Einleitung
Diese Arbeit, die auf dem Proseminar „Kirchenreform und Investiturstreit aus italienischer Sicht“ basiert, beschäftigt sich mit der Mitte des 11. Jahrhunderts neu entstehenden Literatur der Streitschriften. Quellenkritisch wird eine Schrift, die Defensio Heinrici IV. Regis von Petrus Crassus untersucht.
Bevor diese genau behandelt wird, soll die neue Literaturgattung kurz vorgestellt werden, ihre typischen Charakteristika werden aufgezeigt. Dazu wird zunächst der Unterschied zu anderen Quellen erläutert und die innere und äußere Form einer Streitschrift skizziert. Um Zweck und Hintergrund der Schriften näher zu kommen und um die Motivation der Verfasser zu erfassen, wird kurz auf die zeitliche Entwicklung der Streitschriftenliteratur und das „Genre“ der Autoren eingegangen. Durch die Vorstellung des Leserkreises, sind mögliche Verbreitungswege und „öffentliche“ Wirkung der Schriften zu erkennen.
Die Arbeit setzt fort mit der quellenkritischen Analyse der Defensio Heinrici IV. Regis von Petrus Crassus. Überlieferung, Herkunft, Verfasserschaft und die Problematik der Abfassungszeit der Schrift werden kritisch untersucht, bevor Inhalt und Vorgehensweise des Petrus Crassus zur Diskussion stehen. Dabei sollen vor allem die Argumenationsebenen des Autors und den Sinn dieser im Vordergrund stehen. Erst dann ist es möglich, die Motivation, aus der die Defensio Heinrici entstand, zu begreifen und einen Einblick in das Rechtsverständnis der Zeit zu bekommen
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Streitschriften
Eine neue Literaturgattung
Charakteristika der Streitschriften
Zeitliche Entwicklung
Autoren
Verbreitung und Leserkreis
Die Defensio Heinrici IV. regis
Überlieferung aus dem 16. Jahrhundert
Die unsichere Identität des Petrus Crassus
Problematik der zeitlichen Abfassung
Ein Rechtsgutachten als Streitschrift – Inhalt und Vorgehen
Ungenutztes Potential – Wirkung und Resümee
Schluß
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Diese Arbeit, die auf dem Proseminar „Kirchenreform und Investiturstreit aus italienischer Sicht“ basiert, beschäftigt sich mit der Mitte des 11. Jahrhunderts neu entstehenden Literatur der Streitschriften. Quellenkritisch wird eine Schrift, die Defensio Heinrici IV. Regis von Petrus Crassus untersucht.
Bevor diese genau behandelt wird, soll die neue Literaturgattung kurz vorgestellt werden, ihre typischen Charakteristika werden aufgezeigt. Dazu wird zunächst der Unterschied zu anderen Quellen erläutert und die innere und äußere Form einer Streitschrift skizziert. Um Zweck und Hintergrund der Schriften näher zu kommen und um die Motivation der Verfasser zu erfassen, wird kurz auf die zeitliche Entwicklung der Streitschriftenliteratur und das „Genre“ der Autoren eingegangen. Durch die Vorstellung des Leserkreises, sind mögliche Verbreitungswege und „öffentliche“ Wirkung der Schriften zu erkennen.
Die Arbeit setzt fort mit der quellenkritischen Analyse der Defensio Heinrici IV. Regis von Petrus Crassus. Überlieferung, Herkunft, Verfasserschaft und die Problematik der Abfassungszeit der Schrift werden kritisch untersucht, bevor Inhalt und Vorgehensweise des Petrus Crassus zur Diskussion stehen. Dabei sollen vor allem die Argumenationsebenen des Autors und den Sinn dieser im Vordergrund stehen. Erst dann ist es möglich, die Motivation, aus der die Defensio Heinrici entstand, zu begreifen und einen Einblick in das Rechtsverständnis der Zeit zu bekommen
Streitschriften
Eine neue Literaturgattung
Die im 11. Jahrhundert stetig schärfer werdende Auseinandersetzung zwischen Papst- und Königtum, spätestens aber der Streit zwischen Gregor VII. Und Heinrich IV. rief weite Teile des Klerus auf den Plan, zu konkreten Fragen des Streites oder zu vom Streit betroffenen Personen Stellung zu nehmen.
Die theoretischen Abhandlungen über unklare Fragen nahmen bald den Charakter von Streitschriften an, in denen die Verfasser mit Hilfe sachlicher Argumente, oft allerdings mittels polemischer Anschuldigungen die Fehler und Schuld des Gegners aufzudecken und damit die Rechtmäßigkeit ihrer Partei zu untermauern suchten.
Nie zuvor hatte eine Auseinandersetzung eine solche Flut von Schriften provoziert. Ganz eindeutig liegt ein Grund darin, daß die Schriftsteller – zu jener Zeit fast ausschließlich Geistliche – ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang der Auseinandersetzung an den Tag legten.[1] War der Kampf zwischen Papst und König in diesem Maße auch neu und wohl alleine deshalb von Interesse, so stand je nach Parteizugehörigkeit und Ende des Streits die Beschneidung oder Erweiterung der eigenen Einflußsphäre zur Disposition.[2] Dies zeigt sich u.a. darin, daß sich im Laufe des Streits die Themata der Schriften ändern. Ging es zu Anfang noch um die eigentlichen reformerischen Fragen, wie die der Simonie[3], beschäftigten sich die Verfasser später mehr und mehr mit Fragen der Kompetenzen von Papst und König, mit dem Recht und dem Einflußbereich der jeweiligen Partei. Die Diskussion wurde zum Investiturstreit. Das Erscheinen einer solchen Flut an Schriften innerhalb relativ kurzer Zeit wurde sicherlich auch begünstigt durch die noch wenig ausgebildete Abgrenzung rechtlicher Kompetenzen.
Ein großer Teil der Streitschriften liegt gesammelt in den Monumenta Germ. hist. Libelli de lite I-III } vor.[4] Dort sind nach Jacob[5] rund 150 Schriften von etwa 80 Verfassern ediert. Mirbt erwähnt in seiner Analyse[6] 115 Schriftstücke von 65 Autoren. Es muß allerdings davon ausgegangen werden, daß eine erheblich höhere Zahl existierte. Darauf deuten Hinweise und Zitate in uns überlieferten Schriften.[7] Wie groß die Verluste tatsächlich sind, und wie viele Quellen durch Zensur oder Vernichtung[8] unbekannt und unüberliefert blieben, entzieht sich jeglicher Kenntnis.
Charakteristika der Streitschriften
Der Begriff „Streitschrift“
Nach Mirbt[9] läßt sich die Streitschriftenliteratur durch den vom Autor verfolgten Zweck und ihre beabsichtigte Wirkung von anderer Literatur differenzieren. Demnach besteht der Zweck einer Streitschrift darin, zu einer Kontroversfrage Stellung zu beziehen, das Verhalten der eigenen Partei zu rechtfertigen oder das der Gegner zu verurteilen. Ein Kriterium, das Streitschriften von anderen Quellen dieser Zeit unterscheidet ist also das der Parteinahme des Verfassers.
Um als Streitschrift zu gelten sollte die Quelle auch das zweite Kriterium, das der Propaganda, erfüllen. Hierzu hat Mirbt an gleicher Stelle schon ausführlich bemerkt, daß dem Wunsch des Schriftstellers nach Öffentlichkeit nur schwer beizukommen ist. Denn die Absicht der Veröffentlichung oder gar der Akt dieser muß nicht ausgesprochen oder dokumentiert sein, um stattgefunden zu haben, andererseits kann dieser Wunsch bestanden haben, ohne daß die Schrift –aus welchen Gründen auch immer – bekannt geworden ist.
Literarische Form
Die literarische Form der Schriften ist vielfältig.[10] Sehr häufig zu finden sind, neben Briefen und kurzen Zusammenstellungen von Forderungen, ausführlichen theologischen Abhandlungen zu einer bestimmten Frage und grundsätzliche Darlegungen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, König und Papst. Beide Seiten bedienen sich auch der Form amtlicher Publikationen kirchlicher oder staatlicher Institutionen. Ebenso wird versucht, schon existierendes Schriftgut, beispielsweise schon gesammelter kirchenrechtlicher Stoff, zu polemischen Zwecken zu nutzen. Geschrieben wird überwiegend Prosa, nur selten in dichterischer Form.[11]
Äußere Form
Die Publikationen wurden wohl selten gebunden, d.h. in Buchform, veröffentlicht, sondern existierten eher in Form „freier Seiten“. Spricht Mirbt vom zwar seltenen, aber doch vorkommenden „Genre der modernen Flugschift“, meint er den kurz gehaltenen, oft überzeichnenden Aufruf, eine Sammlung von schlagkräftigen Thesen oder Anschuldigungen oder auch eine Schrift, die, beziehungsweise deren Inhalt, große und schnelle Verbreitung fand.[12] Das Flugblatt freilich, im Sinne von hundertfach kopierten und verteilten Exemplaren[13] war allein schon aus Mangel an technischen Möglichkeiten noch unbekannt.
Zeitliche Entwicklung
Interessant ist bei der Untersuchung der zeitlichen Entstehung, daß die Zahl der Streitschriften abhängig von zeitgeschichtlichen Ereignissen war. So forderten die Geschehnisse um die beiden Exkommunikationen Heinrichs eine wahre Flut an neuen Schriften. Der Großteil der Streitschriften aber entstand erst nach Gregors Tod. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, daß mit diesem Ereignis der Streit noch lange nicht beigelegt war. Mirbt[14] vermutet zudem, daß sich mit der wachsenden geistigen Reife ein Bedürfnis nach öffentlicher Meinung entwickelt habe.
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[1] vgl. Mirbt, Carl: Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig, 1894, S. 2
[2] Die Frage, warum von der ebenfalls betroffenen weltlichen, d.h. vor allem fürstlicher Seite keine Schrift bekannt ist, bleibt noch zu untersuchen (s.u.)
[3] Jacob a.a.O., S. 59ff.
[4] Übersetzungen finden sich in Quellen zum Investiturstreit von Irene Schmale-Ott und in Geschichte in Quellen von W. Lautemann.
[5] Jacob, Karl: Quellenkunde der deutschen Geschichte des Mittelalters, Bd. 2, Berlin, 1949, S. 58
[6] Mirbt, a.a.O., S. 83ff.
[7] Mirbt, a.a.O., S. 80. Hier werden nicht überlieferte Schriften, die ermittelt werden konnten, angegeben.
[8] Mirbt, a.a.O., S. 101
[9] Mirbt a.a.O., S. 4
[10] Jacob a.a.O., S. 56, sowie Mirbt a.a.O., S. 5
[11] Die Defensio Heinrici IV. regis vereinigt beide Formen; s.u.
[12] Als ein solches Beispiel könnte das Manifest des Königs (Meyer v. Knonau III, S. 433ff.), das den Römern fast in der Art einer Kundgebung Heinrichs Kommen ankündigt, das Flugblatt Dietrichs von Verdun (LdL I, S. 282) oder die Schrift Weinrichs von Trier (LdL I, S. 284ff.) angesehen werden, von der Manegold von Lautenbach (LdL II, S. 311) schreibt, wie sie von Hand zu Hand gehend schnell bekannt wurde.
[13] s.u.
[14] Mirbt a.a.O., S. 84
- Quote paper
- Markus Horeld (Author), 1996, Die Publizistik im Investiturstreit - eine kritische Betrachtung der Defensio Heinrici IV. Regis des Petrus Crassus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1137