Einleitung
Die Novelle „Die Judenbuche“ ist das einzige vollendete Prosawerk der Annette von Droste- Hülshoff. Bis heute ist sie in mehr als sechs Millionen Exemplaren verbreitet und in acht Sprachen übersetzt worden. So ist die Erzählung zur „literaturgeschichtlichen Identität Annette von Droste-Hülshoffs geworden“ . Der Erstdruck der Novelle erschien in sechzehn Fortsetzungen im „Morgenblatt für gebildete Leser“ vom 22. April bis zum 10. Mai 1842. Diese weitverbreitete Zeitschrift erschien täglich außer sonntags und hatte eine Auflage von etwa 1500 Exemplaren. Das Blatt wurde von der damals in literarischen Kreisen sehr populären Cotta’schen Verlagsbuchhandlung in Tübingen herausgegeben. Annette von Droste-Hülshoff hatte das Werk damals mit dem Titel „Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westfalen“ überschrieben, der Redakteur Hermann Hauff fügte den Titel „Die Judenbuche“ hinzu. Ebenfalls 1842 fand ein Nachdruck in der Zeitschrift „Westfälischer Anzeiger“ statt, ehe 1859 dann Levin Schücking den Text erstmals als Ganzschrift veröffentlichte. Die bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte des Werkes setzte allerdings erst ein, nachdem es 1876 von Paul Heyse und Hermann Kurz in ihre Sammlung „Deutscher Novellenschatz“ aufgenommen worden war.
Mittlerweile existieren über 130 Sekundärbeiträge über „Die Judenbuche“, so daß es nahezu unmöglich ist, eine allgemeingültige Interpretation des Werkes zu finden oder gar zu erstellen, da jeder Autor von anderen Standpunkten ausgeht. Ich möchte mich daher in meiner Hausarbeit auf einige Literaturwissenschaftler als Quellen beschränken (siehe dazu die Angaben zur verwendeten Literatur). Hierbei möchte ich vor allem die Hauptthesen von Winfried Freund im Teil der Interpretation verwenden sowie die Hauptthesen von Karl Philipp Moritz zur Erläuterung des formalen Aufbaus der Novelle heranziehen. Im meinen abschließenden Bemerkungen werde ich diese Ansätze dann miteinander vergleichen und kritisieren.
[...]
Inhaltsverzeichnis
1.) Einleitung
2.) Inhaltsangabe der Judenbuche
3.) Interpretation :
3.1. Hauptfigur der Novelle: Der Charakter des Friedrich Mergel
3.2. Intention der Novelle
4.) Formale Struktur des Werkes
4.1. Aufbau
4.2. Perspektive
4.3. Epochale Einordnung
5.) Schluß: eigene Bemerkungen
6.) Verwendete Literatur
1.) Einleitung
Die Novelle „Die Judenbuche“ ist das einzige vollendete Prosawerk der Annette von Droste- Hülshoff. Bis heute ist sie in mehr als sechs Millionen Exemplaren verbreitet und in acht Sprachen übersetzt worden. So ist die Erzählung zur „literaturgeschichtlichen Identität Annette von Droste-Hülshoffs geworden“[1]. Der Erstdruck der Novelle erschien in sechzehn Fortsetzungen im „Morgenblatt für gebildete Leser“ vom 22. April bis zum 10. Mai 1842. Diese weitverbreitete Zeitschrift erschien täglich außer sonntags und hatte eine Auflage von etwa 1500 Exemplaren. Das Blatt wurde von der damals in literarischen Kreisen sehr populären Cotta’schen Verlagsbuchhandlung in Tübingen herausgegeben. Annette von Droste-Hülshoff hatte das Werk damals mit dem Titel „Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Westfalen“ überschrieben, der Redakteur Hermann Hauff fügte den Titel „Die Judenbuche“ hinzu. Ebenfalls 1842 fand ein Nachdruck in der Zeitschrift „Westfälischer Anzeiger“ statt, ehe 1859 dann Levin Schücking den Text erstmals als Ganzschrift veröffentlichte. Die bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte des Werkes setzte allerdings erst ein, nachdem es 1876 von Paul Heyse und Hermann Kurz in ihre Sammlung „Deutscher Novellenschatz“ aufgenommen worden war.
Mittlerweile existieren über 130 Sekundärbeiträge über „Die Judenbuche“, so daß es nahezu unmöglich ist, eine allgemeingültige Interpretation des Werkes zu finden oder gar zu erstellen, da jeder Autor von anderen Standpunkten ausgeht. Ich möchte mich daher in meiner Hausarbeit auf einige Literaturwissenschaftler als Quellen beschränken (siehe dazu die Angaben zur verwendeten Literatur). Hierbei möchte ich vor allem die Hauptthesen von Winfried Freund im Teil der Interpretation verwenden sowie die Hauptthesen von Karl Philipp Moritz zur Erläuterung des formalen Aufbaus der Novelle heranziehen. Im meinen abschließenden Bemerkungen werde ich diese Ansätze dann miteinander vergleichen und kritisieren.
2.) Inhaltsangabe der Judenbuche
Die Novelle „Die Judenbuche“ erzählt die undurchsichtige Lebensgeschichte eines jungen Mannes, Friedrich Mergel. Dieser wird in sozial schlechte Umstände hineingeboren, seine Eltern sind arm, und sein Vater ist Alkoholiker. In den Augen der Bewohner des Dorfes B. im Teutoburger Wald bei Paderborn, in dem Friedrich aufwächst, ist seine Familie nichts als ein Haufen Dreck. Das sehr malerisch gelegene Dorf hat sich durch Holz- und Jagdfrevel im nahegelegenen Brederholz einen berühmt-berüchtigten Namen gemacht. Die einfachen Dorfbewohner liegen daher im Clinch mit den Förstern, da für die Dörfler neben dem geschriebenen Recht vor allem das Gewohnheitsrecht gilt.
Als Friedrich neun Jahre alt ist, stirbt sein Vater, weil er sich in einer stürmischen Winternacht betrunken im Brederholz in einer düsteren Schlucht herumtreibt. Dort kommt er unter einer Buche ums Leben. Mit zwölf Jahren wird Friedrich unter die Fittiche seines Onkels Simon Semmler genommen, der ihn für sich arbeiten läßt. Unter Simons negativem Einfluß verwandelt sich der träumerische, in sich zurückgezogene Junge in einen großspurigen, sowohl gefürchteten als auch gleichzeitig im Dorf bewunderten jungen Mann. Friedrich hat nur einen einzigen Freund, den Schweinehirten Johannes Niemand, der in der Novelle als Friedrichs Doppelgänger dargestellt wird. Simon ist der Anführer einer der Holzfrevler-Banden, und so muß Friedrich immer wieder als Wache bei den nächtlichen Beutezügen fungieren. Eines Nachts, Friedrich ist mittlerweile 18 Jahre alt, wird dann Förster Brandis im Brederholz nach einer Auseinandersetzung mit Holzfrevlern erschlagen aufgefunden. Friedrich wird als Täter verdächtigt, doch er weiß sich vor Gericht mittels geschickter Ausweichmanöver ein Alibi zu verschaffen. Vier Jahre später kommt es auf einer Hochzeitsfeier im Dorf zum Streit zwischen Friedrich und dem Juden Aaron, der ihn wegen einer noch nicht beglichenen Geldschuld öffentlich blamiert. Drei Tage später dann wird Aaron im Brederholz ermordet unter einer Buche, der Judenbuche, gefunden. Wieder fällt der Verdacht auf Friedrich. Doch als man ihn verhaften will, wird bemerkt, daß er mit Johannes Niemand über die Grenze geflohen ist.
Achtundzwanzig Jahre vergehen, ehe am Vorabend des Weihnachtsfestes im Dorf eine zerlumpte, kranke Gestalt auftaucht. Es ist ein Mann mit schneeweißem Haar und gekrümmtem Rücken. Alle im Dorf nehmen an, daß es der damals geflohene Johannes Niemand sei. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt im Dorf mit dem Schnitzen von Holzlöffeln, bevor er eines Tages wieder spurlos verschwunden ist. Im Dorf wird vermutet, er sei wieder davongegangen, doch eines Tages wird er dann im Brederholz gefunden. Er hat sich an der Judenbuche erhängt. Als man seinen Leichnam abnehmen will, stellt man anhand einer Narbe am Hals fest, daß es sich gar nicht um Johannes gehandelt hat, sondern um Friedrich Mergel. In seinem Selbstmord hat sich die hebräische Inschrift, die die Dorfjuden nach Aarons Tod dort hineingehauen hatten, im Stamm der Judenbuche erfüllt: „Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.“ So wird Friedrichs Leiche auf dem Schindanger verscharrt - und nicht auf dem Friedhof bestattet, welches Friedrichs Wunsch und der Grund für seine Rückkehr ins Dorf gewesen war.
3.) Interpretation
3.1. Hauptfigur der Novelle: Der Charakter des Friedrich Mergel
Friedrich Mergel, die Hauptfigur der Novelle „Die Judenbuche“, wird in eine Gesellschaft hineingeboren, in der der einzelne Mensch vollkommen abhängig von seinem sozialen Kontext ist. Dieser sittlich-örtliche Rahmen determiniert von vornherein das Schicksal jedes Einzelnen. Friedrichs Eltern leben in Armut, und zudem ist sein Vater Alkoholiker. Seine soziale Stellung ist daher sehr niedrig. Die Bewohner des Dorfes B., in dem er lebt, beurteilen ihre Mitmenschen lediglich nach ihren äußeren Umständen und ihrer sozialen Lage. Die Normenstruktur ist statisch und die Rollenzuweisung unwiderruflich. Von anderen wird Friedrich deshalb nicht akzeptiert, schon früh wird er in eine gesellschaftliche Außenseiterrolle hineingedrängt. Man läßt ihn im Dorf spüren, wie sehr man seinen Vater abgelehnt hatte, gerade nach dessen Tod: „Überhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles übrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren durch das Gefühl mancher Zurücksetzung von seiten anderer.“[2] Auch andere Jungen in seinem Alter haben bereits die Urteile ihrer Eltern internalisiert: „Friedrich mußte von andern Knaben vieles darüber hören, dann heulte er, schlug um sich, stach auch einmal mit seinem Messerchen und wurde bei dieser Gelegenheit jämmerlich verprügelt.“[3] So wird Friedrich zum in sich gekehrten Einzelgänger.
Doch als Friedrich zwölf Jahre alt ist, taucht sein Onkel Simon Semmler in seinem Leben auf. Er will seinem Neffen Arbeit verschaffen, hat aber dabei lediglich seinen eigenen Vorteil im Blick. Da Friedrich keine andere Chance auf sozialen Aufstieg hat, willigt die Mutter schließlich ein, daß Simon den Jungen mitnimmt. Friedrich, bisher immer Außenseiter, sieht nun eine Chance zur Selbstdarstellung. Durch die Arbeit bei seinem Onkel kann er endlich „sein natürliches Geltungsbedürfnis befriedigen und sein Selbstbild verwirklichen“[4]. Von nun an entwickelt sich Friedrich zum „anerkannten Dorfelegant an der Spitze des jungen Volkes“.[5] Nun wird ihm die lang ersehnte Anerkennung in der Dorfgemeinschaft endlich zugebilligt, er wird aufgrund seiner guten Kleidung und seines Geldes endlich geachtet. Nach dem Mord an Förster Brandis jedoch wird deutlich, daß Friedrichs Ansehen nicht gefestigt ist, denn er wird nur allzu bereitwillig in die Reihe der verdächtigen Personen eingereiht. Dadurch zeigt sich, daß immer noch seine Außenseiterposition in den Köpfen seiner Mitmenschen verankert ist, denn er ist ständig der Gefahr ausgesetzt, das Opfer von Gruppenvorurteilen zu werden. Andererseits ist dem Leser durchaus klar, daß Friedrich eine Mitschuld an dem Tod des Försters trägt. Seine Reaktionen und sein späterer Gewissenskonflikt „bilden untrügliche Indizien für seine Mitverantwortung an der kriminellen Tat“.[6] Durch die starre gesellschaftliche Normenstruktur jedoch wird Friedrich als Mensch vollkommen abqualifiziert, so daß er schließlich irgendwann das von ihm erwartete Verhalten annimmt und zum Kriminellen wird. Nach dem Tod des Försters dann wird Friedrichs Art immer mehr zu einem Imponierverhalten, da er sich selbst und den anderen beweisen will, daß er aufgrund seiner Arbeit in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und aus dem zugewiesenen Rollenschema vermeintlich ausbrechen konnte. Durch den Vorfall mit dem Juden Aaron auf einer Dorfhochzeit wird seine Anerkennung jedoch auf einen Schlag zerstört. Als dann drei Tage später Aarons Leiche gefunden wird, wird sofort wieder Friedrich verdächtigt, denn er als Außenseiter ist immer noch ein willkommener Sündenbock. Trotz des Anscheins, daß Friedrich unschuldig ist, flieht er zusammen mit Johannes Niemand aus dem Dorf. „Geht man nicht von vornherein von seiner Schuld aus, so könnte sich in der Flucht Friedrichs die durch den Försterprozeß vorbereitete Erfahrung niederschlagen, daß man den Außenseiter, befangen in Vorurteilen, als eine Art Prügelknaben behandelt, dem man die Schuld an allen abnormen Vorkommnissen zuschiebt.“[7] Obwohl Friedrich ein Motiv gehabt hätte, verstärken sich die Zweifel des Lesers an seiner Schuld durch einen Brief an den Gerichtspräsidenten, in dem es heißt: „Ein Mitglied der Schlemmingschen Bande [...], Lumpenmoises genannt, hat im letzten Verhöre ausgesagt, daß ihn nichts so sehr gereue als der Mord eines Glaubensgenossen Aaron, den er im Wald erschlagen [...] habe.“[8] Daher stellt Friedrichs Flucht nicht sein Eingeständnis der Tat dar, sondern ist der Gipfel der Desintegration durch die Dorfgesellschaft. Seine Hoffnung, sich doch noch in die Gesellschaft integrieren zu können, sind durch den Tod Aarons und Friedrichs Verdächtigungen endgültig zerstört. Ihm bleibt folglich nur die Flucht.
[...]
[1] Kraft, 1994, 96.
[2] Droste-Hülshoff: Die Judenbuche, S. 12, Z. 19-24; Ausgabe siehe Literaturverzeichnis
[3] Droste-Hülshoff, S.13, Z. 4-7.
[4] Freund, 1975, 65.
[5] Droste-Hülshoff, S. 23, Z. 14/ 15.
[6] Freund, 1975, 66.
[7] Freund, 1975, 68.
[8] Droste-Hülshoff, S. 47, Z. 21-27.
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- Hanna Beyer (Autor), 2000, Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1124