Inhalt:
1. Einleitung
2. Die Gedichte
2.1. Claudio Achillini La mina
2.2. Pier Francesco Paoli Dinanzi a un ospedale
3. Die Barockmerkmale der Gedichte
3.1. Die Überfunktion des ils
3.1.1. Die metaphora continuata des Achillini
3.1.2. Die ilmischung in dem nett Paolis
3.1.3. Eine Metapher - zwei Welten: Petrarca und Achillini
3.1.3.1. Francesco Petrarca Rerum vulgarium fragmenta
3.1.3.2. Der unterschiedliche Umgang mit Metaphern
3.1.3.3. Der Metaphernkult des Barock
3.1.4. Der nn: Prachtentfaltung
3.1.5. Nachtrag: Handwerkliche Machart und artistisches Können
3.2. Neuartigkeit und Modernität
3.2.1. ilmischung und Vermischung der ilebenen
3.2.2. Die Überschriften: Neue Themen; Die ‚Objektdichtung’
3.2.3. Die Erfindung und Bearbeitung von kundärcode
3.2.4. Das Verhältnis zur Tradition
3.2.5. Modernität
3.3. Der nichtvorhandene Bezug zur Wirklichkeit
3.4. Das Ideal der finzione und der hein literarischer Freiheit
3.4.1. Die Gabe freier Erfindung
3.4.2. Der bjektivismus, die Freiheit und deren Ambivalenz
3.5. Extreme, Gegensätze und steter Wechsel
3.6. Rätsel, Pointen, Trugschlüsse
3.6.1. Die hlusspointe Achillinis
3.6.2. Die hlusspointe Paolis
3.6.3. Überraschung und Rätsel als Hauptziele der Barockdichtung
3.7. Zusammenfassung des Gesagten unter dem Begriff der acutezza, der Begriff des concetto
3.8. Ausrichtung der durch acutezza geprägten Dichtung auf das Ziel der Unterhaltung
4. hluss
5. Verwendete Literatur
1. Einleitung
Die Beschäftigung mit der italienischen Barockliteratur erscheint zunächst wenig lohnend. Doch bei genauerem Betracht scheint sie doch auch ihre Vorzüge zu haben. So durch die in ihr zum Ausdruck kommenden umfassenden Wertschätzung des Wissens und des Denkens. In Anbetracht dessen, dass es ohnehin keinen epochenübergreifend gültigen Wertmaßstab für Literatur gibt, sollten wir vielleicht auf eine voreilige Ablehnung dieser Literatur nach unseren heutigen Vorstellungen von dem, was sie zu leisten habe, verzichten und stattdessen diesen nicht unmittelbar literarischen doch sympathischen Zug der Epoche zum Anlass nehmen, uns dennoch mit ihr auseinander zu setzen. Doch dazu müssen die Regeln, nach denen sie funktioniert, erst einmal bekannt sein. Die besonderen Merkmale der barocken Literatur an Hand zweier Gedichte aufzuzeigen, ist Ziel vorliegender Arbeit. Keines von beiden entstammt dem Übervater der damaligen Dichtkunst, Giambattista Marino, umso mehr Aufschluss über die ‚gewöhnliche’ Barockdichtung, also die Grundlage, auf der unitäre Meisterwerke entstehen, versprechen sie. Es handelt sich um die beiden Sonette La mina von Claudio Achillini und Dinanzi a un ospedale von Pier Francesco Paoli.
2. Die Gedichte
2.1. Claudio Achillini La mina
Entra per nera e sconosciuta bocca 1
e in sotto al muro ostil duce tiranno
e con industre e vigilato affanno
v’aggiusta un muto foco e poi ne sbocca.
Ma non sì tosto una favilla tocca 5
l’incendioso e prigioniero inganno,
che in un solo momento, eterno al danno,
crepa il suol, tuona il ciel, vola la ròcca.
Portai del cor nel più secreto loco
semi di foco e ne cercai lo scampo 10
per non esser d’un cieco e scherzo e gioco.
La favilla d’un bacio accese il lampo
in su la mina e publicossi il foco;
ed ecco Amor trionfatore in campo.[1] 14
2.2. Pier Francesco Paoli Dinanzi a un ospedale
Qui, dove giace in un turba languente 1
or che’l Sol men benigno il terren fiede
veggio mostrar costei pomposamente
la sua beltà, ch’ogni beltade eccede.
Così forse talor, vaga e ridente 5
fuor da la reggia sua mover il piede
là per le vie de la dannata gente,
la regina Proserpina si vede.
Già non le scalda il sen pietoso ardore:
troppo ha l’affetto a la fierezza esperto 10
nel mirar le ferite del mio core.
Ben lieto mor chi qui di morte è or certo,
che mira, ad onta del mortale orrore,
in quel bel volto il paradiso aperto.[2] 14
3. Die Barockmerkmale der Gedichte
3.1. Die Überfunktion des Stils
Eines der hervorstechendsten Merkmale der italienischen Barockdichtung ist die Überfunktion des Stils, d. h. das Übergewicht, das die auf der Ausdrucksebene vorhandenen sprachlichen und stilistischen Mittel gegenüber dem zu vermittelnden Inhalt haben, und die Bedeutung, die ersteren beigemessen wird, letzterem hingegen nicht, kurz gesagt, dass die Art der Darstellung wichtiger ist, als das, was dargestellt werden soll.[3] In den hier vorgelegten Beispielen, ist beinahe jedes Detail von dieser Überfunktion des Stils bestimmt. Dabei ist im Einzelnen oft eine komplexe Argumentation notwendig, um nachzuweisen, dass gerade diese Einzelheit aus sprachlichen oder stilistischen Gründen dasteht und keine nennenswerte inhaltliche Funktion erfüllt. Aus Raumgründen kann hier deshalb nicht das gesamte zu Verfügung stehende Material dahingehend untersucht werden. Es wird aber schon genügen - und das ist durchaus möglich und wird soll im Folgenden geschehen - nachzuweisen, dass die Makrostruktur beider Gedichte nicht von der Darstellung eines Inhalts, sondern von Grundideen aus sprachlich-stilistischem Gebiet bestimmt sind.
3.1.1. Die metaphora continuata des Achillini
Auf den ersten Blick scheint klar, dass das Thema von Achillinis Gedicht „la mina“ sei, und sei es nur deshalb, weil so die Überschrift des Textes lautet. Ab der neunten Zeile wird aber durch sukzessive Gleichsetzung der im Rahmen der Beschreibung der Anbringung einer Mine und der Folgen, die einträten, wenn sie gezündet würde, berichteten Geschehnisse mit der Ereigniskette, die durch einen „bacio“ (Z. 12) innerhalb des „cor“ des Betroffenen (Z. 9) ausgelöst worden sein sollen, klar, dass die Mine und das, was mit ihr und durch sie geschieht, nur als Metapher für den Vorgang des innamoramento stehen, der damit eigentlicher Gegenstand des Gedichtes ist.[4]
Die Metapher - auch in ihrer erweiterten, naturalisierten und fortgesetzten Form wie sie hier als metaphora continuata vorliegt - ist ein Stilmittel. Sie dominiert das ganze Gedicht, denn sie gibt nicht nur dem Gedicht den Titel und es sind nicht nur die ersten zwei Strophen ausschließlich ihr gewidmet, auch in den beiden folgenden Strophen ist sie vorherrschend, insofern sie, deren Funktion als bloße Metapher die ersten zwei Strophen nicht klar erkennbar waren, als Rätsel, das sie darstellte, ab der dritten Strophe aufgelöst wird, und schließlich spätestens die Schlussstrophe wieder weitgehend auf ihre Bildebene zurückkehrt und auf dem zur allgemeinen Kriegsthematik erweiterten Bildebene endet.[5] Womit zumindest klar ist, dass die Metaphora continuata, ihre Auflösung und Fortführung bis zum Schluss wesentlich die Makrostruktur des Gedichtes bestimmen.
Nichtsdestotrotz wäre es möglich, dass die Metapher inhaltliche Funktionen erfüllte. Dazu scheint es sinnvoll, sich den vermittelten Inhalt genauer anzuschauen. Die inhaltliche Kernaussage lässt sich, ohne Widerspruch fürchten zu müssen, in dem Satz „Amor hat mein Herz erobert“, der sich bei Fortfall jeglichen übertragenen Sprachgebrauchs zu „Ich habe mich verliebt“ vereinfachen lässt, zusammenfassen. Damit wird auf ein faktuales Ereignis[6] angespielt, das in dem Gedicht Dargestellte soll in Wirklichkeit geschehen sein und nicht nur den Anlass, sondern auch das Thema und den Hauptgegenstand zu diesem Gedicht geliefert haben. Dabei wird aber versäumt, dieses Ereignis in irgendeiner Art zu konkretisieren. Was dabei besonders bedeutend ist, es wird bewusst vermieden, die zweite Person, die notgedrungen bei diesem Ereignis eine zentrale Rolle spielen muss, die Frau, in die er sich verliebt hat, überhaupt zu erwähnen. Es erfordert schon eine große Kunstfertigkeit, gepaart mit einer bewussten Absicht, sie nicht einmal in der Form des Enthaltenseins in einem Verb der 3. Pers. Sg. zu erwähnen. Der einzige Hinweis auf sie ist in dem Wort „bacio“ (Z. 12) enthalten, den jemand gegeben haben muss. Aber selbst dieser „bacio“ erscheint nur als Genitiv abhängig von einer „favilla“, die dazu dient auf Bildebene die Mine zu entzünden und dadurch Amor den Sieg zu verleihen. Deutlicher kann Achillini dem Leser kaum mitteilen, dass es für das Verständnis dieses Gedichts irrelevant sei, dass er sich in eine bestimmte Frau verliebt habe, was letztlich dem ganzen Gegenstand des innamoramento jegliche Bedeutung raubt. Dies wird durch viele weitere Elemente in dem Gedicht bestätigt, wovon nur noch zwei kurz gestreift werden können. Das eine ist die Aussage „ne cercai lo scampo / per non esser d’un cieco e scherzo e gioco“ (Z. 10 - 11), mit der allein der Erzähler der 1. Pers. Sg. seine Motivationslage in Hinsicht auf das innamoramento schildert. Dass ein frisch Verliebter nicht mehr zu seinen Gefühlen zu sagen weiß, als dass er gerne dem Spott und Hohn in Gefolge seines sich Verliebens entgangen wäre, ist ein deutlicher Hinweis des Autors, dass das Ereignis von seiner Tiefe und Bedeutung her eigentlich keiner großen Erwähnung wert gewesen wäre. In die gleiche Richtung zielt „incendioso“ in der sechsten Zeile, dass aus dem Bild übertragen etwa soviel besagen will, dass der Autor der Veranlagung nach in Liebesdingen „leicht entflammbar“ sei, das heißt, seine innamoramenti offenbar nie von Dauer und Tiefe geprägt sind. Auf vielfache Weise sagt also Achillini seinem Leser, dass das Dargestellte - das innamoramento - von geringer Bedeutung sei, was notgedrungen bedeutet, dass es die Art der Darstellung ist, auf die es ihm ankam.
Wenn wir unmittelbar nach der inhaltlichen Funktion einer Metapher fragen, kommen wir zu einem ähnlichen Ergebnis. Inhaltliche Funktion einer Metapher wäre, das Gesagte zu veranschaulichen oder anschaulicher darzustellen. Hier fällt sofort ins Auge, dass es kaum eine schlechtere denkbare Metapher für ein innamoramento geben könnte als eine Mine. Zudem wird diese Metapher über ihre Naturalisierung zum Themenbereich des Krieges erweitert, das dem Themenbereich der Liebe, zu dem ein innamoramento zählt, diametral entgegengesetzt ist. Dass es dabei gar nicht um Veranschaulichung geht, wird dann - Nachdem die Metapher und ihre Erweiterung von vorneherein „falsch“ gewählt war, soll es auch gar nicht anders sein - in der Zeile 8 klar, denn wie auch immer man sich die Folgen eines Kusses denkt, ist es kaum vorstellbar, dass sie durch „crepa il suol, tuona il ciel, vola la ròcca“ anschaulich beschrieben gefunden werden, wenigstens so das letzte Glied „vola la ròcca“ das Geschehen eindeutig in den blutigen und gewaltsamen Kontext einer Schlacht ansiedelt. Was auch immer mit dieser Verlagerung eines stillen, inneren Vorgangs auf die Ebene eines lauten, blutigen, äußeren Geschehens bezweckt werden soll, es hat nicht die Funktion, ihn zu veranschaulichen. Da bereits gezeigt wurde, dass das Ereignis für den Betroffenen ohnehin ohne größere Bedeutung sein soll, scheint es sogar geradezu widersinnig, für seine Folgen „Himmel und Erde“ in Bewegung zu setzen, das heißt, die Zeile 8, in der die Schilderung der Mine und des Geschehens um sie herum in den beiden ersten Strophen zunächst gipfelt, hat keine inhaltliche Funktion bezüglich des innamoramentos, bezüglich des Hauptgegenstandes des Gedichtes.
Es wurde also festgestellt, dass die Minenmetapher, ihre Fortführung, Naturalisierung und Erweiterung zur Kriegsthematik weitestgehend keinerlei inhaltliche Funktion erfüllt, doch gleichzeitig die Gesamtstruktur des Gedichtes im Wesentlichen bestimmt. Das heißt, das Gedicht ist insgesamt vom Einsatz stilistischer Mittel bestimmt, die bezogen auf seinen Gegenstand funktionslos sind, es handelt sich um Überfunktion des Stils.
3.1.2. Die Stilmischung in dem Sonett Paolis
Pier Francesco Paolis Gedicht ist anders geartet. Das Thema ist mit der ersten Strophe klar genannt, eine „beltà, ch’ogni beltade eccede“ (Z. 4) ist ein Gegenstand, der schon zuvor oft in einem Sonett behandelt wurde.[7] Was schon bei flüchtiger Lektüre bei diesem Gedicht sofort ins Auge sticht, ist dass alle vier Strophen, Gedichten ganz unterschiedlicher Art entnommen zu sein scheinen. Die erste Strophe gibt sich wenigstens formal nüchtern. Auf die Ortsangabe in der ersten Zeile („Qui, dove [...]“) folgt die Zeitangabe („or che [...]“), dann der Gegenstand („beltà, ch’ogni beltade eccede“), die der Autor beobachtet („veggio“) und die so zum Gegenstand eines seiner Gedichte wurde. Die zweite Strophe gehört dem Mythos. Die dritte Strophe erscheint der klassischen Liebeslyrik entnommen und zwar einem bestimmten Typus, der Klage (Z. 11: „le ferite del mio core“) des Liebenden über die Kaltherzigkeit seiner donna (Z. 9: „non le scalda il sen pietoso ardore“).[8] In ihr häufen sich Metaphern klassischer Machart (die beiden genannte Stellen sind metaphorisch)[9] und in diesen Versen wird besonders stark von der gewöhnlichen Wortstellung abgewichen (vor allem in Zeile 10: „ha l’affetto a la fierezza esperto“). Die letzte Strophe scheint vor allem das Thema Tod zu haben, so schon Zeile 12 („Ben lieto mor chi qui di morte è or certo“). Dieses Thema scheint in einem religiösen Kontext abgehandelt zu werden, wie Wortwahl (Z. 13: „mortale“, Z. 14: „paradiso“) und Formeln (Z. 12: „Ben lieto mor“, Z. 13 - 14: „mira [...] il paradiso aperto“) nahe legen. Die Strophe erschient also religiöser Dichtung, die sich mit dem Sterben beschäftigt, entnommen zu sein.
Dieser Wechsel zwischen eigentlich thematisch gebundenen Sprachstile[10] verunsichert natürlich zutiefst über den eigentlichen Gegenstand des Gedichts. Er ist zwar in der ersten Strophe klar genannt, die „beltà“ einer bestimmten, genauer nicht beschriebenen Dame, jedoch muss der Leser bereits in der zweiten Strophe den Bezug selbst herstellen, da Persephone sicher nicht die erste Wahl als Repräsentantin für Schönheit im Angebot des Mythos[11] ist, wenn auch durchaus geeignet. In der dritten Strophe hingegen ist der Gegenstand der „beltà“ gar nicht genannt, außer als ungenannte Ursache des erbärmlichen Zustands des Dichters (Z. 11: „le ferite del mio core“), der kaum auf etwas anderes zurückzuführen sein kann als auf eine außerordentliche Schönheit, die freilich mit Mitleidlosigkeit (Z. 9) und Hochmut (Z. 10) gepaart ist.[12] Die Klarheit, dass das eigentliche Thema die „beltà“ geblieben ist, wird endgültig erst im letzten Vers wiederhergestellt. Die eigentliche Kernaussage des Schlussterzetts ist, dass ihr Gesicht einem Sterbenden wie das geöffnete Paradies erscheinen muss. Dass dem so sein muss, ist nicht religiös motiviert, das ist dadurch schon ausgeschlossen, dass der Dame in den Zeilen 9 - 11 christliche Grundtugenden abgesprochen wurden, sondern kann nur im Grad ihrer Schönheit „ch’ogni beltade eccede“ liegen, womit wir im Schlussvers mit „bel volto“ zum Ausgangspunkt zurückgekehrt sind.
Die verschiedenen Strophen scheinen also verschiedenen Gedichten entnommen und zwar Gedichten, die nicht zuletzt durch bestimmte Inhalte bestimmt wären: Der Darstellung eines mythologischen Geschehens, der Klage eines vergebens Liebenden, der Betrachtung über den Tod aus religiöser Sicht. Diese Gegenstände interessieren aber nicht oder beinahe nicht. Dies ist im Fall des mythologischen Themas der zweiten Strophe noch recht naheliegend und auch offenbar. Das einleitende „così“ zeigt eindeutig, dass der Mythos hier nur als Vergleich herangezogen wird. Hier ist also im Gegenteil zu zeigen, dass er dies nicht leistet, um ihm seine Eigenständigkeit als Darstellung mythischen Geschehens wiederherzustellen. Der Teil des Mythos, wegen dessen sich auch Persephone als eine Personifikation der Schönheit[13] eignet, ist hier weder betont noch erwähnt noch auch nur angedeutet,[14] es ist Aufgabe des Lesers, dies aus dem gemeinsamen kulturellen Wissen zu ergänzen. Diese Ergänzung wird der Leser vornehmen, da er mittels des ersten Teils und des Vergleichspartikels „così“ darauf vorbereitet wurde, dass er Persephone als Sinnbild der Schönheit zu interpretieren habe. Die zweite Strophe dient also nicht der Erhellung der ersten, sondern umgekehrt die zweite Strophe bedarf zur Deutung der ersten. Damit steht sie als mythologische Erzählung selbstständig da oder zumindest erfüllt sie keine dienende Funktion bezüglich des in der ersten Strophe gegebenen Hauptthemas des Gedichts. Zugleich wird sie aber durch „forse talor“ (Z. 5) als selbstständige mythische Erzählung gänzlich entwertet, denn ein mythologisches Geschehen, das selbst als solches nicht zu sichern ist, ist einer eigenständigen Darstellung wohl nicht wert. Das Thema ist also gegeben, zugleich aber offenbar ohne Interesse.
Was die dritte Strophe anbelangt, so kann das hier angeschnittene Nebenthema, da weder vorher noch nachher nochmals auf es Bezug genommen wird, für das Gedicht als Ganzes nur wenig Gewicht haben.[15] Dafür hat sie sprachlich einige Züge, die sie von dem übrigen Gedicht sogar ausdrücklich isolieren. Da ist zunächst die starke Häufung von Metaphern, die sonst im Gedicht erstaunlicherweise sogar eine eher untergeordnete Rolle spielen. Und zwar sind es Metaphern wie „scalda“, „sen“, „pietoso ardore“, „ferite del mio core“, die alle in der traditionellen volkssprachlichen Poesie derart omnipräsent sind, dass es scheint, als solle durch ihre Häufung die scheinbare ‚Entnahme’ dieser Strophe aus einem klassischen Vertreter dieser Gattung betont werden.[16] Auch ist das Abweichen vom normalen Sprachgebrauch in der Satzstellung kaum an einer anderen Stelle dieses Sonetts noch einmal so hoch wie im Mittelteil dieser Strophe („troppo ha l’affetto a la fierezza esperto“), ein Abweichen, das unter anderem für einen sehr artifiziellen Sprachgebrauch, wie er den gehobenen Formen der Liebesdichtung entspricht, steht.[17] Es ist also festzustellen, dass die Strophe auf sprachlicher Ebene einige Besonderheiten enthält, die sie klar mit der klassischen Liebesklage verbunden sein lässt, wobei es aber Anlass zum Zweifel darüber gibt, dass diesem Nebenthema an sich besondere Bedeutung zukommt.
Was die letzte Strophe anbelangt, so weist sie das, was es hier zu zeigen gilt, am offensichtlichsten auf und bestätigt damit eine entsprechende Deutung der übrigen Strophen, so das schon Aufgezeigte nicht genügen mag. Es wurde schon gezeigt, dass die Strophe durch Lexeme und Formulierungen - also auf sprachlichem Gebiet - als religiöses Gedicht gekennzeichnet wurde, es wurde auch schon gezeigt, dass das keinesfalls ihrem tatsächlichen Gegenstand entspringt, der der Preis sehr irdischer Schönheit ist, die schon deswegen allein gemeint sein kann, da deren Besitzerin in der dritten Strophe keineswegs als Heilige dargestellt wurde. Letztlich wurden also in allen drei Strophen (Z. 5 - 14) nicht Inhalte bestimmter inhaltlich definierter Typen von Gedichten übernommen, sondern nur deren sprachliche und stilistische Mittel, an denen unserem Autor offenbar also mehr liegt, als an den Gegenständen, die mit ihrer Hilfe ausgedrückt werden könnten. Umgekehrt ist nun ebenfalls klar, dass auch der tatsächliche Gegenstand des Gedichtes wenig interessiert, da nicht die ihm gemäßen sprachlichen und stilistischen Mittel gewählt wurden, um ihn darzustellen. Der eigentliche Reiz des Gedichtes besteht also nicht in seinem Gegenstand, sondern darin, dass er mit den verschiedensten ihm nicht gemäßen sprachlichen und stilistischen Mitteln dargestellt wurde, also in Sprache und Stil. Es ergab sich also für beide Gedichte ein ähnliches Ergebnis, das unter der Rubrik Überfunktion des Stils zusammengefasst werden kann. Dabei muss festgestellt werden, dass gemeinsam nur die Bedeutung ist, die den stilistischen und sprachlichen Mitteln vor dem Thema der Sonette zukommt, nicht, welche es sind, oder die Art, wie sie eingesetzt wurden.
3.1.3. Eine Metapher - zwei Welten: Petrarca und Achillini
Die Minenmetapher bestimmt aus stilistischen und sprachlichen Gründen weitgehend die Makrostruktur des Gedichtes Achillinis. Eine sehr ähnliche Metapher verwendet Petrarca in einem Sonett gleichen Inhaltes - eines innamoramentos -, nämlich im Sonett „Quando mi vène inanzi il tempo e ‘l loco“ (Rerum vulgarium fragmenta 175). Ein direkter Vergleich bietet sich also an und wird epochentypische Unterschiede in der Verwendung der Stilmittel zumindest verdeutlichen und, da Petrarca nach dem Petrarkismus des 16. Jh.[18] in hohem Maße die Tradition repräsentiert, auch Aufschluss über den Umgang Achillinis mit der Tradition geben, so dass dies Gedicht als Vergleichsmaßstab und Repräsentant der Tradition, obwohl aus nur einem konkretem Grund an dieser Stelle erstmals angeführt, uns auch im weiteren Verlauf der Arbeit begleiten wird.
3.1.3.1. Francesco Petrarca „Rerum vulgarium fragmenta“ 175
Quando mi vène inanzi il tempo e ’l loco 1
Ov’i’ perdei me stesso, e ’l caro nodo
Ond’Amor di sua man m’avinse in modo
Che l’amar mi fe’ dolce, e ’l pianger gioco,
Solfo et ésca son tutto, e ‘l cor un foco 5
Da quei soavi spiriti, i quai sempre odo,
Acceso dentro sí, ch’ardendo godo,
Et di ciò vivo, et d’altro mi cal poco.
Quel sol, che solo agli occhi mei resplende,
Co i vaghi raggi anchor indi mi scalda 10
A vespro tal qual era oggi per tempo;
Et cosí di lontan m’alluma e ’ncende,
Che la memoria ad ognor fresca et salda
Pur quell nodo mi mostra e ’l loco e ’l tempo.[19] 14
3.1.3.2. Der unterschiedliche Umgang mit Metaphern
Die Metapher, auf die es hier in dem Petrarcasonett ankommt ist natürlich „solfo et ésca“ in Z. 5. Sie ist nur eine von vielen und dient unmittelbar der Veranschaulichung eines Vorgangs innerhalb des innamoramento. Sie erfüllt ihre untergeordnete Funktion in einem vom Inhalt bestimmten Textganzen. Ganz anders Achillini, der den Leser zwei Verse lang darüber im Unklaren lässt, dass die Mine nur als Metapher steht und nicht selbst Gegenstand des Gedichtes ist, auf den Petrarca bereits in der zweiten Strophe zu sprechen kommt. Achillini dehnt die eine Metapher durch Naturalisierung und Erweiterung zur allgemeinen Kriegsthematik so weit aus, dass sie schließlich das ganze Gedicht dominiert, so dass das Verhältnis zwischen dem Stilmittel der Metapher und dem Inhalt, der mit seiner Hilfe dargestellt werden soll, im Vergleich zur traditionellen Vorgehensweise Petrarcas verkehrt ist. Dabei ist es notwendig, solche Gedichte wie die Petrarcas zu kennen, um hinter der Dominanz der stilistischen Ebene überhaupt noch den gemeinten Inhalt zu erahnen, ohne eine solche Kenntnis liefe man geradezu Gefahr, die wenigen knappen Hinweise auf das innamoramento wie „bacio“ in Zeile 12 umgekehrt als Metaphern im Rahmen der Darstellung einer Mine und ihrer Funktionsweise fehl zu interpretieren. Kurz gesagt, der eigentliche Inhalt des Achillinigedichts ergibt sich aus der Tradition und wird aus dem kulturellen Wissen durch einige Stichwörter aufgerufen, selbst aber gar nicht mehr ausgeführt, stattdessen erscheint eine Metapher als Scheingegenstand des Gedichtes und wird nicht benutzt, sondern entfaltet zu einem immer vielfältigeren und bunteren Bild, in das immer mehr, eine „ròcca“ (Z. 8), ein „duce“ (Z. 2) usw., das mit dem Vorgang des innamoramento zunächst oder überhaupt wenig zu tun hat, integriert wird. Das ist nicht nur, aber vor allem und zunächst einmal Dominanz und Überfunktion des Stils.
3.1.3.3. Der Metaphernkult der Barock
Vor diesem Hintergrund ist auch erst der Metaphernkult des Barock[20] zu verstehen. Schon ein kurzer Vergleich des Petrarcagedichtes mit dem Paoligedicht, dessen Ergebnis so eindeutig ist, dass das nicht im Einzelnen ausgeführt werden muss, belegt, dass Metaphernsucht kein Privileg des Barock ist und ihre zahlreiche Verwendung allein noch kein Hinweis auf eine Überfunktion des Stils, denn Petrarca gebraucht sicher letztlich in diesem Gedicht einiges mehr an Metaphern als Paoli (der aus oben genannten Gründen, die stilistischer Natur sind, bis auf eine Strophe sparsam mit ihnen umgehen muss). Das Besondere des Metaphernkults des Barock liegt also in der Art, wie sie verwendet wurden. Petrarca gebraucht ein durch das Naturvorbild geeignetes Bild zur knappen Veranschaulichung des Gemeinten.[21] Achillini nutzt das Potenzial, das in der Metapher steckt, aus, indem er sie zu einer ganzen Geschichte mit Amor als gegnerischen Feldherrn, der eine Burg erstürmt, ausweitet. Wie bereits an dem Beispiel der achten Zeile gezeigt, die dieser Entfaltung der Möglichkeiten einer Metapher entspringt, gewinnt er dadurch inhaltlich nichts, verfälscht eher sogar auf Ebene des Bildes eine realistische Vorstellung von einem denkbaren tatsächlichen innamoramento -Vorgang. Aber er erzeugt beeindruckende Bilder, die Anlass zu weiteren, hybriden Metaphern und anderem Stilprunk bieten, wie hier das „tuona il ciel“, das ja auch nur im Bild den Vorgang der Explosion der Metapher-Mine schildert. Das ist symptomatisch für einen Vorgang, der das ganze Gedicht bestimmt, dass die Metapher nur Ausgangspunkt zur Bildung weiterer sprachlicher und stilistischer Kunststücke, die zum Inhalt wenig oder nichts beitragen, wie sich leicht an zahlreichen weiteren Beispielen zeigen ließe, hier aber aus Platzgründen unterbleiben muss. Dies ist also, was Achillini an der Metapher nützlich findet und so sehr schätzt, dass er sie formal zum Thema seines Gedichtes erhebt, und es ist offensichtlich, dass gerade dies den ‚Metaphernkult’ Petrarcas von dem Achillinis unterscheidet. Es ist der so beschriebene Metaphernkult im Rahmen der Überfunktion des Stils, der barocktypisch ist.[22]
3.1.4. Der Sinn: Prachtentfaltung
Das Barockpublikum schätzte an den Gedichten natürlich nicht die Überfunktion des Stils oder hätte das wenigstens nicht so formuliert. Diese Überfunktion des Stils bedeutet im Falle Achillinis, wie gesagt, dass ohne unmittelbaren Bezug zum Inhalt des Gedichtes eine ganze Erzählung um die Minenmetapher herum entwickelt wird, in der höchst kunstvoll - man beachte nur, dass die Mine nach der Überschrift erst im vorletzten Vers wieder unmittelbar benannt wird - eine Schlacht geschildert wird, in der ein Feldherr eine feindliche Burg belagert und erobert, wobei sich - nicht in der Realität doch im Bilde, also auf stilistischem Gebiet - weltbewegende Dinge ereignet haben sollen, denen unter anderem das Attribut „eterno al danno“ zukommen soll und in deren Verlauf „crepa il suol, tuona il ciel“, also die ganze erfahrbare Welt in Erschütterung geraten sein soll. Das ist Wortschmuck und in Anbetracht dessen, dass es fast das ganze Gedicht einnimmt, überbordender Wortschmuck.[23] Da der Inhalt, wie bereits gezeigt wurde, hinter diesem zurücktritt, bzw. außerhalb der stilistischen Ebene die Bedeutung des Inhalts bewusst gemindert wird, ist diese Prachtentfaltung um ihrer selbst willen gewollt und das Gedicht wurde - unter anderem - um ihrer willen geschätzt, während die Bedeutungslosigkeit des eigentlichen der Tradition entlehnten Gegenstandes des Gedichtes nur noch den Hintergrund bildete, vor dem sich der äußere Zierrat umso glänzender absetzen konnte.[24]
3.1.5. Nachtrag: Handwerkliche Machart und artistisches Können
Auch bei Paoli existiert rein stilistischer Prunk. Doch ist er anderer Art. Hier ist es vor allem das artistische Können, das er dadurch unter Beweis stellt, dass er ein Thema in vier Strophen darstellt, die Gedichten entnommen scheinen, die einen ganz anderem Gegenstand gewidmet wären. Das artistische Können, das das Barockpublikum als seinen ingegno bzw. wenigstens als Teil und Ausdruck seines ingegno bewundert hätte.[25] Wie fast stets beruhen auch diese bewunderten artistischen Kunststücke zu einem gut Teil auf rein handwerklichem Geschick, das zugleich eine unter der Oberfläche verborgene sehr schematische Vorgehensweise zu einem Kennzeichen barocker Dichtkunst macht.[26] Besonders faszinierend ist das bei Achillini zu sehen. Es kann hier leider nur kurz seine Vorgehensweise charakterisiert werden. Konventionell sind dem innamoramento Elemente wie Heimlichkeit der Liebe bzw. Verheimlichung des Liebesverhältnisses, die völlige Beherrschung des Liebenden durch vor allem die donna, die Wachsamkeit, das Begriffsfeld von Feuer und Entflammbarkeit, das Offenbarwerden der Liebe, meist als Gegenstand der Furcht, die Ewigkeit des Gefühls und einiges mehr verbunden.[27] Alle diese Elemente finden sich ohne Mühe bei Achillini wieder: Heimlichkeit: „sconosciuta“ (Z. 1), das Verhältnis der Beherrschung: „tiranno“ (Z. 2), „prigioniero“ (Z. 6), Wachsamkeit: „vigilato“ (Z. 3), Feuer: „favilla“ (Z. 5, Z. 12), „foco“ (Z. 4, Z. 10, Z. 13), „incendioso“ (Z. 6), Offenbarwerden: „publicossi il foco“ (Z. 13), Ewigkeit: „eterno“ (Z. 7). Die Heimlichkeit bezieht sich aber keinesfalls auf ein Verheimlichen der erwachten Liebe, wie es der Konvention entspräche, sondern auf die Anbringung einer Mine unter der Stadtmauer. Aus Raumgründen können wir das, wie gesagt, nicht weiter ausführen, die Verifizierung ähnlichen Vorgehens bei allen weiteren der angeführten Beispiele ergibt sich aber ebenso leicht wie das Finden weiterer. Zu beachten ist, dass gerade der so beschriebene Teil der erweiterten und naturalisierten Metaphora continuata Achillinis einer Übertragung auf das Gemeinte widerstrebt. Dass etwas wie eine Mine im Herzen des Menschen vorhanden sei, das bei Zündung all seine Widerstände zusammenbrechen ließe, ginge noch an, aber, dass zu irgendeinem Zeitpunkt diese jemand heimlich angebracht hätte, macht außer im erweiterten Bilde keinen Sinn. Das zweckentfremdete Aufrufen der konventionellen Themen auf rein sprachlicher Ebene erfüllt hier also die Funktion, über die inhaltlichen Schwächen der gewählten Metapher hinwegzutäuschen. Ein weiteres Beispiel für das Übergewicht der Sprache bei der Entstehung barocker Gedichte.
Bei Paoli kann auch nicht alles aufgeführt werden, daher solle es genügen zu zeigen, dass er zur Beschreibung seines Hauptthemas, der „beltà“ ein konventionelles Programm Schritt für Schritt abarbeitet: Sie tritt „pomposamente“ (Z. 3) auf. Sie spiegelt sich vor allem im Auge des Betrachters („veggio“ Z. 3, „si vede“ Z. 8, „che mira“ Z. 13), dessen Bewunderung auf sonst keiner weiteren Handlung oder Eigenschaft ihrerseits beruht, als dass sie vorhanden ist bzw. erscheint („veggio mostrar“ Z. 3, „mover il piede [...] si vede“ Z. 6-8, „che mira ...“ Z. 13). Die Schönheit wird zunächst in einem konventionellen Überbietungsvergleich näher beschrieben (Z. 4: „ch’ogni beltade eccede“), mit der üblichen Prädikatierung („vaga e ridente“), dann folgt der mythologische Vergleich (Z. 5 - 8: „Così [...] la regina Proserpina“), der nicht in der vorliegenden Form, aber als typisches Element ebenfalls konventionell ist. Die literarische Tradition sieht die Schönheit in ihrer Trägerin oft mit Hochmut, Stolz und Grausamkeit verbunden, auch dieses konventionelle Nebenthema wird in der dritten Strophe aufgegriffen. Wenn man die bisherigen Teile des Gedichtes unter diesem Aspekt neu liest, fällt auf, dass auch dieses konventionelle Nebenthema schon mehrfach angeklungen ist. Vorbereitet durch „languente“ in der ersten Zeile, das in der Literatur sehr viel öfter die Sehnsucht des Liebenden als Hunger, Schwäche und Elend der Unterschicht beschreibt, ist die zweite Zeile nicht nur als Zeitangabe zu lesen (die als solche viel zu unkonkret, der also noch eine andere Funktion zukommen muss), sondern in ihr klingt zumindest auch das Haupt- und konventionell zugehörige Nebenthema an, mit „Sol“ also eine konventionelle Metapher der Schönheit bzw. der Trägerin der Schönheit, das also der schematischen Abarbeitung eines klassischen Programms ihrer Beschreibung ebenfalls zugerechnet werden kann, mit „men benigno“ deren Begleiterscheinung in Form der Unbarmherzigkeit und mit „fiede“, demselben in seiner Wirkung. Dieses Nebenthema klingt nochmals an in „ridente“ (Z. 5), das angesichts der Begleiterscheinungen („per le vie de la dannata gente“ Z. 7) auch so deutbar. Dieses Nebenthema wird dennoch bis zur dritten Strophe nur assoziativ aufgerufen, ist noch nicht offensichtlich. Auch der Vergleich des Gesichtes der Angebeteten mit dem Anblick des Paradieses (Z. 14) ist so unkonventionell nicht, ja es ist in gewisser Hinsicht der Gipfelpunkt schematischer Abarbeitung eines kompletten Programms konventioneller Beschreibungsmuster in einem Gedicht, insofern es eigentlich nicht möglich sein sollte, diesen Vergleich und das konventionelle Nebenthema des der Schönheit verbundenen grausamen Hochmuts in einem Gedicht zu vereinen, zumindest nicht ohne den Gegensatz ausdrücklich zu thematisieren.[28]
3.2. Neuartigkeit und Modernität
3.2.1. Stilmischung und Vermischung der Stilebenen
Man würde erwarten, dass in Zeiten, in denen sprachliche und stilistische Kriterien bei der Bewertung von Gedichten eine besonders große Rolle spielen - und natürlich gehört eine Dichtung, deren ein Hauptmerkmal die Überfunktion des Stils ist, zu einer solchen Zeit - besonders auf Stilreinheit geachtet würde. Es wurde bereits gezeigt, dass Paolis Gedicht einem solchen Ideal diametral entgegengesetzt gestaltet ist. Jede Einzelstrophe scheint nach vor allem sprachlich-stilistischen Kriterien einer gänzlich anderen Art Gedicht entnommen. Das steht nicht im Widerspruch zur Überfunktion des Stils, wie gezeigt wurde, dennoch braucht es eine andere Erklärung, warum sie sich gerade in dieser Form zeigte. Diese Erklärung findet sich in der Neuartigkeit, die im Barock gesucht wurde[29] und gerade durch Bruch mit den bisherigen Konventionen oder der verkehrten Verwendung z. B. ehemals inhaltlich gebundener Sprachstile erreicht wurde. Eben dadurch, dass Paoli vier Strophen, die gänzlich unterschiedlichen Gedichten traditioneller Form entnommen scheinen, zu einem Gedicht zusammenstellt, schafft er etwas vollkommen Neues und noch nie Dagewesenens. Ein knapper Hinweis mag genügen, zu zeigen, dass dieses Phänomen wenigstens in Einzelzügen auch bei Achillini existiert. Man kann die Verwendung des Lexems „aggiusta“ (Z. 4) sicher als Entlehnung aus dem Militärjargon werten, der klassischerweise sicher nichts in einem Liebesgedicht zu suchen hätte, andererseits wird die Stilebene auch überboten durch die Formulierung „eterno al danno“ (Z. 7), die dem religiösen Bereich entstammt. Während die Sprengung traditioneller Gattungsbegriffe also vor allem bei Paoli zu beobachten ist, finden sich bei Achillini konkrete Beispiele für die Vermischung verschiedener sprachlicher Niveaus, beides typische Erscheinungen der Barockdichtung,[30] die darin eins sind, dass sie gegen die konventionellen Regeln verstoßen, um etwas völlig Neues zu schaffen. Begleiterscheinung des Ganzen ist, dass der Barock sich zwar viele Gedanken um die Detailarbeit macht, aber keine oder kaum Konzepte für die Gestaltung größerer Gesamtheiten entwickelt.[31] Auch dies wird an dem Paoligedicht erkenntlich, bei dem der Zusammenhalt der Einzelstrophen schwach ausgeprägt ist, schon da sie in stilistischer Hinsicht, also auf dem dominanten Gebiet, ja bewusst unterschiedlich gestaltet sind. Die Sucht nach Neuartigem ist also ein weiteres barocktypisches Merkmal, das der Überfunktion des Stils einen bestimmten Weg weißt, zu dem hin sie sich zu entwickeln hat.
3.2.2. Die Überschriften: Neue Themen; Die ‚Objektdichtung’
Eine der naheliegendsten Möglichkeiten, die Sucht nach Neuartigem zu befriedigen, war natürlich die Suche nach neuen Themen.[32] Diese Möglichkeit konnte umso leichter genutzt werden, da ja die Überfunktion des Stils nicht eigentlich erforderte, den neuen Themen eine ihrem Inhalt entsprechende Darstellung zukommen zu lassen. Wenn man die Titel der beiden Gedichte betrachtet, tun dies der äußeren Form nach beide Autoren. Weder eine „mina“ noch ein „ospedale“ wären in den vorangegangenen Epochen als einer Würdigung in Form eines Sonetts, zumindest so sich dies einem gehobenen Sprachstils wie die vorliegenden bediente, für würdig befunden worden. Vielleicht sollte man bei „Dinanzi a un ospedale“ etwas vorsichtig sein, es wäre aber jedenfalls ein religiöses Gedicht mit einer klaren moralischen Botschaft geworden und ein solches liegt nicht vor. Im Falle Achillinis handelt es sich sogar um ein Exemplar der im Barock neu entstandenen Gattung der ‚Objektgedichte’: Typischerweise ein lebloser, besonders gern ein artifiziell hergestellter und möglichst trivialer Gegenstand, dem nach Möglichkeit noch kein Gedicht je gewidmet worden war, was in dieser Kategorie zumindest zu Beginn leicht zu bewerkstelligen war, wurde zum Thema eines Gedichts erhoben und gerade darin bewies sich die Kunstfertigkeit des Autors und sein Witz - sowie die Überfunktion des Stils -, dass ihm dennoch ein dem Zeitgeschmack nach kunstvolles Gedicht gelang.[33] Genau dies ist das Vorgehen Achillinis, wenn er formal eine Mine zum Gegenstand seines Gedichtes macht. Er bedient sich dabei einer der beiden Grundtypen, dem, in dem eine völlige Wende erreicht und ein anderer als der ursprüngliche Gegenstand als neues Hauptthema präsentiert wird. Kennzeichnend für diese Gattung wie für den italienischen Barock ist, dass das entsprechende Objekt als völlig wertneutral behandelt wird und nur den Ausgangspunkt der Sprachakrobatik bildet.[34] Auch darin ist das vorliegende Sonett ein Musterexemplar, da Achillini eben einerseits die negativen Seiten des Krieges, die jedem Gegenstand aus seinem Bereich mit anhaften, bewusst ausklammert und eben andererseits den Gegenstand zum Ausgangspunkt stilistischer Meisterstücke nimmt, den Gegenstand, dessen direkter Benennung er ja die ersten acht Zeilen, die seiner Beschreibung vor allem dienen, erfolgreich ausweicht, an deren Stelle er aber höchst kunstvolle Metaphern für ihn findet wie „muto foco“ (Z. 4) oder „incendioso e prigioniero inganno“ (Z. 6).
3.2.3. Die Erfindung und Bearbeitung von Sekundärcode
Die Tatsache, dass unsere beiden Autoren in vieler Hinsicht etwas völlig Neuartiges bieten wollen, ließe sich an vielem zeigen, hier soll noch ein Bereich betrachtet werden, der im Barock besonders interessiert, nämlich der der Sprache, genauer der des Sekundärcodes. Sowohl die Erfindung wie die Bearbeitung des vorhandenen Sekundärcodes sind barocktypisch und, da, wie schon festgestellt wurde, das Neue gesucht wird, barocktypischer als die unveränderte Verwendung des schon zur Verfügung stehenden oder gar die unmittelbare nur des Primärcodes.[35] Von unseren beiden Autoren ist hier Achillini der fleißigere. Die Mine ist weder durch ihre Beschaffenheit an sich noch durch bisherige Verwendung in diesem Sinne als Metapher für die Neigung des Menschen sich zu verlieben geeignet. Achillini muss sie - und mit ihr zugleich die ganze Kriegsthematik, zu der er dieses Bild ausweiten will - erst dem mit ihr Gemeinten gleichsetzen. Dieses Kunststück nötigt selbst dann Respekt ab, wenn man artifizielle Kunstfertigkeit nicht so hoch schätzt wie das italienische Barockpublikum, denn es muss angesichts der Grundanlage des Gedichtes im wesentlichen vollzogen sein, bevor ganz klar wird, dass es so gemeint ist. Die Gleichsetzung erfolgt schrittweise und vor allem mit Hilfe der Prädikatierung. Die Mine wie die Veranlagung dazu sich zu verlieben finden sich am gleichen Ort, insofern dieser geheim ist („nera e sconosciuta“ Z. 1 in Vorbereitung auf „più secreto“ Z. 9), werden von „una favilla“ ausgelöst (Z. 5 / Z. 12), führen zu Unterwerfung („tiranno“ Z. 2 als Prädikatierung hier zum „duce“, passender zu „Amor“ (Z. 14) = „amore“). Schon angesprochen und Hauptmittel der Gleichsetzung sind die im vorhandenen Sekundärcode schon bereitliegenden Metaphern aus dem Themenbereich des Feuers, die je für Elemente sowohl des Kriegsgeschehens wie auch der Liebesthematik verwandt werden können und damit auch für beides zugleich, es damit gleichsetzend. Da wäre der schon genannte „favilla“, der in Bezug auf die Mine jedoch noch wörtlich zu nehmen, „foco“ als Bild für die Mine bzw. ihre Explosion (Z. 4, Z. 13) ist so naheliegend wie ihre Verwendung für die Liebe (Z. 10, auch Z. 13) beinahe schon trivial, die Verwendung von „incendioso“ (Z. 6) hinwiederum ist fast schon genial, da damit tatsächlich der leicht in Liebe Entflammende und das Hochexplosive in einem Lexem vereint. Im Schlusssatz kann es Achillini dann wagen, alle so einbezogene Themenbereiche in einem Satz, einen Ereigniszusammenhang, zu vereinen, ohne dank des gut eingeführten neuen Sekundärcodes missverstanden werden zu können. Bei Paoli hingegen kann man höchstens von Bearbeitung des vorhandenen Sekundärcodes reden. Da das in Hinsicht auf das allgemeinere Phänomen der Sucht nach Neuartigem weniger interessant ist als die Erfindung eines neuen bei Achillini, soll hier nur auf die bereits geschilderte Verwendung des mythologischen Vergleichs in nicht naheliegender Form verwiesen werden. Es fand nun auch weitere Begründung, warum Paoli hier nicht auf Venus, Helena oder andere naheliegendere Gestalten des Mythos als Bild der Schönheit zurückgegriffen hat.
3.2.4. Das Verhältnis zur Tradition
Es wurde bereits gezeigt, dass Achillini mit der Tradition radikal brach, indem er eine Metapher, die ähnlich bei Petrarca nur eine untergeordnete Rolle spielte, zum Titelgegenstand seines Gedichtes machte, das auch ansonsten von ihr bzw. dem Themenbereich, zu dem sie in naturalisierter Form erweitert wurde, dominiert wurde. Wir wissen nun auch genauer, warum er das tat, er wollte etwas ganz Neues bieten, etwas, das eben nicht der Tradition, wie sie durch Petrarca repräsentiert wurde, entsprach. Gleicherweise wurde aber auch klar, dass sein Gedicht ohne die Kenntnis eben solcher traditioneller Gedichte kaum verständlich wäre. Ebensolches gilt für das Paoligedicht. Die dritte Strophe stände zu dem Übrigen in gar keiner erkennbaren Beziehung, würde nicht die Tradition Kaltherzigkeit und Unbarmherzigkeit sowie das Leiden des Liebenden mit einer donna als Besitzerin der Schönheit verbinden, der Text wäre als ganzes nicht mehr verständlich. Dies ist bezeichnend für den Barock, einerseits gibt er sich bewusst neuartig und modern, andererseits ist die Art, wie er das umsetzte, ohne Vorhandensein einer Tradition und ihrer Konventionen undenkbar.[36]
3.2.5. Modernität
Neuartigkeit und Modernität sind im Barock wichtige Schlagworte.[37] In vieler Hinsicht sind sie identisch. In zumindest einer Hinsicht kann Modernität aber auch an sich definiert werden, nämlich insofern ein hoher Grad an ‚Barockizität’ nachweisbar ist. Denn, was damals als modern verstanden wurde, ist nichts anderes als das, was aus der Rückperspektive als in hohem Maße barocktypisch erscheint. Das ist bzw. wäre nachweisbar in der hohen Konzentration an barocktypischen Merkmalen in diesen Gedichten. Allerdings nicht im Rahmen dieser Arbeit, es sei denn der Verweis auf die hohe Zahl der hier aufgeführten Beispiele der schon genannten und noch zu nennenden Epochenmerkmale genüge bzw. die Tatsache, dass die einmal beschriebenen Merkmale sich leicht noch an vielerlei anderen Beispielen innerhalb der beiden Gedichte wiederfinden lassen, auf die hier nicht eingegangen werden konnte. Ein kleiner Hinweis auf eine konkrete Hinwendung zur Moderne soll aber schon, weil er schön den Unterschied zur Renaissance charakterisiert, nicht fehlen. Mit der Mine als Metapher und Scheinthema seines Gedichts wendet sich Achillini sicher nicht zufällig einem der innovativsten Zweige der damaligen Militärtechnologie, der zugleich ohne Vorbild in der Antike war, zu.[38] Nun verwendet Petrarca mit „solfo et ésca“ (Z. 5) ein ähnliches Bild. Doch Petrarca verwendet zum einen - ganz im Gegensatz zu Achillini, wie wir sahen - dieses Bild, wegen der Tauglichkeit des Naturvorbilds zum Vergleich, und bindet es zum anderen durch den sofortigen Übergang zu traditionellen Metaphern („e ’l cor un foco“), mit denen die ‚neue’ inhaltlich und kausal verbunden, eng in die traditionelle Metaphernsprache ein. Das heißt, was bei Achillini bewusste Zuwendung zur Moderne ist, bleibt bei Petrarca auch in stilistischer Hinsicht funktionell untergeordnet, die Eingliederung eines vereinzelten zeitgenössischen Elements in die Tradition genügt gerade, sie mit dem Heute zu verbinden, ohne sie substantiell anzutasten.
3.3. Der nichtvorhandene Bezug zur Wirklichkeit
Kennzeichnend für die Barockdichtung ist weiterhin, dass sie kaum einen Bezug zur außersprachlichen Realität aufweist.[39] Das wird schon aus der Überfunktion des Stils deutlich, die der Ausdrucksebene der Texte viel höhere Bedeutung zumisst als der Inhaltsebene, über die aber der Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit geschehen müsste. Aber auch auf Ausdrucksebene gibt es eine bewusste Abkehr von der außersprachlichen Wirklichkeit. Das wurde bereits beim Vergleich der Metaphernverwendung gezeigt. Während Petrarca eine neue Metapher findet, indem er etwas wählt, dessen Naturvorbild zur Veranschaulichung des Gemeinten geeignet ist, benutzt Achillini eine ähnliche Metapher, die aber spätestens in ihrer Naturalisierung und der damit einhergehenden Einbettung in ein blutiges Kriegsgeschehen so nicht mehr besonders geeignet erscheint, einen Gegenstand wie den des innamoramento aus dem Themenbereich der Liebe zu veranschaulichen, was, wie gesagt, ja auch gar nicht beabsichtigt war. Er benutzt also bewusst ein Bild aus der Wirklichkeit, das er in seiner Naturgegebenheit nicht verwenden kann, dessen Verwendbarkeit er mit Hilfe rein sprachlicher Mittel wie der Doppeldeutigkeit von Metaphern wie „favilla“ oder „foco“ erst herstellen muss (vgl. o.). Die Untersuchung der Wirklichkeitsferne auch in den eingesetzten stilistischen Mitteln soll nicht ins Unendliche getrieben werden, aber der Hinweis sei noch gestattet, dass auch die Anbringung und Funktionsweise einer Mine nicht wirklich beschrieben wird, sondern man eine schon recht genauer Vorstellung davon mitbringen muss, um die komplexe, sachferne Metaphernsprache, mit der sie umschrieben werden, zu verstehen.
Was den eigentlichen Inhalt der beiden Gedichte angeht, so wurde bereits für das Achillinigedicht gezeigt, dass letztlich so wenig unmittelbar über den innamoramento gesagt wird, dass ein Gedichttypus aus der literarischen Tradition herangezogen werden muss, um überhaupt noch feststellen zu können, um was es in dem Sonett geht. Der eigentliche Gegenstand des Gedichtes bezieht sich also nicht auf eine Referenz in der außersprachlichen Realität, er ist einzig der literarischen Tradition entnommen. Das ließe sich umgekehrt auch darin zeigen, dass der Text keinerlei Elemente enthält, das zu Grunde liegende Geschehnis, an dem wortwörtlich verstanden der Autor selbst teilgenommen haben und emotional sogar stark beteiligt gewesen sein müsste, weswegen zum dritten nahe läge, darin den Anlass zur Verfassung des Gedichtes zu erblicken, in irgendwelchen Einzelheiten zu rekonstruieren. Doch führt dies zu weit, da dies so oder so noch zu geschehen hat, was Paoli anbelangt, der ein anderes Thema gewählt hat als das, das hier im Petrarcagedicht als traditionell bereits vorliegt. Sein Thema ist die Schönheit. Schönheit existiert in der realen Welt nur in Form konkreter und konkretisierbarer Trägerinnen. Aber weder die Besitzerin dieser Schönheit noch diese selbst werden anders als mit aus der Tradition entlehnten Attributen beschrieben. Alles, was auf eine reale Schönheit außerhalb der sprachlichen Welt - die doch mit irgendeiner Haar- oder Augenfarbe verbunden sein müsste, um nur ein Beispiel zu nennen - hinweisen könnte, wird bewusst gemieden. Zeit- und Ortsangaben, die in Wirklichkeit keine sind,[40] sind ein deutlicher Hinweis des Autors, dass er nur so tun will, als ob er sich auf eine zeitlich und örtlich bestimmtes Ereignis beziehen wolle, das heißt, er räumt - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch offen - ein, dass alles frei erfunden ist und es also keineswegs irgendeinen Bezug in der außersprachlichen Realität gibt.
Eine weitere Bezugsmöglichkeit bliebe noch, dass irgendeine Lehre aus dem Gesagten zu ziehen wäre oder dass in den Texten irgendeine höhere Wahrheit verkündet werden soll, was sich zwar nicht konkret doch mittelbar auf die außersprachliche Wirklichkeit bezöge. Doch ist es offensichtlich, dass weder die Darstellung eines innamoramento, deren Hauptreiz darin besteht, dass man erst im neunten Vers erfährt, das er der Inhalt des Gedichts ist, noch die Darstellung einer völlig abstrakten Schönheit mit Hilfe ihres Inhalts beraubter und an sich ungeeigneter sprachlicher Mittel etwas Derartiges enthält. Das ist nicht nur Kennzeichen dieser beiden Gedichte, sondern der Barockdichtung Italiens überhaupt.[41]
3.4. Das Ideal der finzione und der Schein literarischer Freiheit
3.4.1. Die Gabe freier Erfindung
Es wurde bereits deutlich, dass die Überfunktion des Stils ebenso wie die Entbindung von der außersprachlichen Wirklichkeit in einigen Hinsichten dem Dichter einen großen Freiraum schuf, es wurde weiterhin bereits deutlich, dass die Forderung nach Neuartigkeit und Modernität ihn auch dazu zwang ihn zu nützen. Die Begabung zur finzione, die Fähigkeit, frei zu erfinden, Begebenheiten, Bilder, Metaphern aus dem Nichts zu schaffen war entsprechend hochgeschätzt.[42] Achillini beweist auch sie in der Wahl seiner Metaphern, vor allem in der Mine selbst. Sie bietet sich nicht durch ihre Natur als Bild im Kontext des innamoramento an, insofern ist sie frei gewählt, sie ist auch nicht der Tradition entnommen, als Metapher also Produkt freier Erfindungskraft. Zugleich dominiert sie weite Teile des Gedichtes bzw. ist als scheinbarer Gegenstand des Gedichtes dessen Grundlage und die beruht also auf der Kraft freier Erfindung. In dem Paoligedicht findet sich vor allem das Element der Unglaubwürdigkeit, das der Forderung nach freier Erfindung entspricht. Die Forderung lautet dabei „saper ben mentire“,[43] das heißt es darf schon durchscheinen, dass alles frei erfunden ist und das ist sogar gut so, aber der Anspruch, dass es zumindest noch denkbar bleiben muss, ist darin als eine Forderung an den „Lügenden“ doch enthalten.[44] So ist es schon möglich, dass eine donna, einer Angehörigen der Oberschicht, der allein in einem ernstgemeinten Gedichten eine „beltà ch’ogni beltade eccede“ zu eigen sein kann, und ein „ospedale“ auch in der Realität zueinander finden, aber sehr unwahrscheinlich. Auch Achillini ist gut im Flunkern. Denn es ist, wie wir sahen, völlig unglaubwürdig, dass ihm[45] gewesen sei, als würde er oder zumindest sein Herz in die Luft gesprengt, da ja das innamoramento als offenbar nicht sehr tiefgehend dargestellt ist. Es ist ihm aber nur schwer nachzuweisen und gelingt nur bei gründlicher Analyse des Textes, dennoch ist bei bloß flüchtiger Lektüre des Textes schon klar, dass dieses mit so viel Aufwand beschriebene Ereignis nichtsdestotrotz dem Autor so viel nicht bedeutet haben kann, und sei es nur durch das verräterische Wörtchen „incendioso“ (Z. 6), das als „leicht entzündlich“ übersetzt werden kann, was auf das Herz des Autors angewandt, nichts anderes bedeuten kann, als dass seine innamoramenti selten von Dauer und Tiefe geprägt, also nie „eterno al danno“ (Z. 7) sind. Im Text ist „incendioso“ nur ein Attribut, das „inganno“ zur „mina“ macht, und „eterno al danno“ sind die Folgen ihrer Explosion, tatsächlich ‚verraten’ tut sich Achillini also nie, er ‚lügt’ also wirklich ‚gut’. Paoli gelingt es auch noch einmal, kühn zu lügen und damit einen neuen Bereich des Unglaubwürdigen anzureißen, den des Mirakulösen.[46] Die Behauptung „ben lieto mor ...“ ist nämlich mehr als dreist, wenn man bedenkt, dass der einzige Grund dafür der Anblick eines schönen weiblichen Angesichts sein soll (Z. 14). Das klingt gar nicht so unglaubwürdig, wenigstens nicht unglaubwürdiger als der Inhalt einer durchschnittlichen Heiligenvita, da dieser Part der Erzählung eines Wunders angeglichen, dem Muster plötzlicher Erlösung innerhalb eines durch die Sprache gegebenen (vgl. o.) religiösen Kontexts. Das kann hier nicht ausgeführt werden, doch man vergleiche, wie Katherina in der Leggenda veronese di Santa Caterina[47] der Königin trotz aller irdischer Schrecken jenseitige Heilsgewissheit zusichert. Dies sichert hier, der zwar nicht durch Heiligkeit doch durch Schönheit über alle anderen Menschen herausragenden Persönlichkeit ebenfalls das Privileg zu, dass man ihr wenigstens zubilligt, den Anschein solcher Heilsgewissheit vermitteln zu können.
3.4.2. Der Subjektivismus, die Freiheit und deren Ambivalenz
Die Freiheit zu lügen, die Möglichkeit, sich von allen denkbaren objektiven Gegebenheiten frei zu machen, die Freiheit, mit der literarischen Überlieferung nach Gutdünken umzugehen, wurde als „auf die Spitze getriebener künstlerischer Subjektivismus“ charakterisiert.[48] Vorzuziehen wäre in diesem Fall der Begriff der Freiheit, wie ihn Battistini verwendet, um das letztlich selbe Problem zu umschreiben, denn in ihm tritt die durchaus barocktypische Ambivalenz des Phänomens in Erscheinung. Denn der vermeintlichen Freiheit der Literatur bzw. dem Anschein, als wäre das Gedicht ausschließlich Produkt der uneingeschränkten Willkür des Autors stehen eine Reihe Ge- und Verbote gegenüber. Zunächst, wie Battistini richtig bemerkt, dass Verbot sich mit irgendwelchen Gegenständen der Politik, der Religion und der Moral ernsthaft auseinander zu setzen.[49] Wie gezeigt, geht das aber noch viel weiter, ihm entspricht quasi ein Verbot, in der Literatur überhaupt irgend einen ernsthaften Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit herzustellen. Dass aber auch innerhalb des sprachlich-stilistischen Bereichs selbst Zwänge - angefangen mit dem Zwang dazu, überkommene Regeln zu brechen, was einschließt, dass man von ihnen auszugehen habe - herrschen, bestätigt der Zeitgenosse Giambattista Marino, indem er sagt: „la vera regola [...] è saper rompere le regole a tempo e a luogo, accomandandosi al costume corrente ed al gusto del secolo“.[50] Es gibt also Regeln, Konventionen, eine Tradition, die man grundsätzlich zu wahren hat, andererseits muss man sie aber auch wieder durchbrechen, wann und wie das zu geschehen hat, diktiert aber nicht der Dichter sondern der barocke Zeitgeschmack. Dabei bleibt aber der Schein, dass das Gedicht vollkommen der Willkür des Autors entstamme, erhalten. Er ist es, der barocktypisch ist.
3.5. Extreme, Gegensätze und steter Wechsel
Ein ganzer Komplex an Kennzeichen der Barockdichtung ist eng miteinander verbunden, doch schwer auf einen Nenner zu bringen. Geeint wird er vor allem in dem Ziel, Erstaunen hervorrufen zu wollen.[51] Weil das ein noch weiteres Feld ist, soll es hier, in diesem Abschnitt eingeschränkt sein auf Dinge, deren Anführung den Leser beeindrucken sollen. Dabei ist wieder bezeichnend, dass sie zwar meist um ihrer beeidruckenden Wirkung in der Wirklichkeit - oder die sie in der Wirklichkeit hätten, wenn der Bereich des Wunderartigen und Verwandtes miteinbezogen sein soll - gewählt wurden, doch nur auf sprachlicher Ebene - etwa als Metapher - angeführt werden, ohne selbst gemeint zu sein. In diesen Bereich gehören: Alle außergewöhnlichen und extremen Erscheinungen, so unter anderem sehr auffällig bei den Naturbeschreibungen, bei denen im Barock nie gemäßigte Erscheinungen - das ist unter anderem sehr auffällig bei den Naturbeschreibungen, bei denen im Barock nie gemäßigte Erscheinungen angeführt werden, wie auch bei unseren beiden Autoren, deren einer, Achillini, ein Gewitter einfließen lässt (Z. 8: „tuona il ciel“, Z. 12: „il lampo“), deren anderer, Paoli, extreme Trockenheit anführt (Z. 2: „or, che ‘l Sol men benigno il terren fiede“)[52] -, Antithesen, die das Gedicht Paolis bestimmen, in dem der stilistischen Grundstruktur folgend ein steter Wechsel des in Gegensatz zur beltà Gesetzten geschieht,[53] die aber auch bei Achillini eine Rolle spielen, bei dem zum Beispiel der Gegensatz zwischen dem heimlichen Anbringen einer Mine und der Drastik und Offenkundigkeit ihrer Explosion das ganze Sonett durchzieht,[54] Gegensätze und Kontraste, die ja dadurch, dass sie eines vom anderen abheben, das eine wie das andere eindrucksvoller erscheinen lassen.[55] Unter letzteren natürlich besonders existenzielle Kontraste[56] wie bei Paoli, der sein Thema, die „beltà“, vor dem Hintergrund Elend (Titel, Z. 1), Hitze und Dürre (Z.2: „’l Sol [...] il terren fiede“). Verdammnis (Z. 7), Tod (Z. 12) und „mortale orrore“ (Z. 13) erscheinen lässt und damit besonders barocktypisch verfährt.[57] Beeindruckende Gegensätze sind atürlich besonders erstaunlich, wenn sie vereint werden, was insbesondere über die Metaphernsprache zu erreichen gesucht wurde,[58] so Achillini, der Zeile 12 - 13 mit Hilfe der Metaphern „favilla“ und „foco“ in einem Satz zugleich ein militärisches Ereignis wie den entscheidenden Moment eines innamoramento in einem beschreibt. Sie sind noch erstaunlicher, gelingt die Vereinigung in einem Paradox,[59] wie geschehen bei Paoli (Z. 12: „ben lieto mor“), aber auch bei Achillini z. B. in der Formulierung „prigioniero inganno“ (Z. 6), die einen Widerspruch an sich enthält, da in dem Wort „prigioniero“ die Bedeutungskomponente „unschädlich gemacht“ enthalten ist, während in „inganno“ die Bedeutungskomponente „höchst gefährlich“ enthalten ist, die durch Übertragung von „inganno“ als Bild auf den gemeinten Gegenstand der „mina“ nur noch deutlicher zu Tage tritt. Gegensätze und Bedeutungssteigerung können auch in Rivalität und Auseinandersetzung verdeutlicht werden, welche Elemente daher im Barock auch eine besondere Bedeutung erhalten.[60] Daraus erhellt sich, warum Achillini das innamoramento als eine Schlacht mit einem Sieger (Z. 14: „trionfatore in campo“) und notgedrungen dann auch einem Verlierer darstellt, was aber nicht grundsätzlich neu war, es sei denn in der Naturalisierung des Kampfgeschehens. Zum Erreichen von Extremen dienen natürlich auch alle entsprechenden Stilmittel[61] wie der Überbietungsvergleich[62] („beltà ch’ogni beltade eccede“, Z. 4 des Paoligedichts) oder die Hyperbel[63] („eterno al danno“, Z. 7 des Achillinigedichts). Ein weiteres Mittel zu beeindrucken ist die erstaunliche Zahl der nur durch sprachliche Mittel miteinbezogenen und angerissenen Themen und Objekte, was etwa durch Entfaltung der Metapher geschehen kann[64] oder in der Metapher als Abkürzung für sehr weite oder verschiedene Themenbereiche,[65] so bei Achillini die schon angesprochenen Metaphern „favilla“ und „foco“, die ihm gestatten, Elemente der Kriegs- wie Liebesthematik in einem zu behandeln, wobei ein dritter Themenbereich oder zumindest Metaphernkreis, der des Feuers, ja zudem gegeben bleibt.
Ein typisches Merkmal barocker Dichtung, das den genannten zumindest verwandt, ist die Meidung des Statischen.[66] Verwandt zumindest insofern der plötzliche Wandel von einem Zustand zu einem gänzlich anderen, wie überhaupt jede sehr heftige Bewegung gesucht wird. Das lässt sich auch bei Paoli finden,[67] besonders schön aber bei Achillini, der insgesamt kein Verb zum Prädikat nimmt, dass nicht eine Bewegung oder Handlung beschriebe, der den plötzlichen völligen Wandel sucht (so ausdrücklich gesagt in der Z. 7: „in un solo momento, eterno al danno“) und heftige Bewegungen (vgl. Zeile 8: „crepa il suol, tuona il ciel, vola la ròcca“). Interessant ist hierbei wieder der Vergleich mit dem Petrarcagedicht. Denn es stellt sich dabei heraus, dass in diesem Punkt der Barock sich in seinen Zielen selbst behindert. Denn das, was hier beeindrucken bzw. Erstaunen hervorrufen soll, benutzt doch das Beeindruckende bzw. Erstaunliche des Naturvorbildes, auf das aber nur rein sprachlich Bezug genommen wird. So ist das Bild, das Achillini in der genannten achten Zeile nicht wirklich auf die Folgen eines Kusses übertragbar, daher bleibt der Eindruck der durch das innamoramento hervorgerufenen Veränderung schwach im Vergleich zu dem Eindruck, den Petrarca vermittelt, indem er das innamoramento ‚verisimilmente’ [68] als nachhaltige Veränderung darstellt, die einen bleibenden Zustand hervorbrachte (Schlussstrophe). Kennzeichen des Barock ist also das rein sprachliche Aufrufen von beeindruckenden und Erstaunen erweckenden Dingen, dem, da es doch oft auf das Naturvorbild rekurriert, ohne es tatsächlich zu meinen, die Fähigkeit, solches zu leisten, doch oft in nicht unbedeutendem Maß fehlt.
3.6. Rätsel, Pointen, Trugschlüsse
Es fehlt in dieser Betrachtung ein ebenfalls noch weites Feld, das der Rätsel, Überraschungen, Pointen und Trugschlüsse.[69] Es ist in beiden Gedichten in vielfacher Weise vertreten. Wir werden uns darauf beschränken, es an Hand der pointenhaften Schlussverse beider Gedichte, die wir trotz ihrer Bedeutung zum Verständnis der gesamten Gedichte bislang noch wenig beachtet haben, darzustellen.
3.6.1. Die Schlusspointe Achillinis
Die Minenmetapher Achillinis wird nicht nur kontinuiert, sie wird auch naturalisiert und dadurch der Bereich des Angebots weiterer hybrider Metaphern erweitert, in dem sie von Beginn an in den Rahmen der Eroberung einer Burg (Z. 2: „muro“, Z. 8: „ròcca“) gestellt wird und dadurch auch der gegnerische Feldherr (Z. 2: „duce tiranno“) eingeführt ist. Das liefert dem Autor die Gelegenheit zu einer Schlusspointe, in der die bisher rätselhaften Andeutungen aus Zeile 2 („duce tiranno“) und Zeile 11 („per non esser d’un cieco e scherzo e gioco“) gelöst werden, indem der gegnerische Feldherr im Schlussvers als „trionfatore“, also als „siegreicher Feldherr“, benannt wird und einen Namen erhält. Es handelt sich um die Personifikation der Liebe, den Gott Amor. Diesem sind traditionell sowohl die Attribute „tyrannisch“ wie „blind“ angemessen. Das ist zunächst vor allem ein Rätsel, denn es ist von Anfang an klar, dass der „duce“ der Deutung bedarf, da das Attribut „tiranno“ zu einem beliebigen Feldherrn nicht recht passen will, da als tyrannisch nur gelten kann, wer bereits über etwas herrscht und es nicht erst erobern will, hinter dieser Attributierung also etwas verborgen sein muss. Der Reiz des Rätsels wird erhöht dadurch, dass seine Lösung mit der Offenbarung der Mine als Metapher zusammenhängt, was erst nach Nennung des „duce tiranno“ geschieht. Inwieweit der Schlussvers dabei nur das Rätsel löst und nicht auch das Element der Überraschung in ihm vorhanden ist, ist schwer zu sagen, da „tiranno“ und „cieco“ Hinweise sind, die dem zeitgenössischen kulturellen Wissen entnommen, und es somit nicht genau angegeben werden kann, wie eindeutig sie für das damalige Publikum, an das als Rezipienten zuerst gedacht war, tatsächlich waren. Immerhin findet es Achillini aber nötig, das Rätsel zu lösen, was im Barock nicht notwendig der Fall war.[70] Das Element der Überraschung ist aber jedenfalls vorhanden, insofern die beiden vorhergehenden Verse nicht zu diesem Ergebnis als logischen Schluss drängen. Man erwartet zwar gewiss die Vollendung des innamoramento, jedoch nicht in der Feststellung des Sieges Amors in der Schlacht. Die Bedeutung die dem Rätsel und damit dem Schlussvers zukommt, wird deutlich, wenn man in dem im wesentlichen narrativen Text Achillinis versucht, die histoire zu rekonstruieren. Denn dann gelangt man zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die histoire, die sich am vollständigsten rekonstruieren lässt, ist die, die den Feldherrn Amor zum Mittelpunkt hat. Nicht umsonst ist er Subjekt des ersten Satzes und Gegenstand des Schlussverses. Damit hängt das richtige Verständnis des gesamten Gedichtes vom Schlussvers ab, da Amor zwar nicht Gegenstand des Gedichtes, dieser Gegenstand aber im Rahmen einer histoire, deren Mittelpunkt Amor ist, dargestellt wird, der aber wiederum hinter rätselhaften Formulierungen verborgen bleibt, bis er eben im Schlussvers als Handelnder offenbart wird. In gewisser Hinsicht ist also das Gedicht in seiner Gesamtheit auf den so gearteten Schlussvers hin konzipiert. Diese Pointe wird bedingt durch die ebenfalls barocktypische Erscheinung der Trugschlüsse und Enthymema, wobei man im Barock bereit war, auch erstere unter letzteren einbeschlossen zu sehen.[71] Ein Trugschluss ist es, Amor als siegreichen Feldherrn zu sehen, da das beinhaltet, dass sich Liebe und Liebender in einem Verhältnis der Feindschaft befänden, was keinesfalls dem tatsächlichen logischen Verhältnis beider zueinander entspricht. Dieser Trugschluss beruht vor allem auf der Naturalisierung der Personifikation „Amor“ zu einer Person, die einen feindlichen Feldherrn darstellen kann, aber natürlich auch auf der Naturalisierung und Erweiterung der Minenmetapher zu einem kriegerischen Ereigniszusammenhang. Enthymema an sich sind Schlüsse, bei denen Zwischenglieder, auch Prämissen weggelassen wurden.[72] Sehr nützlich sind sie unter anderem, nicht gerade logische Schlüsse den Leser ziehen zu lassen, dem das Ergebnis seiner eigenen Denkanstrengung glaubhafter erscheinen muss, als wenn dieser Fehlschluss ihm ausformuliert vorgelegt würde. Zunächst liegt hier ein klassischer Fall eines Enthymemons vor, der Schritt von der Explosion einer Mine bis zur Niederlage in der Schlacht wurde um der Pointe Willen unter Auslassung der notwendigen Zwischenglieder, die zwar primär zeitlich aber auch kausal sind, verkürzt. Solche Enthymema galten schon in der Antike als statthaft, sind also nicht barocktypisch und sollen vor allem die Ermüdung des Lesers (bzw. Zuhörers) durch langatmige Ausführungen verhindern, eine Forderung, die in der Dichtung wohl zu allen Zeiten als legitim galt.[73] Barocktypischer ist es darin, dass mit ihm eine überraschende Schlusspointe gewonnen wird, da dadurch der Gedankengang vom unmittelbar Vorhergehenden verkürzt wird und der Inhalt vielleicht nicht an sich doch an dieser Stelle überraschend kommt. Vollends barocktypisch ist es, insofern der an sich schon logische Schluss hier verkürzt wird, um davon abzulenken, dass die Prämissen auf denen er beruht, in allem, nur nicht in der Sache gelegen sind, dass zwar kein eigentlicher Fehlschluss, doch aber immerhin ein Schluss auf Grund falscher Voraussetzungen um seiner Plausibilität willen dem Leser überlassen bleibt, genauso wie auch sämtliche Rückschlüsse bezüglich eines veränderten Verständnisses des vorangegangenen Textes.
3.6.2. Die Schlusspointe Paolis
Die Pointierung des Gedichtes im Schlussvers ist Paoli gleich in mehrfacher Hinsicht ebenfalls gelungen. Und zwar zum einen bezogen auf die letzte Strophe, deren religiöse Sprache und Todesthematik einen anderen Schluss erwarten ließen, als einen erneuten Preis irdischer Schönheit einer bestimmten Person, zum anderen, insofern zu diesem Zeitpunkt bis zu einem gewissen Grade Irritation darüber entstanden sein muss, was eigentlich Gegenstand des Gedichtes sei (s. o.), die ebenfalls - mit „bel volto“ - im Schlussvers gelöst wird, und zum dritten, insofern in ihm die überraschende Verkehrung der kalten und hochmütigen donna der dritten Strophe in ein Gleichnis des „paradiso aperto“ glückt. Der Schlussvers stellt also in dreifacher Hinsicht eine Pointe und Überraschung dar und zugleich den nicht mehr überbietbaren Vergleich zur Bebilderung der Schönheit, nicht mehr überbietbar, da er aus der religiösen Bereich stammt, und bildet damit auch inhaltlich den Höhepunkt des Gedichts. Es findet sich damit auch hier das Element des Rätselhaften, insofern zwischenzeitlich unklar wurde, was nun eigentlich Gegenstand des Gedichts sei, und des überraschenden. Die Schlusspointe beruht auf einem Trugschluss. Er basiert darauf, dass, was sonst als durchaus passendes Bild erscheinen würde, wörtlich genommen werden muss, dass die Vorstellung jemand „mira [...] in quel bel volto il paradiso aperto“ (Z. 13-14) mit „paradiso aperto“ als Vergleich durchaus nicht unglaubhaft erschiene, wenn derjenige aber nicht irgendjemand ist, sondern ein jemand, „chi qui di morte è or certo“ (Z. 12), muss es wörtlich verstanden werden, nämlich dass dies das Versprechen sei, mit dem Tod unmittelbar ins Paradies einzugehen, und nur dies rechtfertigte die Behauptung, dass er „ben lieto mor“ (Z. 11), wie es als Schluss aus dem Ganzen vorweggenommen.
3.6.3. Überraschung und Rätsel als Hauptziele der Barockdichtung
Dass der Leser zu überraschen und zu verblüffen sei, ist also eine wesentliche Aufgabe eines barocken, italienischen Gedichts. Dass zeigt sich insbesondere daran, dass beide Gedichte in einer überraschenden Schlusspointe enden. Dieser Schlussvers verleiht dabei bedeutenden Teilen der Gedichte erst Sinn oder neuen Sinn. Das Gleiche gilt für die Rätsel. Insbesondere bei Achillini wurde deutlich, dass sie die Gedichte in ihrer Gänze durchziehen, in der Schlusspointe gelöst werden und diese ihre Lösung wiederum bzw. in einem mit den Überraschungsmomenten wesentlichen Teilen des Gedichtes einen anderen Sinn verleihen, als sie zunächst gehabt zu haben scheinen. Das heißt, beides ist für die Gesamtheit des Gedichtes von zentraler Bedeutung. Rätsel, Überraschung und Pointierung sind also keineswegs nachrangige Kennzeichen der Barockdichtung, sondern höchst bedeutende Merkmale.[74] Ebenso ist es barocktypisch, dass ihre Verwirklichung von Scheinlogik und Trugschlüssen abhängt.[75]
3.7. Zusammenfassung des Gesagten unter dem Begriff der acutezza, der Begriff des concetto
Der Begriff des concetto meint in etwa den ‚geistreichen Einfall’ und umfasst nahezu alles, was hier bislang schon aufgeführt wurde und mit diesem Prädikat versehen werden könnte.[76] Der Begriff der acutezza oder argutezza - beide werden fast synonym verwendet wie auch ein weiterer zeitgenössischer Begriff, nämlich ingegno - meint die Fähigkeit eines Dichters, solche concetti zu finden, bzw. die Eigenschaft von Gedichten, solche concetti zu enthalten oder auf ihnen zu beruhen.[77] Acutezza beweist ein Dichter im virtuosen Umgang mit Sprache und Stilmitteln, indem er seinem Gedicht eine völlig neuartige Idee zugrundelegt, indem er ‚gut zu lügen weiß’, auf den ersten Blick glaubhafte Trugschlüsse nützt, um zu einem undenkbaren Ergebnis zu gelangen, indem er auf erstaunliche oder wunderartige[78] Einfälle kommt, indem er Extreme, Unvereinbares, vielfältig Verschiedenes und Unüberbietbares einzubauen weiß, indem er raffinierte Rätsel aufgibt und stets wieder zu überraschen vermag, indem er das Gedicht in einer Pointe enden lässt und so fort.[79] Wir können dies nicht alles erneut behandeln. Doch soll herausgestellt werden, dass es gerade solche concetti sind, aus denen der Reiz unserer beiden Gedichte für die Zeitgenossen bestand. Das eine concetto ist in beiden Fällen die Pointe im Schlussvers. Das andere bestimmt in beiden Fällen die Gesamtkonzeption. Bei Achillini ist es der Einfall, eine Mine zum Gegenstand eines Gedichts zu wählen und den Leser acht Zeilen lang darüber im Unklaren zu lassen, dass sie nur als Metapher des eigentlichen Gegenstands des Gedichtes gemeint ist. Bei Paoli besteht das dem Gesamten zu Grunde gelegte concetto darin, einen Gegenstand in vier Strophen zu beschreiben, die verschiedenen Gedichten gänzlich anderen Inhalts entnommen scheinen.
Etwas, das die Zeitgenossen von guten Gedichten ebenfalls erwarteten, auch wieder zu gutem Teil identisch mit acutezza einerseits ist, andererseits sich aber auch gutteils mit der Forderung nach Neuartigem überschneidet, war Kühnheit,[80] die zum dritten teilidentisch mit dem, was mit Subjektivismus oder Freiheit umschrieben werden kann. Den Versuch, ihn mit Textbelegen zu versehen, ersparen wir uns. Welche und wie viele der genannten Erscheinungen darin inbegriffen sind, dürfte ohnehin klar sein. Ebenso wie, dass auch dieser Begriff wie der Freiheit äußerst ambivalent ist, denn mit Kühnheit ist ja nichts anderes gemeint, als den zeitgenössischen Normen zu entsprechen, nicht, etwas wirklich Kühnes zu unternehmen.
3.8. Ausrichtung der durch acutezza geprägten Dichtung auf das Ziel der Unterhaltung
Es wurde bereits gezeigt, dass der Wert, der den Gedichten vom zeitgenössischen Publikum beigemessen wurde, sicher nicht in etwas außerhalb der Gedichte selbst Liegendem zu suchen ist, nicht in etwas, auf das sie sich in der außersprachlichen Realität bezögen, auch nicht in einer Botschaft oder einer höheren Wahrheit, die sie vermittelten, und ganz gewiss auch nicht in der Wahrung einer literarischen Tradition. Was es auch sei, was den Reiz dieser Gedichte für das zeitgenössische Publikum ausmachte, muss in den Texten und in den an ihnen schon festgestellten Hauptmerkmalen der damaligen Dichtung schon enthalten sein. Genannt wurden schon oder ergeben sich aus dem Gesagten folgende Punkte: Pracht und Wortprunk, artistisches Geschick im Umgang mit den sprachlichen und stilistischen Mitteln, Neuartiges und Modernes, glaubhafte Lügen, raffinierte Trugschlüsse, Märchenhaftes und Wunderartiges, Erstaunliches, Gigantisches und Extremes, nicht mehr Überbietbares und grenzenlose Vielfalt, Rätsel, Überraschungen und Pointen. Dies alles läuft auf eine einzige Erwartung hinaus, die nämlich, unterhalten zu werden, allerdings gut unterhalten zu werden auf einem hohen intellektuellen Niveau.[81] Denn, wie wir sahen, erforderte der Nachvollzug all dieser unterhaltsamen Dinge ebenso wie ihre Schaffung eine gründliche Beherrschung des kulturellen Wissens der Epoche wie auch das stete und teils eigenständige Mitdenken, den Einsatz des ingegno, auch von Seiten des Lesers.[82]
4. Schluss
Das Ziel der italienischen Brockdichtung ist es zu unterhalten, vielleicht muss man ihre Funktion aber nicht darauf einschränken. Immerhin wird ein Diskurs, also auch der literarische ebenfalls bestimmt durch seine Beziehungen zu anderen Diskursen. Und diese Beziehung besteht hier nicht zuletzt in der Forderung nach umfassender Bildung, die auch die trivialen Dinge dieser Welt umfasst - wie angeführt, muss man selbst über die Funktionsweise einer Mine grundsätzlich bescheid wissen -, als Voraussetzung dafür, an diesem ‚Unterhaltungsspiel’ teilnehmen zu können und zu dürfen. Es ist die Forderung, die durch jedes solches Gedicht aktualisiert und bestätigt wird. Und es ist eine Forderung, die sie von dem, was heute als bloße Unterhaltung auftritt, fundamental unterscheidet, der die Forderung mitzudenken und die Voraussetzung umfangreichen Wissens als fundamental entgegengesetzt gedacht wird. Darin, in der umfassenden Ergreifung der Welt im Wissen und zwar als Voraussetzung zur Teilnahme am literarischen Diskurs, zeigt sich, dass das Barockzeitalter nicht nur von dem der Aufklärung abgelöst wurde, sondern es auch hervorgebracht hat.
5. Verwendete Literatur
Primärtexte:
- A. Buck, K. Heitmann, W. Mettmann (Hsgg.), Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock, Frankfurt a. M. 1972.
- B. Croce (Hsg.), Lirici marinisti, Bari 1910.
- G. Marino, Lettere, hsg. v. M. Guglielmetti, Turin 1966.
- C. Muscetta, P. Rivalta (Hsgg.), Parnaso italiano. Crestomazia della poesia italiana dalle Origini al Novecento, Bd. 1, Poesia del Duecento e del Trecento, Turin 31956
- F. Petrarca, Canzoniere. Rerum vulgarium fragmenta, hsg. v. G. Contini, Alpignano 1974
Sekundärliteratur:
- S. Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, 21 Bd.e, Turin 1961 - 2002.
- A. Battistini, „La cultura del Barocco“, in: Storia della letteratura italiana, hsg. v. E. Malato, Bd. V, La fine del Cinquecento e il Seicento, Rom 1997, S. 464 - 501.
- H. Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964.
- G. Meggle (Hsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, Frankfurt a. M. 21993
[...]
[1] Zit. n. B. Croce (Hsg.), Lirici marinisti, Bari 1910.
[2] Zit. n. Croce aaO.
[3] H. Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 545.
[4] Friedrich aaO. S. 577. Auf die Art wie Bildebene und das innamoramento gleichgesetzt werden, wird unten noch einzugehen sein, s. S. 10.
[5] Betreffs der ersten beiden Strophen kann es kaum Zweifel geben, auf die Gleichsetzung wird, wie gesagt (s. vorige Anm.) zurückzukommen sein. Was die Schlussstrophe angeht, so bilden Z. 12 - 13 einen Satz, in dem nur ein Genitivattribut „d’un bacio“) nicht genauso gut oder besser auf das Bild der Zündung und Explosion einer Mine bezogen werden kann, im Schlussvers schließlich bezieht sich nur „Amor“ nicht unbedingt auf ein Kriegsgeschehen, aber auch das allein dann, wenn man nicht an die Personifikation, die hier als Feldherr auftritt, denkt, sondern an das mit dieser Personifikation ursprünglich Gemeinte, auf das hier erst bei übertragung aus der Bildebene Bezug zu nehmen ist, die also als eine der Kriegsthematik entnommene einzig vorhanden ist.
[6] Da Gedichte nicht im allgemeinen notgedrungen fiktiven Inhalts sein müssen, ist zunächst davon auszugehen, dass das, was dem Autor geschehen sein soll, zumindest auf fiktiver Ebene als tatsächlich geschehen präsentiert werden soll, außer er gibt direkte Hinweise darauf, dass es sich nicht so verhält, das ist hier aber nicht der Fall.
[7] Friedrich aaO. S. 68.
[8] Zur Gängigkeit des Motivs vgl.: Friedrich aaO. S. 35, 67 u. ö.
[9] Vgl. etwa die Zitate unter dem Stichwort „scaldare [7.]“ in: S. Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, Bd. XVII, Turin 1994, S. 759, oder unter dem Stichwort „ferita [6.]“ in: S. Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, Bd. V, Turin 1968, S. 826.
[10] Die enge Verbindung zwischen Thema und Stil setzt noch Tasso voraus, vgl. Friedrich aaO. S. 457.
[11] Als Synonyme für Schönheit kennt der Mythos zunächst zahllose andere Göttinnen und Sterbliche, sei es Venus, der Paris den Preis der Schönheit überreichte, sei es Helena, die er als die schönste der Sterblichen dafür erhielt, seien es die zahllosen Geliebten des Zeus und so fort.
[12] Hilfreich bei der Deutung ist die ansonsten nicht überragend sinnige Zeitangabe der Zeile 2, die hier neu interpretiert werden kann und damit die Interpretation dieses Abschnitts erleichtert. Die Verbindung wird dabei hergestellt über das Attribut „men benigno“, das auch der angebeteten Frau zukommt, und über das Prädikat „fiede“, dem die zugefügten „ferite“ aus Zeile 11 entsprechen. Die Sonne, klassische Metapher der strahlenden Schönheit, entspräche in dieser Neuinterpretation der zweiten Zeile dem Gegenstand des Gedichtes. Parallel ist die dritte Strophe als Schilderung der Schönheit (des „Sol“ aus Z. 2) in ihren Begleiterscheinungen („men benigno“ (Z. 3) / Z. 9 - 10) und ihren Folgen („fiede“ (Z. 2) / „ferite“ (Z. 11)) zu verstehen.
[13] Hilfreich bei der Deutung ist die ansonsten nicht überragend sinnige Zeitangabe der Zeile 2, die hier neu interpretiert werden kann und damit die Interpretation dieses Abschnitts erleichtert. Die Verbindung wird dabei hergestellt über das Attribut „men benigno“, das auch der angebeteten Frau zukommt, und über das Prädikat „fiede“, dem die zugefügten „ferite“ aus Zeile 11 entsprechen. Die Sonne, klassische Metapher der strahlenden Schönheit, entspräche in dieser Neuinterpretation der zweiten Zeile dem Gegenstand des Gedichtes. Parallel ist die dritte Strophe als Schilderung der Schönheit (des „Sol“ aus Z. 2) in ihren Begleiterscheinungen („men benigno“ (Z. 3) / Z. 9 - 10) und ihren Folgen („fiede“ (Z. 2) / „ferite“ (Z. 11)) zu verstehen.
[14] Persephone ist nicht zuletzt bekannt als Königin der Unterwelt. Dieser Aspekt wird hier zu Ungunsten anderer betont durch „reggia“ (Z. 6) und „regina“ (Z. 8).
[15] Die schon erwähnte Quasi-Vorwegnahme des Inhalts dieser Strophe in Zeile 2 ändert daran nichts, da sie ausdrücklich nur Angaben über Zeit und Wetter macht.
[16] Vgl. o. S. 4.
[17] Friedrich aaO. S. 89 ff.
[18] A. Battistini, La cultura del Barocco, in: Storia della letteratura italiana, hsg. v. E. Malato, Bd. V. La fine del Cinquecento e il Seicento, Rom 1997, S. 465.
[19] Zitiert nach Francesco Petrarca, Canzoniere. Rerum vulgarium fragmenta, hsg. v. Gianfranco Contini, Alpignano 1974, S. 149.
[20] Friedrich aaO. S. 558, 647 ff.; Battistini aaO. S. 479.
[21] Battistini aaO. S. 476.
[22] Friedrich aaO. S. 561, 647 ff.; Battistini aaO. S. 480, 497.
[23] Friedrich aaO. S. 561 ff.; Battistini aaO. S. 466, 479 f.
[24] Friedrich aaO. S. 540; Battistini aaO. S. 483 f.
[25] Friedrich aaO. S. 561; Battistini aaO. S. 497.
[26] Friedrich aaO. S. 559, 658.
[27] Friedrich aaO. S. 11 ff., 35 ff.
[28] Für die Konventionalität der genannten Beispiele vgl. Friedrich aaO. S. 35 ff., 228 ff., 467.
[29] Friedrich aaO. S. 620; Battistini aaO. S. 464 ff., 476 ff., 497 ff.
[30] Friedrich aaO. S. 546, S. 622 f.; Battistini aaO. S. 478.
[31] Friedrich aaO. S. 627; Battistini aaO. S. 466.
[32] Battistini aaO. S. 478.
[33] Friedrich aaO. S. 577 ff.
[34] Friedrich aaO. S. 577.
[35] Friedrich aaO. S. 541, 661 f.
[36] Friedrich aaO. S. 541; Battistini aaO. S. 484.
[37] Friedrich aaO. S. 620; Battistini aaO. S. 464 ff., 476 ff., 496 f.
[38] Das ist bedeutend, da das Vorbild der Antike auch im Barockzeitalter weiterhin eine Rolle spielte, auch wenn man sie nun nicht mehr erreichen, sondern übertreffen wollte. So sagt A. Tassoni († 1635) in seinen Pensieri diversi X, 14: „Nella melica furono eccellentissimi i greci e i latini; ma certo non furono più eccellenti de’ nostri“ (A. Buck, K. Heitmann, W. Mettmann (Hsgg.), Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock, Frankfurt a. M. 1972, S. 213), vgl. a. Friedrich aaO. S. 538 f.; Battistini aaO. S. 483 f.
[39] Friedrich aaO. S. 592, 621; Battistini aaO. S. 478 f.
[40] Die Erwähnung von „un ospedale“ im Titel ist bewusst unbestimmt, die Ortsangabe in Zeile 1 ist ganz offenbar keine, die Zeitangabe in Zeile 2 ist auch nur sehr unbestimmt, was sich vermeiden hätte lassen, also bewusst geschah. Eine unnötig und bewusst unpräzise Zeitangabe ist aber eine Zeitangabe, deren primäre Funktion nicht sein kann, die Zeit anzugeben, und die diese Funktion auch tatsächlich nicht erfüllt (Es wurde bereits gezeigt, dass ihr andere Funktionen zukommen), also keine wirkliche Zeitangabe.
[41] Friedrich aaO. S. 622.
[42] Friedrich aaO. S. 631 f.; Battistini aaO. S. 467, 497.
[43] Friedrich aaO. S. 634.
[44] Friedrich aaO. S. 622, 631 ff.; Battistini aaO. S. 468.
[45] Ich spreche hier nicht von der ‚1. Pers. Sg.’ oder einem homodiegetischen Erzähler, da sich das „saper ben mentire“ auf den Autor bezieht, hier also von den Zeitgenossen eine zumindest fiktive Identität beider angenommen werden musste, mehr ist beim „saper ben mentire“ nun auch wirklich nicht nötig.
[46] Friedrich aaO. S. 622; Battistini aaO. S. 468, 497.
[47] C. Muscetta, P. Rivalta (Hsgg.), Parnaso italiano. Crestomazia della poesia italiana dalle Origini al Novecento, Bd.1: Poesia del Duecento e del Trecento, Turin 31956, S. 263, Z. 135 ff.
[48] Friedrich aaO. S. 636.
[49] Battistini aaO. S. 477.
[50] G. Marino, Lettere, hsg. v. M. Guglielmetti, Turin 1966, S. 396.
[51] Friedrich aaO. S. 622, 648; Battistini aaO. S. 466 f., 479, 498.
[52] Friedrich aaO. S. 583 f. Ähnliches gilt für Katastrophen, tobende Elemente und verwandte Erscheinungen aller Art (Friedrich aaO. S. 584 ff.), zu denen die Explosion einer Mine (Z. 7 - 8, Z. 12 - 13), die vernichtende militärische Niederlage (Z. 14) und alles in Zeile 8 aufgeführte („crepa il suol, tuona il ciel, vola la ròcca“) bei Achillini wie die Dürregefahr (Z. 2) bei Paoli gerechnet werden können.
[53] Die Antithese ist schon gegeben im Verhältnis zwischen Titel „Dinanzi a un ospedale“ und eigentlichem Thema des Gedichts „la sua beltà ch’ogni beltade eccede“ (Z. 4). Das Verhältnis zwischen beidem ist antithetisch, da den Insassen eines „ospedale“ gewöhnlich alles andere als Schönheit zu eigen war. Erhalten bleibt im Folgenden vor allem die Antithese, nicht deren kontrastierenden Elemente. Zwar ist ein Element des Gegensatzpaars weiterhin stets die „beltà“ bzw. deren Besitzerin, doch wird innerhalb des Gedichtes bewusst Irritation darüber erzeugt, ob dies wirklich das Hauptthema des Gedichtes sei. Das, was in Antithese zur beltà steht wird stets gewechselt, wie sich in der dritten Strophe am deutlichsten zeigt, denn der zurückgewiesene Liebende in der 1. Pers. (genannt durch „le ferite del mio core“, Z. 11) hat mit der „turba languente“ vom Beginn (Z. 1) wenig zu tun, zumindest auf inhaltlicher Ebene. Die Äquivalenz zwischen den verschiedenen Elementen, die diesen Part der Antithese vertreten, wird durch das gemeinsame Schicksal zu leiden (Z. 1: „languente“, Z. 7: „dannata“, Z. 11: „ferite“, Z. 12: „chi qui di morte è or certo“ bzw. Z. 13: „mortale orrore“) und eben durch das Stehen in Antithese zur „beltà“ bzw. ihrer Trägerin hergestellt.
[54] Z. 1: „nera e sconosciuta“, Z. 4: „muto“ etc., Z. 8: „crepa il suol, tuona il ciel, vola la ròcca“, Z. 13: „publicossi il foco“. Wie viel Achillini an gerade dieser Antithese und der ihr verbundenen extremen Erscheinungen liegt, zeigt sich darin, dass gerade sie sich einer vollständigen Übertragbarkeit auf das Gemeinte entziehen. Denn weder ist die Veranlagung, sich zu verlieben, etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt heimlich angebracht wurde, noch ist es notwendig, dass es aller Welt offenkundig würde, wenn sich jemand verliebt hat.
[55] Friedrich aaO. S. 550 f., 567 f., 583 ff, 626, 662 ff.; Battistini aaO. S. 477 ff.
[56] Friedrich aaO. S. 567 f.; Battistini aaO. S. 480.
[57] Wie grundlegend der existentielle Kontrast für Paolis Sonett an sich ist, zeigt sich darin, dass dieser Kontrast bereits im Verhältnis von Titel („Dinanzi un ospedale“) und eigentlichem Gegenstand (Z. 4: „beltà, ch’ogni beltade eccede“) zum Tragen kommt. Auch Achillini spielt mit existentiellen Kontrasten, wie ebenfalls bereits im Verhältnis von Titel („La mina“) und eigentlichem Gegenstand (‚innamoramento’) zu Tage tritt. Es ist der Kontrast zwischen einem leblosen, künstlichen Gegenstand der äußeren Welt und einem Vorgang des inneren, psychischen Lebens eines natürlich gegebenen Geschöpfes und der der Themenbereichen Liebe und Krieg, der existentielle Gegensatz zwischen gegenseitiger absoluter Wertschätzung und dem Versuch einander zu unterwerfen oder gar zu vernichten.
[58] Friedrich aaO. S. 647 f.; Battistini aaO. S.480.
[59] Friedrich aaO. S. 567, 637; Battistini aaO. S. 498.
[60] Friedrich aaO. S. 664 f.
[61] Friedrich aaO. S. 662; Battistini aaO. S. 468, 479.
[62] Friedrich aaO. S. 662.
[63] Friedrich aaO. S. 662 ff.; Battistini aaO. S. 468, 479.
[64] Das kann hier aus Platzgründen nicht ausgeführt werden, doch genügt es in beiden Gedichten die Substantive, so nötig mit Attribut, isoliert zu betrachten, um einen Eindruck von der Vielfalt der angesprochenen Themen und Objekte zu erhalten.
[65] Friedrich aaO. S. 648; Battistini aaO. S. 480.
[66] Friedrich aaO. S. 587; Battistini aaO. S. 500.
[67] Man beachte nur den ständigen Wechsel des Betrachtungsstandpunkts: Z. 3: „veggio“, Z. 8: „si vede“, Z. 11: „nel mirar“ wobei „sie“ es ist, die schaut, Z. 13 - 14: „chi qui di morte è or certo [...] mira“.
[68] Vgl. Battistini aaO. S. 476.
[69] Friedrich aaO. S. 550 f., 554, 567, 626, 643 ff., 648, 661 f., 667 ff.; Battistini aaO. S. 497 f.
[70] Friedrich aaO. S. 554, 667; Battistini aaO. S. 497 f.
[71] Friedrich aaO. S. 644.
[72] Friedrich aaO. S. 644.
[73] Friedrich aaO. S. 644.
[74] Friedrich aaO. S. 552 f., 554, 622, 669 f.; Battistini aaO. S. 497 f.
[75] Friedrich aaO. S. 643 ff.
[76] Friedrich aaO. S. 637 ff.
[77] Friedrich aaO. S. 628 ff.; Battistini aaO. S. 496 ff.
[78] Zu diesen zählt Paolis Schlussstrophe, die der Erzählung eines Wunders in einer Heiligenvita angeglichen. Vgl. o. S. 13.
[79] Friedrich aaO. S. 628 ff.; Battistini aaO. S. 498.
[80] Friedrich aaO. S. 638, 653; Battistini aaO. S. 497.
[81] Friedrich aaO. S. 670 f.; Battistini aaO. S. 497 ff.
[82] Battistini aaO. S. 497 f. Battistinis weitergehenden Folgerungen, es handele sich um die Selbstbestätigung einer Kaste (den Hofkreisen) kann nur beschränkt gefolgt werden. In gewisser Weise handelt es sich vielleicht um die Selbstbestätigung einer intellektuellen Elite, doch ist keine absolute Grenze gesetzt, die irgendjemanden bei entsprechendem Eifer ausschlösse, so er überhaupt Zugang zur Schriftkultur hatte.
- Citar trabajo
- Rainer Weirauch (Autor), 2004, Die Hauptmerkmale der italienischen Barockdichtung anhand zweier Sonetten dieser Epoche und des Vergleichs mit einem dritten der vorhergehenden Zeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110829
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