War es in den letzten Jahrzehnten möglich bzw. wird es in naher Zukunft voraussichtlich möglich sein, Wirtschaftswachstum von ökologischen Schäden und dem Erdressourcenverbrauch zu entkoppeln?
Der vergangenheitsorientierte Teil der Frage soll durch Untersuchung ökologisch-ökonomischer Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und anhand einer Momentaufnahme geklärt werden. Der Blick in die nahe Zukunft erfolgt durch genauere Betrachtung der Instrumente, welche heute mit dem Ziel einer Realisierung der ökologischen Wende angewendet werden.
Paechs Argumentation über die Unmöglichkeit einer Entkopplung geht seinem Entwurf einer „Postwachstumsökonomie“ voraus. In diesem skizziert er den Weg zu einer wachstumslosen Wirtschaft sowie deren Erscheinungsbild.
Aus der Fragestellung soll eine Aussage über die ökologische Notwendigkeit einer wachstumslosen Wirtschaft und damit auch über die ökologische Notwendigkeit der Postwachstumsökonomie folgen, welche dieser Arbeit als konkretes, stellvertretendes Konzept für eine Wirtschaft ohne Wachstum dienen soll. War die Entkopplung möglich oder wird sie dies voraussichtlich in naher Zukunft sein, so soll weiteres Wachstum als nicht problematisch und eine Wirtschaft ohne Wachstum bzw. eine Postwachstumsökonomie als ökologisch nicht notwendig gelten. Im gegensätzlichen Fall gelte die beschriebene Schlussfolgerung in invertierter Form. Die Arbeit soll klären, ob bisher gewählte Maßnahmen in der Lage waren, die ökologische Wende einzuleiten bzw. ob sie dazu in naher Zukunft in der Lage sein könnten oder ob eine Wende einzig über nachhaltige Lebensstile und eine Wirtschaft ohne Wachstum zu erreichen ist.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Ansätze und Kritik von Ökonomien ohne Wirtschaftswachstum
2.1 Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit
2.2 Postwachstumsökonomie nach Niko Paech
2.3 Probleme bei der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umwelt
2.4 Kritische Betrachtung
3 Untersuchung ökologisch-ökonomischer Entwicklungen
3.1 Verbrauch fossiler Brennstoffe
3.2 Klimawandel
4 Zwischenfazit
5 Instrumente und Beispiele zur Realisierung der ökologischen Wende
5.1 Effektive Klimaschutzpolitik: Pro-Kopf-CO2-Budget
5.2 Ökologisch sinnvolle Energieversorgung: Ausbau Erneuerbarer Energien
5.3 Innovative Technologien: Kernfusionsenergie, Carbon capture and storage
6 Zusammenfassung und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
BIP Bruttoinlandsprodukt
BWP Bruttoweltprodukt
CCS Carbon capture and storage
CO2 Kohlenstoffdioxid
EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz
ITER lat.: iter – der Weg, engl.: International Thermonuclear Experimental Reactor (vormalige Bezeichnung)
Kap. Kapitel(n)
kWh Kilowattstunde
l / km Liter pro Kilometer
Mio. Million(en)
Mrd. Milliarde(n)
PEB Primärenergiebedarf
ppm parts per million
PV Photovoltaik
t Tonne(n)
USD US-Dollar
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Entwicklung von globalem Primärenergiebedarf und Weltbevölkerung, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015. Eigene Darstellung. Datenquellen: BP Statistical Review of World Energy June 2016, ERS International Macroeconomic Data Set.
Abbildung 2 Entwicklung von Bruttoweltprodukt und globalem Primärenergiebedarf, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015. Eigene Darstellung. Datenquellen: BP Statistical Review of World Energy June 2016, ERS International Macroeconomic Data Set.
Abbildung 3 Aufteilung des globalen Primärenergiebedarfs in die verschiedenen verwendeten Energieträger, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015. Eigene Darstellung. Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy June 2016.
Abbildung 4 Aufteilung des globalen Primärenergiebedarfs in die verschiedenen verwendeten Energieträger im Jahr 2015. Eigene Darstellung. Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy June 2016.
Abbildung 5 Deutschland: Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und Primärenergiebedarf, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015. Eigene Darstellung. Datenquellen: BP Statistical Review of World Energy June 2016, ERS International Macroeconomic Data Set.
Abbildung 6 Deutschland: Aufteilung des Primärenergiebedarfs in die verschiedenen verwendeten Energieträger, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015. Eigene Darstellung. Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy June 2016.
Abbildung 7 Global installierte Photovoltaik- und Windenergiekapazitäten, dargestellt im Verlauf der Jahre 1996-2015. Eigene Darstellung. Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy June 2016.
Abbildung 8 Globale Reichweiten nachgewiesener Reserven an fossilen Brennstoffen. Eigene Berechnungen und Darstellung. Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy June 2016.
Abbildung 9 Aufteilung des globalen Primärenergiebedarfs in die verschiedenen verwendeten Energieträger zzgl. der Reserven an Erdöl und Erdgas, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015. Eigene Darstellung. Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy June 2016.
Abbildung 10 Temperaturveränderung des globalen Klimas bezogen auf das Basisjahr 1880, dargestellt im Verlauf der Jahre 1880 bis 2016. Eigene Darstellung. Datenquelle: NASA global land-ocean temperature index.
Abbildung 11 Beispiele für globale Emissionspfade für den Zeitraum 2010-2050, bei denen global 750 Mrd. t CO2 emittiert werden. Quelle: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2009), S. 15 f.
Abbildung 12 Pro-Kopf-Emissionen von CO2 im Jahr 2005, differenziert nach Emissionsniveau und Land. Quelle: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2009), S. 19.
Abbildung 13 Entwicklung von Bruttoweltprodukt und globalen CO2-Emissionen, dargestellt im Verlauf der Jahre 1980-2015 im Vergleich mit dem im Zeitraum von 2016-2050 jährlich zulässigen CO2-Budget. Eigene Berechnung und Darstellung. Quellen: BP Statistical Review of World Energy June 2016, ERS International Macroeconomic Data Set
Abbildung 14 Stromgestehungskosten für erneuerbare Energien und konventionelle Kraftwerke an Standorten in Deutschland im Jahr 2013. Quelle: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (2013), S. 2.
1 Einleitung
Ansteigen des Meeresspiegels, Abholzung des Regenwaldes, Verlust der Artenvielfalt – das Wissen um die ökologischen Kosten von Konsum und Mobilität ist heutzutage in der Breite der Gesellschaft angekommen. Politisch und technologisch werden Wege gesucht, Umweltschäden zu reduzieren unter gleichzeitiger Beibehaltung des Wirtschaftswachstums. Von Wachstumskritiker*innen hingegen wird proklamiert, dass das Wachstum selbst das Problem sei und nicht etwa die Art, auf welche dieses erzeugt werde. Das Wachstum selbst sei schuld an Zerstörungen und Veränderungen der Umwelt, was für die internationale Stabilität eine Gefährdung darstelle und die Menschheit bedrohe.
Laut dem Volkswirt und ehemaligen Professor der Universität Oldenburg Niko Paech ist Wirtschaftswachstum nach ganzheitlicher Betrachtung bei gleichzeitiger Reduktion von Umweltschäden und sinkendem Ressourcenverbrauch nicht möglich. Diese Auffassung widerspricht der alltäglichen Wahrnehmung. So werden doch bspw. immer effizientere Pkw entwickelt, die Menge der im Rahmen des Recyclings wiederverwerteten Rohstoffe steigt immer weiter an und Erneuerbare Energien sowie die Elektromobilität sind zentrale Themen der Gegenwart. Auf die Energiewende werden vonseiten der Politik und des Großteils der Bevölkerung große Hoffnungen gesetzt. Dass Paech dieser Hoffnung, welche sich aus den „grünen Technologien“ speist, eine Absage erteilt, führt zur Fragestellung dieser Arbeit.
„War es in den letzten Jahrzehnten möglich bzw. wird es in naher Zukunft voraussichtlich möglich sein, Wirtschaftswachstum von ökologischen Schäden und dem Erdressourcenverbrauch zu entkoppeln?“
Der vergangenheitsorientierte Teil der Frage soll durch Untersuchung ökologisch-ökonomischer Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und anhand einer Momentaufnahme geklärt werden. Der Blick in die nahe Zukunft erfolgt durch genauere Betrachtung der Instrumente, welche heute mit dem Ziel einer Realisierung der ökologischen Wende angewendet werden.
Paechs Argumentation über die Unmöglichkeit einer Entkopplung geht seinem Entwurf einer „Postwachstumsökonomie“ voraus. In diesem skizziert er den Weg zu einer wachstumslosen Wirtschaft sowie deren Erscheinungsbild.
Aus der Fragestellung soll eine Aussage über die ökologische Notwendigkeit einer wachstumslosen Wirtschaft und damit auch über die ökologische Notwendigkeit der Postwachstumsökonomie folgen, welche dieser Arbeit als konkretes, stellvertretendes Konzept für eine Wirtschaft ohne Wachstum dienen soll. War die Entkopplung möglich oder wird sie dies voraussichtlich in naher Zukunft sein, so soll weiteres Wachstum als nicht problematisch und eine Wirtschaft ohne Wachstum bzw. eine Postwachstumsökonomie als ökologisch nicht notwendig gelten. Im gegensätzlichen Fall gelte die beschriebene Schlussfolgerung in invertierter Form. Die Arbeit soll klären, ob bisher gewählte Maßnahmen in der Lage waren, die ökologische Wende einzuleiten bzw. ob sie dazu in naher Zukunft in der Lage sein könnten oder ob eine Wende einzig über nachhaltige Lebensstile und eine Wirtschaft ohne Wachstum zu erreichen ist.
Kapitel 2 soll die zentralen in der Arbeit verwendeten Begriffe definieren. Durch die Vorstellung von Paechs Konzept der Postwachstumsökonomie sowie der Entkopplungsproblematik soll ein theoretisches Fundament für später stattfindende Untersuchungen gelegt werden. In Kapitel 3 werden ausgewählte Rohdaten zu Wirtschaftswachstum, Energiebedarf, Ressourcenverbrauch und Klimawandel aus dem Zeitraum von 1980-2015 analysiert und grafisch dargestellt. Außerdem werden auf Grundlage dieser Datenbasis eigene Berechnungen durchgeführt, um die Sachverhalte tiefergehend zu untersuchen und den Status quo exakter aufzunehmen. In Kapitel 4 schließt die vergangenheitsbezogene Betrachtung ab und beantwortet die Frage, ob im untersuchten Zeitraum eine erfolgreiche Entkopplung festgestellt werden konnte – ein Zwischenfazit wird gezogen. In Kapitel 5 wird sodann analysiert, welches Potenzial bisherige Ansätze haben, die ökologische Wende in naher Zukunft herbeizuführen. Die nahe Zukunft sei als die kommenden 50 Jahre – d. h. als der Zeitraum von 2018-2067 – definiert. Aufgrund des schnellen technologischen Wandels wurde bei der Recherche zu diesem Kapitel hoher Wert auf gegenwartsnahe Erscheinungen gelegt, um auf diese Weise die Aktualität der Arbeit gewährleisten zu können. In vorliegender Arbeit liegt der Fokus auf den ökologisch-ökonomischen Entwicklungen. Dementsprechend wurde lediglich die ökologische Notwendigkeit einer Postwachstumsökonomie untersucht, nicht aber deren soziale Notwendigkeit bzw. die soziale Notwendigkeit von Wachstum. Zu sozioökonomischen Fragen wurde im globalen Maßstab keine hinreichend kompakte Datenbasis gefunden. Diese wurden daher im Rahmen dieser Bachelorarbeit nicht näher behandelt. Offene Fragen diesbezüglich sollen jedoch im Ausblick Erwähnung finden und dort den weiteren Forschungsbedarf aufzeigen. Außerdem soll an jener Stelle auf die Realisierbarkeit einer Postwachstumsökonomie eingegangen werden. Die hierbei zu berücksichtigenden Problemstellungen werden aufgezeigt.
2 Ansätze und Kritik von Ökonomien ohne Wirtschaftswachstum
2.1 Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit
Unter Wachstum wird in dieser Arbeit wirtschaftliches Wachstum in Form einer „Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft“ verstanden, welches durch die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgedrückt wird.1 Als Produktionsmaß gibt „das BIP Auskunft über die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Inland". Vorleistungen und Importe werden abgezogen, um den Wert des BIP zu ermitteln.2 Durch das 1967 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ist Wachstum in Deutschland als politisches Ziel rechtlich vorgegeben. Laut § 1 des Gesetzes sind wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen „so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“.3
Am Wirtschaftswachstum geäußerte Kritik bezieht sich auf dessen als schädlich wahrgenommene Folgen ökologischer, ökonomischer, politischer und sozialer Art. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf den ökonomisch-ökologischen Wechselwirkungen und untersucht die Notwendigkeit einer Wirtschaft ohne Wachstum aus ökologischer Sicht.
Im Jahr 1972 veröffentlichte der Club of Rome eine Studie über die „Grenzen des Wachstums“ mit eben jenem Titel, welche den Diskurs hierzu stark prägte.4 Erst von diesem Zeitpunkt an wurden Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung im großen Umfang wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch thematisiert.5
Wachstumskritiker*innen sprechen der aktuellen Wirtschaftsleistung sowie der Höhe des Konsum- und Mobilitätsniveaus die Nachhaltigkeit ab. Eine nachhaltige Entwicklung soll in vorliegender Arbeit im Sinne der intergenerationellen, globalen Gerechtigkeit verstanden werden.6 Das Ziel einer solchen Entwicklung sei „die Sicherung der Lebens- und Produktionsgrundlagen“ durch den globalen und dauerhaften Erhalt der Umwelt sowie „die Entwicklung und Stabilisierung des Wirtschafts- und Sozialverhaltens“.7
2.2 Postwachstumsökonomie nach Niko Paech
Niko Paech gilt als renommierter, zeitgenössischer Vertreter der Postwachstums-Bewegung.8 Er entwickelt die Darlegungen der ersten Welle der Wachstumskritik aus den 1970er Jahren weiter9 und setzt sich „systematisch mit Ansätzen zu einer ökologischen Ökonomie jenseits des Wachstums“ auseinander.10 Seine Postwachstumsökonomik bietet einen analytischen Rahmen zur Untersuchung des Zusammenhangs „zwischen nachhaltiger Entwicklung und Wirtschaftswachstum“, während die Postwachstumsökonomie als konkreter Zukunftsentwurf zu verstehen ist, welcher im Folgenden näher beschrieben wird. Im Normalfall wird in dieser Arbeit unter dem Begriff der Postwachstumsökonomie eine Wirtschaft ohne Wachstum verstanden. Ist ausschließlich von Paechs Entwurf die Rede, so wird dies explizit erwähnt.
Während Umweltökonomik und Ökologische Ökonomik „auf eine ökologische Entkopplung“ des Bruttoweltprodukts (BWP) abzielen, so ist diese laut Paech nicht zu erreichen. Bei seinem Entwurf liegt der Fokus auf der Reduktion arbeitsteiliger und monetarisierter Wertschöpfung und deren Substitution „durch entmonetarisierte Versorgungspraktiken“. Paech propagiert einen „Kulturwechsel zu einer Marktwirtschaft ohne Wachstum“ mit ethisch handelnden Unternehmen und Konsumenten. Er spricht sich für weniger „globale Arbeitsteilung, Erwerbsarbeit und Belieferungsbedürftigkeit “ sowie für mehr Eigenarbeit und lokale Einbindung aus.11 Kritisiert wird die konsum- und mobilitätsfixierte Kultur, welche eine Überbeanspruchung der Natur zur Folge habe.12 Mithilfe seines Entwurfs einer Postwachstumsökonomie möchte Paech Veränderungswissen und Handlungsoptionen generieren, um die „Überwindung der Wachstumsorientierung praktisch umsetzen zu können“.13
Das Konzept der Postwachstumsökonomie ist zwischen den beiden Polen „Fundamentaler Systemwechsel“ und „Modernisierung im System“ einzuordnen.14 Eine Modernisierung innerhalb des bestehenden Systems wird durch Konzepte für einen politisch forcierten Green New Deal versucht, welche auf einen technologischen Umbau und eine Erhöhung der ökologischen Effizienz abzielen. Eine neue Phase dauerhaften Wachstums soll durch einen staatlich begünstigten Innovationsschub im Bereich der umweltfreundlichen Technologien erreicht werden. Technischer Fortschritt wird als ökologischer Problemlöser angesehen. Effizienz und Innovationen sollen dazu führen, ökologische Schäden zu mindern bei gleichzeitigem Erhalten von Wohlstand und Freiheit in Form von Konsum- und Mobilitätsmustern. Die Kategorie der Systemmodernisierung gilt als optimistisch und als konservativ, was gesellschaftliche Strukturen und Lebensformen betrifft und bildet den Mainstream des Nachhaltigkeitsdiskurses. Die Position ist in der Bevölkerung weit verbreitet und wird von Funktionseliten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft geteilt, welche sich zunehmend an Konzepten eines Green New Deals orientieren.15
Paech traut dem technischen Fortschritt die Lösung von Umweltproblemen nicht zu, da der Fortschritt diese erst verursacht habe. Im Gegensatz zu den ökologischen Modernisierern glaubt er nicht an die Machbarkeit eines Green New Deal.16 Innovationen würden von vielen Menschen unterstützt, da diese eine bequeme Lösung seien, bei welcher sich der Mensch nicht ändern müsse und „Bedarfe, Konsumansprüche und Lebensweisen“ nicht zu hinterfragen habe.17 Laut Paech seien Ansätze, ökologische Schäden von Wirtschaftswachstum absolut zu entkoppeln, jedoch zum Scheitern verurteilt.18 Begründet wird diese Position im folgenden Kapitel 2.3. Ursachen für ökologische Probleme sieht er vor allem in gesell-schaftlichen Verhältnissen verortet. Er propagiert einen sozialökologischen Wandel innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaft, auf welchen in dieser Arbeit ab Seite 5 näher eingegangen wird.19 Eigentums- und Marktprinzipien werden im Gegensatz zum Konzept des Ökosozialismus „nicht abgelehnt, sondern grundsätzlich befürwortet“.20
Für Paech liegt der Wohlstand wirtschaftlich gut situierter Länder nicht in Innovationen, Effizienzfortschritten oder einer Mehrung des Wissens begründet; allein die ökologische Plünderung sei hierfür verantwortlich. Diese werde durch vorgenannte Punkte beschleunigt und perfektioniert. Der Bedarf des Menschen sei heute auf drei verschiedene Arten entgrenzt, was bedeute, dass der Mensch auf dreifache Weise über seine Verhältnisse lebe. Eine zeitliche Entgrenzung sieht er in der stetig wachsenden Staatsverschuldung und darin, dass der Mensch heute Probleme verursache, die in der Zukunft von nachfolgenden Generationen gelöst werden müssten. Räumliche und körperliche Entgrenzung läge vor, da der Wohlstandsmensch Ressourcen und Arbeits-kraft weit entfernter Regionen beanspruche; er konsumiere Dinge, zu deren Produktion er mittels eigener Fähigkeiten nicht in der Lage wäre.21
Paech zeigt viele Abhängigkeiten der westlichen Gesellschaft auf. So sei das derzeitige System auf günstig zu erwerbendes Öl und andere materielle Ressourcen wie verschiedene anorganische Elemente angewiesen.22 Der Einzelne sei vom Geld abhängig, da er durch das komfortable Fremdversorgungsmodell beinahe alle Produkte konsumiere und kaum etwas selbst herstelle.23 Die Fremdversorgungs-abhängigkeit erhöhe somit das Risiko eines sozialen Absturzes bei Wegfall von Arbeitsplätzen, Preiserhöhungen oder dem Ausbleiben der Zufuhr kritischer oder lebensnotwendiger System-Inputs.24 Der Mensch sei vom volatilen Marktgeschehen abhängig, da er die Fähigkeiten zur Selbstversorgung zugunsten von spezialisierter Erwerbsarbeit aufgegeben habe.25 So wäre laut Paech die Existenz der Menschheit gefährdet, hätten „alle Supermärkte der Welt vier Wochen lang geschlossen“.26 Die Geldabhängigkeit wachse mit den kulturell induzierten Ansprüchen an die materielle Selbstverwirklichung.27 Paech spricht sich also aus verschiedensten Gründen gegen weiteres Wachstum aus. Negative Folgen einer schrumpfenden Wirtschaft wie steigende Arbeitslosigkeit will er durch seinen Zukunftsentwurf abfedern. Durch Paechs vorgeschlagene Maßnahmen sollen der Einzelne bzw. kleine lokale Kollektive unabhängiger und resilienter werden.
Sowohl angebotsseitige Wachstumszwänge als auch nachfrageseitige Wachstums-imperative werden von ihm beschrieben. Spezialisierte Unternehmen benötigten in der Regel mehr Kapital. So müssten diese Produktionsanlagen und Inputfaktoren vorfinanzieren, wobei die hierfür nötige Rückzahlung der Kredite ein stetiges Wachstum voraussetze. Durch einen Wachstumsrückgang sei das System aufgrund dessen vielfältiger Verflechtungen in seiner Stabilität gefährdet. Daher versuche die Politik unter anderem mithilfe von Subventionen, das System künstlich zu stützen. Auf der Nachfrageseite fühlten sich viele Individuen zu stetem Wachstum gezwungen. Mithilfe von Konsumaktivitäten versuchten diese ihre soziale Stellung zu verteidigen, wozu ein sich stets erhöhender Konsumaufwand nötig sei. Durch die soziale Dynamik existiere „für die Materialisierung individueller Freiheiten“ keine Obergrenze.28
Die Realisierung des Entwurfs der Postwachstumsökonomie wäre für Paech ein Wandel der kleinen Schritte von unten.29 Die Politik sei in dieser Thematik machtlos, da die Nutznießer eines entgrenzten Lebens deutlich in der Mehrheit seien und eine Politik, die dieses stark begrenze mit dem Entzug von Wählerstimmen oder gar mit sozialen Unruhen rechnen müsste.30
Vor dem Hintergrund der global wachsenden Mittelschicht und der Tatsache, dass die Bevölkerung von Schwellenländern das westliche Konsummodell übernimmt, ließen sich ökologische Schäden nur durch eine Rückkehr zur menschlichen Mäßigung beikommen. Als Definitionsgrundlage zu letzterem könnte ein individuelles, übertragbares Kohlenstoffdioxid (CO2)- bzw. Öko-Budget dienen, welches nicht überschritten werden dürfte. In Anlehnung an Kants Kategorischen Imperativ sollte die materielle Selbstentfaltung eines jeden Menschen nur so viele Ressourcen in Anspruch nehmen, dass – würden alle Menschen derart agieren – die Tragekapazität der Erde nicht gefährdet sei.31 Wer diese Forderung ablehne, wolle "entweder keinen Klimaschutz oder keine globale Gerechtigkeit".32 In den Kapiteln 3.2 und 5 dieser Arbeit wird näher auf das CO2-Budget eingegangen.
Als Alternative einer wachstumsbasierten Versorgungform sieht Paech einen „sozialverträglichen Rück- und Umbau des Industriesystems“. Hierfür müssten angebots- und nachfrageseitige Wachstumstreiber durch die Verbreitung neuer nachhaltiger und subsistenter Versorgungsmuster überwunden werden.33
Folgende Transformationsschritte sieht er als maßgeblich an:34
Subsistenz und Regionalökonomie
Die räumlich entgrenzte, globalisierte Fremdversorgung, welche sich durch einen hohen Grad an Spezialisierung und einen großen Kapitalbedarf für die Unternehmen auszeichnet, soll soweit wie möglich durch Selbstversorgungsmuster und regionale Produktion abgelöst werden. Paech sieht hierfür ein Modell vor, welches je 20 Wochenstunden Arbeit im monetären Bereich sowie im entkommerzialisierten Bereich umfasst. Subsistenz setze Zeitreserven frei, die marktfreie Aktivitäten wie Kindererziehung, Nachbarschaftshilfe, Mitwirkung in Gemeinschaftsgärten und Reparatur von Konsumgütern ermögliche. Der Einzelne könne durch handwerkliche Fähigkeiten die Nutzungsdauer und -intensität der Produkte steigern, was die Neuproduktion und den Verbrauch materieller Ressourcen reduziere. Subsistenz-leistungen würden somit den Produktionsrückgang auffangen und ein soziales Beziehungsgeflecht erzeugen. Durch regionale Produktion werden Angebot und Nachfrage durch kürzere Transportwege miteinander verbunden, was zu Emissionsminderungen führt. Lokale Währungen sollen helfen, die Kaufkraft an die Region zu binden.
Suffizienz
Genügsamere Lebensstile seien zwangsläufig notwendig, um das ökologisch verträgliche Pro-Kopf-Budget nicht zu überschreiten. Der derzeitige materielle Wohlstand könne durch eine nachhaltige Wirtschaft ohne weiteres Wachstum nicht aufrechterhalten werden; die Höhe des heutigen globalen Konsum- und Mobilitätsniveaus sei nicht weiter tragbar und werde durch negative Skaleneffekte bei lokaler Produktion reduziert. Die vorzunehmenden Reduktionsleistungen sieht Paech weniger als Verzicht und mehr als Befreiung von materiellem Überfluss an, welcher Zeit, Geld und ökologische Ressourcen beanspruche. Während die Subsistenz die Fähigkeiten zur Selbstversorgung stärke, mindere die Suffizienz die psychische Geldabhängigkeit. Dies resultiere in einer größeren Unabhängigkeit von un-vorhersehbaren Marktdynamiken. Die menschliche Souveränität steige folglich an, während Verlustängste abnehmen würden. Mehr Konsum und mehr Optionen führten nicht bei jedem Menschen zu mehr individuellem Glück. Daher sollte die Wachstumsdoktrin nicht als alternativlos angesehen werden.
Nachhaltige Produktion
Produktionssysteme könnten derart umgestaltet werden, dass der Ressourcen-verbrauch auf ein Minimum reduziert wird. Die Neuherstellung von Produkten sollte nur noch als Ersatz für nicht mehr verwendbare Exemplare erfolgen. Im Vordergrund würden der Erhalt und die Aufwertung von vorhandenen Gütern und Infrastrukturen stehen, was im Hinblick auf Abfälle die Senken entlasten würde. Hierfür bedürfte es effizienter und konsistenter Technologien, mithilfe derer langlebige Produkte erzeugt werden, die sich durch eine hohe Reparabilität und Modularität auszeichnen. Ein Fokus sollte auf der Herstellung und Weiterentwicklung von Hilfsmitteln liegen, welche die Produktivität der menschlichen Arbeitskraft erhöhen und nicht ersetzen. Beispielsweise würden Fahrräder, mechanische Rasenmäher und Segelschiffe weniger Energieträger, Fläche und Kapital verbrauchen als motorisierte Industrieprodukte und Verkehrsmittel.
Institutionelle Innovationen
Institutionen könnten die nachhaltige Entwicklung durch Orientierung an den individuellen Öko- und CO2-Bilanzen stützen. Unternehmen könnten zur Kennzeichnung von Produkten mit einem CO2-Rucksack über den gesamten Lebenszyklus hinweg verpflichtet werden. Forciert werden könnte ein Bodenversiegelungsmoratorium und die Entsiegelung und Renaturierung von Autobahnen und Flughäfen. Durch den Rückbau von Infrastrukturen könnte hier die Installation von Produktionsanlagen für Erneuerbare Energien erfolgen. Außerdem schlägt Paech gesetzliche Härte gegen geplante Obsoleszenz vor sowie ein Bildungssystem, welches zur urbanen Subsistenz befähigt.35
Paech ist sich bewusst, dass die skizzierte Postwachstumsökonomie bisher nur bei einer kleinen Minderheit Akzeptanz findet.36 Jedoch würde die Verwundbarkeit des Systems die Wahrscheinlichkeit seiner Überwindung erhöhen. „Ressourcen-, Finanz- und Umweltkrisen“ sowie psychologische Überforderungssyndrome würden zwangsläufig Reaktionsmuster hervorbringen, „die mit der Postwachstumsökonomie vereinbar sein könnten“.37 Die Frage sei nicht, ob das bisherige wachstumsbasierte System einbräche, sondern wie: „ by design or by desaster “.38 Die Transformations-schritte würden weniger darauf abzielen, einen Systemkollaps zu verhindern, als vielmehr die Gesellschaft hierauf vorzubereiten und bereits heute resiliente Lebensstile zu erproben. Die Gesellschaft könne sodann im Falle eines Zusammenbruchs von Pionieren aufgefangen werden.39
2.3 Probleme bei der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umwelt
Bei der Entkopplung des Wachstums von Umweltschäden ist zwischen deren relativem und absolutem Charakter zu unterscheiden. Relative Entkopplung liegt vor, wenn allein „der ökologische Schaden pro Einheit“ des BWP mit der Zeit sinkt; absolute Entkopplung dann, wenn bei gleichzeitiger Steigerung des BWP ökologische Schäden absolut sinken. Wie durch die Formeln 2.1 und 2.2 veranschaulicht, wird also bei der relativen Entkopplung im zeitlichen Verlauf der Quotient aus ökologischem Schaden und BWP kleiner, während bei der absoluten Entkopplung der Zähler des Quotienten kleiner wird bei gleichzeitiger Zunahme des Nenners. Relative Entkopplung ist notwendig für absolute Entkopplung; absolute Entkopplung ist hinreichend für relative Entkopplung.40
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Formel 2.1 Eigene Darstellung der Voraussetzung für das Vorliegen einer relativen Entkopplung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Formel 2.2 Eigene Darstellung der Voraussetzung für das Vorliegen einer absoluten Entkopplung.
Eine relative Entkopplung führt per se zu „keiner Entlastung der Ökosphäre“, da zwar der Quotient insgesamt kleiner wird, nicht aber der Zähler – die absolut auftretenden ökologischen Belastungen pro Zeiteinheit.41 Relative Entkopplung ist theoretisch möglich und auch in der Praxis konnten hier bereits Erfolge nachgewiesen werden – laut Paech jedoch nur bei isolierter Betrachtung des BIP einzelner Länder. Selbst eine relative Entkopplung scheitere systematisch aufgrund einer Vielzahl an im Folgenden beschriebenen Rebound - und Verlagerungseffekten.42
[...]
1 (vgl.) Schäfer, A. (2017).
2 (vgl.) Horvath , M. (2017).
3 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) (1967).
4 vgl. Feess, E. (2017).
5 vgl. Kopfmüller, J./Grunwald, A. (2006), S. 16 f.
6 vgl. Ekardt, F. (2014), S. 27.
7 (vgl.) Schulz, W. F. et al. (2001), S. 374.
8 vgl. Jacobs, S. (2012).
9 vgl. Paech, N. (2017).
10 (vgl.) Adler, F./Schachtschneider, U. (2010), S. 198.
11 (vgl.) Adler, F./Schachtschneider, U. (2010), S. 18.
12 vgl. ebd., S. 197.
13 (vgl.) Paech, N. (2017).
14 vgl. Adler, F./Schachtschneider, U. (2010).
15 vgl. ebd., S. 113 f.
16 vgl. ebd., S. 159.
17 (vgl.) Adler, F./Schachtschneider, U. (2010), 204 f.
18 vgl. Paech, N. (2015), S. 11.
19 vgl. Adler, F./Schachtschneider, U. (2010), S. 159.
20 (vgl.) ebd., S. 197.
21 vgl. Paech, N. (2015), S. 7–56.
22 vgl. ebd., S. 67–69.
23 vgl. ebd., S. 64–66.
24 vgl. Paech, N. (2015), S. 70.
25 vgl. ebd., S. 64–67.
26 (vgl.) ebd., 64 f.
27 vgl. ebd., S. 65.
28 (vgl.) Paech, N. (2017).
29 vgl. Adler, F./Schachtschneider, U. (2010), S. 197.
30 vgl. Paech, N. (2015), S. 22.
31 vgl. Paech, N. (2015), S. 57 f.
32 (vgl.) ebd., S. 99.
33 (vgl.) Paech, N. (2017).
34 vgl. Paech, N. (2017); Paech, N. (2015), S. 113-141.
35 vgl. Paech, N. (2017); Paech, N. (2015), S. 113-141.
36 vgl. Paech, N. (2015), S. 143.
37 (vgl.) Paech, N. (2017).
38 (vgl.) Paech, N. (2015), S. 143.
39 vgl. Paech, N. (2017).
40 (vgl.) Paech, N. (2015), S. 74.
41 (vgl.) ebd., S. 93.
42 vgl. ebd., S. 74 f., 93.
- Citation du texte
- Moritz Renner (Auteur), 2017, Untersuchung einer Postwachstumsökonomie auf Notwendigkeit und Realisierbarkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1131866
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