Die Hauptseminararbeit widmet sich in erster Linie der Entstehung der mecklenburgischen Volkskunde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Warener Gymnasiallehrer Richard Wossidlo gilt als Nestor seines Fachs in Mecklenburg. Seine Sammeltätigkeit auf der Grundlage einer modernen, wissenschaftlichen Sammeltechnik führte zu einer ungemeinen Dichte von Volksüberlieferungen aus einer Region. Sie basierte auf der Zusammenarbeit mit Beiträgern vor Ort. Die Arbeit macht dies am Beispiel der mecklenburgischen Kleinstadt Laage deutlich. Hier waren die bedeutsamsten Beiträger und Korrespondenten Wossidlos der Pastor und Schriftsteller Carl Beyer sowie der Bürgermeister und Heimatdichter Fritz Kähler. Ihnen und ihren weniger bedeutenden Gefährten ist der Hauptteil dieser Arbeit gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung – Sammeltechnik Richard Wossidlos oder: Wie Mecklenburg volkskundlich erschlossen wurde
2. Volkskundliche Beiträge und Sammler aus Laage
2.1 Beiträge aus Laage und Umgebung vor Wossidlo
2.2 Beiträge aus Laage in Wossidlos Mecklenburgischen Volksüberlieferungen
2.3 Laager Bürger als Mitarbeiter und Beiträger Wossidlos
2.3.1 Pastor und Schriftsteller – Carl Beyer
2.3.2 Bürgermeister und Heimatdichter – Fritz Kähler
2.4 Laager Vereine zur Volks- und Brauchtumspflege als Nutznießer volkskundlicher Beiträge und Sammler
3. Schluß – Auf den Spuren Richard Wossidlos in Laage
4. Literatur
1. Einleitung – Sammeltechnik Richard Wossidlos oder: Wie Mecklenburg volkskundlich erschlossen wurde
Über Leben und Werk Richard Wossidlos (1859-1939) braucht man eigentlich kein Wort mehr zu verlieren. Längst ist der „Volksprofessor“ auch außerhalb der esoterischen Grenzen des volkskundlichen Wissenschaftsbetriebes zur „Symbolgestalt für Mecklenburg“ (Neumann 1996, S. 20) geworden. Die Literatur über den Forscher und Sammler, der die (mecklenburgische) Volkskunde als wissenschaftliche Disziplin gewissermaßen zu inaugurieren half, steigt ins Unermeßliche; sein Nachlaß bildet den Grundstock des Wossidlo-Archivs, dem jetzigen Institut für Volkskunde in Mecklenburg-Vorpommern, das 1999 in die Universität Rostock vollintegriert wurde.[1]
Dank der volkskundlichen Forschung der Wossidlo-Forschungsstelle, die 1954 eröffnet wurde und der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin angegliedert war (vgl. Neumann 1997, S. 8ff), bietet sich dem Betrachter das Werk Wossidlos selbst überschaubarer dar. Wie bei den hinterlassenen 1,5 bis 2 Mio. Zetteln, die die berühmte Zettelwand bilden und auf die der Warener Oberlehrer die gesamten mecklenburgischen Volksüberlieferungen zu bannen suchte, begannen hier die Erschließungsarbeiten zügig. Zum 100. Geburtstag Wossidlos 1959 erschien im Deutschen Jahrbuch für Volkskunde eine noch heute gültige Bibliographie (siehe Bentzien 1959, S. 153ff).[2] Ihr lassen sich die wichtigsten Quellen und Selbstauskünfte Richard Wossidlos zu seiner Sammeltätigkeit entnehmen.
Ein Jahr später, 1960, veröffentlichte Paul Beckmann ebenfalls im Jahrbuch eine kurze, würdigende Darstellung des Lebenswerkes des Sammlers, die die bisher einzige, freilich unkritisch überhöhende Biographie Wossidlos aus der Feder Karl Gratopps ergänzt. Darin geht der erste Leiter der Wossidlo-Archivs nicht nur auf die Bedingungen mecklenburgischer Volksüberlieferungen ein, sondern systematisiert Wossidlos Sammlungen nach ihrem Inhalt. Sie bestehen aus:
„1. aus dem Sprachgut. In hingebender Arbeit hat Richard Wossidlo aus seinen Gesamtdarstellungen das Wörterbuchmaterial ausgezogen, das heute durch H. Teuchert vom Germanistischen und Philologischen her (Wossidlo war kein Germanist) in vorbildlicher Weise herausgegeben wird.
2. aus sachlichem Volksgut. Es wird liebevoll betreut und ständig erweitert im Volkskundemuseum in Schwerin.
3. aus Material zu Brauchtum, Kulturgeschichte, Lied, Tanz und Erzählgut“ (Beckmann 1960, S. 10).
Als Gründe, warum Mecklenburg zu Wossidlos Lebzeiten ein so reiches und abgeschlossenes Sammelgebiet war, benennt er die politische, soziale und ökonomische Rückständigkeit, geringe Bevölkerungszahlen, schlechte Verkehrsanbindungen und inselartige Siedlungsstrukturen (Gutshöfe), die eine starke Traditionsbindung und eine Bewahrung gerade der mündlichen Überlieferung im Landvolk begünstigten. Die Verwurzelung alter Sagen, Gebräuche und die Relikte des Volksglaubens besonders auf dem Lande sind teilweise mit der geringen Mobilität und der dörflich-inzestuösen Lebensweise zu erklären, die durch die Flüchtlings- und Vertriebenenströme aus Ostdeutschland im Gefolge des Zweiten Weltkrieges und die Modernisierungsbestrebungen in der DDR-Landwirtschaft ein jähes Ende fand. Daß zwischen einer guten Überlieferungssituation und einer intakten Dorfgemeinschaft eine Korrelation besteht, fiel dem Sammler Wossidlo bereits 1928 ins Auge:
„Von den schönen alten Bräuchen (gemeint sind die Hochzeitsbräuche, C.S.)[3] ist ein sehr großer Teil heute verschwunden. Die alte Dorfgemeinschaft, die sie lebendig hielt, ward schon vor etwa dreißig Jahren durch den Zuzug der fremdsprachigen Schnitter zerstört“ (Wossidlo 1928, S. 144).
Dementsprechend verwundert es kaum, daß er den Bemühungen der Aufsiedlung Mecklenburgs zu Zeiten der Weimarer Republik und insbesondere im Nationalsozialismus kritisch oder gar ablehnend gegenüberstand, weil er die Gefahr wahrnahm, die der „altheimischen Sitte“ (ebenda) daraus erwuchs.
Die Sammeltätigkeit Richard Wossidlos begann 1884. Damals hatte der Sohn eines Rittergutsbesitzers und ambitionierte Student der Klassischen Philologie und Archäologie eine existentielle Krise zu bewältigen. Nachdem er an einer Dissertation über die Aristides-Scholien schlichtweg verzweifelt war, bestand er im Juni 1883 die Oberlehrerprüfung für Griechisch und Latein. Dennoch schien sein Promotionsversuch nicht vergebens, hatte er sich dabei doch im Umgang und Aufbau eines Archivsystems mittels Zettel geschult, das später durch genaue Rubriken unterteilt und verfeinert zu den über 1000 Holzkästen des Wossidlo-Archivs führte. Das Schlüsselerlebnis zur Aufnahme seiner Sammeltätigkeit hat Richard Wossidlo 1928/1929 im Quickborn unter dem Titel Aus den Anfängen meiner Sammeltätigkeit geschildert. 1884, noch bevor er sein Probejahr als Gymnasiallehrer in Wismar absolvierte, hielt er sich in Körkwitz bei Ribnitz, dem Pachtgut seines Onkels Burmeister, auf. Dort traf Wossidlo auf den alten Vadder Anders und seine erwachsenen Kinder; jedes Familienmitglied wußte verschiedene (partiell christlich motivierte) mythische Erklärungen zu ein und demselben Naturphänomen (braune Flecken auf einem Rohrblatt bzw. die Zitterpappel) zu geben. Wossidlos Gutsaufenthalt kam einer Initialzündung gleich:
„Das Erlebnis dieser beiden Tage ist für meine Sammeltätigkeit von entscheidender Bedeutung geworden. Ich sagte mir: wenn schon auf einem kleinen Gutshofe bei drei Gliedern ein und derselben Familie für zwei Erscheinungen des Pflanzenlebens sechs voneinander abweichende und dabei in sich sinnvolle Erklärungen zu finden seien, so müsse ja ein unermeßlicher Reichtum an echtem Volksgut ans Licht kommen, wenn ich in zielbewußten Wollen die ganze Heimat absuchen würde, um das Erbe der Väter vor dem Untergang zu retten“ (Wossidlo 1928/1929, S. 13).
Von nun an war Wossidlo, der 1886 eine Lehrerstelle am Gymnasium in Waren annahm, von einer Sammelleidenschaft ergriffen, die ihn bis zum Ende seines Lebens nicht mehr losließ. Obwohl sein Zeitkorridor durch den Broterwerb eingeengt und das Finanzbudget infolge schlechter Besoldung beschränkt war –um Zeit zu gewinnen, verzichtete er trotz Gehaltseinbußen auf Unterricht in der Sekundarstufe –, gelang es ihm, seine Sammlung aller Formen mecklenburgischer Volksüberlieferung stets auszubauen. Er bediente sich dazu mehrerer Methoden. Die zweifellos wichtigste war die Sammelreise. Dabei ging er, nicht ohne sich vorher kundig gemacht zu haben, sprichwörtlich über die Dörfer, um an kompetente Gewährsleute zu kommen. 1891 wurde er zu diesem Zweck für ein halbes Jahr vom Unterricht freigestellt. Ob der romantische Impetus eines Volkslieder- bzw. Volksmärchensammlers vom Schlage der Gebrüder Grimm auf den Fußwanderungen durch die mecklenburgische Landschaft eine Rolle spielte, wie Gratopp gelegentlich glaubhaft machen will (vgl. z. B. Gratopp 1935, S. 29), ist fraglich, fest steht jedenfalls, daß Planung, Antritt und Ablauf der Reise eine Menge Arbeit für den Gründervater der mecklenburgischen Volkskunde bedeutete. Standen Eisenbahnfahrten an, wurden diese arbeitsintensiv genutzt:
„In der Eisenbahn wird dann ein wichtiger Teil der Arbeit geleistet: wie auf der Hinfahrt die Einstellung der Gegend, die er aufsuchen will, so nun auf der Rückfahrt die Ergänzung der Zettel, die Hinzufügung der Namen und Daten. Daheim übertrug er in der Frühzeit alles in schwarze Bücher; es gibt ihrer 64, von Rubriken eingeteilt; die Zettel wurden in Gestelle verpackt“ (ebenda, S. 44).
Neben den Sammelreisen gehören die Sammelabende zu den favorisierten Sammeltechniken. Sie bedürfen allerdings, wie Wossidlo 1906 in dem berühmten Aufsatz Über die Technik des Sammelns volkstümlicher Überlieferungen plausibel gemacht hat, einer intimen Vertrautheit mit Ort und Leuten sowie eines besonderen Einfühlungsvermögens gegenüber den Teilnehmern (vgl. Wossidlo 1906, S. 13). Im Umgang mit seinen Gewährsleuten hat es der Forscher zu einer erstaunlichen psychologischen Meisterschaft gebracht, die darin besteht, die Mecklenburger zu veranlassen, ihre Sag- und Sprichwörter, Kinderreime, Sagen, Märchen, Schwänke usw. preiszugeben. Äußere Umstände, Hemmungen, Scham und Gruppendynamik muß der erfolgreiche Volkskundler bei seiner Feldarbeit berücksichtigen und, wenn er Sammelerfolg haben will, zu seinen Gunsten abändern bzw. manipulieren. Wossidlo rät nicht nur dazu, sich auf jeden einzelnen Informanten neu und individuell einzustellen, sondern gibt tiefen Einblick in seine Trickkiste: ungezwungener Plauderton und Gunstbeweis mit Spirituosen in der Gastwirtschaft; ein Gesprächskreis mit sich gegenseitig stimulierenden Damen; Freiluftbefragung, um Hemmungen zu überwinden u. ä..
Die Notwendigkeit von 37 Jahren Schuldienst zum Lebensunterhalt verhinderte ausgedehntere Sammelreisen Wossidlos. Erst als er 1923 vorzeitig in Pension geschickt wurde, nahm er die Reisetätigkeit wieder auf, in deren Ergebnis er wohl die meisten der mecklenburgischen Orte durchquert hat. Im Alter half Wossidlo seine Popularität infolge zahlreicher Kontakte, Publikationen und permanenter Präsenz auf dem Lande, bisher verschlossene Türen zu öffnen. Er formulierte diese Einsicht 1928 folgendermaßen:
„Das ist es, was heute das Sammeln so köstlich macht: daß man sich selber und den Leuten nicht mehr, wie früher so oft, als Quälgeist vorkommt, sondern gewiß sein kann, als Freudenbringer willkommen geheißen zu werden“ (Wossidlo 1928, S. 144).
Routine und Sammelerfahrung ließen ihn im Alter erkennen, worauf es ankommt, welche Orte aufzusuchen und welche Personengruppe anzusprechen sich lohnen könnte.[4] Außerdem neigte Wossidlo dazu, die Sammlung materieller und immaterieller Volkskultur zu trennen. Der Händler alter Trachten und Geräte darf sich nicht mit dem Erzählforscher identifizieren, da er ansonsten Gefahr liefe, Glaubwürdigkeit und Vertrauen einzubüßen. Wossidlos Sachgütersammlung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, wurde darum teilweise über Gewährspersonen abgewickelt.[5]
Freilich wäre das gigantische Sammelwerk Wossidlos – auf dem Gebiet der mecklenburgischen Sagen hat er bis zu seinem 70. Lebensjahr von den 19.000 bekannten mehr als 14.000 selbst zusammengetragen (vgl. Barnewitz 1928/1929, S. 9) – auch mit dem Bienenfleiß dieses Mannes nicht ohne Beiträger und Mitarbeiter möglich gewesen. Deren Werbung kostete dem Warener Lehrer viel Kraft. Seine Vorgehensweise dabei wurde bereits 1908 von einem finnischen Professor und Kollegen beschrieben:
„Auf diesen Reisen [d. h. die Sammelreisen der 1890er Jahre, C. S.] besuchte Wossidlo 150 Ortschaften, u. a. auch zwei Seminare, an denen er Vorträge hielt und den Versuch machte, Schüler für das Sammeln der Wissensschätze zu begeistern. Er nahm auch teil an einer allgemeinen Lehrerversammlung, in der es gelang, einen großen Teil der Lehrer zu gewinnen. Aus der Lehrerschaft gingen die meisten und die eifrigsten von Wossidlos Hilfskräften hervor, und er hat in fast allen seinen Aufsätzen die großen Verdienste des Lehrerstandes in der Sammelarbeit betont Auch Frauen und Kirchenmänner – Geistliche und Küster – werden häufig in der Liste der Hilfskräfte genannt“ (Pentti 1929, S. 69).
Der Vorteil der Einbeziehung ortskundiger Lehrer, Pfarrer, Ärzte und Rechtsanwälte liegt auf der Hand. Nur so konnte eine flächendeckende Sammelarbeit organisiert werden, die die Sammelreisen in ergiebige Schwerpunktgebiete sinnvoll ergänzte.[6] Nachteilig vor allem auf die Arbeitsbelastung Wossidlos wirkten sich dagegen die ständige Motivation zum Weitermachen, die Dank- und Lobhuldigungen aus, die im allgemeinen postalisch erfolgten. Langwieriger Briefverkehr ist daher das auffälligste Kennzeichen der Mitarbeiterbetreuung von Richard Wossidlo (siehe dazu Gosselck 1939, S. 51 und Schlüter 1939, S. 53ff). Sein Umgang mit seinen Beiträgern und Erzählern ist mehrfach – zumeist exemplarisch – untersucht worden (vgl. dazu Bentzien 1980; Poge-Alder 1999; Wendt 1999).
Die Sammlung durch Dritte, Helfer und Mitarbeiter erwies sich für Wossidlo als das wirksamste Instrument zur Erhöhung von Sammelintensität und Sammelextensität, weil es vom Schneeballeffekt profitierte. Sein Vorsprechen bei den Lehrerseminaren in Mirow und Neukloster zeigte rasch Früchte. Der Oberlehrer zog Mecklenburgs Lehrerschaft für sein Vorhaben in Bann und gewann mit ihnen gleichermaßen den entdeckungsfreudigsten Teil der Bevölkerung: die Schuljugend (vgl. Barnewitz 1939, S. 17).
Will man Sammeltechnik und Sammelwerk Wossidlos einer Bewertung unterziehen, müssen die Zeitumstände berücksichtigt werden. Beinahe jeder Biograph des Sammlers berichtet von dem herben Rückschlag, den Wossidlo 1892 erhielt, als die Ritterschaft ihm Gelder für den Druck der Mecklenburgischen Volksüberlieferungen mit der Begründung verweigerte, daß es sich „hier nicht um ein Werk von wissenschaftlichem Wert [handelt], sondern lediglich um die Sammlung von mecklenburgischen Schnurren, Anekdoten und dergleichen, wozu man doch keine Landesmittel bewilligen kann“ (zit. nach Krempien 1991, S. 42). Dem Zeitgenossen mußte Wossidlos Sammeltechnik als revolutionär erscheinen. Er brach mit den romantisch-idealisierenden Auffassungen vom Sammler als Interpret der Volksseele zugunsten eines – man möchte meinen – positivistischen Realismus. Die Authentizität der Belege war entscheidend, Genauigkeit in der Dokumentation verlangte er auch von seinen Mitarbeitern. In Gegenwart der Erzähler wurde hastig mitgeschrieben, Zweifelhaftes weggelassen, Wesentliches aus dem Gedächtnis am Abend hinzugefügt.
Der Erzählforscher Siegfried Neumann hält Wossidlos Sammeltechnik, legt man damalige Maßstäbe zugrunde, für modern und vorbildlich. Die Archivierung des Materials und die „im deutschen Sprachgebiet nicht wieder erreichte Sammelintensität“ (Neumann 1980, S. 9) zählt er zu den weiteren Pioniertaten des Forschers in der Folkloristik. Im Urteil des Kollegen, Bearbeiters und Herausgebers des Mecklenburgischen Wörterbuchs [7] Hermann Teuchert hat Wossidlo hingegen von dem Einsatz einer elementaren, modernen Sammeltechnik, der Fragebogen nämlich, abgesehen. Auf ein das ganze Land überziehendes Belegnetz verzichtete er, da es ihm bei seiner Wortsammlung mehr auf die Schließung bestimmter Lücken ankam:
„Bei solchem Verzicht auf die moderne Sammelweise wirkt die Geschlossenheit und die Abrundung des Wossidloschen Sprachmaterials um so erstaunlicher. Sie tritt einem aber immer wieder vor die Augen und weckt Bewunderung. Sucht man nach einer Erklärung, so muß diese vorerst das Moment der Menge in dem Verfahren entdecken, der Menge in der Dauer der Sammeltätigkeit und der einzelnen Befragungen. Hier entsteht somit das Bild des Wanderers, des Freundes der mecklenburgischen Dörfer und Städte, der einfachen Leute des Landes“ (Teuchert 1939, S. 57).
Der volkskundliche Autodidakt Richard Wossidlo setzte sich mit seiner Sammeltätigkeit konservierende Ziele. Damit befand sich in den 20er und 30er Jahren auf gleicher Augenhöhe wie die wissenschaftliche Volkskunde. Es galt, das Vätererbe zu bewahren und unter nationalistischen Vorzeichen die deutsche, altheimische Überlieferung zu erhalten. Das Kernproblem war, auch wenn man die These vom gesunkenen Kulturgut überwunden glaubte:
„Im 19. und 20. Jahrhundert versank dann im Zeitalter des Liberalismus mit seiner Gleichmacherei all das wertvolle Kulturgut der Vergangenheit, das sich viele Jahrhunderte hindurch erhalten hatte“ (Endler 1939, S. 52).
Brauchtumspflege und Forschung waren angesichts dieser Zeitprognose eng miteinander verwoben. Auch Richard Wossidlo dachte und handelte bspw. in Hinblick auf die Unterstützung der Heimatbewegung so. Der Blut- und Boden -Volkskunde im NS-Staat, die Begriffe wie Volk, Rasse und Heimat vergewaltigte (siehe Wiegelmann/Zender/Heilfurth 1977, S. 32), fiel es deshalb denkbar leicht, den eher unpolitischen, glücklicherweise noch vor der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs verstorbenen Wossidlo zu vereinnahmen.
Bisher wurde in erster Linie die Sammeltätigkeit und Sammeltechnik Wossidlos mit großem Pinselstrich grob skizziert. Diese Einleitung schien geboten, um eine Projektionsfläche für die nachfolgende kleinteilige Darstellung der volkskundlichen Erschließung eines einzelnen Ortes zu entwerfen. Hierbei wird der Sammler Wossidlo zwar Erwähnung und Würdigung finden, im Zentrum stehen aber die mit ihm korrespondierenden Beiträger und Mitarbeiter. In der mecklenburgischen Kleinstadt Laage sind die bedeutsamsten dieser Art der Pastor und Schriftsteller Carl Beyer sowie der Bürgermeister und Heimatdichter Fritz Kähler. Ihnen und ihren weniger bedeutenden Gefährten ist der Hauptteil dieser Arbeit gewidmet (Abschnitt 2.3). Zuvor werden die Beiträge aus Laage vor Wossidlo (in der Sammlung von Karl Bartsch im Abschnitt 2.1) und in Wossidlos Mecklenburgische Volksüberlieferungen (Abschnitt 2.2) untersucht.
Im Anschluß an den Hauptteil soll der Nutzen bzw. die Wirkung volkskundlicher Erkenntnisse und Sammlungen auf die Laager Einrichtungen zur Volks- und Brauchtumspflege analysiert werden (Abschnitt 2.4). Kapitel 3 bleibt für eine zusammenfassende Bewertung und den Ausblick auf die Gegenwart reserviert.
Die benutzte Literatur kann in einem beigefügten Verzeichnis eingesehen werden.
[...]
[1] Angesichts der Schwierigkeiten bei der Einführung eines Studienganges Volkskunde/Europäische Ethnologie scheint dieser Prozeß noch nicht abgeschlossen. Außerdem sind wichtige Fragen zur zukünftigen Raum- und Personalausstattung immer noch unbeantwortet. Auf die chronische Finanznot der Universitäten M-Vs braucht in diesem Zusammenhang nicht erst hingewiesen werden. Siehe dazu Schmitt 1998 und Schmitt 2000, S. 179ff.
[2] Wolfgang Steinitz als Schriftleiter des Jahrbuchs ließ es sich bei diesem Anlaß trotz rhetorischer Distanz zum Versuch, den wohl unpolitischen, konservativen Wossidlo „als Sozialisten proklamieren zu wollen“ (Steinitz 1959, S. 5), nicht nehmen, mit der Waffe der sozialkritischen, sozialistischen Volkskunde der DDR gegen die romantisch-patriarchalisch verklärte, traditionelle westdeutsche zu polemisieren und die Wossidlo-Ehrung mit einer Tagung über antifeudale Volksdichtung organisch verbunden zu sehen.
[3] Wossidlo hat einige von ihnen in zwei populären Volksausgaben, Von Hochtiden (1924) und Buernhochtid. Volksstück in sechs Biller (1926), zusammengestellt. Heike Müns hat 1991 eine verdienstvolle Neuausgabe bei Hinstorff besorgt. Siehe Wossidlo 1991.
[4] Er empfiehlt als Sammelorte städtische Altersheime und als Personengruppen bestimmte Berufsgruppen wie landwirtschaftliche Inspektoren, alte Musikanten, Kochfrauen und Hebammen. Siehe dazu Wossidlo 1928, S. 146f.
[5] Die Wossidlo-Sammlung wurde 1922 in das Schweriner Landesmuseum überführt. Siehe dazu Gräbke 1939, S. 40f; noch ausführlicher bei Wendt 1980, S. 27ff. Letzterer Autor ist „Schöpfer des Mecklenburgischen Volkskundemuseums in Schwerin-Mueß“ (Neumann 2001, S. 1), das in direkter Nachfolge der Ideen und Sammlung Wossidlos steht.
[6] Wossidlos bekanntestes Buch Reise Quartier in Gottesnaam, 1943 erstmalig und posthum von Paul Beckmann ediert, fußt auf gezielter Sammeltätigkeit Wossidlos in Ribnitz, den Dörfern des Fischlandes, Rostock-Warnemünde und Wismar. Vgl. Wossidlo 1969.
[7] Zu diesem siebenbändigen großlandschaftlichen Dialektwörterbuch, das 1926 begonnen und mit der 70. Lieferung 1992 vollendet werden konnte, siehe www.gwdg.de bzw. Gundlach 1995, S. 36ff. Teucherts Arbeit wurde seit 1964 unter der Leitung von Dr. Jürgen Gundlach fortgesetzt, obgleich sie gegen Ende der 60er Jahre aufgrund ideologischer Vorbehalte in der Akademie der Wissenschaften der DDR ins Stocken geriet. Vgl. hierzu Wendt 2001, S. 118.
- Citar trabajo
- Christian Schwießelmann (Autor), 2002, Auf den Spuren Richard Wossidlos. Volkskundliche Sammlung am Beispiel der mecklenburgischen Kleinstadt Laage um die Jahrhundertwende und später, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11110
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