Diese Arbeit widmet sich der forschungsleitenden Frage, welche Chancen und Risiken sich für sozialversicherungspflichtig Angestellte in Deutschland hinsichtlich einer Kapitalanlage in Aktien zum Aufbau einer adäquaten Altersvorsorge im Rahmen des Niedrigzinsumfeldes ergeben.
Im ersten Schritt wird zunächst das aktuelle Niedrigzinsniveau beschrieben. Beginnend mit der Entwicklung der Zinsen seit 1990 werden darauffolgend potenzielle Ursachen für den Rückgang des Zinsniveaus gesucht und die damit verbundenen Auswirkungen auf die private Altersvorsorge der deutschen Bevölkerung beschrieben. Im zweiten Schritt erfolgt eine Einführung in das deutsche Altersvorsorgesystem. Insbesondere wird auf das Leistungsniveau der GRV eingegangen um darauf aufbauend die Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge zu erläutern. Abschließend werden mithilfe von historischen Renditen und Schwankungen am deutschen Aktienmarkt die Chancen und Risiken einer Aktienanlage beschrieben und auf Eignung als Baustein einer privaten Altersvorsorge geprüft.
Die Absicherung des Lebensstandards im Alter stellt eine wichtige Säule des deutschen Sozialstaates dar. Zur Erfüllung dieser staatlichen Aufgabe wurde im Rahmen der Rentenreform im Jahr 1957 die umlagenfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung (GRV) nach dem BISMARCK’SCHEN Beispiel einer Sozialversicherung eingeführt. Das System, welches über Jahrzehnte die Absicherung der deutschen Bevölkerung im Alter sicherte, wird heute zunehmend kritisiert. Die anhaltende demografische Veränderung innerhalb der deutschen Bevölkerung setzt die umlagenfinanzierte GRV zunehmend unter Druck. „Die Rente ist sicher“ proklamierte bereits der CDU Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Jahr 1997 – doch reicht sie auch? Darüber hinaus belasten die Auswirkungen der Niedrigzinsphase das deutsche Altersvorsorgesystem, indem sichere Geldanlagen nicht länger ausreichende Erträge für den Aufbau einer privaten Altersvorsorge erbringen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte ein stärkerer Vermögensaufbau über Aktien bieten.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das aktuelle Niedrigzinsumfeld
2.1 Entwicklung des Zinsniveaus
2.2 Ursachen der Zinsentwicklung
2.3 Konsequenzen für die Altersvorsorge der Deutschen
3 Das Altersvorsorgesystem in Deutschland
3.1 Die drei Säulen der Altersvorsorge
3.2 Die gesetzliche Rentenversicherung
3.3 Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge für sozialversicherungspflichtige Angestellte
4 Die Aktie als Altersvorsorgeprodukt
4.1 Geldanlage in Aktien
4.2 Renditen und Schwankungen von Aktienanlagen
4.3 Geeignete Anlageformen für sozialversicherungspflichtige Angestellte
5 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung von Inflation, nominalem und realem Zinssatz in Prozent in Deutschland von 1993 bis 2020
Abbildung 2: Struktur des Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland
Abbildung 3: Altersvorsorgekostenindex (AKIX)
Abbildung 4: Entwicklung des Altersquotienten 65+/20-64 bis 2060 (in Prozent)
1 Einleitung
Die Absicherung des Lebensstandards im Alter stellt eine wichtige Säule des deutschen Sozialstaates dar.1 Zur Erfüllung dieser staatlichen Aufgabe wurde im Rahmen der Rentenreform im Jahr 1957 die umlagenfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung (GRV) nach dem BISMARCK'SCHEN Beispiel einer Sozialversicherung eingeführt.2 Das System, welches über Jahrzehnte die Absicherung der deutschen Bevölkerung im Alter sicherte, wird heute zunehmend kritisiert.3 Die anhaltende demografische Veränderung innerhalb der deutschen Bevölkerung setzt die umlagenfinanzierte GRV zunehmend unter Druck. „Die Rente ist sicher“4 proklamierte bereits der CDU Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Jahr 1997 - doch reicht sie auch? Darüber hinaus belasten die Auswirkungen der Niedrigzinsphase das deutsche Altersvorsorgesystem, indem sichere Geldanlagen nicht länger ausreichende Erträge für den Aufbau einer privaten Altersvorsorge erbringen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte ein stärkerer Vermögensaufbau über Aktien bieten Aus diesem Grund widmet sich diese Arbeit der forschungsleitenden Frage, welche Chancen und Risiken sich für sozialversicherungspflichtig Angestellte in Deutschland hinsichtlich einer Kapitalanlage in Aktien zum Aufbau einer adäquaten Altersvorsorge im Rahmen des Niedrigzinsumfeldes ergeben.
Im ersten Schritt wird zunächst das aktuelle Niedrigzinsniveau beschrieben. Beginnend mit der Entwicklung der Zinsen seit 1990 werden darauffolgend potenzielle Ursachen für den Rückgang des Zinsniveaus gesucht und die damit verbundenen Auswirkungen auf die private Altersvorsorge der deutschen Bevölkerung beschrieben. Im zweiten Schritt erfolgt eine Einführung in das deutsche Altersvorsorgesystem. Insbesondere wird auf das Leistungsniveau der GRV eingegangen um darauf aufbauend die Notwendigkeit der privaten Altersvorsorge zu erläutern. Abschließend werden mithilfe von historischen Renditen und Schwankungen am deutschen Aktienmarkt die Chancen und Risiken einer Aktienanlage beschrieben und auf Eignung als Baustein einer privaten Altersvorsorge geprüft.
In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten sind dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
2 Das aktuelle Niedrigzinsumfeld
2.1 Entwicklung des Zinsniveaus
Zinsen nehmen in einer Volkswirtschaft eine zentrale ökonomischen Größe für Markteilnehmer ein.5 Für private Akteure stellt der Zins bspw. ein wesentliches Kriterium beim Treffen von Anlageentscheidungen dar. Unternehmen nutzen den Zins zum abwägen von Investitionsalternativen und als Merkmal für Fremdkapitalkosten. In der politischen Öffentlichkeit gilt die Entwicklung der Zinsen als Indikator für die aktuelle oder zu erwartende gesamtwirtschaftliche Situation.6 Des Weiteren beeinflussen Zinsänderungen regelmäßig die Aktienkurse an internationalen Börsen.7
Im Allgemeinen kann der Zins als Preis für die vorübergehende Überlassung von Kapital beschrieben werden.8 Dabei sind die Geld- und Kapitalmärkte nicht von einem einheitlichen Zinssatz, sondern vielmehr von zahlreichend koexistierenden Zinsgrößen geprägt.9 Die absolute Höhe des Zinssatzes hängt unter anderem von der Länge des Zeitraums ab, in welchem das überlassende Kapital zur Nutzung bereitgestellt wird (zeitliche Dimension). Gleichzeitig beeinflusst die Zahlungsfähigkeit (Bonität) des Schuldners die Höhe des Zinssatzes erheblich.10 Da der Zins als Entgelt für die temporäre Überlassung von Kaufkraft aufgefasst werden kann, ist die (erwartete) Inflationsrate als weitere substanzielle Determinante mit Auswirkung auf die Zinshöhe zu nennen.11 Die Differenz aus dem nominalen Zinssatz und der (erwarteten) Inflationsrate bildet den sog. realen Zinssatz.12 Folglich kommt es nur dann zu einem Vermögenswachstum, wenn der nominale Zinssatz die (erwartete) Inflationsrate übersteigt. Aus diesem Grund ist der reale Zinssatz der wichtigere Zinssatz für Konsumentscheidungen der Haushalte und Investitionsentscheidungen der Unternehmen.13
In der Eurozone14 genießt die Bundesanleihe aufgrund ihrer hohen Sicherheit und Marktliquidität einen sog. Benchmark-Status.15 Die aus dem jeweiligen Handelskurs resultierende Rendite beschreibt den risikolosen Zins und damit einen der wichtigsten Zinssätze innerhalb der Eurozone.16 Die Abb. 1 zeigt die durchschnittliche Entwicklung der Renditen von langfristigen deutschen Staatsanleihen (nominalen Zinsen), die Inflationsraten und dem sich daraus bildenden realen Zinssatz in Deutschland ab 1993. Die realen Zinsen in Deutschland sind seit 1995 gesunken und seit 2015 sogar negativ. In Verbindung mit einer langanhaltenden Phase niedriger Inflationsraten, ist es zu einem Rückgang der nominalen Zinsen von 6,87 % im Jahr 1994 bis hin zum aktuell historisch niedrigen Niveau von -0,51 % gekommen.17
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nominaler Zinssatz —Inflation Realer Zinssatz
Abbildung. 1: Entwicklung von Inflation, nominalem und realem Zinssatz in Prozent in Deutschland von 1993 bis 2020 (Quelle: Eigene Berechnungen in Anl. an Statistisches Bundesamt(2021); Oesterreichische Nationalbank (2021))
Der Rückgang der realen Zinsen ist nicht nur auf Deutschland beschränkt.18 Empirische Daten zeigen, dass der globale Realzins für sichere und liquide Aktiva seit 1880 « 1,5 % betrug. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der reale Zins temporär auf « 3 % an. Daraufhin ist seit 1980 ein sinkender Trend der realen Zinsen bis auf den heutigen Wert zu beobachten.19 Ebenso sprechenBlanchard et al. (201 4) von einemzunehmend „globalen Zinssatz“, welchen die Autoren durch einen immer enger werdenden Interquartilsbereich begründen,20 welcher wiederum die Streuung der verschieden Zinssätze einzelnen Länder um ihr arithmetisches Mittel beschreibt.21
2.2 Ursachen der Zinsentwicklung
Über die Ursache der (weltweit) sinkenden Nominal- und Realzinsen wird in der Wissenschaft teils kontrovers diskutiert. Häufig wird auch der EZB für die von ihr ausgeführten expansiven Geldpolitik die Schuld an der anhaltenden Niedrigzinsphase gegeben.22 Im Folgenden wird daher ein Überblick über die verschiedenen strukturellen Faktoren, welche im Zusammenhang mit dem gesunkenen Zinsniveau stehen könnten, gegeben.
Da der Zinssatz als Preis für die Überlassung von Kapital verstanden werden kann,23 könnten verschiedene Veränderungen im Kapitalangebot und der Kapitalnachfrage mögliche Ursachen eines fallenden Zinssatzes sein. Ein fallender Zinssatz lässt sich zunächst durch ein erhöhtes Kapitalangebot, eine sinkende Kapitalnachfrage oder eine Kombination beider Faktoren erklären.24
Das Kapitalangebot in einer Volkswirtschaft wird durch Sparer bereitgestellt und ergibt sich aus den Ersparnissen der privaten Haushalte.25 Der Anteil der Ersparnisse bezogen auf das Einkommen wird als Sparquote bezeichnet. Wesentliche Faktoren für eine potenzielle Erhöhung der globalen Sparquote ist die Demografie, die Einkommensungleichheit und die Integration von Entwicklungs- und Schwellenländer in das internationale Handelssystem und in die internationalen Kapitalmärkte.26
Der demografische Wandel ist ein Ergebnis aus einer gestiegenen Lebenserwartung sowie sinkender Fertilität.27 Bei einer steigenden Lebenserwartung und einem gleichbleibenden Renteneintrittsalter, steigt die Lebenszeit im Ruhestand, sodass ein wachsender Bedarf an Altersvorsorge für die Bevölkerung entsteht. Werden vor diesem Hintergrund die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsgeneration, die in den 1970er und 1980er Jahren in das Berufsleben eingestiegen sind, betrachtet, erscheint ein Anstieg des Kapitalangebotes aufgrund steigender Sparleistung sinnhaft.28 Der Trend zur höheren Sparleistung wird darüber hinaus durch die in Schieflage geratenen umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme verstärkt.29
Neben den Auswirkungen des demografischen Wandels kann auch eine zunehmende Einkommensungleichheit das Kapitalangebot erhöhen und zu sinkenden Nominal- und Realzinsen führen.30 Während die globale Einkommensungleichheit seit den 1980er Jahren weltweit durch den Aufstieg von Schwellenländern abgenommen hat, verstärkt sich in vielen, insbesondere in einigen hochentwickelten Ländern wie den USA, die Einkommensungleichheit.31 Einkommensschwache Haushalte wenden einen Großteil ihres Einkommens für Konsumzwecke auf. Auch ein zusätzlicher Anstieg des Haushaltseinkommens würde größtenteils konsumiert werden. Im Vergleich zu den einkommensschwachen Haushalten entfällt dagegen nur ein geringer Teil des Einkommens der einkommensstarken Haushalte auf den Konsum. Der weitaus größere Teil wird gespart. Ein Anstieg des Einkommens führt deswegen eher zu einem Anstieg im Sparverhalten.32 In Folge dessen erhöht sich das Kapitalangebot bei gleichbleibender Kapitalnachfrage. Der Realzins sinkt.
Ein weiterer Grund für ein potenziell gestiegenes Kapitalangebot ist in den allgemein hohen Sparquoten der Schwellenländer zu finden.33 Entwicklungs- und Schwellenländer sind grundsätzlich von einem hohen Investitionsbedarf geprägt.34 Umso beeindruckender ist es, dass die Schwellenländer trotz des Investitionsbooms der letzten zwei Jahrzehnte die getätigten Investitionen aus Ersparnissen finanzieren konnten.35
Neben den beschriebenen Hinweisen auf ein erhöhtes Kapitalangebot, könnte eine gesunkene Kapitalnachfrage ebenso Treiber eines rückläufigen Realzinses sein. Daher werden im Folgenden mögliche Ursachen einer gesunkenen Nachfrage beleuchtet.
Für Fuest/Wollmershäuser (2020) ist das vor allem für Industrieländer gesunkene Trendwachstum und die damit einhergehenden geringe Investitionsnachfrage innerhalb dieser Länder ein möglicher Auslöser für eine geringe Nachfrage nach Kapital.36 In Verbindung mit einem gesunkenen Trendwachstum steht ein Rückgang der relativen Preise für Investitionsgüter. Die Preise für Maschinen und Anlagen sind relativ um 40 - 60 % zu Konsumgüterpreisen gefallen.37 Umstritten ist, ob die niedrigeren relativen Preise von Kapitalgütern bei gleicher Investitionshöhe zu einem Rückgang der Kapitalnachfrage führen, oder die geringeren relativen Preise zu erhöhten Investitionen gegenüber dem Ausgangszustand führen und folglich ein Anstieg der Nachfrage die Kapitalnachfrage erhöht.38 Die Wirkungen kompensieren sich gegebenenfalls gegenseitig, sodass die Kapitalnachfrage nicht weiter beeinflusst wird.
Darüber hinaus haben immaterielle Produktionsfaktoren wie geistiges Eigentum (z.B. Patente, Software und Markenrechte) gegenüber materiellen Produktionsfaktoren (z.B. Fabriken und Maschinen) in der Vergangenheit zunehmen an Bedeutung gewonnen.39 Immaterielle Produktionsfaktoren fordern üblicherweise einen höheren Einsatz an Humankapital und einen geringen Kapitaleinsatz.40 In logischer Konsequenz sinkt die Kaptalnachfrage.
Hinweise auf eine gesunkene Kapitalnachfrage gibt der stagnierende bzw. fallende Anteil der Erwerbsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung in vielen Industrieländern, wodurch die Anzahl an profitablen Investitionsmöglichkeiten sinkt.41 In Deutschland beträgt beispielsweise das Reproduktionsniveau nur noch bei 1,54 Kinder pro Frau.42
Abschließend erfolgt eine separate Beschreibung möglicher Ursachen für das Fallen des risikolosen Zinssatzes43, dessen Höhe als Basis die Rendite weiterer Kapitalanlagen beeinflusst.44 Der risikolose Zins, oder anders ausgedrückt, die Kapitalrendite einer Anlage, bildet sich durch Angebot und Nachfrage.45 Risikolose Wertpapier können nur durch einige wenige Staaten und Finanzintermediäre emittiert werden. Die Anzahl dieser Akteure und damit auch das Angebot an risikolosen Anlagen ist seit der Finanzmarktkrise 2008 und der darauffolgenden Eurokrise gefallen.46 Treiber dieser Entwicklung sind die schlechteren Bonitätseinstufungen von Ratingagenturen für einige Staaten in der Eurozone,47 eine Neubewertung des Kreditrisikos von verbrieften Wohnungsbaudarlehen in den USA48 und der drastische Abbau der Schuldenquote von « 80 % auf «. 60 % in Deutschland.49
Dem verringerten Angebot an risikofreien Kapitalanlagen steht gleichzeitig eine erhöhte Nachfrage nach eben solchen Anlagen gegenüber. Anlass der erhöhten Nachfrage stellen die Ankaufprogramme der EZB im Rahmen ihrer Geldpolitik zur Einhaltung der Preisniveaustabilität dar.50 Gleichzeitig erhöht die gestiegene Sparneigung verschiedener Akteure in Kombination mit einem höheren Bedürfnis nach sicheren Anlagen, die Nachfrage.
Darüber hinaus führten höhere Anforderungen der Aufsicht an die Liquiditätspolster der Banken zu einer weiteren Erhöhung der Nachfrage.51
2.3 Konsequenzen für die Altersvorsorge der Deutschen
Die kausalen Wirkungsmechanismen für das Niedrigzinsniveau zu identifizieren, wird noch eine längere Zeit dauern. Die Auswirkungen der Niedrigzinsen auf den Sparer und seine Altersvorsorge lassen sich jedoch kurzfristig erkennen.52
Um die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die Altersvorsorge der Deutschen zu beschreiben, ist zunächst die Struktur des Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland bedeutend. Den Großteil ihres Vermögens halten private Haushalte derzeit in Bargeld sowie in Sichteinlagen. Seit 2000 steigt der prozentuale Anteil dieser Anlageklassen, indem eine Umschichtung von sonstigen Einlagen zugunsten des Bankguthabens (einschl. Bargeld) zu beobachten ist. Insgesamt beträgt der Anteil an Bank- und Sichteinlagen 40,3 % des gesamten Geldvermögens.53 Daneben investierten die deutschen Haushalte seit 1991 einen zunehmend höheren Anteil ihres Geldvermögens in Versicherungen. Zum Ende des Jahres 2019 betrug dieser Anteil ca. 35 % am gesamten Geldvermögen. Hingegen machen Aktien und Investmentfonds zusammen nur 18,8 %, davon 7,2 % Aktien und 11,6 % Investmentfonds, des Geldvermögens aus. Zu erkennen ist, dass deutsche Haushalte eine überdurchschnittlich hohe Sparneigung in risikoarme Anlagenklassen haben.54
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Struktur des Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland (Quelle: Bundesbank (2018))
Aufgrund der hohen Gewichtung dieser Anlageklassen, ist für die deutsche Bevölkerung die Entwicklung der Zinsen für sichere Anlagen von besonderer Bedeutung. Die Verzinsung von kurzfristigen Bankeinlagen liegt derzeit bei 0 %.55 Unter Berücksichtig der Inflation ist die ausschlaggebende reale Rendite negativ, sodass es zu einem realen Vermögensverlust kommt. Demnach erzielten Bankeinlagen (einschl. Bargeld), die geringsten Renditen.56 Die realen Renditen der Versicherungsansprüche erreichten seit 2017 ebenfalls ein besonders niedriges Niveau, sodass die Gesamtrendite der Deutschen auf -0,8 % Anfang 2018 sinkt und erstmals seit sechs Jahren negativ war.57 Die jährlichen Zinsverluste der deutschen Sparer werden als Folge der Niedrigzinspolitik der EZB auf 71 Mrd. € geschätzt.58
Die niedrigen oder gar negativen Renditen erschweren das Erreichen eines bestimmten Sparziels, bspw. den Aufbau eines Kapitalstocks für die private Altersvorsorge.59 Die betriebliche Altersvorsorge ist in ähnlicher Weise wie die private Altersvorsorge von dem niedrigen Zinsumfeld betroffen. Neben der direkten Betroffenheit, die sich aus der Niedrigverzinsung von Sparbeträgen ergibt, so dass das angesammelte Kapital langsamer oder gar nicht mehr wächst und die indirekte Betroffenheit, weil die betriebliche und private Altersvorsorge60 mit einer Beitragsgarantie ausgestaltet sind, sodass der Anbieter zur Kapitalanlage in sichere Anlagen gezwungen ist.61 Über das Modell eines Altersvorsorgekostenindex (kurz AKIX) lassen sich die Auswirkungen des Zinsniveaus auf die Altersvorsorgekosten62 und die Garantiekosten einer Altersvorsorge veranschaulichen.63 Der AKIX untersucht die Entwicklung des erforderlichen monatlichen Sparbeitrags für die Anlage in eine Riester-Rente mit einer monatlichen Versorgungsleistung von 100,00 €.64 Das AKIX stellt dabei ein komplexes Simulationsmodell dar, das mithilfe ökonomischer und individueller Parameter des Anlegers zum jeweiligen Berechnungszeitpunkt auf Grundlage aktueller und vergangener Daten die möglichen wirtschaftlichen Entwicklungen der Zukunft und die sich daraus ergebenen Bewegungen am Kapitalmarkt simuliert.65
Das AKIX Modell zeigt, dass sich die erforderliche monatliche Sparrate seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 durch das Absinken des Zinsniveaus von 30,00 € auf nahezu 60,00 € in 2016 verdoppelt hat.66 Die Kosten der Beitragsgarantie haben sich noch deutlicher entwickelt. Von nahezu geringen Beträgen im Cent Bereich Anfang 2000 auf 40,00 € im Jahr 2016. Demzufolge können nur noch 20,00 € in höher rentierliche Wertpapiere investiert werden. Als Regel kann festgehalten werden, dass ein sinkendes Zinsniveau zu einer steigenden Nachfrage nach sicheren Wertpapieren zur Erfüllung der Beitragsgarantie führt.67
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Ausführungen zeigen, dass das Zinsniveau wesentliche Auswirkungen auf den Aufbau einer privater Altersvorsorge hat. In Zeiten niedriger Zinsen ist eine Portfolioumschichtung des Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland von sicheren Bankeinlagen (einschl. Bargeld) und Ansprüchen aus Versicherungsprodukten (mit niedriger Garantieverzinsung) hinzu renditeorientieren Anlageklassen wie Aktien und Investmentfonds unabdingbar.
[...]
1 Vgl. Horn/Schuchardt (2015), S. V.
2 Vgl. Ebbinghaus (2018), S. 468
3 Vgl. Benölen/Bröhl (2018), S. 3.
4 Blühm, Norbert (1998).
5 Vgl. Gischer et al.(2020), S. 87
6 Vgl. Gischer et al.(2020), S. 87
7 Vgl. Gischer et al.(2020), S. 87.
8 Vgl. Klitzsch (2019), S. 712.
9 Vgl. Gischer et al. (2020), S. 87.
10 Vgl. Gischer et al. (2020), S. 89
11 Vgl. Gischer et al. (2020), S. 92
12 Vgl. Gischer et al. (2020), S. 92-93
13 Vgl. Fratzscher/Kriwoluzky (2020), S. 14.
14 Als Eurozone wird die Gruppe der EU-Staaten bezeichnet, die den Euro als offizielle Währung besitzen.
15 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 404.
16 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 404.
17 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 403.
18 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 404.
19 Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S. 9; Vgl. Del Negro et al. (2019), S. 257-261.
20 S. Anhang 3
21 Vgl. Blanchard et al. (2014), S. 101-102.
22 Vgl. Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 403
23 Vgl. Klitzsch (2019), S. 712
24 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 406-407.
25 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S.407.
26 Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S. 9-10; Vgl. Grosse-Rueschkamp, Rocholl (2020), S. 408.
27 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S.407
28 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 408.
29 Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S.9
30 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 407-408
31 Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S. 10; Piketty et al. (2018), S.553; Vgl. Fratzscher/Kriwoluzky (2020), S. 15-16.
32 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 407-408
33 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 408; Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S. 10.
34 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 408.
35 Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S. 10.
36 Vgl. Fuest/Wollmershäuser (2020), S. 10.
37 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 409.
38 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 409.
39 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 409.
40 Vgl. Summers (2014), S. 69-70.
41 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S.409.
42 S. Anhang S. VI.
43 S. Abb. 1
44 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 410.
45 Vgl. Schnabl et al. (2016), S. 18
46 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 10.
47 Vgl. Fratzscher/Kriwoluzky (2020), S. 13; Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 410.
48 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 410.
49 Vgl. Fratzscher/Kriwoluzky (2020), S. 13.
50 Vgl. Fratzscher/Kriwoluzky (2020), S. 13.
51 Vgl. Grosse-Rueschkamp/Rocholl (2020), S. 410.
52 Vgl. Schnabl et al. (2016), S. 13
53 Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) (2020), S. 5.
54 Vgl. Abb. 2
55 Vgl. Grosse-Rueschkamp, Rocholl (2020), S. 415-416.
56 Vgl. Deutsche Bundesbank (2018), S. 33-35.
57 Vgl. Deutsche Bundesbank (2018), S. 33-35.
58 Vgl. Rösl/Tödter (2015), S. 9-11.
59 Vgl. Grosse-Rueschkamp, Rocholl (2020), S.417.
60 Als private Altersvorsorge ist hier die Riester Rente gemeint.
61 Vgl. Schnabl et al. (2016), S. 13-14
62 Höhe der Sparrate, die zur Erreichung einer bestimmten Rentenleistung erforderlich ist.
63 Vgl. Schnabl et al. (2016), S. 13-14
64 S. Abb. 3
65 Vgl. Schnabl et al. (2016), S. 13-14
66 Vgl. Schnabl et a l. (2016), S. 13-14
67 Vgl. Schnabl et al. (2016), S. 13-14
- Quote paper
- Anonymous,, 2021, Die Bedeutung von Aktien für die private Altersvorsorge deutscher Angestellter im Niedrigzinsumfeld, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1131819
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