In einem Artikel der Wochenzeitung DIE ZEIT las ich, dass Vorbilder eine wichtige, jedoch auch schwierige Funktion für Bildung haben. „…Die verlorene Jugend auf der Suche nach der beispielhaften Biografie, dem geglückten Leben.“ Was kann man dazu als Lehrer beitragen? Als Lehrer wird einem die Vorbildfunktion von unterschiedlichen Seiten zugeschrieben. Die pädagogische Literatur geht davon aus, dass SchülerInnen in Lehrkräften vielmehr ein Vorbild sehen, als jenen bewusst ist. Ganz besonders gilt dies für die Geschlechterrolle.
Diese scheint beim schlechten Abschneiden von Jungen in Schulleistungstests wie PISA eine Rolle zu spielen. Hier zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften. Diese Differenzen sind auch in meinem eigenen Unterricht beobachtbar. Sachtexte sind Jungen näher als Mädchen, Texte die Identifikation erfordern sind Mädchen näher als Jungen.
Neben dieser Überlegung gaben andere eigene Beobachtungen in der Schule dazu Anlass, sich mit dem Thema Jungenförderung zu beschäftigen. Gerade in meiner Klasse 8F konnte ich beobachten, wie unterschiedlich das Verhalten von Jungen und Mädchen ist. Zusammengefasst spielen drei Punkte eine wichtige Rolle. Erstens fallen Jungen eher durch eine unproduktive Kommunikation im Unterricht auf. Zweitens zeigen Jungen im Vergleich zu Mädchen eine eher mäßige Teamarbeit und drittens scheint Vertrauen und gegenseitiges Verständnis bei Jungen weniger ausgeprägt zu sein als bei Mädchen. So taucht das Verhalten von Jungen und Mädchen in einem sehr stark geschlechtsbezogenen Kontext auf. Hinzu kam, dass drei Jungen der Klasse sowohl von mir, als auch von anderen Lehrkräften als verhaltensauffällig angesehen wurden. Daher entschied ich mich diesem Problem auf die Spur zu kommen und Abhilfe zu schaffen, indem ich mich mit Jungenförderung und geschlechtshomogenen Gruppen eingehender beschäftigte. Die sollte im Rahmen der anstehenden Projekttage zur „Lebensplanung und Berufswahlorientierung“ in Klasse 8 geschehen.
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
1. Warum Beschäftigung mit Jungen?
II. Theorieteil
1. Was ist unter Projekttagen zu verstehen?
2. Reflexive Koedukation
2.1 Warum Geschlechtertrennung?
3. Jungenarbeit
3.1 Was ist Jungenarbeit?
3.2 Zur Notwendigkeit von Jungenarbeit
3.3 Ziele, Methoden und Formen von Jungenarbeit
III. Darstellungsteil
1. Vorstellung der Projekttage
2. Was soll erreicht werden?
3. Meine Projektidee und ihre Ziele
3.1 Erster Tag
3.2 Zweiter Tag
3.3 Dritter Tag
3.4 Vierter Tag
4. Zusammenfassung und Reflexion
4.1 Was wurde erreicht?
4.2 Wertung
4.3 Lehrerfunktionen
IV. Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
I. Einleitung
1. Warum Beschäftigung mit Jungen?
In einem Artikel der Wochenzeitung DIE ZEIT las ich, dass Vorbilder eine wichtige, jedoch auch schwierige Funktion für Bildung haben. „…Die verlorene Jugend auf der Suche nach der beispielhaften Biografie, dem geglückten Leben.“[1] Was kann man dazu als Lehrer beitragen? Als Lehrer wird einem die Vorbildfunktion von unterschiedlichen Seiten zugeschrieben. Die pädagogische Literatur geht davon aus, dass SchülerInnen in Lehrkräften vielmehr ein Vorbild sehen, als jenen bewusst ist. Ganz besonders gilt dies für die Geschlechterrolle.
Diese scheint beim schlechten Abschneiden von Jungen in Schulleistungstests wie PISA eine Rolle zu spielen.[2] Hier zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften. Diese Differenzen sind auch in meinem eigenen Unterricht beobachtbar. Sachtexte sind Jungen näher als Mädchen, Texte die Identifikation erfordern sind Mädchen näher als Jungen.
Neben dieser Überlegung gaben andere eigene Beobachtungen in der Schule dazu Anlass, sich mit dem Thema Jungenförderung zu beschäftigen. Gerade in meiner Klasse 8F konnte ich beobachten, wie unterschiedlich das Verhalten von Jungen und Mädchen ist. Zusammengefasst spielen drei Punkte eine wichtige Rolle. Erstens fallen Jungen eher durch eine unproduktive Kommunikation im Unterricht auf. Zweitens zeigen Jungen im Vergleich zu Mädchen eine eher mäßige Teamarbeit und drittens scheint Vertrauen und gegenseitiges Verständnis bei Jungen weniger ausgeprägt zu sein als bei Mädchen. So taucht das Verhalten von Jungen und Mädchen in einem sehr stark geschlechtsbezogenen Kontext auf. Hinzu kam, dass drei Jungen der Klasse sowohl von mir, als auch von anderen Lehrkräften als verhaltensauffällig angesehen wurden. Daher entschied ich mich diesem Problem auf die Spur zu kommen und Abhilfe zu schaffen, indem ich mich mit Jungenförderung und geschlechtshomogenen Gruppen eingehender beschäftigte. Die sollte im Rahmen der anstehenden Projekttage zur „Lebensplanung und Berufswahlorientierung“ in Klasse 8 geschehen.
II. Theorieteil
Im folgenden Teil werden Aspekte zur Lösung der in der Einleitung genannten Probleme genauer beschrieben. D.h. welche Ziele liegen zu Grunde, in welchem Rahmen wird das Problem behandelt und welche Kriterien zu Beschreibung werden angelegt.
Um sich den Zielen zu nähern bietet es sich an, zu fragen was mit den Projekttagen erreicht werden soll, um anschließend deren Ausgestaltung zu beleuchten und zum Schluss zu ermitteln welche Rolle die Jungenarbeit hierbei spielt.
1. Was ist unter Projekttagen zu verstehen?
Die Projekttage der EBGS zum Thema „Lebensplanung und Berufswahlorientierung“ lehnen sich in erster Linie an einen lebensweltlichen Bezug an. Die Schülerinnen und Schüler sollen möglichst selbständig am Thema arbeiten und dabei ihren eigenen Erfahrungshorizont mit einbringen können. Die Planung meines Projekts weicht jedoch vom ursprünglichen Ideal der Projektidee ab.[3] Die einschlägige Literatur gibt Projektlernen folgende Grundzüge:
- Anstoß und Auslösung durch eine lebensnahe Situation,
- Planung und Entwurf in der Gruppe,
- alters- und fächerübergreifend,
- Kooperation mit bestehenden politischen. bzw. wissenschaftlichen Gremien,
- Entwicklung eines realen Lösungsbeitrages,
- Hineinwirken in die Gemeinde.[4]
Von diesen aus den 1970er Jahren stammenden Ideen sind im Wesentlichen drei erhalten geblieben. Hintz, Pöppel, Rekus nennen die lebensnahe Situation, Planung und Entwurf gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern sowie die Entwicklung eines für die Schülerinnen und Schüler bedeutsamen Lösungsansatzes als Bedingungen für projektorientiertes Lernen.[5]
Projektlernen zeichnet sich durch einen hohen Grad an Schüleraktivierung und eigenes Handeln aus. Zusätzlich bietet diese Form des Unterrichts die Möglichkeit, schülereigene Erfahrungen für den Lernprozess nutzbar zu machen. Das heißt dass der Rahmen von Schule mindestens inhaltlich gesprengt wird, idealerweise auch räumlich. Kurz: „Die Intention des Projektunterrichts ist die Überwindung des verschulten, von der Lebenspraxis abgeschnittenen, in Fächer aufgespaltenen, entfremdeten und verdinglichten, unfreien und extrinsisch motivierten Lernens durch ein selbstbestimmtes, authentisches (und damit auch intrinsisch motiviertes) Lernen in der Lebenspraxis, durch und für sie.“[6]
Dem unmittelbaren Bezug der Lebensnähe der Schüler folgt eine gesteigerte Motivation. Diese ist fundamentale Voraussetzung für Lernprozesse und wird hier besonders deutlich. Da in den Projekttagen Leben und Lernen nicht mehr getrennt sind, verbindet sich beides zu einer perfekten Kombination. Gerade weil diese sich vom herkömmlichen Unterricht unterscheiden (sowohl in Form als auch in den Themen) reizt die Aufgabe und erhöht sich die Neugier.
Die Förderung von Intelligenz und Lernen kann aufgrund von Faktoren wie der Individualisierung bei schülerzentrierten Arbeiten oder der Schaffung einer angstfreien Atmosphäre gelingen. Auch Selbst- und Mitbestimmung sind wichtige Indikatoren, um entfremdetes Lernen zu reduzieren.[7]
Weitere Vorteile, die projektorientiertes Lernen bietet sind z.B. Interdisziplinarität zu anderen Fächern. Der ganzheitliche Zugang zu einem Thema fördert nicht nur die inhaltliche Vernetzung sondern auch eine Vernetzung im Denken der Schülerinnen und Schüler. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche sondern auch um methodische und lebensweltliche Vernetzung durch Thema und Fragestellungen. Letztlich „Phänomene als ganze betrachten.“[8] Auf sozialer Ebene können Teamfähigkeit und aggressionsfreie Kommunikation gefördert werden. Durch die Einbeziehung schülereigener Fragestellungen und Themen soll Konfliktpotenzial von vornherein minimiert werden und durch eine idealerweise angstfreie Atmosphäre ein Raum hergestellt werden, der es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht kooperativ und nicht konkurrierend an ihrem Thema zu arbeiten. Sich verständigen und respektieren soll hierbei exemplarisch für Komponenten des sozialen Lernens stehen, das ebenfalls durch den Projektunterricht gefördert werden kann.[9]
2. Reflexive Koedukation
Beschäftigt man sich mit Jungen- respektive Mädchenförderung, so kommt man am Begriff der Koedukation nicht vorbei. Die deutsche Schule von heute ist im Allgemeinen koedukativ organisiert. Doch was heißt es, wenn Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden?
Insgesamt gesehen hat die Koedukation eine formale Bildungsgleichheit zwischen den Geschlechtern hergestellt, sogar ein leichtes Übergewicht für die Mädchen. War es doch zu Beginn der Koedukationsdebatte Ziel, den Mädchen eine gleichwertige Bildung zukommen zu lassen.[10] Schaut man jedoch hinter die Kulissen fällt auf, dass es signifikante Präferenzen der Fächerwahl bei Jungen und Mädchen gibt,[11] das Selbstwertgefühl bei Mädchen weniger ausgeprägt ist oder Jungen und Mädchen im Unterricht ein unterschiedliches Maß an Aufmerksamkeit und Behandlung zukommt.[12]
Was verbinden Pädagogen und Pädagoginnen mit dem Begriff Reflexive Koedukation ? Es gibt eine Fülle von Definitionen und hier soll nur eine Auswahl angesprochen werden. Ich werde in dieser Arbeit mit der Erklärung von Faulstich-Wieland arbeiten. Diese wird auch von der Bildungskommission NRW getragen.
„Reflexive Koedukation heißt für uns, daß wir alle pädagogischen Gestaltungen daraufhin durchleuchten wollen, ob sie die bestehenden Geschlechterverhältnisse eher stabilisieren, oder ob sie eine kritischen Auseinandersetzung und damit ihre Veränderung fördern. Getrennte Gruppen sind dabei keineswegs ausgeschlossen.“[13]
Was verbirgt sich genau dahinter? Die Bildungskommission NRW verbindet damit u.a. folgende Zielvorstellungen:[14]
- Den Abbau von Geschlechterhierarchien.
- Die Auflösung geschlechterstereotyper Zuweisungen.
- Differenzen leben können.
- Orientierungen und Fähigkeiten beider Geschlechter unterstützen.
Im Zentrum des pädagogischen Geschehens steht also die Entwicklung von Identitäten, die nicht an Stereotype gekoppelt ist. Um eben dieses Ziel zu erreichen muss das Lern- und Sozialfeld Schule den o.g. Zielen angepasst werden. Dazu ist es notwendig den Unterricht, die Arbeit im Kollegium und das Schulleben so zu gestalten, dass ein bewusster Umgang mit den Zielen erfolgt. Der Abbau der Stereotype soll also durch die bewusste Gestaltung des Unterrichts, des Alltags, des Curriculums und der institutionellen Rahmenbedingungen geschehen.
Ich kann mich in dieser Arbeit und während des Projekts nur auf die Gestaltung des Unterrichts beziehen, da alle anderen Felder nicht von mir zu beeinflussen sind. Da die Frage der Geschlechterverhältnisse zentral für diese Arbeit ist, soll nun gefragt werden, warum eine Geschlechtertrennung sinnvoll ist, wenn doch alle Felder von Schule idealerweise koedukativ organisiert sein sollen?
2.1 Warum Geschlechtertrennung?
Der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen steht bei Schülerinnen und Schülern nicht zur Debatte. Die Zustimmung ist von der Grundschule bis zur Oberstufe durchweg hoch und bei beiden Geschlechtern vorhanden. Dennoch kann es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein, Jungen und Mädchen geschlechtshomogen zu unterrichten. Insbesondere der naturwissenschaftliche Unterricht wird dabei als federführend angesehen. Gerade hierbei stand jedoch nicht die Förderung der reflexiven Koedukation im Mittelpunkt sondern „die Stärkung des weiblichen Selbstbewusstseins in den „männlichen“ Fächern Naturwissenschaften und Mathematik (…):“[15] Es hat sich jedoch gezeigt, dass eine ausschließliche Beschulung in geschlechtshomogenen Gruppen keine signifikanten Auswirkungen für Mädchen und Jungen hat.[16] Dennoch hat eine zeitweise Trennung der Geschlechter Sinn. So geht man in der aktuellen Diskussion davon aus, dass die Kombination von gemeinsamen und getrennten Unterricht am ehesten zu Erfolgen führt. Zu prüfen ist in diesem Fall die Lebensphase der Schülerinnen und Schüler, der situative Kontext und fachspezifische Besonderheiten.[17]
Ziel reflexiver Koedukation ist immer die bestmögliche Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung. Dies ist also auch Ziel der zeitweisen Trennung von Jungen und Mädchen. Es soll hier kein Schonraum für eines der Geschlechter geschaffen werden, „sondern die gleichberechtigte pädagogische Unterstützung von Mädchen und Jungen bei der Bearbeitung ihrer existenziellen Fragen und Probleme“ soll im Vordergrund stehen.“[18] Zu diesem Bereich gehören insbesondere Fragen der Sexualität, Freundschaft oder einfach körpernahe Erfahrungsfelder. Aber auch in anderen Gebieten wie den Naturwissenschaften oder Bereiche des persönlichen Lebens wie Lebensgestaltung, drücken Mädchen wie Jungen den Wunsch aus, unter ihresgleichen diskutieren zu wollen. Für Jungen haben homogene Gruppen den Vorteil, dass sie sich nicht ständig gegenüber den Mädchen beweisen müssen, Konkurrenz- und Machtstreben zu ihnen ausgeschaltet ist. Doch hierzu mehr im folgenden Kapitel. Insgesamt gesehen ist zeitweise getrennter Unterricht dann sinnvoll, wenn Bedürfnisse der jeweiligen Geschlechter abgefragt und in das Geschehen einbezogen werden, da andererseits lediglich eine äußere Lernorganisation übergestülpt wird, die ohne Effekt bleibt. Vielmehr geht es um die Reflektion eigenen Verhaltens und persönlicher Einstellungen sowie um das Aufzeigen und Diskutieren von Veränderungsmöglichkeiten und Alternativen.
3. Jungenarbeit
Der letzte Teil des Theorieblocks wird sich mit den theoretischen Grundlagen der Jungenarbeit beschäftigen. Eine kurze Definition soll klären, wie der Begriff in dieser Arbeit verstanden wird und welche Perspektiven er bietet. Am Ende sollen Ziele, Methoden und Formen von Jungearbeit aufgezeigt werden, um ein Verständnis für Einsatzmöglichkeiten zu entwickeln.
3.1 Was ist Jungenarbeit?
Zunächst geht der Jungenarbeit eine geschlechterbewusste Arbeit voraus, die sich beider Geschlechter bewusst ist aber diese nicht statisch sieht. Daher ergeben sich folgende Grundvoraussetzungen, die Lemmermöhle auf drei Punkte zusammengefasst hat:
- Jungen und Mädchen sollen sowohl als Individuen mit je individueller Geschichte als auch als Angehörige eines Geschlechts mit je eigener Geschichte wahrgenommen werden.
- Das Geschlechterverhältnis mit den Polen weiblich/männlich wird weder biologisch bedingt noch statisch gesehen, sondern als historisch gewordenes und deshalb veränderbares Verhältnis mit ständigen Positionsverschiebungen wahrgenommen.
- Letztlich ist das Geschlechterverhältnis ein Verhältnis, das von Jungen und Mädchen aktiv angeeignet und von Männern und Frauen täglich neu hergestellt wird.[19]
Diese grundlegende Position schreibt die relativistische Auffassung eines nicht-determinierten Geschlechts weiter. Gelebte Geschlechtsidentität ist nichts für immer festgeschriebenes. Der sozialisatorische Einfluss auf Identitäten wird als sehr hoch betrachtet, was auch den Pädagogen die Möglichkeit bietet hier Einfluss zu nehmen. Wie bereits die Koedukation auf die Ausbildung von Identität zielt, spielt dieses Ziel auch in der Jungenarbeit eine zentrale Rolle.[20] Wie wichtig dieses Element ist, zeigen zwei Erklärungsansätze für Jungenarbeit, die ich für diese Arbeit verwenden möchte. Zum einen entwickelte das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW eine Bestimmung für diesen Begriff:
„Jungenarbeit ist geschlechterbezogene pädagogische Arbeit mit Jungen. Sie soll Jungen unterstützen und fördern und ihnen Hilfestellungen geben. Bei der kritischen Auseinandersetzung mit ihrer männlichen Rolle. Jungenarbeit fordert die Auseinandersetzung mit männlichen Verhaltensmustern in der Gesellschaft, mit der Geschlechtsidentität und dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern.“[21]
Eine andere und meiner Meinung nach praktisch orientierte Definition bietet Krabel, der Jungenarbeit als:
„pädagogische Arbeit, die auf dieses spezielle Gepäck der Jungen antwortet [begreift]. Die sie davon entlastet, Ansprüchen und Leistungsnormen hinterher zu laufen, die nicht zu ihnen passen. Und die zusammen mit entsprechender Mädchenarbeit versucht, Kindern uns Jugendlichen Verhaltenschancen mit zu geben, bei denen viele Konflikte überflüssig werden.“[22]
Es gibt keinen Königsweg der Jungenarbeit und somit auch keine Königsdefinition. Diese beiden sollen exemplarisch dafür stehen, was Jungenarbeit meint. Nämlich eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechterrolle und eigenen Verhaltensweisen.
3.2 Zur Notwendigkeit von Jungenarbeit
Jungenarbeit hat sich bisher stark mit den Defiziten der Jungen beschäftigt. „Soll man Jungen als reale oder potenzielle Täter behandeln?“[23] So fragt sich Krabel, der diese Sichtweise sehr kritisch betrachtet. Seine Perspektiven für Jungenarbeit gehen in die Richtung Jungen zu fördern, statt ihr Verhalten als permanent unerwünscht zu betrachten. Die Stärken, die Jungen mitbringen sollen ins Bewusstsein und den Mittelpunkt der Arbeit rücken. Die veraltete Einteilung von Jungen als Täter und Mädchen als Opfer muss überwunden werden und die neu entstehenden unterschiedlichen Anforderungen an die männliche Geschlechterrolle müssen stärker ins Blickfeld der Jungenarbeit rücken. Insbesondere das Fehlen der Väter und positiver männlicher Vorbilder zeigt fünf Konsequenzen, die Jungenarbeit nötig machen:[24]
- Die Entwicklung der männlichen Identität vollzieht sich meist durch Abgrenzung und Abwertung der vor allem durch Frauen vorgelebten und also als weiblich definierten Eigenschaften. Männlichkeit wird so als Gegenpol zu Weiblichkeit entwickelt.
- Männerbilder erscheinen überdies vorwiegend als medienvermittelte Stereotype. Hier holen sich Jungen ihre Vorbilder und es wird ihnen vermittelt, dass sie stets die Kontrolle über alles haben.
- Dies wirkt sich auf den Freundeskreis und die Peer-Group aus. Hier werden Verhaltensnormen schablonenhaft übernommen, jeder kontrolliert gegenseitig die Einhaltung der Regeln, obwohl meistens kein einziger wirklich dahinter steht.
- Jungen verfügen in der Regel über weniger Beziehungswissen und können schlechter über ihre Gefühle reden oder diese zulassen. Hinzu kommt, dass Jungen vielmals weniger über ihr Geschlecht wissen, als Mädchen.
- Letztlich kommt der Druck hinzu, „den Kontakt zu inneren Befindlichkeiten wie Angst, Traurigkeit, Kummer, Rührung und Schmerzempfinden aufzugeben.“[25]
Hier wird deutlich welche wichtige Rolle Identität bei der Jungenarbeit spielt. Sowohl Voraussetzungen als auch Ziele orientieren sich daran, wie Jungen eine günstige Ausbildung von männlicher Identität erhalten können. Diese Männerbilder werden im Verlauf des Projekts wichtig. Daran sollen die Jungen erkennen und reflektieren, welchen Typ Mann sie vertreten. Die kritische Auseinandersetzung mit der männlichen Identität ist bei fast allen Arten der Jungenarbeit das zentrale Element. So wird es auch während des Schulprojekts eine wichtige Position einnehmen.
[...]
[1] DIE ZEIT: Brauchen wir noch Vorbilder? Von Georg Diez. Nr. 09/2007.
[2] PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Berlin, 2001, S. 252.
[3] Siehe hierzu Kapitel II 1. Vorstellung der Projekttage.
[4] Nach Jäger, Otto: Projektwoche. Möglichkeiten für eine Humane Schule und Gesellschaft. Neuwied, 1998, S. 55.
[5] Hintz, D./ Pöppel, K.G./ Rekus, J.: Neues schulpädagogisches Wörterbuch. Weinheim und München, 3. überarb. Aufl., 2001, S. 105f.
[6] Kreft, Jürgen: Entschultes Lernen durch Projekte? Zur Kritik der Projektmethode. In: Westermanns Pädagogische Beiträge 12/1974, S. 680f.
[7] Jäger, Otto: Projektwoche. Möglichkeiten für eine Humane Schule und Gesellschaft. Neuwied, 1998, S. 107.
[8] Wolters, A.: Projekt- und Fächerübergreifender Unterricht. In: Bovet, G./Huwendiek, V. (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Berlin, 3. Aufl. 2000, S. 112.
[9] Wolters, A.: Projekt- und Fächerübergreifender Unterricht. In: Bovet, G./Huwendiek, V. (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Berlin, 3. Aufl. 2000, S. 114.
[10] Zur Geschichte des Koedukationsbegriffs siehe: Tatsch, C./Boeck, Chr.: Koedukation. In: Bovet, G./Huwendiek, V. (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Berlin, 3. Aufl. 2000, S. 391ff.
[11] Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW: Koedukation in der Schule. Soest, 2002, S.89.
[12] Ebd. S. 14. So ist auffällig, dass in den Leistungskursen 2000/2001 in NRW z.B. der Jungenanteil im Fach Französisch bei 23,9%, in Physik jedoch bei 81,9% lag.
[13] Faulstich-Wieland, Hannelore/Horstkemper, Marianne: 100 Jahre Koedukationsdebatte – und kein Ende. In: Ethik und Sozialwissenschaften 1996, Heft 4, S. 512.
[14] Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW: Koedukation in der Schule. Soest, 2002, S.16.
[15] Portmann, Rosemarie: Gleich verschieden. Wiesbaden, 1999, S. 43.
[16] Siehe hierzu Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW: Koedukation in der Schule. Soest, 2002, S.72f..
[17] Ebd. S. 74.
[18] Portmann, Rosemarie: Gleich verschieden. Wiesbaden, 1999, S. 43.
[19] Lemmermöhle, D.: Persönlichkeitsentwicklung und Geschlecht. Ziele und Ansatzpunkte einer geschlechterbewussten Mädchen- und Jungenbildung. In: Die Deutsche Schule, Heft 2 1996, S. 194.
[20] Siehe dazu auch das Kapitel „Reflexive Koedukation“.
[21] Amtsblatt NRW 1 Nr. 4/1999, S. 57
[22] Krabel, J.: Müssen Jungen aggressiv sein? Eine Praxismappe für die Arbeit mit Jungen. Mühlheim a.d.R., 1998, S. 9
[23] Ebd. S. 10
[24] Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW: Koedukation in der Schule. Soest, 2002, S.164f.
[25] Schnack, D./Neutzling, R.: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Hamburg, 1992, S. 64f.
- Arbeit zitieren
- Stephan Weser (Autor:in), 2007, Bessere Integration von Jungen in schulische Lernprozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113404
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