Die Bezeichnung Kamikaze ist mittlerweile in der westliche Welt zu einem geflügelten Wort geworden. Die Konnotationen die wir heute mit Kamikaze verbinden sind vor allem von der amerikanisch-alliierten Erinnerung an den Pazifikkrieg geprägt. Das Wort wurde in der Nachkriegszeit zum Synonym, für die mörderischen Selbstmordangriffe junger japanischer Piloten auf die US-Kriegsflotte im letzten Jahr des Pazifikkriegs. Darüber hinaus wird der Begriff mittlerweile jenseits des historischen Kontextes, für rücksichtsloses, sich Selbst und Andere gefährdendes Verhalten benutzt. Im englischsprachigen Raum ist in der Presse öfters von „kamikaze taxi driver“ die Rede (vgl. Bill Gordon1 2005). Dies spiegelt den negativen Stereotyp wieder, welcher den Kamikazepiloten, die von der amerikanischen Seite als fanatisiert und Lebens verachtend wahrgenommen wurden, bis heute anhaftet und die westlichen Erinnerungskulturen2 prägt. Ein Japaner konfrontiert mit dem Begriff Kamikaze, wird jedoch keineswegs sofort die Selbstmordangriffe japanischer Piloten vor Augen haben und auch werden wahrscheinlich bei ihm nicht die gleichen negativen Konnotationen hervorgerufen. Innerhalb der kulturellen Erinnerung Japans, hat Kamikaze einen besonderen Stellenwert. Es handelt sich dabei um die Konstruktion eines nationalen Mythos, der Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses3 wurde. Mit der Etablierung eines einheitlichen nationalen Schulsystems in der Meiji-Zeit(1868-1912) fanden die beiden japanischen Gründungsmythologien aus dem 8. Jahrhundert Kojiki und Nihon shoki Eingang in den Geschichts- und Moralunterricht(vgl. Shimada 1998). Damit konnte der im Nihon shoki enthaltende Kamikazemythos Eingang in das Gedächtnis einer breiten japanischen Masse finden.
1 Bill Gordon hat als Masterprojektarbeit an der Wesleyan Universität die umfassende dokumentarische Internetseite Kamikaze Images aufgebaut.
2 Zum Begriff Erinnerungskulturen, der die Pluralität der kulturellen Erinnerung betont vgl. Erll 2005
3 Zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses, vgl. A. Assmann 2006 u. J. Assmann 1988, Aleida Assmann(2006:40-42) betont die identitätsstiftende Bedeutung mythischer Erzählungen, als Medien des nationalen Gedächtnisses und Jan Assmann(1992: 76) zufolge ist Mythos eine Geschichte die man sich erzählt, um sich über sich selbst und die Welt zu orientieren, eine Wahrheit höherer Ordnung, die nicht einfach nur stimmt, sondern darüber hinaus auch normative Ansprüche stellt und formative Kraft besitzt.
Inhalt
Einführung
1. Was kreierte die Opferbereitschaft der Kamikazepiloten?
1.1. Erziehung und Propaganda
1.2. Profil der Kamikazepiloten
1.3. Das militärische Zwangssystem
2. Der schöne Tod des Kriegers – Religion, Mythen und Tradition als kultureller Hintergrund der Kamikazeoperation
2.1. Religiöse Heilversprechen – Der Yasukunismus
2.2. Tragische Opferhelden als Vorbilder
2.3. Ästhetisierungsstrategien – bushidō und Kirschblüten
Schluss: Kriegshelden oder Kriegsopfer?
Literaturverzeichnis
Manche Blumen frohlocken noch im Tode – wie die japanischen Kirschblüten,
wenn sie sich frei den Winden hingeben. [...] Einen Augenblick lang schweben sie wie edelsteingeschmückte Wölkchen und tanzen über der kristallklaren Flut; und dann, wenn sie auf den lachenden Wassern dahinsegeln, scheinen sie zu jauchzen:
"Lebe wohl, o Frühling! Wir fahren in die Ewigkeit!" (Okakura Kakuzō 1906: 35)
Einführung:
Die Bezeichnung Kamikaze ist mittlerweile in der westliche Welt zu einem geflügelten Wort geworden. Die Konnotationen die wir heute mit Kamikaze verbinden sind vor allem von der amerikanisch-alliierten Erinnerung an den Pazifikkrieg geprägt. Das Wort wurde in der Nachkriegszeit zum Synonym, für die mörderischen Selbstmordangriffe junger japanischer Piloten auf die US-Kriegsflotte im letzten Jahr des Pazifikkriegs. Darüber hinaus wird der Begriff mittlerweile jenseits des historischen Kontextes, für rücksichtsloses, sich Selbst und Andere gefährdendes Verhalten benutzt. Im englischsprachigen Raum ist in der Presse öfters von „kamikaze taxi driver“ die Rede (vgl. Bill Gordon1 2005). Dies spiegelt den negativen Stereotyp wieder, welcher den Kamikazepiloten, die von der amerikanischen Seite als fanatisiert und Lebens verachtend wahrgenommen wurden, bis heute anhaftet und die westlichen Erinnerungskulturen2 prägt. Ein Japaner konfrontiert mit dem Begriff Kamikaze, wird jedoch keineswegs sofort die Selbstmordangriffe japanischer Piloten vor Augen haben und auch werden wahrscheinlich bei ihm nicht die gleichen negativen Konnotationen hervorgerufen. Innerhalb der kulturellen Erinnerung Japans, hat Kamikaze einen besonderen Stellenwert. Es handelt sich dabei um die Konstruktion eines nationalen Mythos, der Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses3 wurde. Man kann den Ausdruck sinngemäß mit „Göttlicher Wind“ übersetzen und nach alter Überlieferung steht er für mystische Taifune die Japans Küsten vor feindlicher Invasion schützen.4 Der Überlieferung zu Folge haben Taifune 1274 und 1281 vor der Küste Japans der mächtigen mongolischen Invasionsflotte Kublai Khans, solch einen verheerenden Schaden beigebracht, dass ihr Angriff abgewehrt werden konnte(vgl. Morris 1999). So blieb das Japanische Inselreich bis zur Niederlage im Pazifikkrieg gegen die USA, von fremden Invasoren verschont. Mit der Etablierung eines einheitlichen nationalen Schulsystems in der Meiji-Zeit(1868-1912) fanden die beiden japanischen Gründungsmythologien aus dem 8. Jahrhundert Kojiki und Nihon shoki Eingang in den Geschichts- und Moralunterricht(vgl. Shimada 1998). Damit konnte der im Nihon shoki enthaltende Kamikazemythos Eingang in das Gedächtnis einer breiten japanischen Masse finden. Auch in das Gedächtnis des geistigen Vaters der Kamikazeattacken, Vizeadmiral der Marine Takijirō Ōnishi. So erklärt sich auch die Verbindung des Wortes Kamikaze mit den Selbstmordattacken japanischer Piloten im Pazifikkrieg. Die militärisch Verantwortlichen, besonders Ōnishi haben in bewusster Anlehnung an den Kamikazemythos den Namen Shimpū Tokkubetsu Kōgekitai („Spezialangriffsgruppe Göttlicher Wind“) für das 201. Luftgeschwader, das am 25. Oktober 1944 seine erste Selbstmordattacke flog, ausgewählt(vgl. Inoguchi/ Nakajima 1972). Shimpū hat identische Schriftzeichen und bedeutet auch dasselbe wie Kamikaze, nur das es sich um die sino-japanische5 Lesung handelt. Wie das Wort schließlich Eingang in den westlichen Sprachgebrauch fand, ist nicht völlig geklärt.6 Der ersten und auch erfolgreichsten Attacke7, folgten bis zum Kriegsende viele weitere Selbstmordattacken und die Praxis ging von den Marine- auch auf die Heeresflieger über(vgl. Ohnuki 2002). Eine weitere berühmt gewordene, aber erfolglose Kamikazegeheimwaffe war die Ōka8-Bombe, eine bemannte unter einem Trägerflugzeug montierte Rakete. Außerdem wurden unter anderem, mit Sprengstoff beladenen Motorbooten und später mit bemannten Torpedos(kaiten9) Selbstmordattacken ausgeführt. Innerhalb des Militärs wurden alle Angriffsgruppen dieser Art „Spezialangriffsgruppen“ (t okkubetsu kōgekitai, abgekürzt t okkōtai) genannt. Der Einfachheit halber werde ich in dieser Arbeit aber nicht den im Japanischen üblichen Begriff tokkōtai, sondern Kamikaze verwenden. In vorliegender Arbeit werden zunächst die soziokulturellen Hintergründe des Kamikazephänomens untersucht. Der Einfluss von Erziehung und Propaganda auf die jugendlichen Piloten wird im ersten Kapitel thematisiert. Danach soll geklärt werden wer die Piloten denn eigentlich waren und welche Umstände in ihrem militärischen Alltag dazu führten, dass sie ihre Todesmission freiwillig ausführten. Im zweiten Kapitel soll aufgezeigt werden, wie religiöse Heilsversprechen, der Kamikazemythos und die Kirschblütensymbolik, dazu dienten der Selbstmordtaktik Legitimation zu verschaffen, indem der Opfertod als schöner und Heil bringender Tod vermittelt wurde. Weiterhin soll kritisch hinterfragt werden, welche Rolle der wiederbelebte japanische Kriegerkodex (bushidō), als japanisches Männlichkeitsideal spielte. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Kamikazepiloten in einer Tradition „tragischer Opferhelden“(vgl. Morris 1999) stehen. Und ob diese Tradition nicht wie der bushidō auch, eine neu erfundene Tradition10 dieser Zeit darstellt. Eine erfundene Tradition die Bestandteil der nationalistischen Propaganda war. Im Schlusskapitel wird zusammenfassend reflektiert, warum die jugendlichen Piloten quasi freiwillig in den sicheren Tod flogen. Und schließlich soll auf Basis der vorangegangenen Analyse, versucht werden eine Antwort auf die Frage zu geben: „Waren die Kamikazepiloten Kriegshelden oder Kriegsopfer?“ Diese Arbeit stützt sich auf in englischer und deutscher Sprache erschienene Literatur, daher standen nur begrenzte Erkenntnismittel zur Verfügung. Allgemein kann festgestellt werden, dass in westlichen Sprachen bis heute sehr wenig akademische Literatur zu den Kamikazepiloten erschienen ist. Pionierarbeit hat hier die amerikanische Ethnologin Emiko Ohnuki-Thierney geleistet. Sie behandelt die Kamikazepiloten im Rahmen einer breitangelegten Studie, über die Militarisierung von Ästhezismen, wie der Kirschblüte, und über die Funktionalisierung solcher Ästhezismen innerhalb des japanischen Nationalismus. Schließlich zeigt sie die Rückwirkung dieser Ästhezismen auf die Kamikazepiloten. Sie beschreibt die Kamikazepiloten in ihrem soziokulturellen Hintergrund und entkräftet das Vorurteil, die Piloten seien militante Fanatiker gewesen, indem sie hinterlassene Dokumente und Briefe von fünf studentischen Piloten analysisiert (vgl. Ohnuki 2002). Einen detaillierten Einblick in Planung und Durchführung der Kamikazeoperation gibt das Werk von Inoguchi Rikihei und Nakajima Tadashi, „The Divine Wind“. Es war das erste englischsprachige Werk zu Kamikaze, 1953 wurde es vom US Naval Institut Annapolis publiziert. Die beiden Autoren zählten zu den wenigen Offizieren die als rechte Hand Vizeadmiral Ōnishis dienten und somit direkt in die Operationen involviert waren(vgl. Ohnuki 2002). Ivan Morris, der in seinem erstmals 1977 erschienenen Werk „The nobility of failure “, den Versuch unternimmt die Kamikaze-Piloten in die japanische Tradition tragischer Opferhelden, wie etwa Saigo Takamori 11 , einzuordnen, stützt sich ganz wesentlich auf Inoguchi und Nakajimas Werk. Außerdem fällt auf, dass sich Morris Darstellung der Kamikazemission hauptsächlich auf in englischer Sprache erschienene Sekundärliteratur stützt. Im Jahr 2001 veröffentlichte der ARD-Fernostkorrespondent Klaus Scherer das Buch „Kamikaze. Todesbefehl für Japans Jugend. Überlebende berichten.“, nachdem er vorher für gleichnamige Fernsehdokumentation ausgezeichnet worden war. Das Werk basiert auf Zeitzeugeninterviews mit überlebenden Kamikazepiloten, Ausbildern, Angehörigen von Kamikazepiloten und sonstigen Beteiligten. Außerdem wurden auch Überlebende der amerikanischen Seite interviewt. Die Zeitzeugen gewähren tiefe Einblicke in den Alltag der Kamikazepiloten und in ihre Psyche. Die von Klaus Scherer interviewten Piloten waren Flugrekruten an den Akademien des Heeres oder der Marine. Emiko Ohnuki-Tierney befasst sich dagegen mit den schriftlichen Hinterlassenschaften, wie Briefen und Tagebücher von fünf studentischen Piloten. Sowohl Scherer als auch Ohnuki entlarven die Freiwilligkeit des Einsatzes als verkapptes Zwangssystem und zeichnen ein differenziertes Bild der Piloten, als von Zweifeln und widersprüchlichen Gefühlen geplagte Jugendliche in einer auswegslosen Lage. Dagegen beschreiben Inoguchi und Nakajima die Piloten mit eindeutig heroisierendem Unterton, ohne aber kritische Töne ganz auszublenden. Als Ausbilder konnten sie nur erahnen was wirklich in den Piloten vorging und sie beschränken sich vornehmlich darauf Anekdoten zu erzählen in denen die Piloten sich als wahre Patrioten ausgewiesen haben. Während sie in ihrem Werk versuchen ein heldenhaftes Andenken an die Piloten zu waren, sind Ohnuki und Scherer vielmehr um Aufklärung bemüht.
1. Was kreierte die Opferbereitschaft der Kamikazepiloten?
Was jedem der sich mit dem Thema Kamikazepiloten befasst zunächst am erstaunlichsten vorkommen muss, ist wohl die Freiwilligkeit mit der so viele junge Männer sich auf ihre Todesmissionen begaben. Alle die das Thema Kamikaze später literarisch, biografisch oder wissenschaftlich verarbeitet haben, sind sich einig darin, dass man die Piloten nicht durch direkte körperliche Gewalt oder Drohungen gezwungen hat zu fliegen, oder ihre Kapseln von außen zugeschraubt hat. Offiziell haben sich alle Piloten freiwillig für den Einsatz gemeldet. Es erscheint auch sehr logisch, dass eine erzwungene Kamikazeattacke wenig Erfolg versprechend gewesen wäre. Und doch ist bei genauerer Betrachtung diese Freiwilligkeit äußerst fragwürdig. Verschiedene soziale und kulturelle Faktoren haben bewirkt, dass es den Piloten unmöglich erschien sich nicht freiwillig zu melden. Überlebende Piloten sagen sogar in aller Deutlichkeit, dass es ein verkappter Befehl war sich zum Kamikazeeinsatz zu melden (vgl. Scherer: 2001). Betrachten wir nun die bestimmenden Faktoren für die Opferbereitschaft der Kamikazepiloten.
1.1. Erziehung und Propaganda
In Japan setzte sich seit den 1930’er Jahren immer stärker ein kultureller Chauvinismus durch, der zum großen Teil als Gegenreaktion auf die Modernisierung seit der Meiji-Zeit verstanden werden kann. Die Schulerziehung vermischte sich immer mehr mit der Militärerziehung und das Militär gewann immer größeren Einfluss auf die zivile Politik. Die Mandschurei-Affäre12 1931 in deren Verlauf die Mandschurei annektiert und zum japanischen Marionettenstaat wurde, zeigt deutlich wie wenig Kontrolle die zivile Regierung noch über das Militär hatte(vgl. Zöllner 2006). Die späteren Kamikazepiloten erhielten in dieser Zeit der Entstehung des so genannten japanischen Faschismus ihre grundlegende Erziehung. Grundlage der Erziehung bildete bis 1945 das „Kaiserliche Erziehungsedikt“ (kyō iku chokugo) von 1890. Dieses Edikt war der ultimative Ausdruck des konfuzianisch geprägten Patriotismus, der bereits in den 1880’er Jahren als Gegenbewegung zu den liberalen westlichen Ideen aufkam (vgl. John Benson und Takao Matsumura 2001). Es wurden darin harmonische Beziehungen zu Familie und Staat, moralische und intellektuelle Perfektion, sowie Aufopferung für das Vaterland und den göttlichen Kaiser als höchste Werte manifestiert. Das Edikt hing zunächst in allen staatlichen Schulen neben den Portraits von Kaiser und Kaiserin. Später wurde es in feuerfesten Schreinen verwahrt und jeden Morgen vor dem Unterricht zeremoniell rezitiert. Toshio Iritani und Benson/Matsumura beschreiben ausführlich den Kult der um das Edikt betrieben wurde, beispielsweise hatte man sich zu verbeugen jedes Mal wenn man am Schrein der das Edikt enthielt vorbeiging(1991: 163,64,65/ 2001: 134). In den 30’er Jahren begannen die Grundschulen die Kinder gleich welcher Herkunft im Geschichts- und Moralunterricht mit nationalistischem Gedankengut zu indoktrinieren und sie auf den nationalen Vater, den Kaiser, einzuschwören. Iritani spricht von der Gleichschaltung der Erziehung und nennt folgende 4 Prinzipien:
1. Verehrung des Kaisers und seiner 3000 jährigen Erblinie, sowie Dankbarkeit für die Zugehörigkeit zum japanischen Volk.
2. Verehrung der Kriegstoten die im Verlauf der Japanischen Geschichte für Kaiser und Vaterland gefallen sind.
3. Streben nach Selbstlosigkeit, spiritueller Schönheit und Moral im Einklang mit dem kaiserlichen Weg, Abkehr vom Materialismus.
4. Fanatischer Patriotismus und der absolute Wille die japanischen
Kriegsziele zu verwirklichen, Verherrlichung der vergangenen Kriege. (1991: 160)
In dieser Zeit waren die Textbücher voll von glorreichen Kriegserzählungen und erklärtes Ziel war es eine wehrfähige Nation zu schaffen, die es mit jeder anderen Nation aufnehmen konnte. Beispielhafte Textbuchphrasen sind „Advance Soldiers, Advance!“ und „Our Good Country, our strong Country, Japan!“(Iritani 1991:163). Die nationalistische Gleichschaltung wurde manifestiert, durch staatliche Pamphlete und Gesetzesnovellen. Kurz vor Ausbruch des Chinesisch-Japanischen Krieges(1937-1945) veröffentlichte das japanische Erziehungsministerium die „Fundamentalen Prinzipien der nationalen Politik.“(kokutai no hongi). Darin wurde dem kaiserzentrierten Nationalismus wie folgt Ausdruck verliehen:
„Der Geist der hundert Millionen Untertanen soll eins werden im Dienst für den Kaiser.“(Iritani 1991:163).
Außerdem wurde durch das „Nationale Schulgesetz“ (April 1941) eine Verringerung der Fächer auf Sozialkunde, Wissenschaft und Mathematik, Leibesertüchtigung und Kunst durchgesetzt und zum Ziel erklärt den Nationalen Geist zu stärken, die wissenschaftliche Intelligenz zu fördern, den Körper zu härten und die Moral zu verfeinern(vgl. Iritani 1991). Benson/Matsumura sowie Iritani beschreiben eingehend, wie militärische Ausbildung ab den 1930’er Jahren einen immer größer werdenden Anteil an der Schulerziehung einnahm. Acht bis zehn Prozent des Lesematerials für die unteren Grade und für die oberen Grade ungefähr die Hälfte, waren militaristisch. Die Lehrbücher enthielten keinerlei Informationen über andere Länder, was den Horizont der Schüler auf Japan beschränkte (vgl. Iritani 1991). Besonders in Kyushu wurde die Militärerziehung in den Schulen auf die Spitze getrieben. Als besonderes Beispiel nennen Benson/Matsumura die „cold water rubbing exercise“, bei der die Schüler sich jeden Morgen bis auf die Unterhose auszogen und sich mit in kaltem Wasser getränkten Handtüchern abrieben(2001: 136). Der absolute Gehorsam und die Opferbereitschaft wurden durch körperliche Züchtungen und allerlei Härten, die das Lehrpersonal den Schüler abverlangte, indoktriniert. Iritani zitiert den Schulrektor einer Modellschule für öffentliche Erziehung mit den bezeichnenden Worten:
„[ ... ] The nobility of the spirit of the soldier is to lead a life in which he may have to throw away his life as the hands and feet of the Emperor. [ ... ]
Entering this school is the same as joning the Army.[ ... ]“(1991: 178).
Bereits 1917 hatte das Masaki Terauchi Kabinett proklamiert, dass militärisches Training sehr effektiv sei um Schülern gute Manieren und Gehorsam zu lehren. Ab 1925 wurden dann auf betreiben des Armeeministers Kazushige Ugaki und des Erziehungsministers Ryohei Okada immer mehr Armee Offiziere zur Ausbildung in Mittel- und Oberschulen eingesetzt. Damit nicht genug, 1931 machte der Minister der Armee Sadao Araki es verpflichtend für Studenten, militärische Vorlesungen an Universitäten zu besuchen. Ab 1939 wurden studentische Reservecorps an Gewehren trainiert und im August 1941 veröffentlichte das Erziehungsministerium eine Liste der essentiellen Punkte um patriotische Korps an allen Oberschulen zu bilden. Die Schuldirektoren waren angewiesen, die Schüler bei militärischen Operationen helfen zu lassen und sie in den Sommerferien als Gehilfen in die Munitionsfabriken zu schicke. Schließlich kam im Juni 1943 das Mobilisierungsgesetz für männliche Studenten. Durch dieses Gesetz wurde das reguläre Universitätsstudium auf ein Jahr gekürzt, das heißt ab dem 20. Lebensjahr wurden nun auch die Universitätsstudenten zum Militärdienst eingezogen, während ihnen vorher einen Aufschub bis zum 27. Lebensjahr zustand (vgl. Iritani 1991). Das war für die Durchführung der Kamikazeoperation von enormer Bedeutung, da in der Endphase des Krieges sehr viele studentische Soldaten mit fliegerischer Kurzausbildung für Kamikazeattacken eingesetzt wurden. Insgesamt waren rund ein Drittel der gefallenen Piloten, Studenten(vgl. Onuki 2002). Aber nicht nur die Schulerziehung wurde nationalistisch und militaristisch geprägt, auch die Alltagskultur wurde seit Ende der 1930’er immer stärker propagandistisch durchdrungen. Der Musik kam dabei besondere Bedeutung zu, Iritani und auch Ohnuki gehen speziell darauf ein. Die Militärführer ordneten an, populäre Kriegslieder, Märsche und die Nationalhymne täglich über Rundfunk auszustrahlen. Indem man die Menschen singen ließ, stärkte man ihr Zusammengehörigkeitsgefühl und stärkte ihre Kampfmoral(vgl. Iritani 1991). Die Inhalte der Lieder, die japanischen und europäischen Kompositionsstil vermischten, verklärten den Tod für Kaiser und Vaterland und das Kriegsheldentum. Da man diese Lieder stets bei Gruppenzeremonien sang, lösten sie eine hohe emotionale Affinität bei den Menschen aus. Iritani und Ohnuki nennen beispielhaft „ Yumi yukaba “ (Off to the Sea), wichtigste Hymne hinter „ Kimi ga yo “ der Nationalhymne, in der es heißt „The Emperor’s reign is perpetuity“ und weiter „When I go to the sea, I sea corpses that are barely covered. When I go to the mountains, I see corpses covered in grass. They died just for the Emperor.“(Iritani 1991:168). Genau dieses Lied sangen Kameraden den Piloten der ersten Kamikazeeinheit Shikishima13 am 21. Oktober 1944 zum Abschied (Inoguchi/ Nakajima 1972: 103). Zwei Kriegslieder, feiern die Heldentat der U-Bootpiloten die den Pearl Harbor Angriff 1941 mit einer Selbstmordattacke einleiteten. Diese Lieder wurden in den Grundschulen gesungen und darin wurde bereits die Bezeichnung „Spezialangriffsgruppe“(tokubetsu k ō gekitai), wie sie für die späteren Kamikazepiloten benutzt wurde, verwendet (Ohnuki 2002: 141). Den Kamikazepiloten war also bereits seit der Grundschule die Selbstmordattacke als Heldentat vertraut. Iritani beschreibt noch ein weiteres wichtiges Instrumentarium zur Nationalisierung der Massen, das Ritual bei dem die Nationalflagge(rote Sonne auf weißem Grund) gehisst, dabei „ Kimi ga yo “ gesungen wurde und anschließend alle im Chor „ banzai (lang lebe) der Kaiser!“, „ banzai das große Japanische Kaiserreich!“ brüllten. Dieses Ritual musste sich tief in das emotionale Gedächtnis der Menschen einbrennen, ganz so wie der „Heil Hitler!“ - Ruf im Nazideutschland. Halten wir also fest, dass Erziehung und Propaganda die Jugend in der Vorkriegszeit schon mental darauf vorbereitet haben, ihr Leben im Krieg zu opfern. Im Zeitzeugeninterview mit Klaus Scherer bringt es der überlebende Kamikazepilot Hamazono auf den Punkt:
„Damals dachte man wahrscheinlich, dass ein Sohn für das Vaterland stirbt, das ist die höchste Ehre. Die Familie und auch die Söhne selbst. Die Erziehung hat uns dazu gebracht. In den Schulen gab es nur Geschichten über Kriege, Kaiser und Ähnliches. Es gab nichts anderes. Wir wurden in diese Form gegossen.“(2001: 77)
1.2. Profil der Kamikazepiloten
Wenden wir uns nun den Piloten, ihren Lebensläufen und ihrem Alltag auf den Militärbasen zu. Wer waren diese jungen Männer die sich bereiterklärten an einer Kamikazeoperation teilzunehmen? Allen Piloten gemeinsam war ihre Jugend, sie waren 16 bis ende 20 Jahre alt, zumeist unverheiratet und kinderlos. Als Sinnbild für die Jugendlichkeit und Unschuld der Piloten könnte der damals 17 jährige Yukio Araki stehen, dessen Abschiedsbild ihn zusammen mit Kameraden abbildet, wie er einen Hundewelpen auf dem Arm hält und dabei selbst irgendwie an einen Welpen erinnert(vgl. Scherer 2001). Arakis Bruder Seiichi beschreibt ihn als pflichtbewussten Jungen, der von der Notwendigkeit seines Einsatzes überzeugt war. Das er aber auch sehr unter seiner Situation litt und Angst hatte geht aus seinem Tagebuch hervor, das die Familie erst später erhielt. In der Familie sprach man typischerweise nicht offen davon, welcher Einsatz dem Sohn bevorstand. Er habe den „kaiserlichen Befehl“ erhalten, sagte Araki verblümt seiner Familie. Er unterdrückte seine Gefühle, und so tat es auch seine Familie (vgl. Scherer: 2001). Es galt als höchste Ehre wenn der Sohn als Kamikazepilot fiel. Die Nachbarn kamen um zu gratulieren und die Piloten wurden in der Öffentlichkeit als Helden gefeiert (vgl. Ohnuki 2002). Erst nach der Niederlage konnte Arakis Mutter offen Kritik üben und sie klagte über den sinnlosen Tod ihres Sohnes (vgl. Scherer 2001). Erziehung, Propaganda und Überwachung, zum Beispiel mit Hilfe der tonari gumi – Nachbarschaftsverbände, unterdrückten die freie Meinungsäußerung. Die Menschen verbargen sich hinter Formalität und Etikette. Die Piloten waren entweder Kadetten mit verkürzter Flugausbildung oder Universitätsstudenten die zum Kriegsdienst eingezogen wurden und eine fliegerische Kurzausbildung von ca. 6 Wochen erhielten. Die ersten Missionen wurden ausgeführt von Kadetten ohne Kampferfahrung, wie etwa Shigeyoshi Hamazono oder Kenichiro Onuki, die während der Operation Shō – „Sieg“, der Endschlacht um die Phillippinen eingesetzt wurden(vgl. Inoguchi/Nakajima 1972). Mit großem Glück überlebten die beiden, da sie mit Motorschaden notlanden mussten. Sie sind exemplarisch für die frühen Kamikazepiloten. Sie waren bereits Marineflieger bei Beginn der Kamikazeoperation. Beide haben sich freiwillig zum Militär gemeldet um Flieger zu werden und sind dann nach verkürzter Ausbildung für den Kamikazeeinsatz herangezogen worden. Hamazono berichtet wie begeistert er als Grundschüler von den Fliegern war(vgl. Scherer: 2001):
[...]
1 Bill Gordon hat als Masterprojektarbeit an der Wesleyan Universität die umfassende dokumentarische Internetseite Kamikaze Images aufgebaut.
2 Zum Begriff Erinnerungskulturen, der die Pluralität der kulturellen Erinnerung betont vgl. Erll 2005
3 Zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses, vgl. A. Assmann 2006 u. J. Assmann 1988, Aleida Assmann(2006:40- 42) betont die identitätsstiftende Bedeutung mythischer Erzählungen, als Medien des nationalen Gedächtnisses und Jan Assmann(1992: 76) zufolge ist Mythos eine Geschichte die man sich erzählt, um sich über sich selbst und die Welt zu orientieren, eine Wahrheit höherer Ordnung, die nicht einfach nur stimmt, sondern darüber hinaus auch normative Ansprüche stellt und formative Kraft besitzt.
4 Zur Archäologie des Wortes, siehe Morris 1999: 530, wie er erläutert, ist der locus classicus des Ausdrucks eine Passage im Nihon shoki,, der ersten offiziellen Chronik Japans(720 n. Chr.), Kamikaze ist darin ein makura kotoba, d.H. Beiwort zum Ise-Schrein, welcher wichtigster Ort für das Bitten um Schutz vor den Mongolen wurde
5 Ōnishi verwendete diese Lesung vermutlich wegen des erhabeneren Klanges (vgl. Morris 1999)
6 Zur Verbreitung des Wortes Kamikaze in der amerikanischen Armee merkt Ivan Morris an, das einige Autoren wie Nagatsuka(J'etais un kamikazé 1972: S. 215) die Vermutung anstellen, es sei erstmals durch Soldaten verbreitet wurden, die japanische Einwanderer der zweiten Generation waren
7 Eine Erfolgsstatistik der Kamikazeeinsätze findet sich bei Ohnuki (2002: 161) und Inoguchi/Nakajima(1958: 356- 360)
8 Sino-japanisches Wort für Kirschblüte
9 kaiten bedeutet „Rückkehr zum Himmel“, ein weiterer Euphemismus für den Tod der Piloten, Geistiger Vater ist Marineleutnant Kuroki Hiroshi und erstmaliger Einsatz war im November 1944(vgl. Ohnuki 2002)
10 Zur Theorie der „Invented Tradition“ vergleiche Hobsbawm/Ranger 1983
11 Saigō Takamori: „Der letzte Samurai“, Anführer der letzten Rebellion aufständischer Samurai 1867 gegen die Meiji Regierung, genannt Seinan(Südwest) Krieg oder Satsuma Rebellion(vgl. Ohnuki 2002: 81 und Ravina 2004: 197-210)
12 September 1931 täuschte die Guangdong-Armee einen Bombenanschlag auf die Südmandschurische Eisenbahn vor und besetzte im Folgenden Mukden, später besetzte sie den größten Teil der Mandschurei und richtete einen chinesischen Marionettenstaat ein(Zöllner 2006:355-57)
13 Die ersten vier Kamikazeeinheiten hießen Shikishima, Yamato, Asahi und Yamazakura ausgewählt nach einem Gedicht von Norinaga Motoori, nationalistischer Gelehrter der Tokugawa-Zeit: Shikishima no Yamato-gokoro wo hito towaba Asahi ni niou Yamazakura-bana – „Der japanische Geist gleicht den Blüten der Bergkirschen die in der Morgensonne strahlen“(Inoguchi/Nakajima 1972: 60)
- Arbeit zitieren
- Daniel Lachmann (Autor:in), 2008, Die Kamikazepiloten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111855
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