„Und somit bin ich am Ende meiner Abhandlung über die bürgerliche und kirchliche Regierung, die von den Wirren der Gegenwart veranlaßt wurde, angelangt, ohne Parteilichkeit, ohne Schmeichelei und ohne eine andere Absicht zu verfolgen als die, den Menschen die gegenseitigen Beziehungen zwischen Schutz und Gehorsam vor Augen zu halten, deren Beachtung die Beschaffenheit der menschlichen Natur und die göttlichen Gesetze, die natürlichen wie die positiven, unabdingbar fordern. Und obwohl in Zeiten von Staatsumwälzungen die Konstellation für die Geburt einer Wahrheit dieser Art nicht sehr gut sein kann (…), so kann ich doch nicht glauben, daß sie in dieser Zeit (…) verurteilt wird.“ Die Hoffnungen Hobbes´ in den Schlussbemerkungen des Leviathan erfüllten sich in der Betrachtung der umfassenden Kontroversen im Zuge der Veröffentlichung seines Hauptwerkes anno 1651 nicht, vielmehr bleibt der Staatstheoretiker sowohl in den Geistes- wie auch Naturwissenschaften und der Theologie bis in das 21. Jahrhundert hinein umstritten; der Name Hobbes scheint allgegenwärtig Diskussionen hervorzurufen. Doch welche Gründe sind hierfür maßgeblich?
Zum einen beeinflusste die Totalität der Hobbesschen Werke seit jeher die Forschungserkenntnisse; zum anderen riefen sowohl die naturalistische Anthropologie als auch Hobbes´ Ansatz der politischen Philosophie ambivalente Ergebnisse in den unterschiedlichsten Wissenschaften hervor.
Die Begrifflichkeiten, die Symbolik und Darstellung des Leviathan und des Behemoth, der im Folgenden ausführlich analysiert werden soll , entspringen dem Alten Testament , in dem diese Wesen als unbesiegbare, Furcht einflößende, aber gleichsam schützende Kreaturen beschrieben werden. Deren Verwendung bei Thomas Hobbes besitzt jedoch weder eine mythologische noch eine theologische Ursache, sondern symbolisiert des Engländers Einstellung als Akteur der „(…) Theorie von der Politik als Politik (…)“ und stellt damit jene neuzeitliche Denkauffassung dar, die von Wilhelm von Ockham (um 1285-1347) eingeleitet und von Niccolò Machiavelli (1469-1527) und schließlich Hobbes bearbeitet wurde.
Inhalt
1. Einleitung – Thomas Hobbes als politischer Philosoph
2. Aspekte der politischen Biographie von Thomas Hobbes
2.1 Der Bildungsweg des baccalaureus artium
2.2 Politische Verhältnisse und gesellschaftlicher Wandel im frühen 17. Jahrhundert
2.3 Vordenker und Leitbilder Hobbes´ der antiken Historiographie
3. Das Wirken von Thomas Hobbes im Englischen Bürgerkrieg
3.1 Ursachen des Konfliktes und die Elements of Law, Natural and Politic
3.2 Das französische Exil und Hobbes´ Intention während des Krieges
3.3 Behemoth – Von der Destruktion eines Staates
4. Zuspruch und Kritik – Die Wirkungen der Denkansätze von Hobbes
5. Schlussteil
6. Biographischer Anhang
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
7.1 Quellenverzeichnis
7.2 Literaturverzeichnis
8. Abbildungen und Verzeichnis
8.1 Abbildungen
8.2 Verzeichnis
1. Einleitung – Thomas Hobbes als politischer Philosoph
„Und somit bin ich am Ende meiner Abhandlung über die bürgerliche und kirchliche Regierung, die von den Wirren der Gegenwart veranlaßt wurde, angelangt, ohne Parteilichkeit, ohne Schmeichelei und ohne eine andere Absicht zu verfolgen als die, den Menschen die gegenseitigen Beziehungen zwischen Schutz und Gehorsam vor Augen zu halten, deren Beachtung die Beschaffenheit der menschlichen Natur und die göttlichen Gesetze, die natürlichen wie die positiven, unabdingbar fordern. Und obwohl in Zeiten von Staatsumwälzungen die Konstellation für die Geburt einer Wahrheit dieser Art nicht sehr gut sein kann (…), so kann ich doch nicht glauben, daß sie in dieser Zeit (…) verurteilt wird.“[1] Die Hoffnungen Hobbes´ in den Schlussbemerkungen des Leviathan[2] erfüllten sich in der Betrachtung der umfassenden Kontroversen im Zuge der Veröffentlichung seines Hauptwerkes anno 1651 nicht, vielmehr bleibt der Staatstheoretiker sowohl in den Geistes- wie auch Naturwissenschaften und der Theologie bis in das 21. Jahrhundert hinein umstritten; der Name Hobbes scheint allgegenwärtig Diskussionen hervorzurufen. Doch welche Gründe sind hierfür maßgeblich?
Zum einen beeinflusste die Totalität[3] der Hobbesschen Werke seit jeher die Forschungserkenntnisse; zum anderen riefen sowohl die naturalistische Anthropologie[4] als auch Hobbes´ Ansatz der politischen Philosophie[5] ambivalente Ergebnisse in den unterschiedlichsten Wissenschaften hervor.
Die Begrifflichkeiten, die Symbolik und Darstellung des Leviathan und des Behemoth, der im Folgenden ausführlich analysiert werden soll[6], entspringen dem Alten Testament[7], in dem diese Wesen als unbesiegbare, Furcht einflößende, aber gleichsam schützende Kreaturen beschrieben werden. Deren Verwendung bei Thomas Hobbes besitzt jedoch weder eine mythologische noch eine theologische Ursache, sondern symbolisiert des Engländers Einstellung als Akteur der „(…) Theorie von der Politik als Politik (…)“[8] und stellt damit jene neuzeitliche Denkauffassung dar, die von Wilhelm von Ockham (um 1285-1347) eingeleitet und von Niccolò Machiavelli (1469-1527) und schließlich Hobbes bearbeitet wurde.[9] Deren Aufrechterhaltung erfolgte endlich über Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) und noch im 20. Jahrhundert durch das Wirken Carl Schmitts (1888-1985). In der politischen Philosophie, die im Speziellen Hobbes als Instrument einer mechanischen Naturphilosophie per se verstand[10], setzten sich die genannten Gelehrten für eine Entfaltung der Politik als eigenständige Wissenschaft mit einer eindeutigen Abgrenzung zur Theologie bzw. der theologisch begründeten moralischen Intention des menschlichen Seins ein. Vor diesem Hintergrund gilt Thomas Hobbes in der Moderne neben Machiavelli als bedeutendster Protagonist des 17. Jahrhunderts.
In diesem Kontext müssen also auch der Leviathan und der Behemoth interpretiert werden. Jener Umstand wird explizit an dem Titelblatt des Hobbesschen Hauptwerkes[11] deutlich und erscheint als Element der politischen Philosophie in der Mitte des 17. Jahrhunderts, da es eine Definition der Realitäten der Welt anstrebt und deren Sinnhaftigkeit in Wort und Bild darzustellen versucht.[12] Gleichwohl stand Hobbes diesbezüglich im unmittelbaren Gegensatz zu Immanuel Kants (1724-1804) Vernunftbegriff.[13] Im Hobbesschen ius naturalis hingegen ist der Mensch im deterministischen Sinne zunächst handlungs- und somit entscheidungsunfähig; das Muss ist hier ein fundamentaler Widerspruch zu Kants vernunftorientiertem Soll.[14] Das Naturgesetz beschreibt Hobbes in seinem Leviathan wie folgt: „Ein Gesetz der Natur, lex naturalis, ist eine von der Vernunft ermittelte Vorschrift oder allgemeine Regel, nach der es einem Menschen verboten ist, das zu tun, was sein Leben vernichten oder ihn der Mittel zu seiner Erhaltung berauben kann, und das zu unterlassen, wodurch es seiner Meinung nach am besten erhalten werden kann.“[15]
Bereits unter Hobbes´ Zeitgenossen[16] herrschte in der Auseinandersetzung mit dessen Werken eine erhebliche Ambivalenz. Dabei standen sich Kritiker aus dem Klerus sowie adligen Kreisen und jener Gruppierung von Anhängern der Theorien des politischen Philosophen gegenüber. Der Erzbischof John Bramhall (1594-1663; A Defence of True Liberty, 1655; Castigations of Mr. Hobbes, 1658; The Catching of the Leviathan, 1658), die Theologen Henry More (1640-1687; Antidote to Atheism, 1653), Alexander Ross (1591-1654; Leviathan drown out with a hook, 1653) und Ralph Cudworth (1617-1680; A Discourse concerning the True Notion of the Lords Supper, 1642) sowie aus dem Bereich der Orientierungs- und Naturwissenschaften Robert Filmer (1588-1653; Observation…on Mr. Hobs´s his Leviathan, 1652), John Wallis (1616-1703; Elenchus geometriae Hobbianae. Sive, Geometricorum, quae in ipsius elementis philosophiae a Thoma Hobbes proferuntur, refutatio, 1655), Seth Ward (1617-1689; In Thomae Hobbii philosophiam exercitatio epistolica, 1656) und John Eachard (um 1636-1697; Mr. Hobb´s State of Nature Considered…, 1672) waren etwa Persönlichkeiten, die gegen Thomas Hobbes argumentierten. Diesen traten Hobbes´ enge Freundschaften zu den Cavendishs[17] und angesehenen Gelehrten gegenüber, unter anderem Petrus Gassendi (1592-1655; De Septo cordis pervio observatio, 1663), Galileo Galilei (1564-1642; Discorsi e Dimostrazioni Matematiche intorno a due nuove scienze, 1635/36), René Descartes (1596-1650; Lettres. Esemplare annotato dell´ Instituto de France, 1666/67), der Pariser Pater Marin Mersenne (1588-1648) sowie Benedict de Spinoza (1631-1677; Tractatus theologico-politicus, 1670).
Die Geradlinigkeit der Kontroversen um Hobbes´ Thesen blieb bis in das 20. Jahrhundert hinein erhalten; so standen die Ideale David Humes (1711-1776; An abstract on a treatise of human nature, 1740) genauso im unmittelbaren Gegensatz zu den Hobbesschen Intentionen wie der Argumentationsgang von Jean-Jacques Rousseau (1712-1778; Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit unter den Menschen, und worauf sie sich gründe, 1756). In der neuzeitlichen Geistesgeschichte verstand sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel (Geschichte der Philosophie [Vgl. Hegel. Werke. Hrsg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel. 1970ff]) als analytischer Widersacher der Schriften des Engländers. Schließlich reichten die Wirkungen des Thomas Hobbes über den von dessen Thesen inspirierten Carl Schmitt (Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, 1938) sowie Ferdinand Tönnies (1855-1936; Thomas Hobbes. Leben und Werk, 1896)[18] bis zu jenen Wissenschaftlern der modernen Hobbes-Forschung.[19]
Die Problematik der erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Objektivität in der Auseinandersetzung mit Hobbes´ Wirken und Werken erweist sich in der Betrachtung des 21. Jahrhunderts zum einen als übergroßer Fundus der Kritik und divergenter Forschungsergebnisse; andererseits liefert die Vielzahl der Publikationen nicht selten Erkenntnisse bzw. Erkenntnisansätze, die von individuellen Motivationen durchdrungen zu sein scheinen und somit ausgeprägte Subjektivität implizieren. Dies könnte jedoch zu einer Verklärung des Thomas Hobbes führen. Vor diesem Hintergrund sind umfangreiche Studien zu Hobbes selbst und bezüglich dessen Position im 17. Jahrhundert ebenso unumgänglich wie der Gewinn fundierter Kenntnisse zu den politischen, gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen[20] und theologischen Gegebenheiten zu Hobbes´ Lebzeiten.[21] In der Zusammenführung dieser Bereiche ergibt sich daher das quellenkritische Moment, das dieser Ausarbeitung zugrunde liegt.[22]
In der kritischen Auseinandersetzung mit den Thesen Thomas Hobbes´, aber auch dessen Kritikern und Anhängern sowie im Rahmen der Betrachtung der allgemeinen Realitäten in England im 17. Jahrhundert und vor dem Hintergrund der Kontroversen um Hobbes bis in das 21. Jahrhundert hinein entstand das zentrale Thema der Arbeit: Der politische Philosoph. Das Wirken Thomas Hobbes´ und zeitgenössische Kritik an seinen Werken vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels unter besonderer Berücksichtigung des Englischen Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert. Mit Hilfe einer Symbiose der Chronologie der Ereignisse, der Methodologie im historischen Sinne sowie unter Berücksichtigung der Wirkungen Hobbes´ auf Zeitgenossen sollen schließlich Antworten auf fundamentale Fragen in der Auseinandersetzung mit dessen Schriften gefunden werden: wie stellen sich die Destruktion und die nachfolgende Neukonstruktion eines Staates bei Hobbes dar? Welche soziologisch-anthropologischen Faktoren durchdringen neben den bereits genannten die Hobbesschen Ideen? Und: verstanden sich Klerus und Adel in England zu Lebzeiten des Philosophen als bloße Kritiker oder seriöse Analysten?
2. Aspekte der politischen Biographie von Thomas Hobbes
2.1 Der Bildungsweg des baccalaureus artium
Thomas Hobbes wurde als Sohn eines Landgeistlichen und einer Bauerntochter – im Allgemeinen eher ungebildete Menschen des niederen Klerus[23] – am 5. April 1588 bei Malmesbury geboren. Der Knabe selbst war hochgradig intelligent. Seine Begabung, erlerntes Wissen unmittelbar anzuwenden, verhalf ihm zu einer klassisch-scholastischen Erziehung durch den Onkel und einer gezielten sprachlichen Förderung durch seine Lehrer. So beherrschte Hobbes alsbald die griechische und lateinische Sprache; darüber hinaus erwarb der Jüngling die fundamentalen schulischen Kenntnisse in rasanter Weise.
Im Alter von 14 Jahren nahm Thomas Hobbes anno 1603 das Studium der Philosophie in Magdalen Hall an der Universität in Oxford auf[24], das durch eine Ambivalenz der Motivation des Jünglings geprägt war. Zum einen fiel Hobbes durch logisch-stringentes Argumentieren und einem außergewöhnlich hohen Grad von sprachlicher Gewandtheit auf, sodass er bereits im Jahre 1607 die akademische Prüfung als baccalaureus artium ablegen konnte, die ihm gleichsam gestattete, selbst als Dozent tätig zu werden; andererseits wirkte Hobbes häufig lustlos und von Unbehagen befallen. Trotz seiner exzellenten Leistungen fühlte sich der klassisch Erzogene mehr zu aktuellen geographisch-astronomischen Kontroversen hingezogen und schien von ungestillter Reiselust durchdrungen.
„My Phancie and my Mind divert I do,
With Maps Celestial and Terrestrial too.
Rejoyce t´accompany Sol, cloath´ d with Rays,
Know by what Art he measures out our Days;
How Drake and Cavendish a Girdle made
Quite round the World, what Climates they survey´ d (…)”[25]
Daher betrachtete er den universitären Betrieb im Allgemeinen und den erheblichen Einfluss der Kirche auf die Gelehrten seiner Zeit im Speziellen äußerst kritisch.
Aufgrund dieser Tatsache wählte Hobbes 1608 nicht den Weg der akademischen Karriere, sondern folgte der Anfrage William Cavendishs (gestorben 1626), dem Baron von Devonshire in Hardwick, und ließ sich als Hauslehrer der Familie anstellen. Schon früh erkannte der junge Gelehrte, welch kluge Entscheidung er getroffen hatte: die ihrerseits ebenfalls hoch gebildeten Cavendishs, gleichsam aufgeschlossen in geistigen wie theologischen Disputationen engagiert und von unstillbaren Erkenntnisinteresse getrieben, ermöglichten Hobbes Einblicke in aristokratische Kreise, die ein von Philosophie und wissenschaftlichem Arbeiten bestimmtes Leben ohne einen übersteigerten Einfluss der Kirche fördern konnten. Die kritischen Auseinandersetzungen mit den Abhängigkeiten der Universitäten von den oftmals dogmatischen Klerikern wirkten sich in Hobbes´ jungen Jahren noch nicht negativ aus; so war es kaum verwunderlich, dass er Zeit seines Lebens – mit Ausnahme der kontinentalen Reisen und dem elfjährigen Exil in Frankreich – im engsten Kreise der Familie verblieb.
Der Philosoph fand jedoch nicht nur einen offenen, unmittelbaren Bezug zu den Diskussionsrunden des mittleren Adels, sondern erhielt im Rahmen der Erziehung des Filius William (1591-1628) Zugang zu allen für wissenschaftliche Tätigkeiten relevanten Aspekte[26]: Bücher und umfangreiche Bibliotheken höchster Aktualität, einen gesicherten Lebensstandard, Umgang mit zeitgenössischen Gelehrten und Denkern – auch abseits adliger Herkunft –, sowie die Möglichkeit des Reisens auf den Kontinent, um in Kontroversen aller Art ständig neue Erkenntnisse gewinnen zu können. Die Disputation mit ausländischen Größen der Wissenschaft galt nicht nur im 17. Jahrhundert als unabdingbare Voraussetzung der Erweiterung des Intellekts.[27] Auf diese Weise lernte Hobbes alsbald die Dramaturgen Ben Jonson (1573-1637), John Dryden (1631-1700) und Sir William Davenant (1606-1668), die Naturwissenschaftler William Oughtred (1575-1660) und John Pell (1611-1685) sowie Pater Marin Marsenne kennen – jeder für sich ein angesehener Zeitgenosse, wobei vor allem Letztgenannter in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Paris als zentrale Persönlichkeit im direkten Austausch der Gelehrten untereinander galt.
Für die ethische, naturalistisch-anthropologische und kirchenkritische Entwicklung Hobbesscher Ideen war dessen Mitgliedschaft in der Gruppierung bedeutender Hochadliger um den Lord Falkland (um 1610-1643) maßgeblich.[28] Im zentralen Interesse jenes Kreises stand die Diskussion um die Dimensionen englischer Politik im Allgemeinen und der Zukunft des Landes und der Gesellschaft im Speziellen. Vor allem in diesem Klientel gewann Thomas Hobbes mehr und mehr Einblicke in aristokratische Denkansätze und politische Entfaltungsmöglichkeiten, die ihm in einer akademischen Laufbahn unter dem Eindruck des klerikalen Einflusses wohl verborgen geblieben wären.[29]
2.2 Politische Verhältnisse und gesellschaftlicher Wandel im frühen 17. Jahrhundert
Die konstitutionelle Monarchie Englands wurde bis zum Jahre 1603 von Elisabeth I. (1533-1603, englische Königin seit 1558) regiert. Jenes politische System zeichnet sich bis in das 21. Jahrhundert hinein durch die unmittelbare Kontrolle der Herrschergewalt über das Parlament aus; dabei wird diese Überwachungsinstanz von zwei Kammern – dem House of Lords und dem House of Commons – abgebildet. Während der Regentschaft der charismatischen wie außenpolitisch äußerst erfolgreich agierenden Elisabeth I. – unter ihr kam etwa die englisch-französische Allianz als Präventivmaßnahme gegen einen Angriff der Spanier anno 1572 zustande, gleichfalls konnte bis zum August des Jahres 1588 der Kampf gegen die spanische Armada als unabdingbare Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der englischen Seehoheit erfolgreich geführt werden – war es der Königin mittels geschickter Propaganda gelungen, die Entscheidungsfähigkeit und den direkten Einfluss der Kammern auf das Königshaus einzudämmen; die Herrscherin konnte quasi-absolutistisch regieren.
Diese de jure illegitime Ausschaltung des Parlamentes fand mit dem Tode Elisabeths I. anno 1603 und dem Beginn der Regentschaft der Stuarts – zunächst Jakobs I. (1566-1625, englischer König seit 1603) und vor allem seit Karl I. (1600-1649, englischer König seit 1625) ihr Ende. Die Schwäche des royalen Geschlechtes und das Nachlassen außenpolitischer Erfolge, die seit mehr als einem Jahrhundert – seit der Herrschaft Heinrichs VIII. (1491-1547, englischer König seit 1509) – innerstaatliche Konflikte verdeckt hatten, bedingten einen Machtgewinn der Kammern, die alsbald verstärkten Einfluss auf die königliche Politik nahmen. Vor dem Hintergrund dieser Kräfteverschiebung entbrannte eine gesellschaftliche Kontroverse um die Legitimität der herrschaftlichen Verhältnisse in England.[30] Dabei vertraten die Stuarts das traditionelle Ideal des Gottgnadentums, obgleich jener Ansatz im frühen 17. Jahrhundert in erheblichem Widerspruch zwischen politischer Theorie und theologischem Anspruch stand und daher innerhalb des Parlamentes als autoritärer Pragmatismus aufgefasst wurde. Die Ereignisse auf dem Kontinent – der Kampf der Konfessionen im Dreißigjährigen Krieg, der immer mehr zum Konflikt um Land, Reichtum und bloßem Überleben wurde – bezeugten dies in besonders dramatischer Weise.[31] Folglich scheiterte die fehlgeleitete Überzeugungsarbeit der Stuarts am Widerstand der Kammern.
Neben diesem institutionellen Konflikt beeinflussten jedoch weitere Faktoren die Metamorphose der englischen Gesellschaft und wirkten sich mittelfristig auch auf die Denkansätze und theoretischen Grundzüge Hobbes´ aus.
a) Die notorische Geldnot des englischen Königs ließ dessen Bereitschaft zur Käuflichkeit, d.h. der Entfaltung von Korruption oder des Erwerbes von Adelstiteln vor dem Hintergrund des individuellen Aufstieges innerhalb des feudalen Systems in England, anwachsen.[32] Auf diese Weise entwickelte sich insbesondere der Hochadel de facto zu peers der Stuarts; eine Entwicklung, die gleichsam das Königsgeschlecht zu pare inter pares degradierte und im Weiteren in einem erheblichen Bedeutungsverlust münden sollte. Die nobility, der hohe Adel, hingegen spaltete sich nun in den Teil des alten Blutadels und eben jener Gruppe, die aufgrund von Reichtum und Landbesitz in diese Schicht eindringen konnte. Somit war innerhalb einer vormals homogenen Schicht eine unmittelbare Konkurrenz entstanden, die sich darüber hinaus auf die Nutzung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes als gewinnträchtigste Einnahmequelle im frühen 17. Jahrhundert auswirkte.
b) Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse musste unausweichlich auch zu einer Abwandlung der ökonomischen Rahmenbedingungen führen: während der alte Blutadel an der traditionellen Landwirtschaft festhielt[33], war es im Besonderen die Gruppe der new nobility, die sich als erste Schicht den sich ändernden wirtschaftlichen Faktoren in England anpassen konnten. Das Aufstreben der markttypischen Aspekte, wie Umsatzsteigerung, Gewinnmaximierung oder optimierte Arbeitsteilung[34], waren genauso wie die sich langsam entfaltende, aber stetig voranschreitende Urbanisierung maßgebliche Säulen des strukturellen Wandels. Die Verstädterung wiederum begünstigte die ökonomische Entfaltung von Handelsgesellschaften, deren Expansion und Wirtschaftskraft die new nobility erkannte. Aufgrund dieser Tatsache begann der neue Hochadel, seine traditionelle Verantwortung gegenüber den Bauern und sozial Schwachen im eigenen Herrschaftsbereich zugunsten der Neuorientierung am Markt im Sinne des Strebens nach Gewinn zu vernachlässigen.[35] Dies enthob den Bauern – freilich noch in geringem, aber keineswegs zu vernachlässigendem Maße – der vormaligen Existenzgrundlage und resultierte schließlich in einer neuen Form der Sozialstruktur Englands: unverschuldete Armut, Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven, deren Anwesenheit in einem exponentiellen Anstieg von Landstreicherei und Gewalttaten mündete.[36] Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung stellte Thomas Hobbes in seinem Leviathan fest: Homo homini lupus est.[37]
[...]
[1] Zit. nach Willms, B.: Thomas Hobbes. Das Reich des Leviathan. München 1987, S. 45.
[2] Vgl. Hobbes, T.: Leviathan. Oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hrsg. von I. Fetscher. Übersetzt von W. Euchner. Frankfurt/Main 1989.
[3] Vgl. Schelsky, H.: Die Totalität des Staates bei Hobbes. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 31(1938), S. 176-193.
[4] S. Heger, R.: Die Politik des Thomas Hobbes. Frankfurt/New York 1981, S. 15.
[5] S. Bohlender, M.: Die Rhetorik des Politischen. Zur Kritik der politischen Theorie. Berlin 1995, S. 212f.
[6] Vgl. Hobbes, T.: Behemoth. The History of the causes of the Civil Wars of England. In: The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury. Vol. VI. Hrsg. von W. Molesworth. Aalen 1966 (Zweiter Repr. London 1840), S. 161-418. Zur Analyse des Behemoth in der vorliegenden Ausarbeitung s. insb. Kap. 3.3: „ Behemoth – Von der Destruktion eines Staates“.
[7] S. Buch Hiob Kap. 40/15-32 und Kap. 41/1-16. In: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984 (Hrsg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland). Stuttgart 1999, S. 535f.
[8] Zit. Willms 1987, S. 18.
[9] S. ebd., S. 18.
[10] S. Dießelhorst, M.: Ursprünge des modernen Systemdenkens bei Hobbes. Stuttgart 1968, S. 11.
[11] S. Abb. 1: „Titelblatt des Leviathan “. Am fernen Horizont erstreckt sich der Leviathan, in der Rechten das Schwert als Symbol weltlicher Macht; in der Linken trägt er den Bischofsstab als Zeichen klerikaler Gewalt. Die Vereinigung beider lässt den Leviathan zur allmächtigen Symbiose von Weltlichkeit und Geistlichkeit werden. Der Corpus desselben setzt sich aus einer Vielzahl von Menschen zusammen, die ihre Antlitze der scheinbar übermächtigen Gestalt zuwenden. Vor dem Leviathan erstreckt sich eine offenbar friedliche Landschaft. Die jeweils fünf Felder an den Seiten des Titels symbolisieren den Charakter und verschiedene Faktoren weltlicher und geistlicher Macht – eine Festung, die Krone als Zeichen der Herrschaft, als Stellvertreterin des Militaristischen eine Kanone, mehrere Gewehre und Flaggen sowie das Schlachtfeld als Realität weltlicher Konfliktpotentiale einerseits; andererseits die Kirche als Zeichen des klerikalen Symbolismus, die Mitra als Pendant zur Krone der Weltlichkeit sowie Bannstrahlen der römischen Kurie, die bildhafte Darstellung der Rhetorik des Klerus mit waffenähnlichen Objekten und die scheinbar dunkle Zusammenkunft der Bischöfe auf Konzilien. Als erste Definition der Macht und Unbezwingbarkeit des Leviathan dient der aus dem Buch Hiob entnommene Spruch non est potestas super terram quae comparetur ei.
[12] S. Willms 1987, S. 22.
[13] S. Wergen, R.: Naturzustand und Staat bei Thomas Hobbes. Univ. Diss. Bonn 1984, S. 70f.
[14] S. Dießelhorst, S. 13.
[15] Zit. Hobbes, T.: Leviathan, S. 99.
[16] Im Folgenden soll lediglich ein kurzer Überblick über einige der Zeitgenossen gegeben werden, die Hobbes entweder kritisch oder aber in relativer Weise positiv gegenüberstanden. Für nähere Analysen bezüglich der Wirkungen Hobbes´ auf seine Zeit s. insb. Kap. 4.: „Zuspruch und Kritik – Die Wirkungen der Denkansätze von Hobbes“.
[17] Bezüglich der tatsächlichen Dimension der Beziehung des Thomas Hobbes zur Familie Cavendish s. insb. Kap. 2.1: „Der Bildungsweg des baccalaureus artium “ sowie Kap. 2.2: „Politische Verhältnisse und gesellschaftlicher Wandel im frühen 17. Jahrhundert“.
[18] Ferdinand Tönnies interpretierte Thomas Hobbes an der Schwelle zum 20. Jahrhundert erstmals als tragenden Denker, Theoretiker und Analysten der frühen Neuzeit.
[19] Vgl. Bermbach, U.; Kodalle, K.-M. (Hrsg.): Furcht und Freiheit. Leviathan-Diskussion 300 Jahre nach Thomas Hobbes. Opladen 1982. Vgl. Euchner, W.: Hobbes und kein Ende? Probleme der neueren Hobbes-Forschung. In: Archives européenes de sociologie, 12(1971), S. 89-110. Vgl. Willms, B.: Systemüberwindung und Bürgerkrieg. Zur politischen Bedeutung von Hobbes´ <Behemoth>. In: Baier, H. (Hrsg.): Freiheit und Suchzwang. Opladen 1977, S. 277-293. Vgl. Ders.: Der Weg des Leviathan. Die Hobbes-Forschung von 1968-1978. Berlin 1979.
[20] Vgl. Smith, A.: Eine Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstandes. Unter Zugrundelegung der Übersetzung M. Stirners, aus dem englischen Original nach der Ausgabe letzter Hand (4. Auflage 1786) ins Deutsche übertragen von E. Grünfeld und eingeleitet von H. Waentig. Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister (hier Bd. 1 und 2), Jena 1923.
[21] In der vorliegenden Ausarbeitung werden die genannten Aspekte, die in der modernen Hobbes-Forschung als essentiell beschrieben werden, aufgrund der Art und des begrenzten Umfanges jeweils in knapper Form bearbeitet und bezüglich des zentralen Themas bewertet.
[22] Vgl. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Vgl. Euclides: Die Elemente. Nach Heibergs Text aus dem Griechischen übersetzt und hrsg. von C. Thaer. Leipzig 1984 (Repr. nach der 1. Auflage, Leipzig 1933-1937). Vgl. Hobbes, T.: Philosophical Rudiments concerning Government and Society. The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury. Vol. II. Hrsg. von W. Molesworth. Aalen 1966 (Zweiter Repr. London 1840). Vgl. Ders.: Behemoth. Vgl. Ders.: Leviathan.
[23] S. Fetscher, I.: Einleitung. Leviathan, Teil 1: Vom Menschen. In: Hobbes, T.: Leviathan, Einleitung XI.
[24] S. Willms, B.: Die Antwort des Leviathan. Thomas Hobbes´ politische Theorie. Berlin/Neuwied 1970, S. 51.
[25] Zit nach Fetscher, I.: Einleitung. Leviathan, Teil 1: Vom Menschen. In: Hobbes, T.: Leviathan, Einleitung XI.
[26] S. Willms 1987, S. 30.
[27] S. Fetscher, I.: Einleitung. Leviathan, Teil 1: Vom Menschen. In: Hobbes, T.: Leviathan, Einleitung XIIf.
[28] S. Willms 1977, S. 31.
[29] S. Willms 1970, S. 51.
[30] S. Metzger, H.-D.: Thomas Hobbes und die Englische Revolution 1640-1660. Stuttgart/Bad Cannstadt 1991.
[31] Vgl. Oredsson, S.: Geschichtsschreibung und Kult. Gustav Adolf, Schweden und der Dreißigjährige Krieg. In Übersetzung von Klaus R. Böhme (Historische Forschungen 52). Berlin 1994. Vgl. auch Schormann, G.: Der Dreißigjährige Krieg. Göttingen 2004.
[32] S. Willms 1970, S. 51.
[33] S. Willms 1970, S. 52f.
[34] S. Smith, S. 5ff.
[35] Die soziale Tendenz des Lehnswesens war eine Praxis der Unterstützung der niederen Schichten des Feudalsystems, die über Jahrhunderte anerkannter Usus im Zusammenwirken der unterschiedlichen Herrschaftsinstanzen in England, aber auch auf dem Kontinent, darstellte. Der alte Blutadel, dessen ethische Grundsätze mit dieser Auffassung tief verbunden waren, lehnte sich gegen das neue Prinzip des Marktes auf. Aufgrund dieser Tatsache konnte die new nobility die ökonomischen Vorteile des einsetzenden Frühkapitalismus zugunsten der Anhäufung von Reichtum und Landbesitz per se beanspruchen.
[36] S. Willms 1970, S. 57.
[37] S. Fetscher, I.: Einleitung. Leviathan, Teil 1: Vom Menschen. In: Hobbes, T.: Leviathan, Einleitung XXII.
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- Holger Skorupa (Autor), 2008, Der politische Philosoph, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112127
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