In dieser Arbeit werfe ich einen kurzen Blick auf die Verwendung traditioneller Geschlechterrollen bzw. ihrer Verkehrung in den Filmen von Howard Hawks.
Wie geht Howard Hawks in seinen Komödien und Abenteuerfilmen mit den traditionellen Geschlechterrollen um?
„No role, just character“[1]
Ich beginne mit diesem Zitat Edward G. Robinsons, da es meines Erachtens direkt zum Kern der Fragestellung führt: Rolle oder Charakter – das heißt in wie weit trifft Hawks in seiner In- szenierung eine geschlechtsspezifische Unterscheidung?
Ich werde im Folgenden einen kurzen Blick auf die Verwendung traditioneller Geschlechter-rollen bzw. ihrer Verkehrung werfen, um mich dann aus diesem Blickwinkel noch einmal der Frage zu nähern.
THE BIG SLEEP (1946) war der zweite Film von Humphrey Bogart und Lauren Bacall unter der Regie von Hawks, sie hatten sich während TO HAVE AND HAVE NOT (1945) kennen und lieben gelernt und in beiden Filmen spürt der Zuschauer förmlich die spannungsgeladene, erotische Atmosphäre zwischen den beiden Darstellern. Bacall verkörpert als selbstbewusste, sexuell attraktive, emanzipierte Frau fast das Idealbild der hawks’schen Frau – in ihr ver-schmelzen die Aspekte des bad girl und des good girl zu der neuen Figur des ‚bad-good-girl’, „die ihren Platz in der Welt einnimmt“[2], die dem Mann ebenbürtig ist, „die zugleich Sex hat und für voll genommen wird[3] “. Die Rolle von Bogart als hartgesottener, zynischer, unkor-rumpierbarer, doch verletzlicher Privatdetektiv Phil Marlowe[4] zeigt ihn als einen jener ‚Pro-fessionals’, die stellvertretend für Hawks’ ‚Männerbild’ stehen: loyal, individualistisch, nicht-sesshaft, Beruf ist bei ihnen Berufung, sie besitzen Intellekt, Intuition, Instinkt, ihr höchstes Ziel und Gut: Freundschaft.
Eine interessante Wendung erfahren diese Rollentypen sobald wir das Feld der Komödie betreten und die von FrançoisTruffaut[5] 1954 getroffene Unterscheidung von Hawks Filmen in Komödien und Abenteuerfilmen[6] ist hier überaus wertvoll: In seinen Abenteuerfilmen wird die Handlung von Männern dominiert, in den Komödien haben die Frauen das Sagen[7].
Exemplarisch seien hier angeführt HIS GIRL FRIDAY (1940), BRINGING UP BABY (1938), I WAS A MALE WAR BRIDE (1949). In ersterem gewinnt Cary Grant[8] trickreich nicht nur seine beste Reporterin, sondern auch seine geschiedene Frau Rossalind Russel zurück – hier sind die geschlechtsspezifischen hawks’schen Stereotypen meines Erachtens eher in beiden ‚Genres’ angesiedelt, da Mann und Frau hier noch gleichberechtigt agieren[9]. Anders hingegen in BRINGING UP BABY, in dem Katharine Hepburn eindeutig die Zügel in der Hand behält und so den intellektuellen Paläontologen Cary Grant ‚sozialisiert’. Dieses ‚umgekehrte’ Rollenmodell unterstreicht Hawks einerseits durch die Besetzung von Katharine Hepburn, die etwas Sprödes, Kühles, Jungenhaftes ausstrahlt, andererseits inszeniert er den Rollentausch direkt in der Sequenz, wenn Cary Grant in den Morgenmantel von Susan Vance schlüpfen muss, da sie seine Kleidung in die Reinigung gegeben hat. Diese explizite Vertauschung der Rollen ist auch das Thema von I WAS A MALE WAR BRIDE, in dem wiederum Cary Grant in eine weibliche Armeeuniform schlüpfen muss, um seiner Frau in die USA folgen zu können. Es sind die Frauen, die hier – wie auch in Hawks’ anderen Komödien – für Veränderung sorgen, die Dinge vorantreiben, sie zu Ende bzw. zu einem Ziel führen.
Man kann in dieser doch relativ klaren Genre-Rollenunterscheidung den Ausdruck eines tra-ditionellen Werte- und Geschlechterverständnisses sehen, das seine Komik eben aus der Um-kehrung des Gegebenen, ‚Normalen’, der alltäglichen Welt bezieht. Dem widerspricht jedoch meines Erachtens das starke Frauenbild, wie es sich in THE BIG SLEEP zeigt, auch hier kann man argumentieren, dass es der Zeit bzw. dem film noir entsprach, solche Frauenbilder zu ‚produzieren’[10]. Von daher lohnt ein Blick auf Hawks’ Western, da dieses Genre traditionell eine Männerdomäne ist.
Sowohl in RED RIVER (1948), wie auch in RIO BRAVO (1959) finden sich beides Mal starke Frauenfiguren, die durchaus dem oben beschriebenen hawks’schen Ideal entsprechen: am Ende von RED RIVER droht Joanne Dru, Wayne und Clift zu erschießen, wenn sie nicht mit der Schlägerei aufhören, in RIO BRAVO[11] ist es ANGIE DICKINSON, die nicht nur tatkräftig Wayne aus einem Hinterhalt hilft, sondern auch nachts vor seiner Zimmertür wacht.
Also auch hier haben wir die selbstbewussten, emanzipierten und handelnden Frauen, die – ebenso wie die Männer – ihre „Fähigkeit zur aktiven Solidarität[12] “ unter Beweis stellen. „Hawks Universum ist das glückliche Utopia im Zeichen der Emanzipation aller, die voreinander verteidigt und untereinander verschafft wird.[13] “
Rolle oder Charakter – ich glaube Hawks ging es in seinen Filmen um die Charaktere, die ihn faszinierten bzw. die so waren wie er – Professionals, in all ihrem Tun und Handeln; das heißt nicht das seine Schauspieler und Schauspielerinnen geschlechtlos sind oder wirken, das Gegenteil ist der Fall, aber ihr Verhalten, ihre ‚Rolle’ lässt sich nicht unbedingt auf ein Geschlecht festlegen, eher provoziert die männliche Figur die weibliche Protagonistin zur Ausformulierung der eigenen Attribute und umgekehrt. Vielleicht war es Hawks Ziel, ein „Ablegen der Geschlechterrollen sowohl bei Männern als auch bei Frauen zur Schaffung einer einzigen, menschlichen Rolle[14] “ zu schaffen. Dann würde es auch nicht verwundern, warum so viele von Hawks Helden und Heldinnen sich gleichen[15] – man denke zum Beispiel die Figur, die von Grant in ONLY ANGELS HAVE WINGS (1939), von Bogart in TO HAVE AND HAVE NOT und von Wayne in RIO BRAVO verkörpert wird, oder an die oben genannten Filme mit Lauren Bacall und Angie Dickinson. Hawks verkörpert meiner Meinung nach einen Regisseur, der seinen Stil ganz in den Dienst der Geschichten stellt, die er erzählen möchte und diese wiederum stehen ganz im Zeichen seiner Figuren, Charaktere.
Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass die für seine Figuren so prägenden charakteristischen Merkmale alle einer mehr oder wenig männlich dominierten Welt entsprechen. Es bleibt also als Frage, ob die Frau in Hawks’ Universum nur existieren kann, wenn sie sich auf diesen männlichen Blick auf die Welt einlässt und ihn teilt und ob man bei einer so dominant männ-lichen Sichtweise nicht von einer latenten Furcht vor Frauen und den mit ihnen traditionell und kulturell verbunden Werten[16] sehen kann.
Diese Thematik spürt man unterschwellig in vielen Hawks’ Filmen, in seinen eigenen Worten: „Ich nenne das die Liebesgeschichte zwischen zwei Männern[17] “, seine geradlinigen, starken Frauen müssen sich in dieser Männerwelt erst beweisen, bevor sie den Männern ebenbürtig sein können und von ihnen akzeptiert werden.
Am stärksten findet sich dieser Gedanke in seinen letzten beiden Filme: EL DORADO (1967), in dem die „Virilität liebender Frauen“[18] den Helden nicht mehr den rechten Weg wei-sen kann, wie z.B. noch in RED RIVER; und RIO LOBO (1970), in dem die Protagonisten überhaupt keine Veränderung mehr erfahren, sondern erstarrt sind.
Verwendete Literatur:
Blumenberg, Hans C.; Howard Hawks, Die Kamera auf Augenhöhe. Begegnungen mit Howard Hawks; Köln 1979
Hembus, Joe; Das Westernlexikon; München 1995
Krutnik, Frank; In a Lonely Street – Film Noir, Genre, Masculinity; New York
Robinson, Edward G. (with Leonard Spigelgass); All My Yesterdays, New York 1975
Truffaut, François; Die Filme meines Lebens; Frankfurt 1997
Vossen, Ursula; Howard Hawks in: Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien; Hrsg.: Thomas Koebner; Stuttgart 1999
Wise, Naomi; The Hawksian Woman in: Filmkritik Nr. 197/8 Mai/Juni 1973
Wood, Robin; Howard Hawks, London 1968,
Hembus, Joe; Das Westernlexikon; München 1995
[...]
[1] Edward G. Robinson (with Leonard Spigelgass); All My Yesterdays, New York 1975, S. 178. Robinson zu den Dreharbeiten an BARABRY COAST (1935) von Howard Hawks.
[2] Howard Hawks in: Hans C. Blumenberg; Die Kamera auf Augenhöhe. Begegnungen mit Howard Hawks; Köln 1979; S. 66.
[3] Naomi Wise; The Hawksian Woman in: Filmkritik Nr. 197/8 Mai/Juni 1973, S. 256; hier zitiert nach: Blumenberg, a.a.O.; S. 65.
[4] Interessanterweise veränderte Hawks die Romanvorlage und baute zahlreiche Flirts Bogarts mit anderen Frauen ein (so z.B. die Taxifahrerin, die Buchhändlerin), dadurch wird einerseits Bogarts Figur sexuell attraktiver gemacht, andererseits entsprechen die hier dargestellten alle dem hawks’schen Frauentyp, der selbstbestimmten, eigenständigen Frau.
[5] François Truffaut; Die Filme meines Lebens; Frankfurt 1997; S. 110. Truffaut traf diese Unterscheidung anlässlich des gerade erschienenen GENTLEMAN PREFER BLONDES (1953).
[6] Rein rechnerisch ergeben sich so 10 Komödien und 35 Abenteuerfilme (darunter dann so verschiedene Genres wie der Western, der Gangsterfilm, der Kriegsfilm, der film noir). Zu dieser Unterscheidung passt auch, dass Hawks selbst vorgab, zunächst aus jedem Film, dem man ihm anbot, eine Komödie zu machen. Vgl. dazu: Interview von Jacques Becker, Jacques Rivette und François Truffaut; 1955; hier nach Blumenberg; a.a.O.; S. 104
[7] Vgl.: Ursula Vossen; Howard Hawks in: Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien; Hrsg.: Thomas Koebner; Stuttgart 1999, S. 293 ff..
[8] Der mit keinem anderem Regisseur so oft arbeitete wie mit Hawks.
[9] Es war Hawks’ Einfall bei diesem Remake [THE FRONT PAGE, Lewis Milestone, 1931], aus dem Reporter eine Frau zu machen, Wilder änderte das in seinem Remake [THE FRONT PAGE,1974] dann wieder.
[10] Der film noir reagierte auf die Paranoia seiner Zeit und die dieser inhärenten Verschiebung des Geschlechterverhältnisses innerhalb des patriarchalen Diskurses. Nach dem Kriegseintritt Amerikas stieg ihr Anteil am Arbeitsmarkt um 57% auf 36% des Gesamtarbeitsmarktes; diese veränderten Realitäten spiegelten sich sowohl im Rollen- und Familienverständnis, in sexueller Freiheit, als auch im kulturellen Bereich. Die hier genannten Zahlen nach Frank Krutnik; In a Lonely Street – Film Noir, Genre, Masculinity; New York 1991; S. 57
[11] Robin Wood sieht in RIO BRAVO den ‚ganzen’ Hawks. Vgl.: Robin Wood; Howard Hawks, London 1968, S. 35
[12] Georg Seeslen; in: Romantik und Gewalt; hier zitiert nach: Joe Hembus; Das Westernlexikon; München 1995; S. 516.
[13] Joe Hembus; a.a.O.; ebd.
[14] Naomi Wise, a.a.O., S. 258.
[15] Und warum er Regie-Einfälle, Dialoge, ja sogar ganze Plots wiederholt.
[16] In der westlichen kulturellen Tradition wird der Übergang von Natur zu Kultur ontologisch in die Subjekte selbst verlagert, dabei wird die Frau mit der Natur, der Mann mit der Kultur gleichgesetzt. Daraus werden die geschlechtsspezifischen Zuordnungen passiv, emotional, innen weiblich, im Gegensatz zu aktiv, rational, außen, männlich als naturgegeben abgeleitet.
[17] Blumenberg, a.a.O., S. 70.
[18] Joe Hembus, a.a.O.; S. 188.
- Quote paper
- Johannes F. Sievert (Author), Gerhard Midding (Author), 2004, Das Kino des Howard Hawks - die Geschlechterrrollen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110650
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