Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Analyseansatz
3. Bibliographische und biographische Anmerkungen
4. Der geschichtliche Kontext
5. Der Text
5.1. Inhalt
5.2. Aufbau des Buches
5.3. Hauptfiguren
5.4. Erzählperspektive
5.5. Sprache
5.6. Textinhalt und Textkritik
6. Die Bilder
6.1. Farben und Komposition
6.2. Umschlag:
6.3. Bild – Text Interpedenz
7. Eigene Meinung
Literatur:
„Die Aufgabe von einem Bilderbuch besteht darin, den Blick der Kinder für unsere Welt zu schärfen. Sie sollen zur Bewusstseinsbildung der Kinder beitragen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bilderbücher darauf geprüft werden müssen, ob ihre Intention mit einer pädagogischen Relevanz und Verantwortung einhergeht.“[1]
1. Einleitung
Kinder und der Holocaust. Ein Widerspruch in sich? Macht eine Beschäftigung mit Kindern und diesem Thema einen Sinn? Oder gefährdet man Kinder dadurch, verschreckt man sie? Diese Frage ist und wird nach wie vor heftig diskutiert. Ein Versuch Kindern einen Zugang zu diesem Thema zu verschaffen ist der Einsatz von Bilderbüchern.
Seit den 80er Jahren erscheinen in Deutschland vermehrt Bilderbücher, die das Thema „Holocaust“ bzw. „Nationalsozialismus“ thematisieren. Das besondere an diesen Bilderbüchern ist, dass die Adressaten, nicht wie man bei Bilderbüchern annehmen könnte, Kinder von ca. 3- 6 Jahren die Zielgruppe darstellen, sondern Kinder des dritten und vierten Schuljahres.
Kann das Medium Bilderbuch das Thema „Holocaust“ vermitteln oder einen guten Einstieg in diese schwierige Thematik darstellen? Sicherlich werde ich diese Frage mit dieser Hausarbeit nicht beantworten können, jedoch werde ich mich exemplarisch mit einem relativ neuen Bilderbuch zum „Holocaust/Nationalsozialismus“ und dessen Gehalt auseinandersetzen.
Anlass der vorliegenden Hausarbeit war das Seminar “Literalität und Bildung“, welches ich im Sommersemester 2006 besucht habe und in dessen Rahmen ich mich mit Bilderbüchern zu dieser Thematik auseinandergesetzte. Im Folgenden werde ich versuchen mich dem Bilderbuch „Anne Frank“ analytisch zu nähern.
2. Analyseansatz
Der thematische Analyseansatz stellt das Thema des Buches heraus und betrachtet dessen Umsetzung.[2] Ich habe diesen Ansatz gewählt, da im vorliegenden Buch die Thematik des Nationalsozialismus bzw. das Leben im Nationalsozialismus am Beispiel von Anne Frank den Anlass zum Verfassen dieses Buches darstellten. Die Vermittlung der geschichtlichen Problematik durch das Beispiel des Mädchens Anne Frank kann als Hauptanliegen betrachtet werden.
3. Bibliographische und biographische Anmerkungen
Das Bilderbuch „Anne Frank“ erschien in der deutschen Übersetzung 2005 im Arena Verlag
GmbH. Die englische Originalausgabe erschien ebenfalls 2005 bei Random House Children Books. Das Buch umfasst 36 Seiten. Sein Format beträgt 25 cm x 27 cm. Dieses Buch ist aus einer Zusammenarbeit von Josephine Poole und Angela Barrett hervorgegangen. Die Übersetzung ins Deutsche ist von Mirjam Pressler.
Auf der ersten Seite des Buches sind die drei Mitwirkenden kurz skizziert, was im folgenden in Anführungszeichen dargestellt und teilweise ergänzt wird.
Josephine Poole
„ hat mehrere Bücher für Kinder und Erwachsene geschrieben. Außerdem arbeitet sie als Fernsehautorin. Sie lebt in Somerset, England.“
Angela Barrett
„studierte am Royal College of Art und begann nach ihrem Abschluss im Jahr 1980 eine Karriere als Illustratorin. Sie erhielt den Smarties Preis und den WHS-Illustrationspreis. Ihr Werk wurde in der Magic Pencil Ausstellung der British Library gezeigt.“
Mirjam Pressler
„ist freie Autorin und Übersetzerin und wurde für ihr Werk mehrfach ausgezeichnet. Anne Franks Tagebuch wurde von ihr ins Deutsche übersetzt.“ Sie wurde 1940 in Darmstadt geboren und besuchte die Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt. Sie ist heute als freie Übersetzerin und Schriftstellerin tätig und lebt in der Nähe von München. Neben zahlreichen Auszeichnungen wurde sie für ihr Gesamtwerk als Übersetzerin mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet.[3]
4. Der geschichtliche Kontext
Juli 1929 Adolf Hitler wird auf Drohung die Partei zu verlassen zum Vorsitzenden der NSDAP (Nationalsozialistische Arbeiterpartei) ernannt
Sept. 1930 Die Nationalsozialisten bilden die zweitgrößte Partei im deutschen Parlament
Jan. 1933 Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt
Feb. 1933 Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird eingeschränkt
März 1933 Das Hauptkonzentrationslager Dachau wird für politische Gegner erbaut
April 1933 „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“: Entlassung oder Zwangspensionierung politisch „unzuverlässiger Elemente“ und von Beamten jüdischer Herkunft
„Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen“:
Begrenzung des Anteils jüdischer Schüler und Studenten auf 1,5%
Juli 1935 Einführung des „Ariernachweises“ für die Aufnahme in die Deutsche Studentenschaft bzw. die Deutsche Fachschulschaft
Sept. 1935 „Nürnberger Gesetze“: “ Reichsbürgergesetz“ (Entzug aller staatsbürgerlichen Rechte für deutsche Juden), „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ (Strafbarkeit von Eheschließungen und außerehelichen sexuellen Beziehungen zwischen Juden und sogenannten „Deutschblütigen“)
Frühjahr
1938 Im ganzen Reichsgebiet Einschüchterungs- und Terroraktionen gegen Juden von der NSDAP und der SA
Juni 1938 Aktion „Arbeitsschau Reich“: Verhaftung und KZ-Einweisung von Tausenden „Assozialen“ und etwa 1500 Juden[4]
Juli 1938 Einführung besonderer Kennmarken für Juden
Nov.1938 „Reichskristallnacht“: Zahlreiche feindliche Übergriffe auf Juden, Ermordung von über hundert Juden, Verschleppung von 26.000 Personen in die KZs, Zerstörung von nahezu allen Synagogen und 7000 jüdischen Geschäften Verbot der gesamten jüdischen Presse, Konfiszierung jüdischen Vermögens
Sept.1939 Großbritannien und Frankreich erklären Deutschland den Krieg
Nov. 1939 Missglückter Attentatversuch auf Adolf Hitler in München
Mai 1940 Deutschland überfällt die Niederlande, Kapitulation der niederländischen Armee
Juni 1940 Beginn der Massenmorde an Juden im Reich
Okt. 1940 Deportation von 7500 Juden aus dem Saargebiet
Juni 1941 Massenerschießung von Juden in der litauischen Grenzstadt Garsden; Beginn der systematischen Ausrottung der europäischen Juden, Bildung großer Kriegsgefangenenlager
Sept. 1941 Einführung des „Gelben Sterns“ für Juden ab sechs Jahren
Erster Massenmord an 600 sowjetischen Kriegsgefangenen und 300 anderen Gefangenen im KZ Auschwitz
Okt. 1941 Verbot der Auswanderung von Juden aus dem deutschen Machtbereich
Dez. 1941 Deutschland erklärt den USA den Krieg
Okt. 1944 letzter Transport nach Auschwitz, „Vergasung“ des größten Teils der Beteiligten
April 1945 Adolf Hitler begeht in Berlin Selbstmord
Mai 1945 Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht
5. Der Text
5.1. Inhalt
Erzählt wird die Geschichte von Anne Frank, einem jüdischen deutschen Mädchen. Sie lebt in Deutschland zu der Zeit als Adolf Hitler an die Macht kommt. Es wird beschrieben, wie Juden mehr und mehr diskriminiert und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Anne und ihre Familie fliehen vor den Nationalsozialisten in die Niederlande, wo sie schließlich Unterschlupf in einem Hinterhaus finden. Dort beginnt Anne ihr später berühmt gewordenes Tagebuch zu schreiben. Die Familie Frank wird verraten und von Polizisten abgeführt. Am Schluss erfährt man, dass Annes Vater der einzige Überlebende der Familie ist.
Anmerkung:
Das Buch enthält keine Seitenzahlen, im Folgenden wird die erste Doppelseite, welche auch das erste Bild enthält, als Seite 4/5 betrachtet.
5.2. Aufbau des Buches
Neben einem Vorwort von Mirjam Pressler ist die Erzählung von einem Originaltagebuchausschnitt der Anne Frank auf der einen Seite bzw. einer chronologischen Zeittafel auf der anderen umrahmt. Im Vorwort stellt Frau Pressler die Frage, warum ein solches Buch „nötig sein könnte“. Sie begründet ihren Zuspruch damit, dass man mit einer kindgemäßen Darstellung von Anne Franks Geschichte einer späteren Idealisierung von Anne Frank entgegen wirken könnte.
Die Zeittafel gibt Aufschluss darüber wie Deutschlands Weg in den Krieg chronologisch von Statten ging, parallel hierzu wird der Weg von Annes Tagebuch nachvollzogen.
Einer Vorstellung von Anne und ihrer Familie folgt eine Skizzierung der gesellschaftlichen Situation in Deutschland und eine Vorstellung Adolf Hitlers.
5.3. Hauptfiguren
Die Hauptfigur Anne Frank wird direkt mit dem ersten Satz eingeführt „Die Geschichte der Anne Frank beginnt…“. Eine weitere wichtige Figur stellt Annes Vater dar. Er wird neben Anne am häufigsten dargestellt und hat im Buch eine Beschützerrolle, was beispielhaft an der Szene auf S.10 erkennbar ist, in der eine Glasscheibe zerspringt. Annes Vater hält schützend die Hand über den Kopf seiner Frau.. Die Darstellung auf Seite 14 zeigt ihn in Nahaufnahme. Sein Gesicht hat weiche Züge, er hat einen liebevollen Blick. Annes Vater wirkt im vorliegenden Buch wie die zentrale Bezugsperson für Anne.
5.4. Erzählperspektive
Der Leser bzw. der Betrachter dieses Bilderbuches ist zunächst in zwei parallel ablaufende, wenn auch zusammenhängende, Geschichten involviert. Auf der einen Seite werden Anne und ihre Familie vorgestellt, auf der anderen Seite die allgemeinen Lebensumstände in Deutschland.
Diese Form der Erzählung kann nur von einem auktorialen Erzähler geleistet werden. Der Erzähler ist allwissend, steht außerhalb der Geschichte und kennt die Gefühle und Gedanken der Figuren.
5.5. Sprache
Auffällig ist die Sprunghaftigkeit der Sprachqualität. So ist die Länge der Sätze meist kurz gehalten, wogegen die Wortwahl teilweise anspruchsvoll ist. (z.B. „Hetzkampagnen“ S.15 ) Das Buch enthält keine Altersangabe, was jedoch bei der wechselnden Sprachqualität eventuell als sinnvoll zu erachten wäre. Die Erzählperspektive wechselt von der Betrachtung von Anne Franks persönlicher Situation zu den politischen und gesellschaftlichen Begebenheiten und Entwicklungen Deutschlands.
5.6. Textinhalt und Textkritik
„Anne Frank war ein jüdisches Mädchen in Deutschland“. Diese Art der Formulierung impliziert eine grundsätzliche Unterscheidung von der deutschen Nationalität und dem jüdischen Glauben. Diese Darstellung ist so zunächst falsch, es könnte vielmehr lauten:
Anne Frank war ein deutsches, jüdisches Mädchen.
Nach der Vorstellung von Anne (S. 5) und einer kurzen Darstellung der politisch gesellschaftlichen Lage in Deutschland (S. 6/7) kommt es auf Seite 8 zu einer Vorstellung Adolf Hitlers, die an dieser Stelle für mein Empfinden unnötig ist: „ Es gab einen Mann namens Adolf Hitler, ein steifer, kleiner Mann mit Schnurrbart.“ Der Satz wirkt störend und unnötig, da hier auf Äußerlichkeiten eingegangen wird, während der Resttext die politische Person Adolf Hitlers zum Thema hat.
Auch enthält der Text sprachliche Schwächen, die wahrscheinlich aus der zu genauen wörtlichen Übersetzung ins Deutsche resultieren, beispielsweise „Kein Wunder, dass sie ihm (Adolf Hitler) zujubelten, wenn er versprach, Deutschland wieder reich und stark zu machen.“ (S. 8)
Auch der folgende Absatz lässt viel Spielraum für Kritik an der Verfassung des Textes:
„ Wer war schuld an den Schwierigkeiten der Deutschen? Hitler wusste die Antwort. Er beschuldigte die Juden, sie würden den Deutschen die besten Arbeitsplätze wegnehmen und ehrlichen Menschen das Brot vor dem Mund wegschnappen. Und das sei nicht gerecht, denn die Deutschen wären etwas Besonderes – die Beste Rasse der Welt!“ (S. 8)
An diesen Abschnitt schließt sich kein Abschnitt, der das Gesagte relativiert oder in Frage stellt, ganz im Gegenteil: Es wird beschrieben, wie immer mehr Menschen für die Nazi-Partei stimmten und Hitler zuhörten. Die Formulierung „wusste die Antwort“ impliziert eine Art Tatsache. Aus diesem Abschnitt kann ein Kind die scheinbar von der Autorin bezweckte Absurdität nicht erfassen, da dieser Abschnitt eine für Kinder nicht sofort erkennbare Ironie enthält. Möglicherweise wäre diese Stelle eher für einen kurzen Einschub geeignet, der Fragen enthalten könnte.
Es wird beschrieben, wie die Juden in Deutschland zunehmend diskriminiert wurden und wie die Gewaltbereitschaft gegenüber den Juden anstieg (S. 11). Als Untermalung dieser Gewaltbereitschaft kann man das Bild 5 ansehen. (siehe Bildbeschreibung). Der Formulierung „Wenn sie (Anm. die Juden) versuchten sich zu wehren, wurden sie zusammengetrieben und abtransportiert“ (S.11) folgt an dieser Stelle keine weitere Erklärung, wohin sie gebracht wurden. Diese Textstelle wirkt wie eine Leerstelle. Wohin wurden die Juden gebracht? Von wem? Wie? Erst auf Seite 15 ist die Rede von Lagern, in denen die Juden für die Deutschen arbeiten mussten. Hier wird aber kein Bezug auf das „abtransportieren“ oder auf „Lager“ genommen.
Es wird geschildert, dass die Juden immer mehr Angst bekamen, und dass Herr Frank eine Wohnung und eine Arbeit in den Niederlanden fand. Auf Seite 12 wird durch einen Besuch von Anne im Büro ihres Vaters die Sekretärin von Annes Vater vorgestellt. Mit der Formulierung „Damals konnte Miep noch nicht wissen, dass das Leben der Familie Frank einmal von ihr abhängen würde“, wird ihre zentrale Bedeutung für die weitere Geschichte betont.
Seite 15 bringt dem Leser zunächst Anne und ihre Eigenarten ein Stück näher:
„ Sie tat nichts lieber als Witze zu erzählen und Fratzen schneiden, sodass alle, sogar die Lehrer, lachen mussten“. Hieran fügt sich ein Abschnitt über Annes Eltern.
Der letzte Abschnitt schwenkt wieder den Fokus auf die Entwicklungen außerhalb der Familie Frank. Hier werden die „Lager“ erwähnt (siehe oben) und von Schikanen berichtet, die die Juden ertragen mussten. Seite 16 verbindet Annes Alltag mit den äußeren Umständen. Man erfährt, dass die Niederlande von Deutschland überfallen worden waren und dass fortan alle Juden, die älter als sechs Jahre alt waren, einen Judenstern tragen mussten und nicht mehr befugt waren öffentliche Plätze zu besuchen. Der Text wird an dieser Stelle von dem Bild 9
verstärkt. Das Bild zeigt die Konsequenzen dieser Bestimmung auf Annes Situation.
Seite 18 stellt das Hinterhaus vor und es wird berichtet, dass Herr Frank dieses in größter Gefahr für seine Familie herrichtete. Nun waren sie „auf das Schlimmste vorbereitet“, wobei „das Schlimmste“ zunächst nicht weiter charakterisiert wird. Fraglich bleibt auch, wie man sich auf das Schlimmste überhaupt vorbereiten kann. Es wird von einem Brief berichtet, der Margot dazu aufforderte sich zum Arbeitsdienst zu melden, woraufhin die Familie anfing die wichtigsten Dinge zusammenzupacken, um im Hinterhaus unterzutauchen. Eine Leerstelle im Text ist die Textstelle:
„Sie sollte für die Deutschen arbeiten. Wahrscheinlich würde sie ihre Familie nie wieder sehen.“ Wieder wird nicht erwähnt, dass in den Konzentrationslagern unzählige Menschen starben. Dies erschließt sich dem (Vorkenntnis besitzenden) Leser indirekt.
Auch die Textstelle auf der nachfolgenden Seite:
„ ..denn jeder Jude mit einem Koffer machte sich sofort verdächtig“ (S. 21) kann als halbherziger Versuch der Darstellung dieser Zeit angesehen werden. Sicherlich erfährt man, dass gegen Juden gehetzt wurde, die Dimension dieses Hasses bleibt dem Leser aber verborgen.
So könnten für ein Kind an dieser Stelle verschiedene Fragen entstehen, z. B. warum die Deutschen es dann nicht begrüßten, wenn die Juden verschwinden würden. Dadurch würden sie doch den Deutschen keine Arbeitsplätze etc. mehr wegnehmen. Einerseits werden die Juden beschuldigt den Deutschen die Arbeitsplätze wegzunehmen, andererseits zwingen sie diese für sich zu arbeiten. Was für Arbeit sollten sie für die Deutschen verrichten?
Auf den nächsten Seiten wird der Alltag der Familie im Hinterhaus beschrieben. Auf Seite 19 ist die Rede von „Blutgeld, das die Deutschen für jeden gefangenen Juden bezahlten“. Diese Stelle kann man wie die vorherige Textstelle ohne die Idee der Nationalsozialisten zu kennen, nicht nachvollziehen. Es ging ihnen ja nicht um eine Vertreibung der Juden, sondern um Ausrottung des gesamten jüdischen Volkes – um Mord. Diese Information geht in dem Anspruch der Kindgerechtheit unter.
Es wird erzählt wie die Untergetauchten entdeckt wurden und schließlich, dass Herr Frank der einzige Überlebende der Familie war. Der Abschluß des Buches lautet:
„ Anne Franks kurzes Leben war zu Ende. Aber ihre Geschichte fing erst an.“
Mit dieser Aussage werden Kinder nicht viel anfangen können, das kleine Wort „aber“ schwächt die Tatsache, dass „das kurze Leben zu Ende“ war ab. Dies erweckt den Eindruck, als fehle den Verfasserlinnen lediglich der Mut das Gesagte für sich stehen zu lassen.
6. Die Bilder
6.1. Farben und Komposition
Die Bilder sind in Pastelltönen gehalten, dadurch wirken die Bilder sehr weich gezeichnet. Die Bilder wirken fast wie Fotographien; ihre Farbgebung wird von Erdtönen wie braun und beige dominiert. Die Bilder sind monoszenisch angeordnet, was bedeutet, dass die Bilder einen zentralen Moment darstellen, der auf einen zentralen Augenblick hin ausgerichtet sind.[5] Sie nehmen in der Regel ca. zweidrittel einer Doppelseite ein.
Der Text steht entweder an einem der Außenränder oder wird durch Bilder eingerahmt. Die einzige Abweichung dieser Struktur bildet das Bild von Anne, die an ihrem Schreibtisch sitzt (S. 25). Hier nimmt sowohl der Text als auch das Bild eine Seite ein.
6.2. Umschlag:
Die Vorderseite des Umschlags zeigt uns Anne mit zwei weiteren Mädchen. Sie haben sich gegenseitig untereinander eingehakt und tragen allesamt braune Mäntel. Auf ihren Jacken tragen die drei Mädchen einen gelben Stern mit der Aufschrift „Jood“. Der Gesichtsausdruck der Mädchen wirkt sehr traurig; eines der Mädchen hat die Augen geschlossen. Die zentrale Position Annes in Verbindung mit dem Titel und dem direkten Blickkontakt stellen zum Leser eine direkte Verbindung her. Die Farben des Bildes sind hauptsächlich braun und grau, was den Eindruck der Traurigkeit verstärkt. Dieses Bild wird in der Geschichte nochmals verwendet. (S. 16/17) Des Weiteren finden wir auf dem Buchdeckel neben dem Titel die Namen der Verfasserin, der Illustratorin, der Übersetzerin sowie den Verlag. .
Die Rückseite des Buchumschlags enthält eine kurze Inhaltsangabe.
Ich werde nun die Bilder in ihrer Reihenfolge skizzieren.
Auf dem ersten Bild (Bild 1) dominieren helle, freundliche Farbtöne. Man sieht ein Mädchen von hinten an einem Babybett stehen, welches sich in einem schön eingerichteten Zimmer befindet. Das Fenster ist offen, das Wetter schön. Der Gesichtsausdruck des Kindes, welches sich über das Bett beugt, wird jedoch verhindert. Diese eher positive, behütete Stimmung des Bildes steht im Gegensatz zu der nächsten Doppelseite (Bild 2), auf der die Situation Deutschlands anhand des Textes und des Bildes geschildert wird. Es herrschen dunkle braune, grüne und graue Töne vor. Neben der Tatsache, daß braun auch eine vorherrschende Farbe im Nationalsozialismus (Uniformen) war, werden braune Farbtöne in Bilderbüchern oft in Verbindung mit dem Tod verwendet. Die Kinder, die an der Hauswand gelehnt sind, wirken freudlos, sie stehen im Schatten, ihr Blick ist abwesend. Im Hintergrund wird ein Plakat von Adolf Hitler aufgehängt. Die Männer, die dies tun, tragen braune Anzüge. Bild 3 zeigt Adolf Hitler am linken Rand der Seite als überdimensionales Poster in Relation zum Restbild.
Vor dem Bild Hitlers laufen zwei Kinder, was dem Betrachter verdeutlicht, dass dieser Mann eine große Rolle gespielt haben muss. Sein Blick ist starr und zum erläuternden Text hin gewendet, seine Haut grau gezeichnet.
Bild 4 ist wieder stärker von freundlicheren Farben gekennzeichnet. Man schaut in einen Umkleidegang einer Schule, in dem ganz hinten Anne mit dem Rücken zu den Jacken steht. Gegensätzlich zu den Farben dagegen die Situation: Drei Mädchen stehen vor ihr und es scheint als würde Anne von ihnen bedroht werden. Dieses Bild vermittelt ein Gefühl der Bedrohung und der Hinterhältigkeit, da die Bedrohung an einem Ort stattfindet, an dem Anne allein wirkt gegenüber den anderen Kindern. Bild 5 dagegen macht aus der hinterhältigen Bedrohung eine offensichtliche. Man sieht ins Innere des Ladens von Annes Vater. Hinter der Ladentheke knien (wahrscheinlich) Frau Frank und Herr Frank, der schützend seine Hand über den Kopf seiner Frau hält. Das Schaufenster ist mit Gewalt zerstört worden (geht aus dem Text S. 11 hervor), Glassplitter stürzen ins Innere des Geschäfts. Die gekrümmte Haltung und die zugekniffenen Augen von Frau Frank spiegeln die Angst der Beiden wieder. Der Leser wird auf Augenhöhe mit den bedrohten Personen gebracht, was das Hineinversetzen erleichtert. Auch dass die beiden Personen an den Rand gezeichnet sind, verstärkt den Eindruck, daß sie zurückgedrängt werden oder sich „verkriechen“.
Bild 6 ist die erste Darstellung nach dem Umzug der Familie Frank. Die Zuflucht oder der Schutzraum vor der Gefahr wird wieder durch helle Farbtöne im Bild dargestellt. Die Sekretärin Miep wird vorgestellt, die mit einem liebevollen Gesichtsausdruck Anne an der Schreibmaschine beobachtet. An dieser Stelle ist die Abbildung eine genaue Darstellung des Textes, wie man an dem weißen Pelzmantel ersehen kann. Die Farbe weiß wird oftmals als Synonym für die Unschuld verwendet, was in diesem Fall Annes kindliche Unschuld betont.
Bild 7 zeigt Anne und ihren Vater, wie sie zusammen mit Annes Freundinnen am Tisch sitzen. Die Blicke sind bewundernd auf Herrn Frank gerichtet. Das Bild zeigt die Situation in einer Art Nahaufnahme, so dass der Leser genaue Gesichtszüge erkennen kann und ihm die Innigkeit und Idylle der Situation noch näher gebracht werden kann. Konträr hierzu ist das darauffolgende Bild 8, welches Anne zeigt, die vor der angelehnten Tür im Dunklen steht. Im Inneren des Raumes sieht man ihre Mutter, die sich ängstlich oder weinend an ihren Mann anschmiegt. Bild 9 bildet das selbe Bild, das auf dem Umschlag zu finden ist. Bild 10 veranschaulicht analog zu dem Text, was man sich unter dem dort beschriebenen Hinterhaus vorstellen kann. Es sieht sehr unlebendig und unpersönlich und unauffällig aus. Zusammengesunken auf ihrem Bett findet man Anne auf Bild 11 vor. Sie wirkt sehr traurig und allein. Die Schubladen und Schranktüren sind geöffnet, was in Verbindung mit dem Text an dieser Stelle erkennen läßt, dass sie dabei ist, ihre wichtigsten Dinge zusammenzupacken. Die durch das Fenster scheinende Sonne verstärkt den melancholischen und traurigen Eindruck des Bildes, weil sie so gegensätzlich zum Resteindruck ist. Eines der ergreifendsten Bilder für einen kindlichen Leser bildet sicherlich das Bild 12 . Man sieht Anne am Boden knien, wie sie von ihrer Katze Abschied nimmt, die in Bild 11 noch ein letztes mal mit ihr gemeinsam auf dem Bett saß. Dies fällt ihr sichtlich sehr schwer, was auch an ihren geschlossenen Augen deutlich wird. Dies ist eine Situation, die Kinder sehr gut nachempfinden können und die somit den emotionalen Zugang zu Anne verstärkt. Wieder wird der Leser auf Augenhöhe mit der Hauptperson gebracht. Bild 13 zeigt ihren „Umzug“, bzw. ihren Weg in das Hinterhaus. Dieser findet im Dunklen und Geheimen statt, was durch die dunkle Farbgebung hervorgehoben wird. Auffällig ist an diesem Bild auch, dass man bis auf Anne die Personen nur von hinten sehen kann. Das folgende Bild ist von seiner Farbgebung her eher positiv belegt. Die Farben sind hell gewählt. Anne trägt eine auffallend rote Schürze. Das Bild vermittelt etwas von Hoffnung und von Neuanfang, wie bei einem „normalen“ Umzug. Eine Vorstellung von Annes „neuem“ Alltag bekommt man auf Bild 14. Anne sitzt an ihrem Schreibtisch, ihr Tagebuch liegt vor ihr. Sie „starrt“ quasi die Wand an. Das geschlossene Fenster vermittelt im Vergleich zu Bild 1 eine Abgeschlossenheit.
Einen Eindruck der „Außenwelt“ bekommt der Leser durch das Bild 15, welches einen rauchverhangenen Himmel zeigt. Im Vordergrund steht eine Hausruine, die in einer tristen Landschaft voller Schutt und Asche steht. Auf Bild 16 sehen wir Anne zusammen mit Peter vor einem Fenster sitzen. Der Blick der Beiden ist zum Licht hin gewendet, ihre umschlungene Haltung wirkt sehr innig. Der Raum um die Beiden herum ist dunkel. Es scheint ihre Verbindung würde sie hoffen lassen nach vorne zu blicken.
Bild 17 zeigt Annes Gesicht mit direktem Blick zum Leser. Sie ist umzingelt von Beamten. Der einzige Beamte, dessen Gesicht zum Leser gerichtet ist, blickt zur Seite, was seinen anonymen Eindruck verstärkt. Auch der Totenkopf auf seiner Kopfbedeckung ist ein (für kindliche Leser) unnötiges Detail, was von den Verfasserinnen aufgenommen wurde. Annes Blick zum Leser dagegen wirkt hilfesuchend, ängstlich und gleichzeitig ruhig hilflos. Dieses Bild wirkt auch beängstigend, da der Leser aus der reinen Beobachterrolle herausgenommen und persönlich involviert wird. Kinder, die sich mit dem Mädchen Anne Frank (wenn auch nur ansatzweise) identifizieren, können von einem solchen Bild in Verbindung mit der Geschichte überfordert und verängstigt werden, Albträume oder Ähnliches erfahren. Die Geschichte des Holocaust wird hier auf eine so starke persönliche und gefühlsmäßige Ebene gebracht, die auch Erwachsene nur schwer verkraften können. Verstärkt wird dies noch durch die (bildliche) anschließende Ungewissheit, was Anne widerfahren ist. Das ist das letzte Bild von Anne. Bild 18 zeigt einen Arm, der nach den am Boden liegenden einzelnen Blätter greift. Auf dem letzten Bild (Bild 19) übergibt die Sekretärin Miep Herrn Frank Annes Tagebuch. Das Tagebuch bildet in diesem Bild den Mittelpunkt, den Fokus des Bildes. Sowohl der Blick von Herrn Frank, als auch der Blick der Sekretärin sind auf das Tagebuch gerichtet. Beide berühren mit ihren Händen das Buch, was ihre Verbindung, ihre durchlebte Geschichte symbolisiert.
6.3. Bild – Text Interpedenz
Würde man die Bilder isoliert vom Text betrachten, ließe sich zwar eine Ahnung bekommen, um was es sich in diesem Buch handeln könnte, jedoch würde man die Geschichte nicht erfassen können, da der Text den Hauptträger der Handlung bildet. Dies hängt außerdem damit zusammen, dass bestimmte Vorgänge wie z.B. „das Abtransportieren“ oder „die Lager“ nicht dargestellt werden. Ließe man wiederum die Bilder außen vor, ergäbe sich zwar eine in sich stimmige Geschichte, ihre Wirkung jedoch wäre eine andere. Bild und Text sind ineinander verzahnt. Die Bilder sind meist direkt auf den Text bezogen.
Die Heranführung an das Thema „Holocaust“ erfolgt in dem vorliegenden Buch anhand des Lebens von Anne Frank. Erst durch die bildnerische Darstellung von Anne wird es den Kindern ermöglicht, eine Verbindung – eine Identifikationsfigur - zu erschaffen.
7. Eigene Meinung
Mir gefällt das Buch „Anne Frank“ in seiner Gesamtkonzeption nicht. Das Thema Holocaust war lange Zeit ein Tabu im Medium Bilderbuch. Es stellt sich die Frage, ob man die traditionelle Vorstellung vom Medium Bilderbuch nicht neu ausrichten muss, wenn man mit Tabus bricht und damit auch den Anspruch verfolgt Kindern in diesem Fall einen Zugang zu einer schrecklichen Zeit zu verschaffen. Dass dies in dem vorliegenden Buch nicht der Fall ist zeigt das Ende. Ganz in Bilderbuchtradition wird ein scheinbar „glückliches Ende“ erschaffen.
Die Schilderung Adolf Hitlers halte ich für bedenklich, genauso wie die zu vereinzelten Angaben über das Vorgehen der Nationalsozialisten. Mir fehlt die Betonung der Absurdität und Grausamkeit dieser Zeit. Auch die Formulierungen finde ich oftmals nicht passend. Auf der einen Seite wird eine sehr einfache Sprache benutzt, auf der anderen gibt es Formulierungen wie „Feuerbrunst“ oder „Hetzkampagnen“. Der Versuch diese historisch hochkomplexe Zeit vereinfachend darzustellen ist meiner Meinung nach gescheitert. Um mich nicht falsch zu verstehen: Ich bin nicht der Ansicht, ein Bilderbuch könnte mit seiner geringen Text- und Bildkapazität eine solche komplexe Darstellung leisten, jedoch sollte man an den entscheidenden Stellen nicht den Fehler machen zu viele Informationen auszulassen. Dies könnte dazu führen, dass sich ein sehr fragmentarisches Bild bei den Rezipienten ausformt, welches durch eine falsche Wortwahl zusätzlich unterstützt werden könnte. Es ist fraglich ob sich das Medium Bilderbuch eignet um Kindern diese Thematik näher zu bringen. Wenn man aber dieses Ziel verfolgt, darf man nicht mit der Wahrheit geizen und sich auf den Schutzraum, den ein Bilderbuch traditionell bietet, berufen.
Generell kann man sagen, dass man Bilderbücher dieser Thematik nur als Einstiegshilfe für eine intensivere Auseinandersetzung verwenden sollte. Sie können keine umfassende Beschäftigung ersetzen. Sie werfen viele Fragen und Ängste auf.
Literatur:
Dahm, Volker; Mehringer, Hartmut; Möller, Horst (Hrsg.): Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich. München 1999
Doderer, Klaus (Hrsg.): Das Bilderbuch: Geschichte und Entwicklung des Bilderbuchs in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. Weinheim (u.a.) 1973
Poole, Josephine; Barrett, Angela; Pressler, Mirjam: Anne Frank. Würzburg 2005
Thiele, Jens: Das Bilderbuch. Ästhetik – Theorie – Analyse – Didaktik – Rezeption.
Oldenburg 2000
Links:
www.perlentaucher.de/buch/22727.html (aufgerufen am 25.9.2006 um 16Uhr)
[...]
[1] Doderer, S.114
[2] Jens Thiele: Das Bilderbuch. S.130ff.
[3] www.perlentaucher.de/buch/22727.html (aufgerufen am 25.9.2006 um 16Uhr)
[4] Die tödliche Utopie. S. 448 ff.
[5] Thiele: Das Bilderbuch. S. 56f
- Citation du texte
- Jasmin Hörning (Auteur), 2006, Thematische Analyse des Bilderbuchs "Anne Frank" , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111409
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