„Marinetti hat endlich den letzten Schritt getan und eine Religion gegründet. In einem Manifest, natürlich, seinem zwanzigsten oder hundertsten, ich weiß es nicht.“ Auf diese Art und Weise kommentiert René Schickele 1916 in den Weißen Blättern eine italienische Avantgardebewegung – den Futurismus.
Der spöttische Grundtenor jener Aussage ist offensichtlich, doch ist er auch exemplarisch für die allgemeine Futurismusrezeption der zeitgenössischen deutschen literarischen Avantgarde? Wie und von wem wurden die Werke der italienischen Futuristen dem deutschen Publikum überhaupt zugänglich gemacht? In welchen Punkten lassen sich Berührungspunkte finden; wo nur ablehnende Kritik? Diese Fragen sollen im Laufe der vorliegenden Arbeit beantwortet werden.
Um überhaupt ein Verständnis von der Radikalität der Umwälzung – der Revolution aller Künste – zu erlangen, erweist es sich als sinnvoll, zunächst die Anfänge des italienischen Futurismus ab 1909 näher zu betrachten. Welche gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen motivierten die Genese des Futurismus? Was forderten die um den Initiator der Bewegung, Filippo Tommaso Marinetti, gruppierten Künstler und welches waren ihre Mittel, diesen Forderungen Ausdruck zu verleihen? Eine Analyse der wichtigsten Manifeste gibt Antwort auf beide Fragen zugleich. Hierbei sollen vornehmlich die grundlegenden Publikationen Marinettis Manifest des Futurismus von 1909, Technisches Manifest der futuristischen Literatur von 1912 und Zerstörung der Syntax. Drahtlose Phantasie. Befreite Worte. von 1913 im Zentrum der Untersuchung stehen.
Nach der Darstellung dieser theoretischen sowohl ideologischen als auch technischen Grundlagen verlassen wir Italien und ziehen mit den italienischen Künstlern nach Deutschland, in das Berlin des Jahres 1912 – zur zweiten von Herwarth Walden organisierten Ausstellung in der Sturm-Galerie. Der unvermeidbare Diskurs, der durch eine Konfrontation zweier Avantgardebewegungen evoziert wird, i.e. der Expressionismus und der Futurismus, soll im dritten Teil dieser Arbeit geschildert werden. [...]
Im letzten Teil der Arbeit soll anhand zweier Beispiele – Alfred Döblin und Johannes R. Becher – aufgezeigt werden, wie der italienische Futurismus durch die Generation des expressionistischen Jahrzehnts aufgenommen bzw. revidiert wurde.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der italienische Futurismus
- Gesellschaftlicher und politischer Kontext: Italien um die Jahrhundertwende
- Manifest des Futurismus 1909 – Die Geburtsstunde einer Avantgarde
- Die narrative Einleitung – Initiation des Futuristen
- Die Programmpunkte – Forderungen der Futuristen
- Das beschwörende Finale – „Wenn wir vierzig sind“
- Die Poetik des Futurismus: Technisches Manifest der futuristischen Literatur und Zerstörung der Syntax. Drahtlose Phantasie. Befreite Worte. – Die Avantgarde lernt literarisch laufen
- Der italienische Futurismus in Deutschland
- Die Sturm-Ausstellung der italienischen Futuristen in Berlin 1912
- Die ambivalente Rolle Herwarth Waldens
- Rezeption: Abkehr, Adaption oder beides?
- Die enttäuschten Hoffnungen: Alfred Döblin
- Der futuristische Rausch: Johannes R. Becher
- Schlussbemerkung
- Literaturverzeichnis
- Primärliteratur
- Sekundärliteratur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rezeption des italienischen Futurismus in Deutschland. Sie untersucht die Anfänge dieser Rezeption und analysiert die Reaktion der deutschen Avantgarde auf die Ideen und Werke der italienischen Futuristen. Die Arbeit beleuchtet die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die zur Entstehung des Futurismus führten, und analysiert die wichtigsten Manifeste der Bewegung. Darüber hinaus wird die Rolle des Kunstkritikers Herwarth Walden und die Rezeption des Futurismus durch deutsche Autoren wie Alfred Döblin und Johannes R. Becher untersucht.
- Die Entstehung des italienischen Futurismus im Kontext der gesellschaftlichen und politischen Situation Italiens um die Jahrhundertwende
- Die zentralen Ideen und Forderungen des Futurismus, wie sie in den wichtigsten Manifesten der Bewegung zum Ausdruck kommen
- Die Rolle des Kunstkritikers Herwarth Walden bei der Vermittlung des Futurismus in Deutschland
- Die Rezeption des Futurismus durch die deutsche Avantgarde, insbesondere durch Alfred Döblin und Johannes R. Becher
- Die Ambivalenz der Rezeption des Futurismus in Deutschland, die zwischen Abkehr und Adaption schwankte
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Forschungsfrage nach der Rezeption des italienischen Futurismus in Deutschland. Sie beleuchtet die spöttische Reaktion der deutschen Avantgarde auf den Futurismus und stellt die Frage nach der Zugänglichkeit der Werke der italienischen Futuristen für das deutsche Publikum. Die Einleitung skizziert den Aufbau der Arbeit und die zentralen Themen, die im Folgenden behandelt werden.
Das zweite Kapitel widmet sich dem italienischen Futurismus und beleuchtet die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die zur Entstehung der Bewegung führten. Es wird die Situation Italiens um die Jahrhundertwende beschrieben, die geprägt war von der Einheit des Landes, aber auch von großen sozialen und kulturellen Unterschieden. Das Kapitel analysiert die wichtigsten Manifeste des Futurismus, insbesondere das „Manifest des Futurismus“ von 1909, das „Technische Manifest der futuristischen Literatur“ von 1912 und „Zerstörung der Syntax. Drahtlose Phantasie. Befreite Worte.“ von 1913. Es werden die zentralen Ideen und Forderungen der Bewegung, wie die Verherrlichung der Geschwindigkeit, der Technik und der Gewalt, sowie die Ablehnung der Tradition und die Forderung nach einer neuen Kunstsprache, dargestellt.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Rezeption des italienischen Futurismus in Deutschland. Es wird die Rolle des Kunstkritikers Herwarth Walden und seine Bemühungen um die Vermittlung des Futurismus in Deutschland beleuchtet. Das Kapitel analysiert die Sturm-Ausstellung der italienischen Futuristen in Berlin 1912 und die Reaktion der deutschen Avantgarde auf die neuen Ideen und Werke. Es wird der Diskurs zwischen Expressionismus und Futurismus beleuchtet, der in den Zeitschriften „Der Sturm“ und „Die Aktion“ geführt wurde.
Das vierte Kapitel untersucht die Rezeption des Futurismus durch zwei prominente Vertreter der deutschen Avantgarde, Alfred Döblin und Johannes R. Becher. Es wird die ambivalente Reaktion der deutschen Avantgarde auf den Futurismus beleuchtet, die zwischen Abkehr und Adaption schwankte. Das Kapitel analysiert die Werke von Döblin und Becher und zeigt auf, wie sie die Ideen des Futurismus aufnahmen und in ihre eigene Kunst einbezogen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den italienischen Futurismus, die deutsche Avantgarde, den Expressionismus, Herwarth Walden, Alfred Döblin, Johannes R. Becher, die Rezeption des Futurismus in Deutschland, die Manifeste des Futurismus, die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des Futurismus, die Rolle der Kunstkritik, die Kunstsprache des Futurismus, die Ambivalenz der Rezeption des Futurismus in Deutschland.
- Citation du texte
- Nicole Tzanakis (Auteur), 2006, Der italienische Futurismus und die Anfänge seiner Rezeption in Deutschland. F.T. Marinettis Eroberungsversuch der deutschen Avantgarde, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110852
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