In ihrer Examensarbeit behandelt die Autorin ein Thema aus dem Bereich der Regionalsprachenforschung, speziell der Wahrnehmungsdialektologie sowie der linguistisch ausgerichteten niederdeutschen Philologie. Im Mittelpunkt der Studie stehen die regionalsprachlichen Wissensbestände linguistische Laien und ihre Wahrnehmung von Dialekten und norddeutschen regiolektalen Sprachformen. Diese werden durch eine Kombination verschiedener Testverfahren erhoben (Mental-Map-Test, Salienztest, Pertinenztest), die an einem Sample von insgesamt 58 Probanden am Erhebungsort Rostock durchgeführt wurden.
Die Untersuchung fragt nach der Auffälligkeit regionalsprachlicher Merkmale sowie deren Bewertung und versucht die Testergebnisse durch einen Abgleich mit vorliegenden Studien (Hettler, NOSA) auf ihre Allgemeingültigkeit hin zu überprüfen bzw. Wahrnehmung und Verwendung (NOSA) regionalsprachlicher Formen miteinander zu kontrastieren.
Das Gebiet der Wahrnehmungsdialektologie ist eine noch sehr junge Disziplin der Dialektologie. Diese Examensarbeit lässt in ihrer Analyse und Aufbereitung sowie Präsentation der Ergebnisse bezüglich der Stringenz und sprachlichen Qualität der Beschreibung als auch in Bezug auf die sprachwissenschaftliche Korrektheit keine Wünsche offen.
Inhaltsverzeichnis
I. Abstract
II. Vorwort: Ein sprachliches Kaleidoskop
III. Die Wahrnehmung - Ein kognitiv-soziales Konstrukt
IV. Das Was: Der Sprachraum Deutschlands
4.1 Die Standardsprache Hochdeutsch - Eine Prestigesprache
4.2 Die (Basis-)Dialekte - familiär und vertraut
4.3 Irgendwo zwischen beiden Polen - Die Regionalsprachen
V. Das Wer: Die subjektive Komponente der Perzeptionslinguistik
VI. Das Wie: Salienz und Pertinenz
6.1 Die Salienz als sprachliche Auffälligkeit
6.2 Die Pertinenz: Die Bewertung von Varietäten
6.3 Ein kleiner Einblick in den aktuellen Forschungsstand der Regionalsprachenforschung
VII. Der Methodenkoffer der Wahrnehmungsdialektologie
7.1 Mental-Maps
7.2 Salienz- und Pertinenz-Tests
VIII. Darstellung der eigenen empirischen Untersuchung
8.1 Aufstellung der Hypothesen
8.2 Die Vorgehensweise
8.3 Untersuchungsresultate
8.3.1 Ergebnisse der Mental-Maps
8.3.2 Ergebnisse des Salienz- und Pertinenztests
8.3.3 Überblick: Salienz und Pertinenz der 20 Sätze im Vergleich
IX. Fazit: Allgemeine Tendenzen der Wahrnehmungsdialektologie
9.1 Resümee der aufgestellten Hypothese
9.2 Abgleich mit der Vergleichsstudie Hettlers
9.3 Vergleich mit den Karten des Norddeutschen Sprachatlasses (NOSAs)
9.4 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
X. Ausblick: Fragen, Probleme, Lösungsansätze
XI. Anhang
11.1 Das soziolinguistische Varietätenmodell von Löffler
11.2 Das sprachlichen Kontinuum
11.3 Modell regionaler Varietäten
11.4 Diglossie Norddeutschlands
11.5 Theorie des Hörerurteils
11.6 Die maximale Wissensdifferenzierung
11.7 Die mittlere Wissensdifferenzierung
11.8 Die minimale Wissensdifferenzierung
11.9 Der exhaustive Kartierungstyp
11.10 Der selektive Kartierungstyp
11.11 Der autozentrische Kartierungstyp
11.12 Überblick über die Gewährspersonen
11.13 Darstellung der persönlichen Angaben der GPn
11.14 Test 1: Mental-Maps
11.15 Test 2: Salienz und Pertinenz
11.16 Auswertung der Mental-Maps
11.16.1 Anzahl der Dialektnennungen innerhalb der Altersspanne von 20 - 41 Jahren
11.16.2 Auflistung aller genannten Dialekte in den Mental-Maps (Alphabetisch)
11.16.3 Einordnung in die Kategorien Kleenes
11.16.4 genannte Dialekte der ausländischen Gewährspersonen
11.16.5 Prominente Dialekte
11.17 Auswertung der Fragen der Mental-Maps
11.18 Auswertung des Salienz- und Pertinenztests
11.19 Auswertung der Fragen des Salienz- und Pertinenztests
11.20 Beispielkarten ausgewählter Gewährspersonen
11.21 Karten aus dem Norddeutschen Sprachatlas
XII. Literaturverzeichnis
XIII. Stichwortverzeichnis
I. Abstract
Während die Wahrnehmungsdialektologie als junge Teildisziplin der klassischen Dialektologie Gegenstand verschiedener neuer Studien ist, fehlen für viele Regionen Deutschlands empirische Belege für die subjektive Prominenz1, Salienz2 und Pertinenz3 der regionalsprachlichen Formen des deutschen Sprachraumes. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher eine wahrnehmungsdialektologische Analyse der diatopischen Verortung und laienlinguistischen Bewertung regionalsprachlicher Varietäten und Merkmale Norddeutschlands durch eine empirische Untersuchung im Erhebungsort Rostock. Dabei wird der folgenden Arbeitshypothese nachgegangen: Aufgrund der Homogenität der Probandengruppe lässt sich eine relative Konstanz hinsichtlich ihres Wissens bezüglich der Vielfalt der Regional- sprachen4 Deutschlands sowie ihrer Wahrnehmung und Bewertung erwarten. Diese Konstanz ergibt sich aus der Verknüpfung des individuellen und sozialen Wissens zum Konglomerat des Laienwissens.
Zur Beurteilung wird eine quantitative Analyse durchgeführt. Die Mental-Maps dienen der Erhebung der Prominenz der subjektiv vorhandenen Dialekte. Zudem werden die Salienz und die areale, situative sowie normative Pertinenz eruiert. Durch die Triangulation der empirischen Erhebung und dem Vergleich mit der Bezugsstudie Hettlers (2018) sowie dem Norddeutschen Sprachatlas (2015) kann die Forschungshypothese verifiziert werden. So ist zur Gewährleistung der Reliabilität des erhobenen Laienwissens eine homogene Probandengruppe notwendig. Dabei muss vor allem das Alter und der Erhebungsort bei der Verallgemeinerung des Wissens der Nicht-Linguisten berücksichtigt werden. Damit bewährt sich das Konzept der nicht statischen sondern individuellen sowie situationsabhängigen und somit als dynamisch zu bezeichnenden Salienz wie Pertinenz.
II. VoRWoRT: EiN sPRACHLiCHEs KALEiDosKoP
Wer schon einmal mit offenen ohren und Augen durch die Weiten Deutschlands gereist ist, wird festgestellt haben, dass nicht nur die verschiedenen Brauchtümer und vielgestaltigen Landschaften Deutschland und dessen Kultur prägen, sondern „[.] dass es etliche Erscheinungsformen des Deutschen gibt, die es wie ein sprachliches Kaleidoskop erscheinen lassen.“5 Dies zeigt sich unter anderem an der phonologischen Variabilität spezifischer Laute: Beispielhaft sei hier die Spirantisierung des /g/ im Auslaut von Wörtern zu /ch/ im Bereich der Küstengebiete zu benennen, wie es unter anderem bei Hamburg zu Hambuich der Fall ist, oder aber das typisch Berlinerische ick anstelle des Hochdeutschen ich. Die deutsche Sprache ist auf mehreren Ebenen vielschichtig6 und sowohl räumlich als auch geografisch aufgegliedert, weshalb sie seit Jahrzehnten im linguistischen Bereich der Dialektologie als Forschungs- und Untersuchungsgegenstand angesehen wird. Diese verschiedenen Erscheinungsformen oder auch spielvarianten einer Sprache werden unter anderem von Löffler in seinem soziolinguistischen Modell als Varietäten7 bezeichnet.8 Varietäten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik, Semantik und Pragmatik. Diese Merkmalsbündel gliedern das Gesamt der deutschen Sprache in viele kleinere Subsysteme. Zu diesen zählen zum Beispiel die Soziolekte einer Gruppe (Jugendsprache), die Genderlekte (das heißt der unterschiedliche Sprachgebrauch der Geschlechter) aber auch die Idiolekte (der individuelle Sprachgebrauch) oder die vielzähligen Dialek- te9. Löffler stellt in seinem Modell10 graphisch die Überschneidungsmöglichkeiten dieser, von ihm als Varietäten bezeichneten, sprachlichen Formen dar. Anhand dieser Interferenzen wird einerseits die Vielschichtigkeit von Sprache expliziert, andererseits verdeutlicht diese Darstellung die Nichtexistenz einer homogenen deutschen Sprache innerhalb der Staats- oder gar Bundeslandgrenzen.11 So besitzt jedes einzelne sprachliche Individuum neben seinem eigenen Idiolekt ebenfalls verschiedene Soziolekte, da es in diversen sozialen Gruppen als unterschiedlicher Akteur sprachlich agiert (bespielhaft sei hier neben dem sozialen Raum der Arbeit, derjenige der Familie oder der Freunde genannt). KellermeierRehbein formuliert diesen Tatbestand wie folgt:
Von einer einheitlichen deutschen Sprache kann folglich keine Rede sein. Die Sprecher des Deutschen verfügen über eine innere Mehrsprachigkeit, d.h. sie sind in der Lage, aus der Vielzahl der Varietäten diejenige auszuwählen und zu verwenden, die für die jeweilige Kommunikationssituation am besten geeignet ist.12
Die Kenntnis dieses Varietätenreichtums im sprachlichen Kontinuum zwischen Basisdialekt und Standard ist
[.] noch äußerst spärlich [beschrieben] und einhergehendere vergleichbare Beschreibungen regional determinierter und situativ variierender Sprechlagen und Register [liegen] nur in Ansätzen vor [.].13
Die linguistische Disziplin der Dialektologie nimmt dieses Spektrum an Varietäten in das Zentrum ihrer Forschung und widmet sich ihnen aus der Perspektive ihrer drei klassischen Teildisziplinen: 1. Die Dialektografie betrachtet den Dialekt als ein linguistisches Phänomen und versucht die regionalen Varietäten einer Sprache auf der Basis linguistischer Termini zu beschreiben. 2. Innerhalb der Dialektsoziologie hingegen wird der Dialekt als ein soziales Phänomen angesehen, welcher einer sozialen Konnotation unterliegt und dementsprechend nach sozialen Faktoren variiert. (Welche Sprecher beziehungsweise Sprecherin- nen14 sprechen wie?). 3. Zu guter Letzt die Dialektgeografie, die den Dialekt als ein areales Phänomen darstellt und somit die diatopische Ausbreitung von regionalen Varietäten beschreibt und untersucht.15
Innerhalb dieser drei großen Forschungsfelder gibt es jedoch stets Phänomene, die nur schwer erklärt werden können. Eines davon ist die Frage um die Gründe und Stimuli des Sprachwandels, um zum Beispiel dem Verschwinden oder der Verstärkung von regionalen Sprachlagen nachzugehen. Da Sprache stets ein dynamisches System ist, welches einem steten Wandel unterliegt, entwickelten unter anderem Schmidt und Herrgen ihr Modell der Sprachdynamik:
Unter sprachdynamik verstehen wir daher die Wissenschaft von den Einflüssen auf die sich ständig wandelnde komplexe Sprache und von den sich daraus ergebenden stabilisierenden und modfizierenden Prozessen.16
Den Hauptgrund dieser Dynamik verorten die beiden Autoren in den Synchronisationen der Sprecher untereinander auf diversen Ebenen.17 Diese Synchronisierungsakte sind Teil des alltäglichen sprachlichen Austauschs zwischen Kommunikationspartnern. Innerhalb dieser Akte müssen bestimmte, soziale Faktoren auftreten, welche sich auf den Sprachgebrauch auswirken und ihn nachhaltig prägen.18 Versucht man diese Faktoren zu identifizieren, stößt man zunächst auf eine große Variable: Den Sprachbenutzer selbst. Dieser NichtLinguist, der sogenannte linguistische Laie, rückt daher in der Mitte der 70er-Jahre19 des letzten Jahrhunderts in das Zentrum der Dialektologie und etabliert eine neue, vierte Teildisziplin: Die Wahrnehmungsdialektologie.20 Diese, auch als Ethnodialektologie, Alltagsdialektologie, Laiendialektologie, Perzeptionsdialektologie oder Perceptual Dialectology bezeichnete Forschungsrichtung, widmet sich der Untersuchung der Wahrnehmung von Sprache durch die linguistischen Laien. Die Fragen, welches Wissen Sprachbenutzer von den Varietäten der Sprache besitzen, wie diese Ebenen der Sprache wahrgenommen und daraufhin eventuell kategorisiert werden sowie die Frage nach der Auswirkung dieses Wissens und der daraus folgenden Bewertung als auch dem Gebrauch solcher Sprachlagen, führen zu neuen Erkenntnissen, aber auch methodischen Problematiken.21
Wird beispielsweise der niederdeutsche Dialekt in Mecklenburg-Vorpommern von den Hörern und Sprechern als Bauernsprache, altmodisch und längst überholt bewertet, da er unverständlich oder unschön in ihren Ohren wahrgenommen wird, so ist es nachvollzieh- bar, dass sich diese regionale Varietät im Laufe der Generationen abbaut und irgendwann gänzlich verschwindet.22
Um Sprachwandel und vor allem die Mechanismen, die ihn auslösen, untersuchen zu können, ist demnach die Erforschung von Laienwissen als prägender Faktor entscheidend.23
Mit der fortschrittlichen Forderung von Anders, Hundt und Lasch, dass es der Welt der Fachwissenschaft nicht länger egal sein darf, was die Sprecher einer Sprache selbst, die linguistischen Laien, über Sprachvarietäten denken, welches Wissen sie verfügen und wie bestimmte Sprachformen bewertet werden,24 gewinnt die stetig heranwachsende Forschungshypothese, dass der dynamische Wandel regionalsprachlicher Varietäten durch die Analysen der Hörerurteile expliziert und erklärt werden kann,25 immer mehr an Beachtung. Diese Refokussierung, weg von den objektiven linguistischen Erklärungen hin zu den subjektiven Wissensbeständen und Einstellungen der Laien, erlaubt eine Erweiterung des Forschungsfokus und eine damit einhergehende Ergänzung des vorhandenen methodischen Instrumentariums, auf deren Basis neue Erklärungsansätze für bereits bekannte, bislang aber nicht zufriedenstellend erklärbare linguistische Phänomene26 gefunden werden kön-nen. 27
Die Disziplin der Wahrnehmungsdialektologie widmet sich dabei beispielhaft den folgenden Fragen: a) Über welches Wissen verfügt der linguistische Laie in Bezug auf regionale Substandardvarietäten? b) Welche mentalen Landkarten besitzt er? c) Welche Dialekte spielen im sprachlichen Alltagsgebrauch überhaupt eine Rolle und sind als Konstrukte in den Köpfen der Sprecher vorhanden? d) Welche Bezeichnungen und Bezugssysteme besitzt der linguistische Laie für bestimmte Dialekte? e) Wie beliebt sind die objektiv vorhandenen Dialekte? f) Welche Merkmale werden mit den Dialekten verbunden und welche Assoziationen beziehen sich auf die Dialektsprecher oder den Raum des Dialekts?28 Die Frage, wie der linguistische Laie, der Sprachbenutzer, die Sprache selbst wahrnimmt, steht dabei im Mittelpunkt der Fachwissenschaft.29 Viele Studien haben bereits versucht, sich einigen dieser komplexen Fragestellungen zu nähern. Dabei überwinden Autoren wie Anders (2010/2011), Elmentaler (2010), Rosenberg (2015), Hundt (2010/2017/2018), Spiekermann (2006/2010) oder Voeste und Gessinger (2006) diverse Probleme der jungen Disziplin: Einerseits ist stets eine kritische Betrachtung der objektiv-linguistischen Termini, wie Dialekt, Standard oder Regionalsprache, notwendig, da der im Vordergrund der Betrachtung stehende linguistische Laie den fachwissenschaftlichen Definitionen nicht Folge leistet.30 Andererseits gibt es ein Problem der Datenerhebung: Die Methoden zur Erfassung des Laienwissens haben jeweils ihre zwei Seiten der Medaille, ihre Vor- wie auch Nachteile. Die Fachwissenschaft legt daher in den Anfängen der jungen Disziplin ihr Hauptaugenmerk auf die Erweiterung und Ergänzung der fachwissenschaftlichen Termini und ihres Methodenrepertoires.
An dieser Vorgehensweise orientiert sich ebenfalls die vorliegende Arbeit: Der theoretische Teil beschäftigt sich mit den wesentlichen Begrifflichkeiten der Wahrnehmungsdialektol ogie, beginnend beim Terminus der Wahrnehmung selbst. Anhand der von Anders als Zentralfrage der neuen Forschungsrichtung postulierten Fragestellung: „ Wer nimmt Wie Was wahr?“31, sollen im Anschluss daran die Komponenten des Wer, Wie und Was ausgeleuchtet werden.
Hierfür ist es notwendig, auf das sprachliche Kontinuum zwischen Standardsprache und Basisdialekten näher einzugehen und diese, in Anlehnung an Autoren wie unter anderem Spiekermann (2006/2010), Schmidt & Herrgen (2011) sowie Plewnia und Rothe (2011/2012), definitorisch voneinander abzugrenzen. Die Regionalsprachen als Kernthematik dieser Arbeit sollen ebenfalls innerhalb dieses Kontinuums verortet und charakterisiert werden.
Nachdem das Was der Frage Anders ausführlich erläutert wurde, gilt es anschließend sich dem Wer genauer zu widmen: Der linguistische Laie rückt mit seinen subjektiven Wissensbeständen in die weitere Betrachtung des Theorieteils. Hierbei wird dieser unter Rückgriff auf Studien von unter anderem Hundt, Palliwoda und Schröder (2015/2017), Anders (2010/2011) sowie Hundt (2017) betrachtet.
Wie diese Laien die dargestellten regionalsprachlichen Varietäten wahrnehmen und bewerten, welche Einstellungen und Bewertungen sich entwickeln, soll im letzten Abschnitt des theoretischen Teils der vorliegenden Arbeit expliziert werden. Hierbei ist es notwendig, die Termini salienz wie auch Pertinenz auszuleuchten und voneinander abzugrenzen. Dabei wird vorwiegend auf die Autoren Palliwoda (2017) und Purschke (2011) zurückgegriffen. Im Anschluss werden die bisherigen Tendenzen einiger wahrnehmungsdialektologischer Studien diverser Autoren wie Plewnia und Rothe (2011/2012), Hettler (2018) sowie Hundt (2010/2011/2017) dargestellt, welche eine hohe Relevanz für die eigene empirische Untersuchung aufweisen.
Um die zentralen Komponenten des W er, wie und was im Rahmen der eigenen empirischen Untersuchung erheben zu können, wird auf eine triangulierte Erhebungsmethodik zurückgegriffen. Hierbei dienen die Mental-Maps als kognitive Landkarten zur Analyse der Prominenz und Verortung diatopischer Varietäten durch die linguistischen Laien. Auf der Grundlage der angeführten Forschungsliteratur sind relativ konstante Ergebnisse der mentalen Landkarten zu erwarten, wie etwa in Bezug auf die prominentesten Dialekte und deren sowohl positive wie auch gleichzeitig negative Bewertung. Die sich anschließenden Salienz- und Pertinenztests erlauben durch die Hinzunahme der Vergleichsstudie Hettlers (2018) sowie des Norddeutschen Sprachatlasses (NOSAs) (2015) Rückschlüsse auf allgemeine Tendenzen der subjektiven Auffälligkeit sowie bezüglich der arealen, situativen sowie normativen Bewertung regionalsprachlicher Varietäten und Merkmale Norddeutschlands.
Die Triangulation erlaubt die Bewertung der Arbeitshypothese, dass aufgrund der Homogenität der Probandengruppe sich eine relative Konstanz hinsichtlich ihres wissens bezüglich der Vielfalt der Regionalsprachen Deutschlands sowie ihrer wahrnehmung (salienz) und Bewertung (Pertinenz) regionalsprachlicher Varietäten und Merkmale Norddeutschlands erwarten lässt. Diese relative Konstanz der Erhebungsdaten ergibt sich aus der Verknüpfung des individuellen und sozialen Wissens zum Konglomerat des Laienwissens. Die sich ergebenden Tendenzen sollen mit der Studie Hettlers (2018), welche auf eine ähnliche Probandengruppe zurückgreift, sowie dem NOSA (2015) verglichen und im Hinblick auf die leitende Arbeitshypothese ausgewertet werden. Ziel ist es einerseits, die Hypothese durch eine eigene empirische Erhebung und den Abgleich mit der weiteren Forschungsliteratur zu bestätigen sowie andererseits mögliche Faktoren zu identifizieren, die zur Falsifikation der Annahme führen können. Rückt dementsprechend die wahrnehmungs Dialektologie in den Fokus der Betrachtung, ist es unerlässlich, den Begriff der wahrnehmung selbst als ersten Ansatzpunkt zu definieren.
III. Die Wahrnehmung - Ein kognitiv-soziales Konstrukt
Der neue Blick der Dialektologie, „[d]er Blick auf den linguistischen Laien, auf seine Sicht der Dialekte |...|“32, führt dazu, dass der Nicht-Linguist als Sprachbenutzer mit seinen Vorstellungen und Wahrnehmung in Gegensatz gesetzt wird zum bisherigen Expertenwissen. Die Wahrnehmung der Sprecher muss daher, ähnlich wie die Wahrnehmungsdialektologie selbst, terminologisch definiert werden. Anders widmet sich 2010 dieser Aufgabe und expliziert den Wahrnehmungsbegriff im Sinne eines terminus technicus als eine „|.| soziale Repräsentation |.|“33, welche aus der kognitiven Verarbeitung sozialer Informationen über Situationen sowie Personen entsteht. Durch diese können „|.| Aspekte der sozialen Urteilsbildung und Stereotypisierung untersucht werden.“34 Der Begriff der Wahrnehmung kann gemäß Anders in drei Dimensionen (psychisch-physiologisch, sozial, kognitiv) aufgeschlüsselt werden:35
Die erste Dimension, die psychisch-physiologische, greift auf die biologischen Vorgänge der Perzeption36 zurück. Es ist die reine Aufnahme externer und interner Informationen über den menschlichen Sinnesapparat. Für die Ethnodialektologie hat dieses reine Perzept als Resultat keine primäre Relevanz, da es sich nicht mit der Sprache per se auseinander- setzt.37
Die zweite Dimension ist die kognitive. Sie beschreibt Anders als „|.| reine Informationsaufnahme eines kognitiven Objektes durch ein kognitives Subjekt |.|“38 sowie die dazukommenden kognitiven Verarbeitungsprozesse. Die Perzeption wird demnach durch die Apperzeption39 ergänzt. Das Perzept liegt somit in Form eines kognitiven Konstruktes als Endresultat vor, welches expliziert und reflektiert werden kann. Da Sprache jedoch nicht nur eine Aktivität eines einzelnen Individuums ist, sondern stets der Interaktion bedarf,40 bietet auch diese Dimension der Wahrnehmung keine ausreichende Basis für die Perzepti- onsdialektologie.41
Um sowohl das Perzept als ein kognitives wie auch soziales Konstrukt darstellen zu können, bedarf es der sozialen Dimension der Wahrnehmung:
Wahrnehmung ist in dieser Dimension als unmittelbare Wahrnehmung dialektisch an soziale Kategorisierungen geknüpft, da das wahrgenommene Objekt als Teil der Wirklichkeit bereits durch die Intersubjektivität der Individuen konstituiert wird.42
Die Frage, was der Mensch als sozial verstandenes Wesen an Wissen besitzen und erkennen kann, wird somit zentral. Anders geht bei ihrer Darstellung davon aus, dass unsere Wahrnehmung der Umwelt und somit auch der Sprache an soziale Kategorisierungen geknüpft ist, „[.] durch die eine Zuordnung in einem Erwartungskontext ermöglicht wird.“43 44 Das Alltagswissen, oder genauer gesagt, die Wirklichkeit der Alltagswelt, ist somit intersubjektiv geprägt und wird durch die in ihr vorkommenden und interagierenden Individuen stetig neu konstruiert, sodass in einem steten Wandel neue Kategorisierungen durch häufige Stereotypisierungen zum Vorschein treten und populär werden. Das subjektive, individuelle Alltagswissen ist stets ein Konglomerat des individuellen und sozialen Wis-sens.
Dies führt zu einem Vor- und einem Nachteil der Erhebung laienlinguistischen Kenntnisse innerhalb der Forschung der Wahrnehmungsdialektologie: Einerseits kann davon ausgegangen werden, dass individuelle Wissensstände stets ein Abbild des sozialen Wissens einer Sprachgemeinschaft darstellen, sodass bei Datenerhebungen mit einer relativen Konstanz des Laienwissens gerechnet werden kann. Andererseits ist die Unterscheidung zwischen der Referenz auf sozial-verankerte Stereotype anstelle des eigenen, individuellreproduzierten Wissens von außen betrachtet nicht möglich. Eine mögliche Arbeitshypothese, mit welcher auch Anders arbeitet, ist, dass das individuelle Wissen der linguistischen Laien selbst stets abhängig von ihrem subjektiven Lebensraum ist.45 Präzise formuliert: Das dargebotene Alltagswissen, welches mit Hilfe spezifischer perzeptionslinguistischer Methoden erhoben wird, ist ein
[...] Schnittpunkt sozialen und individuellen Wissens [.], das als die organisierte interne Struktur von Alltagserfahrungen der Individuen wie der sozialen Gruppen gelten kann und in diesem Kontext einen konstituierenden Teil der Konstruktion der Wirklichkeit darstellt.46
An diesem Knotenpunkt setzt auch eine weitere Hypothese Anders‘ an: Wenn das individuelle sprachliche Wissen teilweise ein Abbild des gesellschaftlichen Sprachwissens einer Sprachgemeinschaft darstellt, so können Sprachwandelprozesse innerhalb dieser Gemeinschaft erklärt werden, indem eine Vielzahl an individuellen Wissensträgern befragt wird und deren Wahrnehmungen, Einstellungen und Bewertungen zu bestimmten Sprachvarietäten zu allgemeinen Grundeinstellungen zusammengefasst werden.47 Die daraus resultierende Rekonstruktion der laienlinguistischen Repräsentationen erfolgt dabei über die zentrale Frage: „ wer nimmt wie was wahr?“48
Anders‘ Aufschlüsselung des Begriffs der Wahrnehmung, der zentral für die Perzeptionslinguistik ist, legt den Grundstein der Hypothese, dass Sprachwandelprozesse ihren Ursprung bei den Sprechern beziehungsweise der Sprachgemeinschaft selbst finden. Daher ist es eindeutig, dass diesen Sprechern die vollkommene Aufmerksamkeit zuteil kommen muss, um bisher ungeklärte Prozesse innerhalb der (deutschen) Sprachgemeinschaft, wie den Dialektabbau oder den Sprachwandel, erklären zu können. Anhand der zentralen Fragestellung Anders‘, wer wie was wahrnimmt, soll im weiteren Verlauf der Arbeit zunächst auf das was genauer eingegangen werden, indem der Untersuchungsgegenstand der Regionalsprachen dargelegt und abgegrenzt wird.
IV. Das Was : Der Sprachraum Deutschlands
Auf den ersten Blick scheint es kurios von Varietäten der deutschen Sprache zu sprechen, da es schließlich die Einheitssprache Hochdeutsch gibt, denn nur für sie existiert eine etablierte schriftliche Norm. So sei von der Hypothese auszugehen, dass alle deutschsprachigen Personen ein und dieselbe Sprache, nämlich den Standard, in ihrem Alltag zur Kommunikation verwenden. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt die Vielfalt des deutschen Sprachraumes innerhalb der Staatsgrenzen. Hier können seit Jahrhunderten gravierende Unterschiede ausfindig gemacht werden. Diese können einerseits einzelne Konsonanten betreffen, wie beim Wort ich, welches innerhalb Norddeutschlands, vor allem rund um Berlin, als ick ver- sprachlicht wird, wohingegen Mittel- und Süddeutschland zum standardkonformen ich tendieren. Diese Variabilität kann andererseits ganze Lexeme betreffen: Zum Beispiel wird in Mecklenburg-Vorpommern das Wort Pferd kommuniziert, wohingegen Regionen wie Hessen und Baden-Württemberg statt des Lexems Pferd eher Gaul verwenden.49 Eine scheinbar unendliche sprachliche Variabilität eröffnet sich den Hörern, die ganz genau auf die verwendete Sprache im Alltag der Sprachbenutzer achten. Sei es bezüglich des Wortgebrauches, der Satzstellung, der Umgangsweise durch die Sprache oder auch die Aussprache selbst, welche die Linguisten, speziell die Dialektologen, seit Jahrhunderten begeistert. Diese Vielfältigkeit der (deutschen) Sprache soll im Folgenden genauer ausgeleuchtet werden, da es einige terminologische Hürden zu überwinden gilt.
4.1 Die Standardsprache Hochdeutsch - E ine P restigesprache
Die deutsche Sprache ist, wie oben dargestellt wurde, keine homogene Standardsprache, sondern plurizentrisch.50 Diese Pluriarealität des Deutschen basiert als theoretisches Konzept auf der Notwendigkeit der Neudefinition des Begriffes standard sowie „[.] die Bildung eines Varietätenmodells, aus dem zum einen die standardsprachliche Vielfalt und zum anderen deren Verhältnis zu anderen Varietäten hervorgeht.“51 Diese Aufgabe soll im Folgenden bearbeitet werden.
Die Standardsprache ist im Allgemeinen gekennzeichnet durch ihre Überregionalität. Diese ermöglicht es ihr, dass sie in allen Teilen, in welchen die deutsche Sprache gesprochen wird, verstanden und geschrieben werden kann, ohne dass Verständnisprobleme die Kommunikation behindern. Hierfür ist eine Kodifizierung und Normierung der hochdeutschen Standardsprache unerlässlich.52 Während einige Autoren darauf verweisen, dass der Begriff der Varietät53 an der Stelle der Definition des Standards eher fehl am Platz ist,54 lehnen andere Autoren wie Ammon (1986) diese statische Festschreibung des Standards deutlich ab. Ohne ein gewisses Maß an Flexibilität wäre eine Weiterentwicklung der hochdeutschen Standardsprache nicht möglich. Demzufolge ist ein konstitutives Merkmal ihre rein diatopische Invarianz - wohingegen der Dialekt „[.] geradezu als Antonym zur Standardsprache [.]“55 angesehen werden kann. Standards sind demzufolge meistens national und umfassen areallinguistisch betrachtet den gesamten Bereich innerhalb gewisser Staatsgrenzen (zum Beispiel der nationale Standard innerhalb Deutschlands, Österreichs oder der Schweiz).56 Solche nationalen Oralisierungsnormen sind „[.] durch Freiheit von (kommunikativen) salienten Regionalismen [.]“57 gekennzeichnet.
Die festgelegten, kodifizierten Normen der Sprache, zum Beispiel bezüglich ihrer Orthographie, müssen gemäß Elmentaler und Rosenberg nicht jedem einzelnen Sprachbenutzer in vollem Umfang bewusst und abrufbar sein.58 Dies wird deutlich, wenn während einiger Unterhaltungen in alltäglichen Situationen diverse Fehler entstehen, wie die Verwechslung von als und wie oder der Dativ in Sätzen wie: „Das ist Lisa ihr Auto.“ Daher soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit von der folgenden Definition ausgegangen werden: Standardsprache besitzt durch ihre Kodifizierung und festgeschriebene Norm eine überregionale Verständlichkeit sowie Einheit der Orthografie. Diese diatopische Invarianz erlaubt dennoch eine Variation innerhalb des Standards, zum Beispiel in der lexikalischen Gestalt der Synonyme oder bezüglich des kontextabhängigen Sprachgebrauchs.59 Dadurch wird eine Weiterentwicklung der Sprache gewährleistet.
Häufig wird mit dem Hochdeutschen ein gewisses Prestige verbunden. Standardsprecher, so Schoel und Stahlberg, kennzeichnen sich durch einen höheren Status und eine gesteigerte sprachliche Kompetenz.60 Eine Begründung dieser Assoziation bietet die sogenannte Normdekrethypothese:
Sie geht davon aus, dass die Ursache des höheren Prestiges der Standardsprache darin liegt, dass diese von statushohen Gruppen in einer Gesellschaft gesprochen und sozial wie institutionell gefördert wird.61
Die Standardsprache wird als positivere, schönere Form, als die Sprache der Öffentlichkeit, der Mittel- und Oberschicht der sozialen Bevölkerung wahrgenommen.62 Die Verknüpfung der Sprache mit einem Teil der Identität ist eine wichtige Voraussetzung, um solche Hypothesen, welche auf Einstellungen und Bewertungen von Sprache allgemein basieren, untermauern zu können. Sprache dient demgemäß nicht allein der Verständigung oder der Identifizierung der regionalen Zugehörigkeit, sondern in einem deutlich höheren Maße zur Identitätsstiftung selbst.63 Neben der hochdeutschen Standardsprache als ein Pol, muss dementsprechend ein genau gegensätzlicher existent sein, um das Kontinuum zwischen beiden zu eröffnen. Diesen bilden die sogenannten (Basis-)Dialekte, welche im folgenden Kapitel näher erläutert werden.
4.2 DiE (BAsis-)DiALEKTE - FAMiLiÄR UND VERTRAUT
„Dialekte sind standardfernste, lokal oder kleinregional verbreitete Vollvarietäten [.]“64 und bilden als Basis-Dialekte65 den Gegenpol zum prestigebehafteten Standard. Wiesinger beschreibt sie zudem als ländlich, stark lokal gebunden, entwicklungsgeschichtlich konser-vativ, die von der wenig mobilen Bevölkerung im alltäglichen privaten Gebrauch gesprochen werden und durch diese distinkte, areale Begrenzung von einer geringen kommunikativen Reichweite geprägt sind.66
‘Ein Basisdialekt ist in der Regel ein solcher mit höchster durchschnittlicher Dialektalität und einem gewissen exklusiv-lokalen Bestand, der zunehmend als archaisch bewertet wird.‘67
Bezüglich der Definition des Dialektes ist auffällig, dass er sich nie aus sich selbst heraus definiert, sondern stets zu einem Referenzsystem, nämlich dem der Standardsprache, in Beziehung gesetzt wird.68 Dialekte gibt es jedoch nicht erst, seitdem es das Hochdeutsche gibt. Bereits im antiken Griechenland konnten verschiedene Sprachformen unterschieden werden, die unter anderem in der Tragödie für die Unterscheidung von Chor und Personen dienten. So ist es nicht überraschend, dass der Begriff des Dialektes aus dem Griechischen stammt: „^ öiaksKTÖg heißt die Unterredung, von SiakéYsauai: sich unterhalten, dann die Art des Redens, die Redeweise.“69
Löffler definiert den Begriff Dialekt als
[.] das, was man unter ortsgebundener, einheimischer Sprache versteht, wofür man für gewöhnlich aber die Ortsadjektiv-Bildung auf -isch verwendet: Kölsch, Münchnerisch, Schwäbisch, Fränkisch.70
Auch das bereits angesprochene Berlinerische ick würde diese Kategorie hervorragend bedienen. Doch nicht nur die Bildung der Dialektformen durch bestimmte Suffixe oder die reine Ortsgebundenheit dienen als ausreichende notwendige Bedingungen für die Grenzziehung zwischen Standard und Dialekt. Anhand sechs verschiedener Kriterien erläutert Löffler in seiner Einführung zur Dialektologie seine terminologische Differenzierung: Das erste Kriterium zielt darauf ab, dass der Dialekt ein Subsystem zu einem übergeordnetem Sprachsystem, der Standardsprache, darstellt, hingegen dieser jedoch in grammatischen und lexikalischen Bereichen zu Abweichungen tendiert. Diese Eigenheiten beeinflussen jedoch nicht die Verständlichkeit des Dialektes selbst.71 Das zweite Kriterium, das des Verwendungsbereiches, verortet den Dialekt entgegengesetzt zum Standard im „[f]amiliär- intimen-Bereich, örtlichen Bereich und Arbeitsplatz, mündliches Sprechen.“72 Das Kriteri- um der Sprachbenutzer teilt die Sprecher des Standards in die Gruppe der Mittel- und Oberschicht ein,73 wohingegen die Dialektsprecher der unteren Sozialschicht zuzuordnen sind.74 Beim Kriterium der sprachgeschichtlichen Entstehung geht Löffler davon aus, dass sich die Standardsprache aus den dialektalen Ursprungsformen entwickelte.75 Das Kriterium der kommunikativen Reichweite besagt, dass sich Dialekte durch ihre Orts- und Raumgebundenheit sowie ihre Landschaftsspezifität von der diatopischen Invarianz des Standards unterscheiden.76 Das sechste und somit letzte Kriterium grenzt die Dialekte durch eine minimal kommunikative Reichweite von der unbegrenzten und optimalen kommunikativen Weite des Standards ab.77
Die in dieser Arbeit verwendete Definition des Begriffs Dialekt fasst die (Basis-)Dialekte als den Gegenpol zum Standard innerhalb des sprachlichen Kontinuums auf. Somit kennzeichnen sich diese durch ihren (fast ausschließlich) mündlichen Gebrauch, da weder eine festgelegte und tradierte Normierung noch eine Kodifizierung vorliegen. Zudem werden Dialekte in privaten Kommunikationssituationen verwendet und erreichen nicht den Grad der Öffentlichkeit des Standards. Über die Sprachbenutzer soll hierbei kein allumfassendes Urteil gefällt werden. Hinzuzufügen ist der Definition ihre areale kleinräumige Erstreckung und die damit einhergehende geringere kommunikative Reichweite eines jeden Dialekts. Ebenfalls zu konstatieren ist, dass der Terminus des Dialekts stets eine Vielzahl von Varietäten umfasst und es somit nicht den einen Dialekt gibt. Diese Vielfalt kennzeichnet sich durch spezifische phonetische, morphologische, syntaktische, lexikalische und grammatische Eigenheiten innerhalb ihres mündlichen Gebrauchs.
Das durch die terminologische Grundlage geschaffene, aufgestellte Kontinuum zwischen (Basis-)Dialekten und Standardsprache eröffnet die weiterreichende Frage, wie sich alle weiteren Sprachlagen zwischen diesen beiden gegensätzlichen Polen anordnen lassen. Dieses Varietätenspektrum der deutschen Sprache im intermediären Bereich beinhaltet eine „[.] Vielzahl von Übergangsstufen [.]“78 und besitzt, gemäß Niebaum und Macha, eine hohe kommunikative Relevanz und sollte in das Zentrum der dialektologischen, spezifischer der wahrnehmungsdialektologischen, Forschung gerückt werden.79
Auf dieser „[.] dialektalen Stufenleiter [.]“80 zwischen den Polen siedeln sich die als sogenannte Umgangssprachen oder auch Regionalsprachen bezeichneten Varietäten an.81 Die bisherigen Erkenntnisse „[...] der variativen Strukturen des ,mittleren Bereichs4 [.]“82 erweisen sich durch Forschungsarbeiten wie dem Rede- oder SiN-Projekt und Arbeiten von Kehrein (2010), Lenz (2010) sowie Herrgen und Schmidt (2011) als sehr ergiebig. Daher soll sich der nächste Abschnitt mit den Sprachebenen des intermediären Bereiches genauer auseinandersetzen. Die Herausstellung der Notwendigkeit und Unabdingbarkeit der wahrnehmungsdialektologischen Konzentration auf die Regional- beziehungsweise Umgangssprachen sowie die terminologische Festlegung und Abgrenzung dieser Varietäten im vertikalen und horizontalen Gefüge gilt hierbei als angestrebte Zielstellung.
4.3 Irgendwo zwischen beiden Polen - Die Regionalsprachen
Seit dem 16. Jahrhundert kann im deutschsprachigen Raum ein Dialektabbau beziehungsweise -verfall nachvollzogen werden. Die Dialekte, auch ehemals „lantspraken“83 genannt, wurden zugunsten einer überregionalen Einheitssprache aufgegeben. Das entstehende duale System bestehend aus (Basis-)Dialekten und der deutschen Hochsprache entwickelte innerhalb seiner breiten Mitte sogenannte Hybriddialekte, die Regionalsprachen84. Diese entstanden durch die immer größer werdenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kommunikationsräume, wodurch ein reger Dialektkontakt ermöglicht wurde.85 Zum Ziel der großräumigeren Verständigung nahm der Gebrauch kleinräumiger, regionaler Merkmale in Richtung des Standards ab, ohne diesen gänzlich zu erreichen.86
Dieser Wandel bewegt sich nicht allein linear entlang einer NiederdeutschHochdeutsch-Polarität, sondern zeigt ,dritte‘ Konvergenzpole. Dabei scheint es, dass Dialektabbau nicht einfach einen Übergang zum hochdeutschen Standard beinhaltet, sondern einen Umbau von lokalen in regionale Marker und von sozialen in pragmatische, die im variablen Sprechen neue Funktionen einnehmen und zum Gegenstand individueller Wahlen werden [.].87
Die innerhalb des mittleren, breiten Bereichs des sprachlichen Kontinuums befindlichen Regionalsprachen, auch (regionale) Umgangssprachen, Substandard, Non-Standard oder Gebrauchsstandard genannt,88 sind gemäß Plewnia und Rothe „[.] regional geprägte, unterschiedlich dialektale, sprechsprachliche Formen, die unterhalb des Standards zu verorten sind.“89 Im Gegensatz zum regionalen Standard, welcher in öffentlichen und formellen Situationen Verwendung findet, werden die Regionalsprachen in halbinformellen oder informellen Situationen gebraucht.90
Die regionalen Umgangssprachen umfassen das genuin orale Konglomerat an Sprachlagen zwischen Dialekten und Standard, die sich auf eine gemeinsame Standardsprache beziehen. Sie sind, anders als die deutsche Hochsprache, regional begrenzt und weisen neben einer vertikalen, auch eine horizontale Gliederung untereinander auf, sodass sie sich nicht nur areal vom Dialekt und Standard unterscheiden, sondern ebenfalls geografisch untereinander separiert werden können. Dies ist möglich durch die jeweiligen Regionalakzente und die damit einhergehenden salienten Regionalismen.91 Diese „[.] konventionelle[n] Variantenset[s] mit einer höheren arealen Reichweite als der Dialekt und einer geringeren als der der Standardsprache [.]“92, sind jedoch keine Einzelvarietäten, sondern werden von Schmidt und Herrgen als Sprachen dargestellt.93 Eine Regional sprache:
[.] ist eine durch Mesosynchronisierungen vernetztes Gesamt an Varietäten und Sprechlagen, das horizontal durch die Strukturgrenzen der Dialektverbände/-regionen und vertikal durch die Differenz zu den nationalen Oralisierungsnormen der Standardvarietät begrenzt ist.94
Die Standard- oder Dialektnähe einer solchen Umgangssprache ist variabel und abhängig vom jeweiligen Kommunikationspartner, dem Thema, der Gesprächssituation, der beabsichtigten Wirkung aber auch von der Bekanntheit der Varietät selbst.95 Neben der horizontalen (diatopischen) muss dementsprechend auch eine diastratische (soziale) sowie diaphasische (u.a. situative) Unterscheidung erfolgen. Die Non-Standard-Sprecher diktieren diese Sprachform als Teil ihrer Identität. Im Abschnitt 4.1 wurde die Normdekrethypothese angesprochen, welche dem Standard ein hohes Maß an Kompetenz und Prestige zuschreibt. Einige Autoren nehmen an, „[.] dass Non-StandardsprecherInnen motiviert sein sollten, den Mangel an zugeschriebener Kompetenz durch höhere Bewertung auf der Wärmedimension auszugleichen.“96 Diese sogenannte Kompensationshypothese betont die emotionale Bindung und Bewertung der Sprecher gegenüber den Umgangssprachen. Sie verbinden mit diesen Varietäten nicht nur Solidarität und Wärme:97
Sprache wird nie nur als ,Sprache an sich‘ wahrgenommen, sondern ist immer auch mit der Bewertung der SprecherInnen bzw. der Sprechergruppen verankert und umgekehrt.98
Die sogenannten monovarietären Kontinuum-Sprecher, die weder Standard noch Dialekt im zufriedenstellenden Maße beherrschen, sind zwar dominant, jedoch bestätigen Ausnahmen von Sprechern, die sich in der kompletten Breite (einschließlich der Pole) des Dialekt-Standard-Kontinuums bewegen können, die Regel.99
Eine Arbeitsdefinition des Begriffs der Regionalsprachen sollte sich daher nicht zu sehr auf den Gebrauch dieser Varietät stützen, sondern greift die Charakteristika von Plewnia und Rothe sowie Spiekermann auf: Es handelt sich bei dem Terminus der Regionalsprachen um kleinräumigere, regional geprägte sprechsprachliche Formen, welche auf der Basis unterschiedlicher Dialekte entstanden und unterhalb des Standards zu verorten sind. Sie tangieren hierbei die beiden Pole des Kontinuums und finden genuin oral in (halb-)informellen Situationen Gebrauch. In ihrer Einteilung unterliegen sie einer vertikalen Gliederung innerhalb des Dialekt-Standard-Kontinuums sowie einer horizontalen Abgrenzung innerhalb der Umgangssprachen untereinander. Ihre Sprecher können nicht gezielt einem Stereotyp zugeordnet werden. Feststehend ist jedoch, dass ein Großteil der Kommunikation innerhalb Deutschlands auf der Basis solcher Regionalsprachen abläuft. Um Sprachwandelprozesse gerecht einschätzen zu können, muss die Dialektologie diese Hauptform der Kommunikation, die Regionalsprachen, in das Zentrum ihrer Betrachtung rücken.
Der Zusammenhang zwischen den Komponenten der Sprecher, deren Bewertung der Varietäten und dem Wandel der Sprache wird daher immer präsenter. Hierbei drängt sich den Dialektologen die Hypothese auf, dass, wenn der Sprachwandel abhängig ist von dem Sprachgebrauch, die Faktoren identifiziert werden müssen, welche eben diesen Gebrauch beeinflussen. Dafür müssen die laiendialektologischen Salienz- und Pertinenzkonzepte erhoben und miteinander verglichen werden, um mögliche Tendenzen, wie die Entstehung der Diglossie in Norddeutschland,100 begründen, erklären und bestenfalls vorhersagen zu können. Damit wäre es möglich, aktuellen Dialektabbautendenzen, wie es im Norden Deutschlands unter anderem das Plattdeutsche betrifft, aus kulturellen beziehungsweise sozialen Gründen entgegenzuwirken, indem die genauen Gründe durch wahrnehmungsdialektologische Studien expliziert werden. Dieser Aufgabe schließt sich auch die eigene empirische Erhebung für den norddeutschen Sprachraum an. Hierfür muss jedoch der Sprachbenutzer selbst, der Nicht-Linguist, in den Fokus der weiteren Betrachtung gerückt werden.
V. Das Wer : Die subjektive Komponente der Perzeptionslinguistik
Der linguistische Laie ist der Sprachbenutzer, welcher sich nicht ausgiebig mit der Fachwissenschaft der Linguistik, zum Beispiel im Rahmen einer universitären Ausbildung, auseinandersetzt. Hier liegt gleichzeitig das größte Problem der Laiendialektologie: Der im Vordergrund stehende linguistische Laie kann den fachwissenschaftlich festegelegten Definitionen nicht Folge leisten.101 Seine Wissensbestände beinhalten einerseits individuelles Wissen aus dem jeweiligen subjektiven Lebensraum. Dieser wird zusammengefasst als die „[...] ,Gesamtheit der in einem bestimmten Augenblick für ein Individuum gegebenen kognitiven Repräsentationen seiner Lebenssituation‘ [...]“102. Andererseits jedoch auch das gesellschaftliche Wissen, sprich die „[.] soziale Repräsentationen als Abbilder von Wissensbeständen, die innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur präsent sind [.].“103 Laienwissen stellt dementsprechend einen Schnittpunkt zwischen individuellen und gesellschaftlichen Wissensbeständen her und hat einen konstituierenden Teil an der Konstruktion der Wirklichkeit.104 Durch diesen Rückgriff auf eine sozial determinierte Basis weisen die Erhebungen des Wissens der Nicht-Linguisten eine relative Konstanz auf, wodurch gewisse Tendenzen innerhalb der Wahrnehmungsdialektologie festgestellt werden können.105
Das sprachbezogene Alltagswissen der Laiensprecher ist oft nicht direkt explizierbar, häufig weder begründbar noch explizit und erfahrungsresisten. Es ist eine orientierende und komplexreduzierende Mischung aus emotiven, konativen und kognitiven Bestandteilen, die nicht allein rational legitimiert werden können, sondern über weitere Faktoren wie Gefühle, Autorität oder Erfahrung ihre Bestätigung finden, wodurch es nicht intersubjektiv nachprüfbar ist.106 Dieses „[.] naiv-vortheoretisch[e] Wissen zur deutschen Sprache [.]“107 und ihren Varietäten ist gemäß der Forschungsergebnisse von Hundt:
[.] erstens stark altersabhängig [.]. Zweitens unterscheidet sich dieses Wissen deutlich je nach Region, die den Alltag der GPn108 bestimmt, d.h. nationale Grenzen haben einen großen Einfluss auf die Dialektkonzeptualisierungen linguistischer Laien.109
Die soziale Bedingtheit von Sprache als ein soziales System und die durch diese diktierte soziale Abhängigkeit der individuellen Einstellung gegenüber verschiedener Sprachvarietäten ist notwendig für das Verständnis von Spracherwerb, Sprachverhalten, die Entwicklung von Sprache und deren Varietäten bezüglich des Dialektabbaus und des Ausbaus der Regi- onalsprachen.110 Der Sprachwandel beginnt dann, so postuliert es ebenfalls Anders, bei den Sprechern selbst.111 Damit die Dialektologie solche Sprachwandel, wie den Dialektabbau beziehungsweise -verfall in gewissen Teilen Deutschlands, nachvollziehen kann, ist es unerlässlich die Wissensbestände der linguistischen Laien zu untersuchen.
Werden diese durch unterschiedliche Methoden erhoben, kann möglicherweise eine Erklärung für die Sprachwandelprozesse in Deutschland gefunden werden, welche neue Erkenntnisse für die klassische Dialektologie liefert. Hierfür ist der Richtungswechsel vom linguistischen Laien als Störfaktor hin zum neuen Forschungsgegenstand innerhalb der Fachwissenschaft notwendig. Schließich haben erste Forschungen, wie die von Anders (2011) oder Hundt (2010), herausstellen können, dass linguistische Laien häufig mehr wissen, als ihnen zugetraut wird.112 Erste Erhebungen beweisen, dass
[d]ie Einbeziehung laienlinguistischer Daten bei der Erklärung von Verschiebungen im Sprechlagenspektrum [.] eine sinnvolle Ergänzung zu den bisher fokussierten Faktoren der kommunikativen Wertigkeit und der sozialen Zuschreibung dar[stellt].113
Zusammenfassend kann im Hinblick auf den Vergleich verschiedener Studien aus demselben Sprachraum (zum Beispiel des norddeutschen in der Erhebung Hettlers (2018) und des NOSA-Projektes (2015)) festgestellt werden, dass das Laienwissen aufgrund der sozialen Basis der Wissensbestände eine vergleichbare Größe innerhalb der Wahrnehmungsdialektologie darstellt. Dabei muss jedoch stets beachtet werden, dass es sich hierbei um subjektive und individuelle Aussagen handelt, deren kritische und fachwissenschaftiche Prüfung unerlässlich ist. Die Rekonstruktion der laienlinguistischen Repräsentationen erfolgt über die zentrale Fragestellung Anders‘: „‘ Wer nimmt Wie Was wahr‘“?114
Bei dieser neuen Fokussierung stehen unterschiedliche Erkenntnisinteressen im Vordergrund der Forschungsprojekte. Hund, Palliwoda und Schröder (2015) verweisen auf sechs Teilbereiche, in welchen die Befragung von linguistischen Laien neue Forschungsperspektiven eröffnen kann: 1. Die Erhebung von sogenannten Mental-Maps in Form einer Makrokartierung sowie als 2. Mikrokartierung. 3. Die Konzeptualisierungen von Laien durch den Vergleich von Merkmalen, die die Laien mit bestimmten Varietäten verbinden mit den bei den Hörern salienten Merkmalen. Aber auch 4. die Einstellung gegenüber den unterschiedlichen Dialekten kann untersucht werden. 5. Es soll zudem die Salienz einzelner Merkmale und Merkmalscluster erhoben werden. 6. Zuletzt sollen die gesammelten Erkenntnisse der Laiendialektologie in Bezug auf unter anderem Sprachwandelprozesse, Sprachbewertung und Relevanz der einzelnen Varietäten mit dem Expertenwissen abgeglichen werden.115
Bei der Darstellung der angestrebten Forschungsziele ist auffällig, dass gewisse Termini zur weiteren Behandlung dieses Themenbereiches erläutert werden müssen. Hierunter fällt zum Beispiel der Begriff der Salienz, welcher in der Fachwissenschaft klar von dem der Pertinenz zu unterscheiden ist.
VI. Das Wie : Salienz und Pertinenz
6.1 DIE SALIENZ ALS SPRACHLICHE AUFFÄLLIGKEIT
Ein Verständnis der Sprachbewertungen ist von zentraler Bedeutung für die Forschung und Erkenntnisgewinnung von Sprachwandelprozessen. Hierfür muss die differenzierte Wahrnehmung und Bewertung der Dialekte auf subjektiver Ebene in das Zentrum der wahrnehmungsdialektologischen Betrachtung gerückt werden. Diese Sprachbewertung hängt dabei stark mit den sprachlichen Merkmalen der Varietät zusammen. Schirmunski entwickelte mit seiner Differenzierung zwischen primären und sekundären Dialektmerkmalen ein Vorläuferkonzept von Salienz als „[.] Auffälligkeit einer sprachlichen Variation [.]“116.117 So werden diejenigen Erscheinungen als primär bezeichnet, welche in der Varietät im Vergleich zur standardkonformen Schriftsprache als Abweichung besonders salient sind. Wohingegen die kleineren Unterschiede zwischen Schriftsprache und Varietät der weniger auffälligen Merkmale als sekundär betitelt werden.118 Zwischen den primären und sekundären Dialektmerkmalen können zwar graduelle Unterschiede festgestellt werden, eine scharfe Grenzziehung ist jedoch nicht in jedem Einzelfall möglich.
Der Begriff der Auffälligkeit wird dadurch mit dem Begriff der Salienz gleichgesetzt. In den folgenden Jahren wird diese Gleichsetzungen von Autoren wie Lenz (2010), Purschke (2011), Palliwoda (2017) oder Schröder (2019) weitergeführt. Sie ergänzen diese reine Auffälligkeit sprachbezogener Merkmale jedoch um den Aspekt der Situations- beziehungsweise Kontextabhängigkeit und die subjektive Komponente. So definiert Purschke 2011 den Begriff der Salienz wie folgt:
[.] [D]ie dem Gebrauch einer sprachlichen Variante durch Interpretation zugewiesene Eigenschaft, situativ von einem individuellen Normhorizont abzuweichen, und zwar insofern, als phänomenspezifische Eigenschaften von Hörern durch kontextuelle und hörerindividuelle Parameter als abweichend definiert werden.119
Unterschiedliche Faktoren, wie die Situation, der sprachliche Kontext oder die Herkunft des Hörers tragen zur Salienz sprachlicher Merkmale bei. Solche Hörerurteile sind daher stets subjektiv und können nicht per se an den Sprachmerkmalen nachgewiesen werden.120 Wie hoch das Salienzpotential einer Varietät ausfällt, hängt gemäß Purschke von vier Faktoren ab: Erstens die arealspezifische Charakteristik (Regioalektalität und Dialektalität), das bedeutet, dass ein bestimmtes Merkmal in verschiedenen Dialekten unterschiedlich bewertet werden kann. Zweitens der Grad der Abweichung vom Standard. Der Kontext, sprich die Realisierungsumgebung, spielt als dritter Faktor in die Rechnung mit hinein. Viertens und letztens die intrinsische Auffälligkeit, sogesehen die Prominenz des sprachlichen Merkmals.121 Von diesem Salienzpotential unterscheidet Purschke systematisch die Salienzperzeption, das heißt die perzeptive Bedingtheit von Salienz, welche auf die Auffälligkeit von Merkmalen abhängig von der Situationsinterpretation des Hörers hinweist, sowie die introzeptive Bedingtheit von Salienz:
Der Sprecher wird in einer spezifischen Situation versuchen, nur solche sprachlichen Varianten zu verwenden, die vor dem Hintergrund seiner kommunikativen Ziele und seiner eigenen Situationsinterpretation unauffällig sowie situativ signifikant und/oder interaktionell akzeptabel sind.122
Diese Hypothesen Purschkes weisen auf die These hin, dass die Salienz, die Auffälligkeit von Merkmalen, das Sprachhandeln in einem hohen Maße beeinflusst. Während der Sprecher sich der gegebenen Situation anpasst und dadurch eventuell gewisse Varietätenmerkmale unterdrückt, bewertet der Rezipient stetig den Sprachgebrauch des Produzenten. Die Einschätzungen beider können zwar voneinander abweichen, gleichen jedoch, je weiter wir vom privaten in den öffentlichen sprachlichen Raum gelangen,123 immer stärker den sozial festgelegten, sprachlichen Normen.124 Hierfür ein Beispiel: Während Sprachbenutzer A während eines Familienessens in Berlin das typische ick verwendet, wird dies im Rahmen seiner Arbeit als Bankangestellter komplett durch das dem Standard entsprechende ich ersetzt. Salienz ist demnach im hohen Maße nicht nur subjektiv, sondern auch situationsspezifisch zu bewerten. Die Auffälligkeit sprachlicher Merkmale in diesem Sinne ist demnach nicht einfach in der gesprochenen Sprache vorhanden,
[.] sondern wird situativ, kontextabhängig und interaktiv hergestellt, weshalb wir Salienz als dynamisch erzeugtes Konstrukt einer auf sprachlichen Erscheinungsformen gerichteten kognitiven Aktivität verstehen.125 Auch Lenz und Hettler schließen sich dieser dynamischen Perspektive der Salienz an, anstatt sie als ein statisches Konzept zu deklarieren.126 Somit positioniert sich der Begriff der Salienz auf der subjektiven Ebene der Wahrnehmung von Sprache und ist keine merkmalsintrinsische Eigenschaft der Sprache selbst.127 Die dieser Arbeit zugrundeliegende Arbeitsdefinition stützt sich daher weiterhin auf Purschke und statuiert die Salienz als die situative beziehungsweise kontextuelle, subjektive Auffälligkeit sprachlicher Merkmale,128 als ein somit dynamisches Konstrukt vor dem Hintergrund eines sprachlichen Normhorizontes.129 „Die Salienz von Merkmalen müsste somit also auch immer in Bezug auf die Herkunft von Sprecher bzw. Hörer betrachtet werden.“130
Auch wenn eine Gleichsetzung der Stärke der Salienz und des sprachwandelnden Momentes nahe liegt, weist Lenz konkret darauf hin, dass dies nicht in einem Atemzug postuliert werden kann. „[.] [E]ine Gleichsetzung von Salienz und Abbau einer Variante [ist] nicht per se gerechtfertigt [.].“131 So kann ein sprachliches Merkmal hochgradig salient auftreten, eine Abbautendenz muss jedoch nicht ebenfalls nachweisbar sein. Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Ein hoch salientes Merkmal gilt als prestigeträchtiger Dialektmarker und wird deshalb stabilisiert - bis hin zu Hyperkorrektismen. Daher sind der Sprachwandel und die Salienz anfangs als unabhängige Faktoren anzusehen und können erst auf einer zweiten Ebene einer gemeinsamen Betrachtung unterzogen werden.132 Festzuhalten ist jedoch die Tatsache, dass Salienz eine notwendige Bedingung für den Sprachwandel selbst darstellt. So müssen Standardabweichungen innerhalb der Varietäten erst den Produzenten wie auch Rezipienten auffällig sein, damit diese dann in Folge einer Bewertung verstärkt oder abgebaut werden können.133
Der Salienz folgt dementsprechend eine individuelle und auf sozialen Normen basierende Bewertung der Varietät einer Sprache. Diese Bewertung hat ebenfalls einen großen Anteil an dem Prozess des Sprachwandels und soll daher im Folgenden genauer expliziert werden.
Die Bewertung sprachlicher Merkmale betitelt Schröder als Pertinenz.134 Palliwoda ergänzt diese Definition um die subjektive Relevanz dieser sprachlichen Merkmale als Ergebnis der individuellen Bewertungsprozesse der vorliegenden Varietät.135 Diese definitorische Ergänzung lehnt an die Gliederung des Hörerurteils in sechs binär aufgebaute Teilprozesse von Purschke (2011) an: Erstens die Kategorisierung der perzeptiven Distinktheit, sprich ist ein sprachliches Merkmal salient (auffällig) oder nicht. Anschließend erfolgt die Kategorisierung der interaktionalen Akzeptabilität. Der Rezipient stuft die gehörte Varietät als verständlich oder unverständlich beziehungsweise vertraut oder fremd ein. Als Drittes erfolgt die Kategorisierung der situativen Signifikanz, gefolgt von der Beurteilung, der Perti- nenz.136 Diese für den Hörer vorhandene oder fehlende Relevanz ist gleichzusetzen mit einer Bedeutungsbeimessung der Sprachlage und einer daraus resultierenden Veränderung des Handlungsprozesses.137 Daher schließt sich gemäß Purschke als fünfter Schritt die Stabilisierung oder Modifikation der individuellen Kompetenz an, welche mit einer Hand- lungskontiguität oder -änderung abschließt.138
Die Auffälligkeit, die Salienz eines sprachlichen Merkmals und die darauffolgende Pertinenz, die Bewertung dieser Varietät, besitzen dementsprechend ein gewissermaßen komplementäres Verhältnis:
Das Ergebnis von individuellen Perzeptionsprozessen besteht in der Salienz, die sprachlichen Phänomene hörerseitig zugeschrieben wird, das Ergebnis darauf bezogener kognitiver Prozesse der Evaluation in der Pertinenz, die diesen für die Stabilisierung oder Modifikation von Kompetenz, Einstellung und/oder Handeln zukommt.139
Es ist daher anzunehmen, dass diese Hörer- beziehungsweise Pertinenzurteile gemeinsam mit der Salienz der regionalsprachlichen Varietät einen entscheidenden Anteil daran haben, ob und wie sich durch die Synchronisierungsakte der Kommunikationspartner, dem Austarieren ihrer Kompetenzdifferenzen, individuelle Konsequenzen für das sprachliche Handeln ergeben.140 Diese Adaption der sprachlichen Kompetenzen ist zwar situations- und kontextabhängig, es bleibt jedoch weiterhin die Hypothese bestehen, dass
[...] mit Hilfe hörerlinguistischer Methoden Erkenntnisse über die Genese der modernen Regionalsprachen zu gewinnen [seien], etwa aus der Veränderung situativ-attitudinaler und sozial-funktionaler Relevanzsysteme über mehrere Generationen hinweg sowie ihrer Bedeutung für den individuellen Regionalspracherwerb.141
Durch die Beschäftigung mit den Faktoren der Salienz und Pertinenz bezogen auf die Variable des linguistischen Laien bietet der neue Forschungszweig der Wahrnehmungsdialektologie bezüglich der Regionalsprachenforschung neue Ansätze zur Lösung alter Probleme: Die Erklärung des Sprachwandels. Mit Hilfe der von Purschke postulierten These, dass die Bewertung der regionalsprachlichen Varietäten im Sprachhandeln zum Sprachwandel explizit beiträgt, können durch neuartige Methoden diese Hörerurteile und ihre Hintergründe untersucht werden. Dabei stellt die Forschung sich der Frage, wann welche sprachlichen Merkmale als salient wahrgenommen werden und welche Dialekte beziehungsweise Regionalsprachen wie bewertet werden. Hieraus ließen sich dann eventuell allgemeine Kategorien erstellen, mit deren Hilfe eine typische (un-)beliebte Varietät identifiziert werden kann. Wenn zudem noch eine Korrelation zwischen der Stärke des Abbaus dieser Varietät und ihrer (Un-)Beliebtheit besteht, gäbe es die Möglichkeit, durch das Herausfinden der Gründe dieser (fehlenden) Sympathie zu einer gewissen Varietät ihre weitere, zukünftige Entwicklung hervorzusagen und eventuell aus Gründen des kulturellen Erbes Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Dieser Aufgabe haben sich bereits mehrere Forscher angenommen. Ein skizzenhafter Einblick in den aktuellen Forschungsstand der Laienperzeption soll die bestehenden Tendenzen innerhalb der methodischen Erhebungen der Mental-Maps sowie Salienz- und Perti- nenztests diverser Studien darlegen. Aus dieser Vergleichsanalyse lassen sich dann Hypothesen für die eigene empirische Untersuchung explizieren.
6.3 EIN KLEINER EINBLICK IN DEN AKTUELLEN FORSCHUNGSSTAND DER REGIONALSPRACHENFORSCHUNG
Bevor ein Überblick über einige bisherige Studien erfolgt, ist aufgrund der terminologischen Stolpersteine in der Laien-Dialektologie anzumerken, dass die eigentlichen, fachwissenschaftlich als solche definierten Regionalsprachen für viele Laien den Stellenwert der (Basis-)Dialekte eingenommen haben.142 Wenn daher im Folgenden von Dialekten gesprochen wird, sind im klassischen dialektologischen Sinn eher die Regionalsprachen gemeint. Da Laien hier jedoch nicht solch klare Grenzen ziehen wie die klassische Dialektologie, ist eine terminologische Ungenauigkeit häufig nicht zu vermeiden.
Ein Blick auf verschiedenen Studien zeigt, dass sich die Listen der prominentesten Dialekte stark ähneln. Hierzu zählen zum Beispiel gemäß Hundt: 1. Bayrisch, 2. Sächsisch, 3. Schwäbisch, 4. Berlinerisch und 5. Plattdeutsch.142 Hundts Studie zeigt zudem, dass fast alle Topscorer143 eine sowohl positive wie auch negative Bewertung herausfordern. Allein das Sächsische trifft es schwer, da es ausschließlich negativ bewertet wird.144
Diese rein negative Belastung des Sächsischen kann bei Plewnia und Rothe widerlegt werden: Zwar steht der sächsische Dialekt mit nur 9,5% auf Platz fünf der beliebtesten Dialekt, dafür aber mit 34,4% auf Platz eins der unbeliebtesten, dennoch wird er zu mindestens circa 10% positiv bewertet. Sympathisch sind gemäß den Autoren vor allem das Bayrische (29,6%), das Nord- beziehungsweise Plattdeutsche mit 24,5% sowie das Schwäbische mit 13,7%.145
Vergleicht man dies mit der Liste der unsympathischen Dialekte, wird von einem Großteil das Fehlen eines Dialektes, dementsprechend das Hochdeutsche, als unsympathisch empfunden (32,6%). Bayrisch wird zwar prozentual eher als sympathisch als unsympathisch dargestellt, findet sich dennoch auf Platz drei mit 15,8% der unbeliebten Varietäten.146 Es zeigt sich also, dass vor allem das Bayrische und Sächsische sowohl negative wie auch positive Bewertungen herausfordern. Dass kein Dialekt mit circa 33% auf Platz zwei der Liste der unsympathischen Dialekte anzutreffen ist, stützt die Hypothese, dass Sprache ein zentraler Träger der Identität ist und dass das Hochdeutsche nicht als solches fungieren kann und daher unsympathisch erscheint.147 Die beiden Autoren schlussfolgern aus der Tatsache, dass die prominentesten Dialekte eine sowohl positive wie auch negative Pertinenz herausfordern, dass es Varietäten gibt, die überregional bekannt sind.148 Hierzu zählen das Bayrische (zu 29,6% sympathisch, zu 15,8% unsympathisch), das Norddeutsche (zu 24,5% sympathisch, zu 4,3% unsympathisch) und das Sächsische (zu 13,7% sympathisch, zu 34,4% unsympathisch).149
Diese Varianz zeigt, dass nicht durch ein bloßes Aufrechnen von negativen und positiven Bewertungen eine Varietät als entweder sympathisch oder unsympathisch eingestuft werden kann.150 Die Frage, die sich aufgrund solcher Forschungsresultate eröffnet, ist, warum zum Beispiel das Bayrische wie auch das Sächsische als (un-)beliebt eingestuft werden. Auf der Grundlage der bisherigen erhobenen Studien von den oben angeführten Autoren konstatiert Schröder (2019) die Hypothese, dass die Komponenten Gefallen, Beliebtheit und die Einschätzung der Korrektheit miteinander in wechselseitiger Beziehung stehen, sodass ein standardkonformer Dialekt eine positivere Pertinenz inhäriert.151 Diese kann durch die zwei aufgestellten Hypothesen zur Klärung der Herkunft der Einstellung gegenüber Sprachvarietäten gestützt werden: Die Eigenwert- sowie die Normdekrethypothese. Die erste geht davon aus, dass die Ursachen solcher negativen wie auch positiven Bewertungen von Sprachlagen in bestimmten sprachlichen Merkmalen der Variation selbst liegen, wie unter anderem in der Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik sowie Pragma- tik.152 Die Normdekrethypothese hingegen:
[...] sucht die Gründe für das Prestige oder Stimga einzelner Sprachvarietäten in sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, historischen oder anderen außersprachlichen Faktoren.153
[...]
1 Bekanntheit
2 Auffälligkeit
3 Bewertung
4 Es handelt sich bei dem Terminus der Regionalsprachen um kleinräumige, regional geprägte sprechsprachliche Formen, welche auf der Basis unterschiedlicher Dialekte entstanden und unterhalb des Standards zu verorten sind. Sie tangieren hierbei die beiden Pole des Kontinuums und finden genuin oral in (halb-)informellen Situationen Gebrauch. Mehr zum Begriff der Regionalsprache siehe Kapitel 4.3.
5 Kellermeier-Rehbein 2014, S. 13.
6 Auf die Vielschichtigkeit der deutschen Sprache bezüglich ihrer vertikalen und horizontalen Gliederung wird im Kapitel IV genauer eingegangen.
7 An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Begriff der Varietät innerhalb des Forschungsfeldes der Perzeptionsdialektologie immer wieder umstritten ist. So weisen unter anderem Elmentaler und Rosenberg im Norddeutschen Sprachatlas 2015 darauf hin, dass der Varietäten-Begriff aufgrund seiner Zweidimensionalität (einerseits strukturalistisch-systemlinguistisch, andererseits der Einbezug der Wahrnehmung der Sprachbenutzer in die terminologische Definition) nicht neutral verwendet werden kann, da er auf eben zwei konträren Weisen interpretierbar sei. Die Autoren verweisen in diesem Kontext auf den neutralen Terminus der Sprachlagen im vielschichtigen System der (deutschen) Sprache. Dabei sei eine Sprachlage eine „[.] durch ein spezifisches Set kovariie- render Merkmale [.], innerhalb einer Sprechergemeinschaft konventionalisierte Sprechweise [.]“ (Elmentaler & Rosenberg 2015 (1), S. 21.), welche im Kontinuum zwischen den Basisdialekten und der standardnächsten Sprechweise zu verorten ist. (Vgl. ebd.) Dieser terminologischen Ungenauigkeit soll jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit keine weitere Beachtung geschenkt werden, da in den verschiedensten Publikationen, unter anderem von Purschke, Plewnia, Rothe oder Spiekermann, der Varietäten-Begriff ebenfalls Einzug hält. Es wird, synonym zu Elemtalers und Rosenbergs Begriff der Sprachlage, der Terminus Varietät oder Sprachvarietät als spezifische Ausformung innerhalb einer Einzelsprache verwendet.
8 Vgl. Kellermeier-Rehbein 2014, S. 16 - 17.
9 Der Terminus Dialekt wird im Kapitel 4.2 erläutert.
10 Vgl. das Modell von Löffler im Anhang Nr. 11.1.
11 Vgl. Kellermeier-Rehbein 2014, S. 17 - 18.
12 Ebd., S. 20.
13 Lameli 2005, S. 495.
14 Im Folgenden wird aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit auf die weibliche Form verzichtet.
15 Vgl. Anders 2010, S. 68.
16 Schmidt & Herrgen 2011, S. 20.
17 Schmidt und Herrgen unterscheiden zwischen den Synchronisationsakten der Mikro-, Meso- und Makroebene. Eine weitere Explikation dieser Differenzierung ist jedoch für die weitere thematische Darstellung nicht existentiell. (Vgl. Schmidt & Herrgen 2011)
18 Vgl. hierzu die Theorie des Hörerurteils von Purschke in Kapitel 6.2.
19 Einige Autoren setzen den Zeitpunkt in der Mitte der 80er-Jahre. (Vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2017, S. 1.)
20 Vgl. Hundt 2018, S. 100.
21 Vgl. ebd.
22 Zum Begriff des Dialektabbaus vergleiche Lenz 2007.
23 Stoeckel 2010, S. 292.
24 Vgl. Anders, Hundt & Lasch 2010, S. XV.
25 Vgl. Purschke 2011, S. 22.
26 Beispielweise seien hier der Dialektabbau, Sprachwandelprozesse oder die Spracheinstellungen genannt.
27 Vgl. Löffler 2010, S. 44. Löffler betitelt diese Fokuserweiterung durch die Hinzunahme des Laienwissens als keinen großen Umschwung, da dieses Thema, „[.] wenn auch als Störfaktor [.]“ (Löffler 2010, S. 43.) bereits vorher sich größter Präsenz erfreute. Dieser Formulierung Löfflers ist nur teilweise zuzustimmen, da es sich beispielsweise innerhalb der Dialektgeografie, in der die Sprecher hinter den Sprachdaten verschwinden, durchaus um einen theoretischen und methodischen Neuansatz handelt.
28 Vgl. Hundt 2010, S. 180 - 181.
29 Vgl. Anders 2011, S. 10.
30 Vgl. Hund, Palliwoda & Schröder 2017, S. 1.
31 Anders 2010, S. 76.
32 Hundt, Palliwoda & Schröder 2015, S. 296.
33 Anders 2010, S. 71.
34 Ebd., S. 71.
35 Vgl. ebd., S. 70.
36 Die Perzeption bezeichnet das reine Wahrnehmen, zum Beispiel, dass das Wort Perzeption aus verschiedenen Buchstaben besteht
37 Vgl. Anders 2010, S. 70.
38 Ebd., S. 70.
39 Die Apperzeption ist das aktive, bewusste Wahrnehmen, zum Beispiel, dass das Wort Perzeption aus zehn Buchstaben besteht, wovon sechs Konsonanten und vier Vokale sind.
40 Eine Referenz sei hier auf den Sprachanalytiker und Philosophen Wittgenstein erlaubt, der in nerhalb seiner Philosophischen Untersuchungen im Rahmen seines sogenannten Privatsprachenarguments darauf hinweist, dass ein Mensch alleine keine Sprache sprechen kann, sondern die Sprache, wie wir sie heute kennen, ein soziales Konstrukt ist: „In diesem Fall ist meine Sprache nicht >privat<.“ (Wittgenstein PU, 256.) Ähnliche Argumentationen finden sich in zahlreichen weiteren Beiträgen zur Sprachphilosophie und stellen daher keine Einzelmeinung innerhalb der Wahrnehmungsdialektologie dar.
41 Vgl. Anders 2010, S. 70.
42 Ebd., S. 71.
43 Ebd.
44 Vgl. ebd., S. 71 - 73.
45 Vgl. ebd.
46 Anders 2010, S. 73.
47 Vgl. ebd., S. 72 - 73.
48 Ebd., S. 76.
49 Die Beispiele wurden dem Digitalen-Wenker-Atlas (DiWA) entnommen. Hierfür wurden die Sprachkarten des neueren REDE-Projektes verwendet. Ein Bezug fand auf die Wenker- Sprachatlanten (Teildrucke und Ergänzungen) statt. Schmidt, Jürgen Erich: REDE. regionalsprache.de. 2009 - 2019. URL: https://www.regionalsprache.de/SprachGIS/Map.aspx [Zugriff am 08.11.2019].
50 Vgl. Spiekermann 2006, S. 81.
51 Ebd., S. 82.
52 Vgl. Spiekermann 2006, S. 83.
53 Der Begriff der Varietät wird, wie im Vorwort bereits erläutert, hier als eine spezifische Ausformung innerhalb einer Einzelsprache aufgefasst. Somit steht die Standardvarietät neben anderen, diatopischen oder diaphasischen Varietäten einer Sprache.
54 Diese umstrittene Verwendung des Begriffs der Varietät in Bezug auf die Standardsprache gründet darauf, dass der Terminus eine Variation voraussetzt, der Standard jedoch als eine ideale Sprachform angesehen wird, in welcher keine Variablen auftreten. (Vgl. Spiekermann 2006, S. 83 - 85.)
55 Ammon 1986, S. 29.
56 Vgl. Spiekermann 2006, S. 85.
57 Schmidt & Herrgen 2011, S. 62.
58 Vgl. Elmentaler & Rosenberg 2015 (1), S. 22.
59 Vgl. Ammon 1986, S. 29.
60 Vgl. Schoel & Stahlberg 2012, S. 205.
61 Ebd., S. 213.
62 Vgl. Schoel & Stahlberg 2012, S. 205 sowie Spiekermann 2006, S. 28 - 83.
63 Vgl. Anders, Hundt & Lasch 2010, S. XIII. Anders, Hundt und Lasch ziehen hierbei starke Parallelen zur Soziolinguistik. Diese untermauert die Hypothese, dass Sprache eine identitätsstiftende und abgrenzende Funktion inhäriert. Ein Beispiel wären daher nicht nur Jugendsprachen als gewisse Soziolekte einer Gruppe, sondern eben auch Sprachvarietäten wie das Berlinerische oder Rheinländische. Dadurch kommt es zu Assoziationen zwischen Sprache und Sprecher, denn das, „[w]as mit den Dialekten verbunden wird, [.] wird auch auf die Sprecher von Dialekten übertragen.“ (Anders, Hund & Lasch S. XIII.) Eine Voraussetzung dieser Identitätsstiftung der Sprache ist das Sprachbewusstsein der Sprachbenutzer. (Vgl. ebd., S. XIV) Diese Hypothese wird u.a. auch von Stoeckel, Plewnia und Rothe vertreten.
64 Schmidt & Herrgen 2011, S. 59.
65 Im Folgenden wird nur von Dialekten gesprochen, da der Großteil der verwendeten Forschungsliteratur diese beiden Begrifflichkeiten gleichsetzt.
66 Vgl. Wiesinger 1980, S. 188, zitiert nach Niebaum & Macha 2014, S. 5.
67Bellmann 1983, S. 112 - 113, zitiert nach Niebaum & Macha 2014, S. 5.
68 Vgl. Plewnia & Rothe 2012, S. 17 sowie Sinner 2014, S. 97.
69Löffler 2003, S. 2.
70Ebd.
71Vgl. ebd., S. 3.
72Ebd., S. 5.
73 Vgl. Löffler 2003, S. 6. Hierbei sei konkret nochmals auf das Prestige-Stigma der hochdeutschen Standardsprache verwiesen, welches sich hier abermals verdeutlicht.
74 Diese drastische Einteilung Löfflers stellt jedoch keine fachwissenschaftliche Einzelmeinung dar: Ebenso Spiekermann (2006, S. 82 - 83.) und Sinner (2014, S. 97.), um nur zwei zu nennen, schließen sich dieser Einteilung an. Wenn die klassische Dialektologie Studien zu Dialektsprechern erhebt, orientiert sie sich hierbei an den sogenannten NORM-Sprechern. Diese ortgebundenen (non-mobile), alten (old), ländlichen (rural) und männlichen (male) Personen stellen somit die „[...] ortsfesten männlichen Sprecher der ältesten Generation im ländlichen Raum [.]“ (Schröder 2015, S. 25.), dar. Dies spiegelt die Einteilung der Standard- und Dialektsprecher sehr distinkt wider. Schröder verweist im Zeitgeist der Wahrnehmungsdialektologie darauf, dass innerhalb der Forschung mittlerweile Einigkeit darüber herrscht, „[.] dass die Beschäftigung mit dieser Varietät nicht ausreicht, um ein adäquates Bild der arealsprachlichen Verhältnisse zu zeichnen [.]“ (Schröder 2015, S. 25), schließlich sprechen circa drei Fünftel der Deutschen einen Dialekt. (Vgl. Plewnia & Rothe 2012, S. 18.)
75 Vgl. Löffler 2003, S. 6 - 7. Hierbei sei jedoch auf die Einteilung Coserius in primäre, sekundäre und tertiäre Dialekte hinzuweisen. Eine lineare Entwicklung vom Dialekt zum Stand ard kann demnach nicht allen heutigen Varietäten zugesprochen werden. (Vgl. Coseriu 1988)
76 Vgl. Löffler 2003, S. 7.
77 Vgl. ebd.
78 Klepsch & Munske 2005, S. 190.
79 Vgl. Niebaum & Mascha 2014, S. 7.
80 u.a. König 2005, S. 135.
81 Vgl. ebd. Eine Visualisierung dieses Kontinuums erfolgt ebenfalls durch König und ist im Anhang unter Nr. 11.2 zu finden.
82 Bellmann 1983(keine Seitenangabe), zitiert nach Lameli 2005, S. 495.
83 Voeste & Gessinger 2006, S. 5.
84 Gemeint sind hierbei die modernen Regionalsprachen und nicht die regionalen historischen Schreibsprachen. (Vgl. Herrgen 2006, S. 124.)
85 Vgl. Voeste & Gessinger 2006, S. 5 - 7.
86 Vgl. Spiekermann 2006, S. 84. Spiekermann stellt diese Abnahme des Gebrauchs kleinräumiger, regionaler Merkmale innerhalb seines Modells der kleinräumigen Varietäten aus dem Jahr 2001 dar. Dies ist im Anhang Nr. 11.3 zu finden.
87Elmentaler & Rosenberg 2015 (2), S. 447.
88Vgl. Plewnia & Rothe 2012, S. 9.
89Ebd.
90Vgl. Spiekermann 2006, S. 85.
91Vgl. Herrgen 2006, S. 124 - 126.
92Elmentaler & Rosenberg 2015 (1), S. 23.
93Vgl. Schmidt & Herrgen 2011, S. 67.
94 Schmidt & Herrgen 2011, S. 66.
95 Vgl. König 2005, S. 135.
96 Schoel & Stahlberg 2012, S. 215.
97 Vgl. ebd., S. 206; 214.
98 Ebd., S. 206.
99 Vgl. Schmidt & Herrgen 2011, S. 349.
100 Vgl. zur Diglossie in Norddeutschland König 2005 sowie den Anhang Nr. 11.4.
101 Vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2017, S. 1.
102 Thomae 1988, S. 24, zitiert nach Anders 2010, S. 72.
103 Anders 2010, S. 72 - 73.
104 Vgl. Anders 2011, S. 13.
105 Hundt hingegen konstatiert, dass das linguistische Laienwissen in seiner Ausprägung und Komplexität sowie in dessen Zugänglichkeit enorm heterogen ist und sich daher nur bedingt zur Generalisierung eignet. (Vgl. Hundt 2017, S. 121.) Dies kann jedoch aufgrund der vorliegenden Studien im Abgleich mit dem eigenen erhobenen Datenmaterial nicht bestätigt werden, da gewisse gleichbleibende Tendenzen identifiziert werden können. Diese Hypothese greift unter anderem Hoffmeister auf und kann beweisen, dass die Salienzen gewisser Merkmale der Varietäten durchaus stabil sind und lediglich in verschiedenen Ausprägungen vorhanden sowie explizierbar scheinen. Auch die Aussagen von Nord- und Süddeutschen weisen anstelle der erwarteten Differenzen im Rahmen der Studie Hoffmeisters eher eine Homogenität auf. (Vgl. Hoffmeister 2017, S. 254.)
106 Vgl. Hundt 2017, S. 139.
107 Ebd.
108 GP = Gewährsperson (Singular), GPn = Gewährspersonen (Plural)
109 Hundt 2017, S. 149.
110 Vgl. Tophinke & Ziegler 2006, S. 205. Diese Hypothese untermauern Schmidt und Herrgen mit ihrer Theorie der Sprachdynamik. Innerhalb dieses Theorems gehen die Autoren davon aus, dass gezielte Synchronisatinsprozesse als Abgleich von Kompetenzdifferenzen innerhalb von kommunikativen Performanzakten stattfinden. Als Resultate ergeben sich hieraus stabilisierende und/oder modifizierende Tendenzen innerhalb der aktiven und passiven Sprecherkompetenz. (Vgl. Schmidt & Herrgen 2011, S. 28.)
111 Vgl. Anders 2010, S. 84.
112 Vgl. Anders 2011, S. 25.
113 Ebd., S. 26.
114 Anders 2010, S. 76.
115 Vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015, S. 299.
116 Schirmunski 1928/29, S. 166, zitiert nach Elmentaler, Gessinger & Wirrer 2010, S. 112.
117 Vgl. Lenz 2010, S. 89 - 90. Hierbei sei anzumerken, dass die Termini primär und sekundär nicht auf etwaigen Wertunterschieden beider Merkmalsarten beruhen.
118 Vgl. ebd., S. 90.
119 Purschke 2011, S. 84.
120 Vgl. Palliwoda 2017, S. 85 - 86.
121 Vgl. Purschke 2011, S. 81.
122 Ebd., S. 82.
123 Hierbei sei auf die verschiedenen Abstufungen innerhalb der Sprachdynamik von Schmidt und Herrgen (2011) verwiesen.
124 Vgl. Purschke 2011, S. 83 - 84.
125 Gessinger & Butterworth 2015, S. 293.
126 Vgl. Lenz 2010, S. 101 sowie Hettler 2018, S. 86.
127 Vgl. Lenz 2010, S. 104.
128 Vgl. Purschke 2011, S. 22; 47.
129 Vgl. Lenz 2010, S. 101 sowie Hettler 2018, S. 86.
130 Hettler 2018, S. 72.
131 Lenz 2010, S. 108.
132 Vgl. Lenz 2010, S. 108.
133 Vgl. Elmentaler, Gessinger & Wirrer 2010, S. 112.
134 Vgl. Schröder 2019, S. 51. Der Terminus Pertinenz geht jedoch nicht auf Schröder zurück. Es handelt sich hierbei lediglich um eine mögliche Definition.
135 Vgl. Palliwoda 2017, S. 85.
136 Vgl. ebd.
137 Vgl. Purschke 2011, S. 47.
138 Dies soll an einem Beispiel erläutert werden: Es sei angenommen, zwei Menschen treffen sich spontan und kommen ins Gespräch. Während eine Person aus Hannover fast reines Hochdeutsch spricht, bedient die andere sich der typischen regionalsprachlichen Merkmale des Sächsischen. Dies fällt unserem Hannoveraner auf, es ist salient. Primär ist es dem Rezipienten des Sächsischen aufgefallen, dass der jeweilige Kommunikationspartner eine andere Varietät spricht, da er nur die Hälfte versteht. Da es für die erste Begegnung von herausragender Relevanz ist seinen Gegenüber zu verstehen, misst unser Hörer dieser Situation eine hohe Signifikanz bei und bewertet diesen Akt der Kommunikation als relevant. Diese Pertinenz beeinflusst nicht nur das weitere Handeln des Rezipienten, welcher eventuell viele Nachfragen stellen muss um dem Gespräch zu folgen oder diese Kommunikation gar schnellstens beenden möchte, sondern auch das sprachliche Verhalten des Sachsen: Dieser bemerkt das fehlende Verständnis seines Gegenübers und modifiziert (wenn möglich) dadurch seine Artikulation. Dies führt dazu, dass eine Handlungsänderung bei mindestens einem Gesprächspartner auftritt. Zur visuellen Unterstützung dieses Modells des Hörerurteils sei auf den Anhang Nr. 11.5 verwiesen.
139 Purschke 2011, S. 86 - 87.
140 Vgl. ebd., S. 308.
141 Ebd., S. 309.
142Vgl. Plewnia & Rothe 2012, S. 109.
143Vgl. Hundt 2010, S. 201.Topscorer wird als Bezeichnung für die Dialekte verwendet, welche in der jeweiligen Katego- die ersten Plätze belegen.
144Vgl. Hundt 2010, S. 212.
145Vgl. Plewnia & Rothe 2012, S. 27.
146Vgl. ebd.
147 Vgl. Plewnia & Rothe 2011, S. 179.
148 Vgl. Plewnia & Rothe 2012, S. 26.
149 Vgl. ebd., S. 27; 51. Anstelle des Sächsischen weist Hannemann nach, dass die beliebtesten Dialekte Norddeutsch, Bayrisch sowie das Schwäbische sind. (Vgl. Hannemann 2017, S. 183.) Kehrein, Lameli und Purschke ergänzen Hannemanns Liste um das Berlinerische, Sächsische, Hessische, das Hochdeutsche sowie den kölschen Dialekt. (Vgl. Kehrein, Lameli & Purschke 2010 S. 354.)
150 Vgl. Hundt 2010, S. 212.
151 Vgl. Schröder 2019, S. 75.
152 Vgl. Hundt 2017, S. 150.
153 Ebd. Hundt zieht diese der Eigenwerthypothese vor, indem er postuliert, dass die außersprachlichen Stereotype der Sprecher ausschlaggebend sind und nicht die sprachlichen Merkmale per se. Seine Studie zeigte jedoch eben diese proportionalen Rückschlüsse gemäß: „[.] Bayrisch hört sich
[...]
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