Das Thema meiner Arbeit ergab sich aus dem Kontakt zu den katholischen „Missionaren vom Heiligsten Herzen Jesu“ (M.S.C.). Im Archiv des Ordens in Münster-Hiltrup stieß ich auf das 1961 veröffentlichte Buch „And we the people“ des irischen Paters Tim O’Neill über seinen missionarischen Dienst bei den Mengen an der Südküste von Neubritannien, Papua-Neuguinea. Im März 1996 konnte ich den heute in Cork/Irland lebenden Tim O’Neill aufsuchen, um Interviews über sein Leben und Werk zu führen. Im Zuge meiner Recherche stieß ich dann auf ethnographische Literatur des französischen Ethnologen Michel Panoff über seine Feldforschungsaufenthalte bei den Mengen. Da Panoff sich als einziger mir bekannter Ethnologe unmittelbar nach O’Neill bei den Mengen aufhielt, wählte ich seine Artikel als Grundlage für meine vergleichende Analyse.
In meiner Arbeit soll es um die unterschiedlichen Darstellungen - sprich Repräsentationen - der Kultur der Mengen gehen. Dabei soll der Frage nachge- gangen wer-den, inwieweit sich die Darstellung eines Missionars (hier vertreten durch Tim O’Neill) von der eines Ethnologen (hier vertreten durch Michel Panoff) unterscheidet, und wo sich Gemeinsamkeiten in der Interpretation kultureller Gegebenheiten finden. Diese Untersuchung der missionarischen und ethnologischen Perspektive soll dabei im Kontext der seit Ende der 70er Jahre geführten post-modernen Diskussion um die ‘writing culture’ geschehen (s. Kap. 1.3).
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung und Vorgehensweise
1.2 Begriffsklärungen
1.3 Theoretische Aspekte
1.4 Problemfelder
2. Die Mengen
2.1 Quellenlage und Quellenkritik
2.2 Die Ethnographie der Mengen
2.3 Die Missionierung der Mengen durch die Missionare vom Heiligsten Herzen Jesu (M.S.C.)
3. Missionare und Ethnologen: Eine ‘Hassliebe’ ?
4. Der Missionar Tim(othy) O’Neill
4.1 Biographie
4.2 Das Buch „And we the people“
4.3 Zum Kanon des Ordens: Das Orientierungssystem des Missionars
5. Der Ethnologe Michel Panoff
5.1 Biographie
5.2 Die Artikel über die Mengen
5.3 Theoretische Aspekte: Das Orientierungssystem des Ethnologen
6. Vergleich anhand ausgewählter Aspekte
6.1 Themenwahl und Themengewichtung: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
6.2 Zur Standortbestimmung der beiden ‘Fremden’
6.2.1 „...to grasp the native’s point of view...“: Intentionen der Autoren
6.2.2 Wertepositionen und Einstellungen
6.2.3 Rolle und Status
6.2.4 Kultur- und Fortschrittsbegriff
7. Die missionarische und ethnologische Perspektive Im Kontext der ‘writing culture’
7.1 Das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität: Die Autoren als Individuen und als Vertreter ihres Faches
7.2 Die Forderung nach Multivokalität: Monolog, Dialog oder Polyphonie ?
7.3 Etablierung und Legitimation der Autorität
7.4 ‘Teilnehmende Beobachtung’: Die Autoren als ‘Out’- oder ‘Insider’ der Kultur ?
8. Die sprachstilistische Analyse vor dem Hintergrund der ‘writing Culture’
8.1 Die ‘literarischen Konventionen’
8.2 Zur Genrebestimmung der Primärquellen: Die Ethnographie als ‘story’ und/oder die ‘story’ als Ethnographie
8.3 Rolle und Funktion des Erzählers
8.4 Leserschaft und Text-Autor-Leser Verhältnis
8.5 Probleme der Übersetzung
9. Thematischer Vergleich anhand ausgewählter Textstellen
9.1 Zur wirtschaftlichen Organisation der Mengen
9.1.1 Gartenbau und Subsistenz
9.1.2 Reziprozität und Redistribution
9.2 Zur politischen Organisation
9.2.1 Dorfgründungen und Landrechte
9.2.2 ‘Big men’ und ‘Rubbish men’
9.3 Zur sozialen Organisation
9.3.1 Deszendenz und Residenz
9.3.2 Scham und Suizid
9.4 Zur Religion
9.4.1 ‘Traditionelle’ Glaubensvorstellungen
9.4.2 Synkretistische Vorstellungen
9.5 Der kulturelle Wandel seit 1931
9.5.1 Ausgewählte Beispiele
9.5.2 Die Katechisten
10. Zusammenfassung und Diskussion
11. Literaturverzeichnis
12. Anhang: Karten, Photos, Auszüge aus Interviews
Abkürzungsverzeichnis:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die in Klammern aufgeführten Daten im Fließtext beziehen sich auf den Tag des Interviews mit dem irischen Missionar Tim O’Neill. Quellenangaben ohne explizite Namensnennung beziehen sich auf die Texte des französischen Ethnologen Michel Panoff, sofern das aus dem Kontext ersichtlich ist.
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung und Vorgehensweise
Das Thema meiner Arbeit ergab sich aus dem Kontakt zu den katholischen „Missionaren vom Heiligsten Herzen Jesu“ (M.S.C.). Im Archiv des Ordens in Münster-Hiltrup stieß ich auf das 1961 veröffentlichte Buch „And we the people“ des irischen Paters Tim O’Neill über seinen missionarischen Dienst bei den Mengen an der Südküste von Neubritannien, Papua-Neuguinea. Im März 1996 konnte ich den heute in Cork/Irland lebenden Tim O’Neill aufsuchen, um Interviews über sein Leben und Werk zu führen. Im Zuge meiner Recherche stieß ich dann auf ethnographische Literatur des französischen Ethnologen Michel Panoff über seine Feldforschungsaufenthalte bei den Mengen. Da Panoff sich als einziger mir bekannter Ethnologe unmittelbar nach O’Neill bei den Mengen aufhielt[1], wählte ich seine Artikel als Grundlage für meine vergleichende Analyse.
In meiner Arbeit soll es um die unterschiedlichen Darstellungen - sprich Repräsentationen - der Kultur der Mengen gehen. Dabei soll der Frage nachge- gangen werden, inwieweit sich die Darstellung eines Missionars (hier vertreten durch Tim O’Neill) von der eines Ethnologen (hier vertreten durch Michel Panoff) unterscheidet, und wo sich Gemeinsamkeiten in der Interpretation[2] kultureller Gegebenheiten finden. Diese Untersuchung der missionarischen und ethnolo-
gischen Perspektive soll dabei im Kontext der seit Ende der 70er Jahre geführten postmodernen Diskussion um die ‘writing culture’ geschehen (s. Kap. 1.3). Dabei bilden zwei Voraussetzungen den Hintergrund meiner Untersuchung:
1.) Analog zu den Standpunkten der interpretativen Ethnologie gehe ich davon aus, daß es keine Gegenstände in der Welt an sich gibt. Diese erhalten ihre Realität erst über Bedeutungen, die ihnen von Kulturteilnehmern zugewiesen werden. Menschen erschaffen sich ihre Welt also durch Zuweisung von Bedeutungen innerhalb eines bestimmten Handlungs- und Kommunikationskontextes. Zuerst nimmt der Mensch scheinbar ‘objektive’ Phänomene in der Welt wahr. Diese Wahrnehmung geschieht innerhalb eines „Zeitkontexts“ (Stellrecht, 1993:38) aus unterschiedlichen Perspektiven; je nach Vorverständnis, Motivation, Ausbildung, Wissen, Erziehung und anderer Kriterien. Durch Interpretation verleiht der Mensch diesen Phänomenen seine persönliche Bedeutung (Stellrecht, 1993:35ff.). Diese Bedeutungen müssen über Sprache, Handeln und Verhalten von einem externen Beobachter (z.B. dem Ethnologen) erschlossen werden, die Interpretation des Beobachteten ist also subjektabhängig (ebd.:36). Deshalb kann es heute eine kohärente, in sich geschlossene Realität nicht mehr geben. Es ist nicht länger möglich: „...to write naively about the social world and get away with it “ (Rabinow, 1985:3, Hervorhebung J.R.). Unter ‘Realität’ verstehe ich hier ein sprachlich konstruiertes bzw. ein sprachlich repräsentiertes Phänomen. Realität ist nicht gegeben, sondern wird erst durch Sprache konstruiert (Conrad/Kessel, 1994:19f.). Das Erfassen der fremden ‘Realität’ durch den Beobachter schließt von vornherein Objektivität aus; sowie auch die Annahme, daß es so etwas wie eine allgemein gültige ‘Wahrheit’ noch gibt (Hiebert, 1978:174). Wahrheit ist undurchdringlich geworden (opaque): „...we can no longer know the whole truth, or even claim to approach it“ (Clifford, 1986a:25, Hervorhebung J.R.). Geschlossene Aussagen über Vergangenheit und Gegenwart lassen sich nicht länger machen; es kommt zu einer Pluralisierung von Lebenswelten und Identitäten (Conrad/Kessel, 1994:10ff.). Zusammenfassend läßt sich formulieren: „...our sense of the social world is shaped by the sense of what can be written about it“ (P. Atkinson, 1992:6).
2.) Meine zweite Voraussetzung beschäftigt sich mit den Anderen/den Fremden. Diese werden nicht einfach nur irgendwo gefunden oder angetroffen, sondern von uns - den in der euro-amerikanischen Wissenschaftstradition ausge-bildeten Ethnologen[3] - ‘gemacht’. Diese Konstruktion der Anderen/der Fremden bezeichnet Johannes Fabian als „Othering“ (Fabian, 1995a:336), wobei der Andere selten zum Individuum wird, sondern stets der generaliserte, der objektivierte Andere bleibt (Marcus/Cushman, 1982:32). Es findet eine „l’impersonnalisation de l’autre“ (Thérien, 1988:151) statt. Indem wir den Anderen/den Fremden konstruieren, ‘machen’ wir uns auch selbst (Clifford, 1986a:10). Wir institutionalisieren den Fremden für die Konstruktion unseres self durch eine Opposition zu dem, was an den Anderen fremd und ‘exotisch’ erscheint (Abu-Lughod, 1991:139). Fischer bezeichnet dies als „bifocality“, d.h.: „...seeing others against a background of ourselves, and ourselves against a background of others“ (Fischer, 1986:199).
Methodisch gehe ich wie folgt vor: Nach einer Einführung in die Ethnographie und Missionierung der Mengen (Kap. 2) betrachte ich das Verhältnis von Missionaren und Ethnologen in der Literatur und konkret am Beispiel von O’Neill und Panoff (Kap. 3). Nach der Vorstellung der Autoren, ihrer Werke und Orientierungssysteme (Kap. 4 und 5) sollen dann ihre Texte miteinander verglichen werden. In Kapitel 6 soll aufgezeigt werden, welche Themen von den Autoren behandelt oder ausgelassen werden. Weiterhin soll betrachtet werden, welche Intention die Autoren mit ihren Werken verfolgen, und mit welcher persönlichen Einstellung gegenüber den Mengen sie sich im ‘Feld’ bewegten. Dabei soll auch eine Einschätzung ihrer Rolle und ihres Status in der fremden Gesellschaft erfolgen. Sofern möglich, soll nach dem Kultur- und Fortschrittsbegriff gemäß der beruflichen Ausrichtung beider Autoren gefragt werden. Für die Kapitel 7 und 8 habe ich die Kernargumente und Forderungen der ‘writing culture’-Anhänger institutionalisiert, um so Leitlinien für meine Argumentation entwickeln zu können (s. Kap. 1.3). Die Theorie der ‘writing culture’ wird hier nicht nur auf die ethnologischen Texte, sondern auch auf die persönliche Erzählung des Missionars bezogen.
Wichtig für meine sprachstilistische Analyse in Kapitel 8 ist die Einschätzung der Primärquellen (die Artikel von Panoff und das Buch von O’Neill) als ‘narratives’ (dt. ‘Erzählungen’). Ich unterscheide hier nach Mary Louise Pratt zwischen einer „personal narrative“ und einer „objectifying description“ (Pratt, 1986:32), wobei O’Neill als Beinahe-Mitglied der Kultur der Mengen „in the middle of things“ (ebd.) eine eher persönliche ‘narrative’, und Panoff als Forscher und Beobachter „on the edge of a space“ (ebd.) eine ‘wissenschaftliche’ Erzählung schreibt. Ich gehe wie die ‘writing culture’-Anhänger davon aus, daß diese ‘narratives’ durch literarische Konventionen wie Tropen, Metaphern, den Erzähler etc. gestaltet werden. In Kapitel 9 möchte ich anhand ausgewählter Textstellen zeigen, wie und warum sich die kulturellen Repräsentationen der Autoren ähneln oder unterscheiden. Im letzten Kapitel werde ich dann die Ergebnisse meiner Analyse rückbeziehen auf die Diskussion um die ‘writing culture’, so wie ich sie in Kapitel 1.3 dargestellt habe. Dabei möchte ich noch einmal die in Kapitel 1.4 behandelten Problemfelder aufgreifen, um in einer abschließenden Reflexion zu einer Beurteilung sowohl der Texte als auch meiner persönlichen ‘narrative’ - in Form dieser Arbeit - zu gelangen.
1.2 Begriffsklärungen
1.) ‘kulturelle Repräsentation’
Ohne den zahlreichen Definitionen zum Begriff der ‘Kultur’ eine weitere hinzufügen zu wollen, möchte ich kurz aufzeigen, was ich in diesem Kontext unter ‘Kultur’ verstehe. Die von mir gewählte Erklärung bezieht sich dabei auf meine erste Voraussetzung, so wie sie in Kapitel 1.1 formuliert wurde:
„A culture is expressed (or constituted) only by the actions and words of its members and must be interpreted by, not given to, a fieldworker. ... Culture is not itself visible, but is made visible only through its representation“ (Van Maanen, 1988:3).
Unter ‘Re-Präsentation’ versteht Dennis Tedlock den Versuch: „...eine vergangene Erfahrung in einer neuen Zeit, an einem neuen Ort für ein neues Publikum zu reproduzieren...“ (D. Tedlock, 1995:277). In meinem Verständnis von Repräsentation schließe ich mich Dan Sperber an:
„Une représentation est un objet qui, à certains égards, peut être mentalement traité (perVu, compris, apprécié...) comme pourrait ou devrait l’être la réalité qu’il est censé de représenter. Une représentation remplace partiellement l’expérience directe“ (Sperber, 1981:71).
2.) ‘narrative’
Unter ‘narrative’ (dt. ‘Erzählung’) versteht Hayden White einen „metacode“ (White, 1980:6) und: „a manner of speaking about events“ (ebd.:7). Dabei sieht er die ‘narrative’ als Lösung auf die Frage, wie man Wissen (knowing) in Erzählen (telling) umwandeln kann (ebd.:5). ‘Narrative’: „...has to do with the topics of law, legality, legitimacy, or, more generally, authority “ (White, 1980:17). Ich verstehe unter ‘narrative’ nach der „Poetik“ von Aristoteles eine Erzählung mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende (Fuhrmann, 1994:25). Eine ‘narrative’ besteht nach William Labov aus sechs Elementen: 1.) Abstrakt (kurze Zusammenfassung des Inhalts), 2.) Orientierung (Schilderung von Ort, Zeit, Situation und Teilnehmern), 3.) Handlungskomplikation (Abfolge von Ereignissen), 4.) Evaluation (Bedeutung der Handlung, Einschätzung durch den Erzähler), 5.) Resultat (Auflösung) und 6.) Koda (Überbrückung des Abstands zwischen dem Zeitpunkt des Endes der Erzählung und der Gegenwart). Erzählungen sind eine Möglichkeit, vergangene Erfahrungen zu rekapitulieren (Labov, 1978:64ff.).
O’Neills Buch betrachte ich in zweierlei Hinsicht als ‘narrative’: 1.) Jedes Kapitel für sich bildet eine eigene, in sich geschlossene Erzählung. 2.) Das Buch als Ganzes bildet die übergeordnete ‘narrative’, die sogenannte ‘Meta-Erzählung’. Panoffs Artikel analysiere ich einzeln als ‘narratives’, da er keine zusammenfassende Ethnographie über die Mengen veröffentlicht hat.
3.) ‘Diskurs’
Den Begriff des Diskurses gebrauche ich im Sinne von Michel Foucault, so wie er ihn in „Die Ordnung des Diskurses“ (1974) definiert hat. Foucault geht davon aus, daß Diskurse den nicht-diskursiven Bedingungen von Macht und Begehren unterstehen. Die Macht will den Diskurs kontrollieren, organisieren, bändigen und verknappen, da der Wille zum Wissen auch immer ein Wille zur Macht ist. Die Diskurskontrolle geschieht dabei durch eine Reihe von Praktiken: Den Ausschluß, das Verbot, die Tabuisierung von Themen, die Grenzziehung zwischen dem Wahren und dem Falschen, die Ritualisierung von Redesituationen, die Entmündigung der Wahnsinnigen, den Kommentar, das Autorenprinzip, die Disziplinen und die Institutionen (Foucault, 1994:10ff.). Die Praktiken der Diskurskontrolle faßt Foucault zu vier Prinzipien zusammen: Schöpfung, evolutionäre Einheit, Ursprünglichkeit und Bedeutung. Ihnen setzt er Gegenprinzipien seiner eigenen Philosophie gegenüber: Umkehrung, Diskontinuität, Spezifizität und Äußerlichkeit (Fink-Eitel, 1992:65ff.). Mit dem Begriff des Diskurses werde ich mich in Kapitel 5.3 beschäftigen. Dort soll es um die ethnologischen Diskurse gehen, in denen Michel Panoff sich bewegt.
1.3 Theoretische Aspekte
Die Debatte um die ‘writing culture’ wurde durch die Veröffentlichung von Edward Saids „Orientalism“ offiziell 1978 in der ethnologischen Fachwelt eröffnet (Sangren, 1988:405). Said war der erste Nicht-Europäer, der sich mit der Repräsentation des Orients in der westlichen Welt auseinandersetzte. Er zeigte, wie der Orient durch westliche Diskurse ‘textualisiert’ wurde, und wie sich diese Repräsentationen als sogenannte ‘Wahrheit’ etablierten (Clifford, 1986a:12).
Als Höhepunkte der Diskussion um die ‘writing culture’ gelten die 1986 veröffentlichten Werke „Anthropology as cultural critique: An experimental moment in the human sciences“ von George Marcus/Michael Fischer und „Writing culture: The poetics and politics of ethnography“ von James Clifford/George Marcus. Für meine Arbeit relevant sind die Werke des Ethnologen Steven A. Tyler, der heute als einer der radikalsten Postmodernisten gilt (Clifford, 1986a:21).
Der Postmodernismus ist nach Jean-FranVois Lyotard der: „Zerfall der großen Erzählungen“ (Lyotard, 1986:54). Mit ‘großen Erzählungen’ meint Lyotard die abendländische Philosophie, die Aufklärung mit ihrem Fortschrittsglauben und die rationale Wissenschaft. Voraussetzung der Postmoderne ist die Auflösung der Meta-Erzählungen durch Freigabe und Potenzierung der Sprachspiele in ihrer Heterogenität und Autonomie (Drechsel, 1994:8). In den Sprachspielen sieht Lyotard das Minimum an Beziehungen, das für das Bestehen einer Gesellschaft erforderlich ist (Lyotard, 1986:56). Durch die Auflösung der Meta-Erzählungen kommt es zu einer Hinwendung zu kleineren, synchronen und lokalen ‘narratives’ (P. Atkinson, 1992:39). Der Postmodernismus entstand aus einer „Repräsentations- krise“ (Kohl, 1993:122) in deren Verlauf folgende Fragen aufgeworfen wurden: Wie können wir eine andere Kultur in unsere eigene Sprache ‘übersetzen’ und repräsentieren? Können oder sollen wir das überhaupt (Caplan, 1988:89)? In welcher sozialen und politischen Verantwortung steht der Ethnologe als Autor? In welche Machtprozesse ist er eingebunden? (Stoller, 1994:356)? Wie gut kann eine Ethnographie eine fremde Kultur porträtieren? Inwieweit kann Ethnographie wahr sein (Birth, 1990:550)? Was ist überhaupt ‘wahr’ (Gellner, 1992:24)?
In der Diskussion um die ‘writing culture’ geht es um die Subjektivität und „Selbstreflexivität“ (Nash/Wintrob, 1972:527; s. auch Watson 1987) der Ethnologen, so wie sie sich in ihren auf Feldforschungserfahrungen basierenden Texten - den Ethnographien[4] - manifestiert (Clifford, 1986a:13f.). ‘Traditionelle’ Monographien wie etwa Bronislaw Malinowskis „Argonauts of the Western Pacific“ (1922) hatten das subjektive Element des Autors aus ihren Ethnographien verbannt (Webster, 1982:91). Es galt als ‘unwissenschaftlich’, persönliche Probleme und Einstellungen gegenüber der betrachteten Ethnie zu äußern (Clifford, 1986a:5). Die ‘klassische’ Monographie zeichnete sich durch eine klare, objektive Darstellung von Tatsachen aus, während der Feldforschung gewonnene Daten wurden auf die vom Autor vertretene jeweilige wissenschaftliche Theorie bezogen (Tyler, 1991:86; s. auch Clifford, 1983:126). Allerdings gab es schon früh Ausnahmen, so z.B. die Einleitung zu Evans-Pritchards Buch „The Nuer“ (1940:9ff), in dem der Autor die Schwierigkeiten seiner Feldforschung schildert, um dann wieder ganz aus dem Text zu verschwinden (Pratt, 1986:39ff.; s. auch B. Tedlock, 1991:74). Als frühes ‘subjektives’ Buch gilt das 1954 veröffentlichte „Return to laughter“ von Elenore Smith Bowen [Laura Bohannan] (Berg/Fuchs, 1995:65). Einschneidendes Ereignis in der Debatte um die Subjektivität der Autoren war 1967 die posthume Veröffentlichung der Tagebücher von Malinowski. Ab Mitte der 70er Jahre erschien eine Reihe von Werken, in denen die Autoren über ihre persönlichen Erfahrungen während der Feldforschung berichteten (Caplan, 1988:9).[5]
Der Postmodernismus sieht in den Ethnographien zunächst einmal Texte (Gellner, 1992:23). Diese Gattungsbestimmung der Ethnographie als Text - und damit auch als literarisches Genre - läßt sich zurückführen auf zwei Einflüsse:
1.) Die neue Begeisterung für die Hermeneutik (‘interpretive turn’), ausgelöst durch die Werke des Ethnologen Clifford Geertz. Dieser forderte im Rahmen einer „dichten Beschreibung“ (Geertz 1978), ganze Kulturen als Texte zu lesen (Stellrecht, 1993:47). 2.) Die Betrachtung und Analyse von Ethnographien durch Nicht-Ethnologen, so z.B. durch den Literaturwissenschaftler James Clifford. Dieser ‘linguistic turn’ beschreibt die: „...kritische Rückwendung zunächst der Philosophie auf das ‘Realitäten’ schaffende Medium Sprache...“ (Conrad/Kessel, 1994:11).
Die Anhänger der ‘writing culture’ werden wegen ihrer Einstellung zum Text als „Textualisten“ bezeichnet (Aunger, 1995:97). Sie meinen, daß die Produktion und Reproduktion des ethnologischen Wissens abhängig ist von literarischen Konventionen und stilistischen Mitteln, die wir für die Aufarbeitung, Konstruktion und Interpretation der im ‘Feld’ gewonnenen Daten benutzen (P. Atkinson, 1992:5). „Linguistische Tricks“ (Sangren, 1988:409) verbergen dabei die Unsicherheit des Ethnologen im Feld und vermitteln den Eindruck, der Ethnologe könne ‘objektiv’ ein klares, zusammenhängendes Bild der fremden Wirklichkeit darstellen. Diese ‘Tricks’ gilt es aufzudecken, um zu zeigen, wie Ethnologen ihr persönliches Bild der Fremden konstruieren und für ihre Zwecke ge- und mißbrauchen.
Von den vielen Anforderungen, die Textualisten an eine neue, sogenannte ‘experimentelle Ethnographie’ stellen, habe ich acht Argumente für meine vergleichende Analyse herausgegriffen:
1.) Das Verhältnis von Subjektivismus und Objektivismus
Pierre Bourdieu (1987) lehnt die Opposition zwischen Subjektivismus und Objektivismus[6] konsequent ab (Bourdieu, 1987:49). Er möchte zwischen diesen beiden Extremen vermitteln und wählt dafür die von ihm konstruierte praxeologische Erkenntnisweise. Bourdieu zufolge sind die vom Objektivismus ignorierten sozialen Akteure mit ihren praktischen Erfahrungen und Alltagserkenntnissen konstitutiver Bestandteil der sozialen Welt und müssen in dieser Eigenschaft auch berücksichtigt werden. Damit zielt er ab auf eine Überschreitung des für die wissenschaftliche Erkenntnis unverzichtbaren Objektivismus durch die Wiedereinbeziehung der Primärerfahrungen sozialer Akteure (Schwingel, 1995:35ff.). Bourdieu folgend möchte ich in Kapitel 7.1 aufzeigen, inwieweit sich eine Trennung der beiden komplementären Sphären in den Texten feststellen läßt, wo die Autoren also als Subjekte, und wo sie scheinbar ‘objektiv’ als Vertreter ihres Faches über die Mengen schreiben.
2.) Die Forderung nach Multivokalität
In Kapitel 7.2 möchte ich zeigen, inwieweit Polyphonie (dt. ‘Mehrstimmigkeit aus gleichberechtigten Stimmen’) als Mittel zur Darstellung einer perspektivischen Realität eingesetzt wird (Tyler, 1986:127). Kommen die Anderen/die Fremden in den Texten zu Wort, d.h. wird der ‘wissenschaftliche’ Monolog der Autoren durchbrochen? Lassen sich die Autoren auf einen „lebendigen Dialog“ ein, also auf einen Dialog mit: „...anderen Denkenden und mit anders Denkenden...“ (Gadamer, 1984: 26)? Bekunden beide Autoren die gemeinschaftliche Produktion ihres Wissens, indem sie Informanten nennen und zitieren (Clifford, 1983:139)? Finden sich Dialoge mit den Anderen/den Fremden in den Texten, d.h. vertreten die Autoren das Konzept einer „dispersed authority“ (Marcus/Cushman, 1982:43)? Wird eventuell dem indigenen Diskurs ein halb-unabhängiger Status im Ganzen des Textes eingeräumt, um den privilegierten Monoton des ‘Wissenschaftlers’ zu unterbrechen und die Verabsolutierung einer Perspektive zu vermeiden (Clifford, 1986b:103)? Bewahrt der Autor seine Autorität als konstituierendes Subjekt und Repräsentant der dominierenden Kultur (Rabinow, 1986:246)?
3.) Die Frage nach der Autorität
In Kapitel 7.3 soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Autoren ihre Autorität als ‘Texte-Schreiber’ und als Kenner der Kultur etablieren und legitimieren (Clifford, 1983:120ff.). Trifft auf die Autoren die von Clifford (1983:130) aufgestellte Formel „my people = my experience“ zu? Weiterhin sollen verschiedene Tropen betrachtet werden (z.B. Arrival-Tropus, ‘I was there’-Tropus; dazu Pratt 1986; Tyler 1991; Geertz 1993) mit denen die Autoren ihre Präsenz im ‘Feld’ beweisen und ihren Anspruch auf Vermittlung der ‘Wahrheit’ verstärken. Vertreten die Autoren das Konzept der modernen Feldforschungsautorität: „You are there, because I was there“ (Clifford, 1983:118)? Kann die Autorität der Autoren überhaupt angezweifelt werden? Meint Panoff gar: „Je suis ethnographe, donc ce que j’observe est ethnographique“ (Jamin, 1985:18)?
4.) ‘Teilnehmende Beobachtung’
‘Teilnehmende Beobachtung’ wird von Tyler (1991:93f.) als „Fabel“ bezeichnet. Teilnahme impliziert gemeinsames Handeln und Miteinander-Reden. Da der Ethnologe der fremden Sprache selten wirklich mächtig ist, ist er auf bloße Teilnahme angewiesen. Von dieser Teilnahme aus, die Tyler als „Täuschungsmanöver“ (ebd.) bezeichnet, kann er ohne zu reden ungestört beobachten. O’Neill und Panoff sprachen nach eigenen Angaben fließend Pidgin und in Ansätzen Maenge, so daß sie an der Kultur teilnehmen konnten. Sie kamen allerdings mit unterschiedlichen Ansprüchen ins ‘Feld’: Der eine, um als Betrachter von außen (Outsider) etwas über die Kultur zu lernen; der andere, um mit den Menschen zu leben (Insider)[7] und sie zum Christentum zu bekehren (Tyler, 1991:92f.). Wie äußern sich diese Ansprüche in der konkreten Feldsituation? Welche Beziehungen unterhielten die Autoren zur Ethnie und in welche sozio-politischen (Macht)-Prozesse waren sie während ihres Aufenthaltes eingebunden? Stellen die Autoren ihren Erkenntnisprozeß, d.h. ihre Methodik zur Erlangung des Wissens über die Mengen, dar? Wie wird die Erfahrung des ‘Dort-Gewesen-Seins’ in einen Diskurs umgesetzt? Entstand eine „Sphäre der Gemeinsamkeit“ (W. Dilthey, in Clifford, 1983:128), also eine gemeinsame Erfahrungswelt zwischen den Autoren und ihren Informanten im ‘Feld’, hinsichtlich derer alle Fakten und ihre Deutungen konstruiert wurden? Haben sich die Autoren explizit in die Kultur der Mengen eingemischt?
5.) Die ‘literarischen Konventionen’
In den Kapiteln 8.1, 8.3 und 8.4 soll beantwortet werden, durch welche textuellen Formen die soziale Welt lesbar gemacht wird, also: „...how ethnographies achieve their effect as knowledge of ‘others’“ (Marcus/Cushman, 1982:25). Die Postmodernisten gehen davon aus, daß rhetorische Mittel benutzt werden müssen, da die vom Autor zu erzählende Geschichte nur dann verstanden werden kann, wenn sie als Variation einer längst bekannten und verstandenen Geschichte erzählt wird. Neuheit und ‘Exotik’ erschließt sich über das in der Ethnologie bereits Bekannte, dadurch erst wird fremdartiges Verhalten verstehbar (Boon, 1983:131): „Die Erkennbarkeit des anderen bestimmt sich durch das Wiedererkennen von Eigenem in ihm“ (Drubig, 1994:91). Welches Bild von der Kultur der Mengen vermitteln uns die Schreibtechniken der Autoren? Bleibt die Welt offen, ambivalent und im Wandel, oder liefert der Text ein klares, kohärentes, sich selbst erklärendes Bild der Kultur (Marcus/Cushman 1982:45)? Wie beeinflussen die literarischen Prozesse unsere Wahrnehmung der repräsentierten kulturellen Phänomene? Wie sehen die Autoren selbst ihre Werke? Es soll auch nach der Autorfunktion gefragt werden. Kann man zwischen Autor und Erzähler trennen? Wie etabliert der Autor seine Präsenz im Text (Geertz, 1993:17ff.)?
6.) Story telling
Hier (Kap. 8.2) soll gefragt werden, welchem literarischen Genre sich die Texte zuordnen lassen (Bruner 1986). Kann man die Ethnographie des Wissenschaftlers auch als ‘story’[8] bezeichnen und die vom Missionar explizit so benannte ‘story’ als Ethnographie? Welche Art von ‘Geschichte’ erzählen uns die Autoren und mit welcher Intention tun sie dies? Entspringen die Texte dem universalen Bedürfnis des Menschen, seine Erfahrungen an andere Menschen in Form von „Geschichten-erzählen“ (Story telling) weiterzugeben (Kohler Riesmann, 1993:3; White, 1980:5)?
7.) Die Leserschaft und das Text-Autor-Leser Verhältnis
Der Leser hat das Wort des Ethnographen als Repräsentation einer externen, fremden Realität anzunehmen (Tyler, 1991:87). Wer einen Text verstehen[9] will, vollzieht ein Entwerfen des gesamten Textsinns, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Lesen ist also ein aktiver Prozeß. Dieser erste Sinn zeigt sich, weil wir einen Text mit bestimmten Erwartungen und Vorwissen lesen (Gadamer, 1960:251ff.). Unser Lesen geschieht dabei vor dem Hintergrund anderer literarischer Erfahrungen und Erwartungen (P. Atkinson, 1992:2). Der Leser ist sich durch die Vielzahl seiner Leseerfahrungen der rhetorischen Mittel im Text oft nicht mehr bewußt. Die Postmodernisten fordern deshalb eine Offenlegung dieser rhetorischen Mittel. Sie meinen, daß der Autor seine ‘wissenschaftliche’ Autorität nicht mehr ohne weiteres etablieren kann, wenn der Leser die „linguistischen Tricks“ kennt (Aunger, 1995:97). Die narrativen Strukturen wie Metaphern, Tropen und Topoi sind es ja gerade, die uns von der ‘Wahrheit’ und Richtigkeit einer im Text dargestellten fremden ‘Wirklichkeit’ überzeugen (Herndl, 1991:321) und die das Porträt einer Kultur in ganz spezifischer Weise strukturieren (Van Maanen, 1988:5). In Kapitel 8.4 möchte ich aufzeigen, in welcher Position sich der Leser den Texten gegenüber befindet. Wird er offensichtlich durch die literarischen ‘Kniffe’ der Autoren in seiner Wahrnehmung beeinflußt? Es soll ebenfalls nach dem Lesepublikum gefragt werden (Marcus/Cushman, 1982:51ff.).
8.) Das Problem der Übersetzung
Dabei muß vor allem die sogenannte symbolische Übersetzung betrachtet werden (Kap. 8.5). Diese bezieht sich auf die Annahme, man könne eine ganze Kultur - ein ganzes Denken - in eine andere Sprache übersetzen (Asad, 1986: 149ff.). Mit ‘Übersetzung’ bezeichne ich eine ‘Sache des Festlegens impliziter Bedeutungen, die der einheimische Hörer in einer Idealsituation mit der wissenschaftlichen Autorität zu teilen fähig ist’ (Asad, 1986:162). Kann man die Bedeutung eines Lebensstils überhaupt in eine andere Sprache und Kultur übersetzen? Hastrup verneint dies, sie hält eine Übersetzung ohne Zerstörung der kulturellen Spezifizität für unmöglich (Hastrup, 1990:54f.). Tyler (1991:91) spricht von einer Anmaßung des Ethnologen, der meint, er könne im Namen der Anderen und für die Anderen sprechen. Ähnliches wurde festgestellt von Thérien: „...parler de l’autre sans le laisser parler“ (1988:140) und Jamin: „Les autres parlent par ma plume“ (1985:19). Atkinson (1992:39) hält dies für die ‘Kernmetapher’ der Ethnographie: „The silent and unknown is given voice by the ethnographer who speaks for the other“. Clifford (1986b:113) spricht von der „westlichen Erlösungsallegorie“: Der Andere ist zwar verloren im Zerfallsprozeß von Raum und Zeit, jedoch gerettet im und durch den Text des Ethnologen[10]. Vertreten die Autoren diese Art von Allegorie? Wird in den Texten ersichtlich, daß es sich bei dem Wissen der Autoren um Repräsentationen dessen handelt, was ihnen von Fremden in einer fremden Sprache übermittelt wurde? Wie lösen sie die Probleme der Übersetzung in ihre Muttersprache?
1.4 Problemfelder
1.) Das Problem der Sprache
Bei den mir vorliegenden Texten handelt es sich um Veröffentlichungen in den jeweiligen Muttersprachen der Autoren [Englisch und Französisch], also um Texte in den sogenannten „machtvollen“ Sprachen (Asad, 1986:164). Eine Veröffentlichung in Maenge oder Pidgin wäre für beide Autoren wegen ihres Zielpublikums (s. Kap. 8.4) nicht in Frage gekommen. Panoff ist sich der Übersetzungsproblematik von Maenge ins Englische/Französische bewußt: „Traduction impossible, par définition, comme toute traduction“ (Panoff, 1977a:18, FN 1). Trotzdem benutzt er etliche Ausdrücke im Vernakular, um einen Effekt der Ernsthaftigkeit zu produzieren und seine Kenntnisse der fremden Sprache zu bestätigen (Thérien, 1988:155). O’Neill beschäftigt sich in seinem Anhang mit dem Problem der Sprachen und der Übersetzung. Ich als deutsche Leserin stehe zwischen den Übersetzungsprozessen der Autoren. Obwohl ich Englisch und Französisch beherrsche, kommt es unbewußt zu einer Rückübersetzung ins Deutsche. Wenn ich von der „westlichen Allegorie“ (Derrida, in Clifford, 1986b:118) ausgehe, daß durch das Schreiben etwas unwiderruflich ‘Reines’ verloren geht, geschieht dieser Verlust erst recht durch die dreifache Übersetzung von Maenge über Englisch/Französisch ins Deutsche (vgl. Fernandez, 1985:16).
2.) Ich als Leserin und als Autorin
Dieses Problemfeld betrifft meine Position, da ich in dieser Arbeit sowohl als Leserin als auch als Autorin agiere (s. Anhang, S. VIII). Als Leserin lese ich die Texte über die Mengen vor verschiedenen Hintergründen und aus unterschiedlichen Perspektiven. Geprägt durch persönliche Erfahrungen, Ausbildung, Erziehung, Sozialisation und ausgerüstet mit dem theoretischen Wissen über die Mengen - das mir über den Erfahrungshorizont anderer Subjekte vermittelt wurde - betätige ich mich gleichzeitig als Autorin: Ich schreibe eine neue, ganz eigene ‘story’ über die ‘stories’ der beiden Autoren. Meine Geschichte über die Mengen wird eine andere sein als die des Ethnologen/des Missionars, da mir u.a. die Erfahrung des ‘Vor-Ort-Gewesen-Seins’ fehlt. Meine ‘story’ hegt zwar den Anspruch an ‘Wissenschaftlichkeit’, wird aber ebenso eine ganz subjektive Repräsentation der Mengen sein. Ich möchte hier versuchen, zwischen der Ebene meiner ‘wissenschaftlichen’ Magisterarbeit und der Ebene meiner persönlichen ‘story’ eine Verbindung zu schaffen. Da ich im Kontext der ‘writing culture’-Debatte schreibe, komme ich mit der Offenlegung der subjektiven Ebene einer Hauptforderung der Postmodernisten nach.
3.) Perspektiven des Geschlechts
Die Artikel Panoffs offenbaren teilweise den ‘male bias’ (Androzentrismus), also die Darstellung und Interpretation soziokultureller Gegebenheiten aus männlicher Sicht bei gleichzeitiger Vernachlässigung des weiblichen Blickwinkels (Ludwar-Ene, 1993:177). Dies läßt sich mit dem begrenzten Zugang des Ethnologen zur Lebenswelt der Frauen erklären. So werden weibliche Lebenszusammenhänge bei Panoff nur im Vergleich zur Lebenswelt der Männer geschildert, Frauen rücken nie in den Blickpunkt seiner Untersuchungen. O’Neill hingegen scheint guten Kontakt zu Frauen gehabt zu haben. Sein Verhältnis zu ihnen beschreibt er wie folgt: „They were as open to me as the boys were“ (11.3.96). In seinem Buch befaßt er sich in Form von Geschichten und Dialogen mit Frauen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß beide Autoren Männer (im Sinne des biologischen Geschlechts/ sex) sind, und ich als Frau über ihre kulturellen Repräsentationen schreibe. Es bleibt zu zeigen, ob sich in den Repräsentationen eine ausdrücklich männliche Sichtweise nachweisen läßt. Wurde O’Neill in seiner Funktion als Priester überhaupt als Mann gesehen, oder nahm er - wie von vielen Ethnologen berichtet (vgl. Hauser-Schäublin, 1985:192) - eine geschlechtsneutrale Position in der Gesellschaft der Mengen ein?
2. Die Mengen
2. 1 Quellenlage und Quellenkritik
Bei der Besprechung der Quellenlage und Quellenkritik halte ich mich an die Ausarbeitung von Adam Jones (1993:102ff.), der vier Kategorien von Quellen unterscheidet.
Die Quellenlage über die Mengen ist dürftig. Sie wurden nur von drei ausgebildeten Wissenschaftlern besucht, deren Texte nach Jones die vierte Kategorie von Quellen bilden. Dazu gehören das französische Ethnologenehepaar Michel und FranVoise Panoff, dessen gemeinsames Werk „L’ethnologue et son ombre“ (1968) ich berücksichtige. Bei diesem Buch handelt es sich um eine Analyse des Verhältnisses zwischen dem europäischen Ethnologen und der von ihm ‘erforschten’ Ethnie. Es geht vor allem um Aufgaben und Funktionen des Ethnographen sowie um die Schwierigkeiten einer Feldforschung. Es soll gefragt werden, ob die von den Panoffs dargelegten Kriterien der Arbeit im ‘Feld’ ihren konkreten Niederschlag in den Texten von Michel Panoff finden. Die in internationalen Zeitschriften veröffentlichten Artikel Panoffs über seine Feldforschungsaufenthalte bei den Mengen bilden meine Primärquellen. Diese Artikel waren zum Teil nicht in Deutschland beziehbar, so daß ich sie in der Bibliothèque Nationale in Paris eingesehen habe. Seit März 1996 findet ein Briefwechsel mit Panoff statt, so daß ich Hintergrundinformationen über Leben und Werk erhielt.
Im Gebiet der Mengen arbeitete des weiteren Ann Chowning (1976), die in den 60er Jahren die Sprachen der Südküste unter linguistischen Aspekten untersuchte und eine Kategorisierung in verschiedene Sprachgruppen vornahm. Chowning liefert keine ethnographischen Angaben über die Mengen, so daß ihre Publikationen für diese Arbeit nur von geringem Nutzen sind. Sie stand allerdings in persönlichem Kontakt zu O’Neill (s. Kap. 3) und zu Panoff, der in Fußnoten Gespräche mit ihr als Quelle angibt (Panoff, 1968:FN 1).
Die neueren Werke des Ethnologen Harvey Whitehouse, der das Phänomen des seit 1963 bestehenden Pomio-Kivung Cargo-Kults analysiert und dabei das Verhältnis der Cargo-Mitglieder zum Christentum betrachtet, finden in meiner Arbeit keine Verwendung. Da O’Neill sich nicht zum Cargo-Kult geäußert hat, ich aber die Parallelität der Themen zwischen Ethnologe und Missionar bewahren möchte, sind seine Studien im Kontext meiner Ausarbeitung irrelevant.
Mit Erlaubnis der M.S.C. erhielt ich Zugang zu der von Jones genannten dritten Kategorie von Quellen, den Schriften von Missionaren, Händlern, Reisenden und Verwaltungsbeamten. In meiner Arbeit beziehe ich mich auf die seit November 1883 monatlich publizierten „Hiltruper Monatshefte“ (HM), die Informationen über die Missionsgebiete des Ordens und deren Entwicklung enthalten. Zugänglich waren mir außerdem die persönlichen Dokumente verstorbener Neuguinea-Missionare in Form von handschriftlichen Lebenserinnerungen sowie private und geschäftliche Briefe an die Ordensgemeinschaft. Von Nutzen war das umfangreiche Archiv mit allen Veröffentlichungen der M.S.C., hier vor allem „Pioniere der Südsee“[11] für das Kapitel 2.3.
Zu den Quellen dieser Kategorie zähle ich auch die Aufzeichnungen des Malers Hans Vogel (1911), die auf den Ergebnissen der Südsee-Expedition der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung 1908/1909 im Bismarck-Archipel beruhen. Vogel erwähnt die Mengen[12] nur am Rande, gibt aber eine detaillierte geographische und ethnische Einteilung der Südküste. Der Pflanzer, Plantagenbesitzer und spätere Ethnologe Richard Parkinson (1907) stützt sich bei der Beschreibung der Südküstenbewohner auf die Aufzeichnungen des methodistischen Missionars George Brown, seine Angaben über die Mengen stammen nur aus zweiter Hand.
Sprachwissenschaftliche Untersuchungen über die Mengen von Carl Laufer[13] (1955), sowie die von Vogel und Laufer vorgenommene geographische Einteilung der Ethnien an der Südküste, sind durch neuere Forschungen der Ethnologen Panoff und Whitehouse teilweise revidiert worden (Chowning, 1976:365).
Als mündliche Quellen standen mir die im Zeitraum vom 8. bis zum 20. März 1996 in der irischen Provinz der M.S.C. aufgenommenen Interviews mit Pater Tim O’Neill zur Verfügung. Diese Interviews wurden in Corkonisch geführt, so daß Transkriptionsfehler nicht ausgeschlossen werden können. Seit August 1995 findet ein reger Briefwechsel mit O’Neill statt.
Ein Großteil des mir zur Verfügung stehenden Materials über die Mengen besteht aus Berichten von Missionaren. Diese Berichte erheben keinen Anspruch auf ‘Wissenschaftlichkeit’[14], sie wurden für ein allgemeines Lesepublikum oder für Privatpersonen geschrieben. Es soll hier jedoch keine Unterscheidung zwischen ‘wissenschaftlichen’ und ‘nicht-wissenschaftlichen’ Quellen getroffen werden. Ich behandle alle mir zur Verfügung stehenden Quellen auf der gleichen Ebene. Unterschiede sehe ich nur zwischen den persönlichen Quellen der Missionare und den Quellen ausgebildeter Ethnologen, wobei Ethnologie als ‘wissenschaft- liche’ Disziplin[15] andere Ansprüche an den Text stellt als die für den privaten Gebrauch bestimmten Aufzeichnungen. Im Kontext dieser Arbeit ist die scheinbare ‘Unwissenschaftlichkeit’, also die Subjektivität der Autoren, von großer Relevanz. Eine Bewertung in ‘gute’ (im Sinne der Ethnologie ‘wissenschaftlich’ relevante) oder ‘schlechte’ (irrelevante), ‘falsche’ oder ‘richtige’ Quellen kann und darf deshalb hier nicht stattfinden. Wichtig ist nur die „Sachadäquatheit“ der einzelnen Quellen (Stellrecht, 1993:36).
2.2 Die Ethnographie der Mengen
Die Mengen leben an der Südküste von Neubritannien. Neubritannien ist mit seiner Ausdehnung von 595 km Länge und 80 km Breite die größte Insel des Bismarck-Archipels im westlichen Pazifik. Der Bismarck-Archipel gehört zum Staat Papua-Neuguinea (PNG), der eine Gesamtfläche von 462.840 km2 umfaßt und zwischen 0° 43’ und 11° 40’ südlicher Breite sowie zwischen 141° und 160° östlicher Länge liegt (Meyers Lexikon (16), 1992:258). PNG ist seit der Unabhängigkeit vom 16. September 1975 eine konstitutionelle Monarchie, formelles Staatsoberhaupt ist die britische Königin Elisabeth II., die durch einen Generalgouverneur vertreten wird. 1966 wurde Papua-Neuguinea in 19 Provinzen mit eigener Selbstverwaltung sowie einen Hauptstadtdistrikt unterteilt (Länderlexikon, o.J.:40). Die 4,3 Mill. Einwohner PNGs sprechen über 700 Sprachen, die man in eine austronesische und eine papuanische Sprachgruppe[16] einteilt. Offizielle Amtssprache ist Englisch, zunehmend wird aber auch von der Regierung das melanesische Pidgin als ‘lingua franca’ benutzt (Länderbericht PNG, 1990:20; Wesemann, 1985:30ff).
Papua-Neuguinea liegt in der tropischen Klimazone mit ganzjährig fallenden Niederschlägen. Das Jahr teilt sich in eine Trocken- und eine Regenzeit, die Luftfeuchtigkeit liegt zwischen 70 und 85%. Die zwei vorherrschenden Windströmungen sind von Mai bis Oktober der Südostpassat und von Dezember bis März der Nordwestmonsun. Das Gebiet der Mengen liegt in der regenreichsten Zone des Staates mit 6541 mm Niederschlag pro Jahr (Rannells, 1991:27). Der regenreiche Südostpassat erreicht von Juni bis Ende September die Mengen. Die Trockenzeit an der Südküste geht von November bis April (O’Neill, 13.3.96).
Die Insel Neubritannien teilt sich in die Provinzen East und West New Britain. In East New Britain leben auf einer Fläche von 15.500 km2 130.730 Einwohner, während in der größeren Provinz West New Britain nur 88.415 Einwohner leben. Neubritannien wird von einer hohen Bergkette durchzogen, die im Westen von der Whiteman Range, im Osten von den Nakanei Mountains und auf der Gazellehalbinsel von der Rawlei Range und den Baining Mountains gebildet wird (Wesemann, 1985:283; s. Anhang, S. I und II).
Das Gebiet der Mengen[17] befindet sich ca. 100 Meilen westlich der Provinzhauptstadt Rabaul [East New Britain]. Es liegt an der Küste zwischen Kap Orford im Osten und Lau im Westen und erstreckt sich im Landesinneren bis zu einem Gebiet südlich von Ulamona. Die Provinzregierung unterscheidet zwischen 1.) den East-Mengen zwischen Kap Orford (152° 07’ ö.L.) und Pomio (151° 30’ ö.L.), 2.) den West-Mengen zwischen Pomio und Lau (151°20 ö.L.) und 3.) den Extended-Mengen[18] im Hinterland (Panoff, 1969c:1f.). Im Hinterland leben nur 30% der Gesamtbevölkerung, die zur Zeit von Panoffs Feldforschung ca. 5000 Individuen betrug. In der Gegend um die Regierungsstation Pomio behindern hohe Bergketten, schwere Regenfälle und schlechte Böden eine infrastrukturelle Entwicklung. Rannells (1991:27) spricht von einem „undeveloped“ Gebiet. Das größte Dorf der Mengen ist Matong im Osten der Wasserfallbucht, neben der Jaquinotbucht eine der beiden größten Meeresbuchten an der Südküste (Panoff, 1970a:179).
Die Nachbarn der Mengen sind im Westen die Lote und Mamusi (auch Mamussi genannt), im Nordwesten die Nakanei, im Nordosten die Kol (oder Koal) und Tomoive (auch Tumuip, Tumoive, Timoip oder Tmuip) und im Osten die Sulka und die Sui (auch Sao genannt) (Panoff, 1968:275). Laufer bezeichnet die Mengen zwischen Kap Orford und dem Rak River als „versulkate Mengen“ aufgrund starker Ähnlichkeiten in Kultur und Sprache (Laufer, 1955:35). Vogel hat zu Beginn des Jahrhunderts festgestellt:
„...und zwar rechneten sich die Eingeborenen eines etwas westlich vom Kap Orford- Nord gelegenen Dorfes noch zu den Sulka; nach Westen hin aber bis zur Jacquinot- Bucht nannten sie sich Omenge“ (Vogel, 1911:163).
Wenn im folgenden die Mengen vorgestellt werden, so handelt es sich um Konzepte des Ethnologen Panoff. Diese ethnologischen Konstrukte wurden von euro-amerikanischen Ethnologen entwickelt, um außereuropäische Gesellschaften zu beschreiben. Eigentlich widerspricht es dem Sinn dieser Arbeit, diese Konstruktionen zu benutzen. Ich möchte hier ja gerade die kulturellen Repräsentationen aufzeigen, die ein in der westlichen Welt ausgebildeter Wissenschaftler in bezug auf eine Ethnie entwickelt hat. Andererseits erwartet der Leser an dieser Stelle eine Einführung in die Ethnographie der Mengen. Für diesen Zwiespalt sehe ich keine Lösung. Deshalb habe ich mich entschlossen, hier einen ‘klassischen’ Überblick über die Mengen im ethnographischen Präsens (e.P.) zu geben. Das ethnographische Präsens evoziert einen gegenwärtigen Zustand, der zur Zeit von Panoffs Niederschriften nicht mehr gegeben war und vermittelt so eigentlich das Bild einer statischen Gesellschaft. Kultureller Wandel fand und findet aber beständig statt (Herskovits, 1967:398f.). Trotzdem meine ich mit Kirsten Hastrup, daß das ethnographische Präsens die einzige narrative Zeitform ist, die: „...renders the truth about the ‘absent’ reality“ (Hastrup, 1992:127f.). Durch die Benutzung des e.P. werden Erfahrungen des Ethnologen während seiner (vergangenen) Zeit im Feld als relevant für die heutige Ethnologie präsentiert: „The dialogue was ‘then’, but the discourse is ‘now’ “ (Hastrup, 1992:127). Das e.P. „reflects the instance of the discourse“ (Hastrup, 1990:51) und verringert so die Distanz zu den Anderen/den Fremden. Die Anderen und der Ethnologe als Autor befinden sich nun auf der gleichen Zeitebene, die Realität des „ethnographic encounter“ (Hastrup, 1992:117) wird bewahrt (s. dazu Sanjek 1991).
Der Name der Ethnie „ Maenge me “ bedeutet „the swimmers“ oder: „those who are accustomed to bathing“ (Panoff, 1969a:122). O’Neill berichtet, daß die Mengen sich mit ‘We the people’ (ita ka ragau me)[19] bezeichnen (14.3.96). Die Mengen sprechen eine austronesische Sprache mit papuanischen Einflüssen in der Grammatik und werden dem ‘Uvolic Cluster’ der austronesischen Sprachen zugeordnet (Chowning, 1976:190, 373; s. auch Meyer 1932:190). Insgesamt treten drei Dialekte auf: 1.) Maenge (gesprochen in der Wasserfall- und Jacquinotbucht), 2.) Orford (süd-westlich der Sulka-sprechenden Ethnien) und 3.) Longueinga (gesprochen im Hinterland bis Ulamona). O’Neill sieht sprachliche Zusammenhänge zwischen den Mamusi und den Mengen: „I believe that the Mengen came from the Mamusi, because their languages were very, very similar“ (11.3.96). Müller (1907:80) unterscheidet nur zwei Dialekte, den Orford- und den Quoi-Dialekt. Parkinson äußert sich wie folgt:
„Befreundete Nachbarstämme der Sulka sind die O-Mengen und die Tumuip, deren Sprache nur hie und da Ähnlichkeiten mit der der Sulka aufweist. Die O-Mengensprache hat aber wieder manche Anklänge an die Sprache der Nord-Gazellehalbinsel“ (Parkinson, 1907:777).
Die Mengen leben zwar hauptsächlich an der Küste, betreiben aber nur am Rande Fischfang. Auch das Sammeln und Jagen bleiben marginale Tätigkeiten. Sie sind Gartenbauern, die ihre Gärten durch Brandrodung (shifting cultivation) gewinnen. Ihr Hauptanbauprodukt ist Taro, von dem sie ca. 130 bis 200 verschiedene Spezies kennen und anpflanzen. Des weiteren kennen und pflanzen sie ca. 50 verschiedene Arten von cordyline (F. Panoff, 1972:381ff). Zu den wichtigsten Nahrungsmitteln zählen Süßkartoffeln und Bananen. Schweine werden von den Frauen nicht nur als Fleischlieferant gezüchtet, sondern aus zeremoniellen Zwecken für den Tausch und zur Bezahlung des ‘bridewealth’[20].
Die Mengen leben in Weilern, die sich zu Dörfern zusammenschließen. Pro Dorf gibt es zwischen 15 und 30 konjugale Haushalte mit ca. 60 bis 240 Personen. In jedem Dorf existiert mindestens ein Männerhaus (giung) für die ledigen Männer des Dorfes. Jedes Dorf hat einen eigenen Namen, einen Tanzplatz und einen Altar in der Dorfmitte, der den Fruchtbarkeitsriten dient (Panoff, 1978b:141). Auf den ersten Blick scheint es sich bei den Mengen wie bei vielen melanesischen Gesellschaften um eine sogenannte ‘egalitäre Gesellschaft’ zu handeln. Im Aufbau des Dorfes spiegelt sich allerdings eine Art von Hierarchie. Die drei bis fünf ‘big men’ (ravolalau) leben im Zentrum des Dorfes, dann folgen die ‘ordinary men’ (vulutu), und an der Peripherie leben die ‘rubbish men’ (kasasau) (Panoff, 1991a:49ff.; O’Neill, 13.3.96). Diese Hierarchie zeigt sich im Anbau der Taropflanzen in den Gärten. Für die Position der Menschen im Dorf und für die Position der Pflanzen im Garten wird das gleiche Vokabular benutzt (F. Panoff, 1969:25). Jungen, die in ihrer Pubertät gemeinsam die sechs Initiationsriten (pinasi) durchlaufen haben, gehören zu einer Altersklasse galiau. Das galiau tritt nur bei der Organisation von großen Schweinefesten, dem Bau eines neuen Männerhauses sowie bei Rachefeldzügen und spielerischen Wettbewerben mit anderen galiaus auf (Panoff, 1978b:154).
Die Sozialstruktur der Mengen besteht aus moieties (mata), die sich in exogame Klane (kamana) und diese wiederum in Subklane unterteilen. Zu Panoffs Zeiten lebten 46 Klane im Gebiet der Mengen (Panoff, 1969c:25). Der Führer eines Subklanes ist der ‘big man’. ‘Big man’ wird man nicht aufgrund persönlicher Qualitäten und Charisma, sondern aufgrund von Geburt und Unterstützung durch Vater und Mutterbruder (Panoff, 1978b:142). Der Führer eines Dorfes ist der ‘père du village’ (maga tamana), von O’Neill als ‘mayor’ bezeichnet. Der maga tamana ist zugleich der Leiter des dominantesten Subklanes. Er ist ritueller und säkularer Führer und für die Fruchtbarkeits- und Prosperitätsriten in bezug auf eine erfolgreiche Ernte verantwortlich. Sein Status vererbt sich in der väterlichen Linie (F. Panoff, 1969:21, FN 11). Die Subklane kann man als korporative Deszendenzgruppen bezeichnen, die in bezug auf Landrechte autonom sind (Panoff, 1980:6). Jeder Klan hat einen eigenen Namen und ein eigenes Totem, das bestimmten Tabus (Eß- und Tötungsverboten) unterliegt (Panoff, 1969c:24f.). Die Klane sind geographisch verstreut, sie verfügen über kein klar definiertes Territorium. Jeder Klan verfügt jedoch über einen eigenen Ursprungsort, einen eigenen Wohnsitz der Toten und gemeinsame Traditionen wie Gesänge, Mythen und magische Formeln (Panoff, 1970a:177).
Die Mengen sind matrilinear. Ihre Verwandtschaftsterminologie entspricht dem Irokesen-System (Panoff, 1976:176). Sie verfügen über ein geringes genealogisches Wissen, das sich auf zwei bis drei Generationen beschränkt (Panoff, 1968:286; O’Neill, 13.3.96). Alle noch lebenden kollateralen Verwandten sind namentlich bekannt. Die Mengen kennen keine ihrer Ethnie immanenten Namen. Sie benennen ihre Kinder nach Ereignissen, die zu deren Geburt auftraten (vgl. F. Panoff, 1969:27, FN 22):
„C’est en effet une pratique constante chez les Maenge de donner aux enfants des noms personnels qui sont faits d’une courte phrase (sujet- verbe- complément) racontant une épisode extraordinaire de la vie familiale ou villageoise et rappelant en permanence au futur adulte les offenses à venger et les succès à célébrer“ (Panoff, 1979:168).
Zur Taufe erhalten sie einen christlichen Namen, der aber bald in Vergessenheit gerät. Die Namen unterliegen strengen Tabus, von denen nur die Kinder ausgeschlossen sind (18.3.96). Es herrscht Teknonymie (Panoff, 1985:69).
Die postmaritale Residenz läßt sich nicht eindeutig zuordnen, man kann sie grob als bilokal einstufen (F. Panoff, 1972:375). Bei 50% der Ehen kommen die Partner aus dem gleichen Dorf und bleiben nach der Heirat dort leben. 30% der Ehen sind virilokal und 20% der Ehen uxorilokal. Nur 20% der Frauen ziehen nach dem Tod ihres Mannes in ihren Geburtsort zurück, häufig wird das Levirat praktiziert (Panoff, 1994:6). Im Falle einer Scheidung behält die Frau die Kinder und verheiratet sich meist wieder (Panoff, 1978a:492). Polygynie trat traditionell auf, seit Beginn der Missionierung wird sie von den Mengen selber verboten.
Die Mengen zeichnen sich durch eine geschlechtliche Arbeitsteilung aus, wobei sich in der Zuteilung der Aufgaben pro Geschlecht keine Hierarchisierung der Männer vor den Frauen zeigt (Panoff, 1977a:9). Religiöse oder pragmatische Spezialisten kennen sie nicht.
2.3 Die Missionierung der Mengen durch die Missionare vom heiligsten Herzen Jesu (M.S.C.)
Die katholische Ordensgemeinschaft M issionarii S acratissimi C ordis Jesu (M.S.C.) wurde am 8. Dezember 1854 durch den französischen Geistlichen Pater Jules Chevalier (1824-1907) in Issoudun/Mittelfrankreich gegründet und hatte die Förderung der Herz-Jesu-Verehrung zur Aufgabe (Glazik, 1954:273). Heute gehören 2600 Mitglieder der internationalen Ordensgemeinschaft an. M.S.C.-Missionare sind in 34 Ländern tätig, sie betreiben Überseemissionen in Nord- und Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien. In Papua-Neuguinea leben zur Zeit 182 Missionare, davon kommen 80 M.S.C. aus dem Ausland (HM, 1995/3). Das Generalarchiv des Ordens ist in Rom. Regionalarchive befinden sich in Vunapope und in Münster-Hiltrup/Westfalen.
Am 25. März 1881 wurde den Herz-Jesu-Missionaren durch Papst Leo XIII. die Übernahme des Doppelvikariats Melanesien-Mikronesien übertragen (Dupeyrat, 1934:31ff.). Das Doppelvikariat Melanesien-Mikronesien war am 19. Juli 1844 vom Apostolischen Vikariat (AV) Westozeanien[21] abgetrennt worden und hatte eine wechselvolle Missionsgeschichte hinter sich. Nach gescheiterten Missionierungsversuchen der französischen Maristenpatres (1847-1851) und der Mailänder Missionsgesellschaft (1852-1855) blieb das Vikariat Melanesien bis 1880 unbesetzt (Janssen, 1975:288). Erst am 29. September 1882 landeten die ersten französischen Herz-Jesu-Missionare auf der Halbinsel Matupit[22] in der Blanchebucht bei Rabaul. Sie erwarben Land bei Kininigunan-Kokopo, wo sich während der deutschen Kolonialzeit[23] der Regierungssitz Herbertshöhe (von 1899 bis 1910) befand. Auf diesem Land entstand der Hauptsitz der M.S.C.: Vunapope, die „Stadt des Papstes“ (Schröder/Winkler, 1982:35). 1889 wurde vom Apostolischen Vikariat Melanesien das AV Neubritannien abgetrennt, Apostolischer Vikar wurde bis 1923 der Franzose Louis Couppé (Schröder, 1954:95ff.). Zu O’Neills Zeit war Leo Scharmach Bischof des AV Rabaul (1939-1962), später dann Johannes Höhne (1963-1978). Seit 1966 ist das AV Rabaul Erzdiözese, heutiger Erzbischof ist der durch seine Studien über die Baining bekannt gewordene Karl Hesse (Schröder/Winkler, 1982:74).
Am 1. September 1897 wurde die Deutsche Ordensprovinz der M.S.C. in Münster-Hiltrup[24] errichtet. Das AV Neubritannien (zu der Zeit ‘Neupommern’) wurde 1898 der deutschen Ordensprovinz zur Missionierung anvertraut (Schröder, 1954:98).
Die Gründung der Irischen Provinz begann 1909 mit der Ansiedlung französischer Missionare in Cork. 1912 erteilte Rom dieser ‘Britischen Sektion’ eine vorläufige und beschränkte Selbstverwaltung. 1948 wurde die Britische Sektion zur irischen Quasiprovinz erhoben. 1950 erklärte die Ordensleitung die volle Selbständigkeit der Herz-Jesu-Missionare in Irland und gründete 1952 die Irische Ordensprovinz (Schröder, 1954:68). Die Iren wurden nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen zu Hilfe in die Mission gerufen, da die M.S.C. hohe Verluste durch die Internierung im Konzentrationslager Ramale während der japanischen Besetzung[25] erlitten hatten (9.3.96). Von den vor dem Krieg bestehenden 45 Missionsstationen waren 41 vollständig zerstört worden, so daß die erste ‘Nachkriegsgeneration’ von Missionaren Aufbauarbeit leisten mußte (O’Neill, 1982:11ff.). Im Zuge dieses Hilfegesuchs gelangte O’Neill in die Mission (vgl. Berg, 1923:101).
Seit 1924 betreiben die M.S.C. ihre Missionierung auch außerhalb der Gazellehalbinsel. Die Missionierung an der Südküste begann 1925 mit der Ansiedlung zweier in der Schule von Vunapope ausgebildeter Sulka-Katechisten in den Dörfern Matong und Malakuru. Sie wurde 1931 offiziell von dem irischen Pater William Culhane in Malmal[26] eröffnet. Nach der Ermordung Culhanes 1943 durch die Japaner leiteten bis zu O’Neills Ankunft 1949 australische M.S.C. die Station. O’Neill übernahm die Station in desolatem Zustand, da Malmal während des Zweiten Weltkrieges als japanische Militärbasis gedient hatte (Panoff, 1978a:480; O’Neill, 9.3.96). Heute ist Malmal unbesetzt. Insgesamt gibt es zur Zeit noch 27 Missionsstationen der M.S.C. auf Neubritannien.
Die Hauptmissionsstation[27] Malmal befindet sich am westlichen Rand der Jaquinotbucht. Das Grundstück liegt abseits des Dorfes und wurde 1914 von Bischof Couppé angekauft (Panoff, 1990a:164). O’Neill erklärt die Entscheidung für den Ankauf von Land zwecks späterer Errichtung einer Missionsstation wie folgt: „Mission stations were established where there was a good anchorage. That was the secret“ (11.3.96). Die nächsten katholischen Missionsstationen befinden sich je 60 Meilen westlich und östlich von Malmal.
Das O’Neill zugeteilte Missionsgebiet umfaßte 2000 Quadratmeilen und wies eine Einwohnerdichte von vier Einwohnern pro Quadratmeile auf. Zu seiner Gemeinde zählten 8000 Menschen in 65 Dörfern, davon waren bereits 1500 getaufte Katholiken[28]. Für eine Rundreise benötigte O’Neill über 90 Tage (11.3.96). Seine Besuche im Hinterland beschränkten sich auf zwei Mal pro Jahr, da ein Großteil der zu betreuenden Katholiken an der Küste lebte. Ebenso wie O’Neill ließ Panoff das Hinterland bei seinen Feldforschungen unberücksichtigt, er hielt sich zu Studienzwecken in acht Küstendörfern auf (Panoff, 1969a:FN 1).
Die Frage, ob Panoff die Annehmlichkeiten der Missionsstation während seiner Feldforschung für einen längeren Aufenthalt genutzt hat, wurde von ihm nicht beantwortet. Er hat sich aber auf jeden Fall in Malmal aufgehalten, da er in einem neueren Artikel detailliert das Umfeld der Station beschreibt. So hatte sich die Mission im Vergleich zu O’Neills Gebäuden (Wohnhaus, Schule, Kirche, Küche, Bade- und Vorratshütte) um eine „boutique de vente au détail“ und um eine „garage à bateaux“ erweitert (Panoff, 1990a:167). In Fußnoten (Panoff, 1969a:FN 1) befindet sich bei der Auflistung der besuchten Dörfer die Regierungsstation Pomio, die nach Aussage von O’Neill in regem Waren- und Informationsaustausch mit Malmal stand. In weiteren Fußnoten bedankt Panoff sich bei den M.S.C. vor Ort [den Nachfolgern von O’Neill in Malmal] und den Archivaren in Rom und Münster für Informationen über die Mengen (Panoff, 1977:FN 2; 1979; 1986b:FN 1; 1990a: FN 1)[29]. Ich gehe deshalb davon aus, daß Panoff guten Kontakt zu den Missionaren an der Südküste und der zentralen Verwaltung in Vunapope hatte. O’Neills Buch hat er zwar zur Kenntnis genommen, allerdings zitiert er in keinem Artikel explizit daraus. Bei der bibliographischen Angabe des Buches schreibt er O’Neills Namen sogar nur mit einem ‘l’ (Panoff, 1990a:173).
3. Missionare und Ethnologen: Eine „Hassliebe“ ?
„The missionary is often portrayed as the antithesis of the anthropologist - one whose objective is conversion, not the preservation of cultural differences“ (Whiteman, 1983:430).
In Anlehnung an einen Aufsatztitel von Paul G. Hiebert (1978)[30] geht es in diesem Kapitel um das Verhältnis zwischen Missionaren und Ethnologen in der ethnologischen und theologischen Literatur. Dabei wird am Ende des Abschnitts auf die Beziehung zwischen O’Neill und Panoff eingegangen, die sich nur vom Hörensagen kennen.
Ethnologen haben im allgemeinen eine schlechte Meinung von Missionaren. Diese werden sogar als Feinde betrachtet, da sie als Agenten des kulturellen Wandels dem Ziel des Ethnologen - der Betrachtung einer von der westlichen ‘Zivilisation’ unbeeinflußten Gesellschaft - entgegenwirken (Nida, 1966:273). Missionare galten in der Phase der Kolonisierung als Instrumente der Kolonisatoren, da sie neben den Vertretern der Kolonialregierung oft die Einzigen waren, die für längere Zeit an einem bestimmten Ort wohnten und ständigen Kontakt zur indigenen Bevölkerung hatten (Hiebert, 1978:167). Whiteman sieht in den Missionaren keine Zerstörer der einheimischen Kultur, sondern nur „cultural brokers“, die: „...have eased the transition for indigenes from isolation to contact with the Western world“ (Whiteman, 1983:430). Missionare sind störende Faktoren, da sie das ethnologische Konstrukt einer homogenen, in sich geschlossenen Gemeinschaft in Frage stellen. Ethnologen bleiben: „devotees of the cult of the exotic“ (Nida, 1966:273). Sie möchten durch teilnehmende Beobachtung und Befragung der Ethnie etwas über deren Lebensumstände erfahren und lernen, Missionare dagegen lehren den christlichen Glauben. Belehrung - auch außerhalb der christlichen Doktrin - wird von Ethnologen abgelehnt, da: „...they feel a certain professional pride in refusing to make recommendations as to how situations might be improved“ (Nida, 1966:274). Dies wird als Einmischung und Ethnozentrismus verstanden (Stipe, 1980:165ff.).
Das feindliche Verhältnis zwischen beiden Personengruppen läßt sich mit ihren Zielen und Aufgaben erklären. Der Ethnologe will das Fremde verstehbar und verständlich machen, um damit Voraussetzungen für eine humane Begegnung verschiedener Kulturen zu schaffen. Unterschiede zwischen menschlichen Gemeinschaften und ihren Lebensformen sollen dabei erkannt, verstanden, interpretiert und in die eigene Gesellschaft ‘übersetzt’ werden (Fischer, 1988:19f.). Der Ethnologe ist einem Schüler vergleichbar, seine Feldforschungserfahrung wird mit einer „zweiten Sozialisation“ verglichen (Hirschberg, 1988:149). Das Verhalten des Ethnologen kann dabei nicht wertfrei bleiben, allerdings bemüht er sich um eine ‘objektive’ Beschreibung der Ethnie (Müller/Sundermeier, 1987:93).
Dem Missionar geht es darum: „den Namen, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich, das Geheimnis von Jesus von Nazareth, des Gottes Sohn“ (Evangelii nuntiandi 22, zit. in Müller/Sundermeier, 1987:282) allen Völkern zu verkünden. Er will alle bisher nicht-evangelisierten Völker - die sogenannten ‘Heiden’[31] - für den christlichen Glauben gewinnen. In diesem Sinne setzt er sich für den kulturellen Wandel weg von der autochthonen Religion hin zum Christentum ein (Hempenstall, 1975:60). Wichtig ist ihm die Indigenisation[32] - also die ‘Einheimischmachung’ oder ‘Einpflanzung’ - der Kirche im fremdgesellschaftlichen Kontext, um so zu einer gelungenen Akkulturation der Ethnie beizutragen (Triebel, 1988:11). Indigenisation ist erreicht, wenn es im betreffenden Missionsgebiet eine Kirche mit einheimischem Klerus sowie mit geistiger, organisatorischer und finanzieller Selbständigkeit gibt (Angrosino, 1994:825). Die Gründung dieser Kirche ist das eigentliche Ziel der Mission (RGG, 1960:997):
„Dans le travail missionnaire, l’acculturation (vue du côté de l’homme d’Eglise) serait l’effort que le missionnaire consent (et, derrière lui, l’Eglise qu’il représente) pour diminuer la distance entre la culture des gens et celle qu’impliquent sa personne et le message qu’il prêche“ (Maurier, 1993:200).
Die Legitimation für die Aufgabe des Missionars ergibt sich aus dem Missionsbefehl der Bibel in Matthäus 28, Vers 19-20:
„19Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, 20und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Die Bibel, 1980:1127, Hervorhebung J.R.).
O’Neill bezieht sich wiederholt auf diesen Missionsbefehl, wenn er sagt:
„But, of course, the reason we went there at all, was that we were commissioned, we considered ourselves ordained ministers of Christ, commissioned to preach the Gospel, which he (Jesus, J.R.) announced very clearly“ (19.3.96).
[...]
[1] Tim O’Neill missionierte von 1949 bis 1956 bei den Mengen. Michel Panoff führte zusammen mit seiner Frau FranVoise vier Feldforschungen bei den Mengen durch: 1.) Dezember 1966 bis November 1967; 2.) Mai bis Juni 1968; 3.) Oktober 1969 bis Januar 1970 und 4.) 1977. 1986 und 1989 folgten weitere Feldforschungen in Neubritannien. Zwischen O’Neills Weggang 1956 und Panoffs erster Feldforschung 1966 liegen nur zehn Jahre, so daß es sich um die gleiche Generation von Menschen handelt. Die zeitliche Distanz ist für einen direkten Vergleich deshalb nicht zu groß.
[2] Vorausgesetzt wird hier, daß jede Art von Ethnographie: „a process of interpretation, not of ex- planation“ ist (Clifford, 1983:142, FN 1).
[3] ‘Ethnologe’ steht im Rahmen dieser Arbeit für eine geschlechtsunabhängige Berufsbezeichnung. Ich bin mir allerdings der Problematik dieses Sprachgebrauchs bewußt. Eine Entscheidung für den zusätzlichen Gebrauch der weiblichen Form hätte umständliche Formulierungen nach sich gezogen, etwa im Fall von Flexionen und bei Adjektiven. Als geschlechtsneutrale Kategorie möchte ich auch verstanden wissen: Feldforscher, Wissenschaftler, Leser, Anderer/Fremder.
[4] Im Gegensatz zur Definition von Hans Fischer (in Hirschberg, 1988:129) verstehe ich hier unter ‘Ethnographie’ (griech. ethnos = Volk und graphein = schreiben) einen Text, der auf der Feldfor- schungserfahrung eines ausgebildeten Ethnologen basiert (Marcus/Cushman, 1982:27).
[5] Beispiele dafür sind: Paul Rabinow (1977): Reflections on fieldwork in Morocco; Jean- Paul Dumont (1978): The headman and I; Kevin Dwyer (1982): Moroccon dialogues. Neben dieser sogenannten ‘bekennenden Literatur’ veröffentlichten die oben genannten Autoren ‘klassische’ Ethnographien, um dem Anspruch an ‘Wissenschaftlichkeit’ in ethnologischen Fach- kreisen gerecht zu werden (Kohl, 1993:122f.; s. auch Fuchs, 1991:311).
[6] Unter ‘Subjektivismus’ versteht Bourdieu eine theoretische Erkenntnisweise, die sich ausschließ- lich auf subjektive Gegebenheiten bezieht, d.h. auf Wahrnehmungen, Intentionen etc., so wie sie der praktischen Erfahrung sozialer Akteure gegeben sind. Mit ‘Objektivismus’ meint Bourdieu die vom Subjekt unabhängigen Sachverhalte, also z. B. Gesetze, Systeme, Strukturen etc. bei Vernachlässigung der subjektiven Faktoren (Bourdieu, 1987:50f.).
[7] Den Begriff des „kulturellen Insiders“ entlehne ich Clifford (1983:122). Ich benutze den Begriff ‘Outsider’, um Panoffs Position bei den Mengen zu charakterisieren. Diese Gegenüberstellung entspringt meinem subjektivem Empfinden, daß man in einem 7-jährigen ununterbrochenen Auf- enthalt bei einer Ethnie mehr über diese lernen kann als in einigen temporären Feldforschungs- aufenthalten (s. dazu Geertz, 1987:290; Herzfeld, 1983:151 und Tyler, 1991:92).
[8] Unter ‘story’ verstehe ich hier: „...interpretive devices which give meaning to the present in terms of location in an ordered syntagmatic sequence...“ (Bruner, 1986:142). Die narrativen Strukturen einer ‘story’ verleihen unseren Erfahrungen Sinn und organisieren sie.
[9] Mit ‘verstehen’ bezeichnet Gadamer (1984:25, 39) die Fähigkeit, für etwas Verständnis zu ha- ben. Verstehen meint, die Kunde eines Textes auf ihre ursprüngliche Authentizität zurückzu-
führen; also auf das, was der Autor mir sagen wollte, wenn ich sein Gesprächspartner gewesen wäre: „Wer einen Text verstehen will, ist vielmehr bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen“ (Gadamer, 1960:253).
[10] Marcus und Fischer sprechen hier vom „salvage motif“ (Marcus/Fischer, 1986:24).
[11] Josef Hüskes (ed.): Pioniere der Südsee. Werden und Wachsen der Herz-Jesu-Mission von
Rabaul zum Goldenen Jubiläum 1882-1932. Hiltrup und Salzburg 1932
[12] Parkinson (1907) und Vogel (1911) sprechen von den Omengen oder O-Mengen, erst Laufer (1955) scheint die Bezeichnung ‘Mengen’ in die deutschsprachige Literatur eingeführt zu haben.
[13] Der M.S.C. Missionar Pater Carl Laufer (1904-1969) gilt wegen seiner zahlreichen ethnologisch fundierten Veröffentlichungen (u.a. im „ Anthropos “) als anerkannter Ethnologe.
[14] Unter ‘Wissenschaftlichkeit’ verstehe ich hier nach Umberto Eco (1977:40ff.) eine Untersu- chung, die 1.) einen genau erkennbaren Gegenstand behandelt, über den 2.) Dinge gesagt werden, die noch nicht zuvor gesagt worden sind und 3.) die für andere von Nutzen ist.
[15] Ethnologie begreife ich im Kontext dieser Arbeit als akademische und universitäre Disziplin, die den Anspruch an ‘Wissenschaftlichkeit’ hegt.
[16] Die austronesische Sprachgruppe differenziert sich in eine indonesische, mikronesische, mela- nesische und polynesische und wird von 1/6 der Bevölkerung gesprochen. Die polynesische Sprachgruppe hat marginale Bedeutung, auch die meisten melanesischen Sprachen werden nur von wenigen Sprechern gesprochen (Ausnahme: Police Motu). Die 13 Sprachgruppen, die sich nicht der austronesischen Sprachgruppe zurechnen lassen, bezeichnet man pauschal als papua- nisch (oder nicht-austronesisch), obwohl diese untereinander nur geringe Ähnlichkeiten aufwei- sen (Rannells, 1991:70f.; s. auch Wesemann, 1985:32).
[17] Über die Schreibweise der Ethnie herrscht Unsicherheit. Laufer, O’Neill, Chowning und die Regierung sprechen von den ‘Mengen’. Whitehouse ist inkonsequent in der Schreibweise, er spricht von den ‘Mengan’ oder ‘Maenge’. Panoff benutzt ‘Mengen’ nur für die administrative Einteilung, schreibt aber ansonsten ‘Maenge’ (Panoff, 1969c:2) Er betont mehrmals, daß die administrative Schreibweise falsch sei (Panoff, 1968:275; 1969b:165; Brief vom 19.08.96). Ich benutze hier die deutsche Schreibweise ‘Mengen’ und für ihre Sprache ‘Maenge’.
[18] Die Extended Mengen werden von O’Neill mit Bushmengen bezeichnet. Der indigene, auch von Panoff benutzte, Ausdruck ist ‘Longueinga’.
[19] In Klammern steht der indigene Ausdruck in Maenge.
[20] Den früher gebräuchlichen Ausdruck ‘Brautpreis’ vemeide ich wegen seiner heutigen pejorativen Konnotation, statt dessen benutze ich den neutraleren englischen Terminus ‘bridewealth’.
[21] Zum Apostolischen Vikariat Melanesien gehörten Neuguinea, Neubritannien, Neuirland, die Salomonen und die umliegenden Inseln; zu Mikronesien die Karolinen-, die Gilbert-, die Ellice- und die Marshallinseln (Schröder/Winkler, 1982:5).
[22] Matupit bot sich an, da dort der Gründer der Firma „Eduard Hernsheim & Co.“ seit 1875 seine Geschäfte betrieb. Hernsheim war Anlaufstelle für die ca. 25 Europäer in Neubritannien (Schütte, 1986:23, 27).
[23] Die deutsche Kolonialzeit bestand von 1884 bis 1914. Die kaiserliche Regierung unter Otto von Bismarck (1815-1898) erteilte der 1885 gegründeten ‘Neuguinea Compagnie’ die volle Regie- rungsgewalt über Deutsch-Neuguinea. Die Compagnie gab den M.S.C. die Erlaubnis, Vunapope zu errichten (Schröder/Winkler, 1982:18).
[24] Im Volksmund heißen die M.S.C. deshalb ‘Hiltruper Missionare’.
[25] Während der japanischen Besetzung von Januar 1942 bis September 1945 verloren die M.S.C. durch Krankheit, Hunger und Hinrichtungen 26 Priester, 20 Brüder und 21 Schwestern (Archiv Hiltrup).
[26] Malmal wird auf einigen Karten und in der Literatur auch „Mailmail“ (Meyer, 1932:191) oder „Malimali“ (Panoff 1990a; F. Panoff, 1970a:238) genannt.
[27] Unter ‘Hauptmissionsstation’ verstehe ich hier nach Mirbt (1910:81) eine Station, in der wenig- stens ein ordinierter Missionar dauerhaft wohnt. Als ‘Außen- oder Nebenstation’ gilt jede Nie- derlassung, die zwar von einem Priester gelegentlich besucht, ansonsten aber von einheimischen Katechisten geführt wird. Die katholische Missionsmethode bestand in der Anlage weniger weit verstreuter Hauptmissionsstationen, von denen aus Außenstationen im Hinterland errichtet wur- den (Jaarsma, 1993:115).
[28] Bei Abreise O’Neills 1956 betrug die Gesamtzahl der Katholiken in Neubritannien 58.000 (Mulders, 1960:485). Heute sind von den insgesamt 4,3 Mill. Einwohnern PNGs 1,3 Mill. Katholiken (pazifik aktuell 30:13, 1996).
[29] Die M.S.C.-Archive wurden auch von anderen Ethnologen konsultiert, so z.B. von Salisbury (Salisbury, 1970:vii).
[30] Paul G. Hiebert (1978): Missions and anthropology: A love/hate relationship. Missiology 6(2):165-180
[31] Als ‘Heiden’ bezeichnet man alle Anhänger einer Fremdreligion bzw. nach katholischer Doktrin alle Nicht-Katholiken (Ohm, 1962:50). ‘Heiden’ gelten erst seit dem 2. Juli 1537 (Bulle von Papst Paul III) als: „veros homines fidei catholicae et sacramentorum capaces“ (Gusinde, 1958:17). Die Verkündigung des Evangeliums und die Verbreitung des Glaubens als Hauptauf- gabe der Mission wurden im Ersten Vatikanischen Konzil (1869/1870) festgelegt. Im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurde Mission als eine Wesensbestimmung der Kirche defi- niert (Müller/Sundermeier, 1987:139, 422).
[32] Unter ‘Indigenisation’ verstehe ich nach Whiteman (1983:412): „...a process in which indigenes (not foreigners) attempt consciously or unconsciously to take something borrowed from another culture and to alter it in such way that it becomes adapted to their culture and truly their own. ... Thus, indigenization is simply another form of cultural change.“
- Citation du texte
- Julia Ratzmann (Auteur), 1997, Die kulturelle Repräsentation der Mengen in Neubritannien, Papua-Neuguinea. Eine Untersuchung der missionarischen und ethnologischen Perspektive im Kontext der writing-culture-Debatte., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11154
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