Diese Arbeit diskutiert den neo-institutionalistischen World-Polity-Ansatz John W. Meyers und zieht als empirisches Beispiel den Irak heran, welches auf Grund seiner Prominenz sowie auch seines Stellenwerts für die weltpolitische Lage geeignet ist, als Grundlage zu dienen für eine Debatte des Ansatzes. In diesem Kontext ist es wichtig hinzuzufügen, dass diese Arbeit nicht in Anspruch nimmt, die Lage im Irak detailliert zu untersuchen. Diese Arbeit ist theoriezentriert und möchte insbesondere Schlüsse ziehen im Hinblick auf den methodischen Wert des Ansatzes im Kontext der politikwissenschaftlichen und soziologischen Debatte um Themen der Weltgesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1.Einleitung
2.DerWorld-Polity-Ansatz
2.1 Der Begriff der “World Polity”
2.2 Abgrenzung
2.3 Modell: Mythen, Isomorphie, Entkopplung, Mechanismen
2.4 Das Modell auf internationaler Ebene
3.DerIrak als empirisches Beispiel
3.1 Die Anwendung des Modells
3.1.1 Existenz des Nationalstaats
3.1.2 Form des Nationalstaats
3.1.3 Datensysteme und Selbstbeschreibung
3.1.4 Bildung
3.1.5 Wissenschaft
3.1.6 Wohlfahrt, Bevölkerung und Gesundheit
3.1.7 Menschenrechte und das Individuum
3.1.8 Umweltschutz
3.1.9 Wirtschaft
3.2 Zwischenfazit
4.Fazit
5.Quellenverzeichnis
6.Erklärung
Abstract
Diese Arbeit diskutiert den neo-institutionalistischen World-Polity-Ansatz John W. Meyers und zieht als empirisches Beispiel den Irak heran, welches auf Grund seiner Prominenz sowie auch seines Stellenwerts für die weltpolitische Lage geeignet ist, als Grundlage zu dienen für eine Debatte des Ansatzes. In diesem Kontext ist es wichtig hinzuzufügen, dass diese Arbeit nicht in Anspruch nimmt, die Lage im Irak detailliert zu untersuchen. Diese Arbeit ist theorie- zentriert und möchte insbesondere Schlüsse ziehen im Hinblick auf den methodischen Wert des Ansatzes im Kontext der politikwissenschaftlichen und soziologischen Debatte um Themen der Weltgesellschaft.
1. Einleitung
„Weltkultur – Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen“ lautet der Titel des Hauptwerkes von John W. Meyer, mit welchem er den Neo-Institutionalismus prägte und seinem World-Polity-Ansatz soziologische Geltung verschaffte. Meyer stellt die These auf, dass sich westliche Prinzipien wie Nationalstaatlichkeit, Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit etc. überall auf der Welt verbreiten und jede ihrer Regionen prägen, unabhängig von der geografischen Lage oder der Ethnie. Prominentestes Demonstrationsbeispiel Meyers ist hierbei das „Inselbeispiel“. Dieses Beispiel führt aus, wie auf einer neu entdeckten Insel eine vom Rest der Welt bisher völlig unberührte Gesellschaft entdeckt wird, welche nun, nach der Entdeckung, nach und nach westliche Prinzipien aufnimmt und in ihre Abläufe integriert: Ein Nationalstaat entstünde, eine Verwaltung, Gesetze. Der Prozess der Globalisierung ist eine tragende Säule dieser Entwicklung, die Meyer als „Isomorphie“ bezeichnet.
Nun werden bis auf sehr rare Ausnahmen, etwa im südamerikanischen Urwald, keine völlig neuen, unberührten Gesellschaften mehr entdeckt. Dennoch gilt es, diesen Prozess, der ja noch keineswegs beendet ist, an existierenden Beispielen genauer zu betrachten. Einen guten Ansatzpunkt bietet an dieser Stelle der Irak. Nachdem der Irak nach dem Golfkrieg 1990/1991 international isoliert und zudem mit einem Embargo belegt worden war, war er von zahlreichen Teilentwicklungen der Globalisierung vollständig ausgeschlossen. Mit dem US- geführten Irakkrieg 2003 und dem Sieg über das Regime Saddam Husseins änderte sich die Lage fundamental. Die USA und ihre Verbündeten im Krieg zogen in den Irak ein mit dem Anspruch, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu bringen; also, um es mit Meyer zu sagen, den Prozess der Isomorphie im Irak voranzutreiben. Inwieweit ist dies geschehen? Bestätigt die Entwicklung im Irak nach 2003 Meyers Ansatz? Kann man anhand des Beispieles Irak den von Meyer attestierten Prozess beobachten? Oder zeigen die jüngsten Entwicklungen im Irak, dass Meyer mit seiner Prognose zu optimistisch war? Diesen Fragen soll in der Arbeit nachgegangen werden.
Im ersten Teil der Arbeit wird der World-Polity-Ansatz genauer beschrieben werden. Den zweiten Teil der Arbeit macht die Anwendung von Meyers Ansatz auf das konkrete Beispiel Irak aus, wo den oben genannten Fragen nachgegangen werden wird. Im dritten Teil wird schließlich ein Fazit gezogen, welches zum Ziel hat, die im zweiten Teil gewonnenen Erkenntnisse zu verarbeiten und aus ihnen Schlüsse in Hinblick auf den politologischen Wert des Ansatzes zu ziehen.
2. Der World-Polity-Ansatz
2.1 Der Begriff der „World Polity“
Um den World-Polity-Ansatz hinreichend beschreiben zu können, ist zunächst einmal nötig, eine begriffliche Klarstellung vorzunehmen. So ist unter „World Polity“ in diesem Fall nicht die klassische politikwissenschaftliche Definition zu verstehen, die sich typischerweise von den Begriffen „Policy“ und „Politics“ abgrenzt und staatlich-politische Strukturen beschreibt, sondern „eine breite kulturelle Ordnung, die explizite Ursprünge in der westlichen Gesellschaft hat“ (Meyer 1987: 41). In der näheren Ausgestaltung dieser Definition geht es Meyer um Elemente, die schon Max Weber mit dem Begriff der „Rationalisierung“ geprägt hat: „Fortschrittsglaube, Säkularisierung und die Durchsetzung zweckrationalen Handelns in sämtlichen Gesellschaftsbereichen“ (Krücken 2005: 9). Des Weiteren lassen sich Prinzipien wie „Individualismus, universalistische Gerechtigkeits- und Fairnessnormen, freiwillige und selbst organisierte Handlungsfähigkeit sowie Weltbürgertum“ unter die Begrifflichkeit der „World Polity“ fassen (ebd.: 9). Folglich kann man ihr also jene Werte und Prinzipien zuordnen, welche seit der Zeit der Aufklärung den westlichen Kulturkreis mehr und mehr geprägt haben.
Eine weitere deutliche Abgrenzung vom klassischen politikwissenschaftlichen „Polity“- Begriff ist festzustellen, wenn man betrachtet, wie Meyer „Institutionen“ definiert. Im Verständnis von Meyer und seiner Forschungsgruppe sind Institutionen „kulturelle Regeln, die bestimmten Einheiten und Handlungen kollektiven Sinn und Wert verleihen“ (Meyer 2005: 18). Daraus folgt auch, dass durch den Prozess der Institutionalisierung „bestimmte Einheiten und Handlungsmuster normative und kognitive Gültigkeit erlangen und praktisch als Selbstverständlichkeiten und Gesetzmäßigkeiten akzeptiert werden“ (ebd.: 18). Die Abgrenzung zur klassischen Politikwissenschaft wird vor allem daran deutlich, dass Meyer Institutionen als „kulturelle Regeln“ identifiziert. Da der – relativ abstrakte – Begriff der „Kultur“ insgesamt sehr viel mehr umfasst als bloße politische Strukturen, wird also schon die klassische Definition von Institutionen kollektiv bindender Entscheidungen ad absurdum geführt. Meyer verlässt mit diesem neo-institutionalistischen Ansatz also die klassische politikwissenschaftliche Bühne.
Somit wäre eine Übersetzung des Begriffes der „World Polity“ als „Weltkultur“ sehr viel zutreffender.
2.2 Abgrenzung
Am Anfang von Meyers Überlegungen stand die Abgrenzung von anderen Ansätzen. So widersprach er zunächst den Thesen der Weltsystemtheorie um Immanuel Wallerstein, welche von einer globalen Dominanz der Ökonomie ausgehen, ökonomische Strukturen und Prozesse als weltweit verflochten und die Politik von Nationalstaaten prägend ansehen und dabei auch normative Dimensionen annehmen: „We must recognize „imperialism“ as a constant, not a variable, thrust in a capitalist world-economy. We must organize against its changing forms, and we must remember that it is merely one aspect of a wider system of human exploitation that is capitalism” (Wallerstein 1980: 23).
Meyer widerspricht den Thesen Wallersteins klar, indem er unterstellt, im Falle einer Gültigkeit der Weltsystemtheorie würden sich politische Organisationen, gleich welche, in einem Zustand permanenter Instabilität befinden, da sie gewissermaßen nach wirtschaftlicher Logik operieren würden und somit jederzeit mit einem Zusammenbruch rechnen müssten. Dies sei explizit nicht der Fall, insbesondere wenn man betrachte, dass, unabhängig davon, ob es sich um ein Land des Zentrums oder eines der Peripherie handele, sich global institutionelle Strukturen gleicher Art ausbreiteten. Doch nicht nur zum Wallerstein-Ansatz wurde eine deutliche Trennlinie gezogen, sondern ebenso auch zu Rational-Choice-Ansätzen, da diese bloß nutzenorientierte Akteure vorsähen und den beträchtlichen Einfluss von Institutionen ignorierten.
Insgesamt kritisiert Meyer also die mangelnde Erkenntnis- und Erklärungsfähigkeit beider Ansätze und bemängelt die scheinbare Unfähigkeit der Sozialwissenschaften, Beobachtungen und Erklärungen unabhängig von Ideologien aufzustellen: „Thus, we (...) argue against the tendency of social science to follow modern ideologies (of both the left and the right) in isolating the two“ (Meyer 1980: 111). Insbesondere die ideologische Nähe des Weltsy]stem- Ansatzes von Wallerstein zum Marxismus stellte für ihn also einen Faktor dar, der eine sachliche Beobachtung globaler Strukturen unmöglich machte. Darauf fußte schließlich sein neo-institutionalistischer Ansatz, der weder den individuellen Akteur noch die Ökonomie, sondern Institut]ionen als weltweit dominierend und prägend ansieht.
2.3 Modell: Mythen, Isomorphie, Entkopplung, Mechanismen
Meyer wollte mit seiner Arbeit erklären, wieso sich inzwischen staatlich-politische, wirtschaftliche, rechtliche, schulische, wissenschaftliche und kulturelle Strukturen weltweit derart ähnlich und an westlichen Modellen orientiert sind, und sich zumindest in den theoretischen Ausgestaltung nur marginal und in Detailfragen unterscheiden. Ein anderer Untersuchungsgegenstand war die Frage, wieso diese Ähnlichkeiten und Überschneidungen erst nach 1945 auftraten und nicht vorher, etwa in der Zeit der Kolonialisierung, in der die Verbreitung westlicher Prinzipien viel direkter hätte vonstatten gehen können. In den nun seit den 70er Jahren andauernden Forschungen zu diesen Fragen führten Meyer und sein Team in Stanford vielerlei empirische Studien durch, anhand deren sie versuchten, einzelne institutionalisierende Prozesse zu analysieren und hier geregelte, immer wieder anzutreffende Abläufe festzustellen.
Doch bevor die Erkenntnisse der zahlreichen empirischen Untersuchungen weiter aufgegriffen werden, die Meyer insbesondere in seinem Hauptwerk „Weltkultur“ aufgezeigt hat, soll hier die theoretische Erklärung dargestellt werden, die Meyer liefert, um den Prozess der Verbreitung von Institutionen zu beschreiben. Die Schlüsselbegriffe sind in diesem Kontext Mythen, Isomorphie und Entkopplung.
Bereits nach Max Weber war es schon immer ein essenzielles Bedürfnis von Organisationen, sich und ihren Funktionen und Handlungen allgemeine Legitimität zu verschaffen und zu beweisen. Laut Weber geschieht dies über Effizienz, die über Bürokratie und Rationalität gewährt wird: Die Bürokratie, die sich durch Expertise und spezialisierte Beamte auszeichnet, hat die Aufgabe, „rational geordnetes Gesellschaftshandeln ins Leben zu rufen und planvoll zu leiten“ (Weber 1972: 548). Für ihn ist also Effizienz die Ursache, Legitimität die damit erzeugte Wirkung; beides gehört zusammen.
Meyer hingegen trennt beides und führt aus, Organisationen würden rationale, auf Expertise zielende bürokratische Strukturen zwar auch zwecks Effizienz herausbilden, oftmals aber ausschließlich zur Erzeugung von Legitimität – Effizienz spielt in dieser Konzeption also eine eher untergeordnete Rolle. An dieser Stelle wird der Begriff der Mythen schließlich relevant: Nach Herausbildung von Mythen, die man auch als eine Art institutionalisierte Rituale beschreiben könnte, setzt die Isomorphie ein: „Indem Organisationen diese Mythen aufgreifen, kopieren und zeremoniell zur Geltung bringen, wird eine Strukturähnlichkeit („Isomorphie“) zwischen Organisation und Gesellschaft hergestellt. Dies sichert die organisatorische Überlebensfähigkeit eher als eine bloße Orientierung an technisch- instrumentellen Kriterien der Problembearbeitung“ (Hasse / Krücken 2005: 23). Nach Raimund Hasse und Georg Krücken ist es also, im Gegensatz zu Webers Ansicht, für die Selbstlegitimierung von Organisationen sehr viel wichtiger, Expertise und Rationalität im eigenen Apparat nach außen zu zeigen, als diese tatsächlich zu besitzen oder zu nutzen.
Theresa Wobbe führt diese Konstruktion in ihrem Überblick zum World-Polity-Ansatz in einem Beispiel aus dem Wissenschaftsbereich aus, das sie sehr viel plastischer werden lässt. Sie spricht genauer über „Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereiche, Forschergruppen und vergleichbare Einrichtungen. Aufgrund dieser Anforderung ist es nützlich, im Design eines größeren Forschungsantrages auf Interdisziplinarität zu achten. Als Folge davon beschreiben sich Universitäten mit entsprechend konzipierten Projekten zunehmend als Organisationen, die interdisziplinäre, d.h. innovative Forschung betreiben“ (Wobbe 2000: 32). Wissenschaftliche Einrichtungen, Universitäten und Institute müssen sich also nach außen hin legitimieren und ihre Qualität beweisen, nicht indem sie einfach nur effektiv, effizient und gut arbeiten, wie Weber annehmen würde, sondern indem sie vor allem sämtlichen Instanzen, in deren Abhängigkeit sie in irgendeiner Form stehen, zeigen, dass sie sich um effektive und effiziente Arbeit bemühen. Dies tun sie, indem sie Mythen – in diesem Beispiel Interdisziplinarität – in ihre Außendarstellung – im Beispiel den Forschungsantrag – einbeziehen und somit vor allem ihr öffentliches Image verbessern: „The laws, the educational and credentialing systems, and the public opinion then make it necessary or advantageous for organizations to incorporate the new structures“ (Meyer / Rowan 1991: 48). Da alle Universitäten und Institute sich diesen neuen Mythen anpassen müssen, um im Wettbewerb zu bestehen, ist die Isomorphie gewährleistet.
Meyer und Rowan bringen in diesem Zusammenhang auch noch ein anderes Beispiel, hier aus dem Bereich der Wirtschaft. So müssten zunehmend Unternehmen Rauchverbotsschilder in ihren Gebäuden anbringen, um ihre Legitimation und damit ihre Existenzgrundlage zu schützen: „No Smoking rules and signs, regardless of their enforcement, are necessary to avoid charges of negligence and to avoid the extreme of illegitimation: the closing of buildings by the state“ (ebd.: 51).
- Arbeit zitieren
- Florian Sander (Autor:in), 2007, Der World-Polity-Ansatz von John W. Meyer in Anwendung - Eine Diskussion des Ansatzes am Beispiel des Irak, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110891
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