In dieser Arbeit geht es um die Aufgaben der geschlechterbewussten Schule. Es geht um die Situation und die geschlechterbewusste Förderung von Mädchen und Jungen in der Koedukation. Es werden Begabungsunterschiede der Geschlechter aus drei Perspektiven betrachtet, a) der biologischen, b) der psychologischen und c) der erziehungs- und sozialpsychologischen Perspektive. Es soll aufgezeigt werden, dass geschlechterbewusste Förderung der Interessen und die Anregung der Motivation bei Jungen und Mädchen wichtiger und sinnvoller ist als die reine Monoedukation.
Das LehrerInnenverhalten im Unterricht wird aufgezeigt, welches bedingt, dass Mädchen und Jungen ganz unterschiedlich gefördert werden. Jungen erhalten von den Lehrkörpern viel mehr Aufmerksamkeit und Feedback als Mädchen. Auf Jungen wird mehr geachtet. Jungen haben bei gleichem Schulerfolg ein größeres Selbstvertrauen als Mädchen. Sie können gute Leistungen besser in ein positives Selbstbild aufnehmen und sie gehen auch ganz anders mit schulischen Misserfolgen um.
Es entstehen „Geschlechterreviere des Wissens“ . Schule produziert Schülerinnen, die im Gegensatz zu ihren Mitschülern später in ihren Berufen geringere Aufstiegschancen haben und weniger Geld bekommen.
Es soll weiterhin gezeigt werden, das Schulen geschlechterbewusste Pädagogik zum Einsatz bringen sollten. Die Hinterfragung einengender geschlechtsspezifischer Eigenschaftszuschreibungen, die Erweiterung des Interessen-, Fähigkeits-, und Betätigungsspektrums der Mädchen und Jungen jenseits stereotypischer und geschlechtsspezifischer Eigenschaftszuschreibungen sowie Arbeit an emanzipatorischen Einstellungen ist dabei als ein Beitrag zur Einlösung des Gleichheitsgebotes der Schule zu verstehen. Jungen und Mädchen müssen die gleichen Schul- und Berufsausbildungschancen und somit auch gleiche Berufschancen erhalten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Mädchen sind anders und Jungen auch - Geschlechtsspezifische Unterschiede von Interesse und Begabung im Bereich Naturwissenschaft
2.1 Biologische Perspektive
2.2 Psychologische Perspektive
2.2.1 Ursachenzuschreibung/Attributionen
2.2.2 Die Geschlechtsrollenidentität
2.2.3 Das Selbstkonzept
2.3 Erziehungs- und Sozialpsychologische Perspektive
2.3.1 Lernen am Modell/ Rollenmodelle
2.3.2 Erwartungen von Eltern
2.3.3 Subjektive Ursachenzuschreibungen von Eltern
3 Koedukation
3.1 Unterschiedliche Bewertungen der Koedukation im Laufe der Schulzeit
3.1.1 In der Grundschule
3.1.2 Erprobungsstufe/ Sekundarstufe I
3.1.3 Sekundarstufe II/ Oberstufe
3.2 Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung
3.3 Gehören Mädchen und Jungen im Unterricht zusammen?
4 Aufgaben einer geschlechterbewussten Schule
4.1 Maßnahmen zur Einstellungsänderung von Bezugspersonen und der Schule
4.1.1 Was können Lehrer/innen machen?
4.1.2 Was können Eltern machen?
4.2 Auflösung der geschlechtertypischen Grundkurs- und Leistungskurswahl: Was kann Schule leisten?
4.3 Unterstützung zur Erweiterung des Berufsspektrums und der Studienbereiche von Mädchen
5 Resümee und persönliche Stellungnahme
6 Literaturverzeichnis
7 Tabellennachweise
1 Einleitung
In dieser Arbeit geht es um die Aufgaben der geschlechterbewussten Schule. Es geht um die Situation und die geschlechterbewusste Förderung von Mädchen und Jungen in der Koedukation. Es werden Begabungsunterschiede der Geschlechter aus drei Perspektiven betrachtet, a) der biologischen, b) der psychologischen und c) der erziehungs- und sozialpsychologischen Perspektive. Es soll aufgezeigt werden, dass geschlechterbewusste Förderung der Interessen und die Anregung der Motivation bei Jungen und Mädchen wichtiger und sinnvoller ist als die reine Monoedukation.
Das LehrerInnenverhalten im Unterricht wird aufgezeigt, welches bedingt, dass Mädchen und Jungen ganz unterschiedlich gefördert werden. Jungen erhalten von den Lehrkörpern viel mehr Aufmerksamkeit und Feedback als Mädchen. Auf Jungen wird mehr geachtet. Jungen haben bei gleichem Schulerfolg ein größeres Selbstvertrauen als Mädchen. Sie können gute Leistungen besser in ein positives Selbstbild aufnehmen und sie gehen auch ganz anders mit schulischen Misserfolgen um.
Es entstehen „Geschlechterreviere des Wissens“[1]. Schule produziert Schülerinnen, die im Gegensatz zu ihren Mitschülern später in ihren Berufen geringere Aufstiegschancen haben und weniger Geld bekommen.
Es soll weiterhin gezeigt werden, das Schulen geschlechterbewusste Pädagogik zum Einsatz bringen sollten. Die Hinterfragung einengender geschlechtsspezifischer Eigenschaftszuschreibungen, die Erweiterung des Interessen-, Fähigkeits-, und Betätigungsspektrums der Mädchen und Jungen jenseits stereotypischer und geschlechtsspezifischer Eigenschaftszuschreibungen sowie Arbeit an emanzipatorischen Einstellungen ist dabei als ein Beitrag zur Einlösung des Gleichheitsgebotes der Schule zu verstehen. Jungen und Mädchen müssen die gleichen Schul- und Berufsausbildungschancen und somit auch gleiche Berufschancen erhalten.
Doch obwohl man sehr viel über Emanzipation und Gleichberechtigung weiß, vermittelt auch heute noch die Schule patriarchale und teilweise überholte Machtstrukturen, traditionelles Denken und Handeln und „typische“ Einstellungen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen, wodurch der Individualisierungsanspruch des Kindes behindert wird.
Der „heimliche Lehrplan“[2] der Geschlechtererziehung in der Schule hat massive Auswirkungen auf die Chancengleichheit von Mädchen und Jungen in der Schule und in der Gesellschaft, trotz gleicher Bildung.
Die geschlechterbewusste Pädagogik sollte keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen machen. Wenn Differenzen entstehen, setzt sie geschlechterbewusste Förderungsmaßnahmen ein, die in dieser Arbeit aufgezeigt werden sollen. Dies sind im Einzelnen folgende Punkte: a.) die Aufgaben von geschlechterbewussten Schulen, b.) die möglichen Einstellungsänderungen von Personen, welche die Berufswahlen von Mädchen beeinflussen und c.) Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation von begabten Mädchen in den Bereichen der Mathematik und der Naturwissenschaft.
Das Geschlechterverhältnis in der Schule wird selten thematisiert, doch Schule ist mit der Gesellschaft verknüpft. Die Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen muss zum Inhalt der Allgemeinbildung werden. Jungen und Mädchen müssen in ihrer Identitätsfindung und dessen Entwicklung unterstützt werden, ohne sich mit den typischen Geschlechterrollen zu verkleiden. Denn auch die Schule trägt dazu bei, dass Frauen als Benachteiligte in der Gesellschaft auftreten und beurteilt werden. Die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Lebensbereichen und die Erhöhung des Frauenanteils in männlich dominierten Berufen und in Führungspositionen sollte das Ziel sein. Denn heute ist es immer noch so, dass die berufliche Situation von Frauen die Schlechtere ist. Die Arbeitslosigkeit von Frauen ist höher. Sie werden in denselben beruflichen Positionen schlechter bezahlt und sind seltener in Führungspositionen zu finden als Männer. Dies muss sich ändern, da sich die gesellschaftlichen Umstände und Entwicklungen geändert haben.
Früher gab es geschlechterspezifische Curricula. Die Gesellschaft war darauf aus, dass der Junge die höhere und bessere Ausbildung bzw. Qualifikation erhielt, da er in der Rolle des Familienernährers fest definiert war. Mädchen heirateten, bekamen Kinder und kümmerten sich um den Haushalt. In den Schulbüchern zeigen sich oft traditionelle Familienstrukturen. Der Familienvater bringt das Geld nach Hause und die Mutter ist Hausfrau. Doch wo bleibt die allein erziehende Mutter, die nebenbei in der IT-Branche arbeitet und selbst ein Rad am Auto wechseln kann? Und was ist mit dem Vater, der den Mutterschaftsurlaub antritt? Über homosexuelle Lebensgemeinschaften mit einen adoptierten Kind wird auch leider kein Wort verloren. Die Gesellschaft hat sich verändert und mit ihr die Geschlechterrollen und das Geschlechterbewusstsein. Das traditionelle Rollendenken ist seltener geworden. An Stereotypen gemessen zu werden wirkt sich negativ auf die Entwicklung der Kinder aus bzw. wenn sie sich selbst an diese Stereotypen orientieren. Doch die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen fördert meistens noch die vorherrschenden Geschlechterstereotypen und deren Anpassung.
Die Forderung nach individueller Förderung wächst nicht mehr nur allgemein aus den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Kinder, sondern spezifisch vor allem aus dem Individualisierungsanspruch der Geschlechter, der Mädchen und Jungen.
Mädchen erbringen trotz Selbstunterschätzung in dem Fach Mathematik die gleichen Leistungen wie Jungen. Also sollte man den Schülerinnen und den Schülern ein angemessenes Selbstvertrauen und realisierbare Selbsteinschätzungen nahe bringen.
Kinder in der Grundschule haben noch sehr viele Berufswünsche, wenn man sie darauf anspricht, darunter sind auch so genannte „Männerberufe“. Hier zeigt sich doch, dass man so früh wie möglich den Prozess der individuellen Förderung von Jungen und Mädchen in der Schule unterstützen muss. Handlungsbedarf wird vorrangig in der Sekundarstufe I gesehen.[3]
„Keine Schülerin und kein Schüler darf wegen der Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, des Geschlechts, der sexuellen Identität, der sozialen Herkunft oder Stellung, der Behinderung, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt wird. Einer Benachteiligung von Mädchen und Frauen ist aktiv entgegenzuwirken.“
In Abschnitt 5 des gleichen Paragraphen steht weiter, „sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einzusetzen und den Wert der Gleichberechtigung auch über die Anerkennung der Leistung von Frauen in der Geschichte, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft einzuschätzen.“[4]
2 Mädchen sind anders und Jungen auch - Geschlechtsspezifische Unterschiede von Interesse und Begabung im Bereich Naturwissenschaft
Mädchen und Frauen werden immer noch in unserer heutigen Gesellschaft benachteiligt. Ihre Fähigkeiten und Kompetenzen werden stets abgewertet oder gar nicht wahrgenommen. Weiterhin ist das weibliche Geschlecht meist nicht von der eigenen Leistung und Kompetenz überzeugt. Mädchen und Frauen unterschätzen sich oft selbst und trauen sich häufig nicht viel zu.
Frauen sind in naturwissenschaftslastigen Ausbildungen und Berufen sehr stark unterrepräsentiert, doch dies liegt nicht an schwächeren intellektuellen Leistungen dieser Frauen. Obwohl die Möglichkeiten für Mädchen und Jungen heute annähernd gleich sind, z.B. eine technikorientierte Ausbildung zu machen, wählen die meisten Mädchen eher Ausbildungswege, die „typisch Frau“ sind. Meist ist es heute so, das die „typisch Frauberufe“ nicht zukunftsträchtig sind bzw. sehr selten Aufstiegsmöglichkeiten bieten und da fällt die „Frau von Heute“ in die klassische Hausfrauen- und Mutterrollen. Man kann diesen Verlauf natürlich nicht pauschalisieren, jedoch sind die Chancen bei einem „typischen Frauenberuf“ sehr viel höher das dieser Lebensverlauf eintritt. Doch was sind die Ursachen für dieses Verhalten? Wollen Frauen die geschlechtsstereotypischen Rollen aufrechterhalten, haben sie ein zu schwaches Selbstvertrauen, gerade im naturwissenschaftlichen Bereich oder gibt es tatsächlich geschlechtsspezifische intellektuelle Unterschiede in diesen Bereichen der Mathematik, Naturwissenschaft und Technik? Was die allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit von Mädchen und Jungen angeht, so lässt sich sagen, das sich keine Geschlechtsunterschiede finden lassen. Die Fähigkeiten des Gedächtnisses und die Fähigkeiten zum Lernen sind bei Jungen und Mädchen gleich. Bei IQ-Messungen schneiden Frauen und Männer auch gleich ab. Beide Geschlechter verfügen über vergleichbare allgemeine kognitive Fähigkeiten.
Es existieren Differenzen im Bereich der geschlechtsspezifischen Leistungsunterschiede in Abhängigkeit vom jeweiligen Alter. Es zeigt sich, dass bis zur 6. oder 7. Klasse die geschlechtsspezifischen Leistungsunterschiede in Mathematik und Naturwissenschaft verschwindend gering sind. Jungen verbessern ihre Leistungen in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaft ab dem 12. – 15. Lebensjahr, der beginnenden Pubertät.
Mädchen und Jungen beurteilen die Nützlichkeit der Mathematik und Physik völlig unterschiedlich. Mädchen haben Einstellungen, die es für sie schwierig machen, sich in Fächern zu engagieren, die als „männliche“ Domäne gelten.
Im Bereich des räumlichen Denkens sind Jungen den Mädchen überlegen und dieser Unterschied vergrößert sich mit zunehmendem Alter.[5] Im Bereich der numerischen Begabung und des verbalen und abstrakten Denkens wurden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden, doch unklar ist noch, ob das räumliche Denken nicht trainierbar ist.[6] Außerdem muss an dieser Stelle gesagt werden, das Mädchen Aufgaben bezüglich des räumlichen Denkens genauso gut lösen können wie die Jungen, sie brauchen nur genügend Zeit für die Lösung der Aufgaben.[7]
2.1 Biologische Perspektive
Es ist sehr schwer zu beurteilen, ob diese oder jene Eigenschaft, die wir besitzen, vererbungsbedingt ist oder durch Umwelteinflüsse entstanden sind. Die soziale Beeinflussung ist nicht zu unterschätzen, da wir dieser ständig ausgesetzt sind.
Eine der bekanntesten Studien zur mathematischen Fähigkeit von hochbegabten Jugendlichen wurde an der Johns Hopkins Universität in Baltimore (USA) durchgeführt.[8] C.P. Benbow kam durch die Ergebnisse dieser Studie zu der Annahme, dass mathematische Hochbegabung erblicher Natur sei und mit dem Geschlecht tatsächlich in Verbindung stehe. Weiterhin führte er aus, dass mathematische Hochbegabung etwas mit Linkshändigkeit, Allergien und Kurzsichtigkeit zu tun habe.[9]
Lateralisierung war die Grundlage dieser von Benbow aufgestellten Hypothese. Damit meint Benbow die Spezialisierung der beiden Gehirnhälften. Die linke Körperhälfte wird von der rechten Hirnhälfte gesteuert und die rechte Körperhälfte wird von der linken Hirnhälfte gesteuert. Beide Gehirnhälften sind verbunden durch den so genannten Corpus Callosum. Untersuchungen zeigen, dass es zu Verhaltensveränderungen kommt, trennt man die Verbindung beider Gehirnhälften operativ. Aus der psychologischen Wissenschaft ist bekannt, dass die linke Gehirnhälfte für die Sprache verantwortlich ist und die rechte Gehirnhälfte für nichtsprachliche Funktionen wie zum Beispiel mathematische Fähigkeiten zuständig ist. Benbow kam zu der Annahme, dass Linkshänder besser sind in Mathematik, da Linkshänder bessere Kontrolle über die rechte Gehirnhälfte haben. Geschwind und Behand stellten 1982 die Theorie auf, dass ein pränatal hoher Testosteronspiegel (Testosteron: männliches Keimdrüsenhormon) das Wachstum der linken Gehirnhälfte behindere und daher die rechte Gehirnhälfte besser aktiviert werden könne und ausgebildet sei.[10] Dazu kommt, dass man weiß, dass Testosteron das menschliche Immunsystem schwächt und dadurch häufig Allergien entstehen. Es wurden auch Zusammenhänge zwischen Geburtsmonat und Hochbegabung aufgestellt.[11] Auch hieß es, dass die Babys die in den Monaten April-September geboren werden die Hochbegabtesten sind, da das Tageslicht die Funktion der Zirbeldrüse beeinflusst. Die Zirbeldrüse produziert ein Hormon, welches die Geschlechtsentwicklung behindert.[12]
Eine weitere Hypothese stellte Maccoby et al. 1979 auf, indem sie zeigte, dass Erstgeborene einem höheren Hormonspiegel ausgesetzt sind als Nachgeborene.[13]
Doch es gab viele Untersuchungen, welche die von Benbow formulierten Ergebnisse nicht bestätigen konnten. Manche erkannten keinen Zusammenhang zwischen dem Hormon Testosteron und mathematischer Hochbegabung und wiederum andere fanden keinen Zusammenhang zwischen Linkshändern und mathematischer Hochbegabung[14].
Gutezeit testete 1982 in einer Zufallsstichprobe Linkshänder im Vergleich zu Beidhändern in den Fächern Mathematik und Deutsch und die Ergebnisse zeigten, dass bei den Linkshändern die Noten 4 und 5 häufiger vorkamen als bei den Beidhändern.[15]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine biologische Bedingtheit von mathematischer Hochbegabung nicht ausreichend nachgewiesen wurde. Benbows Studie liefert keine fundierten Beweise. In Fachkreisen werden ihre Erklärungsversuche meist mit sehr viel Skepsis behandelt. Doch man muss dabei erwähnen, das die Gegenargumente auch nicht immer zu überzeugen vermögen. Man weiß eigentlich nicht genau was mathematisches Talent bzw. mathematische Denkfähigkeit ist. Und wie soll man dann Hypothesen aufstellen, wenn man nicht mal weiß, welche kognitiven Strukturen dazu gehören?
Man sollte hervorheben, dass die Medien diese Thesen, mit negativen Auswirkungen unreflektiert der Öffentlichkeit übermitteln. Denn die Mutter, die diese Thesen kennt, denkt über die eigene Tochter, dass sie es schwer haben wird in Mathematik, denn die Tochter ist nicht mathematisch begabt laut der Thesen von Benbow. So erwartet die Mutter weniger Erfolg und traut der Tochter auch weniger zu. Self-fullfilling-prophecies[16] kommen dann leider sehr schnell zur Wirkung mit dem Effekt von einem schwachen Selbstwertgefühl und Entmutigungen der Mädchen. Deshalb sollte man die Theorien aus der biologischen Perspektive mit besonderer Vorsicht betrachten.
2.2 Psychologische Perspektive
2.2.1 Ursachenzuschreibung/Attributionen
Interessen tragen wesentlich zur Entwicklung von Fähigkeiten bei, bei Mädchen sowie bei Jungen. Es gibt weiterhin auch zahlreiche empirische Untersuchungen, die sich mit Geschlechtsunterschieden beschäftigen bezüglich Ursachenzuschreibung (Attributionen) und Kontrollüberzeugung. Die Ergebnisse zeigen, das Mädchen ihre Leistungen in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften anderen Ursachen zuschreiben als Jungen.[17]
Menschen schreiben Geschehnisse entweder sich selbst zu (internal), d.h. Erfolg bzw. Misserfolg liegt in der Kontrolle des Individuums und/oder Geschehnisse werden sich nicht selbst zugeschrieben (external), der Erfolg bzw. Misserfolg liegt außerhalb der Kontrolle des Individuums.[18] Außerdem gibt es noch den Aspekt der Stabilität der Ursache des Erfolges bzw. Misserfolges. Man unterscheidet also weiterhin noch zwischen Stabilität der Ursache des Erfolges/Misserfolges (Talent oder anspruchvolles Niveau der Aufgabenstellung) und der Instabilität der Ursache des Erfolges (Fleiß oder Zufall).
Wie in der Tabelle 1 zu sehen, schreiben sich Mädchen für Erfolge in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften häufiger dem Glück zu als Jungen und ihre Misserfolge führen sie auf mangelnde Begabung zurück.
Jungen führen Misserfolge häufig externalen Gründen zu, wie z.B. schwierigen Aufgaben, Antipathien des Lehrers oder einfach nur Pech. Jungen suchen die Ursachen ihrer Misserfolge selten bei sich (internal) sondern viel häufiger schieben sie andere Ursachen vor, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen (external) und auf die sie keinen Einfluss haben, die quasi unveränderbar sind. Diese Ursachenbeschreibungsmuster beeinflussen wiederum die Motivation und das Interesse der SchülerInnen und enden häufig in der erlernten Hilflosigkeit.[19] Man erkennt häufig Resignation und Gleichgültigkeit bei den Schülern, welche dieselben unangenehmen Erfahrungen machten, obwohl sie versucht haben Verschiedenes im Vorfeld zu ändern um der unangenehmen Situation/Erfahrung zu entgehen. Diese Schüler verlieren schnell den Ehrgeiz und die Motivation sich weiter anzustrengen, sie lassen mit den Leistungen nach und trauen sich immer weniger zu. Dies spiegelt sich dann mit der Zeit in den Schulnoten der spezifischen Fächer leider wieder.
Tabelle 1: Geschlechtsspezifische Attributionen für Erfolg und Misserfolg in Mathematik
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.2 Die Geschlechtsrollenidentität
Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zeigen zwischen der Selbstwahrnehmung sowie dem Geschlechtsstereotyp, d.h. die Geschlechtsrollenidentität beeinflusst bei Mädchen sowie bei Jungen die Entscheidung, in einem männlich- bzw. weiblich dominierenden Beruf zu arbeiten. Was ist von einer Frau bzw. einem Mann sozial erwünscht? Wie verhalte ich mich als Frau bzw. Mann in der Gesellschaft, in der ich lebe, angemessen? Welche Verhaltensweisen und Eigenschaften erwarten andere von mir?
Stereotype spielen eine entscheidende Rolle. Es zeigt sich, dass Mädchen und Frauen mit einer eher maskulinen Geschlechtsrolle in technischen Berufen wieder zu finden sind als andere die sich eher als feminin betrachten. Nach der sogenannten „Masculine Identification Hypothesis“ gibt es Frauen, die ein großes Interesse an Mathematik haben und auch mathematische Fähigkeiten mitbringen, die sich aber mit dem männlichen Geschlecht sehr gut identifizieren können.[20] Mathematik gilt im Allgemeinen als männliche Domäne und wird von den meisten jungen Frauen von vorn herein abgelehnt.[21] Generell kann man erkennen, dass Jugendliche, welche die Geschlechtsstereotype akzeptieren, weniger Interesse und einhergehende Motivation in den Bereichen zeigen, die dem anderen Geschlecht zugesprochen werden.[22] Was mit der eigenen Person konsistent ist, wird besser und schneller aufgenommen und verarbeitet und seltener abgelehnt.
[...]
[1] Kreienbaum, M. A.: Erfahrungsfeld Schule. Koedukation als Kristallisationspunkt. Weinheim 1992
[2] Faulstich-Wieland 1987 und 1991; Faulstich –Wieland/Horstkemper 1995: Der heimliche Lehrplan der Geschlechtererziehung. Das System der unbeabsichtigten und unbemerkten Auswirkungen von Geschlechterinteraktionen hat dazu beigetragen, dass Frauen und Mädchen trotz gleicher Bildung keine gleichen Chancen in Schule und Gesellschaft haben.
[3] vgl. Lemmermöhle, D.: Jugend Ost: Vorbereitung auf den Übergang von der Schule auf die Arbeitswelt. In: Hempel, M. (Hrsg.): Verschieden und doch gleich. Schule und Geschlechterverhältnisse in Ost und West. Bad Heilbrunn, 1995
[4] Gesetzesentwurf über die Schulen der Landesregierung Brandenburg, der am 24. Oktober 1995 verabschiedet wurde. (S. 15 – 16)
[5] vgl. Halpern, D.F.: Sex differences in cognitive abilities. Hillsdale, NJ: Erlbaum, 1980
[6] vgl. Hyde, J.S., u.a.: Gender Differences in Mathematics Performance: A Meta-Analysis. Psychological Bulletin, 107, 139-155, 1990
[7] vgl. Goldstein, D., u.a.: Sex differences in visual-spatial ability: The role of performance factors. Memory & Cognition, 18, 546-550, 1990
[8] Untersuchung von Benbow: 305 Schüler wurden insgesamt untersucht, davon waren 15,1% Linkshänder (im Gegensatz zu 7,2% der Normalbevölkerung) und mehr Jungen (16,4%) als Mädchen (11,4%)., 55% gaben an, unter Allergien und Asthma zu leiden (im Gegensatz zu 25% der Normalbevölkerung) und 57% im Gegensatz zu 15% der Normalbevölkerung litten unter Kurzsichtigkeit, 62% waren Erstgeborene (im Gegensatz zu 48% in der Kontrollgruppe ).
[9] vgl. Benbow, C.P. & Arjmand, O.: Predictors of High Academic Achievment in Mathematically Talented Students: A Longitudinal Study. Journal of Educational Psychology, 82, 430-441, 1990
[10] vgl. Geschwind, N. & Behand, P.: Left-handedness: Association with immune disease, migraine, and developmental learning disorders. Proceedings of the National Academy of Science, 79, 5097- 5100, 1982
[11] vgl. Benbow, C.P. & Benbow, R.M.: Extreme Mathematical Talent: A hormonally induced ability? In D. Ottoson (Hrsg.), Duality and unity of the brain. (S.147-157). Houndsmill: The Mac Millan Press. (1987)
[12] vgl. Lewy, A.J. u.a.: Light suppresses melatonin in humans. Science, 210, 1267-1369, 1980
[13] vgl. Maccoby, E.E. u.a.: Concentrations of sex hormones in umbilical-cord blood: Their relation to sex and birth order of infants. Child Development, 50, 632-642, 1979
[14] Mathematische Hochbegabung nach Krutetskii: Vielzahl von spezifischen und allgemeinen Fähigkeitskomponenten. Es ist heute noch unklar, ob ein hoher IQ mit einer mathematischen Begabung korreliert. Allgemein lässt sich festhalten, dass mathematische Begabung folgendes beinhaltet: Die Fähigkeit zur formalisierten Wahrnehmung mathematischen Materials, die Fähigkeit zur Verkürzung mathematischer Gedankengänge und die Fähigkeit zur Verallgemeinerung mathematischen Materials. Die Fähigkeit der Beweglichkeit von geistigen Prozessen, das Streben nach Klarheit und Einfachheit einer Lösung und einem Gedächtnis für mathematische Verallgemeinerungen sowie mathematische Beweise im geistigen Prozess umkehren, 1976
[15] vgl. Gutezeit, G.: Linkshändigkeit und Lernstörungen? Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 31, 277-283, 1982
[16] Sich selbst erfüllende Prophezeiungen (Merton, 1957) sind Vorhersagen über zukünftiges Verhalten oder für bestimmte Ereignisse, welche die Interaktionen so beeinflussen, das dadurch genau das produziert wird, was erwartet wird.
[17] vgl. Yuchtman-Yaar, E. & Shapira, R.: Sex as a status characteristic: an examination of sex differences in locus of control. Sex Roles, 7, 149-162, 1981
[18] vgl. Rotter, J.B.: Generalizes expectancies for internal versus external control of reinforcement. (Locus of Control). Psychological Monographs, 80, 1-28, 1966
[19] vgl. Seligman, M.E.P.: Helplessness: On Depression, development, and death. San Francisco: Freeman, 1975
[20] vgl. Birx, E.: Mathematik und Begabung. Evaluation eines Förderprogramms für mathematisch besonders befähigte Schüler. Hamburg: Krämer, 1988
[21] vgl. Hoffmann, L.: Mädchen/Frauen und Naturwissenschaften/Technik. In Giesche, S. & Sachse, D. (Hrsg.), Frauen verändern Lernen(S.2-14). Kiel: Hypatra, 1988
[22] vgl. Kelly, A.: Sex stereotypes and school science: A three year follow-up. Educational Studies, 14, S. 152-163, 1988
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