Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Grundlagen der Ethik
1.1 Eine Begriffsabgrenzung
1.2 Sichtweisen der Ethik
1.2.1 Die deskriptive Ethik
1.2.2 Die normative Ethik
1.2.3 Die Metaethik
1.2.4 Bedeutung für die Soziale Arbeit
2 Ethische Urteilsfindung in der Sozialen Arbeit
2.1 Die goldene Regel
2.2 Modelle ethischer Urteilsfindung
2.2.1 Das 3-Stufen-Modell nach Baum
2.2.2 Das 4-Schritte-Modell nach Tschudin
2.2.3 Das 6-Schritte-Modell nach Tödt
2.2.4 Das 4-Punkte-Grundmodell
2.3 Ethische Prinzipien
2.3.1 Menschenrechte
2.3.2 Soziale Gerechtigkeit
3 Schlussgedanke
Literaturverzeichnis
Einleitung
Im Berufsalltag eines Sozialarbeiters[1] treten laufend Situationen auf, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen. Hierbei spielt das Ethische Bewusstsein als notwendiger Teil der beruflichen Arbeit für jeden Sozialarbeiter eine nicht unwesentliche Rolle. Es stellt sich in Konflikt- und Dilemmatasituationen die Frage nach der ‚richtigen Entscheidung’. Sind Entscheidungen die aus der Gewohnheit heraus getroffen werden richtig oder müssen ethische Entscheidungshilfen hinzugezogen werden? In der Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Ethisches Handeln in der Sozialen Arbeit’ soll geklärt werden, ob und welche Entscheidungshilfen herangezogen werden können. Grundlage dieser Arbeit ist das Buch „Werte und Normen in der Sozialen Arbeit“ von Peter Eisenmann.
Im ersten Kapitel werden die Grundlagen der Ethik beschrieben. Dabei wird als erstes eine Abgrenzung von den häufig synonym verwendeten Begriffen ‚Moral’ und ‚Ethik’ vorgenommen. Im Anschluss daran werden die unterschiedlichen ethischen Sichtweisen dargestellt.
Nach dem Einstieg in die Grundlagen werden neben der ‚Goldenen Regel’ die verschiedene Modelle zur ‚Ethischen Urteilsfindung’ vorgestellt. Diese Modelle berücksichtigen ethische Grundsästze und Prinzipien und können dem Handelnden in der Sozialen Arbeit folglich in der Entscheidungssituation behilflich sein. Die ethischen Prinzipien, welche der DBSH zur Überprüfung und Korrektur des beruflichen Handelns verabschiedetete, sollen in diesem Kapitel abschlieβend ihren Platz finden.
Zum Abschluss folgt ein Resümee, welches zusammenfassend die Bedeutung der ethischen Urteilsfindung für die Soziale Arbeit beurteilt.
1 Die Grundlagen der Ethik
‚Ethik’ und ‚Moral’ werden im alltäglichen Sprachgebrauch oft verwendet, sorgen jedoch aufgrund der schwierigen Begriffsbestimmung häufig für Verwirrung wenn es um die korrekte Anwendung beider Begriffe geht. Im folgenden Kapitel sollen deshalb der Begriff ‚Ethik’ genauer definiert und Unterschiede zu dem häufig synonym verwendeten Begriff ‚Moral’ erörtert werden. Des Weiteren werden die verschiedenen Sichtweisen der Ethik beschrieben.
1.1 Eine Begriffsabgrenzung
Sucht man im Duden nach einer ausführlichen Definition für die beiden Begriffe ‚Ethik’ und ‚Moral’ muss man feststellen, dass keine detaillierte Differenzierung vorzufinden ist. Beide Begriffe werden mit ‚Sittenlehre’ übersetzt. Im wissenschaftlichen Sinne sollte aber die Ebene der Moral von der Ebene der Ethik unterschieden werden. Peter Eisenmann tut dies ausführlich und gut verständlich in seinem Buch ‚Werte und Normen in der Sozialen Arbeit’. Er definiert die Ethik als „…die wissenschaftliche Analyse des sittlichen Wollens und Handelns des Menschen unter Berücksichtigung personen- und situationsbedingter unterschiedlicher Gegebenheiten.“[2]. Die Moral hingegen entwickelt sich nach seinem Verständnis „…aus in einer bestimmten Zeit geltenden Grundsätzen und Normen, die auf Tradition, religiösen Glaubenssätzen und gesellschaftlichen Gegebenheiten beruhen und das Verhalten des Einzelnen gegenüber anderen beeinflussen.“[3]. Die Moral setzt sich nach seiner Auffassung praktisch mit dem auf die Sittlichkeit bezogenen Handeln auseinander und die Ethik stellt als philosophische Lehre die theoretische Auseinandersetzung mit der Sittlichkeit dar.[4] Annemarie Pieper umschreibt die Ethik als eine Lehre die sich um objektiv verbindliche Aussagen bemüht während die Moral rein subjektive Vorgaben bezüglich Verhalten und dessen Wertung macht.[5]
1.2 Sichtweisen der Ethik
Wie bereits oben festgestellt beschäftigt sich die ‚Ethik’ mit der Moralität des menschlichen Handelns. Sie möchte das menschliche, moralisch gute Handeln qualitativ unterscheiden können. Dies tut sie mittels verschiedener Sichtweisen, welche sich jeweils von einer bestimmten Grundnorm ableiten lassen. Bevor jedoch die verschiedenen Sichtweisen in den Blick genommen werden, sollte der Begriff „Grundnorm“ näher definiert werden. Nach Peter Eisenmann ist die Grundnorm „…das von einer Ethik formulierte Gebot, um dessen Erfüllung es in allem Gebotenen geht, weil mit diesem Gebot (entsprechend dieser Ethik) gesagt ist, was Wohlverhalten überhaupt heiβt.“[6] Aus dieser Grundnorm und den daraus ‚abgeleiteten Normen’ ergeben sich neben der Metaethik die normative und die deskriptive Sichtweise, die im Folgenden näher beschrieben werden.
1.2.1 Die deskriptive Ethik
Die deskriptive Ethik, welche auch als empirische Ethik bezeichnet wird, untersucht die bestehenden Moralkodices (in der Sozialen Arbeit die „Berufsethischen Prinzipien des DBSH, IASSW oder IFSW“, auch als „ethische Kodex“ bekannt[7] ), Wertordnungssysteme und Rechtsordnungen. Sie beschränkt sich auf das hier und jetzt einer existierenden Gesellschaft. Pieper und Schleiβheimer beschreiben diese Sichtweise als eine Wissenschaft, die den ‚Ist-Zustand’ einer existierenden Gesellschaft beschreibt, ohne dabei eigene Wertungen vorzunehmen, da diese bereits im verinnerlichten Norm- und Wertesystem des Menschen existieren[8]. Hierbei stellt sich allerdings die bekannte Frage, ob objektiv-nüchterne Beschreibungen überhaupt möglich sind.
1.2.2 Die normative Ethik
Die normative Ethik sucht nicht – wie bei der deskriptiven Ethik - nach Beschreibungen oder Erklärungen, sondern nach anerkannten Werten und allgemeingültige Normen. Sie hat einen wertenden Charakter und versucht universelle Motivationen, Prinzipien und Ziele herauszuarbeiten. Sie beansprucht eine Gültigkeit und Verbindlichkeit für alle Menschen. Zudem untersucht sie die Richtigkeit und Korrektheit einer Aussage indem sie moralische Werte und Handlungsformen untersucht. Handlungen werden folglich als ‚gut’ oder ‚schlecht’ beurteilt. Morscher unterscheidet innerhalb dieser Sichtweise zwischen der ‚Moraltheologie’ und ‚Moralphilosophie’. Beide haben sich historisch parallel entwickelt. Die Zielsetzung und Aufgaben beider Formen sind gleich, die Methodik jedoch unterschiedlich. Die ‚Moraltheologie’ zieht ihre Erkenntnisse aus übernatürlichen Quellen, die ‚Moralphilosophie’ hingegen stützt ich auf Erfahrungen und Vernunft[9].
Folgernd könnte man die normative Ethik als wertende und die deskriptive Ethik als beschreibende Sichtweise übersetzen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Schaubild nach E. Morscher[10]
1.2.3 Die Metaethik
Diese Sichtweise beschäftigt sich mit der deskriptiven wie auch normativen Ethik, setzt jedoch nach Scarano eine Stufe tiefer an. Denn sie fragt danach „…was überhaupt unter einem moralischen Urteil zu verstehen ist…“[11] und was mit der Handlung bezweckt wird. Es handelt sich hierbei um sprachlich formulierte Analysen von ethischen Grundsätzen und dem Herausfinden der logischen Struktur ethischer Urteile[12].
Schleiβheimer definiert Metaethik als „…metasprachliche Ethik, die Ebene der Reflexion über die Sprache der Ethik“[13].
1.2.4 Bedeutung für die Soziale Arbeit
Nach der näheren Auseinandersetzung mit den verschiedenen Sichtweisen der Ethik kann für die Soziale Arbeit abschließend festgestellt werden, dass sie sich vorrangig an der normativen Ethik orientiert. Denn das Handeln unterliegt der Normierung, d.h. den Vorgaben der Gesellschaft und des Staates und den Entscheidungen der jeweiligen Regierung. Somit hat sie die Normen und Gesetze zu analysieren und entsprechend wertend umzusetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie die anderen Sichtweisen komplett auβer Acht lassen kann. So sollte sich ein Sozialarbeiter beispielsweise in siner Profession mit den ethischen Prinzipien – welche im Kapitel 2.3 beschrieben werden –auseinander setzen. Die Metaethik sollte auch eine wesentliche Rolle spielen. Denn die ethischen Grundsätze sowie der verfolgte Zweck einer Handlung sollten stets reflektiert und daraufhin überdacht und eventuell verändert bzw. angepasst werden.
2 Ethische Urteilsfindung in der Sozialen Arbeit
In dem vorherigen Kapitel wurde der Begriff der Ethik aus theoretischer Sicht beschrieben und in seine einzelnen Bestandteile zerlegt. Was paβiert jedoch, wenn eine ethische Entscheidung in der Praxis gefragt ist? Ethische Entscheidungen (beispielsweise die Entscheidung für diese oder jene Handlung, das Verweigern oder Mitmachen,…) können zum einen nicht ohne die Auseinanderseztung mit der Ethik und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit getroffen, zum anderen nicht an andere übergeben werden. Es gibt verschiedene Modelle, die ethische Grundsätze und Prinzipien berücksichtigen und dem Handelnden in der Sozialen Arbeit folglich in der Entscheidungssituation behilflich sein können. Des weiteren gibt es ethische Prinzipien – verabschiedet vom Deutschen Bundesverband für Soziale Arbeit e.V. – die Richtlinien für ethisches Handelns in der Sozialen Arbeit darstellen. Bevor im folgenden Kapitel jedoch auf die Modelle und Prinzipien eingegangen wird, soll die ‚Goldene Regel’ vorgestellt werden.
2.1 Die goldene Regel
Die ‚Goldene Regel’ ist eine gebräuchliche Regel, die auf das sittliche Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen angewendet werden kann. Sie ist uns in zwei Formulierungen bekannt: die Positivformel und die Negativformel. Die Positivformel lautet: ‚Alles, was du willst, dass dir die Menschen tun, das sollst auch du tun!’. Die Negativformel sagt: ‚Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!’. Beide Formeln machen deutlich, dass man sich im Vorfeld über die Folgen seiner Handlung für den Betroffenen im Klaren sein muss. Hierbei ist jedoch die Subjektivität zu beachten. Klopfer zieht aus diesem Kontext heraus den Schluss, dass der Handelnde eine Handlung dann unterlässt, wenn er sie zwar von seinem Standpunkt aus vertreten kann, sie aus der Sicht des Betroffenen jedoch schlecht ist[14].
Was bedeutet nun die ‚Goldene Regel’ für den in der Sozialen Arbeit Tätigen? Bekanntlich arbeitet der Sozialarbeiter mit einem Klientel, welches in der Regel aufgrund der Nonkonformität am Rande oder auβerhalb der Gesellschaft bewegt. Handelt der Sozialarbeiter nun entsprechend der ‚goldenen Regel’, gilt es einen Maβstab zu finden, der mit seiner Bewertung, mit der Bewertung des Klienten und zusätzlich mit den Anforderungen der Gemeinschaft, Gesellschaft und des Staates zu vereinbaren ist. An dieser Stelle soll zur Veranschaulichung ein Praxisbeispiel dargelegt werden:
Ein Klient wohnt im ‚Betreuten Wohnen für Psychisch Erkrankte’ und hat groβe Schwierigkeiten mit der selbständigen Haushaltsführung. Der Klient fordert im Sinne der ‚Goldenen Regel’, dass man sich auf seine moralische Ebene begibt und beispielsweise sein Bedürfnis nach selbständigem Wohnen achtet und nicht in seine Privatsphäre eingreift. Der Sozialarbeiter ist aber angehalten, dem Klienten bei seiner Haushaltsführung zu unterstützen, so dass ihm die Wohnsituation nicht ‚über den Kopf wächst’ und er beispielsweise nicht in eine finanzielle Notlage gerät. Der Sozialarbeiter wird somit den moralischen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht, zugleich jedoch nicht mehr unbedingt jenen des Klienten. Er muss also einen gemeinsamen Nenner finden und durchsetzen. Ein Problem stellt die ‚goldenen Regel’ dar, wenn es um ein extremes moralisches Verhalten geht. Denn hier wird es schwer einen gemeinsamen Nenner zu finden. Schlussendlich bleibt die ‚Goldene Regel’ laut Anzenbacher eine Empfehlung, die Menschen in ihrer Wechselbeziehung als gleichwertig achtet und anerkennt und die berücksichtigt, dass andere Menschen so wie man selbst Bedürfnisse und Interessen haben[15]. Die ‚Goldene Regel’ kann keine Entscheidung in ‚gut oder böse’ aufteilen.
2.2 Modelle ethischer Urteilsfindung
Im folgenden Teil werden verschiedene Modelle vorgestellt. Diese Modelle sollen dem Handelnden in der Sozialen Arbeit in der Entscheidungssituation behilflich sein.
2.2.1 Das 3-Stufen-Modell nach Baum
Hermann Baum schlägt eine Methode vor, welche[16] ein immer wiederkehrendes Muster bietet.
Seines Erachtens sollte als erstes die eigene Weltanschauung kritisch überprüft werden. Eisenmann bemerkt an dieser Stelle, dass der Begriff Weltanschauung nicht geeignet ist. Er bevorzugt in diesem Zusammenhang die Begriffe ‚Menschenbild’ oder ‚innere Einstellung/Überzeugung’.
Weiter sollte ein passender ethischer Begründungstyp gewählt werden, der mit der persönlichen Weltanschauung konform geht.
Und anschlieβend – nachdem Weltanschauung und persönlicher Begründungstyp gefunden wurden – kommt es Baum darauf an, dass die eigene ethische Motivation, das von einem selbst bejahte ethische Prinzip und das selbst aufgestellte Ziel ethischen Handeln verfolgt werden.
Baum deutet darauf hin, dass sich jeder in seinem Beruf Ziele setzt und diese aus innerer Überzeugung verfolgt. Für den Sozialarbeiter ist es jedoch verstärkt wichtig, dass seine ethischen Kriterien für seine Handlungen konsequent und konsistent beibehalten werden, da er es ausschlieβlich mit Menschen und deren Belangen zu tun hat.
2.2.2 Das 4-Schritte-Modell nach Tschudin
Verena Tschudin stellt als ersten Schritt das ‚[17] Erkennen des Problems oder die Analyse’ dar. Über die Analyse, welche nach der Art, der Entstehung und der Schwierigkeit des Problems fragt, kann es zu einem klaren Verständnis des moralischen Problems der beteiligten Peron(en) kommen. Nicht auβer Acht gelassen werden darf in diesem ersten Schritt die Frage nach den erwarteten Ergebnissen.
Der zweite Schritt heiβt ‚Planung möglicher Lösung’. Hier werden Lösungsmöglich-keiten, die Folgen des Vorgehens sowie die berufliche Verantwortung und die Werte einbezogen.
Im folgenden Schritt ist die ‚Aus- oder Durchführung’ Thema. Nachdem die Analyse und die Planung erfolgten, wird das Verhalten festgelegt. In diesem Schritt geht es um die Frage was, wann, wie und durch wen getan werden soll.
Der vierte und letzte Schritt dient der ‚Auswertung bzw. Evaluation’. Es darf sich laut Tschudin keine Handlung ohne die letztliche Überprüfung der Ergebnisse zufrieden geben. Hierbei ist es wichtig zu überprüfen, ob das Problem durch die vorher getroffenen Entscheidungen gelöst wurde oder ungelöst bleibt. Es gibt vor allem zu überprüfen, ob Personen einen Nutzen aus dieser Entscheidung gezogen haben und diese Entscheidung in gleicher Situation wiederholt werden kann.
Im Gegensatz zum dem Modell von Baum geht Tschudin einen Schritt weiter. Denn sie bezieht die Reflexion der Handlung mit ein.
Der Nachteil dieses Modells ist jedoch die Komplexität. Denn diese 4 Schritte erfordern eine ausführliche Erarbeitung und somit ist dieses Modell nicht ohne weiteres anwendbar, wenn Entscheidungen schnell getroffen werden müssen.
2.2.3 Das 6-Schritte-Modell nach Tödt
Heinz Eduard Tödt fragt im Vergleich zu den [18] oben beschriebenen Modellen verstärkt nach der Rolle der Normen im Entscheidungsprozess.
1. Schritt:
Als ersten Schritt nennt er die Fallermittlung, auch das ‚Wahrnehmen, Feststellen und
Bestimmen eines Problems’ und dessen ethische Relevanz. Hier sollte dem Entscheidungsträger bewusst sein, dass das Problem in seinem Gesamtzusammenhang betrachtet werden muss. Kommen wir noch einmal auf das Beispiel des BeWo-Klienten zurück.
Bsp.: Der Sozialarbeiter hat einen Termin mit seinem Klienten in dessen Wohnung. Er betritt die offen stehende Wohnung und findet seinen Klienten in einem komatösen Zustand.
Er nimmt also im ersten Schritt den Klienten wahr und stellt fest dass er nicht ansprechbar ist.
2. Schritt:
Der zweite Schritt ist die Analyse der Situation. Das Sammeln von Fakten und die Begründung von den Folgewirkungen der Handlung sind hierunter zu fassen.
Bsp. Der Sozialarbeiter findet eine leere Schachtel Medikamente und einen Abschiedsbrief der an ihn gerichtet ist. Er weiβ, dass es notwendig ist einen Arzt zu rufen. Andererseits weiβ er auch, dass der Klient schon einige Male aufgrund seiner Suizidversuche stationär in der Klinik für psychisch Erkrankte aufgenommen wurde und einen weiteren Aufenthalt in der Klinik im letzten Gespräch absolut ableht.
3. Schritt:
Der nächste Schritt ist das ‚Erwägen der Handlungs- bzw. Verhaltensoptionen’, die als sittlich geboten erscheinen. Das heiβt hier müssen die Wirkungen und Nebenwirkungen der Entscheidung sowie die künftigen Folgen berücksichtigt werden.
Bsp.: Grundsätzlich ist immer erst für schnellstmögliche medizinische Hilfe zu sorgen. Der Sozialarbeiter verständigt den Notarzt oder sonstige Hilfsorgane. Er muss aus den gegebenen Verhaltensmöglichkeiten rasch die wählen, dir ihm unter Berücksichtigung der ethischen Vertretbarkeiten am raschesten Hilfe bietet[19].
4. Schritt:
‚Auswahl und Prüfung von Normen, Gütern und Perspektiven’, die angesichts des bestehenden Problems relevant sind, sind in diesem Schritt die wichtigen Punkte. Die Normen dienen dazu Verhaltensalternativen auszuwählen, sie dienen als Hand-werkzeuge und ermöglichen eine Begründung für oder gegen eine Entscheidung.
Der Mensch bedarf bestimmter Güter und strebt nach ihnen. In der Güterabwägung soll das jeweils gewichtigere Gut den Ausschlag bei der Wahl von Verhaltensoptionen geben. Mit ‚Auswahl und Prüfung von Perspektiven’ meint Tödt das Erkennen, Erfahren, Erleiden, Handeln und Urteilen jedes Menschen.
Bsp.: Der Sozialarbeiter sollte überlegen, welche Alternativen es zur ‚Verpflichtung zur Hilfeleistung’ (=Norm) gibt.
5.Schritt:
Die ‚Prüfung der sittlich-kommunikativen Verbindlichkeit der wählbaren Handlungs- und Verhaltensoptionen ist der vorletzte Schritt in Tödts Modell. Er meint mit dieser Formulierung das Nachprüfen, ob die Mehrheit der anderen Personen genau so gehandelt hätte.
Bsp.: Der Sozialarbeiter berät sich im Team mit anderen Mitarbeitern und wird sich in seiner Handlung – den Notarzt zu rufen – bestätigt fühlen und sich keine Vorwürfe machen, wenn er weiβ dass die Mehrheit der anderen Sozialarbeiter genauso gehandelt hätte.
6.Schritt
Der Urteilsentscheid ist in diesem letzten Schritt von Bedeutung. Denn laut Tödt kann erst dann eine Willensdurchsetzung stattfinden wenn der Denkprozess abgeschlossen ist.
Bsp.: Der Sozialarbeiter hat durch das Herbeirufen des Notarztes den Denkprozess abgeschlossen und damit auch eine Willensäuβerung vollzogen. Diese ist in Anbetracht des Suizidversuchs völlig angemessen.
Das Modell von Tödt ist wesentlich detaillierter als die vorherigen Modelle und gewiss sehr praktisch anwendbar. Es fehlt jedoch ein wichtiger Schritt, nämlich das Einbeziehen der Evaluation. Er deutet zwar auf die Überprüfung der Richtigkeit des Handelns hin. Die Richtigkeit einer Handlung geschieht jedoch nur durch das Nachprüfen mehrheitlicher, subjektiver Meinungen.
2.2.4 Das 4-Punkte-Grundmodell
Das folgende Modell stellte Peter Eisenmann zusammen. Es ist als Ergänzung zu anderen Modellen, vor allem zu dem Modell von Tödt zu betrachten[20].
- Situationsanalyse
Hier geht es wie bei den anderen Modellen auch um das analysieren des Ist-Zustandes. Aus dieser Analyse ergibt sich dann die Aufgaben- und Themenstellung.
- Planung
Die Planungsphase, auch Konzepterarbeitung genannt, dient der genauen Strukturierung und Planung des Ablaufs. Dieser Schritt kann jedoch nur bei ausreichender Zeit zur Durchsetzung kommen. Ist die Zeit nicht ausreichend, kann sich der Ablauf verkürzen und man muss sich auf gemachte Erfahrungen verlassen. Hierbei ist jedoch das stete Hinterfragen der eigenen Erfahrungen und den daraus resultierenden Handlungsstrukturen von groβer Bedeutung.
- Durchführung
Bei der Durchführung einer Handlung kommt es darauf an, dass die getroffene Entscheidung konsequent umgesetzt wird.
- Evaluation
Die Ergebnisüberprüfung kommt nicht nur bei den meisten Entscheidungsmodellen zu kurz. Sie wird auch in der Praxis zu selten, oder nur bei schlechtem Ergebnis angewandt. Eine Evaluation sollt aber fortwährend immer wieder stattfinden. Denn so kann man seine Ergebnisse sichern, standardisieren und vor allem routiniertes Handeln und das Einschleichen von Fehlern vermieden werden.
2.3 Ethische Prinzipien
Im Folgenden werden die ethischen Prinzipien, welche der DBSH (Deutscher Bundesverband für Soziale Arbeit e.V.) im Oktober 2004 in Australien auf der Generalversammlung des IFSW und des IASSW verabschiedete[21], zitiert. Diese Prinzipien sollen den Sozialarbeiter ermutigen, über die ihnen begegnenden Herausforderungen und Dilemmata nachzudenken, und so ethisch begründete Entscheidungen zu treffen wie in jedem einzelnen Fall zu handeln ist.[22] Diese Prinzipien sollen nicht weiter kommentiert werden, denn dies würde den Rahmen der Arbeit überschreiten. Sie sollen den Leser jedoch über den Inhalt der ethischen Prinzipien informieren. Denn laut DBSH sollten Sozialarbeiter „…in Übereinstimmung mit dem in ihrem Land aktuell geltenden ethischen Kodex oder Richtlinien handeln“[23]. Des weitern soll die Auflistung dazu anregen, im Bezug zu den Modellen der Entscheidungsfindung, Unterschiede und Parallelen abzuleiten und Anlass zur kritischen Hinterfragung bieten.
Bevor näher auf die einzelnen Prinzipien eingegangen wird, soll erst einmal ‚Soziale Arbeit’ definiert werden. Der DBSH definiert Soziale Arbeit folgendermaβen: „Die Profession Soziale Arbeit fördert sozialen Wandel, Problemlösungen in menschlichen Beziehungen und die Stärkung und Befreiung von Menschen, um das Wohlergehen zu stärken. Gestützt auf Theorien über menschliches Verhalten und sozialer Systeme greift Sozialarbeit an den Stellen ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen. Die Grundlagen von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit wesentlich.“[24]
Im folgenden Abschnitt sollen die ‚Menschenrecht’ und die ‚Soziale Gerechtigkeit’ als wesentliche Grundlage für die Soziale Arbeit definiert werden.
2.3.1 Menschenrechte
„Soziale Arbeit basiert auf der Achtung vor dem besonderen Wert und der Würde aller Menschen, und aus den Rechten, die sich daraus ergeben. Sozialarbeiter/innen sollen die körperliche, psychische, emotionale und spirituelle Integrität und das Wohlergehen einer jeden Person wahren und verteidigen.
Das heißt:
1. Das Recht auf Selbstbestimmung achten- Sozialarbeiter/innen sollten das Recht der Menschen achten und fördern, eigene Wahl und Entscheidungen zu treffen, ungeachtet ihrer Werte und Lebensentscheidung, vorausgesetzt, das dadurch nicht die Rechte und legitimen Interessen eines anderen gefährdet werden.
2. Das Recht auf Beteiligung fördern Sozialarbeiter/innen sollten das volle Einbeziehen und die Teilnahme der Menschen, die ihre Dienste nutzen fördern, so dass sie gestärkt werden können in allen Aspekten von Entscheidungen und Handlungen, die ihr Leben betreffen.
3. Jede Person ganzheitlich behandeln- Sozialarbeiter/innen sollten sich mit der Person als Ganzes innerhalb der Familie, der Gemeinschaft, sowie der sozialen und natürlichen Umwelt beschäftigen, und sollten darauf bedacht sein, alle Aspekte des Lebens einer Person wahrzunehmen.
Stärken erkennen und entwickeln- Sozialarbeiter/innen sollten den Schwerpunkt auf die Stärken des Einzelnen, der Gruppen und der Gemeinschaften richten um dadurch ihre Stärkung weiter zu fördern.“[25]
2.3.2 Soziale Gerechtigkeit
„Sozialarbeiter/innen haben eine Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit zu fördern in Bezug auf die Gesellschaft im Allgemeinen und in Bezug auf die Person mit der sie arbeiten. Das heißt:
1. Negativer Diskriminierung entgegentreten(1)- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, negativer Diskriminierung auf Grund von Merkmalen wie Fähigkeiten, Alter, Kultur, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischem Status, politischer Überzeugung, Hautfarbe, Rasse oder anderer körperlicher Gegebenheiten, sexueller Orientierung, oder spiritueller Überzeugung entgegenzutreten.
2. Verschiedenheit anerkennen- Sozialarbeiter/innen sollten die ethnischen und kulturellen Unterschiede von Gesellschaften in denen sie arbeiten anerkennen und respektieren und die Unterschiede von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften beachten.
3. Gerechte Verteilung der Mittel-Sozialarbeiter/innen sollten sicherstellen, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gerecht- gemäß den Bedürfnissen verteilt werden.
4. Ungerechte Politische Entscheidungen und Praktiken zurückweisen- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, ihre Arbeitgeber, Gesetzgeber, Politiker und die Allgemeinheit darauf aufmerksam zu machen, wo Mittel unzulänglich sind oder wo die Verteilung von Mitteln durch Verordnungen und Praxis unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist.
5. Solidarisch arbeiten- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, sozialen Bedingungen entgegen zu treten, die zu sozialem Ausschluss, Stigmatisierung oder Unterdrückung führen. Sie sollen auf eine einbeziehende Gesellschaft hinarbeiten.“[26]
Betrachtet man die ethischen Prinzipien, erscheinen sie sehr einleuchtend und die meisten Prinzipien sind den meisten bestimmt auch bekannt. Es genügt jedoch nicht moralische Normen nur aufzulisten. Es gilt vielmehr, die vorliegenden Normen ethisch zu reflektieren und auf ihre Begründung, ihre Geltung und Alltagstauglichkeit hin zu überprüfen.
3 Schlussgedanke
Wie an den unterschiedlichen Modellen klar zu erkennen ist, existiert kein simples, kopierbares Schema zur praktischen ethischen Urteilsfindung. Es gibt auch kein ethisches Rezeptbuch, welches in der jeweiligen Situation das einzig richtige Handeln vorschlägt. Festzuhalten bleibt, dass es in der Sozialen Arbeit erforderlich ist sich intensiv mit dem ethischen Hintergrund zu beschäftigen. Dazu gehört gewiss die theoretische Kenntnis über Urteilsfindungsmodelle sowie die Kenntnis darüber, dass ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit festgehalten wurden und aktuell Geltung finden sollten. Erst nach einer Vertiefung in die Materie ist es in schwierigen Fällen möglich, Entscheidungen herbeizuführen, die mit der Berufsethik und mit eigenen Wertvorstellungen vereinbar sind. Manche bedauern bestimmt, dass ein klares Bearbeitungsschema mit eindeutigen Lösungen fehlt. Jedoch würde das gewiss der beruflichen Authentizität im Wege stehen und die Kreativität im Urteilungsfindungsprozess im Wege stehen. Die angebrachten Modelle und berufsethischen Prinzipien können lediglich dazu beitragen, den Kontext einer Entscheidung einer vertieften Betrachtung zuzuführen und Kriterien anbieten, die ein hohes Maß an Plausibilität beanspruchen können.
Ethik ermöglicht damit eine fundiertere und reflektiertere Entscheidung als sie ohne ihre Berücksichtigung möglich wäre. Die Entscheidung und damit auch die Verantwortung für das berufliche Handeln in der Sozialarbeit kann dem Praktiker nicht abgenommen werden.
Literaturverzeichnis
- Eisenmann, Peter: Werte und Normen in der Sozialen Arbeit. Stuttgart 2006
- Schneider, Johann: Gut und Böse – Falsch und Richtig. Zu Ethik und Moral der sozialen Berufe. Frankfurt am Main 1999
- Thiersch, Hans: Lebenswelt und Moral. Beiträge zur moralischen Orientierung Sozialer Arbeit. Weinheim und München 1995
Internet
- http://www.dbsh.de/html/prinzipien.html
[...]
[1] Aus Gründen der Vereinfachung sind bei den verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen gleichwertig beide Geschlechter gemeint, auch wenn sie in der männlichen Form auftreten. Auch wurden die Begriffe ‚Sozialarbeiter’ und ‚Sozialpädagoge’ bewusst weitgehend synonym verwendet.
[2] Eisenmann, Peter: Werte und Normen in der Sozialen Arbeit. Stuttgart 2006, S.37
[3] ebd., S.38
[4] vgl. ebd., S.38
[5] vgl. ebd., S.36
[6] ebd., S.48
[7] http://www.ifsw.org/en/p38000739.html, 10.11.2007
[8] Eisenmann, Peter: Werte und Normen in der Sozialen Arbeit. Stuttgart 2006, S.49
[9] vgl. ebd., S.53f.
[10] vgl. Morscher, Edgar: Was ist und was soll die Wirtschaftsethik? Forschungsbericht der Universität Salzburg. Heft 24.Salzburg 2004, S. 14
[11] Eisenmann, Peter: Werte und Normen in der Sozialen Arbeit. Stuttgart 2006, S.56
[12] vgl. ebd., S.56
[13] ebd., S.55
[14] ebd., S.44
[15] ebd., S.47
[16] vgl. ebd., S.121
[17] ebd., S.122
[18] ebd., S.123
[19] ebd., S.125
[20] vgl.ebd., S.126f.
[21] In dieser Arbeit werden nur die ethischen Prinzipien vorgestellt. Der DBSH verabschiedete neben den ethischen Prinzipien das berufliche Verhalten (unter http://www.dbsh.de/html/prinzipien.html nachzulesen)
[22] http://www.dbsh.de/Ethik_in_der_Sozialen_Arbeit.pdf, 30.Dezember 2007
[23] http://www.dbsh.de/html/prinzipien.html, 4.Januar 2008
[24] http://www.dbsh.de/Ethik_in_der_Sozialen_Arbeit.pdf, 29.Dezember 2007
[25] http://www.dbsh.de/Ethik_in_der_Sozialen_Arbeit.pdf, 29.Dezember 2007
[26] http://www.dbsh.de/Ethik_in_der_Sozialen_Arbeit.pdf, 29.Dezember 2007
- Citation du texte
- Marianne Heinen (Auteur), 2007, Ethisches Handeln in der Sozialen Arbeit - Modelle zur ethischen Urteilsfindung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111394
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