In dieser Arbeit sollen zunächst zwei rassenhygienische Maßnahmen des NS-Regimes skizziert und die Rolle der Ärzteschaft thematisiert werden, um anschließend der Frage nachzugehen, wo sich eugenische Ideen in der Gegenwart finden lassen und inwiefern sie noch heute ärztliches Handeln beeinflussen können.
Die Eugenik beschäftigt sich gemäß ihrem Ursprung als Wissenschaft mit Einflussfaktoren, die Erbanlagen einer Rasse im Laufe der Generationen verbessern und zu deren Entwicklung beitragen. Die Idee, dass die Gesellschaft bei der Entwicklung der Menschheit beispielsweise mit der Todesstrafe eine aktive Rolle übernehmen sollte, postulierte der deutsche Forscher Ernst Häckel. In Deutschland etablierten sich die eugenischen Gedanken erfolgreich mit den sozialdarwinistischen Vorstellungen Häckels im Rahmen der 1905 gegründeten Gesellschaft für Rassenhygiene. Die Begriffe der Eugenik und der Rassenhygiene sind damit grundsätzlich verbunden. Allerdings sind die Forderungen der frühen Bewegung der Rassenhygiene nicht gleichzusetzen mit den rassenhygienischen Vorstellungen der Nationalsozialisten, die sich erst später mit Eugenikern am rechten Rand der Bewegung verbündeten. In der Folge gewannen die Eugenik und Rassenhygiene zunehmend an Bedeutung innerhalb der NS-Ideologie. Der eugenisch-geprägten Ideologie und den rassenhygienischen Maßnahmen der Nationalsozialisten fielen im Laufe des Regimes zahlreiche Menschen zum Opfer.
Inhaltsverzeichnis
1 Von der Eugenik als Wissenschaft zur Rassenhygiene
2 Beispiele eugenischer Maßnahmen im Nationalsozialismus
3 Beispiele eugenischer Tendenzen der Gegenwart
4 Schlussbemerkung und Ausblick
5 Literaturverzeichnis
1. Von der Eugenik als Wissenschaft zur Rassenhygiene
Die Eugenik beschäftigt sich gemäß ihrem Ursprung als Wissenschaft mit Einflussfaktoren, die Erbanlagen einer Rasse im Laufe der Generationen verbessern und zu deren Entwicklung beitragen (Galton 1904, 43). Die Idee, dass die Gesellschaft bei der Entwicklung der Menschheit beispielsweise mit der Todesstrafe eine aktive Rolle übernehmen sollte, postulierte der deutsche Forscher Ernst Häckel (Haeckel 1898, 155). In Deutschland etablierten sich die eugenischen Gedanken erfolgreich mit den sozialdarwinistischen Vorstellungen Häckels im Rahmen der 1905 gegründeten Gesellschaft für Rassenhygiene (Burlon 2009, 17). Die Begriffe der Eugenik und der Rassenhygiene sind damit grundsätzlich verbunden. Allerdings sind die Forderungen der frühen Bewegung der Rassenhygiene nicht gleichzusetzen mit den rassenhygienischen Vorstellungen der Nationalsozialisten, die sich erst später mit Eugenikern am rechten Rand der Bewegung verbündeten. In der Folge gewannen die Eugenik und Rassenhygiene zunehmend an Bedeutung innerhalb der NS-Ideologie (Proctor 2000, 67). Der eugenisch-geprägten Ideologie und den rassenhygienischen Maßnahmen der Nationalsozialisten fielen im Laufe des Regimes zahlreiche Menschen zum Opfer (Bruchhausen und Schott 2011, 141). Vor diesem Hintergrund sollen in dieser Arbeit zunächst zwei dieser Maßnahmen skizziert und die Rolle der Ärzteschaft thematisiert werden, um anschließend der Frage nachzugehen, wo sich eugenische Ideen in der Gegenwart finden lassen und inwiefern sie noch heute ärztliches Handeln beeinflussen können.
2. Beispiele eugenischer Maßnahmen im Nationalsozialismus
Einer der Schwerpunkte der NS-Politik lag auf der sogenannten negativen Eugenik, das heißt auf Maßnahmen zur Reduktion des vermeintlich schlechten Erbgutes (Moser 2014, 213). Bereits ein halbes Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, verabschiedete das Regime daher bereits das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das Gesetz erlaubte unter anderem die Zwangssterilisation nach einem entsprechenden Urteil der Erbgesundheitsgerichte (Bruchhausen und Schott 2011, 140). Ziel dieser negativ-eugenischen Maßnahme war die Verbesserung des Gesamterbgutes innerhalb des deutschen Volkes durch Einschränkung der Fortpflanzungsmöglichkeiten „Erbminderwertiger“ (Link 1999, 416). Bis zu 400 000 Menschen sind schätzungsweise im Dritten Reich zwangssterilisiert worden. Es handelte sich bei den Opfern insbesondere um Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, aber auch um Epileptiker und Alkoholiker (Proctor 2000, 71). Mit dem sogenannten „Gnadentoderlass“ Hitlers schafften die Nationalsozialisten im Oktober 1939 schließlich die Grundlage für die Euthanasie, sprich dem aktiven Töten kranker Personen nach Ermessen der ermächtigten Ärzte (Burlon 2009, 18 f.). Dabei wird die aktive Rolle der Ärzteschaft bei der Selektion sehr deutlich.
Nach stattgegebener Bitte eines Vaters um Tötung seines behinderten Kindes verpflichtete ein Erlass medizinisches Personal bereits im August 1939 zur Meldung von Kindern mit angeborenen Leiden an die Gesundheitsämter. Unter Geheimhaltung entschied schließlich der Reichsausschuss, über Transport, Leben und Tod in sogenannten Fachabteilungen. Der Kinder-Euthanasie fielen möglicherweise 8 000 Kinder zum Opfer (Bruchhausen und Schott 2011, 142). Dass Ärztinnen und Ärzte dabei im Einzelnen nicht nur ihrer Pflicht nachgingen, sondern es auch ein Interesse an Beteiligung gab, zeigen die teilweise vergebene Karrierevorteile und die Unterstützung bei Forschungsvorhaben in Form menschlicher Probanden (Burlon 2009, 25). Darüber hinaus kann der Ärzteschaft als Berufsstand auch eine gewisse ideologische Affinität unterstellt werden. So wirkte der ausgeprägte Stellenwert der Biologie in der NS-Ideologie anziehend, was sich im hohen Medizineranteil in Ämtern widerspiegelt (Proctor 2000, 68 f.).
3. Beispiele eugenischer Tendenzen der Gegenwart
Mit dem Fall der Nationalsozialisten und dem Ende der Rassenhygiene in Deutschland begann sich die deutsche Humangenetik teilweise auf dem Boden rassenhygienischer Grundgedanken zu entwickeln. Der Wunsch nach Verhütung von Erbkrankheiten und Behinderungen bleibt, der gesetzliche Zwang fehlt (Badenschier 2010). Der in Rede stehende Wunsch nach Verhütung und Vorsorge stammt inzwischen insbesondere auch aus der Gesellschaft, beispielsweise bei Inanspruchnahme einer genetischen Beratung (Schenk 2013, 433). Beispiel einer gegenwärtigen Kontroverse mit Bezug zur Eugenik ist die in Deutschland aktuell nur bedingt zugelassene Präimplantationsdiagnostik (Lindner 2016, 7). Ziel ist die Geburt eines Kindes mit oder ohne bestimmte Merkmale beziehungsweise die Selektion vor der eigentlichen Implantation (Krones 2009, 138). Das Potenzial der Präimplantationsdiagnostik reicht dabei von der überwiegend anerkannten Erkennung schwerwiegender Erbkrankheiten über die Identifikation von Risikofaktoren für Erkrankungen bis zur nicht medizinisch-begründeten Geschlechtswahl (Strowitzki 2003, 167). Es ist denkbar, dass der Wunsch nach Ende von Leid und Behinderung im Sinne der Eugenik bei einem unregulierten Einsatz der Präimplantationsdiagnostik auch das ärztliche Handeln und Denken beeinflusst und beispielsweise die Beratungen im Rahmen der Reproduktionsmedizin lenkt. Eine hohe ärztliche und gesellschaftliche Akzeptanz birgt wiederum die Gefahr der Stigmatisierung von Behinderungen samt der dazugehörigen rassenhygienischen Tendenz (Graumann 2018, 201 f.). Die Grundzüge der Debatte lassen sich auch auf die Einführung nicht-invasiver Pränataltests als Kassenleistung ausweiten (Fricke 2019). Die Brisanz ist darauf zurückzuführen, dass die Schwangerschaft bereits besteht und ein vermeintlich positives Ergebnis möglicherweise zu einem Schwangerschaftsabbruch verleitet.
Obwohl grundsätzlich kein Recht auf ein Kind ohne Behinderung existiert, lag bei einem erheblichen Teil der Schwangerschaftsabbrüche, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt worden sind, ein pathologischer Fetalbefund vor – teilweise sogar als alleinige Indikation (Almer 2010, 32). Ergebnisoffene Beratungen und umfassende Aufklärungspflichten der Ärztinnen und Ärzte sollen inzwischen das ungeborene Leben schützen und Alternativen aufzeigen (Almer 2010, 33). Nichtsdestotrotz hat allerdings auch hier eugenisches Gedankengut das Potenzial, das ärztliche Handeln zu beeinflussen und zum Beispiel die Neutralität in der Beratung einzuschränken. Zudem obliegt der Ärzteschaft auch ein gewisser Spielraum bei der Indikationsstellung, sodass eine „eugenische Indikation“ in der Rechtspraxis durchaus durch die Ärztin oder den Arzt gerechtfertigt werden kann (Almer 2010, 33 f.). Ferner wird die Präsenz eugenischer Ideen in der Debatte deutlich, wenn mit Selbstverständlichkeit über Leid und Lebenswürde geurteilt wird, ohne Betroffene dabei einzubeziehen (Graumann 2018, 200). Die Gefahr der Vergesellschaftung steigt mit der Legitimation dieser Ideen im öffentlichen Diskurs.
4. Schlussbemerkung und Ausblick
Diese Arbeit thematisierte exemplarisch die Zwangssterilisationen und die Kinder-Euthanasie im Zuge der Rassenhygiene der Nationalsozialisten als eugenische Maßnahmen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ist die aktive Rolle der Ärzteschaft hervorzuheben, die in dieser Arbeit insbesondere auf individuelle Forschungsinteressen, eine ideologische Affinität des Berufsstandes und auf den verbreiteten Wunsch nach beruflichem Aufstieg zurückgeführt wurden. Festzuhalten ist außerdem, dass es eugenische Ideen bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialismus gab und ihre Ideen bis heute präsent und erkennbar sind. Beweisend für die Gegenwärtigkeit der Eugenik sind in dieser Arbeit die Präimplantationsdiagnostik als Instrument der reproduktiven Selektion und der „eugenische“ Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der nicht-invasiven Pränatal-Diagnostik angeführt wurden. Erfahrbar wird der Einfluss eugenischer Ideen auf das ärztliche Handeln und Denken nach meiner Einschätzung vor allem während einer ärztlichen Beratungssituation, die insbesondere in klinischer Umgebung von Asymmetrie geprägt ist. So besteht in meinen Augen die Gefahr einer mangelnden Neutralität und dem (subtilen) Anraten von diagnostischen Möglichkeiten oder selektiven Konsequenzen. Folgt man dieser Auffassung, so besteht mit einer breiten ärztlichen Legitimation eugenischer Praktiken auch durchaus die Gefahr der Vergesellschaftung und der Manifestation eugenischer Tendenzen. Die in der Arbeit skizzierten Potenziale der Reproduktionsmedizin sind in meinen Augen bereits Indizien für die unvermeidbare Etablierung der Eugenik. Meines Erachtens bietet diese Entwicklung bei sorgfältiger ethischer Analyse und Regulierung aber zahlreiche Chancen.
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- Citation du texte
- Pascal Götz (Auteur), 2021, Von der Eugenik zur Humangenetik. Ein kurzer Essay, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1132249