Seitdem wir von einem einheitlichen Nationalbewusstsein der Spanier sprechen können, das heißt, seit der Herausbildung eines spanischen Volks- und Nationalcharakters aus dem bis dahin bestehenden Konglomerat von Invasorenvölkern auf der Iberischen Halbinsel, gewinnt in besonderem Maße eine ethnische und religiöse Gemeinschaft einen für die weitere Entwicklung des neu geborenen spanischen Volkes bedeutenden Einfluss. Mit den im Jahre 711 von Afrika her einrückenden arabischen Eroberern Iberiens lernt das junge Spanien von seinen ersten Schritten an, sich einerseits im alltäglichen Leben Hand in Hand mit den Arabern zu bewegen, andererseits aber auch, aus der Position des Eroberten heraus, von vornherein politisch gegen den „älteren Bruder“ aus dem Orient aufzubegehren. Während von den ersten Jahren der Fremdherrschaft an von den westgotischstämmigen Herrscherhäusern Kastiliens und Leons aus die sukzessive Rückeroberung Spaniens betrieben wird, übt die arabische Superstratkultur vor allem auf die Südhälfte der Halbinsel lange Zeit sehr großen Einfluss aus. Die Vermischung von abendländischer und mohammedanischer Lebensweise wird, aus diachroner Sicht, besonders deutlich an den so genannten Mozarabern und den Mudejars , die beinah komplementär die beiden Verschmelzungsrichtungen verkörpern; und selbst aus heutiger Perspektive lassen sich immer noch (und schon wieder) Überschneidungen der beiden Kulturkreise ersehen, sei es in den zahlreichen linguistischen Merkmalen des Arabischen in der spanischen Sprache (hauptsächlich aus dem Bereich der Lexik), den architektonischen Hinterlassenschaften einschließlich der Stilprägungen, oder aber auch in traditionellen Feiern wie der Moros y Cristianos. Es stellt sich demnach schon aus nationalevolutionärer Sicht als praktisch unmöglich dar, die Existenz und Qualität der hispanischen Kultur losgelöst von dem in erheblichem Maße auf sie einwirkenden arabischen Kulturkreis zu betrachten. Im Folgenden soll überwiegend anhand der Kriegschronik Diario de un testigo de la guerra de África (Tagebuch eines Zeugen des Afrikakrieges) von Pedro Antonio de Alarcón (1833-1891) die aus der eben dargelegten jahrhundertelangen Koexistenz und reziproken Einflussnahme zwischen Spaniern und Mauren resultierende emotionale Ambivalenz der Spanier zu ihren Nachbarn aus dem nahen Orient näher betrachtet werden.
Seitdem wir von einem einheitlichen Nationalbewusstsein der Spanier sprechen können, das heißt, seit der Herausbildung eines spanischen Volks- und Nationalcharakters aus dem bis dahin bestehenden Konglomerat von Invasorenvölkern auf der Iberischen Halbinsel, gewinnt in besonderem Maße eine ethnische und religiöse Gemeinschaft einen für die weitere Entwicklung des neu geborenen spanischen Volkes bedeutenden Einfluss. Mit den im Jahre 711 von Afrika her einrückenden arabischen Eroberern Iberiens lernt das junge Spanien von seinen ersten Schritten an, sich einerseits im alltäglichen Leben Hand in Hand mit den Arabern zu bewegen, andererseits aber auch, aus der Position des Eroberten heraus, von vornherein politisch gegen den „älteren Bruder“ aus dem Orient aufzubegehren. Während von den ersten Jahren der Fremdherrschaft an von den westgotischstämmigen Herrscherhäusern Kastiliens und Leons aus die sukzessive Rückeroberung Spaniens betrieben wird, übt die arabische Superstratkultur vor allem auf die Südhälfte der Halbinsel lange Zeit sehr großen Einfluss aus. Die Vermischung von abendländischer und mohammedanischer Lebensweise wird, aus diachroner Sicht, besonders deutlich an den so genannten Mozarabern[1] und den Mudejars[2], die beinah komplementär die beiden Verschmelzungsrichtungen verkörpern; und selbst aus heutiger Perspektive lassen sich immer noch (und schon wieder) Überschneidungen der beiden Kulturkreise ersehen, sei es in den zahlreichen linguistischen Merkmalen des Arabischen in der spanischen Sprache (hauptsächlich aus dem Bereich der Lexik), den architektonischen Hinterlassenschaften einschließlich der Stilprägungen, oder aber auch in traditionellen Feiern wie der Moros y Cristianos. Es stellt sich demnach schon aus nationalevolutionärer Sicht als praktisch unmöglich dar, die Existenz und Qualität der hispanischen Kultur losgelöst von dem in erheblichem Maße auf sie einwirkenden arabischen Kulturkreis zu betrachten. Im Folgenden soll überwiegend anhand der Kriegschronik Diario de un testigo de la guerra de África (Tagebuch eines Zeugen des Afrikakrieges)[3] von Pedro Antonio de Alarcón (1833-1891) die aus der eben dargelegten jahrhundertelangen Koexistenz und reziproken Einflussnahme zwischen Spaniern und Mauren resultierende emotionale Ambivalenz der Spanier zu ihren Nachbarn aus dem nahen Orient näher betrachtet werden.
Mit der Entsendung des jungen Granadaers im Dezember 1859 in den spanisch-marokkanischen Krieg um die Städte Ceuta und Tetuán, den er für die Zeitschrift El Museo Universal kommentieren soll, wird nicht nur der spanische Journalismus an sich um die Funktion des Kriegskorrespondenten bereichert, sondern auch ein neues Format der Kriegsberichterstattung insgesamt geschaffen. Auf 652 Seiten[4] vereint und variiert Alarcón scheinbar willkürlich journalistische, narrative und episch-lyrische Stilelemente, wobei sich naturgemäß in letzteren beiden das subjektive Empfinden des Autors in besonderem Maße manifestiert. In der Makrostruktur des Textes prägt sich diese sowohl den Inhalt als auch den Sprachduktus dominierende Subjektivität vor allem in der Tatsache aus, dass das gesamte Buch in Form zahlreicher Briefe Alarcóns an seinen Freund Pepe (ein Pseudonym) verfasst ist und sich somit, trotz seines oftmals überschwänglichen, patriotisch-pathetischen Tonfalls, einen doch unmissverständlich persönlichen und informellen Sprachgestus beibehält (Erzählperspektive, Interjektionen, Ellipsen, Wendungen, Gefühlsbeschreibungen usf.).[5] Dennoch ist sich Alarcón beim Verfassen des Textes durchaus der eigentlichen Bestimmung seiner Notizen, nämlich ihrer anschließenden Veröffentlichung in einer Zeitschrift, bewusst. Vielmehr lässt sich diese vertrauliche Darstellungsweise im alarconschen Text als stilistisches Instrument ansehen, durch dessen konstanten Gebrauch die journalistische Intention der Aufzeichnungen in den Hintergrund treten soll und der Text sich somit eher als ein mit Kriegsabenteuern versehener Reiseroman ausnimmt, wodurch dem Krieg wiederum der Schrecken genommen wird. Diese stilistische Vielfalt betont in besonderem Maß den Aspekt des Romantischen des Afrikakrieges, der bereits mehrfach erwähnt worden ist, u. a. von Miguel de Unamuno, Manuela Moreno, T. García Figueras, B. Pérez Galdós oder Alarcón selbst.[6] Es ist eben diese Kombination aus Euphorie, Enthusiasmus und Aufbruchstimmung, gepaart mit einem omnipräsenten und -potenten Patriotismus, die in der spanischen Bevölkerung stark überschwängliche Gefühle für ihr Land und für die Soldaten, die für selbiges ihr Leben riskieren, aufkommen lassen; und letzten Endes verbirgt sich auch genau hinter dieser eher prohispanischen als antiarabischen Stimmungsmache die Romantik des gesamten Unterfangens, da letztendlich die Einung und spirituelle Genesung der Nation im Vordergrund steht. Darüber hinaus ist es weithin bekannt, dass Alarcón ein (wenn auch in seiner Zeit bereits etwas anachronistischer) Anhänger der Romantik war, was als weitere Erklärung für diesen Grundton des Diario dienen soll.
In diesem Kontext der Romantisierung des Krieges fallen in sprachlicher Hinsicht insbesondere Alarcóns Kunstmetaphorik und die damit einhergehende Ästhetisierung des Kriegsgeschehens ins Augenmerk. So werden sowohl der Entstehungsprozess des Diario als auch die gesamte militärische Unternehmung immer wieder mit Termini aus der Malerei („dieses malerische Bild“, „das Gemälde, welches ich dir weiter oben fertigte“, „Schlachtenmaler“ etc.)[7], aus der Fotographie („den Afrikakrieg in diesem Buch zu fotografieren“)[8] und aus der Literatur in Beziehung gesetzt. Hier finden vor allem Begriffe aus dem Theaterwesen verstärkt Anwendung; so lesen wir zum Beispiel in einer Zwischenbilanz des Krieges von Alarcón:
Und hier endet der dritte Akt des Dramas.
Den ersten können wir mit el Serrallo betiteln […]
Der zweite Akt soll la Concepción heißen […]
Zum dritten […] passt die Benennung La Marcha.
[…]
Die Exposition und die Handlung sind bereits durchweg abgewickelt. Das Publikum kennt sämtliche Figuren. Die Handlung wird sich im Weiteren mit mehr Erleichterung, mehr Entschiedenheit, zwanglos und feierlich, entwickeln. Die Absicht des Stückes wird von Mal zu Mal deutlicher; der Ausgang ist in Sichtweite und die Katastrophe vorhersehbar, auch wenn sie bislang noch niemand klar auszusprechen vermag.[9]
Umso öfter muss sich Alarcón selbst Einhalt gebieten und sich an sein Dasein als Kriegsberichterstatter und die damit verbundene Objektivität erinnern; insbesondere wenn er sich, wie es durchgängig immer wieder der Fall ist, erneut in philosophische Gedankengänge verrennt und sich selbst aus dem Labyrinth der Abschweifungen herauszuziehen versucht, z. B. indem er sich selbst auffordert: „Aber lassen wir das mit der Kunst und wenden uns wieder dem Krieg zu“[10].
Wie hängt nun diese Erkenntnis über das romantische, oder besser gesagt, das romantisierte Bild des Krieges gegen Marokko mit unserer Leitfrage nach der ambivalenten Wahrnehmung der Araber durch die Spanier zusammen? Während Alarcón einerseits im Zuge der Euphemisierung des Krieges gegen die eigenen Ressentiments und rassistischen Vorurteile dem politischen und religiösen Feind gegenüber darlegt, so verhehlt er andererseits auch nicht seine zum Teil tiefe Bewunderung für ihn. Ersteres spiegelt sich völlig unverhüllt in der Darlegung der Gründe für den Krieg, die der Autor zu Beginn seiner Aufzeichnungen unterbreitet, und die gleichzeitig auch die damals vorherrschende Weltsicht der spanischen Mehrheit aufzeigt:
Zwischen den beiden von Natur aus expansiven Rassen, zwischen den lateinstämmigen und den slawischen Völkern, gibt es eine Mauer von Individualisten, die seit einigen Jahrhunderten die Verschmelzung zweier Meere von aufgewühlten Seelen stört, die durch denselben Durst nach Gleichstellung, nach Zusammenschluss, nach Brüderlichkeit, nach Katholizismus, im etymologischen Sinne dieses Wortes, verlangen. […] Aus diesem Grund ist der Afrikakrieg auch von religiöser Tragweite. Er ist es insofern, als dass Spanien, ewige Vorhut des Christentums, sich erneut gegen die Ungläubigen in die Bresche wirft […] er ist es insofern, als dass er den Tod des Islamismus in Europa beschleunigt…[11]
Gewissermaßen als eine Art historische Rechtfertigung für Aussagen und die darin enthaltene Weltsicht des Autors (und sicherlich nicht einzig und allein des Autors) greift der Andalusier in beinah inflationärer Weise auf Legenden, Mythen und Zitate klassischer Autoren vorwiegend der griechischen, lateinischen und spanischen Tradition zurück, die dem Text ihren epischen Ton verleihen. Die eher rassistische als genuin wissenschaftliche Auffassung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbreitet war und derzufolge die Wurzeln der europäischen, d. h. die der griechischen Kultur ihren Ursprung in der Besiedlung durch indogermanische Volksstämme fand – und nicht durch ägyptische und phönizische –, wurde bereits von Martin Bernal (1987) in Black Athena aufgrund ihres Mangels an Faktizität und Objektivität infrage gestellt. Alarcón und sein spanisches (und europäisches) Publikum waren jedoch dieser These noch in weitaus größerem Maß zugeneigt als spätere Generationen, und glaubten somit fest an dieses Konstrukt einer endogenen, also einer von „außen“ unabhängigen Evolution der abendländischen Kultur. In der Tat ist auch im Diario diese innere Verweigerung seitens der Spanier gegen eine Gleichstellung mit den Arabern klar erkennbar: „Sind wir etwa so wild wie die Afrikaner? Sollten wir uns nicht eher von ihnen unterscheiden?“[12] Im situativen Kontext gesehen markieren diese Aus- und Aufrufe nicht nur den Wunsch nach Abgrenzung von den Marokkanern, sondern sie sollen vielmehr dazu beitragen, die Umsetzung genau dieses eben noch rein theoretischen Ansatzes einer Beweisführung über eine moralisch-ethische Überlegenheit (in Form von christlicher Barmherzigkeit) der Spanier/Christen zu inszenieren.
[...]
[1] Mozaraber (sp. mozárabe), wörtlich: „in der Art eines Arabers“ (arab.), bezeichnet die unter arabischer Herrschaft lebenden spanischen Christen, die vor allem im südlichen Teil des Landes ansässig waren.
[2] Mudejar (sp. mudéjar), wörtlich: „domestiziert“ (arab.), bezeichnet die in den zurückeroberten Teilen des Landes unter spanischer Herrschaft lebenden Mauren, deren letzte noch verbliebene Angehörige ab 1502 entweder zum Christentum konvertieren (à moriscos) oder das Land verlassen mussten.
[3] Eine deutsche Übersetzung des Textes ist mir nicht bekannt, sondern lediglich eine englische mit dem Titel Diary of a witness to the African war. Sämtliche Übertragungen ins Deutsche von Textstellen aus diesem oder anderen Büchern innerhalb dieser Arbeit werden demzufolge von mir frei vorgenommen.
[4] Alarcón, Perdo Antonio de (2005): Diario de un testigo de la guerra de África. Clásicos Andaluces. Sevilla: Fundación José Manuel Lara. Es handelt sich hierbei nicht um die 1880 veröffentlichte von Alarcón nachträglich überarbeitete Ausgabe, sondern um den Originaltext, so wie er parallel zum Kriegsgeschehen bzw. kurz darauf entstand.
[5] Alarcón bezeichnet sich selbst als „genauer Erzähler“ („narrador exacto“), der „den Gaben eines Historikers ermangelt“ („Careciendo de las dotes de historiador“) und der lediglich versuchen wird, „einen Eindruck zu vermitteln“ („procuraré dar una idea“) (Ibidem, 7).
[6] Ibidem, 525: „la romántica guerra de Marruecos“. Der Hintergrund dieser Verklärung des Afrikakrieges liegt in erster Linie in der damaligen sowohl innen- als auch außenpolitischen Perspektiv-, Macht- und Mutlosigkeit der Spanier und dem daraus resultierenden nationalen Bestreben, nach innen hin das Volk zu einen, und nach außen Europa und die Welt an die Präsenz Spaniens auf der politischen Weltbühne zu erinnern.
[7] Alarcón, Diario: “este pintoresco cuadro” (37), “la pintura que te hice más arriba” (53), “pintor de batallas” (57) etc.
[8] Ibidem, 290: “fotografiar la guerra de África en este libro”.
[9] Ibidem, 252: “Y aquí termina el tercer acto del drama./ El primero puede titularse el Serrallo [...]/ El segundo acto se debe llamar la Concepción [...]/ Al tercero [...] le corresponde la denominación de la Marcha./ [...] La exposición y el argumento están ya planteados completamente. El público conoce a todos los personajes. La acción se desenvolverá en lo sucesivo con más desahogo, con mayor decisión, desembarazada y solemnemente. La intención de la obra se marca cada vez más; el desenlace se ve venir y la catástrofe se prevee, aunque nadie pudiera formularla todavía.”
[10] Ibidem, 221: “Dejemos el arte y volvamos a la guerra.“
[11] Alarcón, Diario, 6-7: “Entre las dos razas expansivas de su naturaleza, entre los latinos y los eslavos, hay una muralla de individualistas que estorban hace algunos siglos la fusión de dos océanos de almas agitadas por una misma sed de asimilación, de asociación, de fraternidad, de catolicismo, en el sentido etimológico de esta palabra. [...] Por eso es también religiosa la trascendencia de la guerra de África. Lo es en cuanto la España, eterna vanguardia del cristianismo, vuelve a la brecha contra los infieles [...] lo es, en fin, en cuanto acelera la muerte del islamismo en Europa...”
[12] Alarcón, Diario, 132: „¿Somos nosotros tan salvajes como los africanos? ¿No nos hemos de diferenciar de ellos?“
- Citar trabajo
- Alexander Zuckschwerdt (Autor), 2008, Brüder wider Willen - Mauren und Spanier, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113398
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.