Die Aufgabe des Strafrechts wird (heute) in der Verhinderung sozialschädlicher Verhaltensweisen und damit in der Sicherung eines ungefährdeten Zusammenlebens der Bürger gesehen. Daher sollen die verhängten Sanktionen nicht allein – wie im reinen Schuldstrafrecht – die Tatschuld vergelten, sondern künftige Rechtsbrüche durch die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Delinquenten verhindern.
Die Untersuchung des Erfolgs des Strafvollzuges ist daher DIE zentrale Frage, die sich die Strafrechtspflege stellen muss. Denn es werden sowohl dem Opfer und der Gesellschaft als auch dem Täter schwerwiegende Eingriffe zugemutet, die ihrerseits stets erforderlich und verhältnismäßig sein müssen. Folglich bedarf ein auf dem Präventionsgedanken ausgelegtes Strafrecht der Erfolgskontrolle der verhängten Sanktionen.
Ziel des Vollzuges muss es daher stets sein, die straffällig gewordene Person zu einem künftig straffreien Leben zu bewegen, und damit einen Rückfall zu verhindern oder wenigstens dessen Möglichkeit zu verringern.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Das „Design“ der Untersuchungen
1. Methodische und Empirische Probleme
a) Problem der Untersuchungsanordnung
b) Probleme aufgrund der BZR-Daten
c) Problem der Vorselektion
d) Problem der Kausalität
e) Zwischenergebnis
2. Das Erfolgskriterium
a) Die kriminologische Erfolgsuntersuchung
b) Die Legalbewährung
c) Der „Erfolg“
3. Zwischenergebnis
III. Rückfälligkeit nach Freiheitsstrafe
1. Vollzug der Freiheitsstrafe
a) Grundsätzliches
b) Rückfälligkeit
c) Zwischenergebnis
2. Strafaussetzung zur Bewährung
a) Grundsätzliches
b) Gesetzliche Regelungen
c) Erfolg und Misserfolg
d) Rückfälligkeit
3. Vergleich zwischen Straf(rest)aussetzung und Vollzug
a) Allgemeine Ergebnisse
b) Schwerste Folgeentscheidung
IV. Rückfälligkeit nach Jugendstrafe
1. Grundsätzliches
2. Strafaussetzung zur Bewährung
a) Gesetzliche Regelungen
b) Rückfälligkeit
c) Zwischenergebnis
3. Vollverbüßung
a) Zahlenmäßige Bedeutung
b) Rückfälligkeit
c) Zwischenergebnis
4. Vergleich zwischen Vollverbüßung und Strafaussetzung
V. Ergebnis
I. Einleitung
Die Aufgabe des Strafrechts wird (heute) in der Verhinderung sozialschädlicher Verhaltensweisen und damit in der Sicherung eines ungefährdeten Zusammenlebens der Bürger gesehen. Daher sollen die verhängten Sanktionen nicht allein – wie im reinen Schuldstrafrecht – die Tatschuld vergelten, sondern künftige Rechtsbrüche durch die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Delinquenten verhindern.[1]
Die Untersuchung des Erfolgs des Strafvollzuges ist daher DIE zentrale Frage, die sich die Strafrechtspflege stellen muss. Denn es werden sowohl dem Opfer und der Gesellschaft als auch dem Täter schwerwiegende Eingriffe zugemutet, die ihrerseits stets erforderlich und verhältnismäßig sein müssen.[2] Folglich bedarf ein auf dem Präventionsgedanken ausgelegtes Strafrecht der Erfolgskontrolle der verhängten Sanktionen.[3]
Ziel des Vollzuges muss es daher stets sein, die straffällig gewordene Person zu einem künftig straffreien Leben zu bewegen,[4] und damit einen Rückfall zu verhindern oder wenigstens dessen Möglichkeit zu verringern.[5] Dementsprechend formuliert § 2 Satz 1 des StVollzG:
„Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in
sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“
Die vorliegende Arbeit soll prüfen, ob die von den deutschen Gerichten verhängten strafrechtlichen Sanktionen dieses erklärte Ziel erreichen können. Dabei liegt der Fokus der Untersuchungen auf den Rückfälligkeiten nach Freiheits- und Jugendstrafen sowie den Problemen, denen sich die Forschung stellen muss bzw. die eine aussagefähige Erhebung der Daten erschweren.
II. Das „Design“ der Untersuchungen
Am Anfang jeder Sanktionsforschung steht die Frage, wie eine derartige Untersuchung überhaupt aussehen soll. Dabei ergeben sich nicht nur methodische und empirische Probleme, die die Ergebnisse der Studien verfälschen könnten, sondern es ist schon die Frage zu stellen, wie der Begriff des „Rückfalls“ definiert werden soll.
1. Methodische und Empirische Probleme
Bereits die Erhebung der Daten bereitet Schwierigkeiten. Ebenso gibt die Aussagekraft der Statistiken Einschränkungen vor.
a) Problem der Untersuchungsanordnung
Schon die Anordnung einer entsprechenden experimentellen Untersuchung gestaltet sich äußerst schwierig. Man müsste hierzu zwei möglichst homogene Gruppen (hinsichtlich des Alters, Geschlechts, Vorstrafen, sozialem Entlassungsumfelds[6] etc.) bilden, auf die dann unterschiedlich therapeutisch eingewirkt wird und vergleicht dann die weitere Entwicklung der beiden Gruppen. Unter der Voraussetzung, dass sich die beiden Gruppen in nichts anderem unterscheiden als in der Art der Einwirkung, ließe sich annehmen, dass die weitere Entwicklung nur auf die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Sanktionen zurückzuführen sein kann.[7]
Eine solche Untersuchungsanordnung ist aber nicht durchführbar. Schon die Bildung zweier homogener Gruppen ist praktisch nicht zu realisieren, da die richterlichen Sanktionen aus rechtlichen und nicht aus forschungspraktischen Erwägungen resultieren.[8] Es wäre also nicht zu rechtfertigen, zwei Täter für weitgehend gleiche Straftaten unterschiedlich zu sanktionieren – und eine Zufallszuweisung ist ethisch und moralisch nicht vertretbar.[9] Denn unter dem Grundsatz, dass jedem Täter die beste spezialpräventive Einwirkung zukommen soll – was im Übrigen auch im Sinne der Allgemeinheit sein dürfte – kann dem einen von zwei Verurteilten eine (möglicherweise) günstigere Therapie durch Zufall nicht verweigert werden.
Hingegen sind quasi-experimentelle Untersuchungen dort möglich, wo vergleichbare Gruppen entweder im Querschnitt – beispielsweise aufgrund regionaler Unterschiede in der Sanktionspraxis – oder im zeitlichen Längsschnitt – z.B. aufgrund von Änderungen der Sanktionspraxis (ambulante Zuchtmittel statt Jugendarrest, Strafaussetzung statt unbedingter Freiheitsstrafe) – unterschiedlich sanktioniert werden.[10]
Freilich wird auch eine Untersuchung im zeitlichen Längsschnitt schwerlich umzusetzen sein. Denn im Laufe der Jahre verändern sich Gesetze und vor allem Rechtsauffassungen, sodass auch hier ein Vergleich schwer fällt.
b) Probleme aufgrund der BZR-Daten
Durch die Eigenart der Daten des Bundeszentralregisters (BZR) ergeben sich weitere Faktoren, die die Aussagekraft der Rückfallstatistiken mindern.
aa) Ausklammerung von Verfahrenseinstellungen
Grundsätzlich finden nur strafrechtliche Urteile Eingang in das Bundeszentralregister. Dies führt zwangsläufig dazu, dass Verfahrenseinstellungen auf Grundlage der §§ 153, 153(a), 153(b) StPO nicht registriert sind. Da mittlerweile aber auf fast jeden Verurteilten ein Beschuldigter kommt, dessen Verfahren eingestellt wird, fehlt ein nicht unerheblicher Teil für die Berechnung der Rückfallraten.[11]
Als Ausnahme sind hier allenfalls die Einstellungen nach §§ 45,47 JGG zu erwähnen – Sie werden im Erziehungsregister vermerkt und stehen einer Auswertung damit zur Verfügung.[12]
bb) Schlechte Meldemoral und Fehleintragungen[13]
Ein weiteres Problem ist, dass die Moral der an das BZR meldenden Stellen nicht so gut ist, wie sie sein sollten und könnten.
So kann es beispielsweise vorkommen, dass Informationen, wie die Anzahl der verhängten Tagessätze oder das Alter zum Tatzeitpunkt, fehlen.[14]
Dies mag in Einzelfällen leicht zu verschmerzen sein, jedoch scheint die Meldemoral zum Teil derart schlecht zu sein, dass in 5 – 8 % aller fraglichen Fälle das Ende der Strafvollstreckung bei unbedingten Freiheitsstrafen fehlt.
Ferner ist es zu Falscheintragungen gekommen. So sind bei Jugendlichen vereinzelt Sanktionen des Allgemeinen Teils des StGB verzeichnet worden, was ersichtlich nicht geschehen sein kann.
Ebenso enthalten die Daten des Bundeszentralregisters keine Informationen darüber, ob Verurteilte im Beobachtungszeitraum verstorben oder ausgewandert sind, oder infolge von Internierungen keine Möglichkeit hatten, straffällig zu werden.[15] Daher ist es denkbar, dass ein Nichtdeutscher zwar in der Bezugsentscheidung registriert ist, aber in der Rückfallstatistik fehlt, weil er zwischenzeitlich ausgereist ist oder abgeschoben wurde.
Dies könnte ebenfalls zu einer Verschiebung zu Gunsten bestimmter Gruppen führen.
cc) Tilgungs- und Löschungsfristen[16]
Der Umstand, dass registrierte Taten bei nachfolgender Straffreiheit nach mindestens fünf Jahren aus dem Register gelöscht werden (Vgl. §§ 45 ff. BZRG) hat für die Rückfallstatistik von Jehle, Heinz und Sutterer, die einen Beobachtungszeitraum von vier Jahren behandelt, keinerlei Auswirkungen.
Ein weitaus größeres Problem ergibt sich aber dadurch, dass Eintragungen von Jugendlichen und Heranwachsenden mit dem Erreichen des 24. Lebensjahres gelöscht werden (Vgl. § 63 BZRG). Freilich fällt nicht die Mehrzahl aller Fälle hierunter, allerdings kann diese (geringfügige) Verzerrung – gerade in Verbindung mit den anderen methodischen und empirischen Problemen – nicht vernachlässigt werden.
c) Problem der Vorselektion
Zudem lassen sich die unterschiedlichen Einwirkungen aufgrund von gesetzlichen Gegebenheiten nicht ohne Weiteres miteinander vergleichen.
So schlägt eine Gegenüberstellung von sozialtherapeutischen Behandlungen und der Vollstreckung der Freiheitsstrafe regelmäßig fehl. Dabei könnten zwar unter Umständen homogene Gruppen gebildet werden, allerdings hat die Gruppe mit sozialtherapeutischer Behandlung aufgrund der notwendigen Therapiefähigkeit (über die die Anstaltsleitung entscheidet – Vgl. § 9 Abs. 2 StVollzG), der Einwilligung des Probanden[17] (Vgl. § 9 Abs. 1 StVollzG) und der Möglichkeit der Rückverlegung von ungeeigneten Patienten (Vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 StVollzG) bezüglich ihrer Resozialisierungschancen möglicherweise eine günstigere Prognose, die sich auf die positive Vorauswahl zurückführen lassen könnte, also nicht unbedingt ein Resultat der unterschiedlichen Einwirkung ist.[18]
Dieses Phänomen der Vorselektion, also der juristisch bzw. gerichtlich geschaffenen günstigeren Resozialisierungschance für bestimmte Tätergruppen, zieht sich durch alle vergleichenden Statistiken, und stellt sich als schwer lösbares Problem jeglicher Sanktionsforschung in den Weg.
d) Problem der Kausalität
Letztlich kann ein eventuell gemessenes positives Ergebnis nur dann als Erfolg der Einwirkung angesehen werden, wenn man sicher davon ausgehen kann, dass das Ergebnis allein durch die Sanktion verursacht worden ist und sich ein nach der Verhängung der Strafe beobachtbares Verhalten kausal gerade als Wirkung der verhängten Sanktion interpretieren lässt,[19] oder ob nicht (auch) andere, nicht sanktionsbezogene Einflüsse entscheidend sind.[20]
Allerdings bleibt die Nachweisbarkeit der Kausalität der Sanktion für den gemessenen Erfolg unklar. Denn Personen, die mit einer harten Sanktion bestraft worden sind, gehören möglicherweise einer Gruppe an, die unabhängig von der verhängten Strafe ein erhöhtes Rückfallrisiko aufweist.[21]
Ebenso kann nie feststehen, ob die Probanden auch die persönlichen Voraussetzungen für die entsprechenden Einwirkungen aufgewiesen haben oder inwieweit sich die Reaktionen des Einzelnen auf die intervenierenden Variablen unterscheiden.[22]
Daher muss letztlich offen bleiben, ob die weitere Legalbewährung auf die abstrakte Effektivität der Einwirkung zurückzuführen ist.[23] – Von einem linearen Zusammenhang zwischen Eingriff und Erfolg kann demnach nicht gesprochen werden.[24]
e) Zwischenergebnis
Es haben sich verschiedene Probleme gezeigt, die die Sanktionsforschung in der Erhebung und in der Auswertung von Daten erschweren bzw. die Ergebnisse verzerren können.
Dennoch bieten die aus den Statistiken erlangten Ergebnisse eine gute Beurteilungsbasis, an der ein etwaiger Erfolg strafrechtlicher Sanktionen – wenn auch nicht in mathematischer Perfektion und dem absoluten Wirklichkeitsbild entsprechend – abgelesen werden kann.
Zudem sind die derzeitig vorhandenen Studien der einzige Weg, in den rechtlichen und moralischen Grenzen Sanktionsforschung zu betreiben.
Jedoch muss sich jedes Auswertungsergebnis der Problematik der „Maßnahme-Erfolg-Kausalität“ stellen.
2. Das Erfolgskriterium
Des Weiteren muss der Begriff des „Erfolges“ einer verhängten Sanktion näher bestimmt werden.
Da das Strafrecht (auch) die Einhaltung der Strafnormen gewährleisten soll, wäre es nur konsequent, die Legalbewährung, das heißt das Ausbleiben neuerlicher strafrechtlicher Registrierung innerhalb eines bestimmten Beobachtungszeitraumes,[25] als Erfolgskriterium zu wählen. Allerdings kann auch ein rein kriminologischer Bestimmungsansatz gewählt werden.
Ferner bereitet auch die Definition des Rückfallbegriffs Schwierigkeiten
a) Die kriminologische Erfolgsuntersuchung
Es wird vertreten, bei der Frage des Rückfalls komme es gar nicht (primär) auf die so genannte Legalbewährung an, sondern darauf, ob die Straftäter den Strafvollzug als für sie günstig betrachten und ob sich ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten gebessert hat.[26]
So wäre es aus kriminologischer Sicht sinnvoll, zu fragen, ob sich handlungsbegleitende personale und soziale Hintergrundvariablen verändert haben.[27] Dies wird durch einen Test von Einstellungen und Wertvorstellungen bei Beginn sowie nach einiger Zeit während eines Sanktionierungs- oder Betreuungsprozesses gemessen und kann durch einen komplexen Schlüssel aus Legal-, Sozial- und Arbeitsbewährung ausgewertet werden.[28]
Für diese Ansicht spricht, dass sie die resozialisierende Wirkung der Strafe auf den Täter untersucht und damit dem Ziel des Strafvollzugs Rechnung trägt, den Täter zu bessern. Zudem ist sie unter Umständen besser als die Legalbewährung geeignet, einen Erfolg hinsichtlich der Straffälligkeit des Täters festzustellen, da sie nicht nur die bloße Rückfalltat berücksichtigt, sondern ggf. auch in der Lage ist, die vielschichtige Frage der Veränderung des Täters zu beantworten, was der alleinige Blick auf die Legalbewährung nicht vollbringen kann.
Dennoch kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Zum einen sind die Befragungen hinsichtlich der Änderung der Wertevorstellungen als Kriterium ungeeignet – Zu viele Schwierigkeiten bereitet es, scheinbare oder vorgetäuschte Veränderungen der Einstellung des Täters zu erkennen. Zudem kann ein Sich-Erinnern des Probanten an zuvor getätigte Antworten beim letzten Test[29] und damit die Beeinflussung der Ergebnisse nicht ausgeschlossen werden.
Ebenso bleibt es auch hier unklar, ob die gewählten Indikatoren einen unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Schluss auf den Erfolg der Sanktion zulassen – Das bezüglich der Kausalität Gesagte gilt demnach entsprechend. Endlich bestehen Definitionsunklarheiten über dehnbare Begriffe wie „Lebensbewährung“ oder „psychisches Wohlbefinden“.[30]
Folgerichtig ist die „kriminologische Erfolgsuntersuchung“ nicht das geeignete Kriterium der Erfolgsmessung.
b) Die Legalbewährung
Daher wird für die Messung der Rückfälligkeit auf die Legalbewährung, also das Ausbleiben neuerlicher Straftaten, abgestellt. Denn es ist zwar das (spezialpräventive) Ziel der Strafe, den Täter zu einem straffreien Leben zu bewegen, jedoch dient das äußere Legalverhalten, also das formal gesetzmäßige Leben, als Indikator für die soziale Integration des sanktionierten Straftäters.[31]
Durch die alleinige und isolierte Betrachtung der Rückfalltat wird freilich die Faktorenvielfalt ausgeblendet, die zu der Begehung von Straftaten führt, und betont das Gewicht einer (erneuten) Straftat zu stark.[32] Indes manifestiert sich die Rückfälligkeit gerade in jeder neuen Tat, sodass man anhand der gewonnen Daten Aussagen über die Wirkungen von Sanktionen geben kann. Dennoch ergeben sich auch hier Schwierigkeiten.
aa) Beginn der Untersuchungen bei Strafaussetzungen[33]
Grundsätzlich lassen sich zwei Zeitpunkte für den Beginn des Untersuchungszeitraumes bestimmen: Ab dem Zeitpunkt des Straferlasses oder ab dem Ende der Bewährungszeit.
Für erstere Ansicht spricht, dass in § 56 Abs. 1 StGB schon die Erwartung formuliert ist, dem Straftäter solle schon die „Verurteilung zur Warnung dienen“ . Demnach müsste man, wollte man die Wirkung dieser „Warnung“ überprüfen, jede Rückfälligkeit nach Rechtskraft der Strafaussetzung berücksichtigen.
Dagegen lässt sich allerdings anbringen, dass in § 56(f) StGB eigene Erfolgskriterien formuliert sind und sich der Täter gerade in Freiheit – ggf. durch eine bestellte Hilfsperson – bewähren soll, sodass eine Resozialisierung nach dem Ende der Bewährungszeit trotz erneuter Straffälligkeit möglich ist.
Dem kann aber nicht gefolgt werden. Eine Betrachtungsweise, die lediglich auf die nach der Bewährungszeit verübten Straftaten abstellt, würde die Strafaussetzung gegenüber der vollverbüßten Freiheitsstrafe hinsichtlich der Erfolgschancen bevorteilen. Denn durch die „Bewährung in Freiheit“ ist es wahrscheinlicher, dass der Verurteilte straffällig wird – was bei der Vollverbüßung sehr selten ist. Zudem ist es nicht ersichtlich, warum Taten, die unter Umständen auch dadurch entstanden sind, dass mit der Strafaussetzung zur Bewährung ein Risiko hinsichtlich der Sicherheit der Allgemeinheit eingegangen worden ist, heraus gerechnet werden sollen.
Folglich muss für die Erfolgsmessung jede Tat nach dem Urteil, also bei der Strafaussetzung mit Beginn der Bewährungszeit betrachtet werden.
bb) Definitionsschwierigkeiten des Rückfallbegriffs
Ebenso ist die Definition des Rückfallbegriffes nicht unumstritten.
Es ist hierbei die Bestimmung der zwei für den Rückfall konstituierenden Elemente – Vortat und Rückfalltat – entscheidend.
Als „Bezugstat“ kommt entweder a) jede entdeckte sowie die im Dunkelfeld verbliebenen, unentdeckten strafbaren Handlungen, b) jede registrierte Straftat, einschließlich der informell sanktionierten Taten[34], oder c) lediglich jede durch eine Verurteilung geahndete Straftat[35] in Betracht.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei dem Versuch der Definition der „Rückfalltat“.
Theoretisch und kriminologisch wäre es nur konsequent, unter einem „Rückfall“ jede (auch im Dunkelfeld verbliebene) neue, nach Strafverbüßung verübte Straftat zu verstehen.[36] Natürlich kann auch jede polizeilich registrierte, einer tatverdächtigen Person zugeschriebenen Straftat bzw. erst – wie oben – jede sanktionierte Straftat (mit oder ohne Berücksichtigung der informell sanktionieren Straftaten) als Rückfall angesehen werden.
Praktisch behindern aber nicht nur Löschungsfristen und datenschutzrechtlich motivierte Auskunftssperren die Sanktionsforschung, vielmehr fehlt es wegen des Dunkelfelds an einer Möglichkeit, von einer erneuten Deliktsbegehung zuverlässig Kenntnis zu erlangen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die erfassten Delikte nicht doch nur ein Ausschnitt aller begangenen Straftaten darstellen.[37] Damit lässt sich also nicht die Frage der „Nichtrückfälligkeit“, sondern nur diejenige der „Rückfälligkeit plus erneuter amtlicher Erfassung“ beantworten.[38]
[...]
[1] Kaiser, § 31, Rn. 47.
[2] Schneider, S. 845.
[3] Heinz, ZJJ 1/2004, S. 35.
[4] Kunz, § 34, Rn. 2.
[5] Schneider ebd.
[6] Meier in: Handbuch der Kriminologie, S. 986.
[7] Göppinger, § 30, Rn. 43.
[8] Meier ebd.
[9] Göppinger, § 30, Rn. 45.
[10] Heinz, Rückfall- und Wirkungsforschung, S. 8.
[11] Heinz, Rückfall- und Wirkungsforschung, S. 5, Fn. 11.
[12] Jehle/Heinz/Sutterer, S. 22 f.
[13] Jehle/Heinz/Sutterer, S. 23 f.
[14] Göppinger, § 30, Rn. 46.
[15] Heinz, Rückfall- und Wirkungsforschung, S. 5, Fn. 12.
[16] Jehle/Heinz/Sutterer, S. 25 f.
[17] Eisenberg, § 15, Rn. 38.
[18] Göppinger, § 30, Rn. 45.
[19] Heinz, Rückfall- und Wirkungsforschung, S. 7.
[20] Kunz, § 34, Rn. 9.
[21] Heinz, Rückfall- und Wirkungsforschung, S. 7.
[22] Eisenberg, § 15, Rn. 17.
[23] Göppinger, § 30, Rn. 43.
[24] Eisenberg, § 15, Rn. 23.
[25] Kunz, § 34, Rn. 4.
[26] Schneider, S. 846.
[27] Meier in: Handbuch der Kriminologie, S. 987.
[28] Kaiser, § 91, Rn. 11.
[29] Eisenberg, § 15, Rn. 32.
[30] Eisenberg, § 15, Rn. 30.
[31] Kaiser, § 91, Rn. 12.
[32] Kaiser ebd.
[33] Göppinger, § 34, Rn. 58.
[34] Vgl. §§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG, § 29 Abs. 5, 37, 38 BtMG.
[35] Heinz, ZJJ 1/2004, S. 34.
[36] Heinz, Rückfall- und Wirkungsforschung, S. 5, Fn. 10.
[37] Göppinger, § 30, Rn. 46.
[38] Eisenberg, § 15, Rn. 20.
- Quote paper
- Tommy Kujus (Author), 2008, Rückfälligkeit bei verbüßter Freiheits- und Jugendstrafe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112251
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.