Thema dieser Arbeit sind Strategien und Maßnahmen, die einen gelingenden Umgang mit der Heterogenität der Schüler*innen im Mathematikunterricht der Grundschule ermöglichen. Die wissenschaftliche Arbeit erforscht diese sowohl in vorwiegend mathematikdidaktischer Literatur, als auch in der Unterrichtspraxis und stellt in einem abschließenden Resümee Handlungsprämissen für die Zukunft eines produktiven Umgangs mit Vielfalt im Mathematikunterricht heraus.
Mit Blick auf die didaktisch-methodische Planung und Gestaltung des Mathematikunterrichts wurden dafür problemzentrierte Leitfadeninterviews mit vier Lehrerinnen unterschiedlicher Schulen durchgeführt und anschließend mithilfe des Verfahrens der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Darin zeigte sich, dass der Fokus in Literatur und Interviews auf der Leistungsheterogenität liegt und andere Heterogenitätsdimensionen dahinter zurückbleiben. Die Einstellungen der Lehrerinnen bzgl. dieser Vielfalt sind zwar grundlegend positiv, unterscheiden sich aber dennoch voneinander.
Für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität werden in Theorie und Praxis Differenzierungs- und Individualisierungsmaßnahmen erläutert. In der Unterrichtsgestaltung überwiegen pädagogische, binnendifferenzierende Maßnahmen statt der in der mathematikdidaktischen Literatur populären fachbezogenen natürlichen Differenzierung.
In den Interviews war weiterhin eine Kategorisierung der Lernenden entsprechend ihrer Leistungsniveaus und eine weite Spanne von eher schüler*innenzentrierten zu lehrer*innenzentriertem Unterricht und individualisierendem zu sozialem Lernen erkennbar. Auch Diskrepanzen zwischen den Ebenen der Lehrkraft, dem Schulsystem und der Bildungspolitik wurden sichtbar.
Um im Mathematikunterricht der Grundschule produktiv mit Vielfalt umgehen zu können, braucht es eine kritische Reflexion der Lehrer*inneneinstellungen und der Unterrichtsplanung und -gestaltung in Hinblick auf verschiedene Heterogenitätsdimensionen der Schüler*innen, aber auch ein Hinterfragen des Schulsystems an sich.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kurzreferat
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Einordnung und Definition des Heterogenitätsbegriffs
3 Heterogenität als soziales Konstrukt in der Gesellschaft
4 Heterogenität im Bildungskontext
4.1 Heterogenität im System Schule
4.2 Umgang mit Heterogenität im Unterricht
4.2.1 Gestaltung eines heterogenitätssensiblen Unterrichts
4.2.2 Kompetenzen und Einstellungen von Lehrkräften
5 Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule
5.1 Heterogenität in den Bildungsstandards und dem sächsischen Lehrplan
5.2 Maßnahmen und Strategien für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität
5.2.1 Innere Differenzierung
5.2.2 Natürliche Differenzierung
5.2.3 Substanzielle Lernumgebungen
5.2.4 Substanzielle Aufgabenformate
5.2.5 Perspektiven aus dem inklusiven Mathemati kunterricht
5.2.6 Projekt PIKAS
5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der theoretischen Auseinandersetzung
6 Überblick über die empirische Studie
6.1 Untersuchungsziel und Forschungsfragen
6.2 Beschreibung der Stichprobe
6.3 Beschreibung des methodischen Vorgehens
6.3.1 Fragen-Leitfaden
6.3.2 Projektvorstellung, Datenschutz, Kontaktaufnahme
6.3.3 Gestaltung der I nterviewsituation
6.4 Vorgehen für Analyse und Auswertung der Daten
7 Ergebnisse der Datenanalyse
7.1 Transkript Interview 1: Frau S
7.1.1 Analyse und Auswertung der Daten
7.2 Transkript Interview 2: Frau B
7.2.1 Analyse und Auswertung der Daten
7.3 Transkript Interview 3: Frau N.
7.3.1 Analyse und Auswertung der Daten
7.4 Transkript Interview 4: Frau J.
7.4.1 Analyse und Auswertung der Daten
7.5 Gesamtschau aller Interviews
8 Resümee - Implikationen für Theorie und Praxis
Literaturverzeichnis
Anhang
Vorwort
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule“ entstand zwischen Märzund Oktober 2020.
Die Wahl fiel aufgrund der Aktualität auf diese Thematik. Weiterhin erschien es interessant, die Perspektive einzelner Lehrer*innen auf den Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht und ihre methodisch-didaktische Unterrichtsgestaltung zu erforschen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die beim Anfertigen dieser Arbeit geholfen, mich inspiriert und motivierthaben.
Mein besonderer Dank gilt meinenuniversitären Betreuerinnen Frau Silvia Müller (Technische Universität Dresden) und Frau Jun.-Prof. Dr. Nina Bohlmann (Technische Universität Dresden). Sie standen mir bei Fragen stets mit ihrem Rat zur Seite, begleiteten mich in der Arbeitsphase und trugen so wesentlich zur Erstellung dieser wissenschaftlichen Arbeitbei.
Lena Volke
Kurzreferat
Thema dieser Arbeit sind Strategien und Maßnahmen, die einen gelingenden Umgang mit der Heterogenität der Schüler*innen im Mathematikunterricht der Grundschule ermöglichen. Die wissenschaftliche Arbeit erforscht diese sowohl in vorwiegend mathematikdidaktischer Literatur, als auch in der Unterrichtspraxis und stellt in einem abschließenden Resümee Handlungsprämissen für die Zukunft eines produktiven Umgangs mit Vielfalt im Mathematikunterricht heraus. Mit Blick auf die didaktisch-methodische Planung und Gestaltung des Mathematikunterrichts wurden dafür problemzentrierte Leitfadeninterviews mit vier Lehrerinnen unterschiedlicher Schulen durchgeführt und anschließend mithilfe des Verfahrens der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Darin zeigte sich, dass der Fokus in Literatur und Interviews auf der Leistungsheterogenität liegt und andere Heterogenitätsdimensionen dahinter zurückbleiben. Die Einstellungen der Lehrerinnen bzgl. dieser Vielfalt sind zwar grundlegend positiv, unterscheiden sich aber dennoch voneinander. Für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität werden in Theorie und Praxis Differenzierungs- und Individualisierungsmaßnahmen erläutert. In der Unterrichtsgestaltung überwiegen pädagogische, binnendifferenzierende Maßnahmen statt der in der mathematikdidaktischen Literatur populären fachbezogenen natürlichen Differenzierung. In den Interviews war weiterhin eine Kategorisierung der Lernenden entsprechend ihrer Leistungsniveaus und eine weite Spanne von eher schüler*innenzentrierten zu lehrer*innenzentriertem Unterricht und individualisierendem zu sozialem Lernen erkennbar. Auch Diskrepanzen zwischen den Ebenen der Lehrkraft, dem Schulsystem und der Bildungspolitik wurden sichtbar. Um im Mathematikunterricht der Grundschule produktiv mit Vielfalt umgehen zu können, braucht es eine kritische Reflexion der Lehrer*inneneinstellungen und der Unterrichtsplanung und -gestaltung in Hinblick auf verschiedene Heterogenitätsdimensionen der Schüler*innen, aber auch ein Hinterfragen des Schulsystems an sich.
Abstract
The topic this paperdeals with are strategies and measures that enable a successful handling of the heterogeneity of pupils in primary school mathematics lessons. The scientific paper explores these in predominantly mathematical didactic literature as well as in teaching practice and, in a concluding summary, outlines pre-conditions for action for the future of a productive handling of diversity in mathematics teaching. With a view to the didactic-methodological planning and design of mathematics lessons, problem-centered guideline interviews were conducted with four teachers from different schools and then evaluated using the qualitative content analysis procedure. This showed that the focus in literature and interviews is on performance heterogeneity and that other heterogeneity dimensions are lagging behind. The attitudes of the teachers with regard to this diversity is fundamentally positive, but still differs from one another. For a successful handling of heterogeneity, differentiation and individualization measures are explained in theory and practice. In the design of teaching, pedagogical, internal differentiation measures predominate instead of the natural differentiation that is popular in mathematical didactic literature. The interviews also revealed a categorisation of the learners according to their performance levels and a wide range from more pupil-centred to teacher-centred teaching and from individualising to social learning. There are also discrepancies between the levels of the teacher, the school system and education policy. In order to be able to deal productively with diversity in primary school mathematics lessons, a critical reflection of teachers' attitudes and the planning and design of lessons is needed with regard to different heterogeneity dimensions of the pupils, but also a questioning of the school system itself.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Didaktische Prinzipien des Mathematikunterrichts
Abbildung 2 Niveaustufen-Modell nach Wember 2013
Abbildung 3 Beispiel für eine Differenzierungsmatrix
Abbildung 4 Informationsblatt Interview
Abbildung 5 Informationsblatt Interview
Abbildung 6 Einwilligungserklärung Interview
Abbildung 7 Verpflichtung Datengeheimnis
Abbildung 8 Interviewprotokollbogen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Transkript Interview 1, S
Tabelle 2 Extraktion und Aufbereitung der Daten aus Transkript 1
Tabelle 3 Transkript Interview 2, B
Tabelle 4 Extraktion und Aufbereitung der Daten aus Transkript 2
Tabelle 5 Transkript Interview 3, N
Tabelle 6 Extraktion und Aufbereitung der Daten aus Transkript 3
Tabelle 7 Transkript Interview 4, J
Tabelle 8 Extraktion und Aufbereitung der Daten aus Transkript 4
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„Bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangslagen haben alle Kinder den prinzipiell gleichen Anspruch an die Grundschule: Sie soll jedem optimale Ausgangsbedingungen und Startgrundlagen auf dem Weg der Selbstbildung ermöglichen. Das wird nicht erreicht, indem allen das Gleiche, sondern jedem das Seine geboten wird“ (Schorch 2007, zitiert nach Hinz 2009: 23).
Eine der zentralen aktuellen Herausforderungen der Bildungseinrichtung Schule ist der Umgang mit Differenz und Heterogenität - ein Thema, das sowohl die Beschäftigung mit allgemeinen Grundfragen des sozialen Zusammenlebens und der Demokratie anregt, aber auch die Organisation der Bildung an Schulen herausfordert. Für diese Thematik lässt sich spätestens seit Mitte der 1990er Jahre ein Bedeutungszuwachs im pädagogischen Diskurs verzeichnen. Heterogenität im Kontext Schule betrifft die Organisation des Schulsystems allgemein, die Schulentwicklung und die Unterrichtsgestaltung. Gefordert wird dort die Anerkennung von Unterschieden, hat man dem deutschen Schulsystem doch immer wieder vorgeworfen, homogenisierend zu arbeiten.(vgl. Bohl et al. 2017: 7)
Aktuell liegt eine Vielfalt an Publikationen vor, die sich mit der Entstehung von und dem gelingenden Umgang mit Heterogenität im schulischen Kontext beschäftigt. Defizite zeigen sich allerdings in der Rekonstruktion von Lehrer*inneneinstellungen sowie damit verbunden den methodisch-didaktischen Maßnahmen für die Handhabung von Heterogenität im Unterricht, die von Lehrkräften in der Praxis angewandt werden.
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit thematisiert den gelingenden Umgang mit der Heterogenität der Schüler*innen im Mathematikunterricht der Grundschule. Der Fokus liegt dabei auf didaktisch-methodischen Konzepten für einen heterogenitätssensiblen Unterricht und die Anwendung dieser oder weiterer Maßnahmen in der Unterrichtspraxis.
Folgende Forschungsfrage soll dabei die theoretische Fundierung sowie die empirische Forschung leiten:
Welche Unterrichtsstrategien können für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht angewandt werden und welche Einstellungen und Maßnahmen äußern Lehrer*innen bezüglich eines gelingenden Umgangs mit Heterogenität im Mathematikunterricht?
Um die Forschungsfrage zu beantworten, muss zuerst ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema Heterogenität im Allgemeinen und im Besonderen auch zum Umgang mit Vielfalt im Mathematikunterricht der Grundschule gegeben werden. Zur theoretischen Fundierung werden davor die Einordnung und die Bedeutung des Heterogenitätsbegriffs thematisiert (Kap. 2) und das Phänomen „Heterogenität“ als soziales Konstrukt in der Gesellschaft (Kap. 3), im Bildungskontext (Kap. 4) und schließlich im Mathematikunterricht der Grundschule (Kap. 5) erörtert. Der Fokus liegt schließlich auf in der Literatur entwickelten Strategien für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule. Zu beantworten ist dabei diese Teilfrage: Welche Strategien können für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht angewandt werden?
Darauf folgt die Darlegung einer empirischen Untersuchung, die darauf abzielt, die in der Literatur konzipierten Strategien und Maßnahmen für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule konkreten Handlungen von Lehrer*innen aus der Praxis vergleichend gegenüber zu stellen. Dies geschieht anhand der Durchführung und Auswertung qualitativer Einzelinterviews mit vier Lehrkräften verschiedener Grundschulen. So soll eine möglichst breite Streuung an unterschiedlichen Ansichten und Verfahrensweisen und damit ein vielschichtiges Bild des Umgangs mit Heterogenität generiert werden. Von den Lehrkräften werden dazu Daten zur persönlichen Bedeutung des Begriffs Heterogenität und zu Chancen und Problemen, die mit diesem Begriff im Mathematikunterricht verbunden sind, sowie individuelle Maßnahmen zur Handhabung der Heterogenität der Lernenden erhoben. Ziel ist es, den in der Literatur bisher geringen Bestand an Forschungsbefunden zu Einstellungen von Lehrer*innen gegenüber heterogenen Lerngruppen und konkreten Handlungsmustern zum Umgang mit Heterogenität im mathematischen Unterrichtsalltag zu erweitern. Ein Überblick über die empirische Studie findet sich in Kapitel 6. Durch die Auswertung der Interviews und die Darstellung der Ergebnisse der Datenanalyse (Kap. 7) soll so letztendlich aufgezeigt werden, wie dem komplexen Konstrukt „Heterogenität“ im realen Mathematikunterricht begegnet wird, wo sich Erfolge, Lücken oder Probleme zeigen und welche Unterrichtskonzepte Lehrkräfte in Hinblick auf einen gelingenden Umgang mit Heterogenität verfolgen. Ziel ist die Beantwortung folgender Teilfrage: „Welche Einstellungen und Maßnahmen zeigen sich im unterrichtlichen Lehrer*innenhandeln bezüglich eines gelingenden Umgangs mit Heterogenität?“
Am Ende wird aus den anhand von Literaturrecherche und empirischer Forschung gewonnenen Erkenntnissen ein Resümee mit Implikationen für Theorie und Praxis (Kap. 8) hinsichtlich der Weiterentwicklung eines produktiven Umgangs mit Heterogenität im Mathematikunterricht, aber auch im schulischen Kontext allgemein, abgeleitet.
Ziel ist es, durch einen geschärften Blick in die schulische und vor allem die mathematikunterrichtliche Realität herauszufinden, wie ein für alle Lernenden gewinnbringender Umgang mit Differenz gelingen kann.
Wie bereits angedeutet, gibt es zur Realität des Umgangs mit Heterogenität in den Klassenzimmern nur wenige Publikationen oder diesbezügliche Rückmeldungen von Lehrkräften. Daher soll die Arbeit die Diskussion um die Durchführung eines heterogenitätssensiblen Unterrichts, wenn auch nur bedingt, um diesen Aspekt erweitern. Die Beantwortung der Fragestellung nützt sowohl anderen Forschenden, als auch Entwickler*innen von Unterrichtsmaterialien und -strategien und schließlich ebenso den Lehrkräften selbst, da eine Perspektive auf theoretische Konzepte und deren reelle Umsetzung eröffnet wird, mithilfe derer sowohl das Gelingen des Transfers der Theorie in die Praxis, als auch Handlungsbedarfe in der schulischen Wirklichkeit aufgezeigt werden und so zur Weiterentwicklung offenstehen. Die Beantwortung der Forschungsfrage kann aus diesem Grund ebenso für die Aus- und Weiterbildung von Lehrer*innen von Bedeutung sein.
2 Einordnung und Definition des Heterogenitätsbegriffs
Der Begriff Heterogenität und der damit verbundene Diskurs sind bei Weitem kein neues Phänomen, was ein Blick in die Geschichte der Pädagogik zeigt (vgl. Budde 2017: 13). Umso bezeichnender für den Begriff selbst ist es, dass dafür bis heute keine eindeutige Definition vorliegt. Heterogenität zeichnet sich nach Budde (vgl. 2017: 13, 24) durch ihre Komplexität, gleichzeitig aber auch durch ihre Unbestimmbarkeit aus. Die Abgrenzung zu ähnlichen, ebenfalls in ihrem Bedeutungsgehalt umstrittenen Begriffen wie Diversität, Intersektionalität oder Inklusion bleibt unscharf (vgl. ebd.: 13, 22). Budde (2017: 13) bezeichnet Heterogenität als „Unterschiede machen“ und stellt die Uneindeutigkeit des Phänomens, besonders in den Erziehungswissenschaften, durch die Bezeichnung als „fuzzy concept“ (ebd.: 13) bzw. als „Containerbegriff“ (ebd.: 13) heraus.
Wenning (2007: 22) nennt als vergleichbare Begriffe für Heterogenität u.a. „Differenz“, „Diversität“, „Exklusion“, „Verschiedenheit“ und „Ungleichheit“. Bönsch (2012: 60) dagegen sieht Heterogenität als „Unterschiedlichkeit, Uneinheitlichkeit, Verschiedenartigkeit von Menschen und ihren Potentialen.“ Stroot (2007: 53) umschreibt den Heterogenitätsbegriff mit „Vielfalt“ und „Verschiedenheit“. An dieser Stelle zeigt sich die Uneinigkeit über die Bedeutung des Begriffs unter den Autoren selbst.
Das Heterogenitätsverständnis basiert auf Differenzen zwischen Individuen: Es wird zwischen „soziokulturelle[n] Differenzkategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Milieu oder etwa Behinderung“ (Budde 2017: 24) sowie dem Alter und „fähigkeitsbezogene[n] Differenzen zwischen Schülerinnen und Schülern“ (ebd.: 24) wie (Schul-)Leistungen, dem Entwicklungsstand oder Sprachkenntnissen unterschieden (vgl. ebd.: 14, 24; Wenning 2007: 25 f.). Diese Differenzkategorien werden auch als Heterogenitätsdimensionen bezeichnet (vgl. Heinzel 2008: 133).
Wenning (2007: 23) nennt außerdem gleich drei wesentliche Begriffe, wenn es um die Definition von Heterogenität geht: Heterogenität sei „das zunächst neutrale Ergebnis eines Vergleichs [Hervorhebung: L. V.] verschiedener Dinge, etwa von Gruppenmitgliedern, bezogen auf ein Kriterium [Hervorhebung: L. V.]. Heterogenität beschreibt einen Zustand - für das als Maßstab [Hervorhebung: L. V.] angelegte Kriterium wird Ungleichheit festgestellt.“
Es wird also von verschiedenen Kriterien - individuellen Merkmalen - ausgegangen, hinsichtlich derer eine Gruppe verglichen werden kann (vgl. Boller et al. 2007: 14). Gleichzeitig gibt es innerhalb dieser Gruppe einen Maßstab, einen „Normalwert“ für dieses Vergleichskriterium (vgl. ebd.: 14). Personen, deren individuelle Merkmale von diesem „Normalwert“ abweichen, gelten als heterogen, ungleich oder anders hinsichtlich der übrigen Gruppenmitglieder. Das bedeutet also, dass Heterogenität keine Eigenschaft ist, die einem Menschen per se zugeschrieben werden kann, sondern erst entsteht bzw. sichtbar wird, wenn Vergleichsoperationen durchgeführt werden (vgl. Wenning 2007: 23). Budde (2017: 20) beschreibt Heterogenität in diesem Zusammenhang auch als „Differenzen zwischen zwei Eigenschaften, Personen oder Artefakten in Hinblick auf ein Kriterium.“ Heterogenität muss erst durch Dritte konstruiert werden und liegt dann auch nur bezogen auf den konkreten Vergleich vor (vgl. Wenning 2007: 23).
Als Gegenstück zu Heterogenität führt Wenning (vgl. 2007: 24) den Begriff der Homogenität an. Auch Budde (vgl. 2017: 20) betont, Heterogenität könne nicht isoliert von Konstruktionen der Homogenität erfasst werden. Homogenität beschreibe im Gegensatz zu Heterogenität die „Gleichheit von Aspekten im Vergleich“ (ebd.: 21). Sie wird ebenfalls als konstruiert dargestellt - in konkreten Situationen und vor dem Hintergrund bestimmter Interessen (vgl. Wenning 2007: 24). Beide Konstruktionen „entstehen in Prozessen des Wahrnehmens und Vergleichens, denen implizite oder explizite Maßstäbe oder Bezüge zugrunde gelegt sind“ (Budde 2017: 20). Sie können daher nicht normativ gewertet werden - weil sie nicht eindeutig definiert, sondern situations-und interessenabhängig sind (vgl. Wenning 2007: 24).
Die Wahrnehmung einer Gruppe oder einer Situation als homogen oder heterogen ist davon abhängig ist, welches Kriterium und welcher Maßstab in der Vergleichsoperation fokussiert werden. Das Ausmaß der Heterogenität, beispielsweise in Schulen, korreliert eng mit der gesellschaftlichen Auffassung einer heterogenen Bevölkerung, z.B. hinsichtlich der Herkunft der Menschen, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Einstellung oder Bildungschancen behinderter Menschen. Durch die gesellschaftliche Weiterentwicklung verändern sich Normalitätsvorstellungen und so auch die Heterogenitätserwartungen an eine Gesellschaft und an Lerngruppen. (vgl. Wenning 2007: 24 f.)
Heterogenität gilt zusammenfassend bezogen auf soziale Gruppen als Vielfalt der Individuen in ihren spezifischen Merkmalen und wird durch damit verbundene Normalitätsvorstellungen und Vergleichsprozesse herausgestellt und auch gewertet (vgl. ebd.: 26).
In der vorliegenden Arbeit werden für den Begriff Heterogenität die Begriffe Vielfalt und Unterschiedlichkeit synonym verwendet.
3 Heterogenität als soziales Konstrukt in der Gesellschaft
Die Wahrnehmung von Heterogenität hängt eng mit den Entwicklungen und dem Wandel der Normalitätsvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft zusammen (vgl. Wenning 2007: 24). Heterogenität ist gesellschaftlich konstruiert, sie ist das Resultat sozialer Aushandlungsprozesse, ein Vergleich, der dazu führt, dass etwas als anders und etwas als gleich angesehen wird (vgl. Budde 2017: 20). Der Begriff Heterogenität impliziert in diesem Moment ungleiche Chancen und ungerechte Strukturen, weil Anderes anders gewertet wird als Gleiches (vgl. Rieger-Ladich 2017: 27). Doch wo liegt der Ursprung dieses Verständnisses?
Um das herauszufinden, ist es nach Rieger-Ladich (vgl. 2017: 27, 30) wichtig, die Vergleichsprozesse, die etwas als heterogen markieren, immer auf ihre sozialen Auswirkungen hin zu beobachten und damit auf „Praktiken von Inklusion und Exklusion zu beziehen“ (ebd.: 30). Das Verhalten bestimmter Gruppen folgt demnach strengen Kriterien oder Ordnungen, die auch die Zugehörigkeit zur Gruppe bestimmen. Wer sich in einem oder mehreren Merkmalen unterscheidet, wird ausgegrenzt (vgl. ebd.: 30). An dieser Stelle ist es interessant zu beobachten, welches Merkmal oder welches Verhalten wann als heterogen bezeichnet oder wahrgenommen wird und welche sozialen Effekte aus dieser Markierung dann für das Individuum und die Gruppe resultieren (vgl. ebd.: 30). Die Gesellschaft wird auf Grundlage dieser „Mechanismen und Praktiken“ (ebd.: 33) organisiert, nämlich indem „unterschiedliche Rollen verteilt, Subjektpositionen zugewiesen und Kompetenzen verliehen“ (ebd.: 33) werden.
Die Bezeichnung von jemandem als etwas geht immer mit der (Un-)Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ordnung einher, mit der Passung in ein bestimmtes System (vgl. ebd.: 34). Sie kann daher nicht als neutral angenommen werden, sondern zieht eine Wertung nach sich.
Komplexe gesellschaftliche Strukturen und Unterschiedlichkeiten zwischen Menschen werden durch Stereotypisierungen und Kategorisierungen reduziert und so persönliche Wahrnehmungen, Erwartungen und Erfahrungen begrenzt und beeinflusst (vgl. Bruchhagen und Koall 2009: 36; Budde 2017: 13). Dies kann als Versuch einer Homogenisierung gesehen werden, die darauf abzielt, Vielfalt auf ein eindeutig wahrnehmbares Maß zu beschränken. Gleichzeitig sind soziale Differenzen innerhalb der Gesellschaft fest verankert und hierarchisiert (vgl. Bruchhagen und Koall 2009: 36). Auf diese Weise entstehe der Eindruck plausibler Gegen-sätze sozialer Gruppen, beispielsweise der Gruppe der „Armen“ und der Gruppe der „Reichen“, ohne jeweils weitere Merkmale in diese Gegenüberstellung einzubeziehen (vgl. ebd.: 36). Diese Homogenisierungstendenz orientiert sich an den dominanten Normalitätserwartungen in einer Gesellschaft und ist maßgeblich für die Hierarchisierung des Systems verantwortlich (vgl. ebd.: 39). Weil viel mehr Merkmale einer Person in einem bestimmten Kontext betrachtet werden, wirkt die Betrachtung von Heterogenität im Gegensatz dazu oft komplexitätserhöhend (vgl. ebd.: 39). Abweichungen von Normalitätserwartungen können zu Irritationen über die bisherigen, stereotypisierten Vorstellungen sowie zu Überforderungen führen und sind daher eher negativ konnotiert (vgl. ebd.: 39). In diesem Zusammenhang zeigen sich Diskriminierungen „als binäre Entscheidungen über „richtig“ oder „falsch““ (ebd.: 29). Es werden also nicht nur aufgrund von Komplexitätsreduktion in der Gesellschaft dominierende Normalitäts- und Plausibilitätserwartungen als Leitbild herausgestellt, sondern auch davon abweichende Merkmale und Lebensentwürfe hierarchisch untergeordnet und über Diskriminierungen mit der bestehenden Ordnung verglichen.
Die von Bruchhagen und Koall (2009: 38) eröffnete Perspektive eines Managing Gender & Diversity als eine Art Gegenbewegung hat die „diskriminierungsfreie Verwertung unterschiedlicher humaner Ressourcen“ zum Ziel. Dabei sollen „die Unterschiedlichkeiten der Individuen, Kulturen, Strategien, Funktionen etc. gezielt als strategische Ressource zur Lösung komplexer organisationaler Probleme“ (Aretz und Hansen 2002, zitiert nach Stroot 2007: 57) genutzt werden. Im Fokus stehen weiterhin die Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt sowie deren produktive Nutzung für den Erfolg der (Bildungs-)Organisation (vgl. Stroot 2007: 58). Voraussetzung dafür ist, dass die bestehende Dominanzkultur als Standard, Maßstab und Normalitätserwartung angezweifelt wird (vgl. Bruchhagen und Koall 2009: 38). Die Frage ist, woran gemessen wird, wer gleich ist und wer anders, wer der Dominanzkultur angehört und wer nicht - diese Norm muss hinterfragt werden, um in Zukunft ein wertungsfreies Nebeneinanderbestehen verschiedener Lebenskonzepte statt einer Hierarchisierung und der Orientierung an einer dominierenden Normalvorstellung ermöglichen zu können.
Heterogenitätserfahrungen können nur produktiv verarbeitet werden, wenn sie geleitet und reflektiert werden (vgl. Bruchhagen und Koall 2009: 40). Um Heterogenität im schulischen und unterrichtlichen Kontext, aber auch in der Gesellschaft allgemein als Chance und Bereicherung wahrnehmen zu können, ist eine Verständnis flacher Hierarchien notwendig (vgl. Prengel 2009: 169). Damit korrespondiert die Auffassung, dass Differenzen und Unterschiedlichkeiten einander nicht hierarchisch über- oder untergeordnet sind, sondern gleichberechtigt nebeneinander existieren (vgl. ebd.: 168).
4 Heterogenität im Bildungskontext
Der Diskurs um Heterogenität im Bildungskontext sei nach Budde (2017: 14 f.) längst kein neues Phänomen. Der Autor verweist darauf, dass die Heterogenität von Schüler*innen bereits in der frühen Pädagogik des 18. und 19. Jahrhunderts eine Rolle spielte (vgl. ebd.: 15). Beispielhaft dafür sind Herbarts Konzept der „Verschiedenheit der Köpfe“ (ebd.: 15), die das zentrale Problem im Unterricht darstellte und Trapps Formulierung der „Mittel köpfe“ (ebd.: 15), auf die der Unterricht abzielen sollte, genannt (vgl. dazu auch Wenning 2007: 21). Heterogenität war zu dieser Zeit als „Problem oder [.] Herausforderung“ (Budde 2017: 15) negativ konnotiert - ein Phänomen, dem man mit Vereinfachung durch Homogenisierung entgegen wirken wollte (vgl. Wenning 2007: 21). Erst die Reformpädagogik Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte mit ihren Konzepten, Individualität und Vielfalt der Schüler*innen stärker in den Vordergrund zu stellen und so der „homogenisierenden Buchschule“ (Budde 2017: 15) eine heterogenitätssensiblere Variante des Unterrichts entgegenzusetzen (vgl. ebd.: 15). Mit dem PISA-Schock und Ergebnissen weiterer internationaler Vergleichsstudien Anfang des 21. Jahrhunderts geriet das Phänomen Heterogenität endgültig in den Fokus wissenschaftlicher Abhandlungen (vgl. Wenning 2007: 21). Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler*innen im direkten Leistungsvergleich machte die mangelnde Kompetenz der Lehrer*innen und des Bildungssystems im Umgang mit Heterogenität an Schulen sichtbar. Diesem Mangel soll nach wie vor mit dem Ziel eines gelingenderen Umgangs mit Heterogenität entgegengewirkt werden. Der Diskurs um Heterogenität umfasst dabei die „didaktische Frage des Umgangs mit heterogenen Lerngruppen“ (ebd.: 22) sowie „Fragen der Förderung bestimmter Gruppen“ (ebd.: 22) und internationale Vergleiche verschiedener Schulsysteme (vgl. ebd.: 22).
Auf die Rolle der Heterogenität im System Schule und eine heterogenitätssensible Unterrichtsgestaltung soll daher in den folgenden Kapiteln genauer eingegangen werden.
4.1 Heterogenität im System Schule
Die Schule hat, was den Diskurs um Heterogenität als soziales Konstrukt betrifft, eine zentrale, wenn auch nicht neutrale Position inne: Sie sei nicht ausschließlich auf Erziehung und Bildung des Individuums ausgerichtet, sondern immer auch politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen unterworfen. Die Lernenden werden daher nicht ausschließlich als Individuen, sondern auch als „Angehörige sozialer Gruppen“ (Rieger-Ladich 2017: 35) wahrgenommen. An dieser Stelle offenbart sich die Frage der Passung von Habitus und Schulkultur und damit verbunden der Vorwurf der institutionellen Diskriminierung.
Institutionelle Diskriminierung finde dann statt, wenn Schüler*innen, deren Auftreten und Haltung der Schulkultur entsprächen, bevorteilt werden, während jene, die diese Passung nicht vorweisen, Benachteiligung erfahren.(vgl. Rieger-Ladich 2017: 35 ff.)
Wie eng individuelle Schüler*innenmerkmale mit den Ordnungen des Bildungssystems zusammenhängen, wird auch an anderer Stelle deutlich: Das Bildungssystem verzeichnet als zentrale Aufgabe und gesellschaftliche Funktion der Institution Schule den Selektions- und Allokationsauftrag (vgl. Wenning 2009: 29; Budde 2017: 15): Aufgabe der Schulen ist es, die Leistungen der Schüler*innen zu beurteilen und sie anhand unterschiedlicher Leistungen zu kategorisieren, woraufhin „unterschiedlich erfolgreiche Abgänger*innen“ (Budde 2017: 15) folgen, die auf unterschiedliche und ungleiche Positionen innerhalb der Gesellschaft verteilt werden. Mit den Positionierungen gehen bestimmte Machtverhältnisse und -verteilungen einher, die eng mit Bewertungen verbunden sind (vgl. Budde 2017: 21). Auf diese Weise soll die Sozialstruktur der Gesellschaft reproduziert und die bestehende Hierarchie der Positionsverteilungen gesichert werden (vgl. Budde 2017: 15; Pädagogisches Institut für die deutsche Sprachgruppe 2006). Die Schule kreiert also durch Selektion, ungleiche Förderung und Benachteiligung unterschiedlich wertige Bildungsabschlüsse, die unterschiedlichste Curricula und damit auch unterschiedliche Chancen auf Erfolg in der Gesellschaft zur Folge haben (vgl. Boller et al. 2007: 12 f.). Sie ist damit (Re-)Produktionsinstrument der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie der sozialen Ungleichheit und somit aktiv an der Benachteiligung von Kindern aus sozial schwächeren Milieus, an institutioneller Diskriminierung und an der Förderung von Geschlechterstereotypen beteiligt (vgl. Budde 2017: 15; Boller et al. 2007: 12 f.). Nach Stroot (vgl. 2007: 55) sind Ausgrenzung von und Teilhabe an Bildung seit Jahren wesentliche Bestandteile der Debatten um Bildungsgerechtigkeit. Die Autorin beschreibt die Schule als „Türöffner für hierarchische gesellschaftliche Räume“ (ebd.: 54) und betont ebenfalls die von sozialer Ungleichheit geprägten Rahmenbedingungen, die das Fundament des Bildungssystems darstellen (vgl. ebd.: 54). Auch Bruchhagen und Koall (2009: 41) sprechen von „Strukturen der Diskriminierung und Privilegierung“ im schulischen Kontext. Hinz (2009: 22) äußert sich ebenfalls kritisch gegenüber den „durch schulische Selektionsprozesse möglicherweise bedingten Reproduktionen sozialer Ungleichheiten.“ Die Autorin appelliert weiterhin an die Schule, ihren demokratischen Bildungsauftrag ernst zu nehmen und Chancengleichheit sowie Chancengerechtigkeit im Bildungssystem zu realisieren (vgl. ebd.: 22). Problematisch sei, dass die offensichtliche Erzeugung sozialer Ungleichheit durch die Schulen laut Budde (vgl. 2017: 16) bisher noch nicht dazu geführt hat, das Bildungssystem hinsichtlich einer zunehmenden Bildungsgerechtigkeit zu reformieren.
Dass das deutsche Schulsystem vor allem wegen seiner homogenisierenden Strukturen lange Zeit in der Kritik stand (und teils noch immer steht), beschreiben u.a. Boller et al. (2007: 12). Ob der geforderte produktive Umgang mit Heterogenität im Unterricht allerdings überhaupt umgesetzt werden könne, stellt von Saldern (vgl. 2007: 42) in Frage. Wichtig sei es, zunächst die schulstrukturellen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Handhabung von Heterogenität zu untersuchen, um die Voraussetzungen für einen heterogenitätssensiblen Unterricht aufzuzeigen (vgl. ebd.: 42). Das deutsche Schulsystem stellt nach von Saldern (2007: 43) einen „misslungenen Homogenisierungsversuch“ dar. Es sei in seiner Gliederung historisch gewachsen, ohne jemals pädagogisch fundiert zu werden (vgl. ebd.: 43). Homogenisierungstendenzen durch Selektion finden sich in der Zurückstellung vor Schuleintritt, als Aufteilung der Schüler*innen nach der Grundschule in weiterführende Schulformen oder durch Übergänge in Richtung der Förderschulen (vgl. ebd.: 43). Die Leistungsfähigkeit der Schüler*innen, die Grundlage dieser Selektionsentscheidungen ist, werde durch unterschiedlichste Faktoren beeinflusst und sei vor allem im Grundschulalter weder prognostizierbar noch eindeutig messbar, was das Misslingen dieser Maßnahmen erkläre (vgl. ebd.: 43). Als zentraler Aspekt des Heterogenitätsdiskurses in der Schule wird die Sinnhaftigkeit der Jahrgangsklasse in den Mittelpunkt gerückt (vgl. von Saldern 2007: 45; Prengel 2009: 169). Von Saldern (vgl. 2007: 45) beschreibt als Ziel dieser Organisationsform die Schaffung von Leistungshomogenität und kritisiert dieses Bestreben, da gleiches Alter nicht unbedingt auch gleiche Entwicklung bedeutet und die Leistungsfähigkeit eines Menschen nicht konstant und messbar ist. Es ist daher faktisch gar nicht möglich, alle Kinder in einer bestimmten Zeit auf einen bestimmten Lernstand zu bringen, es muss individuelle Ziele geben. Die Schule produziere durch ihre festen Strukturen wie Stundenzeiten, Stoffauswahl oder Jahrgangsklassen genau die Probleme, die sie eigentlich durch jene Regulationen zu verhindern sucht (vgl. ebd.: 45). Durch seine Gliederung und die Differenzierung von außen hemme das Schulsystem also selbst den geforderten produktiven Umgang mit Heterogenität, während es gleichzeitig gesellschaftliche Ungleichheit verfestige (vgl. Boller et al. 2007: 12 f.). Die Lehrkraft selbst besitze den geringsten Handlungsspielraum im Umgang mit Heterogenität und werde dabei zusätzlich durch Entscheidungen der übergeordneten Ebenen beeinflusst sowie durch die genannten schulstrukturellen Bedingungen in der Gestaltung eines differenzierten und individualisierten Unterrichts eingeschränkt (vgl. von Saldern 2007: 46). Der Autor kritisiert, dass sich die Diskussion bzgl. des Umgangs mit Heterogenität im Unterricht im Wesentlichen auf konkrete Unterrichtsstunden beziehe, wobei die Rahmenbedingungen des Bildungssystems und der jeweiligen Schule für einen produktiven Umgang mit Heterogenität völlig außer Acht gelassen würden (vgl. ebd.: 42). Es sollte genauer analysiert werden, wo der gelingende Umgang mit Heterogenität verhindert wird und wie dies in Zukunft produktiver gestaltet werden kann (vgl. ebd.: 42). Es sei darüber hinaus fragwürdig, sich mit komplexen, von Machtvorstellungen, Hierarchien und gesellschaftlichen Konventionen bedingten Heterogenitätskonstruktionen allein durch einen offenen, individualisierten Unterricht angemessen auseinandersetzen zu wollen (vgl. Budde 2017: 21).
4.2 Umgang mit Heterogenität im Unterricht
Stroot (vgl. 2007: 53) beschreibt Heterogenität als zentrales Gütekriterium für einen qualitativ hochwertigen Unterricht, der sich von der Fokussierung gleicher Lernbedingungen für alle Schüler*innen abwendet. Nach Prengel (vgl. 2009: 168) ist jede Lerngruppe von Heterogenität geprägt und bedarf daher einer Differenzierung. Die unterschiedlichen Heterogenitätsdimensionen beeinflussen einerseits die Teilhabe an Bildung, andererseits aber auch das Lernverhalten der Kinder und somit letztendlich den schulischen und gesellschaftlichen Erfolg einer Person (vgl. Boller et al. 2007: 13). Voraussetzungen für einen gelingenden, produktiven Umgang mit dieser Heterogenität im Unterricht sind Anerkennung und Wertschätzung der vorhandenen Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Lernenden (vgl. Prengel 2009: 169). Erst wenn dieser Schritt erfolgt ist, kann über didaktische Strategien und Maßnahmen für den Unterricht in heterogenen Lerngruppen nachgedacht werden (vgl. ebd.: 169). Differenzen unter den Schüler*innen sollten nicht hierarchisiert werden, sondern verschiedene Lernausgangslagen und -voraussetzungen sowie vielfältige Entwicklungsverläufe gleichberechtigt nebeneinander respektiert und auf defizitäre Sichtweisen verzichtet werden (vgl. ebd.: 169). Auch sollte der Unterricht an der individuellen Bezugsnorm ausgerichtet werden (vgl. ebd.: 170). Ziel des Unterrichtens heterogener Lerngruppen kann ihrer Meinung nach nur eine effektive und erfolgreiche Weiterentwicklung der individuellen Leistung der Schüler*innen sein (vgl. ebd.: 171).
4.2.1 Gestaltung eines heterogenitätssensiblen Unterrichts
Wenn über den Umgang mit Heterogenität im Unterricht gesprochen werden soll, ist es zunächst notwendig, herauszufinden, was einen guten Unterricht für alle Schüler*innen ausmacht. Zielführend ist ein Unterricht dann, wenn er sich den Lernbedürfnissen und -möglichkeiten der Schüler*innen anpasst, sodass diese individuell in ihrer „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotski 1978, zitiert nach Vock und Gronostaj 2017: 63) gefördert werden können (vgl. Vock und Gronostaj 2017: 63). Dieser Umstand erfordert keineswegs ein Lernen im Gleichschritt, sondern eine Adaption des Unterrichts an die Lernstände und -bedürfnisse der Schüler*innen sowie ein Ausdifferenzieren der individuellen Lernziele (vgl. ebd.: 63). Neben dem Erreichen von Lernfortschritten sind Akzeptanz und Wertschätzung der Unterschiedlichkeit der Lernenden im Unterricht wie bereits in Kapitel 4.2 erwähnt von großer Bedeutung (vgl. ebd.: 64). Den Lehrkräften kommt dabei eine vorbildhafte Position zu: Wenn sie Schüler*innen offenkundig Wertschätzung und Anerkennung entgegen bringen, führt dies dazu, dass diese Kinder auch bei ihren Mitschüler*innen beliebter sind (vgl. ebd.: 64). Die Wertschätzung eines Kindes kann also in Form eines adaptiven Unterrichts, der individuelle Lernmöglichkeiten berücksichtigt, zu Lernfortschritten führen und gleichzeitig zu einem positiven Klassenklima beitragen. Vock und Gronostaj (2017: 64) betonen, ein gutes Klassenklima würde sich auch positiv „auf die Leistungsbereitschaft, die Freude am Lernen und das Sozialverhalten“ auswirken sowie weitere Merkmale guten Unterrichts, wie beispielsweise Meyer (vgl. 2011: 23-127) oder Helmke (vgl. 2017: 172-270) sie aufzeigen, erst ermöglichen. Auf diese Merkmale soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden.
Für die Realisierung eines Unterrichts, der den Lernbedürfnissen, Interessen und dem Vorwissen der Schüler*innen gerecht wird, charakterisieren Vock und Gronostaj (vgl. 2017: 65, 68) die innere Differenzierung als Konzept, das sich im Spannungsfeld der programmierten Instruktion und des offenen Unterrichts wiederfindet. Sie besteht in der Individualisierung als Eingehen auf die Lernvoraussetzungen einzelner Schüler*innen und der Differenzierung als Zusammenstellung von Schüler*innengruppen nach speziellen Merkmalen für unterschiedliche Zeiträume des Unterrichts (vgl. ebd.: 65). Geschlossenere, strukturierte Formen der inneren Differenzierung zielen auf eine Passung von Lernenden und Aufgaben mithilfe einer Steuerung durch die Lehrperson ab (vgl. ebd.: 68). Bei offenen, unstrukturierten Formen innerer Differenzierung steuern die Lernenden ihre Lernprozesse weitestgehend selbst, indem sie entsprechende Inhalte sowie Ort, Zeit und Ziel des Lernens eigenständig bestimmen (vgl. ebd.: 68). Als Herausforderungen der Umsetzung einer inneren Differenzierung beschreiben die Autorinnen die Vernachlässigung einer vorherigen Diagnose beim Einsatz von differenzierten Unterrichtsmaterialien und die falsche Einschätzung des Anforderungsniveaus von Aufgaben durch Lehrkräfte, sodass daraus resultierende Aufgabenstellungen „gerade nicht adaptiv sind“ (ebd.: 69, Hervorhebung im Original). Weiterhin konnte beobachtet werden, dass Lehrkräfte selten kognitiv anregende Hinweise geben, die die Lernenden zum Weiterdenken anregen, worunter das fachliche Niveau im individualisierten häufig leidet (vgl. ebd.: 69). Die Autorinnen sehen in einer zu starken Individualisierung des Lernens die Gefahr einer Vereinsamung und des Wegfallens gemeinsamen Lernens - Ziel sei eine Balance zwischen Individualisierung und Gemeinsamkeit (vgl. ebd.: 70). Wichtig sei im Unterricht auch die Entwicklung von Fähigkeiten zum selbstgesteuerten Lernen, die in einem zu lehrer*innenzentrierten Unterricht kaum möglich sei (vgl. ebd.: 70). Beide Autorinnen kommen aber zu dem Schluss, eine „maximale Steuerung des Unterrichts durch die Schüler*innen“ sei „auch keine Lösung“ (ebd.: 70) und deren Wirksamkeit weiterhin auch nicht in Studien bestätigt (vgl. ebd.: 70). Sinnvoll ist auch hier wieder eine Balance, um auch die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen angemessen entwickeln zu können und gleichzeitig produktive Arbeitsprozesse zu initiieren (vgl. ebd.: 72).
Weitere Merkmale unterrichtlicher Rahmenbedingungen für die Gestaltung eines heterogenitätssensiblen Unterrichts zeigen sich bei Vock und Gronostaj (vgl. 2017: 74) wie folgt: Der Fokus in einem differenzierenden, individualisierenden Unterricht liegt auf der Befähigung zum selbstständigen Lernen. Dies soll durch die Reflexion der Lernprozesse und die Möglichkeit zur individuellen Organisation des Lernens realisiert werden (vgl. ebd.: 74). Phasen des selbstständigen Lernens gelten wiederum als Voraussetzung eines differenzierenden Unterrichts, um unterschiedliche Lernaktivitäten zur gleichen Zeit zu ermöglichen (vgl. ebd.: 74). Weiterhin im Vordergrund stehen produktive Phasen des gemeinsamen Lernens, in denen gleichzeitig jede*r Einzelne angemessen gefördert wird (vgl. ebd.: 74 f.). Auch das Vorhandensein geeigneter Unterrichtsmaterialien spielt eine entscheidende Rolle, wobei die Autorinnen darauf verweisen, dass die Lernwirksamkeit unterschiedlicher Materialien und Lehrmittel bisher kaum untersucht wurde (vgl. ebd.: 76 f.). Dies gilt beispielsweise auch für aktuell beliebte Materialien zur Binnendifferenzierung, die Aufgaben in drei Schwierigkeitsniveaus einteilen - inwiefern diese Aufgaben allerdings wirklich „leichter“ oder „schwerer“ sind und wie sie sich auf die Kompetenzentwicklung der Schüler*innen auswirken, war bisher noch nicht Teil der empirischen Forschung (vgl. ebd.: 77). Nicht jede Art der Umsetzung einer inneren Differenzierung oder einer Individualisierung führe zu einem gesteigerten Lernerfolg und einem erhöhten Wohlbefinden der Kinder im schulischen Kontext (vgl. ebd.: 66).
Im Folgenden soll die Forschungslage zur Unterrichtsgestaltung in heterogenen Lerngruppen kurz und beispielhaft dargelegt werden.
Zur konkreten didaktisch-methodischen Unterrichtsgestaltung in heterogenen Lerngruppen sei die Forschungslage „sehr spärlich und [...] auch sehr unbefriedigend“ (Wischer 2007: 36). Es würden zwar vielfältig didaktische Strategien beschrieben, ohne aus diesen Werken aber konkret Rückschlüsse auf die Verbreitung und Umsetzung der Konzepte an Schulen ziehen zu können (vgl. ebd.: 36). Die Autorin beruft sich zur Darstellung des Forschungsstandes zur Unterrichtsgestaltung auf Untersuchungen von Hage (1985, zitiert nach Wischer 2007: 36), die sowohl auf eine geringe Methodenvielfalt, als auch auf eine stark lehrerzentrierte Perspektive innerhalb der didaktisch-methodischen Unterrichtsgestaltung verweisen. Wischer (vgl. 2007: 36) führt weitere Studien zuBeginn des 21. Jahrhunderts an, dieeine Öffnung des Unterrichts und dynamischere Unterrichtsformen, als Hage sie in den 1990er-Jahren beschrieb, belegen könnten (Bohl 2000; Götz et al. 2005; Wiechmann 2004, zitiert nach Wischer 2007: 36). Zusammenfassend werde eine „Tendenz hin zu einem Methodenpluralismus“ (ebd.: 36) sichtbar. „Der klassische Frontalunterricht scheint [...] weniger dominant zu sein, während schüleraktivierende Phasen [...] zugenommen haben“ (ebd.: 36), beschreibt die Autorin weiter. Inwiefern die Ziele einer inneren oder gar natürlichen Differenzierung im Mathematikunterricht der Grundschule realisiert werden, bleibt an dieser Stelle offen.
Aktuellere Ergebnisse zum Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen stellt beispielsweise der Bilanzbericht der Schulinspektion des Kultusministeriums Hessen dar (vgl. Nieder und Frühauf 2012: 26). Die Autorinnen beschreiben einen differenzierenden und individuell fördernden Unterricht als „ausgeprägte Schwäche“ (ebd.: 26) aller Schultypen. Es sei nirgends „gängige Praxis“ (ebd.: 26), dass qualitativ oder quantitativ differenzierte Aufgabenstellungen oder Lernmaterialien angeboten würden, auch die individuelle Förderung der Schwächen und Stärken der Schüler*innen sei kaum zu beobachten (vgl. ebd.: 26). Diagnostische Kompetenzen der Lehrkräfte werden als „teilweise entwickelt“ (ebd.: 26) beschrieben. Ein schüler*innenaktivierender Unterricht, der eigenverantwortliches und selbstständiges Lernen fördert, werde an den untersuchten Schulen nur selten unterstützt (vgl. ebd.: 26).
Die Studie von Warwas et al. (vgl. 2011: 863 f.) zeigt, dass eine ausgeprägte Leistungsheterogenität der Schüler*innen nicht zwangsweise einen umfangreicheren Einsatz adaptiver Unterrichtsformen wie Variation des Aufgabenmaterials oder Gruppenpuzzles/Expertengruppen nach sich ziehe. Dabei konnte aber beobachtet werden, dass, wenn Lehrkräfte konstruktivistische Überzeugungen hinsichtlich des Lehrens und Lernens vertreten, häufiger adaptive Unterrichtsformen, in dieser Studie durch die Variation des Aufgabenmaterials, eingesetzt werden (vgl. ebd.: 864). Es zeigt sich also durchaus ein Zusammenhang von Lehrer*inneneinstellungen und Gestaltung des Unterrichts.
Auch bei der Betrachtung aktuellerer Forschungsbefunde zeigt sich, dass der Umgang mit Heterogenität nach wie vor ein noch zu vertiefendes Forschungsfeld ist und es kaum konkrete Untersuchungen zur methodisch-didaktischen Unterrichtsgestaltung in heterogenen Lerngruppen gibt (vgl. Dexel 2020: 124).
4.2.2 Kompetenzen und Einstellungen von Lehrkräften
Im Folgenden werden Lehrer*innenkompetenzen, die für einen gelingenden Umgang mit der Heterogenität von Lerngruppen erforderlich sind, vorgestellt.
Die Realisierung eines differenzierten Unterrichts erfordere ein Umdenken vieler Lehrkräfte hinsichtlich einer Flexibilisierung des Unterrichts und der Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem einzelnen Kind (vgl. Vock und Gronostaj 2017: 107). Um der Heterogenität der Schüler*innen im Unterricht gerecht zu werden, stellt eine ausgebildete diagnostische Kompetenz zur Erfassung der Lernausgangslagen der Schüler*innen die zentrale Anforderung an Lehrkräfte dar (vgl. ebd.: 78, 108). Dabei werden individuelle Lernstände auch unterrichtsintegriert festgestellt, den Lernenden rückgemeldet und im Unterricht entsprechende Fördermaßnahmen durchgeführt (vgl. ebd.: 79). Weiterhin seien Professionswissen und didaktische Expertise entscheidend für einen gelingenden Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen (vgl. ebd.: 108). Sinnvoll ist ein Einhergehen von Differenzierungsmaßnahmen und fachdidaktischen Überlegungen, um Schüler*innen fachliche Inhalte verständlich zu machen (vgl. ebd.: 81).
Mit Veröffentlichung der Hattie-Studie 2009 wurde auch die Rolle der Lehrperson und ihrer Einstellungen im schulischen Kontext neu diskutiert (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 75). Gezeigt hat sich dort, dass neben anderen Determinanten auch Lehrer*innen und der von ihnen gestaltete Unterricht Schüler*innenleistungen beeinflussen (vgl. Lotz und Lipowsky 2015: 101). Der Lernerfolg und die Qualität des Unterrichts hängen auch von den Einstellungen der Lehrkraft ab -sie entscheidet, in welchem Maß ein individualisierenderoder differenzierender (Mathematik-)Unterricht umgesetzt wird (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 76). Zum gleichen Ergebnis kommen Vock und Gronostaj (vgl. 2017: 83). DieAutorinnen zeigen in ihrem Werk einige Studien auf, die sich mit Lehrer*inneneinstellungen und deren Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung beschäftigen. Deren Ergebnisse werden im Folgenden kurz zusammengefasst:
Es zeigte sich darin, dass die Einstellungen der Lehrpersonen sowohl den Umgang mit heterogenen Lerngruppen, als auch den Vergleichsmaßstab bei der Leistungsbewertung beeinflussen (vgl. Vock und Gronostaj 2017: 83; Warwas et al. 2011: 864). Unterschiedliche Einstellungen von Lehrer*innen zeigten sich auch gegenüber des Lernprozesses, die sich entsprechend auf den Unterricht und den Lernzuwachs der Schüler*innen auswirken können (vgl. Vock und Gronostaj 2017: 84 f.). Die Autorinnen beschreiben weiterhin einen Zusammenhang der Einstellungen und Kompetenzen der Lehrkräfte mit der Häufigkeit differenzierenden und individualisierenden Unterrichts (vgl. ebd.: 66). Auch Wischer (vgl. 2007: 35) stellt in ihrem Beitrag drei empirische Forschungen zu heterogenitätsbezogenen Lehrer*inneneinstellungen dar. Im Zuge der TIMSS-Studie wurden Lehrer*innen der Sekundarstufe I aus Japan, den USA und Deutschland zu Berufserschwernissen befragt, wobei am häufigsten Begabungsunterschiede der Schüler*innen als starke Beeinträchtigung im Berufsalltag genannt wurden (vgl. ebd.: 35). Wischer (vgl. 2007: 35) beschreibt weiterhin eine eher skeptische Lehrer*innenhaltung in Bezug auf Heterogenität. Sie nimmt Bezug auf Baumert und Schümer (2002, zitiert nach Wischer 2007: 35), laut derer sich Sekundarschullehrer*innen über die immense Leistungsheterogenität der Schüler*innen beschwerten oder nach Tillmann (2004, zitiert nach Wischer 2007: 35) von einer „Sehnsucht nach der Homogenität der Lerngruppe“ sprachen. Alle drei Forschungen, auf die die Autorin Bezug nimmt, haben in anderen Gebieten ihren Schwerpunkt. Sie schneiden Lehrer*inneneinstellungen zu Heterogenität nur an und thematisieren dieses Thema nicht ausschließlich.
Es zeigt sich insgesamt ein weiterer Forschungsbedarf im Bereich der Lehrer*inneneinstellungen gegenüber der Heterogenität der Schüler*innen, den auch Wischer (vgl. 2007: 35) in ihrer Publikation betont.
In institutionellen Bildungseinrichtungen zeigen sich drei verschiedene Arten des Umgangs mit Vielfalt, die durch die Einstellungen der Lehrkräfte beeinflusst werden, vor: Beim Ignorieren werden die vorgefundenen Differenzen nicht beachtet, während beim Reduzieren von Heterogenität auftretende Unterschiede am Rande registriert werden. Auf diese wird entweder mit Unterdrücken reagiert, was bedeutet, dass bestimmte Heterogenitätsdimensionen für bestimmte pädagogische Prozesse außer Acht gelassen werden, oder mit dem Abbau der Heterogenität, bei dem durch Fördermaßnahmen die auftretende Heterogenität in verschiedenen Bereichen reduziert werden soll. Diesen Maßnahmen zugrunde liegt eine Negativwertung der Heterogenität an sich, die zur Benachteiligung „abweichender“ Personen und damit zu einer defizitären Sichtweise führen könne. Die dritte Art, Heterogenität zu managen, ist die des Akzeptierens. Sie unterteilt sich in einen reflexiven Umgang mit Heterogenität, der die vorhandenen Differenzen wahrnimmt, ihre Auswirkungen auf Erziehungs- und Bildungsprozesse analysiert und versucht, negative Konsequenzen umzugestalten und die produktive Nutzung der Unterschiedlichkeit. Dabei gilt Heterogenität „als produktive Ressource für Erziehung und Bildung“ (Wenning 2007: 28). Normalitätsvorstellungen werden hinterfragt und der Weg für einen wertungsfreien Umgang mit der Vielfalt der Schüler*innen geebnet. (vgl. Wenning 2007: 27 f.)
5 Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule
In Kapitel 5 werden zuerst Grundlagen für den Umgang mit Heterogenität konkret auf den Mathematikunterricht bezogen erläutert, bevor danach Strategien und Maßnahmen für einen gelingenden und produktiven Umgang mit der Unterschiedlichkeit der Schüler*innen in Form von fachdidaktischen Konzepten herausgearbeitet werden. Der Fokus liegt dabei auf mathematikdidaktischer Literatur.
Voraussetzungen für gelingenden gemeinsamen und individuellen Mathematikunterricht in heterogenen Lerngruppen sind eine wertschätzende Grundhaltung sowie die Akzeptanz unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und Vorgehensweisen (vgl. PIKAS 2013: 6; Kap. 4.2). Hinzu kommt eine Fachkompetenz, die vor allem im Grundschulbereich als Anforderung an das Lehrer*innenhandeln oft hinter pädagogischen, psychologischen und methodischen Maßnahmen angestellt wird (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 77). Eine ausdrückliche Befürwortung fachlicher Anforderungen an den Mathematikunterricht findet sich u.a. bei Wittmann (vgl. 1996: 3). Eine Fachkompetenz im Mathematikunterricht umfasst nicht nur beziehungsreiches mathematisches Fachwissen, sondern ebenso Enthusiasmus beim Unterrichten von Mathematik (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 79 ff.). Die Entwicklung einer Fachkompetenz wird also ebenfalls durch persönliche Einstellungen und Erfahrungen der Lehrperson in Bezug auf Mathematik beeinflusst (vgl. ebd.: 81).
Wichtig ist überdies ein Verständnis der Grundideen des Mathematiklernens. Mathematiklernen ist ein aktiv-konstruktiver Prozess, der individuelles, verstehendes Lernen und Kompetenzorientierung gleichermaßen zu berücksichtigen versucht (vgl. Käpnick 2014: 11). Gleichzeitig spielt auch die individuelle Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen eine entscheidende Rolle (vgl. ebd.: 11). Zu den Grundideen des Mathematikunterrichts zählen entdeckendes Lernen, produktives Üben, soziales Lernen und die didaktischen Prinzipien, die als Leitideen des Lehrens und Lernens die Organisation des Mathematikunterrichts der Grundschule entscheidend beeinflussen. Der Vollständigkeit halber seien sie hier kurz genannt und anhand der Abbildung 1 dargestellt. Die fundamentalen Ideen des Mathematikunterrichts, die Orientierung am Vorwissen der Schüler*innen und die Organisation des angesprochenen aktiv-entdeckenden und sozialen Lernens bilden ein Dreieck aus Fach, Schüler*in und Lehrer*in, in dem weitere didaktische Prinzipien verortet sind. Das Spiralprinzip, die Zone der nächsten Entwicklung und die natürliche Differenzierung beziehen sich auf potenzielle Entwicklungslevel der Lernenden. Didaktische Prinzipien, die die Repräsentationsweisen des Inhalts beschreiben, sind die überlegte Auswahl von Arbeitsmitteln, der Interaktive Zugang zu Darstellungsweisen und eine fortschreitende Schematisierung. Das operative Prinzip zeichnet sich durch einen erkenntnistheoretischen, psychologischen und unterrichtsorganisatorischen Blickwinkel aus und bildet daher das Zentrum der didaktischen Prinzipien (vgl. Krauthausen 2018: 232).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Didaktische Prinzipien des Mathematikunterrichts (Krauthausen 2018: 220)
Spiegel und Walter (vgl. 2005: 219) beschreiben im Mathematikunterricht eine vertikale Heterogenität auf der einen und eine horizontale Heterogenität auf der anderen Seite.
Der Begriff der horizontalen Heterogenität erläutert die Unterschiedlichkeit kindlicher Bearbeitungs-, Denk- und Lösungsprozesse bei der Auseinandersetzung mit Aufgaben im Mathematikunterricht. Diese Prozesse unterscheiden sich nicht nur vom Kind zum Erwachsenen, sondern auch unter den Kindern. Den Umgang mit horizontaler Heterogenität im Mathematikunterricht beschreiben die Autor*innen wie folgt: Statt einer Vereinheitlichung sollten Kinder zu individuellen Denk-und Lösungswegen ermutigt werden, die nebeneinander existieren dürfen, solange sie keine erhöhte Fehleranfälligkeit aufweisen. Aufgabe der Lehrperson ist es natürlich, den Kindern ebenfalls mathematische Standardverfahren zu eröffnen und näher zu bringen. Diese sollten allerdings erst thematisiert werden, wenn die Kinder eine gewisse Sicherheit im Umgang mit der mathematischen Struktur der Inhalte durch das Rechnen mit ihren eigenen Strategien erlangt haben. (vgl. Spiegel und Walter 2005: 220 ff.)
Die vertikale Heterogenität einer Lerngruppe beschreibt dagegen die Differenzen zwischen verschiedenen Leistungsniveaus der Lernenden. Das Spektrum umfasst leistungsschwache bis leistungsstarke Schüler*innen. Für den Umgang mit vertikaler Heterogenität empfehlen Spiegel und Walter den Einsatz substanzieller Lernumgebungen und eine natürliche Differenzierung. (vgl. Spiegel und Walter 2005: 219 ff.)
Die beiden Dimensionen „horizontal“ für individuelle Denkprozesse und „vertikal“ für Schüler*innenleistungen stellen allerdings nur einen Bruchteil der Dimensionen von Heterogenität an sich dar, umfassen damit aber offenbar diese, über die in Publikationen zum Thema Heterogenität im Mathematikunterricht am häufigsten und am intensivsten diskutiert wird (vgl. z.B. Krauthausen und Scherer 2019; Weskamp 2018; Spiegel und Walter 2005). Zu bedenken ist an dieser Stelle außerdem auch der weitreichende Diskurs im Kontext der Leistungsvergleichsstudien und die daraus resultierenden Reformen in der Bildungspolitik. Aufgrund der Popularität dieser beiden Heterogenitätsdimensionen in den herangezogenen Publikationen beziehen sich auch die Strategien und Maßnahmen für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität, die den folgenden Kapiteln vorgestellt werden, auf das Gerechtwerden der Leistungsheterogenität einer Lerngruppe. An dieser Stelle soll noch einmal auf das gegenseitige Bedingen und Ineinandergreifen verschiedenster Heterogenitätsdimensionen wie beispielsweise Sprache oder Migrationshintergrund verwiesen werden, mit denen die Auseinandersetzung vor allem in der Praxis nicht außer Acht gelassen werden darf.
Selbstgesteuertes Lernen findet im Mathematikunterricht der Grundschule in sogenannten „offenen Lernsituationen" (Nührenbörger und Verboom 2011: 153) statt. Diese Offenheit impliziert dabei einen Freiraum zur eigenständigen Auseinandersetzung mit den Lerninhalten (vgl. ebd.: 151). Das selbstgesteuerte Lernen ist dabei keine Fähigkeit, die den Kindern von Schulbeginn an innewohnt, sondern muss kontinuierlich durch die Konfrontation mit offenen Lernangeboten und die Unterstützung der Lehrkraft erarbeitet werden (vgl. ebd.: 153). „Eigenständiges Lernen im Kontext offener Lernangebote setzt den Erwerb von Arbeitstechniken, Lernstrategien und Einstellungen voraus, denn das einzelne Kind übernimmt die Verantwortung zur Planung und Steuerung seines Lernprozesses“ (ebd.: 153). Beim lehrer*innen- bzw. fremdgesteuerten Lernen bestimmen die Lehrperson, der Lerngegenstand oder das Medium Ziele, Methoden und Inhalte des Lernprozesses.
Für die Entwicklung heterogenitätssensibler und sinnvoll differenzierender Strategien für den Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule spielen auch die in Kapitel 4.2.1 dargelegten diagnostische Kompetenzen der Lehrkraft zur Erhebung und Analyse von Lernvoraussetzungen, Lernschwierigkeiten und Fehlerquellen sowie die Berücksichtigung dieser bei der Planung pädagogischer Angebote eine entscheidende Rolle (vgl. Sasse und Schulzeck 2013: 16). Die diagnostische Kompetenz einer Lehrperson beeinflusst ihre Sichtweise auf die Schüler*innen und damit auch die Gestaltung des Unterrichts (vgl. Krauthausen 2018: 270). Dieser Umstand wurde in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet. Im weiteren Verlauf der Arbeit soll allerdings nicht näher auf diagnostische Instrumente zur Planung des Mathematikunterrichts eingegangen werden.
5.1 Heterogenität in den Bildungsstandards und dem sächsischen Lehrplan
In der Bildungspolitik stellten die Entwicklung der Bildungsstandards und die Überarbeitung der Lehrpläne hinsichtlich des produktiven Umgangs mit Vielfalt im Unterricht die Konsequenz der Ergebnisse nationaler und internationaler Schulleistungsstudien wie TIMSS, PISA oder IGLU dar (vgl. Weskamp 2018: 8 f.). Diese offenbarten eine immense Leistungsheterogenität (der Fokus dieser Studien lag wie bereits in Kapitel 4 erwähnt auf dem Vergleich der Schüler*innenleistungen), die sich im Mathematikunterricht durch die gesamte Grundschulzeit zieht und wiederum Einfluss auf Übergänge und so die weitere Bildungslaufbahn der Lernenden hat (vgl. ebd.: 5). Deutsche Schüler*innen wiesen internationalen Vergleich noch eine vergleichsweise geringe Leistungsstreuung auf (vgl. ebd.: 6) Die Schwierigkeit scheint stattdessen besonders in der gleichberechtigen Förderung leistungsstärkerer und leistungsschwächerer Schüler*innen zu liegen (vgl. ebd.: 6). Krauthausen und Scherer (2019: 11) nennen in diesem Zusammenhang einen „starke[n] Einfluss des sozialen Hintergrundes auf die Bildungschancen von Kindern.“ Kritisiert wird an diesen Studien, dass eine so herausgearbeitete Leistungsheterogenität oft die einzige der zahlreichen Heterogenitätsdimensionen sei, die für den wissenschaftlichen Diskurs relevant scheint (vgl. Weskamp 2018: 7; Spiegel und Walter 2005: 219). Kritisch zu betrachten seien auch der defizitäre Umgang mit Heterogenität, hier wieder mit dem Fokus auf Leistung, und die Vernachlässigung individueller Vorgehensweisen und Denkwege der Lernenden in den Aufgabenformaten (vgl. Weskamp 2018: 7). Auch die Formulierung der Aufgabenstellungen in den Untersuchungen wird kritisch reflektiert (vgl. ebd.: 8).
Die Überarbeitung der sächsischen Lehrpläne für allgemeinbildende Schulen im Rahmen der Lehrplanreform, u.a. hinsichtlich einer intensiveren Differenzierung und Individualisierung, wurde im Jahr 2005 abgeschlossen (vgl. SMK o.J.). Zur Gestaltung des Bildungs- und Erziehungsprozesses in Bezug auf die Thematik der Heterogenität beschreibt der Lehrplan des Faches Mathematik Folgendes:
„Das breite Leistungsspektrum der Grundschüler bedingt einen differenzierenden und individualisierenden Unterricht. Im Vordergrund steht die innere Differenzierung, die den individuellen Lernvoraussetzungen und Leistungsständen sowie den unterschiedlichen Zugangsweisen zum Lernstoff und dem unterschiedlichen Lerntempo gerecht wird. Das erfordert vom Lehrer diagnostische Fähigkeiten und eine sorgfältige Analyse. Die darauf aufbauenden Lernschritte sollen weniger am Defizit als vielmehr am individuellen Lernfortschritt orientiert sein. Die individuelle Förderung bietet Möglichkeiten präventive Maßnahmen umzusetzen, Entwicklungsrückstände abzubauen, festgestellte Teilleistungsschwächen zu verringern und Begabungen und Interessen zu fördern“ (LaSuB 2019: 8).
Auch die von der Kultusministerkonferenz 2015 veröffentlichten Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule unterstützen diesen Ansatz. Zum Thema Heterogenität der Schüler*innen und der damit verbundenen Gestaltung des Lernprozesses wird dort festgehalten:
„Interessen und Stärken, Lern- und Entwicklungstempo sowie Begabungen und Unterstützungsbedürfnisse sind individuell verschieden. Die Herausforderung Heterogenität wird von den Lehrkräften als Chance für ein Von- und Miteinanderlernen produktiv genutzt. Unterschiedliche Begabungen, Stärken und Interessen der Kinder werden für das Lernen aller zugänglich gemacht und bereichern dadurch den Unterricht. Kooperative Lernformen, dialogisches Lernen, Kommunikation und Reflexion sowie Phasen des Übens sind verlässlicher Bestandteil eines Unterrichts, in dem individuelle Lernprozesse auf der Basis gemeinsamer Themen-und Aufgabenstellungen ermöglicht werden“ (KMK 2015: 6).
In den Bildungsstandards für das Fach Mathematik in der Grundschule steht die Verknüpfung allgemeiner und inhaltsbezogener mathematischer Kompetenzen im Vordergrund (vgl. KMK 2005: 6). Die Lernenden sollen so allerdings nicht nur Fertigkeiten und Kenntnisse, sondern ein tieferes Verständnis mathematischer Inhalte erlangen (vgl. ebd.: 6). Standards für die einzelnen allgemeinen und inhaltlichen Kompetenzen werden darauffolgend aufgelistet. In den Bildungsstandards sind ebenfalls Aufgabenbeispiele zu finden, die die drei differenzierten Anforderungsbereiche „Reproduzieren“, „Zusammenhänge Erstellen“ und „Verallgemeinern und Reflektieren“ repräsentieren (vgl. ebd.: 13). Diese Aufgabenbeispiele werden in Form sogenannter „großer Aufgaben“ (ebd.: 13) präsentiert. Diese tragen „der Leistungsheterogenität von Grundschülern dadurch Rechnung [ ], dass sie im gleichen inhaltlichen Kontext ein breites Spektrum an unterschiedlichen Anforderungen und Schwierigkeiten abdecken. Dadurch können die Aufgabenbeispiele zugleich als Muster für einen differenzierenden Unterricht fungieren, indem alle Kinder am gleichen Inhalt arbeiten, aber nicht unbedingt dieselben Aufgaben lösen“ (ebd.: 13).
Was all diese genannten Ausführungen und bildungspolitischen Maßnahmen allerdings für die konkrete Gestaltung eines mit Heterogenität produktiv und erfolgreich umgehenden Mathematikunterrichts bedeuten, wird nicht konkretisiert. Zu dieser Einschätzung kommen auch Krauthausen und Scherer (vgl. 2019: 12). Da weder in Bildungsstandards oder Kompetenzmodellen, noch in Lehrplänen konkrete Handlungsanweisungen für eine Differenzierung im Unterricht vorhanden sind, wird die Fähigkeit des Differenzierens im Unterricht als Bestandteil der pädagogischen Professionalität und somit als Kompetenz beschrieben, die sich Lehrpersonen selbst aneignen müssen (vgl. Sasse und Schulzeck 2013: 18).
5.2 Maßnahmen und Strategien für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität
In Kapitel 5.2 werden unterschiedliche Strategien und Maßnahmen für einen gelingenden Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht präsentiert, wie sie in populären mathematikdidaktischen Publikationen zu finden sind. Die natürliche Differenzierung als didaktisches Konzept des Mathematikunterrichts der Grundschule, umgesetzt in Form von substanziellen Lernumgebungen, ist in der für die Bewältigung der Heterogenität der Schüler*innen aktuell die am häufigsten rezipierte Strategie in der mathematikdidaktischen Literatur. Dieses Konzept wird daher vertieft erläutert. Auch die innere Differenzierung wird vor allem im Lehrplan als Strategie für einen gelingenden Umgang mit Vielfalt genannt und soll daher ebenfalls thematisiert werden. Daneben zeigen auch Ansätze aus der inklusiven Pädagogik Perspektiven für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen auf. Die Vorstellung von Konzepten, die nicht auch zumindest teilweise auf den inklusiven Mathematikunterricht bezogen werden könnten, macht heute kaum mehr Sinn. Ein vertiefter Praxisbezug soll durch zum Teil inklusive Unterrichtsstrategien aus dem Projekt PIKAS hergestellt werden. Zunächst sollen jedoch die Begriffe Differenzierung und Individualisierung definiert werden, um für diese Arbeit eine inhaltliche Klarheit zu schaffen. Ziel ist es, verschiedene Strategien und Maßnahmen für einen produktiven Mathematikunterricht der Grundschule darzustellen, die sich durch ihre Anwendbarkeit und ihre Übertragbarkeit auf die Unterrichtspraxis auszeichnen.
Krauthausen und Scherer (vgl. 2010: 3) beschreiben als Grundlage eines produktiven Umgangs mit Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule, analog zu Vock und Gronostaj (2017) in Kapitel 4.2.1, die Differenzierung und Individualisierung des Lernens. Die Autor*innen nennen ebenfalls die bereits beschriebene Illusion homogener Lerngruppen als Problem der (Grund-)Schulen im Umgang mit Heterogenität (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 3). Akzeptiere man die Heterogenität der Schüler*innen als Normalität, so könne aus dieser Unterschiedlichkeit statt einem Hindernis ein Vorteil für gemeinsames Lernen geschaffen werden (vgl. ebd.: 3). Wie dies im Mathematikunterricht der Grundschule konkret geschehen kann, soll in diesem Kapitel aufgezeigt werden.
Die Begriffe Differenzierung und Individualisierung gelten inzwischen -wie die Erfahrung zeigt - im bildungspolitischen Kontext sowohl in der Literatur, als auch in der Praxis als Etiketten oder gar Modebegriffe (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 3). Durch ihre inhaltliche Allgemeinheit und Unschärfe werden sie oft als eine Art Patentrezept zur Lösung jeglicher Probleme im schulischen Rahmen genutzt (vgl. ebd: 3). Den Versuch einer Definition des Begriffs Differenzierung unternahm unter anderem Winkeler (1987):
„Differenzierung bezeichnet das breite Spektrum schul- und unterrichtsorganisatorischer Maßnahmen, mit deren Hilfe die Schule den vielfältigen und sehr unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen der Lernenden einerseits und den mannigfaltigen Anforderungen der Gesellschaft andererseits gerecht zu werden versucht“ (Winkeler 1978, zitiert nach Krauthausen und Scherer 2019: 16).
Für Begriff der Individualisierung zeigt Helmke (2013) folgende Definition auf:
„Mit Individualisierung oder individualisiertem Unterricht (präziser: individualisiertes Lernen ermöglichendem und förderndem Unterricht) sind Lehr-Lern-Szenarien gemeint, die der Unterschiedlichkeit der Lernvoraussetzungen dadurch Rechnung tragen, dass es eine Vielfalt von Lernangeboten, Lernwegen, Lernmethoden und Lernorten gibt, dass also differenziert wird“ (Helmke 2013: 34).
Binnendifferenzierung oder innere Differenzierung finde eher auf der Ebene bestimmter Gruppen statt, während Individualisierung die Differenzierung auf der Ebene des Individuums betreffe (vgl. Helmke 2013: 34).
Krauthausen und Scherer (vgl. 2010: 3 f.) beschreiben weiterhin einen Zwiespalt zwischen theoretischen Konzepten und konkreten Handlungen, der sich erschwerend auf einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität auswirkt. Leitbild der Überlegungen der Autor*innen und auch für das Heterogenitätsverständnis dieser Arbeit ist es, für jedes Kind die individuell Erfolg versprechendsten Lernbedingungen im Mathematikunterricht zu realisieren (vgl. ebd.: 4).
Um allen Schüler*innen möglichst gerecht werden zu können, braucht es „differenzierte Modelle der Unterrichtsplanung und der Leistungsbewertung“ (Sasse und Schulzeck 2013: 16). Herausforderungen für Lehrkräfte entständen dann, wenn diesen die Heterogenität und daraus resultierende Forderungen nach einem differenzierten Unterricht zwar bewusst sind, gleichzeitig aber Unklarheit über Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung eines solchen Unterrichts herrscht (vgl. ebd.: 16).
5.2.1 Innere Differenzierung
Im Gegensatz zur äußeren Differenzierung, die durch selektive Maßnahmen wie Jahrgangsklassen, Schulformwechsel oder das Sitzenbleiben versucht, leistungshomogene Gruppen zu produzieren, gilt die innere Differenzierung oder auch Binnendifferenzierung für die Grundschule als besonders geeignet, weil sie die heterogene Zusammensetzung der Lerngruppe nicht stört (vgl. Scherer und Opitz 2010: 49; Krauthausen und Scherer 2019: 16). Ziele dieser Form der Differenzierung sind das Erreichen grundlegender Lernziele, die Förderung individueller Lernstile, selbstständigen Arbeitens, individueller Interessen und des Selbstvertrauens sowie das soziale Lernen miteinander und voneinander (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 16). Die innere Differenzierung wird im Lehrplan für das Fach Mathematik als zentrale Strategie für den gelingenden Umgang mit Heterogenität beschrieben. Dafür werden „Lerngruppen mit verschiedenen Kompetenzniveaus eingerichtet“ (Käpnick und Benölken 2020: 218), die entsprechend der individuellen Leistungsfähigkeit der Schüler*innen verschiedene Aufgaben gestellt bekommen (vgl. ebd.: 218). Hier zeigt sich bereits ein Widerspruch: Die Schüler*innen werden in vermeintlich „homogene“ Leistungsgruppen eingeteilt, das Lernangebot soll aber dennoch der Individualität des einzelnen Kindes gerecht werden. Rechenstarke Schüler*innen lösen demnach anspruchsvollere Aufgaben als jene, die rechenschwächer sind (vgl. ebd.: 219). Krauthausen und Scherer (vgl. 2010: 4) beschreiben anhand von Praxiserfahrungen und Literaturrecherche verschiedene Arten innerer Differenzierung, so zum Beispiel soziale Differenzierung, methodische Differenzierung, mediale Differenzierung, quantitative Differenzierung, qualitative Differenzierung und inhaltliche Differenzierung. Käpnick und Benölken (vgl. 2020: 219) stellen die quantitative Differenzierung in Form von Zusatzaufgaben als besonders zentral im Mathematikunterricht heraus. Die Aufgabenformate und ihre Inhalte werden dabei maßgeblich von der Lehrperson oder dem Medium bestimmt.
Kritisiert werden besonders qualitative und quantitative Differenzierung hinsichtlich dessen, für die Realisierung der Zielvorstellung, besonders günstige Lernbedingungen für jedes Kind zu schaffen, nicht auszureichen und diese zu verfehlen (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 4; Krauthausen und Scherer 2019: 22-44). Beispiele dafür sind die kaum individualisierende Entwicklung „unterschiedliche[r] Schwierigkeitsstufen zur Adaption von Aufgabenstellungen an individuelle Lernbedürfnisse“ (Krauthausen und Scherer 2010: 4), die Verhinderung sozialen Lernens durch eine falsch verstandene Individualisierung und die Verwechslung eines offenen (Fach-)Unterrichts mit der Bereitstellung beliebiger Inhalte (vgl. ebd.: 4). Überhaupt würden die Spezifika des Fachs mit seinen Inhalten und Strukturen aus der Diskussion um Differenzierungsmöglichkeiten oft ausgeklammert und den Rezipient*innen selbst überlassen (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 20; Krauthausen und Scherer 2010: 4). Die Autor*innen betonen in diesem Zusammenhang die fehlenden Schnittstellen zwischen pädagogischen Ausführungen und fachdidaktischen Konzepten (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 20). Weiterhin wird kritisiert, dass fast alle der aufgeführten Arten innerer
Differenzierung auf einer externen und vorbestimmten Steuerung durch die Lehrkraft oder das Material basieren, was immer mit der Gefahr einer falschen Einschätzung der Schwierigkeit einer Aufgabe und der Fähigkeiten der Schüler*innen einhergehe (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 4; Krauthausen und Scherer 2011: 4).
An dieser Stelle soll noch einmal die bereits erwähnte Kritik an der vermeintlich individualisierten Passung von Differenzierungsmaterialien als „vorkonfektionalisiertes Angebot“ (Krauthausen und Scherer 2019: 21) hervorgehoben werden. Individualisierung und Differenzierung sind in jüngster Vergangenheit zu einer Art Trend geworden, die Verlage oder Anbieter von Online-Materialien für sich zu nutzen wissen (vgl. ebd.: 21). „Neu“ (oder vielmehr „anders als sonst“) seien dabei aber vor allem Methoden, Materialien oder Organisationsformen, nicht aber das Konzept einer Differenzierung an sich (vgl. ebd.: 21). Vor allem die genannte qualitative Differenzierung verfehle in der aktuell angewandten Weise oft das eigentliche Ziel differenzierender und individualisierender Konzepte, indem Arbeitsblätter zu einem Thema angeboten würden, die in drei Schwierigkeitsstufen unterteilt sind und so eine oberflächliche Differenzierung „auf den ersten Blick“, nicht aber in der Realität stattfinden könne (vgl. ebd.: 21 f.) Fraglich ist bei so konzipierten Materialien oft auch, wie verschiedene Schwierigkeitskategorien definiert werden (vgl. ebd.: 23). Krauthausen und Scherer (vgl. 2019: 23 f.) sehen in so konzipierten didaktischen Arrangements und praxisbezogenen Methoden keinen konzeptionellen Fortschritt in der Diskussion um eine gelingende Differenzierung im Unterricht. Im Diskurs um eine produktive innere Differenzierung überwiegen nach Krauthausen und Scherer (vgl. 2010: 4 f.) außerdem eher allgemeinpädagogische und schulpädagogische Ansätze, die vor allem die Organisation und Methodik des Unterrichts beleuchten, die Fachdidaktiken aber außen vor lassen.
5.2.2 Natürliche Differenzierung
Im mathematikdidaktischen Kontext wurde das Konzept einer natürlichen Differenzierung von Aufgabenstellungen, die den fachlichen Inhalten bereits innewohnt und mit diesen argumentiert, entwickelt und in Form von Unterrichtsbeispielen und Lernumgebungen erprobt (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 5; Krauthausen und Scherer 2019: 46). Der Begriff der natürlichen Differenzierung zielt dabei auf eine „ganzheitliche Erarbeitung von Themen [..], bei der sich Aufgaben unterschiedliche[r] Schwierigkeitsniveaus in natürlicher Weise ergeben“ (Krauthausen und Scherer 2019: 49), ab. Dadurch entsteht ein Lernangebot für alle Schüler*innen, das nicht zusätzlich durch Lehrperson oder Medium differenziert werden muss (vgl. ebd.: 49). Natürlich Differenzierung eignet sich daher besonders für einen konstruktiven Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht. Die Konzepte der natürlichen Differenzierung und der substanziellen Lernumgebungen hängen eng miteinander zusammen und wurden von Wittmann (vgl. 1998: 337 ff.) auf den Mathematikunterricht bezogen (vgl. auch Krauthausen und Scherer 2010: 5). Auch Weskamp weist auf die natürliche Differenzierung als Weg für einen produktiven Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht hin (vgl. Weskamp 2018: 1). Sie sieht darin eine Alternativlösung zur Festlegung verbindlicher Bildungsstandards, die modellhaft Aufgabenformate vorgeben, welche zwar inhaltsgleich sind, sich aber in unterschiedlichen Aufgabenstellungen für die Schüler*innen niederschlagen (vgl. Weskamp 2018: 1; KMK 2005: 13).
Im Folgenden sollen nun Voraussetzungen bzw. förderliche Rahmenbedingungen für eine gelingende natürliche Differenzierung aufgezeigt werden. Krauthausen und Scherer (vgl. 2010: 5 f.) beschreiben anhand von fünf Merkmalen, wie die natürliche Differenzierung eines Lernangebots umgesetzt werden kann:
Kriterium eins ist die Gleichheit des Lernangebots für alle Kinder. Dieses gleiche Lernangebot sollte nicht mit dem gleichen Inhalt - beispielsweise einer qualitativen Differenzierung in Sinne von in „leichte“, „mittlere“ und „schwere“ Aufgaben unterteilten Arbeitsblättern - verwechselt werden. Ein gleiches Lernangebot liege erst dann vor, wenn alle Schüler*innen an der gleichen, dem Arbeitsprozess übergeordneten Problemstellung arbeiten. Um dies zu realisieren, reiche in den meisten Fällen eine Aufgabenstellung bzw. ein Arbeitsblatt für alle Kinder aus. (vgl. ebd.: 5)
Zweites Kriterium ist das der inhaltlichen Ganzheitlichkeit, die in der Komplexität des Lernangebots zum Ausdruck kommt (vgl. ebd.: 59; Krauthausen und Scherer 2019: 50). Die Autor*innen weisen an dieser Stelle darauf hin, die Komplexität nicht mit einer Kompliziertheit gleichzusetzen und dieser didaktisch durch Vereinfachungen und vermeintlichen Anpassungen an die Lernvoraussetzungen der Schüler*innen entgegenwirken zu wollen (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 5).
Merkmal drei eines natürlich differenzierten Lernangebots ist die passende fachliche Rahmung, also die Organisation der unterschiedlichen Lernprozesse durch die Lehrkraft (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 5; Krauthausen und Scherer 2019: 47). Beispielhaft wird dafür das Konzept der substanziellen Lernumgebungen nach Wittmann genannt (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 5). Darauffolgend ergeben sich durch die Schüler*innen „naturgemäß Fragestellungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade“ (ebd.: 6) und verschiedene Freiheiten im Lernen (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 47). Diese sind jedoch nicht - wie beim in Kapitel 5.2.1 genannten Beispiel der qualitativen Differenzierung durch verschiedene Schwierigkeitsgrade - bereits vorab durch die Lehrkraft oder das Medium bestimmt, sondern entstehen erst durch die Auseinandersetzung der Kinder mit dem Lernangebot (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 6). Diese Fragestellungen bestimmten letztendlich das Bearbeitungsniveau der Aufgabe (vgl. ebd.: 6).
Das vierte Kriterium stellt die freie Auswahl von Lösungs- und Bearbeitungswegen, Hilfsmitteln, Darstellungsweisen und Dokumentationsformen für die individuelle Art der Bearbeitung der gemeinsamen Aufgabe dar (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 6; Krauthausen und Scherer 2019: 51). Diese vielfältigen Mittel, Wege und Techniken müssen allerdings erst im Unterricht erlernt und die Kinder damit über eine metakommunikative Ebene vertraut gemacht werden, um in der konkreten Problemsituation aus einem Repertoire wählen und probieren zu können (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 6).
Das fünfte und letzte Merkmal eines natürlich differenzierenden Lernangebots ist das des sozialen Miteinander- und Voneinanderlernens (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 6). Die Autor*innen beschreiben die Bedeutung der sozialen Kommunikation während des Lernprozesses als der Sache, dem Inhalt innewohnend (vgl. ebd.: 6). Unterschiedliche Bearbeitungs- und Lösungswege, Denkweisen und Darstellungen führten demnach dazu, eigene Ansätze zu reflektieren, zu überarbeiten oder zu vertiefen und sich so intensiv mit dem Lerngegenstand auseinanderzusetzen (vgl. ebd.: 6). Ein solcher Austausch ist - auch wenn die Schüler*innen zwar an der gleichen Aufgabe, jedoch auf verschiedenen Niveaus arbeiten - sinnvoll, da auf diese Weise der Weg für eine individuelle Kompetenzerweiterung geebnet werden kann (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 51). Die Lehrperson begleitet und moderiert diese Austauschphase (vgl. ebd.: 51).
Die Frage, die sich demnach stellt, ist, wie Lernangebote denn konstituiert sein sollten, um dem Konzept einer natürlichen Differenzierung zu entsprechen. Dafür werden verschiedene Anforderungen aufgezeigt:
Zum einen sollte das Lernangebot eine gewisse Komplexität aufweisen, die nicht durch das unnatürliche Zerlegen von problemhaltigen Aufgaben in kleinere Einzelelemente reduziert wird, sondern mathematische Zusammenhänge darstellt und für eine geistige Anregung sorgt (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 52 f.). Außerdem sollten die Aufgaben Offenheit repräsentieren (vgl. ebd.: 53). Der Begriff der Offenheit ist allerdings selten mit eindeutigen Bedeutungsdimensionen belegt, sodass die Bezeichnung einer Aufgabe als „offen“ durchaus kritisch zu sehen ist (vgl. ebd.: 53). Der Begriff der offenen Aufgabe wird in Kapitel 5.2.6.1 näher erläutert. Weiterhin sollte das Lernarrangement eine so konzipierte Einstiegsaufgabe aufweisen, die allen Schüler*innen von Anfang an den Zugang zur Sache ermöglicht (vgl. ebd.: 53; Hirt und Wälti: 16). Auch „Rampen für Leistungsstarke“ (Hirt und Wälti 2019: 16) werden in diesem Zusammenhang als Option genannt, das Bearbeitungsniveau auch jederzeit anheben zu können und auf diese Weise allen Lernenden gerecht zu werden (vgl. Krauthausen und Scherer 2019: 53). Außerdem nennen die Autor*innen einen Diskussionsbedarf, der Lösungswege, Begründungen, Probleme und Gültigkeitsaussagen betrifft und bei der Bearbeitung natürlich differenzierter Lernangebote entstehen sollte (vgl. ebd.: 53). Zuletzt sollte sich ein hohes kognitives Aktivierungspotenzial der Aufgaben abzeichnen, das die Förderung inhaltlicher und allgemeiner mathematischer Kompetenzen zum Ziel hat (vgl. ebd.: 53; KMK 2005: 7).
Als die Lehrperson betreffende Rahmenbedingungen für eine gelingende natürliche Differenzierung und in diesem Zusammenhang einen erfolgreichen Umgang mit Heterogenität werden Folgende beschrieben: Zentral sind Kenntnisse über den mathematischen Kern des Aufgabenformats, diagnostische Kompetenzen, eine fördernde Frage- und Impulstechnik, die Akzeptanz sowie der produktive und offene Umgang mit individuellen Lösungsstrategien und Fehlern, transparente Anforderungen und vor allem eine Sichtweise auf substanzielle Lernumgebungen und natürliche Differenzierung als alltägliche Unterrichtspraxis, die hinsichtlich des gesamten Schuljahres geplant und reflektiert wird (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 17).
Eine natürliche Differenzierung als Differenzierung vom Kind und vom Fach aus müsse immer auch im Zusammenhang mit den anderen vier Stützpfeilern des Mathematikunterrichts - Konzentration auf fachliche Grundideen, aktiv-entdeckendes und soziales Lernen, produktives und automatisierendes Üben und die systemische Qualitätssicherung - durchgeführt werden (vgl. Wittmann 2010: 63). Nur im Gesamtzusammenhang mit diesen Prinzipien des Mathematikunterrichts sei eine wirkungsvolle Differenzierung realisierbar (vgl. ebd.: 63). An dieser Stelle zeigt sich noch einmal deutlich die Verwobenheit dieser Differenzierungsmaßnahmen mit mathematischen Fachinhalten.
5.2.3 Substanzielle Lernumgebungen
Wie bereits in Kapitel 5.2.2 erwähnt, ist eine natürliche Differenzierung nach Meinung der Autor*innen entsprechend der aufgemachten Merkmale besonders dann gut umsetzbar, wenn sie im Rahmen einer substanziellen Lernumgebung realisiert wird (vgl. Krauthausen und Scherer 2010: 7). Die Konstruktion dieser substanziellen Lernumgebungen sei neben der Entwicklung umfassender Curricula die zentrale Aufgabe der Mathematikdidaktik (vgl. Wittmann 1998: 337). Substanzielle Lernumgebungen stellen eine umfassende Erweiterung sogenannter guter bzw. substanzieller Aufgaben im Mathematikunterricht dar (vgl. Hirt und Wälti 2019: 13). Sie folgen einem mathematischen Leitgedanken, einer sachbezogenen Struktur, die sich für die Schüler*innen meist in mehreren Teilaufgaben und Arbeitsanweisungen niederschlägt (vgl. ebd.: 13). Eine substanzielle Lernumgebung besitzt prinzipiell eine offene Struktur (vgl. Wittmann 1998: 339). „Nur die Schlüsselinformationen, die die Lehrperson am Beginn einer jeden Etappe gibt, sind fixiert. Die weiteren Interaktionen mit den Schülern und unter den Schülern bleibt offen“ (Wittmann 1998: 339).
Substanzielle Lernumgebungen zeichnen sich nach Wittmann (vgl. 1998: 337 f.) durch folgende Kriterien aus:
(1) Repräsentation mathematischer Ziele, Inhalte und Prinzipien,
(2) Ermöglichung mathematischer Aktivitäten der Schüler*innen,
(3) flexible Anpassung an die jeweilige Lerngruppe und
(4) ganzheitliche Integration mathematischer, psychologischer und pädagogischer Aspekte des Lehrens und Lernens, dadurch Eröffnung eines empirischen Forschungspotenzials.
Hirt und Wälti (vgl. 2019: 14) formulieren im Folgenden weitere Ansprüche an substanzielle Lernumgebungen, die einen auf Kompetenzerwerb und mathematisches Tätigsein ausgerichteten sowie natürliche Differenzierung ermöglichenden Mathematikunterricht zum Ziel haben. Zentral für die Realisierung substanzieller Lernumgebungen seien demnach (ebd.: 14):
- „mathematische Substanz mit sichtbar werdenden Strukturen und Mustern (fachliche Rahmung)
- Orientierung an zentralen Inhalten
- hohes kognitives Aktivierungspotenzial
- Orientierung der Tätigkeiten an mathematischen Inhalten und Prozessen
- Initiierung von Eigentätigkeit aller Lernenden
- Förderung individueller Denk- und Lernwege sowie eigener Darstellungsformen
- die Zugänglichkeit für alle: Ermöglichen mathematischer Tätigkeit auch auf elementarer Ebene durch die Möglichkeit, an Vorkenntnisse anknüpfen zu können
- Herausforderungen für schnell Lernende mit anspruchsvolleren Aufgaben
- Ermöglichen des sozialen Austauschs und des Kommunizierens über Mathematik“
Besonders herausfordernd ist in diesem Kontext die Passung der Anforderungen an die Lernenden, ihre Lernvoraussetzungen und Vorkenntnisse (vgl. ebd.: 16). Den Autoren nach werde dieser Diskrepanz Rechnung getragen, da die Aufgabenstellungen der Lernumgebungen so zu entwerfen sind, dass die „Offenheit vom Fach her eine Differenzierung zwischen den Lernenden ermöglich[t]“ (ebd.: 16). In so konzipierten Unterrichtsarrangements arbeiten alle Kinder an der gleichen innermathematischen bzw. sachbezogenen Struktur, allerdings auf individuellem Niveau, was dem Konzept der natürlichen Differenzierung entspricht (vgl. ebd.: 16). In diesem Zusammenhang weisen die Autoren darauf hin, dass eine Analyse der Lernvoraussetzungen verbunden mit individuellen Entwicklungszielen und dementsprechend aufgebauten Fördermaßnahmen für die erfolgreiche Umsetzung von Lernumgebungen unabdingbar ist (vgl. ebd.: 16). Ziel ist es, inhaltliche und allgemeine mathematische Kompetenzen durch die mathematische Eigentätigkeit der Schüler*innen aufzubauen (vgl. ebd.: 15; KMK 2005: 7).
Substanzielle Lernumgebungen werden im Mathematikunterricht inszeniert (vgl. Hirt und Wälti 2019: 17). Dabei eröffnet die Lehrperson frontal eine erste Lernaufgabe für alle Kinder, worauf eine Phase der Eigenaktivität der Schüler*innen folgt, in der die Lehrperson als fachliche*r Berater*in zur Verfügung steht (vgl. ebd.: 17 f.). Durch fachliche Hinweise und individuelle weiterführende Aufgaben der Lehrkraft wird die natürliche Differenzierung ermöglicht (vgl. ebd.: 18). Während die Schüler*innen zu Beginn der eigenaktiven Handlungen allein arbeiten sollten, werden im weiteren Verlauf der Lernumgebung Diskussionen und Gespräche über mathematische Entdeckungen, Vorgehensweisen oder auch Probleme angestoßen (vgl. ebd.: 19). Hierdurch wird das soziale Miteinander- und Voneinanderlernen ermöglicht.
Für eine erfolgreiche Umsetzung solcher substanziellen Lernumgebungen wurden Voraussetzungen und Merkmale genannt. Die Basis substanzieller Lernumgebungen wird durch die sogenannten guten Aufgaben im Mathematikunterricht erzeugt. Krauthausen nennt zentrale Qualitätsmerkmale guter Aufgaben und einer wünschenswerten Aufgabenkultur im Mathematikunterricht (vgl. Krauthausen 2018: 260):
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- Citar trabajo
- Lena Volke (Autor), 2020, Umgang mit Heterogenität im Mathematikunterricht der Grundschule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1129126
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