In seiner Schrift „zum ewigen Frieden“ entwirft Kant ein praktisches politisches Konzept mit dem Ziel eines vorbehaltlosen und zeitlich unbegrenzten Zustands des Friedens unter den Nationen der Welt. Bei der Schaffung dieses Zustandes verlässt sich Kant dabei nicht auf Philanthropie oder ein strategisches Interesse. Stattdessen müsse dieser Zustand durch einen Rechtsakt gestiftet werden.
Abgesehen vom Völkerbund sind die 1945 gegründeten Vereinten Nationen dem von Kant entwickelten Konzept am nächsten gekommen. In dieser Arbeit will ich deshalb einen Vergleich der Forderungen Kants mit der Charta der Vereinten Nationen anstreben. Was sind die Gemeinsamkeiten, was die Unterschiede? Wie nahe kommt die Charta Kants Schrift?
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Überblick über den Inhalt der Schrift „Zum ewigen Frieden“
Vergleich der Zielsetzung und Motivation
Vergleich der Organisationsgrundsätze und Maßnahmen der Umsetzung
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
In seiner Schrift „zum ewigen Frieden“ entwirft Kant ein praktisches politisches Konzept mit dem Ziel eines vorbehaltlosen und zeitlich unbegrenzten Zustands des Friedens unter den Nationen der Welt. Bei der Schaffung dieses Zustandes verlässt sich Kant dabei nicht auf Philanthropie oder ein strategisches Interesse. Stattdessen müsse dieser Zustand durch einen Rechtsakt gestiftet werden (vgl. zweiter Abschnitt, S. 12).
Abgesehen vom Völkerbund sind die 1945 gegründeten Vereinten Nationen dem von Kant entwickelten Konzept am nächsten gekommen. In dieser Arbeit will ich deshalb einen Vergleich der Forderungen Kants mit der Charta der Vereinten Nationen anstreben. Was sind die Gemeinsamkeiten, was die Unterschiede? Wie nahe kommt die Charta Kants Schrift?
Überblick über den Inhalt der Schrift „Zum ewigen Frieden“
Kants Schrift gliedert sich in vier Teile. Die am Anfang stehenden Präliminarartikel stellen nach Kant notwendige Bedingungen für einen ewigen Frieden dar. Hier wird unter anderem territoriale Integrität und innerstaatliche Autonomie gefordert (vgl. Kant, 1795, Präliminarartikel 2 und 5). Darauf folgen die drei Definitivartikel, welche den Kern der für den Vergleich mit der Charta relevanten Textstellen darstellen, da hier das von Kant vorgeschlagene Rechtssystem dargestellt wird. Der Reihe nach lauten die Grundsätze der drei Definitivartikel: „Die Verfassung eines jeden Staates sollte republikanisch sein“, „das Völkerrecht soll auf Föderalismus freier Staaten gegründet sein“ und „das Weltbürgerrecht soll auf die Bedingung der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“. An die Definitivartikel sind zwei Zusätze angeschlossen, in welchen Kant Fragen der Umsetzung untersucht. Hier wird unter anderem für ewigen Frieden als einem teleologischen Ziel der Geschichte argumentiert und Philosophen bei der Bewertung von Krieg und Frieden betreffenden Fragen eine beratende, wenn auch explizit nicht entscheidende Rolle zugesprochen (siehe Zusatzartikel 1 und 2). In den beiden den Abschluss bildenden Abschnitten des Anhangs diskutiert Kant Fragen von Politik und Moral und fordert im Sinne des Spruchs „fiat iustitia, pereat mundus“, dass republikanisch entstandenes Recht unter allem Umständen geachtet wird. Zudem benötige Politik im Sinne eines Prinzips der Publizität eine Überwachung durch die Öffentlichkeit (vgl. Anhang 1 und 2).
Vergleich der Zielsetzung und Motivation
Sowohl die Charta der Vereinten Nationen als auch das in „Zum ewigen Frieden“ entwickelte Konzept sind auf das Ziel ausgerichtet, internationale Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen und so Frieden in der Welt zu fördern (vgl. Charta der Vereinten Nationen, 1945, Art. 1.1). Bei Kant werden zwei Arten von Gründen entwickelt, warum Frieden gegenüber Krieg vorzuziehen sei. Zum gibt es die subjektiven Gründe, das subjektive Interesse der Staaten. Hier nennt Kant zum einen die abschreckende Wirkung von Kriegen (vgl. erster Definitivartikel, S. 13), zum anderen den Handel und damit Wohlstand fördernden Effekt von Frieden (erster Zusatz, S. 39). Die Charta nennt zumindest einen dieser Gründe explizit. So beginnt die Präambel mit den Worten: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. Den eigentlichen Grund für den Zusammenschluss stellen nach Kant aber nicht subjektive Motivationen, sondern rechtsmoralische Gründe dar. So ist es nach Kant der Vernunftgebrauch, der „vom Throne der höchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt, den Friedenszustand dagegen zur unmittelbaren Pflicht macht“ (zweiter Definitivartikel, S. 21). Es sei eine Aufgabe der Vernunft, den Kriegszustand zu überwinden und durch die Einführung einer Rechtsordnung in einen Friedenzustand zu überführen (ebd.). Die Auffassung, dass die Verhinderung von Krieg eine Frage der Gerechtigkeit sei, ist auch in der Charta der Vereinten Nationen unverkennbar. So heißt es in der Präambel:
Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen (…) unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können
Sowohl in der Charta als auch in Kants Schrift lassen sich also moralische Argumente als Grundlage des Vertragsschlusses festmachen.
Im Unterschied zu Kants Konzept geht die Charta allerdings weit über das Ziel der Friedensförderung hinaus. So benennt die Präambel auch den Einsatz für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und die Förderung freundschaftlicher Beziehungen als Zielsetzungen des Zusammenschlusses. Diese erweiterte Auffassung der Zielsetzung der UN wird auch in einer Rede aus dem Jahr 1945 deutlich, in welcher Edward Stettinius, damaliger Außenminister der USA, nach der Unterzeichnung der Charta betonte:
Der Kampf für den Frieden muss an zwei Fronten geführt werden. An der einen Front geht es um Sicherheit und an der anderen um Ökonomie und soziale Gerechtigkeit. Nur ein Sieg an beiden Fronten wird der Welt einen dauerhaften Frieden bescheren
Kant würde sicherlich allgemein den Wert und Sinn solcher Ziele anerkennen. Als Zielsetzungen des zu schaffenden Friedensbundes würde er sie wohl allerdings ablehnen, da zu ihrer Verfolgung keine moralische Verpflichtung besteht, im Gegensatz zur Verhinderung kriegerischer Auseinandersetzung (vgl. zweiter Definitivartikel, S. 21 ff.). Diese klare Unterscheidung Kants zwischen rechtsmoralsicher Pflicht und allgemein wünschenswertem Zustand wird auch im dritten Definitivartikel deutlich, in welchem Kant ein Besuchsrecht fordert, einen Anspruch auf ein Gastrecht aber ablehnt (vgl. dritter Definitivartikel, S. 25). Nach Kant habe jeder Mensch so beim Besuch eines fremden Landes ein Recht darauf, dass ihm friedlich begegnet wird, solange er sich selbst friedlich verhalte. Über dieses Gebot geht die moralische Pflicht gegenüber den Besuchern jedoch nicht hinaus (vgl. ebd.).
An dieser Stelle ist auch zu bemerken, dass die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts zwar unter Umständen für Frieden förderlich sein mögen, als solche aber keine notwendigen Bedingungen für diesen darstellen. Die zusätzlichen Zielsetzungen der Charta lassen sich also nicht unter den Kant’schen Friedensbegriff subsumieren.
Hier zeigt sich also ein wesentlicher Unterschied zwischen der Charta und Kants Konzept, da sich die Charta auch Ziele setzt, die über die von Kant gesehenen moralischen Verpflichtungen hinausgehen. Während Kants die Kompetenzen und Zielsetzungen des Friedensbundes seinen Friedensbund strikt auf das zur Realisation eines Zustandes der völkerrechtlichen Gerechtigkeit minimal notwendigen Zusammenschluss beschränkt sehen will, verstehen sich die Vereinten Nationen auch als eine Kooperationsplattform zur Verfolgung allgemeinerer gemeinsamer Ziele. Dieses Selbstverständnis wird insbesondere in Artikel 1.4) deutlich, wo das Ziel formuliert wird, „ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden.“ Die Charta der Vereinten Nationen weicht hier also in empfindlicher Weise von dem von Kant entwickelten Konzept ab.
Ein weiterer, kleinerer Unterschied tut sich auch bei dem Umgang mit militärischer Rüstung auf. So fordert Kant im dritten Präliminarartikel, dass stehende Heere mit der Zeit ganz aufhören sollen. Die Charta der Vereinten Nationen geht an dieser Stelle weniger weit, da nur gefordert wird, dass „möglich wenig“ (Artikel 26) für Kriegsrüstung ausgegeben wird. Diese Formulierung lässt offen, dass es eine Notwendigkeit der Kriegsrüstung geben kann. Eine kompromisslose Forderung im Sinne Kants, dass stehende Heere mit der Zeit ganz abgeschafft werden sollen, findet sich also hier nicht.
Vergleich der Organisationsgrundsätze und Maßnahmen der Umsetzung
In Artikel 2 werden in der Charta die Grundsätze der Vereinten Nationen und ihrer Mitglieder dargelegt. Dieser Artikel liest sich, wie Höffe (2011, S. 179) es ausdrückt, „wie eine juristische Ausformulierung Kantischer Gedanken“:
Nach Artikel 2.1 der Charta beruht die Organisation auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. Dies entspricht der von Kant im zweiten Definitivartikel, S. 21. Ausarbeiteten Position. Gemäß Artikel 2.3 verpflichten die Staaten sich, internationale Streitigkeiten nicht mit Waffengewalt, sondern mit friedlichen Mitteln zu lösen, was sich bei Kant im zweiten Definitivartikel, S. 22 wiederfindet. Außerdem hinaus respektieren die Mitgliedstaaten nach 2.4 die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit anderer Mitgliedstaaten, analog zu den Präliminarartikeln 2 und 5 bei Kant. Zusätzlich kann nach 2.7 aus der Charta keine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, abgeleitet werden. Dies entspricht dem von Kant im zweiten Definitivartikel auf S. 22 entwickeltem Grundsatz Volksouveränität.
Den Schluss des Friedensbundes vergleicht Kant mit dem Schluss eines Gesellschaftsvertrags, mit dem der Kriegszustand der internationalen Anarchie überwunden und in einen von Recht geordneten Friedenzustand überführt werden kann (vgl. 2. Definitivartikel, S. 22). Ein ähnlicher Ansatz kann in der Charta der Vereinten Nationen festgestellt werden. Auch wenn die Assoziation zum Vertrag sowohl bei Kant als auch bei den Vereinten Nationen freiwillig ist, tut sich an dieser Stelle ein Unterschied zwischen Kants Konzept und der Charta der Vereinten Nationen auf. Nach der Charta können alle friedliebenden Staaten Mitglied der Vereinten Nationen werden, „welche die Verpflichtungen aus dieser Charta übernehmen und nach dem Urteil der Organisation fähig und willens sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen“ (Artikel 4.1). An die innenpolitischen Realitäten wie etwa die Regierungsform werden dabei keine Anforderungen gestellt. Im Gegensatz dazu fordert der erste Definitivartikel bei Kant, dass die Verfassung eines jeden Staates republikanisch sein soll. Unter Republikanismus versteht Kant dabei unter anderem Volksouveränität, die Achtung der „angeborenen, zur Menschheit notwendig gehörenden und unveräußerlichen Rechte(n)“, die Gleichheit vor dem Gesetz und öffentliche, geteilte Gewalten (vgl. Fußnote 4, S. 77). Das, was Kant eine Republik nennt, entspricht damit in etwa einem demokratischen Verfassungsstaat. Zwar wird eine nicht republikanische Staatsform nicht als explizit als Ausschlusskriterium genannt, da für Kant aber die republikanische Staatsform die einzige zu sein scheint, mit der sich ein ewiger Frieden sichern lässt und die Sicherung eines Friedens ja gerade das Ziel des Friedensbundes ist, scheint es naheliegend, dass eine republikanische Staatsform eine notwendige Bedingung einer Aufnahme in den Friedensbund ist (zweiter Definitivartikel, S. 13). Während also die Charta der Vereinten Nationen indifferent gegenüber der Regierungsform ihrer Mitglieder ist, bekennt sich Kant im ersten Definitivartikel klar zum Republikanismus.
Auch wenn dies von Kant nie explizit gefordert wird, ist bemerkenswert, dass die Vereinten Nationen als Institution in den Fragen von Gewaltenteilung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die von Kant entwickelten Merkmale eines republikanischen Staates weitestgehend erfüllt. Untersucht man beispielsweise die Gewaltenteilung, kann als Legislative die Generalversammlung gelten, in welcher zwischen den Mitgliedern Stimmgleichheit herrscht (vgl. Artikel 18.1). Als Exekutive kann der Sicherheitsrat gelten, welcher von den Mitgliedern der Generalversammlung gewählt wird und an welchen sie Kompetenzen abgeben (vgl. Artikel 23 – 25). Die Judikative ist durch den Internationalen Gerichtshof gegeben, der Völkerrechtsbrüche feststellt und zu dessen Urteilsachtung die Mitgliedstaaten sich verpflichten (vgl. Artikel 92 und 94.1). Die Tatsache, dass Frankreich, Russland, Großbritannien, China und die USA einen ständigen Sitz und darüber hinaus eine Vetokompetenz im Sicherheitsrat innehaben (vgl. Artikel 23.1), ist dagegen den republikanischen Grundsätzen Kants klar entgegengesetzt.
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- Citation du texte
- Max Schoen (Auteur), 2021, Immanuel Kants Schrift "Zum ewigen Frieden" und die Charta der Vereinten Nationen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1133669
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