangen zwischen widersprüchlichen Positionen von Wildheit und totaler Kontrolle. Sie sollen sich selbst befreien, indem sie sich nach dem heterosexuellen männlichen Verlangen gestalten, aber zu ihrem eigenen Vergnügen (S.450). Zudem gäbe es innerhalb der Diskurse eine deutliche Heterosexualisierung und Geschlechterzuschreibung, was den Druck auf Frauen, besonders jungen Frauen, enorm erhöhe (Meenagh, 2017, S.449).
Levy (2005) bekräftigt, dass die Sexualisation of Culture nicht dazu beiträgt, die weibliche Sexualität von ihren historischen Zwängen zu befreien, sondern stattdessen eine besonders verkäufliche und marktfähige „shorthand for sexiness“ (S.39) propagiert. Auch hier zeigt sich - wie es bereits zuvor bei der Konzeptualisierung des Postfeminismus veranschaulicht wurde - wie relevant der Hintergrund der Konsumkultur sowohl in Bezug auf den Postfeminismus als auch bezüglich der Sexualisation of Culture-Debatte ist. So wurden laut Thompson und Donaghue (2014) wichtige Konzepte von der sexualisierten Kultur wie beispielsweise Selbstvertrauen und Empowerment Schlagwörter für Marketingprodukte wie beispielsweise Poledancing-Stunden oder Unterwäsche. Ponterotto (2016, S.140) schildert, wie die Reality Show „The Swan” Schönheits-Operationen als Empowerment-Strategie bewirbt, die es einer Frau erlauben, ihren Körper selbst in die Hand zu nehmen und nach ihren Wünschen zu verbessern, auch wenn diese letztendlich der normalisierten Ästhetik und dem gesellschaftlichen Schönheitsideal entsprechen. Zudem würde dies in vielen feministischen Foren infrage gestellt, aber gleichzeitig auch akzeptiert und gefördert werden: Manche bezeichnen den Rückgriff auf Technologien, die den eigenen Körper jugendlich und schön halten, darin als einen „neuen Feminismus” (Kuczynski, 2006, S.21).
Insbesondere kulturelle Institutionen wie „die Medien“ - so plädieren Thompson und Donaghue (2014) - üben Druck auf Frauen aus und können somit die Entscheidungen ihrer Wahl beeinflussen: Sie legen Ihnen nahe, bestimmte Formen der Selbstpräsentation und des Verhaltens anzunehmen. Aufgrund des scheinbar optionalen Charakters soll diese Subjektivierung eine noch höhere und tiefere Form der Ausbeutung darstellen als Objektifizierung: „women are duped into engaging in thinly disguised sexual self-exploitation“ (Thompson & Donaghue, 2014, S.23). Dabei kritisieren sie die Kategorisierung von Selbst-Sexualisierungspraktiken als einfache Übungen freier Wahl oder als unter Druck gesetzte Befolgung. Dies verschleiere die Potenzialität einer Verstrickung von Wahl und Druck oder Ermächtigung und Erniedrigung (S.26).
2.2.6 (Male) Gaze Theory
Wie bereits erläutert, kritisieren manche ForscherInnen wie Gill (2007), dass Frauen vor allem dazu ermutigt würden, eine (sexuelle) Subjektrolle anzunehmen, die heterosexuelle Männer anspricht. Dies verknüpft sich mit der „Gaze Theory“. Laut dem theoretischen Konstrukt „male spectatorship” (Ponterotto, 2016, S.147) wird die Frau, beziehungsweise der Körper der Frau, durch den Blick des Mannes zu einem Territorium, einer wertvollen Ressource, die es zu erwerben gilt. Der Gaze sei vor allem verantwortlich für Machtgefüge in der Gesellschaft. So artikuliert Foucault (1980, S.155): „There is no need for arms, physical violence, material constraints. Just a gaze“. Ponterotto (2016) bekräftigt, dass der Male Gaze Frauen prüft und beurteilt, die weibliche Subjektivität auf eine materielle Form reduziert und somit erwartet, dass Frauen ewig jugendlich und sexuell attraktiv sind und sozial konstruierten Körperformen und Verhaltensmustern entsprechen. Dem „männlichen Blick” wird somit eine enorme Kraft zugesprochen. Er soll Frauen objektifizieren, unterwerfen und schikanieren (Ponterotto, 2016, S.148).
2.2.7 Forschungsstand bezüglich Musikvideos und Sexualisation of Culture
Nachdem zuvor der Hintergrund des Postfeminismus und der Sexualisation of Culture näher beleuchtet wurden, soll nun auch der Forschungstand betrachtet werden, der für die spätere Analyse als Fundament dient.
Dietrich (2016) suggeriert, dass die Rap-Szene Jugendlichen und juvenilen Erwachsenen eine „enorme Palette an Stil- und Identifikationsangeboten“ (S.8) bietet. Ein Film des Kanals Steuerung F zeigte beispielsweise, wie nach der Veröffentlichung von Songs erfolgreicher deutscher Rapper wie Capital Bra oder Samra, die das Schmerzmittel Tilidin thematisierten, die Verschreibung der Droge innerhalb von nur zwei Jahren von 100.000 auf etwa drei Millionen anstieg, vor allem bei jungen Erwachsenen (Strg F, 2020).
Folgende Studien demonstrieren ebenfalls, welch enormen Einfluss die Rezeption von Musikvideos und die Identifikation mit Rap-Stars haben kann.
Besonders nennenswert sind zunächst mehrere Studien von Götz und Rodriguez (2019), die sich mit der Geschlechterdarstellung in Musikvideos beschäftigen. In der ersten wurden die Top 100 der Musikcharts in den USA und Deutschland von 2015 und 2016 inhaltsanalytisch untersucht und hier zeigten die Ergebnisse, dass Frauen stärker sexualisiert und objektifiziert wurden als Männer: jedes dritte Video in den Charts „spielte in einer reinen Männerwelt“ (S.2). In einer quantitativen Befragung nach der Bedeutung und Nutzung der Musikvideos von Jugendlichen, gaben 67 % der 748 Befragten an, dass sie so sein möchten wie die SängerInnen aus den Videos, 75 % der Mädchen wollten so aussehen wie die Sängerinnen, die in den Videos gezeigt wurden, und 74 % der Jungen wünschten sich eine Freundin, die so aussieht. Hier sind „Sängerinnen also eindeutig ein Vorbild für die Erscheinung“ (Götz & Rodriguez, 2019, S.4).
In einer weiteren qualitativen Studie untersuchten Stephens und Few (2007) welchen Einfluss die von Stephens und Philips (2003) herausgearbeiteten „sexual images“ - also typische Frauenbilder in Hip-Hop Musikvideos - auf afroamerikanische Jugendliche hatten. Diese beeinflussten sowohl Entscheidungsprozesse zwischenmenschlicher Beziehungen als auch die wahrgenommene physische Attraktivität von Frauen (S.251).
Zusätzlich untersuchten Aubrey et al. (2011) in einer experimentellen Studie, welchen Effekt die sexuelle Objektifizierung von weiblichen Künstlerinnen in Musikvideos auf die sexuelle Meinung von männlichen Jugendlichen hat. Ihre Resultate zeigten, dass die Rezeption besagter Musikvideos zu frauenfeindlicheren sexuellen Glaubenssätzen und mehr Akzeptanz von interpersoneller Gewalt bei den Probanden führte.
Auch darüber hinaus wurde der Sexualisierung von Frauen in Musikvideos in der Forschung inhaltsanalytisch bereits viel Aufmerksamkeit geschenkt: Aubrey und Frisby (2011) entwickelten beispielsweise ein Coding System, um sexuelle Objektifizierung in Musikvideos zu „messen“ und die Unterschiede in verschiedenen Genres herauszuarbeiten. Ihre Ergebnisse zeigten, dass weibliche Künstler - im Vergleich zu männlichen - eher sexuell aufreizendes Verhalten demonstrierten. Im Musik-Genre-Vergleich war sexuelle Objektifizierung im Hip-Hop am meisten vertreten.
Besonders nennenswert im Rahmen der Sexualisation of Culture-Forschung ist ein Artikel von Thompson und Donaghue (2014), welcher anhand einer Diskursanalyse von Fokusgruppen ebenfalls untersuchte, wie junge Frauen die Sexualisation of Culture verorteten. Ihre Teilnehmer sahen sexualisierte Selbstdarstellungen gleichzeitig als fördernd und bedrohlich für Empowerment, je nach Lesart. Abhängig vom eigenen Selbstwertgefühl könne Selbst-Sexualisierung Genuss und Selbstvertrauen steigern oder Frauen in eine Abwärtsspirale der Objektifizierung verwickeln. Der Artikel von Thompson und Donaghue (2014) dient - aufgrund der ähnlichen Thematik und Methodik - in vielerlei Hinsicht als Vorbildstudie für diese Thesis.
Im Bereich der Wirkung von Videos, Selbst-Sexualisierung und Sexualisation of Culture gäbe es noch einige weitere erwähnenswerte Studien, deren vollständige Wiedergabe jedoch den Rahmen der Arbeit sprengen würde, weshalb nur eine Auswahl besonders relevanter Ergebnisse präsentiert wurde.
Die bisherige Forschung zeigt demnach, dass Musikvideos einen großen Einfluss auf Jugendliche und junge Erwachsene und deren Einstellung, Entwicklung und Rollenbilder haben können und Frauen im Vergleich zu Männern in Musikvideos deutlich mehr sexuell präsentiert werden. Viele der Studien sind jedoch vor Jahren durchgeführt wurden und haben sich zudem auf den amerikanischen Raum oder - im Hip-Hop-Bereich - auf afroamerikanische Jugendliche fokussiert: „most of the scholarly literature has focused on the impact of this urban, Black media on young African American girls“ (Ross & Coleman, 2011, S.157). Auch da der Erfolg deutscher Rapperinnen erst seit wenigen Jahren enorm zugenommen und damit eine neue feministische Debatte und eine neue Frage des weiblichen und sexuellen Empowerments losgetreten hat, ist hier aktuellere und spezifischere Forschung von Nöten. Während sich ein Großteil der wissenschaftlichen Veröffentlichungen bis jetzt auf die „Objektifizierung“ von Frauen in Musikvideos fokussiert hat, so wird heute von dem Wandel von einem „sexuellen Objekt“ zu einem „sexuellen Subjekt“ gesprochen. So beschreibt Gill (2008) beispielsweise, wie das Frauenbild in der Werbung und in den Medien sich von „passive, ‚dumb‘ or unintelligent sex objects“ zu „active, beautiful, smart, powerful sexual subjects“ (S.52) transformiert hat. Diese Arbeit möchte dahingehend an die vorhandenen Veröffentlichungen anknüpfen und neue, aktuelle Blickwinkel im Bereich des Feminismus in der Medienwelt beleuchten.
2.2.8 Theoretische Erklärungsansätze für die Wirkung von Rap-Videos
Wie bisherige Studien gezeigt haben, können Musikvideos „Einstellungen und Selbstwahrnehmungen“ (Aubrey und Frisby, 2011, S.498) beeinflussen und haben ein großes Identifikationspotential. Diesbezüglich sollen im Folgenden zwei theoretische Konstrukte vorgestellt werden, die diesen Einfluss erklären könnten und auch in späterer Analyse als potenzielle Explikationsansätze dienen sollen.
Bandura (1977) geht davon aus, dass ein Großteil des menschlichen Verhaltens durch die Observation anderer erlernt wird. Denn die kodierte Information aus dem Verhalten des Beobachteten „serves as a guide for action“ (S.22). Dadurch erspare man sich unnötige Fehler. In seiner Lerntheorie unterscheidet er zwischen „acquisition“ (S.25) und „performance“ (S.25). Der Erwerb einer Handlung bedeute demnach nicht auch automatisch deren Ausführung. Ob das Gelernte umgesetzt wird, hänge davon ab, ob dies beim Beobachteten eine belohnende oder bestrafende Konsequenz nach sich ziehe. Modelle mit „engaging qualities“ (S.24) würden eher als Lernvorbilder angesehen als solche mit „lacking pleasing characteristics“ (S.24). Massenmedien könnten außerdem als Multiplikatoren wirken, da sie viele Menschen auf einmal erreichen könnten (Bandura, 1977, S. 94f). Dies kann im Rahmen dieser Thesis auch auf die soziale Plattform Youtube bezogen werden, deren Videos - wie Statistiken zu Beginn der Arbeit gezeigt haben - täglich von einer Masse von Menschen rezipiert werden.
Festingers (1954) Theorie sozialer Vergleichsprozesse zufolge haben Individuen das Bedürfnis sich mit anderen Personen und deren Verhalten und Einstellung zu vergleichen, mit dem Ziel, dadurch eine Orientierung im Alltag zu erreichen und sich selbst dadurch zu bewerten (S.117). Er unterscheidet zwischen sogenannten Abwärts - und Aufwärtsvergleichen.
Aufwärtsvergleiche dienen dabei der eigenen Verhaltensoptimierung (Festinger, 1954, S.124). Durch den Vergleich mit Personen, die dem gegenüberstellenden Individuum überlegen sind - egal, ob beispielsweise in Erfolg oder Attraktivität - können, durch die wahrgenommene Diskrepanz, jedoch auch negative Emotionen wie Depressionen und ein niedrigeres Selbstwertgefühl ausgelöst werden. Gerade die Medien bieten ein großes Kontingent an potenziellen Vergleichspersonen.
Aus der Sicht dieser beiden Theorien können Rap-Stars durch „engaging qualities“ (Bandura, 1977, S.24) wie Talent, Erfolg und konventionell gutes Aussehen als Lernvorbilder und ebenfalls als potenzielle Vergleichspersonen für Jugendliche und junge Erwachsene betrachtet werden.
2.2.9 Aufstieg der Frauen im Deutschrap
„Hip-Hop ist ein Spiegel der Gesellschaft und darin sieht man halt Scheiße aus, wenn man das weibliche Geschlecht hat”, so beschrieb der Rapper Edgar Wasser vor sieben Jahren auf ironische Art und Weise, wie schwer es weibliche Rap-Künstler zu dieser Zeit „trotz Emanzipation und Frauenquote“ (Genius, 2014) noch hatten, in der Branche Fuß zu fassen. Doch wie ist es in dieser Frauen abwertenden „Männerwelt“ (Friedrich & Klein, 2003, S. 24) zum Aufstieg von heute erfolgreichen Rapperinnen wie Loredana, Juju und Shirin David gekommen, die an der Spitze der deutschen Charts stehen?
Hierzu soll ein kurzer Einblick in die Geschichte und die Zustände des Rap-Business gegeben und benannte Rapperinnen kurz vorgestellt werden.
Rap - sogenannter Sprechgesang - hat seine Ursprünge in den 1970ern in den Ghettos Harlem und Bronx (Saied, 2012, S.17), wo er mit anderen - dem Hip-Hop zugehörigen - Disziplinen wie Graffiti, DJing und Breakdance als Kampf zwischen Banden entstand. Deutschsprachiger Hip-Hop entwickelte sich jedoch erst Ende der achtziger Jahre (Szillus, 2012, S.42). Die USA sind demnach nicht nur der Geburtsort des Rap, sondern in vielerlei Hinsicht ebenfalls dessen Vorreiter. Auch was den Aufstieg und die Selbst-Sexualisierung von deutschen Rapperinnen angeht, kann die USA als Vorläufer angesehen werden: Bifulco und Reuter (2017) nennen Roxanne Shante, Salt-N-Peppa und Missy Elliot als erste „weibliche Pioniere“ im US-amerikanischen Raum, die den Begriff „Bitch“, der von männlichen Rappern immer mit negativer Konnotation gebraucht wurde, ins Positive umkehrten (S.68f). Wie der Rap selbst ist auch die weibliche Pionierarbeit in Amerika durch Künstlerinnen wie Lady Bitch Ray, Sabrina Setlur und Schwesta Ewa nach Deutschland übergeschwappt, jedoch mit weit geringerem kommerziellem Erfolg (Bifulco & Reuter, 2017, S.69).
2015 kam mit dem Rap-Duo SXTN, das aus Judith Wessendorf und Nura Habib Omer - alias Juju und Nura - bestand, ein erfolgreicherer weiblicher Rap-Act auf den deutschen Markt (Genius, 2017). Beide Künstlerinnen übernehmen die vulgäre und aggressive Ausdrucksart ihrer männlichen Kollegen, weil dies für sie selbstverständlich sei (Hip Hop.de, 2017). Dies könnte als feministische Provokation gedeutet werden, SXTN ist sich laut eigener Aussage jedoch keines feministischen Auftrags bewusst (TV Strassensound, 2017, 25:37-25:45). Ende 2018 trennte sich das Duo, woraufhin beide Künstlerinnen eine erfolgreiche Solo-Karriere anstrebten und jeweils mit ihren Solo-Alben „Habibi” von Nura und „Bling Bling” von Juju große Erfolge feierten (Genius, 2017).
2018 schlug Loredana Zefi mit ihrem Song „Sonnenbrille“ in die Deutsch-Rap-Szene ein (DPA, 2020). Bis heute hat das Musikvideo des Songs auf Youtube über 64 Millionen Klicks (Loredana, 2018). Und wie bereits zu Beginn erwähnt, landete mit dem Debüt-Album „Supersize“ von Shirin David 2019 zum ersten Mal ein Soloalbum einer deutschen Rapperin auf Platz eins der Charts (Stuttgarter Zeitung, 2020).
Als die drei aktuell erfolgreichsten deutschen Rapperinnen stehen demnach momentan Loredana, Juju und Shirin David hoch im Kurs (Aderajew, 2021). Loredana verzichtet generell darauf, ihre sexuellen Reize zur Schau zu stellen und stellt sich stattdessen eher als das weibliche Pendant eines „Machos“ dar, mit Raubtieren und teuren Autos, Selbst-Zelebrierung, Schimpfwörtern und Drogen im Gepäck (Loredana, 2018). Juju glorifiziert ebenfalls - wie die meisten ihrer männlichen Kollegen - den Konsum illegaler Substanzen und spielt bewusst mit männlichem Vokabular und Klischees, zum Teil auch leichtbekleidet. Doch auch bei ihr liegt die Betonung ihrer sexuellen Zurschaustellung nicht im Hauptfokus.
Shirin David sticht hingegen mit bewusster Selbst-Sexualisierung heraus: In ihren Musikvideos räkelt sie sich lasziv in knappen Outfits und stellt aktiv ihren Körper zur Schau (David, 2019). Durch das willentliche in Szene Setzen ihrer sexuellen Attribute ist sie für das benannte Forschungsinteresse besonders relevant und interessant. Da sie es als erster weiblicher Rap-Act mit einem Soloalbum auf Platz eins der Charts schaffte und mit 5,6 Millionen Abonnenten auf Instagram (Stand Juli 2021) unter ihren Rap-Kolleginnen zudem die meisten Social-Media-Follower für sich beansprucht, kann sie momentan definitiv als „erfolgreichste deutsche Rapperin“ (Universal Music, 2021) bezeichnet werden. Deshalb wird sie im Rahmen dieser Arbeit im Fokus stehen. Um eine bessere Basis für den weiteren Verlauf zu schaffen, soll Shirin David im Folgenden kurz vorgestellt werden.
2.2.10 Der Aufstieg von Shirin David
Universal Music (2021) nennt Shirin David eine „Powerfrau, Self-Made Ikone, Empowerment-Aktivistin und die erfolgreichste Rapperin Deutschlands“. Bevor die Rapperin, die mit bürgerlichem Namen Barbara Shirin Davidavicius heißt, in der Musikbranche ihre ersten Erfolge feierte, machte sie sich als Webvideo-Produzentin auf Youtube und schließlich als Influencerin auf Instagram einen Namen (Pro Sieben, 2021). Ihr musikalischer Werdegang begann 2015: Sie veröffentlichte ihre erste Single „Du liebst mich nicht“, die es in die Top 10 der Charts schaffte. 2017 wurde sie Teil der „Deutschland sucht den Superstar”-Jury und erlangte so weitere Bekanntheit (Pro Sieben, 2021). Ihren bisher größten musikalischen Erfolg erlangte sie mit der 2019 veröffentlichten besagten Single „Gib ihm“ (David, 2019) und dem zugehörigen Album „Supersize“. Zuletzt brachte sie ihre neueste Single „Ich darf das“ (David, 2021) auf den Markt, die laut Universal Music (2021) eine „Empowerment-Hymne“ ist und für „Stärke, Selbstbestimmung [und] Emanzipation“ steht. Die Rapperin selbst postuliert, wenn Männer auf sexuelle Art und Weise rappen dürfen, dann solle das auch Frauen gestattet sein und spricht sich dafür aus, das Selbstbewusstsein junger Mädchen stärken zu wollen (K.AT, 2020). Shirin ist zudem für ihre extravaganten Outfits, ihre Schönheits-Operationen und ihre Freizügigkeit bekannt: Sie ist in der Regel stark geschminkt und leicht bekleidet (David, 2019). Zu ihren Vorbildern und Inspirationsquellen zählt sie die amerikanischen Rapperinnen Nicki Minaj und Cardi B, mit denen sie darüber hinaus oft verglichen wird (Vogue, 2019). Zuletzt genannte entfachte in den USA mit ihrer Single WAP, die sie 2020 veröffentlichte, durch die darin enthaltene freizügige Eigendarstellung, eine „wilde Diskussion“ (Balzer, 2020), inwiefern die Selbst-Sexualisierung der Rapperin in ihren Videos als Empowerment gesehen werden kann (Giuliana, 2020).
3 Die verwendete Methodik
Für die Beantwortung der zu Beginn genannten Forschungsfrage wurde die Nutzung qualitativer Methoden aufgrund der mangelnden Grundlagenforschung bezüglich der Selbst-Sexualisierung von Rapperinnen und ihrer Interpretation als sinnvoll erachtet, um ein erstes tiefer gehendes Verständnis bezüglich des Themas generieren zu können. Hierzu wurden Fokusgruppen als geeignete Methode ausgewählt, die mitsamt einer Inhaltsanalyse nach Mayring (2020) ausgewertet werden sollen. Die Vorgehensweise soll im Weiteren in ihrer logischen Reihenfolge genauer erläutert werden.
3.1 Fokusgruppen
Fokusgruppen sind ein methodisches Verfahren, bei dem eine Gruppe von Personen bestimmte vorgegebene Themenfelder diskutiert. Innerhalb der empirischen Sozialforschung haben sie sich vor allem hingehend der Analyse von Meinungen zu konkreten Stimuli etabliert (Schulz et al., 2012, S.7). Vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Empowerment und Objektifizierung soll durch das potenzielle Aufeinandertreffen verschiedene Ansichten und Einwände dadurch herausgefiltert und provoziert werden. Hierzu wurden aus insgesamt vierzehn Teilnehmerinnen drei Fokusgruppen gebildet. Die Teilnehmerinnen wurden durch persönliche Anfrage und durch Aufrufe auf Social Media rekrutiert. Während manche von ihnen sich freiwillig meldeten, bestätigten andere erst durch explizites Bitten die Teilnahme, um zu verhindern, dass nur Frauen mit starkem Eigeninteresse, sondern auch solche, die sich privat nicht initiativ für das Thema interessieren, Teil der Auseinandersetzung waren und somit das besagte Spannungsfeld verstärkt werden konnte. Alle Mitwirkenden waren - der ausgewählten Zielgruppe von jungen Frauen entsprechend - weiblich und zwischen 18 und 28 Jahren alt. Darunter befanden sich hauptsächlich Studenten, jedoch auch eine Schülerin, eine Altenpflegerin und eine Kindergartenleitung. Alle Mitwirkenden waren deutsch, unter ihnen befanden sich jedoch auch jeweils eine Frau mit türkisch-kurdischem, philippinischem und kamerunischem Hintergrund.
Die Gruppen wurden bewusst so gebildet, dass sie etwa gleich groß waren und jeweils ungefähr die Hälfte Deutschrap und besagte Künstlerinnen privat rezipierte, während die andere Hälfte dies nicht tat, um somit auch hier mögliche Voreinstellungen bewusst aufeinandertreffen zu lassen. Darüber hinaus wurde darauf geachtet, dass die Teilnehmerinnen sich - wenn möglich - gar nicht oder nicht gut privat kannten, um so das Phänomen der sozialen Erwünschtheit7 oder „Teambildungen” aufgrund privater Beziehungen zu umgehen und eine neutrale Atmosphäre zu schaffen. Aufgrund der aktuellen Covid-19-Situation wurden die Diskussionen über das Videoportal Zoom geführt und mit Einverständnis der Teilnehmenden aufgezeichnet. Es wurden insgesamt drei Sessions über 90 Minuten durchgeführt. Ein Leitfaden diente als Stütze und als roter Faden für die Durchführung der einzelnen Sitzungen, um alle für die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Themen aufzufassen und allen Gruppen eine ähnliche Struktur zu geben. Mit relevanten und anregenden Fragen als Stütze sollte ermöglicht werden, nichtsdestotrotz flexibel auf die einzelnen Beteiligten einzugehen und eine offene und vertraute Atmosphäre zu schaffen, in der jede sich dazu ermutigt fühlte, ihre eigene Meinung und Erfahrung ohne Beklemmung teilen zu können. Innerhalb der vorgegebenen Struktur konnten auch die Teilnehmerinnen die Diskussion flexibel führen und bewusst die Themen ansprechen, die ihnen persönlich am wichtigsten erschienen. Zu Beginn wurden die Konstrukte Empowerment und Objektifizierung für alle Teilnehmerinnen kurz aufgegriffen und erläutert, um Missverständnisse in der weiteren Diskussion zu umgehen. Im Anschluss wurden allgemeine Fragen zu den Themen des Forschungsinteresses gestellt, um die generelle Sicht der Frauen zu Empowerment und Objektifizierung und der Rolle der Medien herauszufiltern, um zu sehen, inwiefern diese ihre spätere Einschätzung und Interpretation beeinflussen könnten und ihren generellen Standpunkt herauszuarbeiten.
[...]
1 Die Rapperinnen Roxanne Shante, Salt-N-Peppa und Missy Elliot kehrten den Begriff „Bitch“, der von männlichen Rappern mit ausschließlich negativer Konnotation gebraucht wurde, erstmals ins Positive um und präsentierten ihn mit Attributen wie „Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit und Stärke" (Bifulco und Reuter, 2017, S.69). Deshalb ist der Titel „Boss Bitch” innerhalb dieser Arbeit ausschließlich positiv - im Sinne einer selbstbestimmten Frau – gemeint.
2 Der Titel dieser Arbeit - „Boss Bitch oder Lustobjekt” - ist durch funk (2019) inspiriert.
3 Die Spice Girls sind eine britische Popgruppe, die in den 1990er Jahren weltweit die Charts dominierte. Unter dem Motto „Girl Power“ bewarben sie einen spielerischen Sex-Appeal, um eine feministische Alternative zu damaligen Boygroups zu schaffen (Britannica, 2021).
4 Neoliberalismus entstand in den 1930er Jahren als eine Richtung der Wirtschaftswissenschaft und umfasst heute eine breite geistige Strömung mit unterschiedlichen historischen sowie länderspezifischen Erscheinungsformen (Butterwegge et al., 2008, S.11). In der neoliberalen Ideologie werden Menschen als autonome Individuen porträtiert, die von sozialen Einflüssen befreit sind (Thompson & Donaghue, 2014, S. 24f). Dies korreliert mit postfeministischen Werten und Ideen.
5 Medienkompetenz umfasst unter anderem die Fähigkeit, Medien „souverän bedienen“ und „kritisch beurteilen“ zu können (Hugger, 2008, S.93)
6 Hier ist vor allem das westliche Schönheitsideal gemeint. Dieses hat sich jedoch innerhalb der letzten Jahre gewandelt und glorifiziert nun beispielsweise ein kurvigeres Idealbild als noch zu der Veröffentlichungszeit von Hakim (2010). Laut Madar (2020) trendet seit den letzten Jahren beispielsweise der „Big Booty-Hype“ auf den Sozialen Medien, „whereby a woman’s sex appeal is increasingly being measured by the prominence of her behind“ (S.1).
7 Das Phänomen der sozialen Erwünschtheit beschreibt die Abgabe sozial erwünschter Antworten eines Interviewten oder - innerhalb dieser Arbeit - eines Diskutierenden, durch welche die Gültigkeit der Antworten gefährdet werden kann. Dies trifft insbesondere auf Themenfelder zu, deren Äußerung im öffentlichen Raum zu missbilligenden Reaktionen führen kann. Hierzu gehören zum Beispiel Fragen zum sexuellen Verhalten (Stocké, 2004, S.303).
- Citar trabajo
- Svenja Hagen (Autor), 2021, Boss Bitch oder Lustobjekt? Konstruktionen von Empowerment und Objektifizierung in Diskussionen über die Selbst-Sexualisierung deutscher Rapperinnen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138275
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