Mit dieser Facharbeit soll ein Einblick in die frühkindliche Pädagogik zur Zeit des Nationalsozialismus gegeben werden. Auf Grundlage eines Originaltextes von Dr. Johanna Haarer wird der Umgang und die Pädagogik gerade für Kleinkinder in den Zeiten des NS-Regimes beschrieben. Dieses Thema wird in den Lehrbüchern der Pädagogik leider nur teilweise unter dem Kapitel "Geschichte der Pädagogik" angerissen. Auch mit den Folgen dieser Erziehung befasst sich die Facharbeit, indem Bezug auf die wissenschaftlichen Untersuchungen von (hauptsächlich) Sigrid Chamberlain Bezug genommen wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Dr. Johanna Haarer
2.1. Biografie
3. „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“
3.1. Inhaltsübersicht „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“
3.2. Säuglingspflege nach Haarer
4. Wissenschaftliche Aufarbeitung
4.1. Ute Benz und Rose Ahlheim
4.2. Sigrid Chamberlain - „Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“
5. Zusammenfassung -Fazit
Literaturverzeichnis
Weiterführende Literatur
1. Einleitung
Erziehungsratgeber helfen Eltern mit ihren Kindern und den damit verbundenen Fragen, Sorgen und Ängsten zurecht zu kommen. Sie geben Antworten auf vielfältige Fragen rund um das Thema Erziehung und Pflege. Solche Ratgeber sind aber nicht frei von politischer Einflussnahme. Die Entwicklung der Gesellschaft, ihr Wandel und Verhalten, spiegelt sich in Elternratgebern der jeweiligen Zeit wider. Das dies allerdings nicht nur positive Auswirkungen haben kann, sondern gezielt für menschverachtende Zwecke genutzt werden kann, zeigen eindrucksvoll - aber auch erschütternd - die Erziehungsratgeber aus der NS-Zeit. Elternratgeber und Kinderbüchern wurden gezielt für Propaganda eingesetzt, um Menschen zu manipulieren und bereits die Kleinsten mit dem nationalsozialistischen Gedankengut zu impfen.
„Auf uns Frauen wartet als unaufschiebbar dringlichste die eine uralte und ewig neue Pflicht: Der Familie, dem Volk, der Rasse Kinder zu schenken.“ (Haarer 1940, S.9)
Dieser Satz aus der Einleitung zu dem Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, welches 1934 erstmals erschien und von Dr. Johanna Haarer geschrieben wurde, spiegelt die politische Einflussnahme auf Erziehungsratgeber in nur einem Satz wider.
Wie aber die Einflussnahme der Nationalsozialisten auf die Pflege und Erziehung der jüngsten Mitglieder der Gesellschaft genauer aussah, zeigt die folgende Facharbeit, dabei soll ein Überblick über das damalige Erziehungsstandardwerk „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ gegeben werden. Weiterhin beschäftigt sich die Facharbeit mit der kritischen Auseinandersetzung des Werkes durch Wissenschaftler, welche die Schriften Haarers analysierten und die Folgen der NS-Erziehung untersuchten. Ist ein Bild vom Kind wie zur damaligen Zeit heute noch denkbar?
Dieser Frage versucht die folgende Facharbeit auf den Grund zu gehen, weiterhin soll ein Überblick gegeben werden, der zusammenfassend belegt, dass ein Bild vom Kind wie zur NS-Zeit vorherrschend, heute undenkbar und nicht mit dem heutigen Bild vom Kind vereinbar ist.
2. Dr. Johanna Haarer
Recherchen zum Thema „Erziehung in der NS-Zeit“ lassen jeden Interessenten über den Namen Dr. Johanna Haarer stolpern. Ihre Werke galten als Standardwerke zur damaligen Zeit.
2.1. Biografie
Dr. Johanna Haarer wurde am 03. Oktober 1900 als jüngstes von zwei Kindern des Kaufmanns Alois Barsch und seiner Frau Anna Barsch in Bodenbach geboren. Von 1906 bis 1914 besuchte sie in Bodenbach die Volks- und Bürgerschule und entschied sich mit 17 Jahren, gegen den Willen ihrer Eltern, für ein Medizin-Studium. Nachdem sie 1920 erfolgreich die Reifeprüfung im Landerziehungsheim „Bieberstein“ in der Rhön absolvierte, studierte sie in den folgenden Jahren in Heidelberg, Göttingen und München Medizin (vgl. Berger, 2020).
Nachdem Johanna Barsch 1924 den Medizinstudenten Hellmut Weese heiratete, legte sie ein Jahr später in München ihr medizinisches Staatsexamen ab und erwarb anschließend den Doktortitel. Nach kurzer Volontärstätigkeit fand sie im Sanatorium Harlaching eine Anstellung als Lungenfachärztin. 1932 heiratete Johanna Weese, nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe, den Oberarzt Dr. Otto Friedrich Haarer. Die Geburt ihrer ersten zwei Kinder veranlasste Johanna Haarer ihre Stelle am Sanatorium aufzugeben und sich der Familie und Kindererziehung zu widmen, immerhin gingen aus der Ehe mit dem Arzt Otto Friedrich Haarer 5 Kinder hervor (ebd.).
Neben ihrer Tätigkeit als Mutter und Schriftstellerin fungierte Johanna Haarer auch als Gausachbearbeiterin und kämpfte „gegen den vermutlichen Verfall der Mutterschaft und der Familie“ (Berger, 2020). Daneben engagierte sie sich in weiteren nationalsozialistisch geführten Institutionen wie die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, dem „Hilfswerk Mutter und Kind“ und der „Münchener Mütterschule“ (ebd.).
Nach Kriegsende wurde Dr. Johanna Haarer inhaftiert und ein Jahr in amerikanischen Internierungslagern gefangen gehalten. Als ihr Mann aus dem Krieg zurückkam und davon erfuhr, nahm er sich das Leben. In den Internierungslagern war Dr. Johanna Haarer zwar als Ärztin tätig, jedoch verboten ihr die Besatzungsmächte nach ihrer Entlassung eine eigene Praxis zu eröffnen. So arbeitete Haarer bis zur Pensionierung in verschiedenen Gesundheitsämtern. Den größten Teil ihres Einkommens erzielte sie aber mit der Schriftstellerei (ebd.).
Die nach Aussagen ihrer Kinder ein Leben lang tabletten- und alkoholabhängige Dr. Johanna Haarer behielt die nationalsozialistische Einstellung bis zu ihrem Tode am 30. April 1988 in München bei (ebd.).
2.2. literarische Werke Dr. Johanna Haarers
Aufgrund einer erhöhten Säuglingssterblichkeit zur damaligen Zeit waren Erziehungsund vor allem Pflegeratgeber keine Seltenheit. So schrieb Dr. Johanna Haarer einige Zeit Zeitungsartikel, die sich dem Thema Säuglingspflege widmeten. Diese fanden reißenden Absatz und so entschied sich die Lungenfachärztin ein Buch zu dem Thema zu schreiben. Dieses Buch wurde unter dem Titel „Die deutsche Mutter und ihr erste Kind“ 1934 vom J. F. Lehmann Verlag in München veröffentlicht (vgl. Berger, 2020).
1936 erschien ein Anschlusswerk zu diesem Buch unter dem Titel „Unser Kleines Kind“, ebenfalls im J. F. Lehmann Verlag in München. Dieses Werk widmete sich der Pflege und Erziehung von Kleinkindern, da ihr Erstlingswerk lediglich die der Säuglinge thematisch aufgriff (ebd.).
1939 folgte die Veröffentlichung ihres dritten Buches, ebenfalls vom J. F. Lehmann Verlag in München. „Mutter, erzähl mir von Adolf Hitler!“ war ein als Märchenbuch getarntes reines Propagandamachtwerk (ebd.).
Nach dem Krieg wurden die Werke Dr. Johanna Haarers zunächst verboten, erschienen aber in darauffolgenden Jahren erneut, allerdings von Nazi-Sprache befreit und ohne Bezug auf die Autorin. „Unsere Kleinen Kinder“ wurde bis 1964 mehrmals neu aufgelegt, „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ erschien bis 1987 unter dem Titel „Die Mutter und ihr erstes Kind“ ebenfalls mehrmals neu. Bis Kriegsende verkaufte sich das Erstlingswerks Haarers bereits eine halbe Millionen Mal, allerdings brach der Absatz auch nach Kriegsende nicht ein, so dass bis 1987 circa 1,2 Millionen Exemplare des Buches verkauft wurden (ebd.).
3. „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“
Literatur zur Säuglingspflege war zu der Zeit der Veröffentlichung des Erstlingswerkes „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ keine Besonderheit. Viele Autoren versuchten mit hilfreichen Tipps zum Senken der vorherrschenden Säuglingssterblichkeit beizutragen. Viele Werke bezogen sich ausschließlich auf die Reinlichkeit und Hygiene, wenig jedoch auf die Erziehung der Kinder selbst. Was die Literatur Dr. Johanna Haarers so besonders machte, war die Tatsache, dass sich ihre Erziehungstipps deutlich von denen der Vorgängergeneration unterschieden (vgl. Berger, 2020).
3.1. Inhaltsübersicht „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“
Das Erstlingswerk Haarers sollte die Frau auf ihre Rolle als Mutter vorbereiten. So enthält es mehrere Kapitel, die sich nur dem Thema Schwangerschaft und Entbindung widmen. Kapitel 1 beschreibt die erste Hälfte der Schwangerschaft, Kapitel 3 die zweite Hälfte der Schwangerschaft, während hingegen Kapitel 2 die Aussteuer für das Kind und Kapitel 4 die Bekleidung der Frau in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft beschreiben. Daneben wird das Wochenbett, das Stillen sowie die Ernährung im ersten Jahr des Kindes in verschiedenen Kapiteln dargestellt. Interessant für die Facharbeit sind vor allem Kapitel 9 „Die Pflege des jungen Säuglings“ und Kapitel 12 „Der ältere Säugling“ (vgl. Haarer, S. 10 - 12).
„Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ wurde gezielt von den Nationalsozialisten gefördert und diente bald als Grundlage für Schulungen durch die NS-Frauenschaft (in der auch Haarer selbst aktiv war) in den Reichsmütterschulen, welche im ganzen Land über drei Millionen junge Mütter erreichten. Dieses Werk Haarers diente somit nicht nur als Ratgeber für Eltern, sondern wurde - durch die Unterstützung des NS-Regimes - bald auch als Ausbildungsgrundlage für Kindergärtnerinnen genutzt(vgl. Berger, 2020).
3.2. Säuglingspflege nach Haarer
„Das jüngst vergangene Zeitalter [...] hat sonderbare Blüten getrieben. Damals bildete sich jener Typus von Eltern und Erziehern heraus, der über dem Beobachten und Erforschen der kindlichen Seelenregung, also der Psychologie, die eigentliche Erziehung völlig vergaß und das Kind in Wirklichkeit führerlos heranwachsen ließ.“ (Haarer 1940, S. 271).
Diese Aussage verdeutlicht Haarers Stellung zur vorangegangenen Pädagogik mehr als deutlich. Ihr Ratgeber schlug einen völlig anderen Weg ein als alle zuvor veröffentlichten Werke. Wärme, Zuneigung, Beachtung und Liebe spielten laut Haarer keine große Rolle.
„Auch das schreiende und widerstrebende Kind muß tun, was die Mutter für nötig hält und wird, falls es sich weiter ungezogen aufführt, gewissermaßen „kaltgestellt“, in einen Raum verbracht, wo es allein sein kann und solange nicht beachtet wird, bis es sein Verhalten ändert“ (Haarer 1940, S. 271).
Diese Aussage, wie auch viele andere Textstellen in dem Werk, zeigen, dass Haarer die Mutter-Kind-Beziehung als einen Kampf zwischen beiden darstellt, den die Mutter mit Bestimmtheit und Härte zu bestreiten hat, um den Willen der Kinder zu brechen. Die Geburt selbst wird bereits als Kampf bezeichnet, so schreibt in ihrem Ratgeber: „Die Entbindung ist vorüber [.] aber nicht ohne Wunden ist die Frau aus dem Kampf hervorgegangen..." (Haarer 1940, S. 102). Von Geburt an habe sich die Mutter dem Kind gegenüber zu behaupten, was Aussagen wie „Sie muss immer danach trachten, die Führung zu behalten. " (Haarer 1940, S. 270) oder auch „von Anfang an behandle man das Kind gewissermaßen als vollwertigen Menschen, mit dem man in vernünftigen Deutsch spricht, und den man weder wie ein Schoßtierchen noch wie ein Spielzeug behandelt. Es ist kein Zeichen besonderer Mutterliebe, wenn man sein Kind unablässig mit Zärtlichkeiten [.] überschüttet, oder all seinen Wünschen und Regungen unbedenklich nachgibt. Solche Affenliebe verzieht das Kind wohl, erzieht es aber nicht" (Haarer 1940, S. 271) belegen.
Diese Aussage Haarers verdeutlicht, dass Zärtlichkeiten zwischen Müttern und Kindern nicht gewünscht waren. Enge Bindungen zwischen dem Kind und der Mutter als Bezugsperson konnten sich aufgrund der vorgegebenen Ratschläge kaum herausbilden und waren auch nicht gewollt. Bereits nach der Geburt sollten die Kinder in einen anderen Raum getrennt von der Mutter und jeder anderen Person untergebracht werden, was die Aussage „erst etwa 24 Stunden nach der Geburt bringt man dir (der Mutter, Anm.) zum erstenmal dein Kind, um es dir an die Brust zu legen" (Haarer 1940, S.117) belegt.
„Dass man in der Beachtung des Kindes [.] nicht zu viel tut, ist ein weiterer Schlüssel zur Erziehung" (Haarer 1940, S. 272) . Haarer weist weiterhin darauf hin, „dass das Kind bis zu einem gewissen Grad sich selbst überlassen bleiben soll" (Haarer 1940, S. 272), da es nach ihrer Ansicht zu einem „ Komödianten “ (Haarer 1940, S. 272) entwickelt, sollten die Eltern dem Kind zu viel Beachtung schenken.
So beschränkte sich der Kontakt zwischen Kleinstkindern und ihren Müttern tatsächlich nur auf die Reinlichkeitshygiene und die Fütterungszeiten. Je nach entsprechendem Alter stellte Haarer auch hier Vorgaben auf, wann das Kind mit welcher Mahlzeit zu versorgt werden hat. Außerhalb dieser Zeiten sollte, man den Äußerungen des Kindes nicht nachgehen, da ein Kind bei richtiger Versorgung und Pflege keinen Grund zu weinen hätten (vgl. Haarer 1940, S. 198 -205).
4. Wissenschaftliche Aufarbeitung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Werke Dr. Johanna Haarers verboten. Nach einigen Jahren wurden ihre ersten beiden Werke nachdem sie von der Nazi-Sprache befreit wurden, wieder aufgelegt. Allerdings benötigten die wissenschaftliche Aufarbeitung und Analyse ihrer Werke mehrere Jahrzehnte. Erst seit den 1990er Jahren erfolgten wissenschaftliche Analysen der Werke „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ sowie „Unser Kleines Kind“. Ein Grund für diese Verschwiegenheit nennt Sigrid Chamberlain: „Die aus einer frühkindlichen NS-Erziehung herrührenden Bindungs- und Beziehungsstörungen könnten in Deutschland so weit verbreitet sein, dass eine wissenschaftliche Befassung mit diesem Thema immer noch zu schmerzhaft scheint, ein genaues Hinsehen immer noch zu viel Angst macht“ (Chamberlain 1998, S. 11 – 12).
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- Citation du texte
- Anja Bräuer (Auteur), 2020, Johanna Haarer und die frühkindliche Pädagogik zur Zeit des Nationalsozialismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1132881
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