Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Forschung im Überblick
2.1 Die Forschungsliteratur
2.2 Die Forschung aus dem Tagebuch: Eine kritische Stellungnahme
2.3 Der fiktionale Text vs. Tagebuch
3. Text und Wahrheit
3.1 Der Pragmatismus und die Produktion von Wirklichkeit
4. Der Text als Zeichen
4.1 Die Dekonstruktion – Jacques Derrida
4.2 Die feministische Literaturtheorie – Jacques Lacan und Luce Irigaray
4.2.1 Der weibliche Ort
4.2.2 Id - Entität: Ernst oder Pseudo-Victoria?
4.3 Das Produkt Subjektivität
4.3.1 Die Sprache und Subjektkonstitution
5. Von der Theorie zu den Texten
5.1 Das Entree
5.2 Das imaginierte Weib: Tat - Ort Mythologie
5.3 Der Tat - Ort Ehe
6. Bedeutungsproduktion anhand des Blickes
6.1 Im Blickfeld: Binäre Opposition vs. Differenz
6.2 Der Blick: Wenn man nichts sieht
6.2.1 Corpus delicti: Alland – Louise
6.2.2 Der Doppelblick: Börje, Pål und Marianne
6.2.3 Sehen, was man sehen will: Kristerson – Selma
6.2.3.1 Richards Entdeckung
6.3 Gibt es einen weiblichen Blick ?
6.3.1 Marianne sieht fremd
6.3.2 Selma blickt durch
6.3.3 Ernas Blick - Ein Versehen?
6.3.4 Selma in ‘Gender Trouble’
6.4 Zusammenfassung
7. Bedeutungsproduktion anhand von Sprache
7.1 Das psychoanalytische Modell von Irigaray
7.2 Ich spreche, also bin ich ?
7.2.1 Marianne bricht durch
7.2.1.1 ‘flirtation’ und ‘kurtis’
7.2.1.2 Mariannes neue Sinnproduktion
7.2.2 Die Grenzgängerin Selma
7.2.2.1 Selmas Sprachrohr
7.2.2.2 Selmas Stimmbruch
7.2.3 Das Still – eben Louise
8. Schein - Wirklichkeit
8.1 Die Maskerade
8.2 Die Ver -Kleidung zur „normalen Frau“
8.3 Schön oder häßlich ?
8.3.1 Natürliche Ästhetik
8.3.2 Künstlerische Ästhetik
9. Zusammenfassung und Ausblick
10. Literaturverzeichnis
Quellen:
Forschungsliteratur:
1. Einleitung
Während meiner umfangreichen Recherchen für diese Arbeit rückte die Frage, warum eigentlich so viel über Victoria Benedictsson[1] geschrieben wurde, immer mehr in den Vordergrund. Ihre Biographie, ihr soziales und historisches Umfeld lagen bislang im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses, ihre Texte hingegen haben weniger Beachtung gefunden. Dies bewog mich, diese Lücke zu schließen, indem sämtliches biographisches Material weitgehend unberücksichtigt bleiben soll, um den literarischen Texten ihren eigenen Raum geben zu können.
Die folgende Arbeit soll demnach vorrangig den Text behandeln, mit der Fragestellung, wie der Text unter bestimmten Gesichtspunkten funktioniert. Die Gesichtspunkte unterliegen der grundsätzlichen Frage nach Wirklichkeit in Bezug auf die Weiblichkeit. Gibt es so etwas wie eine ‘wirkliche’ Weiblichkeit und wenn ja, wo und wie ist diese zu finden? Die Komplexität dieses Themas begründet sich darin, daß Weiblichkeit lange eine durch den Mann determinierte Entität war, welche die Frau an sich nicht berücksichtigt hat. Sie hatte keine eigene Identität, sondern existierte lediglich in der männlich tradierten Projektion von imaginierten Bildern, die die Sicht auf etwas möglicherweise ‘Wahres’ im Weiblichen verzerrt und nahezu unmöglich gemacht hat. Die Analyse beschäftigt sich demnach in der Hauptsache mit Konstrukten und mit den Gefahren, die derartige, unreflektierte Bestandsaufnahmen in sich bergen können und mit dem Versuch einer Auflösung jener. VB hat u.a. das Konstrukt der Polarität der Geschlechter nicht nur in ihren Texten thematisiert, sondern schon die methodische Aufspaltung ihrer eigenen Identität, durch Verwendung eines Pseudonyms, verrät etwas über die Tragweite eines fehlenden weiblichen Subjekt-Status.
Als geeignete Methode für solch eine werkimmanente Analyse habe ich die Dekonstruktion gewählt, deren Ziel nicht ist, Bestehendes zu bestätigen, sondern unter neuen Gesichtspunkten Bestehendes aufzulösen. So wird auch u.a. die bestehende Literaturforschung hier auch keine weitere Manifestation erfahren, sondern im ersten Teil dieser Arbeit neu und kritisch beleuchtet. Denn der Gefahr „[...] att forskarna inte förhåller sig till vad står i texten utan till vad som av en eller annan anledning borde stå där.“ (Primander, 1994: 14), ist das Werk von VB bislang hinreichend ausgesetzt gewesen.
Die in der Forschungsliteratur häufig gestellte Frage nach der ‘wirklichen’ VB evozierte meine Frage danach, was Wirklichkeit überhaupt beinhaltet, wie sie entsteht und produziert werden kann. Wirklichkeit ist lange Zeit als Entität, als feststehende Bedeutungseinheit betrachtet worden, sowohl innerhalb der Literaturtheorien, wie auch in der Gesellschaft des 19. bis Mitte des 20. Jh. In diese Periode fallen auch die von mir gewählten Texte Pengar, 1885, Fru Marianne, 1887 und Den Bergtagna, 1888.[2] Wie Wirklichkeitsbilder entstehen, welche Folgen manifestierte, allgemeingültige Wirklichkeit haben kann, soll zunächst anhand der kritischen Auseinandersetzung mit der Forschungsquelle Tagebuch und der folgenden Problematisierung von Text und Wahrheit überhaupt aufgezeigt werden. Wie so eine metaphysische Größe wie Wirklichkeit dann ihre Auflösung erfährt, wird zunächst anhand der philosophischen Theorie der Pragmatiker erläutert, deren Diskussion grundlegende Ansätze der Dekonstruktion beinhaltet.
Die Dekonstruktion ist, wie anfangs angedeutet, eine Methode, die Grundprinzipien hinterfragt und deren Bedeutungshierarchien aufbricht. Der Gedanke der Differenz, den der Philosoph Jacques Derrida von Ferdinand de Saussure übernommen und weiterentwickelt hat, sieht vor, daß sich Bedeutung aus einem anders sein, aus einer Differenz erschließt und nicht dadurch, daß ein Bezeichnender (Signifikat) dem Bezeichneten (Signifikant) eine feststehende Bedeutung zuweist. Derartige Hierarchien gehen einher mit dem männlichen Prinzip (Signifikat), das durch Bedeutungszuweisung die Opposition Mann-Frau nach eigenen Prämissen festgelegt hat. Ausgehend von dieser, wie Derrida es nennt, bestehenden binären Opposition, erfolgt der Versuch einer Aufspaltung solcher Determinationen, indem männliche Bedeutung von Weiblichkeit innerhalb der Texte lokalisiert werden soll.
Der Psychoanalytiker Jacques Lacan bricht in seiner Schrift Das Spiegelstadium (1986) den Begriff Subjektivität auf. Er setzt die Spiegelung als notwendige Ich-Konstitution voraus, da sie das trügerische Erlebnis von Ganzheit ermöglicht und diese imaginäre Vereinheitlichung im Spiegelbild fortwährend zur Affimierung des Subjektstatus dient. Die Frau dient gleichwohl als Spiegel des Mannes, in dem er sich selbst als Subjekt bestätigen kann. Sein phallozentristischer Gedanke der weiblichen Kastration und ihres daraus resultierenden Begehrens nach phallischer (männlicher) Identität beschränkt die Weiblichkeit auf ein Mangelwesen mit lediglich symbolischer Funktion. Die männliche Spiegelung in der Frau hat demnach zur Folge, daß fortwährend ein angenehmes, gefälliges Bild der Frau konstruiert wird. Um die Konstruktionen solcher Wirklichkeiten aufdecken zu können, soll diese repräsentative Rolle und die Art der Darstellung von Weiblichkeit näher beleuchtet werden.
Unter dieser Prämisse hält nun die Frau ihren Einzug, und zwar sowohl in der Literaturtheorie als auch die drei Frauenfiguren in den literarischen Texten. Denn ihre Bewußtwerdung beginnt an dieser Stelle, an der alle Bedeutungssysteme erstarrt sind und unter männlicher Übereinkunft ein Frauenbild erschaffen worden ist, das weibliche Realität verdrängt. Hier setzt die feministische Literaturtheorie mit der Frage nach dem eigentlichen, ‘wirklichen’ Weiblichen an und ob sich so etwas überhaupt hinter der traditionellen Bilderwand befinden könnte. Der Versuch einer Trennung von Frau und Fiktion durchläuft den feministischen Kanon, geprägt durch die Namen wie Luce Irigaray, Hélèn Cixous oder Judith Butler, deren Theorien jedoch ohne die Darlegung von Jacques Derridas poststrukturalistischem und insbesondere Jacques Lacans psychoanalytischem Ansatz kaum möglich sind. Anhand ihres Neulesens männlicher Texte, wie zum Beispiel in Speculum (1980), offenbaren sich Lücken, in denen weibliche Einschreibung möglich ist, innerhalb derer ein weiblicher Ort (re-)konstruierbar sein könnte. Es geht also um ein Sichtbarmachen der Konstruktionen von Wirklichkeit innerhalb der Geschlechteridentitäten. Denn Geschlechter sind innerhalb des Textes „rhetorisch“ (Vinken, 1992: 19) verfaßt, sind Repräsentation von sich differenzierenden Zeichen, deren Bedeutung in ihrer herkömmlichen Zuweisung aufgespalten und dekonstruiert werden soll. Dies wird der Frau als „geschlechtsneutrale Forscherin“ (Hof, 1995: 7) möglich, die losgelöst von mythologisierter Sexualität die Geschlechter in Beziehung zueinander setzen kann. Es entwickeln sich daraus neue theoretische Perspektiven, die sich von der rein biologistischen Argumentation distanzieren und eine begriffliche Differenzierung von sozialem und biologischem Geschlecht einführen. Die u.a. von Butler besprochene sozio-kulturelle Prägung von Sexualität (gender) ist ein weiterer Ansatz, den vermeintlichen Kausalzusammenhang zwischen Geschlecht und sozialem Wesen aufzuheben.
Als VB sich schreibend auf die Suche nach einem literarischen Ort begeben hat, öffnete sie in ihren Texten zugleich den Raum für ihre Frauengestalten. Selma, Marianne und Louise sind die Protagonistinnen, deren Weiblichkeit innerhalb der Texte untersucht werden soll. Beginnend mit der Frage nach ihrem Ort, den man auch als Pseudo-Ort bezeichnen könnte, wird die Ausgangslage der Frauengestalten markiert, die anhand des Blickes und des Blickwinkels erörtert wird. Denn Sichtweisen und Ansichten liefern Bilder von Wirklichkeiten, die innerhalb der Opposition Mann-Frau klare Positionen festlegen. Es folgt der Versuch einer Aufspaltung in männlichen und weiblichen Blick, ob es überhaupt so etwas wie einen weiblichen Blick geben kann und welche Qualität dieser dann hätte.
Weiteres Feld meiner Untersuchung ist die Sprache, die Äußerung, mit Hilfe derer sich das Individuum mit seiner Umwelt in Beziehung setzen kann. Sprachliche Ich-Konstitution ist ebenfalls lange Zeit Neuland für das Weibliche gewesen, dem vorrangig eine stumme Repräsentationsrolle zugedacht war. Wer Phallus (Lacan) ist, muß nicht sprechen, sondern als Statistin männlichen Begehrens eine gute Figur machen (vgl. Lindhoff, 1995: 83). Irigaray hat versucht, weibliches Sprechverhalten anhand ihres psychoanalytischen Modells (vgl. Whitford, 1991: 35ff.) zu untersuchen, indem die kulturelle Situation der Frau berücksichtigt wird. Ihre Erkenntnisse sind grundlegend für die Entwicklung einer eigenen weiblichen Sprache, die zumindest auf einer Distanzierung zur männlichen Sprache und einer kritischen Haltung ihr gegenüber beruhen kann. Dem Widersinn einer sinnvollen, sprachlichen Bedeutungsproduktion trotzend[3] geht es darum, wie sich die Textfiguren sprachlich einbringen und ob sich sie ihre Identität durch Sprache konstituieren kann.
Die Arbeit schließt mit ihrem grundlegenden Thema Schein und Wirklichkeit. Hinter der Absicht, den Text nicht als Einheit, sondern als Spielfeld unbegrenzter Zeichen zu begreifen, verbirgt sich der Gedanke Derridas einer endlosen Signifikantenkette. Die Komplexität eines solchen Wechselspiels von Bedeutungen ist auch in der Korrelation von Schein und Wirklichkeit, von Darstellung und Gegenstand gegenwärtig. Besonders deutlich kommt sie in der weiblichen Maskerade zum Vor -Schein, in der weiblichen Inszenierung, die sowohl als Abwehr eines „wahren Wesens“ (Bohrer, 1981: 117) gelesen werden kann, als auch eine effektvolle Darstellung von Weiblichkeit, die ein Nicht-Sein verbirgt. In diesem Zusammenhang ist die Bildtradition als Abbild einer Wirklichkeit immer effizientes Mittel der Auslassung und Abgrenzung weiblicher Realitäten gewesen. Diese konstitutive Verfassung der Weiblichkeit war eben immer auch kultureller Effekt, der das „un-heimliche“[4] Wesen stets begleitete.
Wissenschaftliche Grundlage dieser Arbeit sind die Texte von Luce Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts (1980), Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter (1991), Jacques Lacan: Schriften I - Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion - (1973), Ursula I. Meyer: Einführung in die feministische Philosophie (1997), sowie Werke über Jacques Derrida und Dekonstruktion von Kathleen Wheeler (1993), Penelope Deutscher (1997), und die Literaturtheorien von Lena Lindhoff (1995), Terry Eagleton (1997) und Ludwig Arnold/Heinrich Detering (1996).
2. Die Forschung im Überblick
Dieser Teil der Arbeit fällt aus zwei Gründen relativ umfangreich aus: Zum einen gibt es noch keinen umfassenden Forschungsüberblick über die literarischen Werke VBs, obwohl bereits so viel über sie geschrieben worden ist. Zum anderen ist es ein Anliegen aufzuzeigen, wie unterschiedlich die Forschung auf diesem Gebiet ausfällt, die vorliegende Forschungsarbeit mit inbegriffen.
Da der Fokus, wie bereits erwähnt, überwiegend auf der Person VB lag, erscheint es unerläßlich, in diesem Zusammenhang die von vielen Forschern herangezogene Quelle Tagebuch kritisch zu beleuchten, um, daran anknüpfend, die Frage der Authentizität von Text zu problematisieren. Folgender Überblick ist chronologisch geordnet, so daß die historische Entwicklung der Literaturforschung mit verfolgt werden kann.
2.1 Die Forschungsliteratur
Ingrid af Schultén (1925) ist es wichtig, die Autorin „zu verstehen“ (9), was sie dazu veranlaßt hat, VBs Leben mit Hilfe der Tagebuchnotizen nachzuzeichnen. Im Literaturteil zieht Schultén komparative, literaturhistorische Schlüsse. So sei PE ein Eheroman nach Ibsenschem Strickmuster und Noras (1879) Befreiungsschlag aus der traditionellen Frauenrolle bilde die Gußform für Selmas und später auch für Mariannes Charakter (243).
Das Ehethema hielt in dieser Zeit die Schriftsteller aus allen Lagern in Atem. Schultén zählt einige Werke auf: Amtmandens Døttre (Camilla Collett, 1855), Magnhild (Björnsterne Björnson, 1877), Giftas I (August Strindberg, 1884). Es war die Zeit der „dockhemslitteratur“[5] , der literarischen Befreiungsversuche, denen sich VB offensichtlich angeschlossen und auch neue Impulse verliehen hat. Müßig erscheint Schulténs ausschließliche Fokussierung auf VBs Lebenssituation, indem sie wiederholt Parallelen zwischen den Figuren und der Autorin zieht, die teilweise konstruiert erscheinen. Ihre Behauptungen haben oftmals spekulativen Charakter „Det synes mig rätt antaglit“ (335), „Det förefaller som om “ (336), „kan [...] ha haft“ (337), „Börje, som i detta fall mycket tydligt är författarinnans språkrör [...]” (343), der das Rezeptionsverhalten der Werke stark einengt. Die allgemeingültigen Bewertungen wie „onyttigt” (339), oder vagen Formulierungen wie „nu först börjar hennes verkliga utveckling som människa” (301) belegen die stark subjektive Färbung in Schulténs Arbeit. Ihr schales Resümee, „Fru Marianne [är] ett duktigt arbete; även utan denna bakgrund [den samtida svenska skönlitteraturens] är det en god och sund bok,” (356) belegt ihre oberflächliche Auseinandersetzung mit den Inhalten. Im allgemeinen ist ihre Studie ambitioniert geschrieben und der Umfang (489 Seiten) zeugt von reger Recherche. Zumindest kann es sich zu den grundlegenden Werken über VB zählen.
Sten Linder (1930) hat ein ähnlich umfangreiches Werk, eine Dissertation, geschrieben, in der es ihm in der Hauptsache um die Person VB ging, sowie um die literarischen Strömungen zu der Zeit. Das Tagebuch, als Matrix ihres literarischen Schaffens angesehen, ist gleichfalls Psychographie, an der VBs Seelenleben gemessen wird. Nach hermeneutischen Gesichtspunkten wird VBs Arbeit in ein Ganzes eingepaßt und in die literarische Tradition verankert. Gerüstet mit Ibsens individualistischem Wahrheits- und Willenspathos, Rousseaus Arbeitsmoral und Darwins Determinismus, steige VB in die literarische Phase des modernen Durchbruchs ein. Ihre Frauenbilder, durch Ibsen und Björnson motiviert (127), tendierten später, wie z.B. Marianne, zu Zolas Frauen, J.P. Jacobsen diene als Vorbild für VBs antiromantische Helden und Strindbergs Zwischentöne in PE seien nicht zu überhören (149). Linder sieht ebenfalls eine Parallele zu Gustave Flauberts naturalistisch-wissenschaftlicher Erzähltechnik in Mme Bovary (166) und belegt dies anhand einer Tagebuchaufzeichnung von VB. Ihr Streben nach Objektivität läßt sich nicht bestreiten, dennoch kann von einer „unsichtbaren Erzählerin” (166) wie bei Flaubert nicht die Rede sein, viel zu oft und viel zu auffällig lugt die Erzählerin durch die Textoberfläche.
VB schreibt „avec sa coeur” und setzt auch „sa personnalité en scène” (Linder, 1930: 167),[6] man betrachte da nur das lebendige Sprechen Selmas und die häufig ideologisch durchtränkten Dialoge. Es fehlt hier eine klare Differenzierung verschiedener Erzähltechniken, zu sehr wirft Linder alles in einen Topf. Einen Einfluß durch Flaubert kann man sicherlich formell wie auch inhaltlich in FM finden. In PE herrscht hingegen die Dialogform vor, DB ist in Dramenform geschrieben.
Linder betont ebenfalls, daß die Figuren autobiographisch motiviert seien. So sei Börjes Konflikt eigentlich VBs Konflikt (314 - 316), die Geisteskrankheit von Louises Schwester läge auch in VBs Familie (322). Dies alles, unter der Überschrift Ärflighets- och viljeproblem i Fru Marianne (Kap.V) stehend, bekräftigt die allgemeine These, VB sei geisteskrank gewesen. Diese These hatte und hat, besonders vor dem Hintergrund ihres Freitodes, ihren Bestand (vgl. Levy, 1982: 8).
Sein Werk informiert indes, und dies über Skandinaviens Grenzen hinaus, ausgiebig über die literarische Landschaft des åttitalet (1880er), über die zeitgenössischen Themen wie Ehe und soziale Stellung der Frau und allgemein über die Werke von ‘Ernst Ahlgren’. An den wenigen Stellen, an denen ihre Texte Beachtung finden, unterliegen diese einer starken Typologisierung. Es entsteht der Eindruck, daß eine eigenständige VB gar nicht existiert, sondern sie eine aus vielen Puzzleteilen namens Strindberg, Jacobsen, Flaubert, Zola und Brandes, zusammengesetzte Größe ist.
Tora Sandström (1935) hat sich in ihrem Werk En psykoanalytisk kvinnostudie, wie es der Titel schon verrät, ausschließlich mit der seelischen Verfassung von VB beschäftigt. In VBs Suche nach ihresgleichen (einem Seelenverwandten), sieht Sandström narzistische Züge, die eine Libido-Hemmung („libidohämning”, 21) hervorrufen, d.h. sie liebesunfähig machen (vgl. Böök, 1949: 25). Diese Hemmung hatte ihr Ventil in der Arbeit: „Det har [...]förkroppsligat sig i arbetet, där hennes libido funnit sin säkraste förankring.” (47).
Schultén sieht in VBs Egozentrik hingegen keine übertriebene Eigenliebe, sondern eine Flucht zu sich selbst aus Mangel an Gesellschaftsfähigkeit. Sandströms Überzeugung VB wäre unfähig zu lieben ist nicht beweisbar, weshalb ihre daraus folgernde These, daß dies VB nicht bewußt gewesen wäre (33) ihrer Grundlage entbehrt. Der spekulative Charakter und die Willkür solcher Darlegungen offenbaren sich in den widersprüchlichen Thesen, mit denen Ljunghill schließlich mit einem Satz aufräumt: „[...]Victoria kunde älska [...]. Inte romantisk kärlek, inte lesbisk, inte patriarkalt fallisk och inte enbart föräldrabarnkärlek, utan kärlek.” (Ljunghill, 1981: 192).
Den nächsten Meilenstein in der Benedictsson-Forschung hat Fredrik Böök im Auftrag der Schwedischen Akademie zum 100-jährigen Gedenken von VB gesetzt. Böök gehört zu den biographisch tradierten Schriftstellern in Schweden, dessen Portrait Victoria Benedictsson och Georg Brandes (1949) Axel Olsson folgendermaßen beschreibt: „Volymen är ren spekulation i tidens depraverade smak för underlivsskildringar.” (Olsson, 1950: 12). Olsson, sein wohl stärkster Kritiker, zitiert in seinem Werk einen Freund von Böök, der ihn darauf hingewiesen haben soll, daß grundsätzlich ein Unterschied zwischen wissenschaftlichen Publikationen und denen für eine breite Öffentlichkeit gemacht werden müsse (ebd.: 13). Bööks Methode, Fragmente aus den Tagebüchern mit literarischem Material zu vermengen, ist ebenso fragwürdig, wie seine Ausschlachtung des Verhältnisses zwischen Georg Brandes und VB, die lediglich Beweis dafür ist, wie groß auch damals das Interesse für Intimgeschichten war.
Karl Erik Rosengren (1965) hat dieses Problem erkannt und sich daher vom autobiographischen Material und dem verbreiteten Wahrheitsanspruch distanziert: „Man måste då hålla i minnet att subjektiv sanningslidelse inte är någon garanti för objektiv sanning.” (7). Seine Erkenntnis, daß in VBs Tagebüchern Fiktion und Wirklichkeit ineinander übergehen, begründet seine Skepsis im Verwerten eben dieser, in denen er sowohl Unwahrheiten als auch emotionale Übertreibungen VBs im Dienste der eigenen literarischen Absicht entdeckt zu haben meint. So sei es z.B. nicht wahr, daß ihre leibliche Schwester unter einer Geisteskrankheit litt (9).
In ihrem Werk Rep utan knutar beschreibt Margareta Sjögren (1979) das Leben der Schriftstellerin. Auch wenn seither viele Jahre in der Literaturwissenschaft vergangen sind, hat sich nicht viel geändert: Sjögren bastelt eine Collage aus Privatem und Künstlerischem, dort wo Selma über Stock und Stein wandelt, spazierte auch Victoria, und das Sich - in - Szene - Setzen war für die unschöne Marianne ebenso wichtig, wie für die häßliche Victoria (33-34). Sie versetzt sich in Victorias Einöde in Hörby, durchdenkt die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines sexuellen Verhältnisses mit dem amerikanischen Hausfreund Quillfeldt (73) mit der unfruchtbaren Frage im Hinterkopf: Was wäre wenn?
Margit Norrman (1978) interessiert sich in I livets hand mehr für die Knochenhautentzündung unter der VB litt und die ihr wohl ermöglichte, über ein Jahr ans Bett gefesselt, sich „in Ruhe” umfangreichen literarischen Studien zu widmen („sjukdomsvinst”, 64). Ihr Leiden wurde von ihr gern öffentlich zur Schau gestellt,[7] was denen Nahrung gab, die in ihr eine Geisteskranke oder ein frigide, manisch-depressive Frau sehen wollten. Ursache und Wirkung der Krankheitsbilder lassen sich wohl nicht mehr genau rekonstruieren, daß derartige Lebensumstände jedoch Hysterien und Depressionen mit psychosomatischen Folgen hatten auslösen können, ist durchaus denkbar.
Das Werk von Norrman ist interessant, da es unter einem wissenschaftlich – theologischen Aspekt die Dinge beleuchtet und neue Perspektiven herausarbeitet. Besonders erfrischend mutet ihre kritische Auseinandersetzung mit den bislang häufig verwendeten literarischen Quellen an. Sie setzt sich von den herkömmlichen Quellenarbeiten mit der Überlegung „Kanske inbillar vi oss t.o.m., att ett fiktivt verk är självbiografiskt.” (20) deutlich ab.
Weiter gibt sie Aufschluß über die vielen christlichen Dichotymien in der Zeit, wie sehr Unterwerfung und Macht, Glaube und Realität, Hoffnung und Resignation im 19. Jh. miteinander korrelierten, was auch in VBs Werken zum Tragen komme. In diese Spannungsfelder bettet sie die Romanfiguren ein und nimmt vor einem philosophischen und sozial-historischen Hintergrund Bezug zum literarischen Text.
Jette Lundbo Levy (1982) beschreibt in Den dubbla blicken [8] die Gefangenschaft der Frau in ihrer Sexualität und in der öffentlichen Debatte um die weibliche Sexualität. Sie bricht VBs gesellschaftliche und individuelle Erlebniswelten auf, indem sie die Frage aufgreift, welche Möglichkeiten des Seins es für eine Frau damals hätte geben können (10). Im Grunde wirft sie die Fragen wieder auf, die Virginia Woolf 1928 in A room of one’s own[9] schon einmal beschäftigt hatten.
Die Einordnung der weiblichen Sexualität in eine Hysterie durch Unterdrückung (22), in die empfangende Mutter (32) und ihre Pervertierung durch Romankonsum („osedlig romanläsning“, 24), ist eine männliche und gesteht ihr in der Polarität Hure-Madonna keine eigene Existenz zu. Dieser „förtingligande blick“ (121) ermöglicht eine willkürliche Formbarkeit der Frau durch die etablierten sexuellen Codes, was VB in DB am Beispiel von zwei Kunstwerken eindringlich beschrieben hat. VB kannte die männliche Ästhetik, ihren Frauengestalten schrieb sie, mit dem objektiven Blick des ‘Ernst Ahlgren’, eindeutige Attribute zu. Sie vermochte durch die Distanz des „doppelten Blicks“ diese diametralen Pole der Aktivität und Passivität, und hier besonders der Formgebung und Formbarkeit, literarisch zu veranschaulichen. Nach Levy ist VBs literarische Produktion eben auch eine Formgebung, indem sie literarisch abgrenzt und sichtbar macht. Die weibliche Sehnsucht konnte weder die propagierte freie Liebe, noch eine sexuelle Begierde sein, da diese Perspektiven ausschließlich mit Prostitution und einhergehend mit der Scham über den eigenen weiblichen Körper in Verbindung gebracht wurden. Weibliches Schreiben war Sozialisierung und Zuschreibung von Bedeutung, indem die Weiblichkeit sich durch ihre Plazierung in eine Verhältnismäßigkeit setzen konnte.
Levys wissenschaftliche Ausführungen bilden einen aufschlußreichen Querschnitt durch historische Begebenheiten und Entwicklungen hin zu den daraus resultierenden, begrenzten Möglichkeiten weiblicher Formgebung.
Im Zuge dessen untersuchen Ebba Witt-Brattström und Gunilla Domellöf (1981) in ihrem Artikel Romanen om Marianne erneut die unterschiedlichen Perspektiven in VBs Werken. Ähnlich wie Levy, sehen sie in VBs Konstruktion der Frau eine realistische und utopische Ästhetik, einen „doppelten Blick“ (53). FM sei ein Versuch, sich in die Wirklichkeit einzuschreiben, um somit am Formungsprozeß teilhaben zu können. In Mariannes Rückkehr zur traditionellen Frauenrolle (Börjes Mutter) sehen sie die Zukunftsvision in diesem Roman.
In Könet som läsanvisning greift Git Claesson Pipping (1993) die Relationen der Geschlechter wieder auf. Nach biblischer Tradition sei Marianne ein Objekt männlicher Begierde, das, wie Eva, sündigt. Ihr zerstörerisches Element könne jedoch im Sinne Darwins durch ein befreites Sexualleben aufgehoben werden (vgl. Levy, 1980: 16).[10] Die Mutterschaft sollte allumfassendes Ziel der Frau sein, denn sie sei verantwortlich für das Fortleben der menschlichen Rasse. Spuren dieses Gedankenguts, u.a. vertreten von dem Philosophen Herbert Spencer (1820-1903) und von August Strindberg, sind in FM zu finden, aber eher in Form einer Problematisierung als einer einstimmigen Beipflichtung.
Pipping siedelt FM im Kräftefeld des Determinismus und Naturalismus an, in dem sich äußere Umstände, Wille und Tat gegenüberstehen:
„Ansvarslösa människor i Benedictssons determinism förenklar orsakssammanhangen så att deras egna drivkrafter får mindre betydelse än yttre omständigheter.” (55)
Die Journalistin Yrsa Stenius (1993) schreibt in ihrem Buch unter dem Titel Besattheten über das Verhältnis zwischen Georg Brandes und VB. Dieses immer wieder aufgegriffene, derweil literarisch gewordene Beziehungsdrama, in dem die Akteure offensichtlich auf zwei verschiedenen Bühnen aufgetreten sind, untermauert erneut VBs „neurotische Persönlichkeitsstörung“ (117). Eine Störung, die sexuellen Ekel und destruktiven Selbsthaß produziert haben soll, aber die ‘gestörte’ VB, so meint Stenius, dennoch durch unbewußtes, sexuelles Koket-tieren, Männerblicke auf sich lenken wollte (118).
Es ist zweifellos kein wissenschaftliches Werk, aber es ist bemerkenswert, wie weitreichend das Interesse an der Sexualität von VB ist, beschäftigt sie ihre Kritiker doch fast ein ganzes Jahrhundert.
Die Ergebnisse von Ingrid Primander (1994) zeigen einen neuen Weg in der VB-Forschung auf. Ihr Ansatz basiert auf dem von Mikhail Bakhtin in The Dialogic Imagination entwickeltem Konzept authoritative discourse (11), das die dem Werk zugrunde liegende Ideologie (hier verkörpert durch VB) untersucht, indem es die unterschiedlichen autorisierenden Menschen und Institutionen beleuchtet. Der authoritive discourse verdanke u.a. seine Existenz der handzahmen, unterwürfigen, und auch nicht immer werktreuen Behandlung der einschlägigen Literaturwissenschaftler/Innen in Skandinavien, in dessen Mittelpunkt fortwährend die Person VB stehe. Primander macht die Selbstinszenierungen, den extrem Ich-bezogenen Narzißmus von VB in ihren sowohl fiktiven als auch nicht-fiktiven Texten dafür verantwortlich, daß die Forschung sich fast ausschließlich mit der Person VB beschäftigt. Ein kühne These ist indes ihre Behauptung, Wahrheitsbegriff und Selbstbetrug würden sich bei VB nicht unbedingt ausschließen (93). Leider fehlen hier, und wiederholt auch an anderer Stelle konkrete Beispiele, die Gesagtes verifizieren würden. Das „System von Mythen“ um VB kritisiert Primander zu Recht, daß VB jedoch „keine Kontrolle über ihren Schreibprozeß“ (100) gehabt haben soll, verbleibt im Text als eine Behauptung auf dünnem Eis. Die Spitze ihrer Argumentation mündet in folgendem Satz:
„Jag finner det sannolikt att denna omedvetna nivå – som till stora delar har invaderat det som ser ut som en medveten nivå – bör ses som uttryck för någon typ av psykisk störning av en relativ omfattande och djupgående karaktär.” (100)
Auch hier verbleibt ihre Argumentation haltlos, zum Teil begünstigt durch unstrukturierten Aufbau und konstruierte Begründungen. Diese Art der unbegründeten Kritik ließe sich noch an weiteren Beispielen belegen.
Corinna Vonhoegen (1996) hingegen steigt in die wissenschaftlichen Fußstapfen von Witt-Brattström/Domellöf und Levy. Zwischen Aufklärung, Moderne und Antimoderne verpflichte sich VB
„[...] nicht nur einem bestimmten ideologischen Projekt, es ist ein Schreiben, das unter grundsätzlich neuen Bedingungen von Schreiben überhaupt geschieht.“(19)
Vonhoegens Arbeit konzentriert sich auf den Wandel der literarischen Schreibverfahren, von den traditionellen Aufschreibesystemen bis zum naturwissenschaftlichen Sezieren des Materials, und wie das weibliche Subjekt in diesem Prozeß ihre Autorschaft herauszuschreiben vermochte. Anhand von Lacans Spiegelstadium veranschaulicht Vonhoegen die Entdeckung der weiblichen Ganzheit und die einhergehende aktive Hervorbringung weiblicher Geschichte durch gewonnene weibliche Subjektivität (63).
Indes konnte VB ihren antrainierten, männlichen Blick analytisch und objektiv auf das männliche Objekt richten und im Perspektivenwechsel zwischen den beiden Blickrichtungen oszillieren. Diese Grenzüberschreitung sei der Versuch, sich dem Symbolischen zu entziehen und die Strukturen der weiblichen Semiotik [11] aufzubrechen (74). Wie sehr VBs Versuch der Formgebung die Handlung in DB konterkariert, wird in Vonhoegens Erläuterungen deutlich: VB beschreibt die Formung einer geschichtslosen Louise durch ihren Bergkönig.
Das letzte Werk, das ich in meinem Forschungsüberblick erwähnen möchte, sind zwei Texte aus dem von Yvonne Leffler (1997) herausgegebenen Gesamtwerk Bakom Maskerna. In Maskspel och dubbelexponering beschreibt Yvonne Leffler den weiblichen Text als „Janusgesicht“ (51), dessen äußere Struktur einen Subtext („palimpsestisk text“, 50) verbirgt, der encodiert werden muß. Sprachliche und stilistische Weichzeichner schützten damals die Autorinnen vor allzu verheerenden männlichen Kritiken und ermöglichten ihnen die Verbalisierung und Verbreitung ihrer kritischen Gedanken. VB spiele auch in anderer Hinsicht ein Maskenspiel: Unter ständigem Perspektivenwechsel bewegt sie sich mit Unterstützung einer fiktiven Erzählerin durch den Text, die ohne weiteres den männlich-objektivierenden Blick einnehmen kann. Dadurch entstehen vielschichtige Spiegelungen von Subjekt und Objekt, die den Leser immer wieder fragen lassen, wer eigentlich sieht und was gesehen wird.
2.2 Die Forschung aus dem Tagebuch: Eine kritische Stellungnahme
Daß so akribisch, ja geradezu minutiös in VBs Privatleben nachgeforscht werden konnte, verdankt die Wissenschaft dem Tagebuch Stora Boken[12], aus dem VBs Freund und Schriftstellerkollege Axel Lundegård Teile nach ihrem Tod veröffentlichte. In diesen insgesamt (ursprünglich) vier Bänden findet man fragmentarische Aufzeichnungen, unterbrochen von Dialogen und poetischen Entwürfen. Linder faßt zusammen:
„Hennes Stora bok är liksom den ryktbara Journal de Goncourt en förening av privat-dagbok och författarjournal med en blandning av självanalyser, aforismer, modellstudier och utkast.“ (Linder, 1930: 163)
Ein Notizbuch (1876-1888) gewährt Einblick in Theater- und Museumsbesuche, Literatur, Reisen und Menschen, denen sie begegnet ist (Norrman, 1978: 10). Stetige Briefwechsel erweitern das Material, das Lundegård schon 1890 in einer Sammlung zusammenfaßte und redigierte, weitere Teile folgten in den Jahren 1908 und 1928. Die komplette Ausgabe der drei Bände, SB I (1882-1884), II (1884-86) und III (1886-88) folgte schließlich in den Jahren 1978-84, komplettiert mit Briefen und Anmerkungen aus ihrem Notizbuch von der Herausgeberin Christina Sjöblad (Sjöblad/Witt-Brattström, 1993: 538).
Lundegårds laxer Umgang mit der Werktreue gegenüber den Tagebüchern ist von mehreren Seiten kritisiert worden (vgl. Olsson, 1950: 16), so daß eine Berufung auf jene Quellen schon von Grund auf prekär sein dürfte. Ljunghill formuliert es ein wenig anders: „ [...] hon låter oss generöst ta del av hela det stora dagboksmaterial hon har lämnat efter sig [...]” (Ljunghill, 1981: 163). Sollte VB auch mit dem Gedanken kokettiert haben, ihren literarischen Durchbruch vielleicht via Tagebuch zu ermöglichen (vgl. Sjöblad/Witt-Bratt-ström, 1993: 539), so ist Ljunghills Annahme doch ein wenig gewagt, besonders im Hinblick darauf, in welchem Ausmaß das Tagebuch von der Öffentlichkeit und auch von ihr selbst benutzt wurde. In den privaten Aufzeichnungen fand man u.a. gezeichnete „kattfötter“ (Ljunghill, 1981: 191/193), die je nach Stärke ihrer Menstruation entweder auf dem Zeh, der Verse gehen, oder ganz auftreten, woran ihr seelisches oder körperliches Befinden abgelesen wurde:
„Jag går igenom almanackor och polisrapport för att se, om hon varit gravid när hon dog. Böök kallar tecknen för menstruation i hennes kalendrar för ‚stjärnor‘, men de liknar mer spår efter kattfötter, som går på tå eller häl vid liten blödning och sätter ner hela tassen vid full menstruation. Innerst inne vore hon kanske beredd att föda ett barn med Georg Brandes [...].“ (ebd.: 191)
Ist auch Ljunghills Text eher literarisch aufgearbeitet, so ist dieser Eingriff in die Intimsphäre einer Frau ein Eindringen in fremde Seelenbekenntnisse, denen schwierige und teilweise schwer nachvollziehbare Lebensumstände vorangegangen sind. An dieser Stelle erscheint es mir wichtig, die ursprünglichen Titel dieser Tagebücher zu nennen: „Alla sorters skräp och Idel slarf“ [jeglicher Krempel und lauter Nachlässigkeiten], „Enskilda anteckningar“ [einzelne Aufzeichnungen] und „Fullkomligt privata anteckningar“ [vollkommen private Aufzeichnungen]. Ein Buch hat keinen Titel (Norrman, 1978: 10).
Davon ausgehend, daß eine Schriftstellerin wie VB ihre Worte sehr bewußt wählte, erhält man schon in den Überschriften die Information über Form und Inhalt der Schriften. Ihre Niederschriften notierte sie spontan und fragmentarisch und vor allem privat. Der letzte Titel ist besonders im Hinblick auf die Formulierung „fullkomligt“ interessant. Das Adverb bezieht sich grammatikalisch eindeutig auf das Adjektiv „privata“ und suggeriert, daß VB privat qualitativ, eben zwischen weniger und mehr privat, unterscheidet. Wie sehr Zeit ein entscheidender Faktor in VBs Einstellung zu ihren Tagebuchaufzeichnungen war, wird anhand ihrer widersprüchlichen Ermahnungen auf den entsprechenden Deckblättern deutlich. Steht in dem ersten Band noch: „Förbjuden ingång“, auf dem zweiten Umschlag: „Öppna ej!“, sowie folgende Proklamation: „Ingen eger rätt att öppna denna bok, hvarken nu eller vid min död. Den person som af mig utses att taga hand om min literära quarlåtenskap är den ende [...]“, so schreibt sie 1887: „Jag bryr mig icke om hvem som en gång får läsa min stora bok, när jag bara är död.“ (vgl. SB I-III).
Dies macht das Urteil darüber, was im Tagebuch privat oder nicht privat ist, noch komplizierter und läßt die ethische Diskussion darüber unlösbar erscheinen. Vielleicht ist es so, wie E.N. Tigerstedt 1948 kommentierte, daß „Benedictssons ‘föga originella [...] författarskap’ får stå tillbaka för hennes välkända personliga öde.“ (Williams, 1997: 29-33). Dieses Urteil widerlegt Ausführungen über VBs eigenes Empfinden, denn sie soll sich ganz als Schriftstellerin gefühlt haben und als solche bewußt ihre gesellschaftlichen Auftritte mittels Garderobe und eines eingeübten Ganges inszeniert haben (vgl. Witt-Brattström/Sjöblad, 1993: 538; Sjögren, 1979: 88-91/155/188). Als Hausfrau vom Lande versuchte sie offensichtlich ein zweites Ich zu kreieren, was sich nicht zuletzt in ihrem alter ego ‘Ernst Ahlgren’ äußerte. Inszenierungen jeglicher Art sind auch in ihren literarischen Werken zu finden, wie sich in dieser Arbeit noch zeigen wird.
Für viele Literaturwissenschaftler waren diese zusammenhangslosen Aufzeichnungen bislang die Forschungsgrundlage, auf der sie die Lebenshöhen und -tiefen der schwedischen Schriftstellerin im ländlichen Skåne nachzuzeichnen versuchten. Trotz, oder gerade aufgrund der regen Anwendung dieser ‘journales intimes’ kann von wissenschaftlicher Grundlage nicht die Rede sein. Margareta Sjögren bestätigt dies:
„Även om man tar återgivna replikskiften och reflexioner med hennes egen varning i minnet har de dock sitt värde, om inte som exakt dokumentation, så i varje fall som pulstagning på stämningar och känslor.” (Sjögren, 1979: 189)
Das Diarium gilt nicht als Tagesbericht, sondern ist als ein Stimmungsbarometer, als Puls der Zeit und persönliches Befreiungsepos zu betrachten (Algulin, 1989: 135). Die unsichtbare Trennungslinie zwischen Autor und Werk ist jedoch, wie im Vorangegangenen deutlich geworden ist, in den meisten Fällen erfolgreich verwischt worden, die Übersetzung vom Tagebuchgeschehen zum Text verlief oftmals 1:1.
2.3 Der fiktionale Text vs. Tagebuch
Wilhelm Scherers programmatische Formel „[...] ein Kunstwerk sei nur Produkt des Ererbten, Erlernten und Erlebten, [...]“ (Arnold/Detering, 1996: 369) scheint in der skandinavischen Literaturforschung große Beachtung gefunden zu haben. Die Suche nach früheren oder vergleichbaren Quellen war von der Frage nach dem Woher geleitet, nicht nach dem Was. Diese Arbeitsweise hat das literarische Werk VBs zunächst auf ein gewisses Maß reduziert.
„Ernst Ahlgrens produktion har av forskningen undersökts med hänsyn till sin idé- och tankevärld, sitt beroende av litterära förebilder och i sin relation till den biografiska bakgrunden. Dess estetiska förtjänster har rönt mindre uppmärksamhet.“
(Rosengren, 1965: 37)
Der wissenschaftliche Griff nach dem Tagebuch zur Rekonstruktion der ‘wahren’ Verhältnisse ließ den Text beiseite, um ihn dann als inhaltlichen Beleg für die Tagebucheintragungen wieder hervorzuholen. Literatur bleibt ein
„[...] poetisches Kunstmittel, Fiktion, Schilderung eines nicht wirklichen Sachverhalts in einer Weise, die ihn als wirklich suggeriert, ohne indessen einen nachprüfbaren Bezug zur außerdichterischen Wirklichkeit zu behaupten.“ (Wilpert, 1989: 298)
Grundsätzlich ist die Ambivalenz dem fiktionalen Text inhärent, eine freie Erfindung soll Realität vortäuschen. Dies geschieht jedoch häufig vice versa, indem ‘Reales’ in fiktionale Texte mit einfließt. Levy haben diese unsichtbaren Grenzen verunsichert:
„Det finns hos henne [VB] en motsättning som det tragiska och heroiska inte omedelbart ger något svar på. Nämligen denna: hon kunde skriva dagboksanteckningar och brev som innehåller exakta och närgångna beskrivningar av de upplevelser av osäkerhet, smärta och stora förhoppningar som hon fick uppleva i sitt uppbrott från och uppror mot en trång och oanvändbar kvinnoroll – men varför kunde sedan bara delar av dessa erfarenheter i förklädd och förvriden gestalt komma till uttryck i de romaner och noveller hon skrev? Varför kunde hon se så klart? Och varför kan hon inte hitta uttryckformer som motsvarar denna klarsyn?” (Levy, 1982: 7)
Dieses Zitat problematisiert sehr anschaulich die Frage nach der Bedeutung von Realität und Fiktion in der Literatur, wobei der hier VB unterstellte Mangel an Ausdruck ihrer Klarsicht diskussionswürdig ist.
Das Tagebuch zählt seit dem 17. Jh. zu den literarischen Gattungen und darf durch die spontane Aufzeichnung in Monologform nicht über die bewußte künstlerische Gestaltung des Autors hinwegtäuschen. Beide Quellen sind im weitesten Sinne Fiktion, sind Transporteure einer konstruierten Wirklichkeit.
„Problemet uppstår först när man ur det självbiografiska materialet – med inslag av fiktion – och ur det litterära materialet – med inslag av verklighet – vill försöka få fram hur det »egentligen« förhållit sig.“ (Rosengren, 1965: 7)
„There is no truth without some interest.“[13]
(William James)
3. Text und Wahrheit
Wie oben angedeutet worden ist, verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität allen Bemühungen zum Trotz, diese neu zu setzen, oder gar die vermeintlich ursprünglichen wieder nachzuzeichnen. Der Text kann demnach keine ultimative Wahrheit produzieren, sondern immer wieder neu Realitäten aufweisen, die innerhalb des Textgefüges kreiert werden. Auch die Pragmatiker weisen metaphysische Größen zurück, indem sie den Willen des Subjekts in die Entstehung von Wirklichkeit mit einbeziehen.
3.1 Der Pragmatismus und die Produktion von Wirklichkeit
Charles Sanders Peirce (1839-1914) konstatierte 1876 in einem Artikel: „Pragmatism shows that almost every proposition of ontological metaphysics is either meaningless or else absurd.“ (Peirce nach Wheeler, 1993: 75). Die Abneigung gegen die Metaphysik begründet der Pragmatiker damit, daß die Diskussion von Meta-Fragen, wie z.B. die Frage, ob die Welt materiell oder spirituell sei, nur eine indifferente Antwort hervorbringen kann. Sei sie materiell, oder spirituell, es würde keinen Unterschied machen, die Welt verändere sich dadurch nicht. Die Antwort auf die Frage hätte für den Menschen keine Konsequenz, folglich ist sie sinnlos. Nach William James (1842-1910) sind Fragen nur dann sinnvoll, wenn sie zu etwas Neuem gelangen, Dinge verändern und Wahrheiten verifizieren. Methode statt Dogma: „Theories thus become instruments, not answers to enigmas, in which we can rest.“ (ebd.: 77). Die Ziele sind klar definiert:
1. Enthüllung aller absoluten, geschlossenen Systeme
2. Transformation von Theorien in Methoden der Reflexion und Interpretation
Wie später auch Derrida (1974), unterstellt James allen metaphysischen Größen, daß sie veränderbar seien, ergo nicht endlich oder absolut. Die eine Wahrheit ist nicht existent, sie unterliegt der ständigen Veränderung durch Interpretation, sie entsteht in Prozessen und kann nur regulativ innerhalb einer Kultur funktionieren (ebd.: 78). Der individuelle Denkprozeß, das Bewußtsein, formt Wirklichkeit, ihre Bedeutung wird durch die Ideale, Bedürfnisse und Absichten des Menschen determiniert. In dem Wort experience faßt die Pragmatik Dualismen wie Subjekt-Objekt zusammen, die als Einheit, nicht als ontologischer Gegensatz betrachtet werden. Die Funktionalität der experience wird im Folgenden noch einmal verdeutlicht:
„It is rather a word, a metaphor, a figure of speech, like ‚self‘ and ‚world‘, used heuristically to name the field or context of activity of the functionally (not ontologically) distinguished elements of subject and object, etc.“ (ebd.: 94)
Experience ist Aktion an sich, der kontinuierliche Fluß des Werdens, aus dem mit Hilfe des Bewußtseins selektiert wird. Der Pragmatismus läßt die Frage nach der Entität Wirklichkeit redundant werden: „[...] truth is in the end just a product of semantic convenience, [...]“ (Norris, 1997: 141).
4. Der Text als Zeichen
Sprache galt lange Zeit unumstritten als Bedeutungsträger historischer und kultureller Konventionen (Eagleton, 1997: 119). Diese Logozentrik, der Glaube an ein endgültiges Wort, an eine Wirklichkeit, gründete die Basis der gesamten westlichen Sprach- und Denksysteme. Derrida nennt die abendländischen Grundprinzipien metaphysisch, womit eine übergeordnete Meta-Sprache, die etablierte Bedeutungssysteme repräsentiert, gemeint ist. Dieser „linear gedachten Evolution von Bedeutungshierarchien“ (ebd.: 114) folgt schließlich die Komplexität eines Zeichensystems, das Ferdinand de Saussure in seinem Werk Cours de linguistique générale (1916) entworfen hat. Seine strukturalistische Linguistik, die sich mit der synchronen Sprachforschung befaßt, ist das Fundament für die weitere kritische Forschung des Poststrukturalismus und seinen weiten Verzweigungen. Das System Sprache (la langue) faßt Saussure als Zeichen auf, zusammengesetzt aus mentaler Vorstellung signifié (Bezeichnetes) und einem artikulierten Lautbild signifiant (Bezeichnendes). Dieses Modell greift Derrida auf, um es dahingehend weiterzuentwickeln, daß er den Signifikanten vom Signifikaten trennt, d.h. ein Signifikant, oder ein Wort, entspricht nicht mehr unbedingt einer bestimmten Vorstellung, die dem Signifikaten inhärent ist (ebd.: 74-75).
4.1 Die Dekonstruktion – Jacques Derrida
Die Dekonstruktion hat sich zum Ziel gesetzt, Dogmen zu unterminieren, etablierte Ordnung zu desorganisieren und Dualismen aufzulösen, davon ausgehend, daß das Zeichen nicht gleich Bedeutung ist, sondern Bedeutung ein „Nebenprodukt eines potentiell endlosen Spiels von Signifikanten“ sei (ebd.: 110). Zeichen unterscheiden sich nach Derrida durch ihre Differenz (différance), existieren in ewigem Wechselspiel zwischen an- und abwesender Bedeutung. Innerhalb einer Signifikantenkette verweist der eine auf den nächsten, kein Signifikant ist absolut. „[...] différance is not already built, but is ‚endlessly a-building‘; it is a house with no name or fixed address, and no construction engineer, but a product of bricolage [14], of improvisation“ (Wheeler, 1993: 213). Es wird hier von einem Zeichen ohne Ursprung und ohne autonome (Bedeutungs-) Einheit, gefüllt durch einen außersprachlichen Referenten (Signifikat), ausgegangen, das als „[...] ein System von Gegensätzen und Differenzen, die die Zeichen untereinander zu einem System verbinden [...]“ (Arnold/Detering, 1996: 416) funktioniert.
Die Methode der Dekonstruktion basiert demnach auf den gleichen Prinzipien der Auflösung traditioneller Strukturen wie der Pragmatismus. Sie ist der Versuch, den Text für sich selber sprechen zu lassen, ihm einen neuen Raum zu gewähren, in dem Bedeutung immer wieder neu produziert wird: „Meaning is delayed, reserved, postponed, deferred.“ (Wheeler, 1993: 212). Der neue Raum gehört insofern dem Leser, daß er, der Bezeichnende, den Text immer wieder neu liest. Im Denken der différance[15] ermöglicht sich das Subjekt immer nur in Bezug auf das Andere, das, was es selbst nicht hat. Daraus resultiert die Auflösung jeglicher, wie Derrida sie bezeichnet, binärer Oppositionen sowie Derrida auch die von Saussure entgegengestellten Dualismen Signifikat und Signifikant in eine differenzielle Position versetzt. Dem Signifikanten kommt demnach ebenso die Eigenschaft des Signifikats zu (ebd.: 420). Die Differenz zeigt nur ein Verhältnis an, sie kann wie ein Text etwas über die Natur von Sinn und Bedeutung aufzeigen. Dieser Überschuß über die wörtliche Bedeutung hinaus provoziert endlose Verschiebungen von Sinn, die jegliche Strukturen umgeht (vgl. Eagleton, 1997: 118).
Am Ende sind keine abgeschlossenen Ergebnisse zu erwarten, die zu diesem oder jenen Schluß gelangen. Vielmehr versucht die Dekonstruktion eine Schrägstellung zum Text einzunehmen, die neue Perspektiven eröffnet und sozusagen herkömmliche Rezeption neu erfrischt. Es gilt, die Literaturkritik neu zu bewerten,
„...while renouncing the ambition to master, control, or demystify the text, the author’s psyche, or the act of reading and making sense, in favour of the joy of interpretation, constant movement, no final rest.“ (Wheeler, 1993: 214)
Man darf jedoch nicht übersehen, daß das Zeichen immer historischen und kulturellen Konventionen unterliegt und daher auch ideologischer Träger ist. Der französische Kulturkritiker Roland Barthes unterscheidet demnach zwischen gesundem/natürlichen und ungesundem/künstlichen Zeichen. Das gesunde Zeichen versucht nicht vorzutäuschen, daß es natürlich sei, sondern gibt auch immer zu erkennen, daß es arbiträr und auch relativ ist. Ein künstliches Zeichen hingegen täusche Natürlichkeit vor, vergleichbar mit einer Ideologie, die gesellschaftliche Wirklichkeit als natürlich auslegen wolle. Barthes Zeichen ist nicht repräsentativ, es ist „ein durchlässiges Fenster zum Objekt oder zum Denken“ (Eagleton, 1997: 120).
4.2 Die feministische Literaturtheorie – Jacques Lacan und Luce Irigaray
Die elementaren Ansätze teilte der in der Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts aufkommende Feminismus mit der Dekonstruktion. Besonders an den feministischen Zugängen ist ihre Vielfältigkeit, die sich aus den herkömmlichen Theorien heraus entwickeln konnte. Praxisnah machte sich der Feminismus an die Auflösung der wohl ältesten binären Opposition überhaupt: der von Mann und Frau. Ihre Vordenkerinnen Simone de Beauvoir und Virginia Woolf bahnten den Weg zu einer, wie es die Frauenforschung bezeichnet, „Archäologie einer weiblichen Kulturtradition“ (vgl. Arnold/Detering, 1996: 501). Mit diesem Aufbruch versuchte man neue sexuelle Bedeutungssysteme zu etablieren, die sowohl traditionelles Verständnis, als auch das Selbstverständnis neu zu definieren versuchten. Ziel war, die verborgene Realität der Frauen wieder zu entdecken, um sich selbst als Subjekt sichtbar machen zu können. Hieraus entstand der wohl tiefgreifendste Diskurs zu diesem Thema, der die feministische Literaturtheorie in ihre Lager spaltete: der Diskurs über Gleichheit und Differenz.[16] Silvia Bovenschen faßt die unterschiedlichen Haltungen in dieser Sache zusammen:
„Während nun freilich die einen die Differenz ‚wesenslogisch‘ fixieren, gleichzeitig jedoch den realen Status des Weiblichen festschreiben wollen, versuchen die anderen, den Status der Frauen zu verändern und ihn dem des Mannes anzupassen, ohne die ungleichgewichtigen geschichtlichen Voraussetzungen der Geschlechter zu be-achten.“ (Bovenschen, 1979: 60)
Das Fundament für die Ansätze der feministischen Theorien bilden die theoretischen Grundlagen Jacques Lacans (1901-1981) und stützen sich weitgehend auf die Erkenntnisse Sigmund Freuds. Anhand des Spiegelstadiums illustriert Lacan den Weg vom einheitlichen Objekt bis zur Wahrnehmung eines Geschlechtsunterschiedes, der Differenz. Hierbei ist anzumerken, daß Lacans Methode vom männlichen Kind ausgeht, das bei seiner Mutter, die ihm als Spiegel dient, den fehlenden Phallus bemerkt, also kastriert ist. Dieser Übergang vom wahren ich (je) zum imaginären ich (moi) ist die notwendige Selbstidentifikation des Kindes, das seine Identität anhand des weiblichen Spiegels, also außerhalb seiner selbst etabliert. Durch die Entdeckung des moi im Spiegel, das Lacan auch als Ideal-Ich bezeichnet (vgl. Lacan, 1973: 64) entsteht die Selbsttäuschung einer sichtbaren Ganzheit, die das je in seiner Bedeutung verschiebt, indem es zum Objekt wird. Das gespaltene Subjekt versucht nun ständig diese Gespaltenheit zu leugnen, so wie es seine frühe Erfahrung der Differenz zur Mutter verdrängt.
Lacans Subjektbegriff impliziert demnach die notwendige Spiegelung (imaginäre Phase) zur Identitätsbildung des Subjekts, die gleichzeitig den Wunsch nach Einheit und Vollständigkeit erfüllt. Aus dem Mangel dieser real nie erreichbaren Einheit produziert sich das Begehren des Mannes, dessen Objekt die Frau ist. Denn sie ist (Herv. d. Verf.) Phallus, dessen Funktion die fortwährende Bestätigung der Geschlechtsidentität des Mannes ist und deren Reduzierung auf Verkörperung dieses Begehrens eine eigene Identität verhindert. Diese Identitätskonstitution durch Produktion von scheinbarer Einheit im eigenen Spiegelbild wird mit dem Eintritt in die symbolische Ordnung, Gesellschaft und Sprache, „[...] jenes unzugängliche Reich, das sich stets jenseits der Reichweite der Bedeutung befindet, immer außerhalb der symbolischen Ordnung.“ (Eagleton, 1997: 157) aufgelöst. Denn auch die Sprache ist imaginär, ist Träger sich stetig verschiebender Bedeutung, die in ständiger Bewegung unter den Signifikanten hin und her gleiten, immer auf der Suche nach dem Abwesenden (vgl. Lacan, 1991: 9ff.).
Diese Theorie des Spiegelstadiums rief Kritik besonders von Seiten der belgischen Psychoanalytikerin und Philosophin Luce Irigaray hervor. Eine Theorie, in welcher ausschließlich die symbolische Ordnung des Mannes sowie entsprechendes männliches Körperbild vorherrschen und die Frau lediglich als Projektionsfläche dessen dient, in dem sie selbst nicht existiert, ist von weiblicher Seite nicht akzeptabel (vgl. Meyer, 1997: 163-164).
Irigaray hat sich neben Cixous daher um eine eigene Sprache bemüht, die den Frauen eine Ausdrucksmöglichkeit geben soll, die sich nicht nur auf Sprachlosigkeit, Hysterie oder Mimesis[17] beschränkt (ebd.: 178). Ein wichtiger Faktor hierbei ist die Entwicklung eines weiblichen Diskurses, der auch die fehlende Solidarität unter den Frauen durch Spiegelung untereinander herstellen kann (ebd.: 153). Dabei geht es ihr nicht um eine neue Sprache, sondern um die Entwicklung einer Sprachpraxis, die nicht auf Wiederholung und Übernahme männlicher Sprechgewohnheiten aufbaut, sondern durch Untergrabung dieser bestehenden Ordnungen eine eigene weibliche Identität zu gewinnen.
Die französischen Feministinnen versuchten weiterhin auf Basis der Psychoanalyse ein feminines Schreiben (écriture féminine) zu entwickeln,[18] andererseits wurde eine spezifisch weibliche Schreibe als eine utopische Vorstellung betrachtet, so daß die Methode des „schielenden Blickes“ geboren wurde (vgl. Weigel, 1985: 83-137). Diese Methode erinnert sehr an VB: Die Strategie, durch Adaption des männlichen Blickes und gleichzeitiger Durchquerung der weiblichen Bilder, sich einen doppelten Status als Objekt und Subjekt zu schaffen (Arnold/Detering, 1996: 509), wodurch die starre Binarität der Geschlechter von Grund auf innerhalb der Autorschaft außer Kraft gesetzt ist. Die feministische Theorie mündete schließlich in einer neuen/weiblichen Lesart, die sich u.a. durch ihre Auseinandersetzung mit Mythologien, sex / gender – Systemen und Freuds Psychoanalyse herausbilden konnte.
4.2.1 Der weibliche Ort
Der Begriff Ort ist im weiteren Verlauf meiner Arbeit ein Schlüsselbegriff, dessen Bedeutung hier kurz erläutert werden soll. Bisher sah es um die Weiblichkeit sehr dunkel aus, sie glich eher einem verschleierten Bild, einer Entfremdeten, einer neiderfüllten Mangelerscheinung. Der Versuch der Weiblichkeit, sich in die fest etablierte männliche Ordnung einzuschreiben, ist auch ein Versuch, sich einen Platz innerhalb dieser Ordnung zu verschaffen, einen Subjektstatus zu erlangen und vor allem, sich selbst als Frau zu sein.
Das „sonderbare Monstrum“ Frau (Woolf, 1981: 51), diese konstruierte Ambivalenz eines Geschlechts, muß zunächst entlarvt werden. Da bis dato alles „imaginiert weiblich“ war (Bovenschen, 1979), d.h. Weiblichkeit bestand nur in Bildern, dessen
„Kunstweibliche Funktionen und Wirkungen [...] in einem geradezu grotesken Verhältnis zu den Möglichkeiten der wirklichen Frauen stehen.“ (ebd.: 13),
muß nun das Verdrängte und Verborgene entdeckt werden, das dem Ausschlußverfahren des Mannes zum Opfer gefallen ist (vgl. Lindhoff, 1995: 129). Die Frau als femme fatale, oder als Naturwesen sind männliche Konstruktionen, die im Text aufgespürt werden müssen, um den Ort des Weiblichen zu lokalisieren, und sich diesen zu eigen zu machen. Irigaray hat den Begriff des Ortes in ihrem Werk Speculum problematisiert. Sie stellt fest
„[...] daß die Frauen noch keinen Ort gefunden haben. Sie sind zwar der Ursprung und damit selbst der Ort, haben aber noch nicht Besitz von sich ergriffen. Dadurch bleiben sie ein Nichts vor dem männlichen Ganzen, sind immer auf einen Mann als Subjekt bezogen, agieren nach dessen Bedürfnissen und innerhalb seines Systems.“ (Irigaray, 1980: 284)
Bislang kann demnach nur von einem Pseudo-Ort der Frau die Rede sein, der ihr innerhalb der männlichen symbolischen Ordnung zugewiesen wird. Eine Einschreibung in dieses System ist nach Irigaray nur möglich, indem sie weibliche Identität durch die Lokalisierung eigener Sexualität (Geschlechterdifferenz) entwickelt und ihren Ausdruck in einer eigenen Sprache findet (vgl. Meyer, 1997: 169-177). Wichtig wäre ihr eine radikale Rekonstruktion des Imaginären und der weiblichen Sexualität überhaupt, das Ansetzen am Unbewußten, in dessen Keim statt Verdrängung, Kreativität und Erneuerung ihren Ort finden müssen. Die Rolle als Spiegelbild des Mannes muß also zerstört werden, damit ein eigener Subjektstatus beansprucht werden kann (vgl. Schneider, 1983 u. Abschn.4.3).
Der Versuch Irigarays, die weibliche Sexualität aus der Unterdrückung männlicher Ordnung herauszuhebeln, geht einher mit einem geschlechtlich differenzierten Imaginären, das hinter die männliche symbolische Ordnung zurückgeht und eine Rekonstruktion eines weiblichen Körperbildes ermöglichen soll (vgl. Lindhoff, 1995: 134). Dem männlichen Blick stehe demnach die weibliche Berührung gegenüber, sowie Fluß und Metonymie der weiblichen Ordnung angehören (Irigaray, 1977: 214). Diese ursprüngliche Einheit gilt es wiederzufinden. Ein Beispiel ist die Arbeitsweise VBs, die als Autorin gleichfalls auf der Suche nach diesem geheimnisvollen Ort war.
4.2.2 Id- Entität: Ernst oder Pseudo-Victoria?
Die Frage nach Identität kommt schon außerhalb des Textes auf. Es erscheint nicht der bürgerliche Name Victoria Benedictsson auf dem Buchcover, sondern ein männlicher Phantasie-Name. Man weiß nicht, mit welchem Subjekt man es zu tun hat, da sie dem Rezipienten den leeren Raum zwischen Anonymität, Pseudonym und Weiblichkeit überläßt (vgl. Vonhoegen, 1996: 20). Wie stark die Pole für VB auseinander driften, läßt sich schon an der unterschiedlichen Phonetik der Namen Victoria Benedictsson und ‘Ernst Ahlgren’ erschließen. Diese doppelte Bezeichnung zeugt von einem gespaltenen Ich, das sowohl von sozio-kulturellen Bedingungen herrührt, aber offenbar auch eine Konstruktion einer eigenen Arbeitsmethode ist, die VB für sich gewählt hat. Mit ihrer Arbeitsmethode ist hier die Inszenierung zweier Geschlechter gemeint, die eins sind und zwischen denen sich die/der Erzähler/in hin und her bewegen kann (vgl. Abschn. 4.2). Damit knüpft VB sowohl an die Philosophie der Pragmatiker, an den Begriff der experience an, so wie an die bis dato noch nicht entwickelte dekonstruktivistische Idee.
Ihre Verwendung des Autornamens ‘Ernst Ahlgren’ ermöglichte ihr darüber hinaus, die männliche Symbolik zu übernehmen und eine literarische Tradition im Rücken zu haben. Diese Bewegung hinein in die männliche Autorschaft war zugleich eine Bewegung heraus aus dem von Männern zugeschriebenen weiblichen Mythos. Durch diesen Befreiungsschlag in die männliche Identität begab sie sich in das Niemandsland zwischen Bewußtsein und Sexualität. Dieser Ort ließ sie selbst sich fragen, ob sie, wenn sie zugleich Frau und Schriftsteller war, nicht auch so etwas wie ein Mann sei (vgl. SB III: 350). ‘Ernst’ konnte sich, allein schon dadurch, daß er im Gegensatz zu VB keine Krücken tragen mußte, gesellschaftlich frei bewegen, redend und schreibend verpflichtete er sich dem wissenschaftlichen Prinzip der sachlichen Analyse. VB hingegen schrieb und redete nicht, sie ließ Ernst das „Seziermesser“ (SB II: 56) an ihren Körper ansetzen:
„Mit kühlem ärztlichen Blick entziffert Ernst auf Geheiß die Zeichen ihres geöffneten Körpers, liest in den Symptomen die Namen der Krankheiten.“ (Vonhoegen, 1996: 35)
Er/Sie entwickelt hier auch eine neue Sichtweise auf den weiblichen Körper, indem eine Verschiebung des männlichen Blickes stattfindet. Der weibliche Körper ist nicht mehr sexuelles Objekt der Begierde, sondern ein Patient, dessen Symptome erkannt werden müssen, damit sie (die Frau) gesunden kann. Der Schein des mythologisierten weiblichen Körpers löst sich in die Realität eines organischen Lebewesens auf.
Ein weiteres Merkmal mehrdimensionaler Identität ist VBs Erzählperspektive. Sie wählte in keinem ihrer Werke eine Ich-Erzählerin, sondern distanzierte sich stets mittels der Erzählung in dritter Person, so daß ihre Rolle als weibliche Autorin maskiert werden konnte (vgl. Hennel, 1984: 89 u. Abschn. 8.1). Generell waren Pseudonyme zu der Zeit häufig Freiheitsgarant für eine starke Sprache, mit der sich die weibliche Stimme im Verborgenen Luft verschaffen konnte (vgl. Hennel, 1984). Sie war nicht mehr an verzerrende Euphemismen oder indirekte Höflichkeiten gebunden, sie hatten die sprachliche Freiheit eines Menschen in Besitz genommen, um diese in ihrem/anderem Sinn zu gebrauchen. Yrsa Stenius ist der Meinung, VB hätte zwar hinsichtlich ihres Lebensraumes und dem damaligen literarischen Umfeld nicht unbedingt Anlaß gehabt, ein Pseudonym zu verwenden, sondern:
„Hon väljer en mans identitet därför att det är en mans identitet hon tror sig vilja ha. Dels på grund av att 1800-talets kulturjournalistik dominerades kompakt av män och ett manligt författarnamn hade större chans att från början bli taget på allvar. Dels därför att hennes onda självbild i sin medvetna gestalt var förknippad med olyckan att vara kvinna.” (Stenius, 1993:114)
Das Pseudonym war mitunter sicherlich hilfreich, um besonders auf institutioneller Ebene respektiert zu werden, dennoch lassen sich hinter, oder auch neben dem Pseudonym weit diffizilere Strukturen vermuten, die tief in die literarische Produktion einwirken. VBs Problematisierung der Begriffe Subjekt und Subjektivität ist auch innerhalb der Literaturtheorie fortwährend ein Thema.
„Das Privileg, als >Ich< zu sprechen, stiftet ein souveränes Selbst, ein Zentrum absoluter Fülle und Macht.“
(Butler, 1991: 14)
4.3 Das Produkt Subjektivität
Die Ambivalenz von Subjektivität unterliegt dem Spannungsfeld zwischen Opposition und Differenz. Erneut ist eine zuvor manifest geglaubte Entität im Spektrum des Dazwischen zu suchen, das sich nur im Bezug auf das Andere erzeugen kann.
„Das Subjekt befindet sich im ständigen Prozeß, sobald es spricht oder denkt. Die wesenhafte Subjektivität wird abgeschafft zugunsten einer Subjektivität, die von unserer Kultur und Gesellschaft produziert wird.” (Meyer, 1997: 142)
Die sich ständig verschiebende Bedeutung bezeichnet Derrida als ein Effekt von Subjektivität: „It is [...] necessary to reconsider the problem of the effect of subjectivity such as it is produced by the structure of the text.“ (Derrida nach Deutscher, 1997: 44). Die Struktur des Textes bestimmt nach wie vor die symbolische Ordnung, die als Produzent dieses Effekts, der auch als Wirkung die gemacht wird (vgl. Kluge, 1999) umschrieben werden kann, wodurch der Subjektstatus mit dem männlichen Prinzip einhergeht. Weiblichkeit fällt somit der Objektstatus zu, auf den dieser Effekt einwirkt.
Das Lacansche, ewig uneins seiende und stetig begehrende Subjekt, ist nicht zuletzt aufgrund der Diskussion um die Geschlechterdifferenz ins Wanken geraten (vgl. Abschn. 4.2). Die feministische Postmoderne hat aufgrund der kultivierten Schieflage von der Allgemeingültigkeit des Subjekts Abstand genommen, was gleichbedeutend ist mit der Demontage der männlichen Entität, der neuen „Einschreibung der geschlechtlichen Identität in den neuen Subjekt-begriff.” (Seyla Benhabib nach Meyer, 1997: 143). Mit Aufdeckung dieses nicht neutralen Subjekts folgt die Erkenntnis, daß der Ort Subjekt schon besetzt ist und sich die Frau in einem „kulturellen Vakuum“ befindet (ebd.: 149). Hier beginnt die Problematik, denn die Erhebung eines Anspruchs auf einen weiblichen Subjektstatus würde gegebenenfalls zu einer Aufteilung des Subjektstatus zwischen Frau und Mann führen, was einem Konkurrenzverhältnis gleichkäme. Charlotte Annerls Idee eines „androgynen Subjekts” (Annerl, 1991: 157), das sich unabhängig vom Geschlecht und ausschließlich aus Subjekteigenschaft und Lebensform konstituiert, wäre zumindest tendenziell eine denkbare Begegnung beider Subjekte, die sich in gegenseitiger, konstruktiver Befruchtung und Unterstützung als positiv erweisen könnte.
Diese Bewegung der Geschlechter zueinander hin führt zu der Frage nach dem Subjekt in VBs Werken. Das Begehren von Weiblichkeit, einen gewissen Subjektstatus zu erlangen, klingt insbesondere dahingehend illusorisch, als daß einerseits eine Destabilisierung des Subjekts (= Mann) per se erfolgen muß, was andererseits, aufgrund der schon etablierten Zerrbilder der Geschlechtlichkeit, so unmöglich erscheint. In FM scheint VB dieses Wunderwerk gelungen zu sein, denn sowohl Börje als auch Marianne finden zu einer Gemeinschaft, die sich durch Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekt auf beiden Seiten auszeichnet. Aber wo ist der Ort des eigentlich Realen, wo soll man innerhalb der Signifikantenkette beginnen? Peter Rühmkorf hat den Subjektbegriff in einem aussagekräftigen Satz problematisiert: ”[...] Wenn ich mal richtig ICH sag, wieviele da wohl noch mitreden können?!” (Rühmkorf, 1996: 27).
4.3.1 Die Sprache und Subjektkonstitution
Ein Weg zur Subjektkonstitution erfolgt über die Sprache, denn Sprache erzielt Wirkung. Reflexionen und Erkenntnisse brauchen das Transportmittel nach draußen, ohne dies verbleiben sie bedeutungslos für den Schaffensprozeß innerhalb des Systems. Auch die Entwicklung des Subjekts als Ort von Konflikten und Veränderlichkeit korreliert nach Christa Schneider mit dem Sprachgebrauch.
„Die Sprache ist eine Objektivation, durch die Sinn und Bedeutung vermittelt werden. Sprache transzendiert das Hier und Jetzt, spezifische Erlebnisse und allgemeine Sinnordnungen.” (Schneider, 1983: 108)
Die Notwendigkeit der Sprache liegt in ihrer Reflexion von Erlebtem und der durch diesen inneren Objektivierungsprozeß eigenen Stellungnahme zu den Dingen. Um nicht fremde Bilder gleichwohl übernehmen zu müssen und zudem selber Bildobjekt zu sein, ist eine eigene Sprache zur Identitätsfindung grundlegend, denn
„Die Identifikationen, die sie [die Sprache] vornimmt, sind [...] die Voraussetzung, um überhaupt ein Subjekt zu werden und eine Realität zu gewinnen.“ (Lindhoff, 1995: 78)
Dennoch ist Sprache kein Garant für ein vollständiges Subjekt, sondern auch sie verbleibt auf der Ebene der Differenz, des sich differenzierens von anderem. Sprache stellt demnach das Subjekt her und spaltet es gleichzeitig.
Die Literaturtheoretikerin Julia Kristeva (1978), deren Theorien ebenfalls auf Derrida und Lacan gründen, stützt sich, ähnlich wie Irigaray, auf die Psychoanalyse. So ist, nach Kristeva, die Grenzposition des Weiblichen die Stufe zwischen dem Semiotischen und Symbolischen. Das Symbolische ist die kommunikative Funktion von Sprache, bei der die Bedeutung im Vordergrund steht (Signifikat) und das Semiotische ist der Sprachkörper, Stimme und Rhythmus/ Trieb (Signifikant), der jedoch vom Symbolischen verdrängt wird (vgl. Suchsland, 1992: 88-94 u. Lindhoff, 1995: 111). Das Weibliche hat eine Zwischenposition:
„Kvinnans gränsposition är tydligast i litteraturen, eftersom litteratur enligt Kristeva avslöjar sanningen om ett annars förtryckt, nattligt, hemligt och omedvetet universum genom att exponera det osagda, det kusliga, skamkänslorna, drömmarna, kroppens gåtor...Kvinnor såväl som män är hänvisade till språket, till att beteckna och benämna. Kvinnan är alltså inte utanför språket, men utesluten i det.” (Witt-Brattström, 1993: 75)
5. Von der Theorie zu den Texten
Ich möchte nun im Folgenden die drei Frauengestalten Marianne, Selma und Louise im Hinblick auf deren Ort (vgl. Abschn. 4.2.1) innerhalb der Werke von VB betrachten. Mit Ort ist hier speziell der Raum gemeint, in welchem die Figuren plaziert werden, sowohl durch Blick, als auch durch Sprache. Der Ort ist Projektionsfläche der Bedeutungszuweisung (Signifikat) anhand dessen Wirklichkeiten entstehen, die es zu überprüfen gilt.
Die drei gewählten Frauenfiguren sind deshalb interessant, da sie drei unterschiedliche Wege aufzeigen, die zu der Zeit für eine Frau weitestgehend denkbar gewesen wären und welche zum Teil durchaus als eine mögliche Weiblichkeit gedacht werden können. Die Bewußtwerdung der Figuren, daß mit dem offiziellen Eintritt in die Gesellschaft als Frau ihr von patriarchalischer Ordnung geschnürtes Korsett immer enger wird, bleibt immer ein Reagieren auf etablierte Zustände, in die sie hineingeträumt und -getrieben werden. Sei es Selma, die man an den reichen Patronen verkauft, oder Marianne, der eine Möglichkeit einer Wahl nur scheinbar gegeben wird, Louise, die sterben muß, um wirklich zu werden.
Der Kontrast zwischen dem Konstrukt Frau und dem, was sie für sich selbst ist und sein könnte, bestimmt den dramaturgischen Verlauf in den drei Werken und ist zugleich eine Problematisierung der ausgeschlossenen Hälfte der Bevölkerung und der starken Polarisierung von männlich - weiblich.
5.1 Das Entree
An einem sonnigen Maitag liegt Louise kränkelnd in einem Pariser Atelier auf einer Chaiselongue und wird von ihrer Freundin Erna mit heißem Tee bewirtet. Marianne öffnet im Spätsommer die Tür zum Eßzimmer und berichtet ihrer Mutter von einem merkwürdigen Brief, den sie ihr sogleich zum Lesen reicht. Es ist ein Werbungsschreiben eines unbekannten Verehrers. Selma schlendert am Ende des Sommers die Dorfstraße entlang, die Hände in den Taschen und den Blick sorglos in den grauen Himmel gerichtet. Sie fragt sich, ob es wohl noch regnen werde.
Die Handlung beginnt unmittelbar mit den zentralen Figuren, deren charakterliche Anlagen schon hier offenbar hervortreten. Louise und Selma sprechen durch ihren Körper, der eine krank, der andere schlendernd. Louises Position kann als Präfiguration des Totenbettes gelesen werden, sie ist indisponiert und auf die Handlung anderer angewiesen. Ihr Zuhause ist weit weg, die Familie größtenteils ausgelöscht. Marianne hingegen befindet sich in häuslicher Geborgenheit, die sie nie wirklich verlassen wird, sondern ihr lediglich eine neue Form verleiht. Selma ist unterwegs, auf dem Weg, und zwar allein. Dies ist die Ausgangslage der drei Mädchen, so stehen sie am Bühnenrand des ersten Aktes.
5.2 Das imaginierte Weib: Tat - Ort Mythologie
Romantisch und märchenhaft präsentiert sich Marianne wie eine Venus auf ihrem Kanapé, auf dem sie besonders nach feierlichen Bällen zu ruhen pflegt, dem rauschenden Feste nachsinnend, von der Mutter sorgsam umhegt. Sie fühlt die männlichen Blicke noch auf ihrer Haut, die sich an dem schönen Objekt verhafteten und sie sogar die gewohnte Lektüre ihrer Liebesromane vergessen lassen (FM: 12-13). Ihre Erfolge bei dem anderen Geschlecht sind wohl auf ihre ausgefeilten Garderoben zurückzuführen, die sie auf die bewundernden Blicke anzusetzen weiß. Sich selbst ins beste Licht gerückt, ist das Blendwerk perfekt inszeniert und sie kann ihrem Narzißmus frönen. Marianne hat, nach August Bebel (1972), die besten Anlagen zu einer übererotisierten Frau:
„I överklassen skruvas de sexuella behoven hos kvinnan upp, ty: Hennes andliga föda består blott af osedlig romanläsning, frivola teaterstycken, sinnesretande musik och skandalhistorier af allehanda slag.” (Levy, 1982: 24)
Tatsächlich ist die sexuelle Phantasie bei Marianne stark ausgeprägt, träumt sie doch schon nach dem zweiten Brief ihres Freiers von ihrer willenlosen Hingabe zu jener rohen Naturgewalt (FM: 13). Wie die Göttin Venus möchte sie den zügellosen Mars (Börje) bezähmen, ihn in den Bann ihrer antrainierten Weiblichkeit ziehen. VB entwirft hier Marianne nach dem mythologischen Frauenbild des Mannes zu der Zeit, ihre Konturen sind idealisiert und entsprechen der weit verbreiteten männlichen Wunschvorstellung einer erotischen Unschuld. Ihr werden demnach die typischen Attribute zugeteilt:
„Det är smala, fint formade fötter, som aldrig behövde klämmas för att se små ut [...]. Håret var litet, mjukt och guldglänsande. Det låg högt uppe på jässen i en grekisk knut, lämnande hårfästet i nacken fritt.” (FM: 14)
Auch ihr ästhetisches Auge sieht ganz im Zeichen einer zugedachten, weiblichen Traum - Vorstellung:
„Detta rum hade hon inrett efter sin egen smak, här var lyx och komfort, som hon åstundade. De mjuka mattorna, marmorlavoaren, målningarna i taket, allting förtjuste henne, och nu vid fulla dagsljuset, som dämpat trängde in genom gardinerna, nu var hon färdig att skratta vid tanken på hemfärden och dess onödiga ångest.” (FM: 80)
Die Einrichtung ihres Zimmers vermag sogar Ängste zu vertreiben und legt sich als perfektes Abbild wie eine Folie auf ihren Blick. Ihr Leben soll ein unbekümmertes und unbeschwertes sein, der Wohlstand ist Börjes Geschenk, für das sie Dank empfindet und auch empfinden soll. Mariannes Begehren nach den schönen Dingen erinnert an ein kleines und verwöhntes Kind, dessen Bedürfnisse gestillt werden, damit es die unbehaglichen Dinge des Lebens übersieht, oder zumindest weniger deutlich sieht. Die mit spitzenverziertem Morgenmantel und Hausschuhen aus blauer Atlasseide ausstaffierte Prinzessin (FM: 82) vermag dennoch, mit Unterstützung ihrer romantisierenden Groschenromane, den natürlichen und unbeugsamen Charakter ihres zukünftigen Mannes zu erkennen und auch zu bewundern:
„Hon kände sig tilldragen till honom av det innerligaste förtroende. Det fanns något i hans enkla, osammansatta personlighet, som drog en trollring kring det bästa i hennes sinne.“ (FM: 21)
Der anfängliche, unschuldige Urzustand zweier Liebender wird von beiden als wahrhaftig empfunden und von Marianne als ewiger Zustand herbeigewünscht: „Hon skulle önska att det alltid vore som nu, att det inte behövde finnas fler människor i världen än hon och han.“ (FM: 31). Börjes Voyeurismus kann nun seiner Befriedigung entgegen sehen:
„Men nu hade det blivit verklighet, ty där [...] satt hon ju, den förkroppsligade elegans, som han dittills endast fått tillbedja på avstånd. Han greps av samma känsla som brukade komma över honom på teatern: ett slags feber i blodet, ett begär efter glans och nöjen [...]. Han tänkte därpå med triumf [...], med den berusande känslan av att gå på randen av en frestelse, då njutningen ligger i själva den hemliga rysningen man känner vid att falla.” (FM: 40)
Durch den Perspektivenwechsel, der Blick führt nach innen in die Figur, wird Mariannes Abhängigkeit von Börjes Blick hervorgehoben, denn ohne diesen fühlt sie sich wie in einem schlecht sitzenden Kleid (FM: 37). Ihr Zwiespalt verstärkt sich zusätzlich durch das zurückhaltende, ein wenig mißbilligende Verhalten ihrer Familie, deren Wohlwollen eher auf Börjes Geldbeutel beruht und nicht auf ihm als Mensch. Ein eigenes Bild, eine persönliche Einschätzung dieser Situation ist Marianne aufgrund ihrer unreflektierten Abhängigkeit vom männlichen Blick nicht möglich. Ihre Weiblichkeit verbleibt im Mythologischen:
„Hennes kön har bestämt hennes roll och livsinnehåll [...]. Ursprungsmyten av den patriarkala skapelseberättelsen om Eva och Adam i paradiset.” (Witt-Brattström/ Domellöf, 1981: 55).
Selmas Abhängigkeiten sind anderer Art. Ihr Verhältnis zu Onkel und Tante, Herr und Frau Berg, ist ambivalent und schwankt zwischen Dankbarkeit und Respekt, aber auch dem Gefühl nicht verstanden und als Individuum betrachtet zu werden. Sie ist erfüllt von eigenen Zukunftsplänen und karambouliert daher immer wieder gegen die bürgerlichen Vorstellungen ihres Onkels.
„Die Weiblichkeitsbilder dienen dazu, das kollektiv Abgewehrte in eine kulturell akzeptable Form zu bringen, um es dadurch stillzustellen, kontrollierbar und verfügbar zu machen.” (Lindhoff, 1995: 18)
Was abgewehrt wird, ist ihre jugendliche Unbedarftheit, ihre eigenwillige, subjektive Art zu denken. Die Freimütigkeit sich zu artikulieren, die Marianne fehlt, gedeiht Selma an. Aber auch ihre eigene Sprache kann sie nicht vor männlicher Projektion schützen, im Gegenteil. Auch wenn die Selma-Figur dem Weiblichkeitsmythos nicht gerecht wird, so muß sie doch schmerzlich erfahren, daß sie auch außerhalb des Mythos keine Identität hat. Über ihren Körper wird sklavisch verfügt, der Umgang damit in einem Gespräch zwischen den beiden Verfügungsberechtigten, Herrn Berg und Patron Kristerson, verhandelt:
„ – Jag menar bara att en sådan flicka, som Selma, icke är lik de fruntimmer som du ...hum...träffat. Hos ett sådant barnasinne är det någonting så skyggt – någonting , ja hur skall man säga? – någonting så ömtåligt. [...] och du får gå åt henne...ja, du får gå åt henne, som om det vore en fågel du skulle fånga.” [...]
„ – Men Herre Gud, kyssa måtte jag väl få lov! [...] Vilken massa preludier! Och han som drömt att hans kärlek skulle vara som ett triumftåg!” (PE: 59-60)
Statt des ersehnten Briefes von ihrem Vater, von dem sie sich das Jawort zur akademischen Ausbildung verspricht, erhält sie diesen älteren Freier als Ehemann.
VB zeichnet Selmas Weiblichkeit moralisch ambitioniert, wodurch der Kontrast zwischen realem Weiblichen und Mythologisierung, zwischen der unbefangenen Selma und dem kaufmännischen Großgrundbesitzer verstärkt wird. Ihr Subjektstatus muß aufgebrochen werden, damit sexuelle Bedeutungszuweisung erfolgen kann. Dies macht Selma zu einer besonders starken, aber auch besonders tragischen Figur.
In dem allegorisch angelegten Drama DB begegnet man gleich auf der ersten Seite der Jungfrau Louise in einem Pariser Künstleratelier. Hinter ihrem Atelier schmückt ein kleiner geschlossener Garten das bescheidene Anwesen,[19] in dem ein Kirschbaum blüht. Louise hat nicht die Bodenständigkeit und Festigkeit Selmas, Körper und Seele scheinen dem Erdboden enthoben zu sein und verleihen ihr einen schwebenden Charakter. Ihr Ort ist fremd, sowie die Menschen um sie herum ihr fremd bleiben werden. Ihre ”metaphysische Vollkommen-heit” (Primander, 1994: 97) zeigt sich in der Urkraft ihrer eigenen Natur, die eigentlich gar nicht zu existieren scheint. Sie ist absolutes Symbol des Urweiblichen, die alle bisher etablierten religiösen, mythologisch-poetischen Bilder zu vereinen scheint. Die sterbende Schönheit (vgl. Witt-Brattström, 1996: 67), die poetische, in Stein gemeißelte Vollkommenheit einer ewig männlich erträumten und erschaffenen Weiblichkeit. Ein wesenloses Konstrukt.
5.3 Der Tat - Ort Ehe
„Äktenskapet ingås med väl tillrättalagda former av övertalning [...]. Övertalningen försiggår genom att den unga kvinnan i fjorton-femtonårsåldern, när hennes uppfostran till ung flicka är färdig, går in i en relativt overksam tillvaro, en väntans- och kurtisfas, där det skapas en mängd ogenomskinliga erotiska illusioner kring henne.” (Levy, 1982: 53)
Das weibliche Objekt in Erwartung der verbal vollzogenen Ehe, dessen pragmatisch anmutendem Prozeß eine bürgerlich-ideologische Folie übergestülpt wird:
„Äktenskapet ingås av kärlek mellan fria individer, inte på grund av habegär, varken ekonomiskt eller sexuellt, som tidigare bland adeln.” (ebd.: 53)
Ahnungslos vermutet Selma hinter dem Besuch des Patronen einen rein geschäftlichen Beweggrund, „Det var väl affärer, tänkte Selma.” (PE: 30) und erfaßt in dunkler Vorahnung schon den eigentlichen Charakter dieser Begebenheit. Ihr Unglück ist nur, daß weder ihr Verstand, noch ihre Begabung sie retten können, sondern Herr Berg wird bei Selmas Protesten in seinem Beschluß nur noch mehr zum ‘Berg’ und veranlaßt Selma, auf den verächtlichen Ablaßhandel in Form von 100:- Skr. einzugehen. Der Pfarrer, öffentlicher Vertreter der Moral, bezichtigt sie der Unvernunft, „[...] barn, nu är du oförståndig [...]” (PE: 32), der Kindlichkeit (PE: 48) und des Feilschens (PE: 33). Als Werkzeug patriarchalischer Macht kauft er sein Gewissen frei, damit für ihn zumindest seine menschliche Moral wiederhergestellt ist. Von Frau Berg, die Hüterin der traditionellen Frauenrolle, hat Selma nichts zu erwarten als Mißachtung und Neid. Nach verlorener Schlacht verwandelt sich Selmas Aktivität, die sich noch in wahrhaftiger und durchaus geistreicher Widerrede zeigt, in die Passivität eines Opferlammes, das seinem Schicksal sehenden Auges entgegengeht. Ein reales Bild von ihrem Freier Kristerson hat sie sich indes schon gemacht: „Å – han är så tjock, och så liknar han en rakad gris.” (PE: 50), dennoch kann Selma, ihre linke Hand betrachtend (PE: 52), der Konsequenz gesellschaftlicher Aufwertung durch diese Heirat nicht widerstehen. Der Schein von 20 Karat Gold vermag das feiste, rote Gesicht des Patrons zu überdecken.
Herr und Frau Björk stehen einem geringeren Widerstand gegenüber. Zunächst richtet sich Börje direkt an Marianne, wodurch ihr ein respektablerer Status zukommt. Ihre Eltern erscheinen hier mehr als Ratgeber und Mittler, obgleich die Erhaltung ihres Lebensstandards und die berufliche Zukunft der Söhne im Mittelpunkt ihres Interesses steht, was Marianne sozial verpflichtet. Die Dinge fügen sich geschmeidig, denn Marianne hat keine eigenen Vorstellungen von ihrem Leben, die es zu brechen gilt. Ihre benebelten Sinne unterliegen ganz dem romanhaften Rauschen schwebender Gobelinkleider.
6. Bedeutungsproduktion anhand des Blickes
Bislang sind Bedeutungshierarchien aufgezeigt worden, die im weiten Rahmen etablierter Gesellschaftssysteme, d.h. innerhalb der kulturell festgelegten Codes im Allgemeinen, abgesteckt sind. Die Mythologie als Urquell des Weiblichen und die Ehe als feste Institution, als Eckpfeiler der Gesellschaft, innerhalb welcher das Gemeinschaftsleben klar strukturiert ist, bilden das stabile Fundament des traditionellen, weiblichen Pseudo-Ortes. Dabei ist der Begriff Subjektivität immer relativ zu begreifen, immer in Bezug auf etwas, aber keinesfalls als in Anspruch nehmbare Einheit (vgl. Abschn. 4.3).
Im Folgenden soll nun innnerhalb dieses Rahmens aufgezeigt werden, wo das Weibliche dem männlichen Blick ausgesetzt ist, und ob nicht doch vereinzelt eine weibliche Subjektivität aus der Versenkung auftaucht. Dualismen wie männlich - weiblich sind bei VB zentrales Thema, insbesondere im Hinblick darauf, in welcher Art und Weise die Umgebung die Frau wahr -nimmt und inwieweit dieses Bild in die Charakterisierung der Frau hineinspielt. Denn der männliche Spiegel, sein Bild des Weiblichen, ist zunächst alles, was der Frau als Identitätsfindung zur Verfügung steht. Ihre fortwährende Suche nach ihrem Spiegelbild begründet Ingeborg Nordin Hennel (1984) folgendermaßen:
„Ett skäl torde vara att hon för att skaffa sig en bild av sig själv söker finna den i hur hon reflekteras i andras reaktioner på henne. Hon jagar med andra ord sitt »spegel-jag«.” (Hennel, 1984: 63)
Das ‘wahre’ Bild von sich selbst bleibt somit immer nur eine Differenz, da ja auch der männliche Blick nichts anderes ist als eine Projektion.
„Vi lägger våra egna infallsvinklar, våra ofta halv- eller omedvetna positiva eller negativa föreställningar som ett raster över skeendet, som utspelar sig ”därborta”. Så förvandlar vi världen till ett slags eko av oss själva. Detta är det projektiva sättet att förhålla sig till omvärlden.” (Stenius, 1993: 24)
6.1 Im Blickfeld: Binäre Opposition vs. Differenz
Dieser Abschnitt nimmt Bezug auf die grundlegende Identitätsfrage von VB in Abschnitt 4.2.2. Es war demnach ihr Anliegen, im Zuge ihrer eigenen Suche nach einem Ort die traditionellen Dualismen, die binären Oppositionen aufzubrechen.
„Den föreställda manliga identiteten är nödvändig både för strukturen och för dragningskraften, färgrikedom, i den realistiska stil som är hennes [VB] ideal. Den manliga blickens koncentration och kraft, två egenskaper som hon alltså tillskriver män men inte kvinnor, är ett villkor för att skapa hierarkier och åskådliggöra att något är viktigare än något annat i berättelsens rytm.” (Levy, 1982: 134)
Ihre deskriptive Erzählweise ist geprägt durch einen klaren, objektiven Blick, den sie selbst den „männlichen Blick“ nennt (SB II: 302). Als weibliche Autorin ermöglicht sie sich die Inszenierung eines männlichen Objekts, das sie ihrem eigenen Blick ausliefert, und dadurch selber als Frau zur Schöpferin von tradierten Geschlechterrollen wird.
„Binäre Oppositionen, festgelegte Beobachterstandpunkte (und die Gleichungen: Sehen = aktiv = Subjekt = männlich bzw. Gesehenwerden = passiv = Objekt = weiblich) werden damit verwischt zugunsten eines Spiels der Differenzen, zugunsten der Chance eines Oszillierens zwischen den Positionen.“ (Vonhoegen, 1996: 71)
Die Auflösung dieser binären Oppositionen beginnt also schon bei der aktiv schreibenden Verfasserin außerhalb des Textes. Die Frage ist nun, wie und ob diese Dualismen auch innerhalb oder anhand der Textkonstruktion zerlegt werden, wobei die Fragestellung immer unter der Prämisse der Historizität, also auch traditioneller Entitäten, beleuchtet werden muß.
„Es ist besser, nichts zu sehen, als nicht zu sehen.“
(Vinken, 1992: 9)
6.2 Der Blick: Wenn man nichts sieht
Der Blick ist im Werk von VB eine bedeutende Erzähltechnik, sowohl werkimmanent als auch für die/den Autor/In außerhalb des Textes. Um zu verdeutlichen, was unter der Bezeichnung „männlicher Blick” zu verstehen ist, wird dieser anhand des Ansatzes von Luce Irigaray erläutert.
Irigaray hat in Speculum (1980) in Form eines Kommentierungsverfahrens u.a. die psychoanalytischen Sexualtheorien Freuds dekonstruiert. Die bis dahin nicht existente, sondern verdrängte Geschlechterdifferenz motivierte Irigaray zur Etablierung einer neuen sozialen Ordnung, zu einer „unterschiedlichen körperlichen Realität“ (Lindhoff, 1995: 131). Diese wird über den Blick konstituiert, der sowohl über Macht, als auch Differenz zu entscheiden vermag. Die Feststellung des Mädchens über seinen Mangel (Kastration) und ihr Unvermögen, dem Blick lediglich ein Nichts bieten zu können, worin sich der Blick nur verliert, suggeriert zugleich, daß sie nichts hat.
„Nichts von dem Selben wie der Mann. Also nichts von einem Geschlecht, das sich in einer zur Begründung der Realität und zur Reproduktion der Wahrheit tauglichen Form zeigt. Nicht sehen ist gleichwertig mit nichts haben. An Sein, an Wahrheit.“ (Irigaray, 1980: 58)
Diese These beschreibt ein nicht identifizierbares, nicht identisches Geschlecht, in dem es sich schwerlich spiegeln ließe, denn:
„Die Möglichkeit, daß einem Nichts-zu-sehen, einem nicht durch den Blick, die Spekulation und Spiegelung Beherrschbaren eine Realität zukommen könnte, wäre für den Mann in der Tat unannehmbar, denn es würde die Theorie und Praxis der Repräsentation bedrohen [...]. “ (ebd.: 61)
Was den Phallus letztendlich garantieren könnte, wäre der Penisneid der Frau, Indiz ihres Begehrens nach dem Selben, dem einen männlichen Geschlecht, das seine Existenz durch ihren Neid fortwährend bestätigt (vgl. Stenius, 1993: 63). Der Blick also ein Barometer für eine Nicht-Existenz, für die „Abwesenheit eines Signifikanten ihres ursprünglichen Begehrens und ihres Geschlechts.“ (Irigaray, 1980: 68). So ist der Blick eng verknüpft mit der Spiegelung, zu der Weiblichkeit für die Identität des Mannes notwendig ist. Der Blick, der sich im Nicht-Sehen der symbolischen Ordnung manifestiert, unterstellt innerhalb der phallozentrischen Symbolik ein weibliches, phallisches Begehren.
6.2.1 Corpus delicti: Alland – Louise
Als in DB Alland in das Atelier eintritt, bietet sich ihm ein „morbides tableau“ (Vonhoegen, 1996: 140). Geschwächt auf dem Kanapé ruhend, ist Louise selbst Bild in ihrem Künstleratelier, festgehalten für den begehrenden männlichen Blick.
„Sitt du alldeles tyst, så att jag får se ert ansikte i ro – Jag tycker om er. Sådana ärliga ögon ni har.” (DB: 241)
Louises Blick senkt sich nach unten, weicht aus, kann als eingefrorenes Bild dem eindringlich Beobachtenden nicht entkommen. Sie entkommt ebenfalls nicht seiner Gestaltungssucht, denn er mag sie und ihre Formbarkeit, die seinen gestalterischen Händen ein Experimentierfeld bietet:
„ – Sätt er där och låt mig vara er kammarjungfru - Hon sätter sig på stolen framför spegeln och han löser upp hennes hår. – Var har ni er kam? Så vackert krusigt hår ni har. Se hur det faller över pannan, lätt och fint. Och det håret pinar ni tillbaka. Så här skall det sättas upp — — och så här — och så här! Nå? Klär det? [ ... ] – Får jag hädanefter slippa se den otäcka klosterfrisyren?” (DB: 271)
Ihre klösterliche Erscheinung verwandelt Alland in die ‘natürliche’ Weiblichkeit, die sukzessiv ihre Kontrolle aufgeben kann für die freie, hedonistische Lebensweise ihres Schöpfers. Ohne sichtbare Weiblichkeit, ohne sexuelle Schlüsselreize vermag der Künstler nicht seine eigene Identität zu ermitteln, ohne sein Begehren ist seine symbolische Ordnung in Gefahr. Die durch ihre ganz eigene Vorgeschichte des Verlustes und der Trauer anfangs eher neutral und geschlechtslos gezeichnete Louise, gilt es für Alland auszumerzen. Sein Blick ist zugleich Analyse und Experiment, ganz natürlich erscheint ihm sein innerer Ästhetisierungsprozeß, der neue, künstlerisch erhöhte Gesichter zeichnet:
„För mig är det lika naturligt att titta som att andas – och av vart ansikte, som jag tycker om att se på, lär jag något.” (DB: 245)
Allands Betrachtungsweise des Weiblichen ist klar umrissen, wie eine andere Textstelle belegt. Als Lilly besorgt ist, daß ihr Freund Viggo nicht wiederkehrt, beurteilt Alland wieder mit dem männlichen Blick: „Ju mer jag ser på er, dess sannolikare förefaller det mig!” (DB: 252) Daraufhin küßt er Louises kraftlose, blutleere Hand, denn sie ist schön, in Anbetracht der fortschleichenden Mortifikation (DB: 252). Lilly betrachtet sogleich ihre eigene rechte Hand, deren Schönheit jedoch nicht durch einen Handkuß Allands verifiziert wird (DB: 253).
Nachdem Louise Allands Kunstwerk Ödet (Das Schicksal) gesehen hat, versteinert ihr Gesicht gleich einer Skulptur, als hätte sich die Skulptur ihrer bemächtigt (DB: 351). Was Louise sieht, ist ein sich dem Schicksal hingebender Körper,
„Huvudfiguren är i något mer än kroppsstorlek – en kvinnoskepnad. Stormen sveper den tunna togan tätt till hennes lemmar. Med ena handen håller hon dräkten samman kring halsen, och blicken spejar skarpt och kallt i rymden – mot ett för andra osynligt mål.” (DB: 353)
Der zweite liegende Körper, dem Tode nahe, ist der letzte tödliche Blick, den Alland auf sein Objekt werfen wird. „En livlös kvinnokropp – utförd med storslagen konst – vanmakten och hjälplösheten, adlade till höghet av dödens ro [...].” (DB: 353). „En siares verk” (DB: 354) konstatiert Louise ganz richtig, dessen Fortleben, und damit das Weiterleben des männlichen Bildes, das Opfer der schönen Louise fordert. Allands Handschrift hat sie in Stein gezeichnet, ohnmächtig und hilflos, so wie sein Blick sie zu seinem Ideal geformt hat und dieses nun in seinem Kunstwerk als Metapher der eigenen männlichen Identität bestätigt.
„Er liest die Frau, Weiblichkeit, als Metapher der eigenen Männlichkeit, erklärt sie zum Signifikanten, der nicht sich selbst bedeutet, sondern der die männliche Identität und das eigene (narzißtische) Begehren bestätigt.” (Vonhoegen, 1996: 144)
Allands künstlerisches Schaffen bedeutet Aufrechterhaltung seiner Schein-Identität, indem er sie immer wieder mit jedem neuen Werk auffüllt. Die Skulptur als universales, zeitloses Kunstwerk, vermag die Geschichte Louises metaphorisch zu verdichten und wird zur Insignie des weiblichen Mythos (vgl. Levy, 1982: 108). Alland, das männliche Prinzip, schafft Realität durch seine Kunst, verleiht Louise eine Form, in der sie untergehen muß. Der Sündenfall fordert seinen Tribut.
6.2.2 Der Doppelblick: Börje, Pål und Marianne
Mariannes Inszenierung weiblicher Sexualität, ihre Erscheinung auf „Follmerska balen“ läßt Börje aus der Fassung geraten.
„Hon var klädd i blekblått storblommigt siden, i sammansättning med mörkblått sammet. Livet slöt fast åt figuren och liknade ett harnesk. Över axeln rundade det sig upp mot halsen, men var öppet i en lång snibb ned på ryggen och likaså framme. Av ärm fanns icke ett spår. [...] Varken vid axeln eller kring halsen syntes en skymt av linne, och man fick ett intryck av att det icke fanns något under klänningen, utan att den vilade på hennes nakna kropp.” (FM: 42)
„[...] och han [Börje] visste knappt var han skulle göra av sina ögon.” (FM: 43)
Börjes Hilflosigkeit gegenüber so viel sichtbar gemachter Erotik kann sich sowohl in seiner eigenen Phantasielosigkeit, die zu solch kühnen Vorstellungen nicht fähig ist, begründen, als auch - und dies scheint näher zu liegen - in seiner Scham über seine öffentlich reflektierte, sexuelle Phantasie. Die zukünftige Ehefrau als Hure kann einen Mann in Verlegenheit bringen, zumindest sein eigenes Bild verwirren. Marianne vereint in Börjes Augen alles Schöne und seine Vorstellung, dieser Körper würde sein ganzes Leben lang ihm gehören, läßt ihn schwindeln. Es ist das Bild, das betört, das den Betrachter in den Bann der Begierde zieht. Die Simultanität von „Reife” und „Unberührtheit” (FM: 42), die Antipoden der Weiblichkeit, allumfassendes Repertoire weiblichen Ideals zum Greifen nah, motivieren Börje, dieses Tableau schnellstmöglich plazieren zu wollen:
„Börje var så lycklig, så överdådigt lycklig. Redan i dag ville han göra Marianne hemmastadd med Tomtö; sen skulle tvånget vara borta och hela livet bli bara sötebrödsdagar.” (FM: 80)
Marianne beglückt nicht nur ihren Bräutigam, ihre ganze Familie schwelgt in Dankbarkeit für den unverhofften Geldsegen durch Mariannes Heirat und dem schönen Bild, das sich so geschmeidig in den gebotenen Rahmen einpaßt:
„I allas ögon lyste en outtalad tacksamhet mot Marianne, och hennes sinne badade sig med välbehag i all den avgudade ömhet, varav hon mer än någonsin kände sig omgiven.” (FM: 64)
Mit dem Eintritt in das praktisch angelegte Zuhause, das vorrangig Arbeit/ Aktivität unterstützen soll, hat Marianne ihr häusliches Plüsch verlassen und muß sich schutzlos Börjes Blick stellen. Denn in neuer Umgebung, an ihrem neuen Ort, verändern sich die Verhältnisse:
„Då endast såg han på henne, alltjämt med denna betraktande blick, detta något av kallt, absorberat förstånd [...].” (FM: 95)
Mariannes Prinzessinnen-Dasein bekommt auf seinem Landgut einen andere Qualität, das Bild paßt nicht mehr, zu sehr hebt es sich ab vom dunklen, funktionalen Hintergrund. Mit Börjes zunehmender Aktivität verfällt Marianne zu Börjes Enttäuschung in einen Dämmerzustand. Der Zauber ist aus und es erwartet sie die nächste Rolle. Erst als Mariannes Körper eine Veränderung signalisiert, an welcher Börje einen erheblichen Anteil hat, verändert sich auch Börjes Blick. Für einen Augenblick scheint in ihm das alte Idealbild wieder aufzuleben, das sich sogar mit Bewunderung für Marianne paart: „Han betraktade henne med beundran. Hon var som en annan människa.” (FM: 208). Marianne als Mensch ist seine neue Kategorisierung, deren zweite Hälfte zu dem Anderen, dem Mann, die gewünschte Polarisierung und klare Aufteilung innerhalb ihrer Lebensgemeinschaft bedeutet.
Sein Blick richtet sich erst direkt auf sie als Subjekt, als ihm seine vermeintliche Kontrolle über ihr Innenleben entglitten zu sein scheint. „Han såg på henne som om han velat se ända ned till hjärtrötterna.” (FM: 216). Marianne hat Geheimnisse, in ihr ist etwas Fremdes, ein fremdes Begehren, das ihn verunsichert. Es ist für ihn daher unerläßlich durchzublicken, um seinen drohenden Machtverlust zu verhindern. „Och så är det några saker jag vill veta. Jag vill ha det klart för mig, som om jag sett det med mina egna ögon.” (FM: 217).
Die unverhoffte Erscheinung Påls (FM: 118), ein Jugendfreund Börjes, hebt mit Eintritt in deren Spannungsfeld die bestehende Entität Börje-Marianne auf. Seine Figur ist wichtiges Glied innerhalb der Signifikantenkette, denn er ist das Begehren, das dem Text unterliegt und diesen auch vorantreibt. Die Erschütterung der bestehenden Ordnung beginnt damit, daß es Marianne ist, die ihn zuerst sieht und auch beschreibt (FM: 119). Er macht sie neugierig. Sein Blick ist hingegen weder taxierend noch wertend, „[...] icke närgånget, icke uppmärksamt ens, utan likgiltigt, som man utan att man tänker därpå sitter och ser på en tavla.” (FM: 131). Marianne, die versucht den Neuankömmling als ausstaffierte Balldame zu beeindrucken, fühlt das Scheitern ihrer Weiblichkeit an Påls teilnahmslosen Blick.
„Och så fanns det något i Påls blick, när den med en hastig granskning strök från ovan till nedan, som obehagligt berörde henne likt en iskall hand. Hon kände att denna kyliga kännarblick ej skulle blunda för en enda av hennes ofullkomligheter.[...] det var som såge hon sig själv, men genom en annans kalla, kritiska ögon.” (FM: 128)
Dieser entwickelt sich jedoch schnell zu einem schelmenhaften, bald zu einem magnetisierenden Blick, der ein erotisches Gefühl in ihr zu wecken beginnt.
„Men på den väg, den hade att gå, möttes den av en annan, som funnits där länge. En bindande, snärjande blick ur bruna, långsläpiga ögon, i vilka glansdagern simmade som mellan två svarta tuschstreck – halvöppna ögon, som vidgade sig och uppsögo hennes blick, som en kvicksilverkula uppsuger den andra.” (FM: 159)
Pål verführt Marianne, aber ihr vorerst passives Verhalten verwandelt sich schnell in einen ebenso aktiven, offensiven Blick. Seine Verführung dient, nachdem er die versiechte Flamme zwischen den Eheleuten bemerkt hat, mehr einer Herausforderung, als einem wirklichen persönlichen Interesse. Unverhofft verselbständigt sich das Spiel der Blicke. Die Signifikantenkette spult sich fort, immer schneller geht das Wechselspiel zwischen den Polen hin und her. Marianne sieht ihn mit strahlendem Blick, seine „strahlenden und glänzenden Reptilaugen” empfindet sie wie warmer Sonnenschein (FM: 161). Ihre Blicke haben begonnen zu korrespondieren, miteinander zu sprechen („talande blickar”, FM: 162) und sich zu berühren, „Hennes blick hängde sig fast vid hans [...] den smekte som två mjuka armar;” (FM: 162).
Mariannes wachsendes Begehren scheint zugleich romantisch und realistisch, zugleich ihr eigenes, Börjes und Påls Begehren zu sein, das sich ihr offenbart. Pål ist Zeichen für all das, was Marianne zu verdrängen versuchte, das Begehren nach erotischer Leidenschaft/Liebe, nach Freiheit und nach einer verwandten Seele (vgl. Sjöblad/Witt-Brattström, 1993: 534). Pål löst den Blick von Börje ab, es ist nicht der Ehemann und Landwirt, der seinen männlichen Blick auf sie streng fixiert, sondern ein androgyner Ästhet, der seine Muse in die große Welt der schönen Künste einführt. Pygmalions Statue wartet darauf, von ihrem Schöpfer zum Leben erweckt zu werden:
„Medan herrarna hängde undan sina ytterplagg, stod Marianne och höll upp lampan. Hennes arm var bar, ty under schalen hade hon endast en penjoar med halvlånga ärmar [...] Pål såg på henne. Icke en min tydde på att detta var koketteri. Hon såg allvarsam, nästan kall ut. Det var något av en antik bildstod.“ (FM: 165)
Mariannes bis zur Erstarrung inszenierte Bild von sich selbst hat hier ihren Höhepunkt erreicht. Mit ihrer Darstellung wird seine Vorliebe für antike Kunst, für ewige Schönheit geweckt, indem sie ideal-künstlerische und lebendige, inkarnierte Schönheit in sich vereint.
6.2.3 Sehen, was man sehen will: Kristerson – Selma
Selma wird dem Leser gleich dreimal präsentiert: Ihre Introduktion im ersten Kapitel (vgl. Abschn. 5.1) ist eher objektiv und von dem Bild der sich offensichtlich unbeobachtet fühlenden, unbekümmerten Selma mitgetragen. Axel Möllers Blick sieht schon ein wenig anders:
„Och han såg henne i full belysning. Hon hade en bred vit panna, över vilken det gula håret föll i en stripig lugg, näsan var liten och av en putslustig modell, hyn det friskaste man gärna kunde tänka sig, och de tunna läpparna voro så klart röda att de tycktes målade. [...] Nedre delen av ansiktet var lika skarp och spetsig som den övre bred och fast. Det gav henne ett egendomligt utseende av bestämdhet, på samma gång som det gjorde henne ful.” (PE: 14)
Eine eindeutige, vordergründige Erotisierung fehlt, vor einem steht eine kindliche und natürliche Person, deren Geschlecht anhand der gewählten Attribute nicht auszumachen ist. Indes klingt in dieser Beschreibung eine stille Bewunderung mit, eine unschuldige, erotisch unentwickelte Schwärmerei eines Nachbarjungen. Einen Kontrast zu dieser Sichtweise bietet Patron Kristerson während seiner ersten Tuchfühlung im Hause Berg:
„Så gav han handen lös och mätte henne med en blick. Hög var hon till växt, med breda axlar, långa armar och stora händer. Figuren var ej utvuxen; det fanns någonting halvfärdigt och omaka i hela den beniga, kraftfulla gestalten. Men det gjorde ingenting – ingenting – barn eller ej: hon måste bli hans!” (PE: 56)
Selma erhält ein ganzes Repertoire an Blicken, Letzterer wird ihre Zukunft bestimmen. Das Schönheitsideal weicht hier dem dringlichen Wunsch, Selma besitzen zu wollen; sie ist nicht schön, aber „hurtig och ung.” (PE: 56). Ihre Schönheit manifestiert sich eher in einer evolutionären Ästhetik als einer kulturellen, was sich in VBs Beschreibung des von Charakter und Natur (vgl. Pipping, 1993: 66) geprägten Gesichts Selmas zeigt (vgl. Abschn. 8.3.1). Zudem bietet Selma etwas Un -fertiges, Un -bestimmtes, etwas zwischen Kind und Frau, das sich dem männlichen Begehren, aus heutiger Sicht schon als pädophilen Blick zu bezeichnen, exponiert. Obwohl ihr Verstand weitaus schärfer und klarer ist als der des Patrons und sie diesen auch zum Ausdruck bringt, kann keine Korrektur dieses Frauenbildes stattfinden. Denn niemand hört ihr zu (vgl. Abschn. 7.2.2).
Da ist aber noch der Ziehvater Herr Berg, dem sich Selma gern zuwendet, wenn sie ihre eigenen Ängste und Zweifel zu verdrängen sucht:
„Så såg hon upp i hans ansikte; det var föryngrat av ett vänligt, belåtet leende. När farbrodern kysste henne på pannan och med en uppmuntrade nick lämnade rummet, kände hon sig så nöjd med sig själv, som om hon utfört en god gärning.” (PE: 69)
Selma, durch männliche Anerkennung beruhigt und motiviert, vermag ihr ungutes Gefühl zu verdrängen, und schließlich geschieht alles im Zeichen der Kirche und der Moral. Nach üppigen Feierlichkeiten und allerlei kleinen Aufmerksamkeiten gegenüber der jungen Braut, bricht über Nacht der Ehestand ein. Den Blicken von Kristerson jederzeit und überall ausgesetzt, beginnt ihr Versteckspiel vor ihnen:
„Så kom mannen. Hon skrek till och slängde penjoaren över sig. [...] Och så blev hon röd i ansiktet och skyndade sig att få klänningen på och komma ut i salongen. Där var spegeln bättre, sade hon.” (PE: 92)
Der „bessere” Spiegel im Salon ist wohl die Projektion außerhalb der symbolischen Ordnung, die individuelle, in Abwesenheit des Patrons sich vollziehende Projektion, befreit von seinen erotisierten Blicken. Der Patron scheint sich nur auf dieser Ebene bewegen zu können, denn immer wieder, insbesondere auf Bällen, sieht er in jungen Kavalieren die potenziellen Liebhaber seiner Frau. Seine Aufmerksamkeit beschränkt sich lediglich auf den männlichen Blick, keineswegs wird Selmas Sichtweise der Dinge in Betracht gezogen. Im Gegenteil: Sie muß sich für die kompromittierenden Schnitzer seiner ausufernden Eifersucht schämen, indem sie von ihm auf die Ebene einer Hure plaziert wird (PE: 98-99). Ihre zukünftige Abwesenheit bei derartigen Feierlichkeiten und ihr allgemein zunehmendes Desinteresse, lassen das Bild einer jungen und frischen Frau verblassen. Nur einmal noch soll der Patron sie als hübsch empfinden, in einer Situation, in welcher der Graben zwischen Schein und Realität nicht tiefer sein könnte:
„Sinnesrörelsen hade återgivit hennes kinder denna skarpt begränsade rodnad, som kom det att se ut som vore hon lätt sminkad. Han fann henne vacker. Det var denna friskhet, som... Hon tänkte blott, att det inte finns någonting mera motbjudande än att se ungdomens passioner gå och spöka i ett gammalt ansikte.” (PE: 185-186)
In der alles entscheidenden Auseinandersetzung vermag sich der Patron nicht aus seinem Blick zu lösen, sein Prinzip ist stärker als Selmas bittere Selbsterkenntnis, aus der ihre Gemütsbewegung tatsächlich resultiert. Selmas Worte innerhalb des finalen Dialogs mit Kristerson sind wohl gewählt und überdacht, dennoch vermag sie sich nicht aus der männlichen Ordnung zu lösen. Immer noch spukt das Bewußtsein, ihre tradierte Rolle als zu betrachtendes Objekt in ihr, obgleich sie im Begriff ist, dies alles auflösen zu wollen. Ihr Gefühl ist gespalten, wie ein Blatt im Wind scheint sie auf Gedeih und Verderb den düsteren Zukunftsaussichten des Patrons ausgesetzt und dennoch findet sie, sich allen Einwänden widersetzend, ihren festen Blick, mit dem sie ihrem Mann, der Gesellschaft und allen übrigen metaphysichen Größen standzuhalten vermag. Ihr Blick nach vorn rettet sie, denn zuhören tut Kristerson ihr immer noch nicht.
6.2.3.1 Richards Entdeckung
Ihr Cousin Richard sieht Selma als Arzt, aber dennoch nicht ohne Bewunderung:
„Han stod och såg på henne.[...] Ryggen var lätt tillbakasvängd, varigenom midjans vekhet föll än mer i ögonen, och den mörkbruna, tätt åtslutande polonäsen framhöll med sitt tjocka ylle höfternas fasta form. Den fanns i denna figur en linjernas renhet, som måste ådraga sig uppmärksamhet.” (PE: 104-105)
Es ist ein Blick aus der Distanz, der über die Linien des Körpers fährt und nichts Festlegendes, Bedeutendes hat. Richard ist ein aufmerksamer Beobachter, der aufgrund seines Interesses für Menschen kleine Veränderungen bemerkt. Es ist nicht primär die Frau, die in seinem Blickfeld liegt, sondern der Mensch, ganz unabhängig vom Geschlecht. So entgeht ihm auch nicht Selmas Blick:
„Och så är det blicken också. Du, som annars ser folk rakt i ansiktet, du ser ned, eller åt sidan ... det skall vara så lugnt och likgiltigt. – Å, men det är fruntimmersaktigt! Vad skall det vara bra för? I mina ögon är du en människa, rätt och slätt, och inte ett dugg annat; vad skall så det tjäna till?” (PE: 126)
Dieser Seitenblick, ebenfalls Insignie von Louise (DB), gerät in männliche Kritik. Die Indirektheit und Unehrlichkeit, die Selma mit diesem antrainierten Blick vermittelt, hält eine menschliche Distanz durch Rollenspiel aufrecht, die Richard offensichtlich mißfällt. Die Oppositionen werden hier vollständig aufgelöst, indem Richard nicht nur den weiblichen Blick einer Frau gegenüber thematisiert, sondern zugleich seine Enttäuschung über ihr gesellschaftlich geprägtes Maskenspiel äußert. Der junge Richard, Stellvertreter einer neuen Zeit, Naturwissenschaftler und kritischer Geist, hält Selma einen Spiegel ganz anderer Qualität vor und evoziert Verunsicherung bei Selma, die sich in plötzlich aufkommenden Kopfschmerzen äußert. Ganz allmählich offenbaren sich ihr, durch Verbalisierung eigener Gedanken (vgl. Abschn.7.2.2), die sie gefangen haltenden Strukturen, woraufhin sie das männliche Spiegelbild zerschlägt. Richards Blick wendet sich ab: „Han räckte fram sin stora, magra hand, men såg inte på henne. Icke ens med blicken ville han binda hennes vilja.” (PE: 161).
Der männliche Blick im Rückzug und Selma in einer ambivalenten, verwirrten Gefühlslage veranlassen sie dazu, sich ihrem Cousin noch einmal präsentieren zu wollen. Als Richard mit seiner zukünftigen Ehefrau Elvira abreist, läßt sie ihren zurückgehaltenen Gefühlen freien Lauf und jagt der Kutsche zu Pferde hinterher, um seinem Blick das finale Bild darzubieten:
„Endast en blick hade de utbytt – ett ömsesidigt ohörbart uppmuntringsrop, men genom att framstå så oväntat hade den livfulla gruppen avtecknat sig mera bjärt, liksom etsat sig fast i erinringen. Så skulle Richard alltid komma att minnas henne. Bröstet syntes högre och midjan smärtare, ty i riddräkt var hon alltid snörd. Det svarta klädet satt som gjutet kring hennes starka armar och axlarnas vackra rundning. Kinderna hade denna skarpa rodnad [...] och under de linjelika ögonbrynen logo hennes ljusa ögon av mod och levnadslust.[...] Det fanns hos henne intet av sensibel prydlighet, intet av mjukt behag, det var blott hälsans robusta skönhet, vilken endast ett för naturen öppet öga kan uppfatta.” (PE: 169-170)
Dieses Frauenbild, einer Jägerin gleichend, soll sich einprägen in den Blick Richards, des männlichen Prinzips und in den Blick der Gesellschaft. Denn hier treffen die Welten aufeinander, hier entwirft Selma das ideale, andere Bild einer ‘natürlichen’ Frau. Die stolze, gesunde und aktive Selma ist ermutigendes Symbol für den Aufbruch einer neuen Generation der Geschlechtlichkeit, die Richards Blick in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt hat, in den weiblichen Urzustand, als sie nocht nicht Frau, sondern Selma war. Dieser Ort ist nach Irigaray der, zu dem die Frau zurückkehren muß: v or die symbolische Ordnung, um den weiblichen Körper rekonstruieren zu können. Dieser neue Körper birgt ein neues Vokabular in sich, das der Stärke, des Mutes und des Stolzes. Dieser Prozeß der Perspektivenverschiebung ist exemplarisch für die Komplexität von Signifikanten und wie sie sich bedingen und bedeuten.
6.3 Gibt es einen weiblichen Blick ?
„Das Verhältnis der Frau zu sich selbst läßt sich zeigen am Spiegel. Der Spiegel, das sind die Blicke der anderen, die vorweggenommenen Blicke der anderen. Und von alters her befragt ihn die Frau mit der bangen Frage der Stiefmutter im Märchen: > Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? <[...] Es kommen die Schreckensmomente, wo die Frau sich im Spiegel sucht und nicht mehr findet. Das Spiegelbild ist irgendwohin verschwunden, der Blick des Mannes gibt es ihr nicht zurück.” (Lenk, 1976: 87)
Inwieweit Frau von ihrem Spiegelbild abhängig ist, offenbart sich ihr in ihrem Erleben eines solchen ‘Schreckensmomentes’, der eine Restauration des weiblichen Spiegelbildes, eine grundlegende Veränderung herbeiführen könnte.
6.3.1 Marianne sieht fremd
„Marianne satt och observerade sin tillkommande. Det var svårt att få klart för sig om han [Börje] borde anses ful eller icke. Han hade tätt, svart helskägg, som såg ut att aldrig ha varit klippt; svart glanslöst hår, som krusade sig vid tinningarna; jämn, solbränd hy och en kort, rak näsa. Det fanns ingenting ovanligt i det utseendet, och det kunde vara lätt att glömma.” (FM: 15)
Schönheitsideale sind hier nicht herauszulesen, eher offenbart sich hier ein Allerweltsgesicht, das in Marianne weder Begehren noch Liebe erweckt. Sie taxiert ihn wie einen Gegenstand, den man sich ‘zurechtsehen’ muß, da es für sie noch nicht absehbar ist, in welche Richtung ihr Urteil gehen wird oder besser, gehen soll. Es existieren offensichtlich für die Frau keine Maßstäbe, an die sie sich halten kann, ihre Identitätslosigkeit läßt kein Urteil zu. Ihr anfängliches Unvermögen aktiv zu sehen, einen eigenen Blick zu entwickeln, läßt sich an vielen Textbeispielen belegen.
Als Marianne von ihrem Bruder direkt gefragt wird, ob sie mit Börje zufrieden sei, tritt ihre mangelnde subjektive Urteilskraft deutlich zutage. Sie erwidert, daß sie natürlich zufrieden sei, sonst hätte sie nicht „ja sagen müssen” (FM: 29). Ihr Bewußtsein, daß ihr Bruder einen anderen Typ von Mann für sie präferiere, bereitet ihr jedoch Unbehagen. Sie verdrängt, daß die Entscheidung über Börje schon lange gefallen war, daß sie Teil eines lukrativen Tauschhandels, unter dem Deckmantel der eigenen, freien Wahl gewesen ist. In diesem Zwischenraum gefangen, sieht sie Börje mit den Augen ihres Bruders: „Hon kunde ej låta bli att se med andras ögon.” (FM: 29). Ihr Blick oszilliert zwischen ihrem eigenen beobachteten Sehen durch ihre Familie, und dem unbeobachteten Sehen, wenn sie mit Börje allein ist. Sobald ihr innerer Blick sich dem real gewordenen Romanhelden Börje zuwenden kann, sieht sie eben diesen vor sich, mit hellen, klaren Augen und starken, braunen Händen (FM: 31), so als hätte sie just einen ihrer Liebesromane zu lesen begonnen. Börje wird hier zum Zeichen weiblichen Begehrens, das sich jedoch in seiner Abwesenheit wie in Luft auflöst:
„Ty, i hennes sätt att benämna sin känsla för honom måste det alltid finnas ett utrymme för någonting likt överseende, man finge icke misstänka hennes smak för att finna honom otadlig. Något av detta kände hon så fort hon var tillsammans med honom i andra personers närvaro, men när de åter blevo ensamma, var allt det där som bortblåst. Då såg hon honom åter med egna ögon, eljest lånade hon andras.” (FM: 39)
Marianne kreiert unermüdlich neue Bilder, um sich selbst im männlichen Spiegel spiegeln zu können, sie trägt aktiv zur Verzerrung und Verformung des Weiblichen bei, um ihre märchenumwobene Existenz aufrecht erhalten zu können. Ihr Objektstatus ist total, ihr Blick auf sich selbst unterliegt derweil einer doppelten Spiegelung:
„Det sorglösa, bekymmerlösa liv hon nu skulle föra, det var hans gåva till henne. Och så var det något mer, som hon kände när hon solade sig i hans blick. Det var att för ingen hade hon någonsin varit så vacker, som hon nu var för honom. Hon såg sig genom hans blick, hon beundrade sig med hans ögon.“ (FM: 80)
Marianne täuscht sich in der Annahme, daß Börjes Bestätigung ihrer Schönheit Beweis ist für ihr tadelloses Funktionieren als Ehefrau. Es gelingt ihr nicht, den ihr zugedachten Platz als Wirtschafterin und Hausherrin auszufüllen. Je mehr die Realität des Landlebens in ihr Leben eindringt, desto mehr verschließt sie sich den ihr zugedachten Pflichten, indem ihre erneute Zuwendung zum Liebesroman Börje wieder von der romantischen Bühne verdrängt.
Mit Påls Erscheinen erblüht auch wieder Marianne in der tradierten Rolle als hübsches Ding, und sogleich schlüpft sie erneut in ihr Ballkleid, das sie zuletzt beim „Follmerska balen“ getragen hatte (vgl. Zitat S. 49). Ihr Theaterauftritt wird jedoch von Pål durchschaut. Sein kühler Blick (FM: 128) gleitet über ihren Körper, alles sehend, alles entlarvend.
„Och hon kunde inte göra en rörelse, utan med en känsla av tvång: det var som såge hon själv, men genom en annans kalla, kritiska ögon. Fast hon fullföljde sin roll så gott hon kunde, visste hon dock hela tiden att den icke gav någon illusion.” (FM: 128)
Påls Augen sehen das Reale, sie sind hier nicht Spiegel eitler Männlichkeit, sondern sie durchdringen, gleich zweier heller Scheinwerfer, die Schatten und Mängel, die Verzerrungen und Brüche ihrer Verkleidung und reißen Mariannes Maske sowohl von Körper als auch Seele.
Die ‘reale’ Welt, die Marianne später erfahren soll, steht ganz unter Börjes Diktat. Pål verbleibt ein flüchtiger Schatten, Traum und Zeichen der verdrängten Weiblichkeit, der gleichermaßen am Formungsprozeß Mariannes teilhat, ihn sogar einleitet. Mariannes, aus der Begegnung mit Pål gewonnene Erkenntnis über ihre Instabilität, ihre Position des Weder-Noch, des Entweder-Oder zwischen den beiden Männern, läßt eine ganz neue Qualität aus ihr hervorbrechen. Vorher reduziert auf eine Dekorationsfigur und später auf ein verbotenes, erotisiertes Kunstobjekt à la Madame Marianne, das sich in einem Augen-Flirt („ögonkurtis” FM,188) verliert, faßt sie einen Beschluß. Ihre ‘zufällige’ Schwangerschaft, ihre Biologie stellt dabei die Weichen für ihr zukünftige Sicht auf die Dinge. Ihr Blick wird auf einmal wach „Det had kommit ett klokt, uppmärksammat uttryck i hennes ögon“ (FM: 216) und allumfassend: „Hon hade fått blick för allt som omgav henne, och det fängslade henne mer än någon diktad drömvärld.” (FM: 220).
In der Fachliteratur wird an dieser Stelle oft vom Wendepunkt des Romans zur realistischen Welt geschrieben (vgl. Brattström/Domellöf), an dem Mariannes Selbstfindung beginnt, „[...] i moderskapets och äktenskapets tecken.” (Sjöblad/ Witt-Brattström, 1993: 534). Aber ist es nicht eher ein weiteres Stadium der Spiegelung, heraufbeschworen durch eine konstruierte Mutternatur und im Dienste der symbolischen Ordnung? Denn an dieser Stelle scheint eine dritte Kategorie des Ideal-Weiblichen erreicht: die gebärende Mutter als fleißige Hauswirschafterin an ihrem entgültigen Ort, an Heim und Herd.
Der durch den thematischen Überbau Romantik vs. Realität motivierte Übergang von einer weltfremden Marianne zu einer natürlichen und bodenständigen Frau wird durch die Spiegeltheorie letztlich aufgebrochen. Denn auch eine Frau, die sich zu einer scheinbar ultimativ glücklichen Mutter hingearbeitet hat, verbleibt eine Idealvorstellung aus der Perspektive des männlichen Prinzips. So hat sich Börje seine Frau immer gewünscht, natürlich und produktiv, ganz im Zolaschen Sinn, und Marianne hat auch nur für Börje so inständig an ihrer Daseinsform gearbeitet. Ihre Sühne grenzt an Selbstkasteiung, durch die sie versucht, den Schandfleck ihrer verbotenen Begierde nach Erotik und Sinnlichkeit aus ihrem ‘erkrankten’[20] Körper entgültig herauszuschneiden.
Ihre Jagd auf das „Spiegel-Ich” (vgl. S.44) verbleibt somit weiterhin innerhalb der arbiträren Projektion männlich-weiblich, die einer möglichen ‘realen’ Welt weiterhin völlig entsagt. Es hat lediglich ein Paradigmenwechsel stattgefunden, dessen Spiegelbild eine neue, weitere Facette bietet.
6.3.2 Selma blickt durch
Mit Selmas Figur hat VB der Identitätslosigkeit des Weiblichen die stärksten Konturen verliehen, derart, daß sie als einzige diese unmittelbar spüren kann und daher in einem gesonderten Verhältnis zum Blick steht.
Selmas Wunsch, Malerin zu werden, zeugt von einer Gabe, oder zumindest von einer inneren Neigung des Beobachtens der Umwelt, der präzisen Betrachtung von Menschen und Dingen. Auch ihre Lektüre, so erfährt es ihr Kamerad Axel Möller, ist im naturwissenschaftlichen und philosophischen Bereich angesiedelt, ihre Rezeption von Romanen hingegen ist, im Gegensatz zu Marianne, eher begrenzt. Die Betrachtung wird im Atelier von Großvater Möller, den sie mit Axel auf ihren Wunsch hin besucht, zum Thema: Selma betrachtet mit großer Neugier sowohl die Bilder, als auch das Betrachten Axel Möllers, das sie hier als Subjekt voll bestätigt (PE: 14). Ihre eigenen Blicke werden wiederrum von diesen zwei Männern beobachtet, was einen nicht endenden Kreislauf von Blicken bildet, deren Qualität von Unbefangenheit und von privater Individualität geprägt ist.
„Ibland då hon fann en teckning som hon tyckte bättre om än de andra, kastade hon sig tillbaka mot ryggstödet och såg upp i den unge mannens ansikte, för att se om han delade hennes beundran. Då mötte hon alltid hans blick, leende mot henne, [...]” (PE: 14)
Das überwiegende Kunstinteresse das alle drei zusammenführt, schaltet die Macht der Blicke für einen Moment aus. Großvater Möller präsentiert Selma stolz seine Bilder, so daß ihr Blick, den Männern abgewandt, nur der Kunst gilt:
„Se, jag var slätmålare, fröken [...], men jag ska säga att jag förstod min sak. Hos mig fick han de första grunderna, och – ser fröken - det hade han gott av allt framgent.” (PE: 12)
Selmas vertrauensvoller Blick lockt in ihm eine Offenherzigkeit und Redseligkeit hervor, die offenbar den glücklichen Augenblick einer interessierten Betrachterin und Zuhörerin nutzt. Selma dominiert diese Szene, ihr Blick bestimmt die Beziehungen zwischen den Dreien.
Ganz unbeobachtet verfolgt Selma im Stockholmer Nationalmuseum eine Szene zwischen zwei Künstlern, wobei die Künstlerin ganz unbedarft ihrem Freund Verbesserungsvorschläge unterbreitet (PE: 176). In diesem Moment erlebt Selma sich als intensive Beobachterin eines „Stückes Wirklichkeit” („en bit verklighet”, PE: 176) in einer Großstadt, deren Kontrast zur eigenen, selbst empfundenen Realität wiederum wie ein Traum empfunden werden muß.
„Hon talade fort och lågt med sjungande accent, höll sin palett i ena handen och en pensel i den andra. [...] då hon kommit till själva slutpåståendet, slog hon ett raskt tag i luften som med en taktpinne, såg vädjande på honom med en viss uppsluppenhet och återvände till sitt arbete. Han satt och såg efter henne [...]. Så tog han en trasa ur sitt färgskrin och torkade beslutsamt bort något på sin tavla.” (PE: 176)
Nicht die Kunst ist diesmal von Interesse, sondern diese reale Bilderszene, die sich vor dem Hintergrund beachtlicher Kunstwerke abhebt und deren Darstellungen in starkem Kontrast zur realen Szene stehen.
„Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in Bezug auf sich selbst, und mit Recht. Denn es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nutzen oder schaden.” (Goethe, 1999: 41)
Goethes Prophezeiung vollzieht sich in Selmas Identifikation mit der Künstlerin, deren Aufbegehren das in ihr verdrängte Begehren wieder aufleben läßt. Tatsächlich entscheidet sich an dieser Stelle Selmas Schicksal. Was folgt, ist die Probation ihres eigenen Blickes, die Auflösung von den gesellschaftlich konservierten Mißverhältnissen, die sie um ihr eigenes Bild bringen, sowohl als Künstlerin als auch als Frau. Kraft ihres wiedergewonnen Blickes nimmt Selma am Ende des Romans schließlich dem externen Betrachter, als auch ihrem Mann jegliche (Aus-) Sicht. Vor dem Zubettgehen löscht sie das Licht, „[...] ty hon ville kläda av sig i mörkret.” (PE: 199).
6.3.3 Ernas Blick - Ein Versehen?
Erna hat Alland überlebt, ihren Augen scheint nur wenig zu entgehen. Der Behauptung von Louises Wirtin vertraut sie weniger als ihrem eigenen Blick und verschafft sich so Zugang zu der isolierten, in Todessehnsucht schwelgenden Louise (DB: 286). Sie ist die Frau, die Alland trotzig in die Augen sieht (DB: 296), die erkennt, daß Louise willenlos geworden ist (DB: 294) und sie bemerkt ihr verweintes Gesicht (DB: 264). Als Künstlerin kann sie das Weibliche anhand eines Frauenportraits vom Signifikaten trennen und versucht, sich in ihrem „Meisterwerk“ von ihrem eigenen Bild zu lösen, indem sie ihren Schmerz nach ihrer unglücklichen Liebe zu Alland auf die Leinwand verbannt (DB: 295).[21] Die Darstellung hat jedoch nichts Repräsentatives, sondern exponiert im Gegensatz zu
Louise ein aktive Frau. Ernas Blick gleicht im Grunde dem eines Mannes, „[...] djärvt, kraftigt, hänsynslöst sant.“ (DB: 248-249). Sie verliert sich nicht in der mythologischen Bilderwelt, sondern nimmt durch ihre Kunst am Schaffensprozeß teil, der sonst dem Weiblichen vorenthalten ist: „Kvinnan på bilden är subjekt. Det är hon som riktar blicken mot åskådaren, inte tvärtom.“ (Witt-Brattström/ Domellöf, 1981: 68). So auch als Figur innerhalb des Dramas: Nicht nur, daß sie ihrem Lebensgefährten Henrik die Freiheit zuspricht, sie jederzeit verlassen zu können (DB: 230), sie hat sogar Geheimnisse vor ihm, die sie, trotz seiner Eifersucht, nicht zu lüften gedenkt (DB: 232). Durch den erlittenen Schmerz scheint sich die unverbindliche Lebenseinstellung Allands auf Erna übertragen zu haben:
„Jag döljer ingenting. Jag är vänlig mot mina vänner, och mot Bergström därför, att han är en av dem. Om han blir mer för mig, skall jag säga dig det ärligt.“ (DB: 231)
Der große Bildhauer Alland ist durchschaut: „ Men han färglägger! Hypnotiserar en till att se med hans ögon [...].“ (DB: 288), sagt Erna, und statt zu seinem willenlosen Kunstobjekt zu werden, hat sie sich, im Gegensatz zu Louise, selbst als Subjekt abgegrenzt (vgl. Levy, 1982: 113). In ihrem Bild hält sie jedoch an einer Subjektivität fest, die real nicht existiert, nicht existieren kann. Ihre Verweigerung des Objektstatus manifestiert sich in der Übernahme männlicher Attribute, indem das Weibliche verdrängt wird und dessen klaffende Wunde in eine häßliche Narbe, in den harten und haßerfüllten Gesichtszügen Ernas verwachsen ist.
6.3.4 Selma in ‘Gender Trouble’
Selmas Bewußtsein für Identität und Selbstverständnis plaziert sie in einen Zwischenbereich, der die etablierten metaphysischen Grenzen in eine neues Licht rückt. In der Begegnung zwischen Selma und Richards Frau Elvira, spielt Selma mit ihrer Identität. Ihre Performanz zeigt auf, inwieweit Geschlechtlichkeit inszeniert wird und wie wenig diese Rollen über das eigentliche, biologische Geschlecht aussagen können. Judith Butler hat in ihrem Werk Das Unbehagen der Geschlechter (1991) die Kategorisierung von Geschlechtlichkeit kritisiert und verweist auf die gesellschaftlich geprägte Geschlechtsidentität (gender identity):
„Die Akte, Gesten und Begehren erzeugen den Effekt eines inneren Kerns oder der inneren Substanz; doch erzeugen sie ihn auf der Oberfläche des Körpers, und zwar durch das Spiel der bezeichnenden Abwesenheiten, die zwar auf das organisierende Identitätsprinzip verweisen, aber es niemals enthüllen. Diese [...] Inszenierungen erweisen sich insofern als performativ, als das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, vielmehr durch leibliche Zeichen und andere diskursive Mittel hergestellte und aufrechterhaltene Fabrikationen/Erfindungen sind.” (Butler, 1991: 200)
Butler konstatiert, daß gender (soziales Geschlecht) durch Imitation einer (kulturell) gedachten Sexualität nicht mehr zwischen natürlicher und konstruierter Geschlechtlichkeit unterschieden werden könne. Das heißt, gender ist eine sich ständig performativ verändernde Größe, die nur durch „re-enactment, repetition, performance” (Deutscher, 1997: 29) Bestand haben kann. Ein Beispiel für die Imitation von Geschlechtlichkeit und wie ein wenig Maskerade neue Wirklichkeiten entstehen läßt, ist die Szene zwischen den beiden Frauen Elvira und Selma.
Selma bietet sich, vom Stall kommend, die Kulisse eines zeittypischen Bildmotives dar. Sie sieht Elvira an ihrem Toilettentisch vor dem Spiegel sitzend und ihre langen, blonden Haare bürstend (vgl. Leffler, 1997: 64). Dieses kultur-historisch geprägte Spiegel-Motiv von weiblicher Schönheit evoziert (auch rhetorisch) die differentiellen Relationen innerhalb eines Geschlechtes, indem sie beide ein Bild von etwas repräsentieren, was die jeweils andere nicht hat. Während ihrer Unterhaltung über Richard, die Ehe und die Liebe, übernimmt Selma die kontrastierende männliche Rolle, indem sie sich auf das Sofa schmeißt und sagt:
„Vet du vad! – det är gruvligt roligt att se på fruntimmer – nota bene: vackra fruntimmer, utbrast hon muntert i det hon slog med ridspöet mot spetsen av sin sko.” (PE: 138)
Ihr neu gewonnene Freiheit, die Freiheit außerhalb des männlichen Blickes zu sein und selbst diesen zu nutzen, läßt Selma auch die männliche Sprache imitieren, was Elviras Reaktion „Jag tycker du borde ha blivit karl; det skulle passat dig så bra [...]” (PE: 138) hervorruft. Leffler sieht in dieser Begegnung ein erotisches Spiel, in dem Selma immer wieder neue Rollenpositionen einnimmt: Die des Bewunderers einer schönen, unbeholfenen Frau, die der vertrauten Freundin und die des ratgebenden Beichtvaters (vgl. Leffler, 1997: 65). VB hat Selmas gender -Theater bis zur erotischen Mehrdeutigkeit zugespitzt, dessen Effekt den Gedanken an eine kulturell geprägte Geschlechteridentität plausibel macht. Denn auch Elvira wirft einen Blick auf ihre Freundin:
„I den svarta riddräkten, som satt stramt åt både liv och armar, såg hon längre ut än vanligt. Håret var kammat högt i nacken, men låg ned över pannan i en tjock, ljusbrun lugg, så att endast en smal rand syntes över de något mörkare ögonbrynen. Egentligen var hon ful [...]. Men de kloka, djupt liggande ögonen försonade allt; det var en präktig typ.” (PE:139)
Dieser „prächtige Typ“ ist männlich konnotiert und evoziert das Bild eines gut gewachsenen, sportlichen, jungen Mannes, nicht einer verheirateten Frau (vgl. Primander, 1994: 19).
Selmas gespaltene Identität, ihre Verachtung für sowohl das männliche, als auch das weibliche gender -Geschlecht, verweist auf die allgemeine Instabilität von Binaritäten und auf die Reduktion bestehender Verhältnisse auf ‘simple’ Rollenverteilung. Butler geht sogar so weit zu sagen, daß Heterosexualität eine sich wiederholende Parodie von sich selbst sei, die sich in ständiger Identifizierung mit diesen unvereinbaren Positionen offenbart (Butler, 1991: 22). Mit ihrer Distanzierung (als Frau) gegenüber Elvira, die Zeichen des klassischen Frauenmodells ist und ihrer simultanen Annäherung (als Mann), mit dieser Pendelbewegung zwischen den sexuellen Polen männlich-weiblich, überwindet Selma die streng gezogenen Geschlechtergrenzen. Ihre Mimesis verleiht ihr die männliche Macht Weiblichkeit zu kontrollieren, sie durch Zurechtweisung in Literaturfragen zu formen und sie als Projektionsfläche ihres Begehrens zu benutzen.
Diese effektvollen Brüche innerhalb der symbolischen Ordnung entlarven letztlich die traditionelle Vorstellungswelt als eine Illusion der Bilder. Selma begibt sich hier an den gleichen Ort zwischen Bewußtsein und Sexualität, an dem sich VB schreibend befindet (vgl. Abschn. 4.2.2). Ein Ort dazwischen, im Spannungsfeld der Differenz.
6.4 Zusammenfassung
In den vorangegangenen Kapiteln sind die Bestimmung des weiblichen Ortes durch die Fokussierung auf Blicke und die dem Blick inhärenten Prozesse von Spiegelung und Projektion aufgezeigt worden. Bislang entblößte der Text die Konstruktion eines in sich gefestigten männlichen Schemas, das den weiblichen Signifikanten weitgehend zu verdrängen vermochte. Weder Marianne, Selma noch Louise dürfen handeln, sie werden be -handelt. Dennoch sind innerhalb von Entitäten Grenzen aufgebrochen, die als eine Kluft in den Positionen entstanden sind, die in die binäre Opposition intervenieren und sie depolarisieren.
In der Zeichnung der Figur Selma ist es VB gelungen, den Standpunkt zwischen dem Ort, von dem aus Männer Frauen (an-) sehen, und jenem, an dem Selma stand, um angesehen zu werden, als eine Verschiebung in die männliche Ordnung einzuschreiben (vgl.Vinken, 1992: 448). Marianne ist es nicht möglich, ihr Spiegelbild zu zerstören, aber durch ihren Übergang in eine archaische und patriarchalische Welt schafft sie Voraussetzungen für gemeinschaftliches, sich ergänzendes Schaffen mit Börje, dessen Zukunftsperspektive am Ende des Romans deutlich hervortritt. Louise hingegen verbleibt Gegenstand, an dem sich die Materie durch eine männliche, gebärende Künstlerhand verändert. Ihre Unvollkommenheit wird ausradiert und zu einem Kunstobjekt pervertiert, das ihr dennoch zumindest eine Spiegelreflexion ihres eigenen Spiegelbildes vor Augen halten kann.
Die eigene weibliche Subjektivität scheint jedoch weiterhin in weiter Ferne, zu deren Ausdrucksmöglichkeit die Sprache als wichtigster Vermittler zählt. Daher möchte ich hier zu einem weiteren Hauptthema überleiten, zu dem der Sprache und ihrer Funktion innerhalb der drei Romane.
7. Bedeutungsproduktion anhand von Sprache
Hadumod Bußmann definiert Sprache wie folgt:
„Auf kognitiven Prozessen basierendes, gesellschaftlich bedingtes, historischer Entwicklung unterworfenes Mittel zum Ausdruck bzw. Austausch von Gedanken, Vorstellungen, Erkenntnissen und Informationen sowie zur Fixierung und Tradierung von Erfahrung und Wissen.” (Bußman, 1990: 699)
Letzteres ist hier besonders interessant. Die „Fixierung und Tradierung von Erfahrung und Wissen” als verifizierendes und regulierendes Ergebnis von sprachlichen Diskursen war immer schon dem männlichen Prinzip vorbehalten. Sprechen ist immer auch eine Spiegelung der eigenen Gedanken, dessen Bilder durch Sprache transkribiert und materialisiert werden und auf diesem Weg in die Welt gelangen. Sprache ist desweiteren eng verknüpft mit Handeln, wie es zum Beispiel die Sprechakttheorien von J.L.Austin (1962) und J.R. Searle (1969) aufzeigen. Zumindest werden durch Sprache bestimmte Wirkungen erzielt (perlokutionärer Effekt), die wiederum Handlung evozieren und beeinflussen (vgl. Bußmann, 1990: 725-728). Diese Signifikantenkette unter dem Überbau des Saussureschen Signifikats des männlichen Prinzips, sollte mit Beginn der feministischen Psychoanalyse um ein Vielfaches bereichert werden.
Die Frage, wie eine weibliche Sprache konstituiert werden kann und wie sie dann aussähe, soll hier nicht gelöst werden. Vielmehr geht es darum, wie die Personen sich sprachlich konstituieren und ob man so etwas wie eine eigene Sprachfindung in den Texten entdecken kann, die dem männlichen, in langer Tradition stehenden Be -sprechen von Frauen, dem Sprechen über Frauen, entgegenwirken kann. Weiter möchte ich untersuchen, wie und wann die drei Hauptfiguren sprechen, ob es auch einen Ort des Sprechens gibt und in welchem Maße männliche Sprache weibliches Sprechen als Signifikat bedeutet. Dazu nehme ich u.a. folgendes Modell von Irigaray zu Hilfe, dessen wichtigste Punkte Margaret Whitford zusammengefaßt hat.
7.1 Das psychoanalytische Modell von Irigaray
- Das weibliche Imaginäre ist nicht nur Vorstufe des patriarchal dominierten Symbolischen, sondern eröffnet auch Elemente des Unbewußten.
- Es besteht eine Parallele zwischen der psychoanalytischen und der kulturellen Situation, die Irigaray in ihren Untersuchungen psychoanalytischer Gespräche sichtbar macht; darin zeigt sich, daß die Frauen, in der Kultur ebenso wie im Gespräch, nicht als gleichwertige Partnerinnen gelten.
- In ihren Therapien wenden die Analytikerinnen die Strategie der Mimesis an, um im Gespräch auch die Rolle des männlichen Imaginären übernehmen zu können.
- Durch neue Interpretationsformen innerhalb der Psychoanalyse sollen die Voraussetzungen für eine Dynamik der kulturellen Veränderung geschaffen werden.
- Insgesamt geht Irigaray davon aus, daß eine bedeutende Verbindung zwischen psychischen Symptomen und linguistischen Phänomenen besteht.
(Whitford, 1991: 35 ff.)
7.2 Ich spreche, also bin ich ?
Von einer ‘wirklichen’ Sinnproduktion darf man, Lacan zufolge, also nicht ausgehen, wenn jemand etwas sagt. Dennoch kann ohne Sprache die eigene Existenz nicht verifiziert werden, wie in Abschnitt 4.3.1 erläutert worden ist. Eine weibliche Sprache gibt es nicht, und die Konzepte Irigarays zu deren Entwicklung begründen sich in der Emphase ihrer Differenz, aber nicht in einer vorsymbolischen weiblichen Sprachform, welche der männlich genormten Sprache entbehren könnte. Doppeltes Dilemma der Sprachlosigkeit ist, daß Frauen zum einen kaum sprechen und zum anderen, wenn sie sprechen, nicht gehört werden (vgl. Meyer, 1995: 175-179). Dies läßt sich an Selmas Beispiel besonders gut nachvollziehen.
Sprache produziert jedoch immer wieder neue Bedeutungen, zu deren Paradigmenwechsel die Bewußtwerdung weiblicher Konstitution von Sprache unbedingt beitragen kann.[22] Das Modell von Irigaray ist im weiteren Verlauf insofern relevant, als das einzelne Punkte innerhalb der sprachlichen Konstruktionen wiederzuentdecken sind.
7.2.1 Marianne bricht durch
Börje ist eher ein stiller Mann der Taten, dessen Schüchternheit und seine Schwierigkeiten im Ausdruck seine Erklärung für den langen, bürokratisch wirkenden Brief sind (FM: 10). Seine Sprachbarriere begründet sich mitunter in den unterschiedlichen Gesellschaftshierarchien, die VB hier determiniert: Der Ungelehrtheit Börjes als philiströser Landwirt ohne Universitätsabschluß steht die Familie Björk als Insignie des schwedischen Bildungsbürgertums des 19. Jh. gegenüber. Dies zeigt sich u.a. in den Fremdsprachenkenntnissen der Brüder Björk (FM: 60) sowie in Börje als absoluter Vertreter starrer Grundsätze: „[...] det finns människor jag tycker om och människor som jag inte tycker om.” (FM: 62). Börje ist demnach nicht nur geschlechtliche Differenz zu Marianne, sondern auch als ein Gegenspieler innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung angelegt.
Schon während des ersten Treffens zwischen Marianne und Börje ist Marianne die Sprachlose, der Gedanken zugesprochen werden und deren Sichtweise nicht aus ihrem Selbstverständnis heraus entstehen kann. Es gibt, und dies wird besonders in der Kennlernphase deutlich, keine Worte für Mariannes Ängste, keinen Raum für Einwände. Börjes Drängen auf schnelle Erledigung der formalen Dinge, um sich dann auf eher natürliche Art begegnen und kennenlernen zu können, kann Marianne nicht widerstehen. Nach ein paar zaghaften Versuchen wie: „Ja, vad skall jag säga” (FM: 16) und „Det kan nog vara sant” (FM: 16) und „Jo, men” (FM: 17) muß sie einsehen, daß sie nichts hat, um sich über seine offensichtliche Enttäuschung hinwegzusetzen. Ihr Zwiespalt nicht erfüllbarer Erwartungen und ihrer einhergehenden Verunsicherung läßt sich auch an Börjes Verhalten ablesen. Ihre zögerliche Haltung verunsichert Börje, was sie wiederum veranlaßt, ihre Einwände zu unterbinden. Sein Wille ist darüber hinaus zu klar und unmißverständlich formuliert, als daß sich die romantische Vorstellung des Hofmachens noch aufrecht erhalten ließe, zu stark lastet der allgemeine und insbesondere Börjes Erwartungsdruck auf ihr. Beide werden auf den allgemeinen Verhaltenscodex zurückgeworfen, von dem sie sich die Wahrung des Gesichtes erhoffen. Mariannes unsichere Position überträgt sich also hier, aufgrund fehlender Gleichberechtigung (vgl. Abschn. 7.1 Punkt 2), auf Börje.
Als Marianne ihr Zimmer präsentiert, ist Börje über die elegante Ausstattung überrascht; sein Ausruf „Ett så vackert rum du har!” (FM: 19) vermittelt dem Leser den Eindruck, als erfreue sich ein Onkel mit Wohlwillen über das schmucke Zimmer eines kleinen Mädchens.
Noch liegt das Sprachliche auf kindlichem Niveau, man neckt sich ob der Voraussicht, bald ganz andere, unbekannte Dinge miteinander zu teilen, deren Intimität sie ein wenig in gegenseitige Schamhaftigkeit versetzen. Marianne befindet sich noch in familiärer Häuslichkeit, in welcher sie sich unbedarft und geschützt bewegen kann, nicht ahnend, daß ihr „elaka pojke” (FM: 43) weitaus erwachsener ist als sie selbst. Dies offenbart sich nur zum Teil in der Namensgebung „min pulla” (FM: 46) „Liten” (FM: 55), sondern auch in Börjes Art ’wichtige’ Dinge von ihr fernzuhalten „Mina affärer får du inte lägga dig i [...]” (FM: 112) und sie dadurch auszugrenzen. Seine charakterliche Entfaltung in seinem eigenen Haus läßt Marianne immer ruhiger und verhaltener werden, so daß sich ihre Äußerungen auf ein kurzes Bestätigen seiner Aussagen oder auf ein bedrücktes Schweigen reduzieren (FM: 51/53). Eine sprachliche Konstitution der eigenen Subjektivität ist für Marianne nicht möglich, denn auch sprachlich wird sie als Signifikant bedeutet, ohne sich selbst sprachlich bedeuten zu können. Sie wird identifiziert als die Frau, die im Hause musizierend unterhält und deren Bedürfnis von Börjes Bedürfnissen überlagert werden. VB hat dies einfühlsam exemplifiziert, indem sie Börje sagen läßt:
„Marianne, jag längtar efter pianot; jag skulle vilja höra dig sjunga här, [...]” (FM: 55) „[...] du har böcker, blommor och musik, och in till dig skall jag komma för att lära mig njuta av allt som är skönt. I din lilla vrå skall du göra det till ett förtrollat slott.” (FM: 56)
Eine weiterere Bedeutung wird von ihrem Bruder Karl transportiert, als er zu Besuch in Tomtö ist. Seine Rechtfertigung gegenüber Marianne dafür, daß er mehr schläft als für sein Studium liest, fällt beleidigend und unsachlich aus, indem er ihr einfach das Verständnis dafür abspricht: „Vad förstår du av mina studier?” (FM: 100). Karl schafft es aber auch auf anderer Ebene, ihre weibliche Rolle in Frage zu stellen. Mariannes Bekenntnis, daß sie Börje gern hat aber nicht in ihn verliebt ist, decouvriert ihre eigentliche Nicht-Position als junges Mädchen innerhalb der Gesellschaft. Das, was sie vor sich versucht hat als Liebesheirat darzustellen, bekommt plötzlich eine spürbar andere Qualität, was sich an ihrer unwilligen Reaktion zeigt: „Kär – nej, men jag håller av honom. [...] Ja, behövs det mer?” (FM: 104). Marianne spürt ihre leeren Worte, welche die mysteriöse Kluft zwischen Vorstellung und Realität erneut aufkommen lassen, indem sie die Wirklichkeit versuchen zu verdrängen. Karl legt ihren Zwiespalt mit seinem nüchternen Kommentar offen: „Det är ändå egendomligt vad ni kvinnor kunna vara omedvetna [...], men kanhända är det vår lycka.” (FM: 104). Die Frau ist unbewußt, stellt Karl fest und impliziert zugleich, dies sei eine weibliche Eigenschaft, die zugunsten der männlichen Bewußtheit ausfällt. Ein komplementäres Verhältnis, das sich in rein ‘natürlich’ erwachsener Gegensätzlichkeit begründet.
Mariannes eigenes Empfinden gegenüber Börjes Aussehen wird erneut auf die Probe gestellt, als Pål auf den Konsens besteht, daß Börje als hübscher Mann gilt, worauf Marianne nur verlegen erwidern kann: „Naturligtvis skall jag tycka att han är vacker. Det hör ju till mina plikter.” (FM: 123). Marianne empfindet es so nicht, sieht sich aber durch Pål genötigt, sich ihrer Rolle treu zu bleiben und ihm nach dem Mund zu reden. An dieser Stelle findet eine Verschiebung statt, die sowohl die Figur Pål als auch Marianne durch ständige Changierungen beweglich hält. Als Pål erwidert „Om jag vore kvinna, skulle jag tycka det i trots alla plikter.” (FM: 123), äußert er zum einen das, was in seinen Augen für eine Frau in Mariannes Lage ganz ‘natürlich’ wäre, zum anderen spricht er unbewußt seine Sehnsucht nach einem Rollentausch aus, die er lediglich im Konjunktiv verwirklichen kann. Er bewundert Börje, im Gegensatz zu Marianne, frei und unvorbelastet, andererseits ist es ihm verwehrt, Mariannes Rolle zu übernehmen, obgleich die Emotionen so zu liegen scheinen. Dies bedeutet, daß Pål hier offensichtlich Stellvertreter einer Vision ist, einer Vision der wahren und frei gewählten, ergo utopischen Liebe innerhalb der Ehe und zugleich die Vision eines ‘realen’ Weiblichen, das sich eben nicht auf seine Pflicht beschränken muß. Pål ist hier die Freiheit, dem die weibliche Verdrängung gegenübersteht.
Wessen Stimme ist es, die da spricht?
Mariannes Mangel, ihre fehlende Stimme, wird hier durch Pål ersetzt, indem er als das weiblich - erotische Element das Begehren nach Aufhebung des Mangels verbalisiert. Mariannes fehlendes Selbstverständnis erhält so einen Diskurs im Unbewußten (vgl. Abschn. 7.1 Punkt 1), der sie einerseits aus männlicher Metaphorik heraus als Nicht-Frau benennt, denn eine Frau in dieser Gesellschaft findet ‘natürlicherweise’ ihren Mann schön, und anderererseits ihren Wunsch nach einem wirklichen Gefühl, das dieses Pflichtgefühl ersetzen kann. „Om jag vore kvinna” sagt Pål noch einmal an späterer Stelle, als er mit Marianne über Börjes Fähigkeiten und Tugenden spricht (FM: 157). Es klingt, und so versteht es Marianne offenbar, wie ein Vorwurf gegenüber ihrer negativen Haltung zu Börje, die sich auch in einem Nicht-Sehen begründet. Påls Mittlerrolle ist deshalb so erfolgreich, weil er eben tatsächlich als enger Freund und Bewunderer Börjes und einfühlsamer Konsulent Mariannes in der Mitte steht, und vor allem er selbst auf seine Kosten kommt. Sein Kompliment, das einmal nicht Mariannes Äußeren gilt, kommt gut an:
„[...] jag finner det så oändligt mycket lättare att tala med en kvinna än med en man. Hos kvinnorna finns det en själens smidighet, som sätter dem i stånd att följa en tankegång på ett helt annat sätt än en man skulle kunna. Deras mjuka, komplicerade själsliv kan man draga till sig hur nära man vill, utan ansträngning, utan känsla av tyngd.[...] Den kritiska torrhet, som är mig så avskyvärd, den finns icke hos kvinnorna; därför älskar jag dem.” (FM: 142)
Frauen verschaffen ihm seelische Levitation, ihre Gedankenlosigkeit lädt ein zu wohligen Plauschereien am Kamin, was auch Mariannes innewohnender Bequemlichkeit entgegenkommt: „[...] åtminstone finner jag det mycket bekvämare att icke kritisera, utan endast följa med.” (FM: 142).
Hinter Påls Worttändelei verbergen sich raffinierte Schachzüge, die Marianne unbemerkt und Zug für Zug in Bahnen lenken, so wie Börje sich im allabendlichen Schachpiel immer wieder in Bedrängnis wägt, wenn Pål ganz instinktiv seine Figuren setzt. Seine Worte fließen wie ein warmer Bewußtseinsstrom, sie besänftigen, lullen ein und bestechen durch ihre bekennende Aufrichtigkeit:
„Men det är ytterst få, som ha mod att titta efter på människonaturens avigsida och att taga reda på vad där finns, därför talar man icke om sådant. Och det man icke är van att tala om, det finner man förskräckligt.” (FM: 142)
Indem er Marianne Einlaß in seine Gedanken gewährt, gewinnt er ihr Vertrauen und ihre Freundschaft, und indem er von seiner verstorbenen Frau erzählt, gewinnt er Mariannes Eifersucht.[23] Ihre Gedanken folgen ihm, begleiten aufmerksam seine mit Melancholie durchsetzten Monologe.
7.2.1.1 ‘flirtation’ und ‘kurtis’
Bemerkenswert ist auch das Gespräch zwischen den drei Protagonisten über Sprache und wie sie unterschiedliche Subjektivität herauszukristallisieren vermag. An dieser Stelle geht es um die drei Wortschöpfungen „flirtation”, „kurtis” und „att slå sig ut” (FM: 134). Marianne kann lediglich ein entlehntes Wort in die Diskussion einwerfen und zitiert aus ihrer Trivialliteratur, Pål als sprachsensibler Kosmopolit hält es mit dem Französischen, der Landwirt Börje hat dafür lediglich eine eher gängige, primitive Übersetzung. Marianne hat keinen direkten Bezug zu ihrem Begriff, weder ihr Gefühl noch ihre Erfahrungen können ihr in dieser Hinsicht ein Repertoire bieten. Pål ist aber derjenige, der für ihre Artikulation von Gefühlen und Gedanken zuständig ist:
„Marianne skulle velat se upp; visa att hon förstått honom. Hon kände sig glad som om han funnit en av hennes egna tankar och givit den form.” (FM: 135)
Er vermag nicht nur ihre Sprache zu ersetzen, sondern spricht in Marianne zugleich jene Gefühle an, die sie früher zu dieser Art von Anbändelungen mit jungen Männern verleitet haben. Pål motiviert Marianne, sich wieder ganz dem männlichen Bild von Weiblichkeit verschreiben zu wollen, nachdem sich ihre Aufmerksamkeiten gegenüber Börje erschöpft haben und sein nicht vorhandener, männlicher Spiegel ihre Weiblichkeit zu verschlucken drohte. Marianne will schließlich von Pål bewundert werden, und von der besagten durchschnittlichen Frau zur Spiritualität gelangen (FM: 135), will durch Koketterie wieder ihren Weg zurück finden in die sichere Nische ihrer Märchenwelt. Im weiteren Verlauf dieser Unterhaltung ordnet Börje die Begriffe. „Flirtation” vor der Ehe sei wohl ganz natürlich, aber unangebracht, sobald man jemanden gefunden hat, der einem richtig gefällt:
„Det är alldeles som det skall vara, för ingen kan ha sån tur som att träffa på den rätta strax, och inte har man förstånd på att välja. Att då gå åstad och binda sig för hela livet, det vore en dumhet. Det där har vi väl alla gått igenom [...].” (FM: 136)
In diesem Zitat ist das vi bezeichnend, besonders im Hinblick auf das Zitat von Brattström (S.35), das besagt, daß die Frau innerhalb der Sprache ausgeschlossen wird. Denn „vi alla” sind nicht die anwesenden Gesprächsteilnehmer, sondern das männliche Geschlecht, das Marianne vollkommen aus diesem Gespräch ausschließt und damit auch aus dem gesamten männlichen Prinzip. Ihr auferlegter Mangel an Erfahrung wird überdies noch indirekt als Dummheit bezeichnet.[24] Marianne und Pål finden allmählich zu einer non-verbalen Kommunikationsebene, in der ihre gemeinsame Sprache der „flirtation” oder auch „ögonkurtis”, wie Marianne es später verächtlich nennt (FM: 188), eine Homogenität erfährt, die nur auf dieser Ebene möglich ist. Als Marianne diese zu benennen versucht, verbietet Pål ihr das Wort: „Tyst; inte ett ord! [...] Det finns ting man aldrig talar om, Marianne . . . fru Marianne.” (FM: 161). Der Weg in die ‘Realität’ wird versperrt, denn noch soll das Begehren seinen Platz behaupten können. Die Spannung des Ungesagten läßt Marianne noch tiefer in die Verzauberung gleiten, die sie als Ehefrau und heimliche Geliebte spaltet.
7.2.1.2 Mariannes neue Sinnproduktion
„Jag har lekt en farlig, en otillbörlig lek. Den måste vara slut.” (FM: 171) sagt Marianne später. Sie verleugnet ihre eigentliche Natur, indem sie ihr Begehren als ein Spiel, als etwas nicht ‘Wirkliches’ abtut. Wen sie in diesem Moment wegschickt ist sie selbst, ist ihr Wunsch nach ureigenen Gefühlen und Bedürfnissen, die nicht in ihren patriarchalisch geprägten Lebensentwurf passen und passen dürfen. Ihre Bezeichnungen „Det var orätt – brottsligt.” (FM: 172) und „Det är en skam! Det är en vanära!” (FM: 172) kennzeichnen die Vehemenz, mit der sie ihren Moralanspruch zu behaupten versucht. Offenbar hofft sie, indem sie sich selbst übertönt, wieder in Börjes Leben zurück zu können.
Das Opfer muß Pål erbringen, dessen Auflösung das Fundament für Börjes und Mariannes Eheglück ist. „Jag var bara en skugga, som nu drar bort.” (FM: 181) entgegnet er profanierend und verschwindet lautlos im grauen Nebel (FM: 186). Der Weg ist frei zur ‘Realität’, die Marianne und ihrer neuen Familie gehören soll und derer sie sich zu unterwerfen beschlossen hat. „Fläcken” (FM: 181), der Fleck der Versuchung, das Dunkle, alles was ihre weibliche Integrität zerstören könnte, wird verschlossen, und Marianne kann sich durch neue Sinnproduktion wieder auf ihre gesellschaftliche Funktion besinnen. Endlich kann sie sich wieder eins fühlen.
Dieses Intermezzo ist u.a. auch der Schlüssel zur sprachlichen Entfaltung Mariannes. Ihre sich steigernde Aktivität als Gutsherrin erfordert zunehmend Kommunikation, mit der sie sich in das Gefüge einschreibt und ihren Ort findet. Börje und Marianne erarbeiten sich sogar gemeinsam eine Sprache, indem einerseits Börje die veränderte Situation reflektiert und seine Ausdrucksschwierigkeiten zu überwinden versucht.
„Ser du, förr, om det kom någon liten fnurra på tråden, så behövdes det bara en kyss [...] och så var allting i lag igen. [...], men jag undrar om det...hm...om det kan vara tillräckligt för mer än oss. [...] Ja – vet du – när jag talar till dig så här, så känner jag mig skamsen som om jag talade med en främmande människa [...]. Därför satte jag mig för, att nu skulle jag försöka att tala, så att vi, som får så mycket gemensamt, icke längre skola gå och vara så obekanta för varandra. Men du skall hjälpa mig. Jag är ett fä; jag kan aldrig få fram ordentligt vad jag vill säga.” (FM: 193)
Marianne ist es nun im Gegenzug möglich, ihre Verschwiegenheit zu erkennen zu geben. Ihr Satz, „[...] man vänjer sig vid att tala vad andra vilja ha. Tankar har man inga. Var skulle man få dem ifrån!” (FM: 193) ist zugleich offene Stellungnahme zur beschränkten Situation der Frau und Aufdeckung ihres Nicht-Ortes und der Subjektlosigkeit innerhalb der Sprache. Ihre Entwicklung mündet in Börjes Übernahme von Mariannes Wortlaut aus der Anfangszeit „Släpp lilla odjur.” (FM: 239) und ihrem Satz:
„När Thorsten blir stor, och när han känner detsamma som du nu, då skall han förstå, att man också kan tala till en kvinna. Jag menar till mig.” (FM: 241).
Mit dieser Offerte katapultiert sich die Weiblichkeit nicht nur in die symbolische Ordnung des Mannes, sondern hebt sie zugleich ein wenig auf. Denn es ist nicht nur die Rede von einer weiblichen Sprachfindung, sondern von einem Aufbrechen des schon etablierten Sprachsystems überhaupt: Börje sucht als Mann eine bessere Sprache, so wie Marianne als seine Frau diese schon gefunden zu haben scheint. Ihre Sprache überrascht mit einem eigenen Rhythmus, ohne Rücksicht auf schickliche Formulierung, die alles ‘Wirkliche’ zu umgehen weiß und vor allem beweist sie geistige Reflexion. Dieser Quantensprung gleicht einem Musterbeispiel für die mögliche Subjektverschiebung und einhergehend für die Auflösung sprachlicher Oppositionen der Geschlechtlichkeit. Er bietet eine Zukunftsperspektive, die voller Hoffnung nach vorn weist auf das, was für die Entwicklung innerhalb der Geschlechterdifferenz möglich wäre.
Dennoch bleibt offen, wo die ‘wirkliche Weiblichkeit’ ihren Ort hat. Mariannes Befreiung passiert lediglich in dem Rahmen der für sie vorgesehen ist, sprengen tut sie diesen nicht. Ihre Beweglichkeit hat sie sich durch strikte Einhaltung ihrer Rolle erkämpft und nicht etwa, indem sie ihren eigenen Weg gegangen ist. Den gab es für sie ohnehin nicht. Durch ständiges In-Szene-Setzen gelingt es ihr, letztendlich die passende Verkleidung zu finden, die selbstverständlich auch Börje zusagen muß: die gestreifte Schürze seiner Mutter. Auf die Kleidung als Maskerade komme ich in Abschnitt 8.2 zurück.
7.2.2 Die Grenzgängerin Selma
Selmas Entwicklung scheint zunächst anders herum zu verlaufen. Sie begreift viel, und kann alle ihre Erfahrungen und Wünsche ohne Not formulieren. Ihre gläserne Seele macht sie indes für ihre Umwelt genau kalkulierbar, weshalb auch die taktischen Schritte ihres Vormundes so gut funktionieren. Zudem ist Berg ein eloquenter Redner, geschult durch seine Kanzel und abgesichert Dank dem Vertrauen, das ihm als Pastor von der Gemeinde geschenkt wird. Selmas klaren Einsichten in das Leben
„Jag vet att det fordras arbete till allting, och att man bara skall lita på sig själv – det har alltid varit stackars pappas fel, att han varit för slapp – det är också bara till att börja med jag behöver er; sen skall jag nog finna på någon utväg.” (PE: 32)
begegnet Berg mit moralischen Drohungen, die allein der Machtdemonstration dienen und Selma in ihre Schranken verweisen soll. Ihre Wahrheit wird im Zeichen des christlichen Glaubens verdreht, so daß ihr Anspruch auf Subjektivität zur Ketzerei verunglimpft wird. Denn ihr Glück ist in Gottes Hand und es ist durch richtiges Gebet beeinflußbar und nicht durch Arbeit zu verwirklichen. Die natürlich gegebene Möglichkeit Selmas, sich später aufgrund ihres jungen Alters in einen anderen Mann zu verlieben, kommt Herrn Berg völlig abwegig vor: „Tycka om?...sedan man är gift!...det kunde väl aldrig komma i fråga, [...]” (PE: 51). Immer wieder wirft Selma ein, daß sie noch sehr jung wäre, und jedesmal vermag Herr Berg ihre Worte zu verdrehen und in einen völlig anderen Zusammenhang zu bringen. So begegnet er Selmas Bedenken, indem er ihr fehlende Dankbarkeit suggeriert:
„Ja det är en sällsynt heder att få dylikt anbud redan vid dina år, och jag vet egentligen icke varmed du förtjänt den, svarade han med sitt finaste leende.” (PE: 52)
Als sie Axel Möller noch einmal trifft, um wenigstens ihm mit ihren 100 Kronen den Weg zu ebnen, tut sie dies aus folgendem Grund:
„Det är helt annat med oss, kvinnor, än med er, män, [...]. Hos er anses det som en skyldighet att sträva efter oberoende, hos oss är det nästan ett fel, [...]” (PE: 43).
Indem Selma ihre Freiheit aufgibt und als Frau versucht, einem willensschwachen Jungen aus seinem Dilemma zu befreien, werden die Ebenen der Geschlechter für kurze Zeit aufgehoben und die gesellschaftlichen Konventionen, die Frau bleibt zu Hause und der Mann gründet eine Existenz, paradoxerweise wieder hergestellt. Selma wirkt an dieser Stelle tatkräftig an der Wiederherstellung der Verhältnisse mit. Möller ist jedoch zu schwach und zu mutlos, um seiner Mutter zu trotzen, so daß er innerhalb des männlichen Prinzips keinen Bestand hat und durch maßlosen Alkoholkonsum untergehen muß.
Selma fehlt lediglich in der Sexualität die Sprache, zu schambehaftet sind ihre Gefühle in diesem unerforschten Bereich:
„...Å, hon skulle skämmas ögonen ur sig, bara för att nämna någonting sådant! Men hur skulle man då bära sig åt? Se sträng ut. Men om han låtsade sig inte förstå? Usch!” (PE: 30)[25]
Sie hat keine Waffe, um sich den Anzüglichkeiten des Patrons zu entziehen, was diesen selbstzufriedenen Charakter freimütig über ihre Grenzen schreiten läßt. Während eines vertraulichen Gesprächs, das Selma mit den gewichtigen Worten einleitet „Jag har något att säga först [...]. Jag har mycket att säga. Och sedan får ni själv avgöra.” (PE: 61), wird sie überhört. Der Patron nimmt Selma nicht als Gesprächspartnerin wahr, sondern als ein weibliches Lustobjekt, dessen Worte an seinem sinnentleerten Gesichtsausdruck abprallen:
„Han satt alltjämt upptagen av den där kyssen, som han inte kunde få ur tankarna, därför bara nickade han. Hon tog det som ett erkännande.” (PE: 62)
VB skizziert in diesem Dialog äußerst treffsicher die unterschiedliche Ausgangslage der beiden Eheleute, die wohl nicht die geringste Gemeinsamkeit haben und diese auch nicht finden können. Der Patron ist genötigt, sich an kleinen Schmeichelein, wie ein zutrauliches „du” (PE: 65) oder der eigenen Verwendung von „svärfar” („han tyckte om att säga svärfar”, PE: 132) zu erfreuen, alle anderen Möglichkeiten einer menschlichen Annäherung bleiben ihm verwehrt.
7.2.2.1 Selmas Sprachrohr
Es gibt jedoch, und dies insbesondere auch in sprachlicher Hinsicht, einen anderen Mann in Selmas Leben, ihren Cousin Richard. Wie ein Echo klingen Selmas Gedanken und Worte aus seinem Munde wieder, wie eine längst vergessene Stimme in ihr brechen seine Worte ihr einstige Welt wieder auf. So wie Pål als Stellvertreter für Mariannes Begehren fungiert, hat Richard eine ebenso tragende Funktion für Selmas innere Entwicklung. Ihre große Veränderung innerhalb der zweijährigen Ehe zu einer verstellten Weiblichkeit, tritt durch den Dialog mit Richard deutlich zutage, der darüber hinaus die allgemeine Situation weiblicher Stimme/Sprache exemplifiziert.
„Det kommer någonting i själva tonen, någonting skyggt, tillbakadraget. Du talar lågt, stelt, liksom du skulle hålla hela samtalet nere vid fryspunkten – nej, det är inte det! – men det är någonting som inte är naturligt. Du har en stark altröst, som talar raskt och tydligt, men då blir det någonting dimmigt, beslöjat; [...] det av någonting liksom: ”akta dig, du talar med en kvinna.” (PE: 126)
Selmas einstige Unbefangenheit hat sich in eine kontrollierte Zurückhaltung verwandelt, deren Wahrhaftigkeit von Richard offen angezweifelt wird. Sein Ideal der kameradschaftlichen Liebe/Ehe entspricht einem völlig neuen Frauenbild, das sich eben nicht zurückzieht, sondern aktiv an den Lebensprozessen beteiligt und sich auch offen verbal mit diesen auseinandersetzt.
„Ja, hur skall mänskligheten kunna förbättras, [...] när kvinnorna envisas att puppa in sig, så att man inte ens får tala med dem som med människor.” (PE: 112)
Richards innovative Formel lautet Frau = Mensch, eine Gleichstellung die Richard als Vertreter des männlichen Prinzips fordert. Eine einheitliche Sprache von Mann und Frau liegt ihm, dem intellektuellen und gebildeten Arzt, offensichtlich am Herzen, ohne jedoch einen idealistischen Gedanken der Gleichstellung der Frau zu verfolgen. Er denkt an sich und an seine geistige Befruchtung, zu deren Nährung seine Frau beitragen soll.
„Om något äktensap k a n bli lyckligt, så skall vårt bli det, sade han hastigt, i förändrad ton, hon är så outvecklad ännu, så vek och barnslig, jag skall kunna uppfostra henne alldeles som jag vill. Hon måste ju då lära att förstå mig och det skall bli en verklig gemensamhet.” (PE: 116)
Der leise Widerspruch zwischen dem angestrebten Ziel „glücklich” und dem Zustand der Ungleichheit, dem die Unzulänglichkeit der Frau inhärent ist, klingt nach einer fast illusorischen Hoffnung, die Frau könne durch Erziehung dahingelangen, wo der Mann schon steht. Richard setzt voraus, daß nur eine unterentwickelte Frau, in der noch nichts drin ist, die Voraussetzungen erfülle, durch sein geistiges Füllmaterial auf die Stufe der Ebenbürtigkeit emporzusteigen.
Wieder ist der weibliche Ort durch den Mann festgelegt, wieder soll die Frau einen passiven Formungsprozeß durchlaufen, so daß eine männliche Spiegelung stattfinden kann. Richard unterscheidet sich vom Patron lediglich in der Qualität der Formung, die der feministischen Forderung der Entidealisierung des ewig Weiblichen vielleicht ein wenig näher rückt.
Richards Wesen ist nicht frei von Widersprüchen, die von Selma nicht unbemerkt bleiben. Als deutlich wird, daß immer ihre oppositionelle Position Objekt seines Begehrens war, beweist Selma ihren ungetrübten Verstand. Auf Richards Nachfrage, warum diese Beziehung ihrer Meinung nach gescheitert wäre, erklärt sie:
„Just det, att du då haft rättighet över mig, skulle fördärvat alltihop, [...]. Du är en despot, men det du alltid tyckt om hos mig har varit att jag vågat ställa mig upp mot dig. Hade jag varit i dina händer och måst böja mig, skulle också det varit förbi.” (PE: 154)
Bei so viel realistischem Durchblick bleibt Richard nur noch seine Emotion, in die sich sein Widerspruch zwischen Macht und Ohnmacht gegenüber der Frau auflösen kann. Unverrichteter Worte spricht nun seine Hand, dessen warme Berührung ihn auf das Niveau eines ‘wahrhaftigen’ Mannes herabsetzt. Es folgt eine verbale, frontenklärende Kanonade gegen die herrschenden Strukturen, die dem Bild Männlichkeit[26] eine ganz neue Qualität verleiht:
„Å – jag känner er! [...] couche là, hund! – det är det enda som duger. [...] – Det är ni som vilja kallas de starka, [...] och ni äga icke den ringaste makt över eder själva! När var det en skam för er att ge vika för en frestelse, och när föll icke skymfen över oss?” (PE: 160)
Selma vermag als einzige der drei Frauen mit derart schonungsloser Sprache der Männlichkeit gegenüberzutreten. Ihre erprobte Offenheit setzt sich im finalen Dialog mit dem Patron fort. Indem sie sich von der Allgemeingültigkeit von Weiblichkeit abgrenzt „Jag är icke längre lik andra kvinnor [...]” (PE: 190) und ihren Willen zur Selbständigkeit artikuliert „Jag vill försörja mig med mitt arbete [...]” (PE: 190), hat Selma ein großes Stück Individualität zumindest innerhalb der egalen Masse Weiblichkeit gewonnen.
Ihre Rolle als Hohlkörper hat sie längst durchschaut:
„Mina tankar och känslor äro dig så främmande, som om jag bodde på månen. Om jag kunde ställa min personlighet å ena sidan och min kropp å den andra, så skulle du icke tveka ett ögonblick i valet.” (PE: 193)
7.2.2.2 Selmas Stimmbruch
Selma führt Richards Idee der ‘geistigen Demokratie’ zwischen den Geschlechtern auch im Gespräch mit Elvira aus:
„Och nu är det överenskommet, [...] inga tårar, inga scener mer, och så lämnar du ibland å sido ditt välsignade persiska broderi. Det finns väl något annat i världen, som också kan vara värt en kvinnas uppmärksamhet. [...] Barn, du skall väl lära dig att förstå din egen son en gång! Hur skall du det, om du håller dig främmande för allt och endast fördjupar dig i din refirgarnskorg.“ (PE: 146)
Selmas Mimesis, ebenfalls Bestandteil in Irigarays psychoanalytischen Modell, schafft durch den Rollentausch eine kuriose Verbundenheit zwischen den beiden Frauen, die zum ersten Mal eine Spiegelung unter Frauen realisieren kann. Dies impliziert jedoch keineswegs, daß diese Spiegelung wirklich zwischen zwei weiblichen Subjekten stattfindet. Selma bedient ihre männliche Rolle äußerst überzeugend, indem sie die Themen bestimmt und ihre Privatsphäre hinter allgemeinen Floskeln zu kaschieren weiß. Elvira wird auf dem Niveau einer Schülerin gehalten, die noch viel von Selmas geschickten Taktiken lernen kann, die alle nur auf eine Sache abzielen: dem Mann (Richard) zu gefallen.
Welche Rolle spielt Selma hier?
Sie durchquert als männliche Weiblichkeit, als weibliche Erscheinung in Männerkleidung die symbolische Ordnung, die beide Geschlechter aus der Distanz analysiert und durchlebt. Provokativ fordert sie Elvira hinaus und rüttelt ganz kräftig an der geläufigen Vorstellung von Weiblichkeit. Selmas Aussage
„[...] det finns ett begär hos mig att liksom gå upp i en annan existens, vilket bevisar, att jag verkligen varit ämnad till kvinna. Det där känner aldrig en man.” (PE: 147)
klingt nach einer selbstironischen Kritik an dieser von ihr ernannten weiblichen Eigenschaft, die aus der Erkenntnis der eigenen Nicht-Existenz resultiert. Das Begehren kann so nur die Transformation in ‘etwas anderes’ sein, dem sie durch ihren Rollenwechsel für kurze Zeit nachgegeben hat. Selmas schlußfolgernde Logik ist insofern kurios, als daß sie diese Existenz nicht näher benennt. So bleibt völlig offen, welche Form oder welche Materie dieses Andere haben könnte. Diese Offenheit evoziert den Eindruck, alles andere, nur nicht das.
Das Spiel mit den Geschlechtern taucht sowohl bei Selma, als auch bei Pål auf, was zeigt, daß es nicht lediglich um eine weibliche Vision der endgültigen Befreiung aus dem weiblichen Körper geht, sondern um das Infragestellen binärer Opposition überhaupt. Das erzieherische Gespräch kann als ein Appell an die Frau, sich durch aktive Teilnahme am politischen und literarischen Leben gesellschaftlich neu zu positionieren, um ihrem Madonna - Hure - Kreislauf zu entkommen, gelesen werden. Wie es war,
– „Nej nu är du verkligen för naiv!” [Richard]
– „Ja, det vet jag att jag är, det har jag alltid varit. Det var det som var olyckan.” [Selma]
– „Ja, det kan du ha rätt i, sade han [Richard] [...]. ” (PE: 121) soll es nicht bleiben.
VB exemplifiziert hier eine weibliche Subjektivität durch Übernahme männlicher Prinzipien, durch Entweiblichung und Entmythologisierung des Frauenbildes, um die Frau aus ihrer Schattenexistenz herauszuschälen. Selmas Vortrag findet unter Richards Prämisse statt und dies impliziert auch, daß das Eine nicht ohne das Andere funktioniert. Mit anderen Worten: Durch Erfüllung der Voraussetzung für eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen den Geschlechtern, kann ein Diskurs entfacht werden, der zu einer ‘wirklichen’ Verständigung führt. Selmas Ausruf: „Jag talar inte heller för alla, jag talar för mig ensam.” (PE: 187) ist eine klare Absage an die Frau als vom Mann gesellschaftlich manifestiertes Wesen, das als Karyatide männlich etablierter Gesellschaftsnormen herhalten soll. Ihre Sprache ist an dieser Stelle persönliche Verlautbarung, ist nicht Stellvertreter und auch nicht bedeutungskonstituierend innerhalb des männlichen Prinzips. Ihre eigene Unwürdigkeit in ihrer gesellschaftlichen Rolle als liebende Ehefrau erkennend (PE: 188), steht sie plötzlich außerhalb der Kultur, an die sie sich so sehr bemüht hatte anzupassen. Mit dieser Aussage deckt Selma Punkt 4 und 5 des Irigarayschen Modells ab, nämlich die kulturelle Veränderung durch Loslösung aus der Ehe und Eintritt in das Berufsleben, wie auch die verbale Befreiung und ihre rege, nach Freiheit ringende Gestik und Mimik während des Dialoges.
7.2.3 Das Still – eben Louise
Louise hat Sprachverbot. Ganz still soll sie sitzen (DB: 241), nur ihr Antlitz ist von Bedeutung. Ihr zaghafter Versuch, sich gegen ihre Bedeutungslosigkeit zu wehren, schlägt fehl.
„För mig har det varit intressant att studera världsmannen, den ryktbare konstnären och – kvinnoärövraren – Men ni? Vad har ni haft för motiv –” (DB: 281)
Alland nimmt diese Provokation zum Anlaß, um seine Absichten zu verraten. Seine Verwendung dieser grausamen Metapher klärt gleichermaßen das Machtverhältnis zwischen Künstler und Objekt.
„Det finns aldrig mer än ett motiv. Men man skär inte upp det! Det är som att sticka kniven i en sångfågel, sätta den uppstoppad på pinne i stället för att låta den flyga och sjunga!” (DB: 281)
Louise hat nichts, um sich selbst Bedeutung zuzuschreiben, sie verbleibt ein ausgestopfter Vogel, ein Kind (DB: 342), eine Göttin (DB: 345) und gleichermaßen ein Nichts: „Ni är en underlig varelse! Inte kvinna, inte barn – ingenting“ (DB: 298). Dieses Zitat hat zweierlei Qualität: Einerseits zeigt das „ingenting“ die sprachliche Lücke auf, das Fehlen eines Ausdrucks für diese merkwürdige Erscheinung Louise, andererseits betitelt Alland sie als ein Nichts, das sich letztlich in seinen Händen auflösen muß: „Jag är vad du har gjort mig till. Det var din trolldryck, bergakung.“ (DB: 341). Louises Sprache klingt müde und kraftlos, sie vermag ihrer hohlen Existenz lediglich die Konturen eines sagenhaften Schattendaseins zu verleihen:
„Jag? Vad är jag? – En skugga, bunden till en annans tillvaro – dömd att fjärran från honom föra en självständig och därför overklig existens –” (DB: 325)
Louises Erkenntnis ihrer Nicht-Existenz unterscheidet sich qualitativ erheblich von Selmas. Sie ist an die Existenz eines bestimmten Mannes, dem Mann als Schöpfer, gebunden. Ihre distanzlose Hingabe zeugt von absoluter Ergebenheit gegenüber einer großen Macht, die sie bis zur Selbstlosigkeit verkümmern läßt. Aber es ist vielleicht mehr als das, was sie sich selbst noch ‘real’ geben kann, denn ihre Substanz ist porös. Schon als Alland sich zu Anfang nach ihr persönlich erkundigt, erwidert sie: „Det finns ingenting att berätta.” (DB: 242). Sie selbst empfindet sich nichtig, nicht erwähnenswert, ihre fehlende Subjektivität ist vielmehr auf die Ausdruckskraft anderer angewiesen. Ihr wiederholter Einwand „Du känner mig inte.” (DB: 302-303) liest sich wie ein stilles Bedauern, ihm nicht das eigene Bild von sich vermitteln zu können, da eine Subjektkonstituierung durch Sprache nicht stattfinden kann.
Stellvertretend spricht Alland: er spricht über Frauen, analysiert das Innenleben Louises, fordert ihre Gefühle bis auf das Äußerste heraus. Seine Worte stopfen sie aus wie einen toten Vogel, ihr sterbender Körper wird mit Gips moduliert. „Nu är du min!” (DB: 299) ruft Alland aus und prophezeit ihr die Metamorphose einer existenzlosen Heiligen zu einem ewig ‘wahren’ Kunstwerk.
Louise begiebt sich als natura naturata in die Stille des Marmors. Ihre Stummheit bedeutet ihren Tod und ist ihr Tod, sowie auch die ‘wirkliche’ Weiblichkeit dem Tode geweiht ist, wenn sie nicht aktiv am menschlichen Schaffensprozeß teilnimmt, denn:
„Die projizierte Verwandtschaft des Weiblichen mit der Kunst schließt jedoch die realen Frauen keineswegs ein; diese haben mit der Kunst nichts zu tun, sie sind im Gegenteil per definitionem zur Kunst unfähig. Allein die imaginierte, die symbolische Frau ist der Kunst nahe.” (Bovenschen, 1979: 37)
8. Schein - Wirklichkeit
„Wenn einerseits das >Sein< , die ontologische Bestimmung des Phallus, eine Maskerade ist, müßte sich scheinbar alles Sein auf eine Form des Erscheinens, des Anscheins von Sein reduzieren, so daß sich die Geschlechter-Ontologie [...] auf das Spiel der Erscheinungen reduzieren ließe.” (Butler, 1991: 79)
In Bezug auf die Wirklichkeit konnte der Schein sich nie dem Vorwurf der Täuschung und der Wahrheitsverfehlung entledigen, was Nietzsche dazu bewog, den Schein-Begriff vom Wahrheitsanspruch zu lösen. Somit wurde der Schein auf die Grundlage einer rhetorischen Funktion als Phänomen einer Wirkung versetzt, die das „wahre Wesen” der Dinge ausschließt. Schein bezeichnet Nietzsche als ästhetisches Phänomen. Schopenhauer trennt hingegen das „wahre Wesen” von dem „trügerischen Schein”, dessen Erscheinung die sichtbare Realität als eine trügerische enthüllt (Bohrer, 1981: 111-117):
„Das ästhetische Phänomen hat gleichzeitig deshalb seinen eigenen, auf keinen Hintersinn rückführbaren Sinn, weil es nur als ein ästhetisches vom Widerspruch des Seins spricht. Diese am Ende zugegebene Relation des »Scheins« zu einem Zweiten ist logisch etwas prinzipiell anderes als die traditionelle Repräsentation des Seins als »Wahrheit« durch den »Schein«. ” (ebd.: 125)
Überträgt man diese Dialektik des Schein-Begriffes auf die Konzeption eines Abbildes, wird das relative Verhältnis Schein - Wirklichkeit noch deutlicher.
Dazu folgende Parabel:
„The parabel is about a one-eyed, one-legged, hunch-backed king who commissions a portrait of himself from his court artist. Faced with the obvious dilemma, the artist, trying not to insult the king, decides to paint out any of the deformities which might cause offence. However, the king is appalled by the untruthfullness and inaccuracy of the portrait and [...] sentences the artist to death. A second artist is commissioned who, aware of the fate of the first, decides that a straightforward, honest and accurate representation is the best tactic. Yet the grotesque realism of this portrait makes the king furious, and the predictable execution ensues. The third artist does not have an easy task: on the face of it, the obvious strategies have been tried and both have resulted in death. After a great deal of thought, he decides to paint the king in the role of a huntsman. By getting him to strike the pose of drawing a bow and arrow, the artist is able to paint the king with one leg resting on a log, with one eye closed and with one shoulder raised above the other. This representation of the king ingeniously disguises the disfigurements which led to the demise of the second artist, while avoiding the fabrications which resulted in the demis of the first. The king is delighted , of course, with the ’likeness’ and rewards the artist with stylistic workshops and tutorials.” (Simpson, 1993: 9)
Das Ergebnis ist ein repräsentatives Bild, vergleichbar mit einem Roman, einer vorgegebenen Schein-Wirklichkeit, dessen Perspektive und Ausschmückung entsprechende Effekte erzielen. Gewisse Effekte erzielen zu wollen schließt jedoch nicht mit ein, und das führt diese Fabel ebenfalls vor Augen, daß die Wirklichkeit wie beim ersten Maler ausgeschlossen wird und ein gänzlich irreales Wunschbild entstehen muß. Die Begabung des letzten Malers liegt eben in seiner gekonnten Inszenierung einer Mangelerscheinung, so daß sie sogar zu einer heroischen Pose verhelfen kann, die den Mangel miteinbezieht. Hier findet eineVerschiebung statt, die in dieser Verdichtung (Bild) genauso wenig über die körperliche Verfassung des Königs aussagt, wie über seine Jagdkünste. Die Eigenschaft dieses Phänomens eines Abbildes, eines Scheinbildes, hat Yrsa Stenius treffend umschrieben:
„Ett sken är på en gång påtagligt och flyktigt. I rollen omger det dig som ett slags förstorande materia, som dock inte är beständigt utan måste fyllas på, upprätthållas.” (Stenius, 1993: 30)
Dementsprechend verhält sich Wirklichkeit weder oppositionell zum Schein, noch ist sie ihm inhärent.
Der, insbesondere im Zusammenhang mit der Weiblichkeit, wichtige Begriff Maskerade [27] hat gerade in Butlers gender -Debatte Kreise gezogen, und soll im folgenden Kapitel eine weitere Konzeption der Weiblichkeit vor Augen führen, die an die vorangegangenen Exempel, wie dem imaginierten Weib, dem Blick und der Sprache anknüpfen.
8.1 Die Maskerade
Die Ambivalenz zwischen Wesen/Sein und Schein läßt sich in der weiblichen Maskerade als weitere Geschlechtskonstitution wiederfinden: Der „Weiblichkeit als Maskerade” kann zum einen der Geschlechtsidentität als Konstrukt dienen und zum anderen der Maskierung einer vorausgesetzten sexuellen Identität (Weissberg, 1994: 11). Butlers Frage lautet:
„Dient die Maskerade in erster Linie dazu, eine vorgegebene Weiblichkeit zu verbergen oder zu verdrängen [...]? Oder ist sie gerade das Mittel, durch das die Weiblichkeit allererst gestiftet wird, das ausschließliche Verfahren der Identitätsbildung [...]?” (Butler, 1991: 80)
Lacan ist der Meinung, Maskerade sei „[...] eine Strategie, bei der Verlust eingeschrieben ist, denn sie versucht zu ersetzen, was verloren ging [...],” (Weissberg, 1994: 12). Irigaray sieht in der Maskerade den Versuch, an männlichem Begehren teilzuhaben, indem sie ihr eigenes Begehren aufgibt. Die Maskerade wird hier gleichgestellt mit Weiblichkeit die dadurch entsteht, daß die Frau erst eine normale Frau wird, wenn sie in die Maskerade der Weiblichkeit eintritt (ebd.: 12-13).
Unterstellt man der Maskerade, sie sei ein Ersatz für etwas, so käme sie einer Ästhetisierung fehlender und fehlerhafter Gliedmaßen (vgl. Abschn. 8) gleich. Das Ergebnis könnte dann die ‘normale’ Frau sein, deren Normalität sich in der imaginären Weiblichkeit manifestiert.
8.2 Die Ver-Kleidung zur „normalen Frau“
Wichtiges Accessoire der Maskerade sind die Kleider, die durch die stark sexuelle Konnotation zur Stabilität der Geschlechter beitragen. Kleidung unterliegt einem Gesellschaftscodex, dessen, um es mit Roland Barthes’ Worten zu umschreiben, künstliches Zeichen Natürlichkeit vortäuscht (vgl. Abschn. 4).
Marianne ist mit ihren üppigen Ballkleidern und der späteren Umkehr zur handgewebten Schürze mit bunten Streifen ein Beispiel für die Bemühung der Konstruktion einer Identität, die keinen Aufschluß gibt über ein mehr oder weniger ‘wahres’ Weibliches, sondern lediglich Imitiation ihrer Schwiegermutter ist. Sie zeigt sich, einem Chamäleon gleich, lediglich in immer neuem Gewand. Eine Enthüllung des „wahren Wesens” scheint undenkbar, denn Identität vollzieht sich hier als Ästhetisierungsprozeß, der in unbestimmter Relation zu einer Daseinsform steht. Insofern wäre Mariannes Identität als eine dekonstruktive denkbar, die sich zu ihren Rollen innerhalb des männlichen Prinzips stets differenziell verhält. Ihre wechselnde visuelle Präsenz, die von einer frappierenden Flexibilität zeugt, ist vielleicht ein Stück weibliche Wirklichkeit, die durch das künstliche Zeichen hindurchscheint. Genauso erstaunlich ist Mariannes Willensstärke, die sich in ihrer Verfolgung eines klaren Zieles offenbart.
Selma schlüpft gleichermaßen in teure Luxusgarnitur, um schließlich in sportlichem Reitanzug die aktive Kraft zu finden und ein Arbeitsleben in einem fremden Land zu beginnen. Ihre vorerst kindliche, weniger sexuell konnotierte Garderobe könnte man mit der Idee einer prä-existenten Weiblichkeit[28] gleichsetzen, die mit Beginn ihres Ehestandes verdrängt werden soll. Von da an beginnt die Maskerade, die Selma zu der „normalen Frau” macht und von dessen Vorgaben sie sich dann befreien kann. Ihre androgyne Kleidung verweist hier wieder auf die zweideutige Geschlechtlichkeit Selmas, die in ihr angelegt ist, und die auch das spielerische Element ihrer Kleidung betont. Ihre Maskerade ist zwar Entfremdung, aber sie begründet sich auf einer sexuellen Identität, die sich der Maskerade bewußt wird. Mit dem Erkennen ihrer Mangelerscheinung als Frau, die sich eben auf das „normale Frausein” reduziert, weiß Selma auch, daß nur eine Demaskierung der Weiblichkeit dem „trügerischen Schein” einen Riß verleihen kann.
Zu Louise läßt sich nur so viel sagen, daß ihre Nicht-Identität zu einer Maske erstarrt, sich erst in der Totenmaske zu erkennen gibt. Was sich hinter ihrem Schein verbirgt und ob sich etwas verbirgt, bleibt ein Rätsel. Die Maskerade verleiht ihr etwas Repräsentatives, das letztlich weder ein „wahres Wesen”, noch einen „trügerischer Schein” affimieren kann. Louise ist ästhetischer Effekt, ein scheinbares Wesen ohne Sein.
Pål verkörpert die Verkünstelung durch und durch, sowohl in der Kleidung, der Einrichtung, als auch in seiner Vorliebe für verspielte Asseccoires materieller und sprachlicher Art. Sinnbild seiner Verkleidung ist das Spiel, der Scherz und die Koketterie, die den Bourgois dazu verleiten, zwischen den Geschlechtern zu korrespondieren[29], indem er sein Geschlecht maskiert und sich in die Halbwelt zwischen Marianne und Börje begibt. Seine homophile Neigung auch zu Börje wird mehrmals im Text angedeutet. Was Pål aus purer Lust und aus Zeitvertreib zu tun scheint, ist für die Frau eine eher ernste Angelegenheit. Sei sie nun reduziert auf Kleidung als ersetzendes Geschlechtsmerkmal oder als Trostpflaster für fehlenden Phallus oder fehlendes Begehren, im Kern bleibt sie gesellschaftliche Fiktion, Stilisierung eines Körpers, dessen Gesten die Illusion eines geschlechtlich bestimmten Selbst herstellt (Butler, 1991: 207). Was bleibt, ist die Maskerade als Bild/Repräsentant einer Weiblichkeit in unterschiedlichen Erscheinungsformen, die unterschiedliche Wirklichkeiten bedient.
8.3 Schön oder häßlich ?
8.3.1 Natürliche Ästhetik
Selma ist häßlich. Nicht ganz. Ihre Stiefmutter Frau Berg findet sie furchtbar häßlich „Hon var ju ful som stryk.” (PE: 42), kein vernünftiger Mann könne sie zur Frau nehmen wollen. Schönheit ist für sie ein traditionell weibliches Attribut, gemessen an der Bereitschaft zur Projektion, d.h. zur Anerkennung des Mannes. „Nu var hon nästan vacker.” (PE: 53) heißt es, als Selma hoffnungsvoll in ihre Zukunft sehen kann und entbehrt hier jeglicher Projektion, indem Schönheit aus Selmas eigenem, ‘natürlichen’ Gefühl heraus entsteht. Ihre klugen Augen (PE: 139) vermögen ihren unvorteilhaften Zügen zumindest Charakter zu verleihen, so daß der Eindruck entsteht, Schönheit habe keinen Charakter, doch dieser könne eine gewisse Schönheit hervorbringen. Selma ist quasi schön und irgendwie doch nicht. An ihr müssen die Blicke haften bleiben, um auf Entdeckungsreise zu gehen. Sowohl der Patron, Axel Möller, Richard als auch Elvira entzückt die natürliche, frische Schönheit, der dadurch zugleich eine ‘wirkliche’, wesenhafte Schönheit zugeschrieben wird. Selmas Charakter spricht in ihrem Körper, insbesondere dann, wenn dieser effektvoll und darstellerisch erhöht in Szene gesetzt wird (vgl. Abschn. 6.2.3.1). Ihre natürliche Ästhetik findet ihren dankbarsten Zuschauer in Richard, dessen Idealvorstellung mit deren Effekt im Konsens steht.
8.3.2 Künstlerische Ästhetik
Marianne hingegen wird als klassisch schön empfunden „Börje fann henne so vacker” (FM: 42), und gewinnt unverhofft an Schönheit, „Marianne var nästan blyg, det gjorde henne vacker.“ (FM: 162). Ihre überbordende Maskerade gegenüber Pål verkehrt sich in ein trügerisches Selbstbild: Kleidung und Befinden spalten sich gewissermaßen auf in Schein und Wirklichkeit, kongruent mit ihrem Schönheitsempfinden, das sich widersprüchlich zu ihrer äußerlichen Erscheinung verhält: „[...] hon var nästan vacker nu, då hon led av att känna sig ful.“ (FM: 133). Ihre Schönheit bedingt sich durch innere ‘Wirklichkeit’ ihres Empfindens , die durch die Maske hindurch scheint, was den Schönheitseffekt zusätzlich verstärkt.
Der Künstler Alland ist bemüht, in seiner Kunst nicht zu verschönern, weshalb viele Frauen, die sich von ihrem Abbild eine künstlerische Aufwertung ihres Aussehens versprechen, nicht zu seinen Auftraggebern zählen (DB: 278). Er unterscheidet zwischen einer lebendigen Schönheit, die sich gerade in ihrer Unregelmäßigkeit, in ihrem geheimnisvollen Wechselspiel der Sinne offenbart „Hon är oregelbundet, själfullt vacker” (DB: 278) und der Schönheit mit ihren ebenmäßigen Konturen, die leicht in einem Bild festzuhalten sind (vgl. Abschn. 6.2.1). Seine Vorliebe für natürliche Modelle kontrastiert mit seinem Werk von Louise. Ihre Schönheit muß erst modelliert werden, damit für ihn überhaupt eine abbildungswürdige Form entsteht. Somit ästhetisiert er sie an lebendigem Leibe, der dann seine ästhetische Vollendung in der Todessymbolik findet.
Die männliche Ästhetisierung von Weiblichkeit entsteht durch ein fehlendes Selbst-Bild, dessen Konturenlosigkeit in Form gebracht wird. Mariannes Versuch eines Selbstbildes zerfällt unter dem maßgebenden männlichen Blick und mündet fortwährend in einer wiederholten Maskerade. Louise ist Bild, ist erstarrte Weiblichkeit. Selmas Entwurf zeugt von einem eigenen ästhetischen Empfinden, das sich des Bildes als Mittel zum Zweck bedient: Mittels ihrer wirkungsvollen Vergrößerung versucht sie ein Stück „wahres Wesen“ durchdringen zu lassen. Dieses Paradox von weiblicher Wirklichkeit und dem gesellschaftlich konstituierten Bild einer scheinbaren Weiblichkeit, der zudem eine naturgegebene Spaltung des Subjekts allgemein vorausgeht, ist eine Absage an Ganzheit, an irgendeine ultimative, logozentrische Weiblichkeit.
Dieses Gefühl beschleicht vielleicht auch Marianne, als sie Börje in einem neuen Licht sieht:
„Hans oskönhet blev vacker, vackrare än skönhet. Hon njöt av att betrakta dessa vulgära drag, med deras prägel av trygghet, hon beundrade den bredaxlade gestalten med dess runda rygg. Ty det gav intrycket av någonting helt [Herv d. Verf.], [...]” (FM: 198)
9. Zusammenfassung und Ausblick
„Wollen Sie mehr über die Weiblichkeit wissen, so befragen Sie Ihre eigenen Lebenserfahrungen, oder Sie wenden sich an die Dichter, oder Sie warten, bis die Wissenschaft Ihnen tiefere und besser zusammenhängende Auskünfte geben kann.“ (Freud nach Vinken, 1992: 7)
Diesem viel zitierten Schlußwort Freuds möchte ich die vorangegangenen Erkenntnisse dieser Arbeit entgegensetzen. Inzwischen ist, insbesondere der feministischen Wissenschaft, klar geworden, daß Freud uns wenig über die Frau sagen konnte, aber ein detailliertes Zeugnis darüber abgelegt hat, was Weiblichkeit für den Mann bedeutet.
Die Wirklichkeiten, die von männlicher Seite aus mit großem Eigeninteresse produziert und von der Frau gewissenhaft mitgetragen worden sind, zeigen auf, wie verwundbar und instabil die eigentlichen Verhältnisse der Geschlechter sind. Seit der „Verweiblichung“ der Wissenschaft hat schließlich die Frau die Möglichkeit, Stellung zum eigenen Geschlecht zu beziehen, wodurch vorangegangene Wahrheitsbehauptungen als eine Konstruktion der Macht entlarvt werden konnten. Dies wurde am Beispiel von den drei Frauengestalten an vielen Beispielen aufgezeigt: Wie der männliche Blick die Person aufgrund ihres Geschlechtes festlegt, eingrenzt und so gut wie nicht wahr -nimmt und wie wenig der Frau auch eine Sprache zur Verfügung steht, die einen Subjektstatus hätte einfordern und die vielleicht eine andere Weiblichkeit hätte ausdrücken können. Männliche Vorherrschaft und die daraus entstandenen Gesellschaftsnormen instrumentalisierten die Frau, das „homosexuelle“ Netzwerk westlicher Kulturen, deren Verträge über den weiblichen Körper im Hinterzimmer geschlossen wurden, ließen Beziehungen unter Frauen kaum aufkommen.
Das Maskenspiel zwischen den Geschlechtern durfte in endlosen Spiegelungen unzählige Zerrbilder entwerfen, deren Überproduktion nur eins deutlich macht: Solange männliche Hierarchien weibliche Realität begrenzen, sie determinieren und beherrschen, solange bleibt auch der Weg zum „wahren männlichen Wesen“ verschlossen. Für den Mann gilt eben auch, daß seine Identität nur innerhalb dieses Konstitutionsprozesses entstehen kann, in dem Weiblichkeit als Differenz immer schon eingeschrieben ist (vgl. Abschn. 6).
„Das Begehren [die weibliche Funktion männlicher Konsolidierung] ist erst mit der Lösung des Rätsels gestillt. Die Lösung des Rätsels, das Ende des Begehrens, kommt einer Auflösung gleich, einem Aufgehobenwerden, einem spurlosen Verschwinden der Differenz des Weiblichen im Männlichen.“ (Vinken, 1992: 7)
VB benutzt diese Projektionsflächen für die Kreationen anderer/neuer Sinn- und Schein-Bilder innerhalb des sozio-kulturellen Rahmens des 19. Jh., deren vielschichtige Konstruktionen in dieser Arbeit beleuchtet worden sind. Die allgemeinen Titulierungen von FM als „utopischen Roman” (Lindén, 2001: B1) oder gar „dameroman” (Georg Brandes in Ljunghill,1981: 61), ebenso die von PE als „indignationsroman” (Linder, 1930: 97) greifen zu kurz. Die Texte bilden vielmehr einen Querschnitt bestehender Geschlechterverhältnisse, offenbaren bestehende Antipoden und Spannungsfelder innerhalb derer die Frau zunächst gegen fest etablierte Wände laufen muß. Der Auflösungprozeß verläuft dann auf dreierlei Art.
Wo sind die Frauen hingegangen, was hat sich getan seit Mariannes Empfangen eines Briefes, Louises Rekreation auf der Chaiselongue und Selmas unbekümmerten Blick in den Himmel? Alle drei Frauen sind, genau genommen, in männlichen Existenzen aufgegangen: Mariannes Körper, ihre Hand, ihr Teint, ihre Kleidung und ihre Einstellung zur Arbeit zeugen von einer Mimesis Börjes. Die Reaktion ihrer Mutter „Ja, hon går allt mer upp i Börje.” (FM: 233) bestätigt dies nur allzu deutlich. Mit der Geburt ihres Kindes bedient sie zudem die traditionelle Rolle der Mutter und somit auch die ihrer Stiefmutter. Dann erst werden die beiden Frauen von Börje zusammengeführt. Gegenseitige Akzeptanz und Respekt der beiden ‘Mutterfrauen’, die zudem beide einen Sohn geboren haben, führen zu Börjes Ratifikation Mariannes. Sowohl Börje als auch Marianne müssen sich einer gegenseitigen Prüfung unterziehen: Marianne will Börjes Vertrauen zurückgewinnen, und Börje muß lernen zu akzeptieren, daß Marianne sowohl Sexualität als auch Vergangenheit hat (vgl. Lindén, 2001: B1). Schließlich findet eine ‘ebenbürtige’ Spiegelung statt, die für beide ein Neuanfang bedeuten könnte und die die Geschlechterverhältnisse ein wenig verschiebt. Daraus resultierend läßt sich sagen, daß dieser Lösungsvorschlag keine Differenz der Geschlechter behauptet, sondern lediglich eine mimetische Strategie entwickelt (vgl. Abschn. 7.1), durch die Marianne an Gleichberechtigung als Gesprächs- und Lebenspartnerin gewinnt. Ihr Ort ist nach wie vor der, den Börje für sie vorgesehen hat und der sie schließlich zu einer „normalen Frau” werden läßt, nämlich dann, als sie Mutter wird. Dadurch wird sie auch zum Schein von Börjes Mutter, ihre Repräsentantin. Ihre Maskerade erweitert sich lediglich innerhalb der typischen Frauenbilder; Marianne ist sozusagen schon vor -inszeniert worden, oder anders: Marianne wird in die Inszenierung ihrer Schwiegermutter eingepaßt, bis sie endlich von der zweiten in die erste Besetzung reüssieren darf.
Selma ist indes ein Ortswechsel gelungen. Ihren eigenen Wunsch, Künstlerin zu sein, hat sie in außergewöhnlicher Weise erfüllt. Sie selbst ist es, die ihren Körper inszeniert. Im Verlauf ihrer Entwicklung vermag sie die vorherrschenden Spielregeln zu erkennen und sich diese zu Eigen zu machen. Dem Blick setzt sie ein selbst inszeniertes Bild entgegen, dessen Effekt wohl kalkuliert ist. Ihrer unerhörten Sprache vermag sie eine eigene Kraft zu verleihen, die ihr zum Ausstieg aus der ihr zugedachten Rolle verhilft. Selma befindet sich im Prozeß der noch nicht abgeschlossen ist und symbolisiert somit den Entwicklungsprozeß der Frau innerhalb der symbolischen Ordnung. In ihr löst sich der Schein des mythologischen Körpers in eigene Realität auf (vgl. S. 31), ihr Zu - sehen - Geben eröffnet einen weiten Spielraum, in dem sie in ihrer Gestaltung von Begehrensbeziehungen die Positionen festlegt. Sei es in ihrer Darstellung als Jägerin auf dem Pferd oder auch in ihrem „Cross-Dressing“ (Schade/Wenk, 1995: 361), als sie sich dem Spiel des Rollentausches hingibt.
Louise ist die am meisten begrenzte Frauengestalt, deren Blick in die Zukunft, im Gegensatz zu Marianne „Hennes ögon stirrade ut i rymden, som emot ett långt vidöppet framtidsperspektiv.” (FM: 248), leer ist. Die Skulptur Louise, in der das männliche Bild von Weiblichkeit verewigt worden ist, fordert das Frauenopfer, das aus der historischen Erinnerung verschwinden soll. Was bleibt, ist der eingeschriebene Opfermythos, der die Überwindung der Natur durch die Kultur vor Augen führt und männliche Abhängigkeit von Natur verdrängt (vgl. Klinger, 1995: 45). Somit ist Louise Manifestation, oder auch nur simple Feststellung der männlichen Hierarchie.
Zusammenfassend kann man konstatieren, daß Selma sowie Pål in ihren Zwischenwelten den Schnittpunkt bilden, an dem sich anhand ihrer Maskerade die Diskussion um die Geschlechtlichkeit gleichzeitig auflöst und neu entfacht. Pål, als Schein der aufklärt, schenkt dem „wahren Wesen“ Leben, obwohl auch er als künstlerischer Ästhet mit „[...] den omättliga hungern efter skönhet, icke naturens, utan förfiningens“ (FM: 151) Marianne neu zu malen versucht. Die Natur siegt letztlich, da sie dieses Verhältnis auflöst und Marianne ein Stück weit Identität erfahren läßt. Påls ambivalenter Charakter als zugleich Verführer und Retter entblößt die Maskerade, wie er sie gleichermaßen kultiviert.
Selma als „wahres Wesen“ entdeckt die Lücken im männlichen System und erlebt sich diesbezüglich als different. Mitunter ist auch Richard hier Akteur im Verborgenen, dessen ästhetisches Bild von Weiblichkeit übernommen wird. Die Verschiebungen und Verdichtungen in den dargebotenen Bildern können immer nur ein Teilbild, den Schein einer möglichen Wirklichkeit liefern.
Es drängt sich die Frage auf, wer hier letztendlich wen inszeniert. Die Bilderwelten, deren komplexes Spiegelbild viele scheinbare Realitäten aufzeigt, stehen immer auch in Abhängigkeit zu dem Anderen: „Ohne den Spiegel des >Anderen< entsteht kein Bild, kein Begriff” (Klinger, 1995: 50). Im Hinblick darauf, daß Louise als Skulptur und Marianne als Gemälde männlichen Formungsprozessen unterliegen die als Paragone in Konkurrenz zueinander gestanden haben können, sind folgende Perspektiven denkbar: Das Gemälde siegt über die Skulptur, da die Frau sich aus der Erstarrung des Bildes lösen kann und letztlich die Natur der Gestaltungssucht Einhalt gebietet. Dies wäre ein Sieg der Frau, allerdings als „natürliches Wesen”. Trägt die Skulptur ihren Sieg als ewig währendes Zeugnis der Überwindung der Natur und damit auch eines möglichen „wahren Wesens” davon, so wäre der Zugang zu einer möglicherweise bestehenden „wahren Weiblichkeit” verschlossen. Die exemplifizierten Werke VBs lassen dahingehend den zukünftigen Weg der Frau offen, abgesehen von deren chronologischer Reihenfolge, die mit DB als letztes, unvollendetes Werk eine eher düstere Aussicht bietet.
Allgemein ist die Aussicht der Frau, betrachtet man deren Entwicklung sowohl in den Texten von VB, in der feministischen Theorie, als auch in der heutigen Gesellschaft, eher positiv. Der Versuch der eigenen Positionierung und der Einflußnahme in den Entwicklungsprozeß der Dinge dieser Welt hat bis heute Bestand. Erstaunlich ist die Aktualität des Romans FM, dessen Neuverfilmung im April diesen Jahres mit Erfolg im schwedischen Fernsehen gezeigt wurde. Noch heute ist
„[...] das Bild der Frau von der Frau [...] keineswegs unabhängig von jener gigantischen, jahrhundertelang angereicherten Bildergalerie des Weiblichen, die mit den ästhetischen Objektivationen und den Trivialmythen bestückt ist.“ (Bovenschen, 1979: 42).
Der männliche Spiegel ist noch da, obgleich dies häufig unter Vorgabe einer weiblichen Unabhängigkeit strikt negiert wird. Dennoch bleibt zu berücksichtigen, daß Spiegel notwendig sind und sie einen immer nach sich selbst suchen lassen, ob Mann oder Frau. Schließlich kann man die Sache auch noch ganz anders betrachten:
„Das Verhältnis zu den Dingen, das in irgendeiner Weise zu haben allgemeine Notwendigkeit ist, gewinnt die Frau sozusagen ohne das Sein, in dem sie ruht, zu verlassen – durch eine unmittelbarere, instinktivere, gewissermaßen naivere Berührung, ja Identität. Ihre Existenzform geht nicht auf jene besondere Trennung von Subjekt und Objekt, die erst wieder in den besonderen Formen von Erkenntnis und Schaffen ihre Synthese erfährt. So ist eigentlich der Mann, der denkende, produzierende, sozial betätigte, trotz Verabsolutierung seiner seelischen Inhalte [...] viel mehr ein Relativitätswesen als die Frau.“ (Simmel, 1929: 79)
Interessant wäre in einer weiteren Arbeit die nähere Erforschung weiblichen Sprechens unter Berücksichtigung sozio-kultureller, psychoanalytischer oder auch metasprachlicher Faktoren. Die Ausweitung des Themas Maskerade hin zu den Begrifflichkeiten wie Fetisch (vgl. Weissberg, 1994), der auch bei Lacan auftaucht, oder Drag (vgl. Butler, 1991), bietet weitere Felder, um u.a. den Effekt von Weiblichkeit dahingehend näher untersuchen zu können.
Ein weiteres Thema wäre eine nähere Betrachtung der unterschiedlichen Erzählperspektiven. Häufig ist die Perspektive nicht eindeutig, oft taucht ein/e Erzähler/In auf, die sieht oder spricht. Stellenweise erinnert diese Arbeitsweise an ein Kommentierungsverfahren, das den Figuren eine fremde Stimme einhaucht. VB und Text sind Signifikanten, die sich gegenseitig bedeuten, was wiederum Beleg ist für die unmögliche Trennung von Wirklichkeit und Fiktion in der Literatur, d.h. sie sind nicht als Entitäten zu verstehen, sondern als sich gegenseitig bedingende Konstrukte. Die Produktion unendlich vieler Bedeutungen schließt eine biographische Forschung, die das Verhältnis Text-Autor dermaßen vereinfacht, aus (vgl. Abschn. 2.2).
Die Gefahr der Verschiebungen und des sich Fortbewegens von dem Eigentlichen, dem „wahren Wesen”, sofern es dieses gibt, ist hinreichend aufgezeigt worden. Derart schwierig erscheint das Verhältnis von Schein und Wirklichkeit, dessen inhärente Ambivalenz von Verzerrung und simultaner Verkörperung. So auch die Ambivalenz der Weiblichkeitsbilder: Sie überdecken und verdunkeln, wie sie gleichermaßen offenbaren und sichtbar machen. Bedeutung ist gleichzeitig an- und abwesend.
10. Literaturverzeichnis
Quellen:
Benedictsson, Victoria (1968): Fru Marianne. Stockholm
Benedictsson, Victoria (1997): Pengar. Stockholm
Benedictsson, Victoria (1920): Den Bergtagna -En Kärlekens Tragedi - in: Ernst Ahlgren, Samlade Skrifter, Bd. 7. Dramatik av Ernst Ahlgren och Axel Lundegård. Stockholm, S. 223-369
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Forschungsliteratur:
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Rosengren, Karl Erik (1965): Victoria Benedictsson. Stockholm
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Schultén, Ingrid af (1925): Ernst Ahlgren: En litterär studie. Helsinki
Simmel, Georg (1923): Zur Philosophie der Geschlechter, in: Philosophie der Kultur. 3. Aufl., Potsdam
Simpson, Paul (1993): Language, ideology and point of view. London
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Suchsland, Inge (1992): Julia Kristeva zur Einführung. Hamburg
Vinken, Barbara (Hg.) (1992): Dekonstruktiver Feminismus. Frankfurt/M.
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Weigel, Sigrid (1983): Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis, in: Weigel, Sigrid /Stephan, Inge (Hg.): Die verborgene Frau. Berlin
Weissberg, Lilian (Hg.) (1994): Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt/M.
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Wilpert, Gero von (1989): Sachwörterbuch der Literatur. 7., verb. u. erw. Aufl., Stuttgart (Kröners Taschenbuchausgabe Bd. 231)
Witt-Brattström, Ebba/Domellöf, Gunilla (1981): Romanen om Marianne. Att läsa och att skriva sitt livs story, in: Ord och bild : 4/5. S. 51-65
Witt-Brattström, Ebba (1993): Ur könets mörker. Stockholm
Witt-Brattström, Ebba (1996): What happens to me while I am speaking? Femininity, death and speech in Paula Modersohn-Becker, Victoria Benedictsson and Edith Södergran, in: Paletten, 1996: 2/3. S. 67-72
Woolf, Virgina (1981): Ein Zimmer für sich allein. Frankfurt/M.
[...]
[1] Victoria Benedictsson wird im weiteren Verlauf mit VB abgekürzt.
[2] Die Texte werden im weiteren Verlauf wie folgt abgekürzt: PE steht für Pengar, FM steht für Fru Marianne und DB für Den Bergtagna.
[3] Vgl. Lacan, 1973: 105-131. Aus seinen psychoanalytischen Studien geht hervor, daß Sprechen das Subjekt objektiviert, worin „die tiefste Entfremdung des Subjekts der wissenschaftlichen Zivilisation“ liege, „wenn uns das Subjekt von sich zu sprechen beginnt“ (123). Das Subjekt wird durch das (symbolische) Sprechen verdrängt.
[4] Irigaray hat diesen Begriff von Freud aufgegriffen und sieht in der Vorsilbe >un< eine Verdrängung des Heimischen im Unheimlichen. Die ursprüngliche Mutterbeziehung, das Heimische, ist nah, wie das weibliche Geschlecht zugleich fremd bleibt (vgl. Irigaray, 1980: 58, Fußn. 35).
[5] Dieser Begriff ist an Ibsens sozialkritischen Drama „Et dukkehjem“ angelehnt.
[6] Briefe Gustave Flauberts an George Sand, in denen er über seine Arbeit an Madame Bovary berichtet.
[7] Jette Lundbo Levy sieht in VBs Krankheit eine Flucht vor den Ehezwängen sowie eine effektvolle Selbstinszenierung, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle eingenommen haben soll (1982: 55-57).
[8] Originaltitel: Dobbeltblikket, Köpenhamn 1980
[9] Originaltitel der hier als Forschungsliteratur verwendeten deutschen Fassung Ein Zimmer für sich allein (1981).
[10] George Drysdales Werk Grundtræk af Samfundsvidenskapen/eller physik, kjønslig og naturlig religion/En fremstilling af den sande Aarsag til og af det eneste Helbredelsesmiddel for Samfundets tre Hovedonder: Fattigdomen, Prostitution og Cølibat af en Doctor i Medicinen (1879) kam anonym im Dänischen heraus und darin propagierte er, daß die sexuelle Repression die grundsätzliche Ursache aller gesellschaftlichen Mißverhältnisse sei. Abhilfe würde eine genauere biologisch/medizinische Kenntnis des Körpers und seiner Sexualität schaffen können sowie eine einhergehende sexuelle Befreiung der Frau.
[11] Die Begriffe Symbolik und Semiotik entstammen der Literaturtheorie von Julia Kristeva. Vgl. Abschn. 4.3.1.
[12] Stora Boken wird im weiteren Verlauf mit SB abgekürzt.
[13] James: Nach Wheeler, (1993): S. 79 und vgl. die Anmerkungen S.265
[14] Wheeler hat den Begriff von Claude Lévi-Strauss übernommen.
[15] Zur Ortographie, siehe Arnold/Detering: S. 418
[16] Das Thema der Geschlechterdifferenz stand in den 80er Jahren im Zentrum der feministischen Philosophie und der Theoriebildung. Vgl. Bovenschen (1979) und Meyer (1997).
[17] Mit Mimesis ist hier die Nachahmung männlichen Sprechens gemeint.
[18] Vgl. auch Cixous (1980), Irigaray (1977), Dies. (1980), Enszenberg/Hansson (1993).
[19] Dieses bekannte Motiv der Jungfrau Maria ist eine Anspielung auf den hortus conclusus als Symbol der Unbeflecktheit Mariens.
[20] Vgl. hier auch S. 32 über die kranke Frau, die gesunden muß.
[21] Dieses Bild ist ausführlicher in VBs Prosatext Den Bergtagna beschrieben (vgl. Levy, 1982: 105). Aus dem geht hervor, daß die abgebildete Frau, im Gegensatz zu dem üblichen Seitenblick, den Betrachter direkt ansieht. Dieser direkte Blick zerstört die männliche Illusion eines Voyeurs.
[22] Über weiblichen und männlichen Sprachgebrauch verweise ich auf Hennel (1984).
[23] Dieselbe Taktik verwendet Alland gegenüber Louise, indem er ihr von seinem anderen Modell, von der schönen und einsamen Weltdame erzählt (DB: 278)
[24] Börjes Worte erinnern an Irigarays Gedanken der „homosexuellen Gesellschaft“, in der die Männer über die Frau und ihr Schicksal verhandeln. Die angedeutete homoerotische Beziehung zwischen Pål und Börje analogisiert hier mit dem von Irigaray vertretenen Ansatz (Irigaray, 1976: 125).
[25] Daß Selma sich die Augen „ausschämt”, könnte ein weiterer Beleg für den fehlenden Blick der Frau sein. Weibliche Sexualität besitzt weder eine Sprache, noch einen eigenen Blick. Demnach ist Sexualität für die Frau bedeutungslos und nur durch männliche Zuschreibung existent.
[26] Der Begriff „Männlichkeit“ ist hier bewußt gewählt, da Selma als Frau ein Bild zurückwirft, das das Konstrukt „Männlichkeit“ entlarvt.
[27] Wahrscheinlich aus dem arabischen Mashara: Scherz, Maskerade, Gesichtsmaske. (Kluge, 1999)
[28] Gemeint ist hier der Ort des Vor-Symbolischen, vgl. auch Abschn. 4.2.1
[29] Besonders im 18.Jh. waren die Maskenspiele sehr beliebt. Vgl. Terry Castle: The Culture of Travesty. Sexuality and Masquerade in Eighteenth-Century England, in: G.S.Rousseau/Roy Porter (Hg.), Sexual Underworlds of the Enlightenment, Chapel Hill, N.C. 1988, S.156-180
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- M.A. Susanna Albrecht (Autor:in), 2001, Schein und Wirklichkeit - Eine feministisch-dekonstruktivistische Analyse der literarischen Werke "Pengar", "Fru Marianne" und "Den Bergtagna" von Victoria Benedictsson , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111183
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