Diese Arbeit fasst die Vor- und Nachteile leistungshomogener und -heterogener Lernsettings zusammen. Zum Schluss folgt ein kurzes Fazit.
Vor- und Nachteile leistungshomogener und -heterogener Lernsettings
a) Leistungshomogenität
Hattie definiert Leistungshomogenität als die "Zuordnung der Schülerinnen und Schüler in Klassen nach ihrer Leistungsfähigkeit" (2013, S. 106f.). Dies geschieht im deutschen Schulsystem durch äußere Differenzierung: Die Zuteilung der Schüler*innen nach der vierten Klasse auf das dreigliedrige Schulsystem, wodurch möglichst homogene Leistungsgruppen entstehen sollen.
Tillmann postuliert, dass die „Ausrichtung des Schulunterrichts auf ein fiktives Mittelmaß der Köpfe [...] in Deutschland eine lange Tradition [hat]." (2008, S. 33) Dies steht primär in Zusammenhang mit der schultheoretischen Allokations- und Selektionsfunktion von Schule. Erstgenanntes zielt auf die Zuteilung von gesellschaftlichen Positionen, z.B. Berufe und Laufbahnen, entsprechend der gesellschaftlichen Sozialstruktur, z.B. Einkommen, Bildung und Kultur, ab. Durch die Selektionsfunktion wird Schule als Zuteilungsapparatur für Lebenschancen, die in Abhängigkeit des Kriteriums »schulische Leistung des Individuums« zugewiesen werden -auch wenn es an dieser Stelle eine gewisse Durchlässigkeit des Schulsystems gibt.
Die Grundlage von Leistungshomogenität stellen die materialen Bildungstheorien des 19. und 20. Jahrhunderts dar, die auch heute noch vertreten werden. Unterschieden werden hierbei zwei Verständnisse von Bildung: Gebildet ist, wer sich möglichst viel Wissen angeeignet hat, oder gebildet ist, wer sich die klassischen Inhalte eines Faches angeeignet hat (vgl. Hinz 2008). Damit einher geht die traditionelle technologische Position von Lehren und Lernen gemäß des Prozess-Produkt-Modells, welches Lernen als Folge der Instruktion durch die Lehrkraft ansieht (vgl. Gröschner und Kleinknecht 2013, S. 166). Unterrichten bedeutet in diesem Sinne das Darbieten und Erklären von Fachinhalten. infolge dieser Wissensabbildung wird den lehrenden eine aktive Rolle zugesprochen, während die lernenden passiv die aufbereiteten Lerninhalte rezeptieren.
Aus den genannten theoretischen Grundlagen der Leistungshomogenität gehen für die Befürworter*innen dieses Lernsettings folgende Vorteile hervor: Die klar definierten Aufgabenbereiche von Lehrkräften - Präsentation und Erklärung von Wissensinhalten, Anleitung von lernenden, Überwachung von Lernfortschritten - führen zu einer Vorbereitung und Begleitung des Unterrichts, die gut zu bewerkstelligen ist. Das ist aufgrund der Ausrichtung auf ein Lernniveau möglich. Zudem wird die fachliche Leistung der Schülerinnen und Schüler begünstigt, da sie sich gegenseitig zu besseren Ergebnissen anregen. Weitere Vorteile sind, dass in leistungshomogenen Lernsettings die Leistungsentwicklung der lernenden stetig gesteigert wird, und dass Lerninhalte vertieft und schneller bearbeitet werden können (vgl. Gröhlich et al. 2009, S. 88f.). Für leistungsschwache homogene Lernsettings „sei eine psychische Entlastung dadurch gegeben, dass der direkte Vergleich mit den leistungsstärkeren Mitschülerinnen und Mitschülern entfalle.“ (ebd). Damit einher geht diese weitverbreitete Ansicht: „Gute Schüler lernen besser, wenn sie unter sich sind / Schwächere Schüler resignieren vor den Leistungsstarken und fühlen sich unwohl, ihre Lernmotivation sinkt.“ (TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen, S. 2).
Kritiker*innen von leistungshomogenen Lernsettings führen folgenden Nachteil an: „In einer gleichschrittigen Didaktik wird der Unterricht an einem durchschnittlich entworfenen Schulkind orientiert, schwächere Schülerinnen und Schüler erhalten durch Schule keine Förderung.“ (Prengel 2009, S. 127). Selbiges gilt auch für stärkere Schüler*innen, denn diese werden nicht ausreichend gefordert.
Das mehrdimensionale Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke (2017, S. 69-101) spiegelt einen weiteren Kritikpunkt wider: „Die Wirkung ist nach diesem Modell nicht allein von einem guten Angebot abhängig, sondern ebenso von den Lernaktivitäten (Nutzung) und der Wahrnehmung und Interpretation durch die Lernenden.“ (Gröschner und Kleinknecht 2013, S. 167) Somit ist der Ertrag von Lernen - die Wirkung - nicht nur abhängig von der Lehrperson und der Gestaltung des Unterrichts, sondern auch von Dimensionen, die auf die Schüler*innen bezogen sind, u.a. das Lernpotenzial und familiäre Merkmale. Infolgedessen kann Leistungshomogenität nie in Gänze erreicht werden und ist aufgrund der Individualität der Lernenden eine Illusion.
b) Leistungsheterogenität
Wenning konzipierte ein Heterogenitätsmodell für institutionalisierte Bildung, das sieben Kategorien von Heterogenität unterscheidet: „leistungsbedingte, altersbedingte, sozialkulturelle, sprachliche, migrationsbedingte, gesundheits-/köperbezogene und geschlechtsspezifische [Heterogenität]“ (Wenning 2007 zit. nach: Scharenberg 2013, S. 12f.). Heterogenität beschreibt folglich die Verschiedenheit von Schüler*innen auf verschiedenen lernrelevanten Ebenen.
Die Kritik gegenüber dem deutschen Schulsystem, das auf eine Vermeidung von heterogenen Lerngruppen zielt, führte zur Fokussierung der Unterschiede von Lernenden. Grundlage dessen ist ein veränderter Bildungsbegriff, der bereits in den formalen Bildungstheorien des 19. und 20. Jahrhunderts zu finden ist: Gebildet ist, wer seine inneren Kräfte entfaltet, oder gebildet ist, wer das Lernen des Lernens gelernt hat und instrumentelle Fähigkeiten beherrscht. Daraus ergibt sich eine konstruktivistische Position von Lehren und Lernen (vgl. Einsiedler 2014, S. 359): Das Wissen wird nicht als Automatismus von der Lehrkraft übernommen, sondern die Schüler*innen sind gefordert, sich ihr Wissen individuell zu konstruieren. Unterrichten bedeutet in diesem Sinne das Unterstützen und Beraten von Lernenden sowie die Förderung einer eigenständigen Wissenskonstruktion. Den Schüler*innen obliegt damit eine aktive Rolle der individuellen Wissensaneignung.
Auf Grundlage dieser bildungstheoretischen Annahmen ist es also nicht möglich, dass sich alle Lernenden gleichermaßen mit den Unterrichtsinhalten auseinandersetzen (vgl. Speck-Hamdan 2009b, S. 288). Um den heterogenen Leistungsniveaus der Schüler*innen gerecht zu werden, ist sowohl innere Differenzierung als auch individuelle Förderung nötig. Innere Differenzierung greift innerhalb einer Klassengemeinschaft: Alle Lernenden werden im Klassenverbund unterrichtet. Entsprechend ihres Leistungsniveaus ist es aber möglich, sie in möglichst homogene Gruppen einzuteilen, z.B. für ein Fach oder einen spezifischen Themenbereich (vgl. Lehrer*innenfortbildung Baden-Württemberg). Klafki (2007, S. 188) definiert in einem Dimensionen- und Kriterienraster sechs Differenzierungsaspekte, die in jeder Unterrichtsphase beachtet werden müssen. „Die Schwierigkeit besteht nun aber in den heterogenen FörderungsAnsprüchen der Kinder. Jedes Förderangebot soll passgenau sein. [...] Ein solcher Anspruch führt für eine einzelne Lehrperson führt zu Überforderung.“ (Speck-Hamdan 2009a, S. 287) Diese Überforderung wird dadurch verstärkt, dass Lehrer*innen die individuellen Kompetenzen der Schüler*innen im Auge behalten und eine individuelle Leistungsbewertung vornehmen müssen. Der erhöhte Arbeits- und Zeitaufwand für Lehrende stellt einen erheblichen Nachteil leistungsheterogener Lernsettings dar. Allerdings liegt auch genau darin ihr großer Vorteil: Jedem Kind wird ein individuelles Lernen entsprechend seiner Bedürfnisse und Bedarfe ermöglicht.
Vermeintliche Nachteile von Leistungsheterogenität, die von Kritiker*innen häufig genannt werden, lassen sich empirisch fächer-, jahrgangs- und schulartenübergreifend nicht nachweisen:
- „[...] dass sich Leistungsheterogenität innerhalb von Lerngruppen nicht - d. h. weder positiv noch negativ - auf den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern auswirkt. “ (Gröhlich et al. 2009, S. 86)
- „[.] die Leistungsheterogenität, erweist sich dagegen nicht als Risikofaktor, sondern als belanglos für die Leistungsentwicklung.“ (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung 2006, S. 52)
- „Nichtbehinderte Kinder sind gleich gut wie Schüler in Klassen ohne Gemeinsamen Unterricht, in einigen Studien erreichen sie sogar bessere Leistungen als in nichtintegrativen Klassen. [.] Auch besonders begabte Kinder mit einem IQ größer als 117 werden in ihrer kognitiven Entwicklung nicht behindert und in ihren sozialen Kompetenzen zusätzlich gefördert.“ (Demmer-Dieckmann, S. 1)
c) Fazit
Aus diesem Essay geht hervor, dass es eine Homogenität der Schüler*innen nicht gibt. Dies gilt auch bezogen auf die Leistung der Lernenden: Leistungshomogenität ist nicht real, Leistungsheterogenität ist hingegen der Regelfall und stets gegeben. Daher lassen sich leistungshomogene Lernsettings nicht mit einem modernen Verständnis von Unterricht und Schule vereinbaren. Beachtet werden muss, dass Vielfalt und Heterogenität Chance und Herausforderung zugleich sind (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden- Württemberg 2016, S. 3). Leistungsheterogene Lernsettings stellen die Individualität aller Lernenden in den Vordergrund und ermöglichen ihnen eine personalisierte Wissenskonstruktion entsprechend der leistungsbedingten Voraussetzungen.
Anzahl der Wörter: 1127
Literatur
Demmer-Dieckmann, Irene: Forschungsergebnisse zum Gemeinsamen Unterricht. Online verfügbar unter https://inklusionsfakten.de/wp-content/uploads/2014/09/ forschungsergebnisse_gu.pdf, zuletzt geprüft am 02.12.2020.
Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (Hg.) (2006): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Zentrale Befunde der Studie Deutsch Englisch Schülerleistungen International (DESI). Online verfügbar unter https://www.dipf.de/de/forschung/aktuelle-projekte/pdf/biqua/desi-zentrale- befunde, zuletzt geprüft am 02.12.2020.
Einsiedler, Wolfgang (2014): Lehr-Lern-Konzepte für die Grundschule. In: Wolfgang Einsiedler, Margarete Götz, Andreas Hartinger, Friederike Heinzel, Joachim Kahlert und Uwe Sandfuchs (Hg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. 4., erg. und aktualisierte Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt (UTB: Schulpädagogik, GrundschulPädagogik., 8444), S. 355-364.
Gröhlich, Carola; Scharenberg, Katja; Bos, Wilfried (2009): Wirkt sich Leistungsheterogenität in Schulklassen auf den individuellen Lernerfolg in der Sekundarstufe aus? In: Journal for educational research online 1, S. 86-105.
Gröschner, Alexander; Kleinknecht, Marc (2013): Qualität von Unterricht. Ansätze aus der Perspektive der Unterrichtsforschung. In: Ludwig Haag, Sybille Rahm, Hans Jürgen Apel und Werner Sacher (Hg.): Studienbuch Schulpädagogik. 5., vollst. überarb. Aufl. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt (UTB Erziehungswissenschaft - Schulpädagogik, Band-Nr. 2949), S. 162-177.
Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Überarb. deutschsprachige Ausg. von "Visible Learning" besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider- Verl. Hohengehren.
Helmke, Andreas (2017): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. 7. Auflage. Seelze-Velber: Klett/Kallmeyer (Schule weiterentwickeln, Unterricht verbessern. Orientierungsband).
Hinz, Renate (2008): Was ist Didaktik? In: Hanna Kiper, Hilbert Meyer und Wilhelm Topsch (Hg.): Einführung in die Schulpädagogik. Berlin: Cornelsen-Scriptor (Studium kompakt. Unterricht, Schule), S. 52-63.
Klafki, Wolfgang (2007): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. 6., neu ausgestattete Aufl. Weinheim: Beltz (Beltz-Bibliothek. Studium Pädagogik.).
Lehrer*innenfortbildung Baden-Württemberg: Innere Differenzierung. Online verfügbar unter https://lehrerfortbildung-bw.de/u_matnatech/mathematik/gym/ bp2004/fb1/modul8/formen/, zuletzt geprüft am 02.12.2020.
[...]
- Quote paper
- Anonymous,, 2020, Leistungshomogene und -heterogene Lernsettings. Vor- und Nachteile, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127148