Wenn an die demokratische Tugend der Toleranz appeliert wird, so klingt das oft resignativ. Die gegenseitige Duldung bietet den einzigen Ausweg in einem Konflikt, in dem eine Annäherung nicht in Sicht ist. Mehr als mißtrauische, ja mißmutige Koexistenz der Parteien scheint, selbst auf der Basis gemeinsamer christlicher Grundüberzeugungen, nicht zu erreichen zu sein, wenn es um lebenswichtige Fragen wie die Transplantationsmedizin oder die Sterbehilfe geht - vom Schwangerschaftsabbruch gar nicht zu reden.
Stets ist da der, auch die eigene Erfahrung prägende Konflikt, allgemein für gültig erachtete ethische Normen mit konkreten individuellen Notwendigkeiten in Übereinstimmung zu bringen. Denn viel zu oft ähnelt (nicht nur) das Leben mit chronischer Erkrankung und Behinderung einem "permanenten Ausnahmezustand", über den man nicht selbst verfügen kann. Dieses Gefühl der "Angst um das bißchen Leben", [wie es Susanne Krähe (LM 1/97) eindrucksvoll beschreibt], scheint in fast allen existentiellen Lebenssituationen aus der Tiefe der Seele emporzukommen. Vermutlich ist dies auch das subjektive Gefühl jeder Frau, die ungewollt schwanger geworden ist.
Inhaltsverzeichnis
- Ethik der Autonomie und der Fürsorge
- Die Heiligkeit des Lebens als liberaler Wert
- Autonomie als Ideal
- Ethik der Fürsorge und des Verzichts
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay befasst sich mit der ethischen Frage der Autonomie und Fürsorge im Kontext von Lebensende und Sterbehilfe. Der Autor analysiert die Positionen von Ronald Dworkin und Peter Singer, die unterschiedliche Ansätze zur Definition von Lebensrecht und individueller Selbstbestimmung vertreten. Der Essay beleuchtet die Grenzen der Autonomie im Angesicht des Todes und plädiert für eine Ethik der Fürsorge, die die Bedürfnisse und Interessen von Menschen in vulnerablen Situationen berücksichtigt.
- Autonomie und Selbstbestimmung im Angesicht des Todes
- Die Grenzen der Autonomie
- Die Heiligkeit des Lebens und der Wert des Nichtmenschlichen
- Ethik der Fürsorge und des Verzichts
- Die Bedeutung von "wertebezogenen" Interessen
Zusammenfassung der Kapitel
Der Essay beginnt mit einer Analyse der Position von Ronald Dworkin, der die "Heiligkeit" des Lebens als einen zentralen Wert in der Debatte um Abtreibung und Sterbehilfe hervorhebt. Dworkin argumentiert, dass die Autonomie von Frauen in Bezug auf die Entscheidung über eine Schwangerschaft zwar wichtig ist, aber das ungeborene Leben dennoch einen hohen "intrinsischen" Wert besitzt. Er kritisiert die "Praktische Ethik" von Peter Singer, die eine ethisch begründete höhere Stellung des Menschen gegenüber anderen Lebewesen ablehnt und die Autonomie des Menschen so weit relativiert, dass der einzelne Mensch in existentiellen Grenzsituationen fast sämtlichen Zugriffen zugänglich wird.
Im zweiten Teil des Essays stellt der Autor Dworkins Argumentation für eine liberale Regelung der Sterbehilfe vor. Dworkin argumentiert, dass wir einen Tod sterben wollen, der unseren "wertebezogenen" Interessen gerecht wird. Er betont, dass die Würde einer Person auch von einem Lebensende beeinträchtigt werden kann, von dem sie selbst gar nichts mehr mitbekommt, beispielsweise wenn sie über Jahre mit technischer Unterstützung im "vegetativen Zustand" gehalten wird. Dworkin plädiert dafür, dass Patienten in fortgeschrittenem Stadium der Alzheimerschen Krankheit auch bei einer leicht zu heilenden zusätzlichen Erkrankung nicht behandelt werden sollten, wenn sie dies im Voraus verlangt haben, als sie noch bei klarem Verstand waren.
Der Essay endet mit einer kritischen Betrachtung von Dworkins Selbstbestimmungsideal. Der Autor argumentiert, dass der Prozeß des Sterbens sich immer mehr oder minder der eigenen Verfügung entzieht und dass eine vollständige Programmierung des Sterbens unrealistisch ist. Er plädiert für eine "Ethik der Fürsorge", die die Grenzen der Autonomie berücksichtigt und die Bedürfnisse von Menschen in vulnerablen Situationen in den Vordergrund stellt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Ethik der Autonomie, die Grenzen der Selbstbestimmung, die Heiligkeit des Lebens, die Fürsorge, die Sterbehilfe, die Abtreibung, die "Praktische Ethik" von Peter Singer, die "wertebezogenen" Interessen und die Bedeutung des Lebensendes.
- Quote paper
- Dr. Walter Grode (Author), 1997, Ethik der Autonomie und der Fürsorge, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112376