Inhaltsverzeichnis
A. Theoretische Vorarbeit
1. Einleitung & Vorüberlegungen
2. Die „Culture of Antimilitarism in Germany“ nach Thomas Berger
3. Untersuchungsansatz: Populärkultur / Kinofilm
B. Vergleichende Auswertung des Materials
4. Die TOP 10 der USA und Deutschlands ab 1990
5. Momentaufnahme: Die Wochengewinner dieses Jahres (2002)
6. Die erfolgreichsten Kinoproduktionen der USA und Deutschlands seit 1980
7. Einzelfalluntersuchung: Die je drei erfolgreichsten „Eigenproduktionen“
Deutschlands und der USA, in denen politische Akteure bzw. Konflikte eine maßgebliche Rolle spielen
C. Fazit
8. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
9. Weitergehende Überlegungen: Populärkultur als „Kommunikationsraum auch politischer Kultur?“
A. Theoretische Vorarbeit
Einleitung & Vorüberlegungen
Während eines Amerikaaufenthaltes stieß ich in verschiedenen Buchhandlungen auf ein kleines aber offenbar recht erfolgreiches Büchlein „What Everyone Should Know About The 20th Century – 200 Events That Shaped the World“ (Adams Media Corporation, Holbrook).
Unter diese 200 weltbewegenden Ereignissen zählten die Autoren jedoch nicht nur Kriegserklärungen, technologische Erfindungen oder Revolutionen – sondern auch etwa die Veröffentlichung erfolgreicher Bücher (etwa Sartres „Sein oder Nichtsein“, 1943 oder Ralph Naders „Unsafe at any Speed“ (1965), mit dem die Verbraucherschutzbewegung entstand) oder gar Radiosendungen (Krieg der Welten, 1938), die Eröffnung der Hollywoodstudios (1907) oder auch der Berliner Dreigroschenoper (1928).
Aufgenommen ist auch der japanische Film Rashomon von 1951 und die Beschreibung dieses Ereignisses eröffnet mit:
„In it’s fifty-plus-year history up to the early 1950s, film had emerged as a political and entertainment medium that not only interpreted the century to itself, but often served to shape its attitudes, beliefs, and mores.“
Populärkultur als auch politisches Medium hoher Wirksamkeit – in den meisten politikwissenschaftlichen Diskussionen, die ich bisher erleben durfte, würde man mit einer solchen These bisher eher Verwunderung, wenn nicht Heiterkeit auslösen.
Aber gerade wenn wir einmal von einem ganz „realistischen“ Standpunkt aus dem Thema nähern, müssen wir uns fragen: Wenn Bücher, Filme, Populärkultur nur politische Nicht- oder Marginalereignisse darstellen, warum hat dann praktisch jedes autoritäre Regime sehr bald begonnen, Künstler, Regisseure und Schriftsteller strikter Kontrolle oder gar Verfolgung auszusetzen – und sei es um den Preis von schweren Reputationsverlusten im In- und Ausland?
Man denke hier etwa an die Türkei, die im Inneren und Äußeren große Anstrengungen unternimmt, um als „demokratisch“, „modern“ und „westlich“ anerkannt zu werden; und doch „das Gefängnis zur Schule der Gegenwartsliteratur“ gemacht hat, die praktisch jeder erfolgreiche Autor durchlaufen müsse, wie der türkische Erfolgsliterat Yasar Kemal (Memed, mein Falke) im Verlags-Interview freimütig bekennt?[1]
Mit dem Ansätzen rund um die „politischen Kultur“ und des „sozietalen Konstruktivismus“ ergeben sich nun womöglich Wege, diese „Phänomene“ sinnvoll politikwissenschaftlich zu erschließen, einzuordnen und eine Brücke zu bauen zwischen wissenschaftlich-akademischen Theorien und den konkreten „Sozialisierungserfahrungen“ der Alltagskultur.
Dabei gilt es von Anfang an jener Kritik zu begegnen, die Thomas Berger in seinem Buch „Cultures of Antimilitarism – National Security in Germany and Japan“ wie folgt umschrieb:
„For one, the term culture is extraordinarily broad and has been used in many different ways. For another, it is exceedingly difficult to identify all the elements that go to make up the culture of a given group or society. By definition, the analyst is forced to abstract from the multitude of elements available those germane to the argument, and thus is left open to accusations of prejudice and whim.”[2]
Ich werde im folgenden also ganz konkret eine These der politischen Kultur, gewonnen aus der Arbeit Bergers, an einem konkreten Segment der Populärkultur, dem Film, erproben. Ich werde –im Sinne des Seminars- fragen: Können wir tatsächlich Unterschiede der „politischen Kulturen“ der USA und Deutschlands auch an empirischen Daten der Populärkultur nachvollziehbar festmachen?
Oder, anders gefragt: Wenn die Deutschen im Vergleich zu den U.S.-Amerikanern tatsächlich eine „Kultur des Antimilitarismus“ pflegen – müsste sich dies nicht auch nachprüfbar niederschlagen in der Auswahl an Kinofilmen, die sie anschauen bzw. die sie produzieren?
Um sich dieser Frage möglichst präzise zu stellen, gilt es, sich das Handwerkszeug hierzu in „theoretischer Vorarbeit“ zu schmieden...
2. Die „Culture of Antimilitarism in Germany“ nach Thomas Berger
Berger untersucht die politisch-militärischen Kulturen Deutschlands und Japan in der Nachkriegszeit und präsentiert folgende These:
„In one crucial respect, however, Germany and Japan differ sharply from other great powers: Among comparable advanced industrial nations they stand out for their extraordinary reluctance to become actively involved in international military security affairs. While it would be inaccurate to describe either nation as pacifist, the German and Japanese approaches to national security can be fairly called antimilitaristic.”[3]
Den Begriff der (politischen) Kultur definiert Berger dabei wie folgt:
„The term culture, as used in the social sciences, refers to the ideas, beliefs, and values that are held by a specific group and transmitted from one generation to the next through mechanisms of socialization. Political scientists have used the concept of “political culture” to refer to that subsets of beliefs and values of a society that relate to the political system.”[4]
Geprägt wird diese politische Kultur durch verschiedene Gruppen:
„Various groups participate in the process of interpretation and reinterpretation of events in a particular culture, guided by a combination of self-interest and ideology. Through their participation in the political process, however, each group comes under pressure to accommodate itself to the overall constellation of forces dominating the political arena.”[5]
Im Verlaufe des Buches arbeitet Berger mit einem “Set” von Akteuren, die die politische Kultur prägen[6]:
1. Public Opinion, dargestellt durch die Ergebnisse von Meinungsumfragen
2. Elite Opinion, wozu etwa Zeitungen, Universitäten, Kirchen, Friedensgruppen u.ä. gezählt werden
3. Political Parties
Aber liest man das Buch genau, so findet sich eine Stelle, die weitere Akteure nennt – und die ich (ganz in der Interpretationskultur süddeutscher Bibelexegese J) als „Einstiegsvers“ der Untersuchung heranziehen möchte:
„Once the main participants in the political system have accepted the legitimacy of such compromises, it becomes increasingly difficult to challenge the policies born out of the political bargaining process. With time, these policies gain in stability, especially when a new generation of political leaders comes to the fore who did not take part in the original policy-making process and hence is less aware of their negotiated nature. For the new generation the legitimacy of these policy outcomes is taken for granted. Over time such experiences and interpretations of reality accumulate. They are sedimented in overlapping layers to form a more or less stable political culture, one that typically is reinforced by the agents of secondary socialization such as schools, the media and literature.”[7]
3. Untersuchungsansatz: Populärkultur / Kinofilm als Träger sozialer Normen
Es fällt also nicht schwer, auch das Kino im Dreiklang “Schulen, Medien und Literatur” unterzubringen. Insbesondere im Hinblick auf die jüngere Generation wird nicht zu leugnen sein, dass erfolgreiche Kinohelden starke Impulsgeber für die Konstruktion dessen abgeben dürften, was als „richtig, heldenhaft, angemessen“ vermittelt wird – zumal erfolgreiche Kinoprodukte meist mehrfach ins Fernsehen eingehen und Adaptionen (wie Trickfilm- und Comicreihen, Computerspielen, Bücher usw.) und entsprechend direkt wie indirekt „inspirierte“ Nachfolgetitel hervorbringen.
Warum aber sollten/wollten etwa die Produzenten von Kinofilmen sich als „Agenten sekundärer Sozialisation“ hergeben, in deren Erzeugnissen sich „Ablagerungen / Sedimente“ der politischen Kultur finden ließen?
Nun, die Gesetze des Medienmarktes orientieren sich –wie andere Märkte auch- an Angebot und Nachfrage. Kinofilme sind Produkte, die „Kundenerwartungen“ erfüllen müssen – sonst bleiben sie Ladenhüter bzw. Kassenflops.
Moderne Großproduktionen werden daher in Testvorführungen und Previews getestet, Drehbücher und Rollen so „zugeschnitten“, dass sie möglichst große Zielgruppen erreichen. So orientierte sich die monumentale Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“ (1954) so nah wie möglich an der Romanvorlage – doch wurde die Rolle der Elbin Arwen auf Geheiß von Regisseur Peter Jackson „originalwidrig“ stark aufgewertet, um auch eine weibliche Identifikationsfigur anzubieten.[8]
Auch der ursprüngliche Erfolg dieses Buches lässt sich übrigens –nach Meinung des CINEMA-Redakteurs- eben durchaus mit den auch politischen (!) Erwartungen einer Generation erklären (kursive Heraushebungen von mir):
„So viel Aufsehen das Erscheinen dieses sagenhaften Romans damals auch erregt haben mag, den Boom löste ein US-Verlag 1966 aus, als er die drei Bände erstmals als preisgünstige Paperback-Ausgabe in großer Auflage an den Markt brachte. Millionen junger Menschen hatten damit begonnen, eine Gegenkultur zu entwickeln, und ganz besonders in Studentenkreisen schlug die Trilogie ein wie eine Bombe. Losungen wie „Lang lebe Frodo“ und „Gandalf for President“ zierten die Schwarzen Bretter der Universitäten. Protagonisten der Popkultur, Gruppen wie die Beatles, Rolling Stones, Pink Floyd oder Genesis griffen Motive aus Tolkiens Werken auf... Dass das Buch schließlich sogar zur Bibel der Hippie-Generation wurde und eine Fantasy-Lawine lostrat, liegt daran, dass der Vietnam-Krieg und die brutalen politischen Konflikte in dessen Gefolge eine Sehnsucht nach intakten Fantasiewelten auslöste. Ihr Eskapismus, die Flucht aus der Realität, wurde zudem dadurch gefördert, dass die Hobbits im Prinzip nur widerwillig zu Heroen werden, da ihnen jede Form von Machtgelüsten fremd ist. Die sich verweigernden Helden wurden genau deshalb zu den strahlenden Identifikationspunkten, welche die friedliebende „Love & Peace“-Bewegung dringend brauchte.“[9]
Einen sehr direkten Zusammenhang zwischen politischer Kultur und Publikumserfolg stellte auch der Redakteur der MovieNews in der Ausgabe vom 11.02.2002 in einem Vergleich der USA und Indien her:
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Montag 11.02.2002
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In Indien floppen Kriegsfilme
Rendezvous am Valentins Tag
Happy Birthday
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MovieNews ( www.kino.de ) vom 11.02.2002 Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aktuelle News aus dem Filmbusiness
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Sunny Deol überzeugte in ' Salute to Motherland ' seine Kritiker nicht.
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In Indien floppen Kriegsfilme
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Nach dem Anschlag im Dezember auf das indische Parlament durch einen pakistanischen Attentäter, sind gewaltverherrlichende Kriegsfilme wieder ein Thema bei den dortigen Filmemachern. Während in den USA ein wahrer Run auf dieses Genre besteht, sind in Indien solche Filme Kassengift. Nahezu alle Big-Budget-Produktionen mit kriegerischem und starkem patriotischem Hintergrund sind gefloppt. Einer von ihnen war ' Salute to Motherland '. Trotz des beliebten indischen Leinwandhelden Sunny Deol wurde das Werk von den Kritikern verrissen: "Der Film wird lediglich denen gefallen, die glauben, mit Bomben wären unsere Probleme mit Pakistan zu lösen. Oder sie mit hirnlosen, vor Patriotismus strotzenden Filmen, zu Tode zu langweilen." Ein Langmut, der den Friedenswillen der Inder aufzeigt - und der sich hoffentlich bewahrheiten wird...
Es lässt sich also festhalten: gar nicht unähnlich etwa zu politischen Parteien machen Produzenten von Populärkultur öffentliche Angebote, die insgesamt umso mehr Erfolg finden, umso eher sie den („politischen“ wie „unpolitischen“) Erwartungen möglichst vieler Kunden (Wähler) entsprechen, diese aber umgekehrt auch wieder prägen. Auch hoher Werbemittel- und Stareinsatz kann einer Partei bzw. einem Produzenten von Populärkultur alleine nicht den Wahl- bzw. Kundenerfolg sichern (wie im Falle der genannten, indischen Big-Budget-Flops), wenn das angebotene „Produkt“ den Erwartungen der Menschen nicht entspricht – umgekehrt können unbefriedigt gebliebene Erwartungen Nischenprodukte und –anbieter zu großer Nachfrage und Überraschungserfolgen verhelfen.
„Soziale Normen“ aber werden im Bereich der konstruktivistischen Politiktheorie ja eben definiert als: wertegestützte, intersubjektiv geteilte Erwartungen angemessenen Verhaltens.[10]
Nach Berger haben wir es in Deutschland mit einer „antimilitaristic Culture“ zu tun, die sich –wie erwähnt- von der anderer Nationen –wie der U.S.A- signifikant unterscheide.
Demnach müsste die Norm „Politische Konflikte können nicht mit militärischer Gewalt gelöst werden“ deutschen Erwartungen deutlich eher entsprechen als U.S.-amerikanischen – in den Vereinigten Staaten müssten wir deutlich stärker auf die Norm treffen „Politische Konflikte können mit militärischer Gewalt gelöst werden.“
Um die „Stärke“ sozialer Norm zu messen und jeden Anschein von Willkür (whim) bei der Auswahl der Filme zu vermeiden, werden die Faktoren Kommunalität und Spezifizität die vergleichende Auswertung des Datenmaterials bestimmen:
Die Kommunalität ist per Definition dann gegeben, wenn „eine gewisse Menge der Einheiten eines sozialen Systems die wertgestützte Verhaltenserwartung teilen“.[11]
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Auf das Segment der Populärkultur angewandt: es werden uns nur jene Kinofilme interessieren, die auf großes Publikumsinteresse gestoßen sind – also den Erwartungen breiter Segmente der Gesellschaft so entsprochen haben, dass diese bereit waren, dafür das Haus zu verlassen und Zeit und Geld aufzuwenden. Für die Zwecke dieser Untersuchung eignen sich also die Charts der erfolgreichsten Kinofilme nach Besucherzahl (der geltende Modus der Messung in Deutschland) bzw. Einspielergebnis (der geltende Modus der Messung in den USA).
Die Spezifizität verlangt per Definition nach einer „klaren“, also rollen- und situationsbezogenen Aussage.
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Daher werden Filme, in denen politisch-militärische Akteure und Konflikte eine direkte Rolle spielen für die Untersuchung maßgeblich sein.
B. Vergleichende Auswertung des Materials
In den USA werden die Einspielergebnisse der Kinofilme bereits seit Mitte der 70er Jahre erfasst und veröffentlicht – die wohl umfangreichste, öffentlich zugängliche Sammlung hierfür bietet die „Internet Movie Database“ (www.imdb.com), die auch Hersteller- und Inhaltsangaben der Filme umfasst.
In Deutschland wurden die Erfolge westdeutscher Produktionen erst mit Beginn der 80er notiert, davor dominieren wenig konkrete Schätzungen. Erst ab 1990 beginnt die Firma media control in Baden-Baden in ganz Deutschland die Besucherzahlen aller Kinofilme zu erfassen und zu veröffentlichen. Unter www.film.de sind auf dieser Datenbasis einige interessante Charts gelistet, bei der deutschen Filmförderungsanstalt (www.ffa) finden sich weitere Tabellen, seit 1995 auch auf der Basis eigener Erhebungen. Auf die Daten der dieser drei Institutionen –und nicht auf Schätzungen- werden alle folgenden Untersuchungen aufgebaut.
4. Die Besucher-TOP 10 der USA und Deutschlands ab 1990
In der folgenden Tabelle werden die Besucher- bzw. Einspielrekorde der USA und Deutschlands vergleichend aufgelistet. Dabei werden die Filme mit „G“ gekennzeichnet, in denen die Protagonisten Gewalt einsetzen, um den Konflikt zu lösen – und jene mit „P“, in denen Politiker bzw. politische Konflikte thematisiert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit Ausnahme der deutschen Produktion „Schuh des Manitu“ wird die deutsche TOP 10 von U.S.-produzierten Filmen dominiert, die in den meisten Fällen auch in den USA vergleichbar erfolgreich waren. Doch es fällt auf, dass die Reihenfolge der „Erfolgstitel“ zwischen den USA und Deutschland variiert: in jedem einzelnen Fall rangieren Filme mit Gewalt und/oder politischem Thema in den USA erfolgreicher als in Deutschland – unter den TOP 5 der USA finden wir so drei Gewalt thematisierende Streifen, unter den TOP 5 in Deutschland keinen einzigen.
Dieser Befund würde die These stützen, wonach in Deutschland soziale Erwartungen, die Gewalt befürworten, schwächer ausgeprägt wären als in den USA, obgleich das „kulturelle Angebot“ (hier: an Filmen) sich in hohem Maße gleicht.
5. Momentaufnahme: Die Wochengewinner diesen Jahres (2002)
Eine millionenfache „Abstimmung mit den Füssen“ findet Wochenende für Wochenende vor den Kinosälen statt, wenn die Zuschauer unter mehreren Angeboten entscheiden, auf welchen Film sie „Lust haben“. Eine solche Betrachtung könnte u.U. im Sinne einer „Fieberkurve“ Indizien dafür liefern, welche Erwartungen das Publikum aktuell an Kinofilme stellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Ergebnis hierbei scheint eindeutig zu sein: aktuell haben „kriegerische“ Filme in den USA deutlich höhere Konjunktur als in Deutschland – insofern würde auch dieser Befund die These Bergers stützen.
Allerdings ist in diesem Fall einzuwenden, dass nach dem Anschlag des 11.September mehrere U.S.-Actionfilme „auf Eis“ gelegt wurden und jetzt vermehrt in die Kinos kommen. Andererseits würde diese Erklärung alleine wohl noch nicht die aktuelle Dominanz dieses Genres praktisch über den gesamten Beobachtungszeitraum seit Mitte Januar erklären – die schließlich darauf schließen lässt, dass ein signifikanter Teil der U.S.-Kinobesucher aktuell mehrere Filme gewalttätigen Inhalts hintereinander konsumiert.
6. Die erfolgreichsten Kinoproduktionen der USA und Deutschlands ab 1980
Es hat sich gezeigt, dass das „Film-Angebot“ auch in Deutschland von U.S.-Produkten stark bestimmt wird, sich jedoch in der Anordnung unterscheidet.
Mit Bezug auf Bergers Wort von den „agents of secondary socialisation“ mag es jedoch sehr interessant sein, zu schauen, inwiefern sich Aspekte der jeweils „inländischen“[12] Filmproduktion unterscheiden, die auch in Deutschland mit vergleichsweise wenigen Titeln pro Jahr zwischen 10 und 17% des Kinomarktanteiles –also einen weit überdurchschnittlichen Zuspruch „pro Film“ erreicht[13]. Wie erwähnt gibt es hierfür auch in Deutschland eine Datenbasis seit den 80er Jahren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beim Vergleich fällt deutlich auf, dass sich –im Gegensatz zu den U.S.-Produktionen- unter den deutschen TOP 10 kein einziger Film befindet, der sich dezidiert mit politischen Konflikten beschäftigt oder in größerem Sinne Gewalt thematisiert. Tatsächlich findet sich unter den TOP 30 in Deutschland ein einziger Kriegsfilm: „Das Boot“ auf Platz 27 (!), das international ein größerer Erfolg wurde. Gerade dieses Beispiel wie auch etwa die beiden Teile der „Unendlichen Geschichte“ widerlegen aber auch, dass es dem deutschen Film einfach unmöglich wäre, filmtechnisch aufwendigere Werke hervorzubringen - zumal etwa türkische, indische oder italienische Filmemacher mit oft eher weniger Mitteln keinesfalls vor der Produktion von Monumental- und Kriegsfilmen zurückschrecken.
Vielmehr fällt auf, dass der deutsche Film in starkem Maße von Komödien bestimmt zu sein scheint – unter den deutschen TOP 10 finden sich sieben, unter den TOP 30 insgesamt zwanzig!
Dabei haben wir es durchweg mit Werken zu tun, in denen sich die „Helden“ Konflikten und Autoritäten eher entziehen und diese in der Lächerlichkeit stehen lassen. Wirklich beißende Kritik an politischen Zuständen –die ja im Rahmen einer Komödie durchaus möglich wäre und in einem jüngeren Fall (Sonnenallee, Platz 26) auch vorkommen- findet sich ebenso selten wie etwa entwickelte, alternative Lösungsmöglichkeiten. Auch der Erfolg der Fantasyfilme könnte im Sinne eines solchen „Eskapismus“ verstanden werden.
Dieser Befund würde wiederum Bergers Eingangsthese unterstützen, der die deutsche politische Kultur eher als „antimilitarisch“ –also dem militärischen Konfliktaustrag ablehnend eingestellt- denn als „pazifistisch“ –gewaltfreie Konfliktlösungsmuster überzeugt vertretend- klassifiziert.[14]
Ich möchte nun in einer Einzelfalluntersuchung die Aspekte „Kommunalität“ und „Spezifizität“ noch einmal direkt verbinden, indem ich die jeweils drei erfolgreichsten Eigenproduktionen Deutschlands und der USA in den Blick nehme, die sich direkt mit politischen Akteuren bzw. Konflikten auseinandersetzen.
7. Einzelfalluntersuchung: Die je drei erfolgreichsten „Eigenproduktionen“ Deutschlands und der USA, in denen politische Akteure bzw. Konflikte eine maßgebliche Rolle spielen
- USA
Rang 2: Star Wars, Episode I
(mithin: Star Wars, Star Wars: Das Imperium schlägt zurück, Star Wars: Die Rückkehr der Jedi-Ritter).
Die Episode I ist die Erweiterung der ursprünglichen Star-Wars Trilogie, die im wesentlichen vom Konflikt zwischen dem totalitären „Imperium“ (dessen Offiziere übrigens wehrmachtsähnliche Uniformen samt hohen Stiefeln tragen, sich durch Drill, hohe Präzision und Gefühllosigkeit auszeichnen, alle männlich, weiß und Menschen sind) und den Vertretern der gefallenen „Republik“, die sich zu einer „Rebellenallianz“ zusammengeschlossen haben, bestimmt wird (deren Vertreter sich durch Idealismus und Opferbereitschaft, vor allem aber durch eine Vielfalt an Rassen, Begabungen und Hautfarben auszeichnen).
Die gesamte Star-Wars-Reihe wird durch einen scharfen Kontrast zwischen den „Mächten des Guten“ und „des Bösen“ gekennzeichnet, die sich auch durch Formen des „spirituellen Kampfes“ um die Kontrolle der apersonalen „Macht“ äußert. Sowohl auf Seiten der Helden wie der Schurken treten Politiker auf: Helden sind u.a. Prinzessin Leia und Prinzessin Amidala, die neben monarchischer auch jeweils demokratische Legitimität (als Vertreterinnen des Senats) erhalten, Schurken u.a. Senator Palpatine, der sich zum „Imperator“ aufschwingt und die gierige „Handelsföderation“ die um ihrer Privilegien willen die Kriege auslöst, dazwischen stehen tragische Gestalten wie der schwache Kanzler Valorum, der schließlich gestürzt wird.
Letztlich entschieden werden die Schlachten jedoch durch das Militär und hier besonders durch den Heldenmut Einzelner bzw. kleiner Kommandos –wobei es auch hier jeweils „Gute“ und „Böse“ gibt: etwa Luke Skywalker und Han Solo auf der Guten, Darth Vader und Darth Maul auf der bösen Seite. Auch die „Politiker(innen) der guten Seite“ beweisen sich ausnahmslos in Waffengefechten.
Wie kaum ein anderes Filmepos hat „Star Wars“ eine ganze Kinogeneration geprägt und setzt seinen Erfolg aktuell mit weiteren Folgen fort. Der Kampf um Freiheit, Gewalt und Heldenmut wurden und werden dabei eng miteinander verknüpft – inzwischen kann man sogar StarWars-Waffen auf der offiziellen Homepage (www.starwars.com) kaufen![15]
Rang 5: Forrest Gumpp
Forrest Gumpp ist ein paradoxer Held / Antiheld, der gerade wegen seines geringeren Intelligenzquotienten und seiner „naiven“ Gutmütigkeit als „beteiligter Beobachter“ durch die amerikanische Geschichte der 60er bis 80er Jahre geht. Dabei wird er auch Soldat, wird in Vietnam ausgezeichnet, begegnet hochrangigen Politikern, der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung u.v.m.
Der Film ist weniger Kommentar also vielmehr liebevolle Chronik der jüngeren, amerikanischen Geschichte. Milde Kritik klingt an etwa an Apartheidspolitikern der Südstaaten oder gar am Vietnamkrieg – doch andererseits zeichnet der Film amerikanische Geschichte eben als „die“ Geschichte, andere Länder klingen nur am Rande an und selbst in Vietnam begegnet der Zuschauer Barbecue, Stars and Stripes und tapfer-leidenden Amerikanern, aber von Vietnamesen vernimmt man nur Maschinengewehrsalven und bedrohliche Rufe – sie erhalten ebenso wenig Gesicht und Stimme wie „die Chinesen“ bei Forrests Chinareise im Rahmen der amerikanischen Tischtennismannschaft. Nicht einmal ein einziges nichtamerikanisches Dorf oder eine Stadt werden eingeblendet.
Rang 9: Independence Day
Die Handlung ist schnell erzählt: Aliens greifen die Erde an, zerstören u.a. auch das Weiße Haus – und schließlich gelingt es einem amerikanisch-jüdischen Techniker doch, den Defensivcode der Raumschiffe zu entschlüsseln, woraufhin die gesamte Welt (bis hin zu gemeinsam auftretenden Arabern und Israelis) sich unter Führung des amerikanischen Präsidenten (der selbst einen Kampfjet steuert) am amerikanischen Nationalfeiertag zusammenschließt und die Aliens vernichtet. Der entscheidende Schlag gelingt dabei übrigens einem alkoholabhängigen Vietnamveteranen, der im Angesichts der Aliens sein Vietnamtrauma überwindet und seinen Jet ins Herz des feindlichen Raumschiffes stürzt.
„Independence Day“ ist dabei nur der erfolgreichste in einer Reihe von Präsidentenfilmen, in denen der U.S.-Präsident direkt als Held auftritt. Während etwa „Thirteen Days“ semidokumentarisch die Kubakrise um J.F. Kennedy behandelt, vertrimmt der Präsident in „Air Force One“ eigenhändig eine Gruppe von Terroristen – und verhindert dadurch einen Putsch in der Sowjetunion. Selbst in „Hello, Mr. President“, der aus einem liberalen Grundverständnis heraus sich u.a. Umwelt- und Waffenrechtsthemen widmet, erfahren wir beiläufig, dass die Popularität des fiktiven Präsidenten auf seine Erfolge als „Golfkriegspilot“ zurückgehen und dann „durch zu viel Kompromisse, zu viel Politik“ (O-Ton!) beeinträchtigt wird.
Die Diskrepanz zwischen amerikanischer und deutscher Kinokultur wird deutlich, wenn wir versuchen, uns vergleichbare Filme mit einem deutschen Kanzler oder Bundespräsidenten vorzustellen!
Könnte man Themen wie „Kanzler führt die freie Welt an“ oder „Bundespräsident rettet den Planeten“ noch aus Gründen der gegebenen Machtverteilung schlichtweg als unrealistisch-erheiternd abtun, so wären doch ebenso Filme undenkbar, in denen ein deutscher Kanzler eine Kampffliegerstaffel anführt, Terroristen erschießt oder verprügelt – oder auch nur seine Popularität auf erfolgreiche Teilnahme in Kampfeinsätzen zurückführt.
Diese „Rollen“ scheinen –beim deutschen wie amerikanischen Publikum!- U.S.-amerikanischen Präsidenten vorbehalten zu sein.
Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um starke Indikatoren unterschiedlicher politischer Kultur hoher Spezifizität.
- Deutschland
Im Vergleich zu den USA fällt –wie im Vergleich bereits ersehen- das Filme, die politische Akteure und Konflikte thematisieren, offenbar weit geringeren Zuspruch finden.
Fanden sich die „ersten drei“ in den USA auf den Rängen 2, 5 und 9 der Inlandscharts, so finden wir sie in Deutschland nach einigem Suchen auf 17, 23 und 26.
Rang 17: Asterix und Obelix gegen Cäsar (Komödie)
(deutsch-französische Gemeinschaftsproduktion)
Selbst im Titel taucht hier der Titel und gleichzeitig Name eines politischen Akteurs auf: Cäsar, des römischen Imperators – der in diesem Film allerdings auf die Rolle des hilflosen Antagonisten herabgewürdigt wird und sich mitsamt der riesigen, geordneten Militärmaschinerie von den ebenso tapferen wie apolitisch-anarchischen Helden (deren „Häuptling Majestix“ immer wieder von seinem Schild fällt) immer wieder vorführen lassen muss. Die „Schlachten“ stellen dabei wüste und überzeichnete Balgereien dar, bei denen es keine Toten oder irreparabel Verletzten gibt. Das Ende ist versöhnlich, Cäsar gesteht seine Niederlage ein, es bleiben keine schwerwiegenden „Rechnungen offen“.
Rang 23: Comedian Harmonists / Drama
In diesem Film wird die Geschichte des beliebten Acappela-Ensembles nachgezeichnet, das wegen seiner jüdischen Mitglieder schließlich ins Visier der Nazis gerät und auseinander bricht.
Die Freude, Kunstfertigkeit und der Humor der Kunst werden hier mit der Kälte des totalitären, politischen Apparates kontrastiert, der die –letztlich hilflosen- Künstler immer mehr einschränkt, bedroht und schließlich vertreibt.
Rang 26: Sonnenallee / Komödie
Hier wird die Absurdität des „real existierenden Sozialismus“ in der damaligen DDR vorgeführt – und die Versuche junger Leute, sich mit Witz, Pragmatismus und Humor eigene Chancen der Normalität und Entfaltung zu schaffen.
Also auch hier erleben wir „die Politik“ als bedrohlich-negatives Phänomen, aufrechterhalten von Ideologie und bewaffneten Sicherheitskräften, dominiert von blut- und gefühlsarmen Funktionären, in scharfem Kontrast zur Frische und Lebendigkeit von gewaltfreier „Gegenkultur“.
„Politische Helden“ sucht man im deutschen Kino im Vergleich zu U.S.-Produktionen also praktisch vergeblich – außer, man definiert „Heldentum“ durch die Eigenschaft, sich politischen Konflikten und Systemen zu entziehen. Überhaupt werden politische Themen (in den deutschen TOP 30) ausnahmslos vergangenheitsbezogen und dann kritisch-ablehnend (bzw. humoresk-„entlarvend“) behandelt, während die genannten amerikanischen Filme sowohl Vergangenheit (Forrest Gumpp, Thirteen Days) wie auch fiktiv Gegenwart oder gar Zukunft (Science-Fiction) thematisieren – in denen unerschrocken politische Helden auftreten, die sich auch mit militärischen Mitteln durchsetzen.
Es fällt nicht schwer, in dieser Diskrepanz und in der kritisch-vergangenheitsbezogenen Thematisierung von Politik in deutschen Kinofilmen eine bemerkenswerte Parallele zu Bergers These von der Herkunft des Antimilitarismus zu sehen:
„In the final analysis, German and Japanese antimilitarism can be best explained by each nation’s struggle to draw lessons from its troubled past.“[16]
8. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Ich habe untersucht
- die Besucher-TOP 10 der USA und Deutschlands ab 1990
Mit dem Ergebnis, dass auch die deutschen Kinocharts von U.S.-Produkten dominiert werden; dass aber die „Anordnung“ der Erfolgsfilme sich doch unterscheidet. So hatten jene Filme, in denen Gewalt und/oder politische Konflikte (fiktiver oder realer Art) thematisiert wurden, in Deutschland durchweg weniger Erfolg als in den USA – die ersten sechs Ränge der deutschen Charts erwiesen sich als nahezu „gewalt- und politikfrei“. Für die Thesen Bergers lassen sich hier also doch Indizien finden.
- Die Wochengewinner diesen Jahres (2002)
Als nächstes verglich ich die „Wochengewinner“ der ersten neun Wochen diesen Jahres in den USA und Deutschland.
Hier war eine deutliche Diskrepanz in der Thematik der aktuell erfolgreichen Streifen zu sehen – in den USA dominierten doch sehr stark Filme gewalttätigen und direkt militärischen Inhalts, in Deutschland weiterhin fast ausschließlich Komödien.
Obgleich einzuschränken ist, dass dieser „kurzfristige“ Befund so nicht repräsentativ, sondern eher nur eine Stichprobe sein kann, entspricht doch aus dieses Ergebnis der Studie Bergers und könnte ggf. auch mit unterschiedlichen, kulturellen Wahrnehmungen der aktuellen Konflikte zusammenhängen, wenn man diese Ergebnisse etwa mit dem „Floppen“ der indischen Kriegsfilme kontrastiert.
- Die erfolgreichsten Kinoproduktionen der USA und Deutschlands ab 1980
Im Vergleich der „inländischen“ Kinoproduktionen wurden starke Diskrepanzen zwischen deutschen und U.S.-amerikanischen Produkten deutlich. Während auf deutscher Seite aufwändige (und international erfolgreiche) Filme wie „Die unendliche Geschichte“ oder auch „Das Boot“ aufzeigten, dass durchaus andere Genres als die Komödie möglich wären, tummelten sich unter den deutschen TOP 10 und TOP 30 doch nahezu ausschließlich apolitische Humoresken. Ein Trend, der sich, glaubt man dem aktuellen Spiegel[17] auch in den nächsten Jahren fortsetzen dürfte.
In den USA hatten wir dagegen einen hohen Anteil an Erfolgsfilmen gewalttätigen und/oder politischen Inhaltes und insgesamt ein breiter ausgefächertes Genrespektrum.
Auch dieses Untersuchungsergebnis würde Bergers These entsprechen – und auch mit seiner Kritik korrespondieren, wonach Deutschland sicherheits- und militärpolitischer Verantwortung zu gerne ausweiche[18] - oder sogar mit der zugespitzten Formel eines Beraters des amerikanischen Außenministeriums, wonach man Europa (wegen der Kritik am Begriff der „Achse des Bösen“) wohl zur „Achse der Naivlinge“ erklären müsse![19]
- Einzelfalluntersuchung: Die je drei erfolgreichsten „Eigenproduktionen“ Deutschlands und der USA, in denen politische Akteure bzw. Konflikte eine maßgebliche Rolle spielen
Diese Untersuchung brachte vielleicht am eindrücklichsten zutage, wie sehr sich populärkulturelle „Rollenerwartungen“ zwischen Deutschland und den USA unterschieden. Während wir in den erfolgreichsten U.S.-Filme aktive „Heldenpolitiker“ mit Laserschwertern und U.S.-Präsidenten an der Spitze der freien Welt in Kampfjets erleben, wären vergleichbare Filme in Deutschland selbst als Komödien schwer vorstellbar. Politische Akteure, Systeme und Konflikte tauchen im deutschen Film nicht in „Heldenrollen“, sondern als –ggf. humoresk zu entlarvende und damit zu entschärfende- Bedrohungen auf. Und während U.S.-Produkte sowohl Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsthemen behandeln, beziehen sich praktisch alle maßgeblichen deutschen Filme mit auch nur in Anklängen politischer Thematik auf Aspekte der Vergangenheit.
Auch hier ist die Konvergenz zu Bergers Ausarbeitung sehr deutlich.
9. Fazit und Weitergehende Überlegungen: Populärkultur als „Kommunikationsraum auch politischer Kultur?“
Szene 1 (July 2001):
Der amerikanische Film „The Patriot“ löst eine wütende Protestwelle in Großbritannien aus – der Stadtrat von Liverpool verlangt per Resolution sogar eine Entschuldigung von Hollywood, und der U.S.-Botschafter (!) in Großbritannien räumt schließlich ein: „the perpetuation of myths and the exaggeration of stories does not serve our countries well“[20]
Szene 2: (Januar 2002):
Ein Zitat macht Furore[21]:
„Die Globalisierung mit ihrer kulturellen Power, mit Fernsehen, Sex, Internet, das ist für die meisten Muslime wie ein permanenter Terroranschlag.“, Said al-Sadi, irakischer Muslim und Manager bei der internationalen Baufirma CBF Engineering
Szene 3 (Februar 2002):
Ein Treffen bei Freunden zum Videoabend. Der Gastgeber hat eine reichhaltige Sammlung und bittet die Gäste um Auswahl. „Bitte keinen Film, in dem ein Amerikaner die Welt rettet!“, proklamiert eine Medizinstudentin und erntet breite Zustimmung. „Dann haben wir aber nicht mehr viel Auswahl.“, gibt ein anderer Student zur Heiterkeit der Anwesenden zum Besten.
Als ich mich an diese Arbeit setzte, war ich selbst gespannt, ob eine Auswertung der empirischen Kinodaten mit der ausgearbeiteten These Bergers korrespondieren würde. Dass aber dann doch alle vier Auswertungsansätze (wenn auch unterschiedlicher Stärke & Repräsentativität) zu Ergebnissen führten, die für diese Annahme sprachen, hat mich ehrlich überrascht.
Im Laufe der Recherchen und Ausarbeitungen hat sich jedoch auch meine Vorstellung des Gegenstandes verändert: ging ich zunächst davon aus, dass Populärkultur eben „Erwartungen“ befriedige (etwa: Hollywood = „Traumfabrik“) und der Besuch eines Kinofilmes schlechthin als eine „Abstimmung mit Füssen“ zu betrachten sei, so zeigte sich die Situation dann doch komplexer.
Denn: obgleich etwa die „Präsidentenfilme“ der USA kaum mit hiesigen Rollenerwartungen an Politiker in Einklang zu bringen sind, haben sie doch immer noch einigen Publikumserfolg. In schroffer Form wird das Dilemma im o.g. Zitat des Herrn al-Sadi deutlich: es besteht doch beim Konsum von Kulturprodukten die Möglichkeit der Vermeidung – warum tun das die von ihm zitierten Muslime nicht einfach? Anders gefragt: Warum sind Arnold Schwarzenegger und Madonna selbst in Palästina und im Iran bekannte und bewunderte Stars?
An diesem Punkt würden wohl viele Menschen „die Kinder“ als Einfallstor zitieren – und dem Satz Bergers von den Medien auch als „agents of socialisation“ damit in eigener Form zustimmen: dass nämlich Kinder schon lange bevor sie überhaupt den Begriff der „Politik“ kennen, auch unter dem Druck ihrer Peergroup U.S.-amerikanische Filme sehen, Comics lesen, Cola und Hamburger essen wollten. Als Jugendliche seien dann schon bis in die Sprache hinein „Amerikanismen“ Teil des eigenen Lebens geworden, ob man dies dann wolle oder nicht – wenn man es überhaupt noch bewusst wahrnehme[22].
Umgekehrt fänden sich nichtwestliche bzw. nichtamerikanische Kulturerzeugnisse und die damit verbundenen Werte an den Rand gedrängt – und tatsächlich befindet sich der erste „nichtamerikanische“ Film auf den U.S.-Charts seit den 80ern auf Platz 19 (!) – und hierbei handelt es sich um eine britische Adaption des amerikanischen Comichelden „Batman“ -, während umgekehrt U.S.-amerikanische Filme die Charts nahezu aller Länder dominieren.
Schnell sind wir hier bei den dann populären Thesen sowohl westlicher wie nichtwestlicher Kritiker, die etwa vom „Kulturimperialismus“ der westlichen Welt (oder, etwa als Europäer, nur der USA) sprechen und damit Medien- und Kulturschaffende eben auch als bewusste „Agenten“ dieser Form des „Imperialismus“ verstehen – Gedankengut, dass man in links- wie rechtsorientierten Kreisen und unter chinesischen und indischen Nationalisten ebenso wie unter Islamisten finden kann. Und selbst Frankreich betreibt ja nicht nur –wie praktisch alle europäischen Nationen einschließlich der Türkei- längst eine nationale Filmförderung, sondern hat auch Sprachregeln zur Vermeidung von Anglizismen etwa in der Werbung erlassen und Quoten für französische Musiktitel in den Radiosendungen festgelegt!
Ich bin inzwischen der Meinung, dass wir „Populärkultur“ als einen wichtigen „Sozialisations- und damit Kommunikationsraum politischer Kultur“ ernstnehmen sollten. Denn über Populärkultur scheinen mir nicht nur „materielle“ Werte in Milliardenhöhe rund um den Globus verschifft zu werden, sondern auch damit verbundene Aussagen, Träume, Erwartungen, Rollenbilder, Ideen – ja, Normen, bis in die politische Kultur hinein. Angst- und Abwehrreaktionen gegenüber „fremden“ Formen der Populärkultur (ob aus dem Ausland oder auch einer inländischen Subkultur (etwa den frühen Jazz, der als „Negermusik“ verunglimpft wurde)) wären dann politikwissenschaftlich tatsächlich einzuordnen als Konflikte um Veränderungen am Normengefüge und letztlich auch an der politischen Kultur einer Gesellschaft. Die „populärkulturelle Dominanz“ der USA könnte dann also tatsächlich zur auf den ersten Blick rätselhaften „Gleichzeitigkeit von Bewunderung/Imitation und Ablehnung/Aggression“ dieser Nation in anderen Gesellschaften beitragen - denken wir nur an den Bericht des Redakteurs auf S. 4, in dem dieser den pauschalisierten „Friedenswillen der Inder“ dem Kassenerfolg von U.S.- Kriegsfilmen gegenüberstellt, eine (indische) Verurteilung des dumpfen Patriotismus zitiert – und darauf hofft, dass sich der „indische Langmut“ durchsetze. Nur erscheint dieser „amerikakritische“ Artikel in einer Zeitschrift namens „MovieNews“ unter der Rubrik „Aktuelle News aus dem Filmbusiness“, in dem die „Big-Budget-Produktionen“ in Indien „floppen“ während in den USA „ein Run“ auf sie besteht. Ohne „denglische Begriffe“ ist selbst dieser textkurze Artikel kaum mehr nachzuvollziehen!
Gerade für konstruktivistische Ansätze der Politikwissenschaft könnte es also hoch interessant sein zu forschen:
1. inwiefern können vergleichende Forschungen auf den Feldern der Populärkultur uns also helfen, Aspekte der politischen Kultur von Gesellschaften besser zu verstehen bzw. empirische Indizien für oder gegen entsprechende Ausarbeitungen (wie die Bergers) zu erhalten?
2. inwiefern prägt Populärkultur soziale Normengefüge, indem sie Erwartungen bedient, aber eben auch weckt (etwa über Werbung) und verstärkt?
3. wie könnten Modelle besserer „populärkultureller Kommunikation“ zwischen Gesellschaften aussehen? Wie wirken sich etwa nationale oder regionale Filmförderungen, Medienerziehung an den Schulen, internationale Kooperationen, gegenseitige Anerkennung (etwa durch Preisverleihungen) aus? Haben Kulturschaffende etwa mehr politisch-kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten, als der [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]ffentlichkeit und ihnen selbst vielleicht bewusst ist? Könnte bzw. müsste „(Außen-)Kulturpolitik“ einen neuen Stellenwert bekommen, gerade wenn es darum ginge, statt dem „Clash of Civilisations“ (Huntington) den „Dialogue of Cultures“ (UNO) zu gestalten?
Würde diese erste „Stichprobe“ –und mehr konnte und wollte diese Hausarbeit noch nicht sein- weitergehende Gedanken und evtl. Arbeiten auf diesem Feld anregen, so wäre das schon mehr, als ich mir ursprünglich erhofft hatte.
Michael Blume
März 2002
[...]
[1] http://www.unionsverlag.ch/authors/kemal/gefaeng.htm
[2] Berger, S. 8
[3] Berger, S.1
[4] Berger, S. 9
[5] Berger, S. 12
[6] beispielhaft „The Post-Gulf War Debate“, S.178ff.
[7] Berger, S. 13
[8] siehe CINEMA (Kinomagazin) 12/01, S. 48 „Arwen und die Frauenfrage“
[9] CINEMA 12/01, S. 46
[10] Wendt 99, zitiert im Seminarreferat und Handout von Bauer/Blume „Außenpolitiktheorie: Konstruktivismus“
[11] ebd., wie auch „Spezifizität“
[12] wobei „inländisch“ sich auf die (Drehbuch & Management-)federführende Produktionsfirma bezieht. Praktisch alle großen Filme werden heute an verschiedenen, internationalen Schauplätzen gedreht.
[13] so nach der Deutschen Filmförderungsanstalt, www.ffa.de, mit Grafik
[14] Berger, S. 1: „While it would be inaccurate to describe either nation as pacifist, the German and Japanese approaches to national security can be fairly called antimilitarist.“
[15] Unter dem Titel: „Master Replicas: Authentic Weapons from a Civilized (!) Age”. Das erste Sturmgewehr ist übrigens nach Beschreibung “inspired by German World War II firearms“. http://www.starwars.com/collecting/news/2002/03/news20020307.html
[16] Berger, S. 6
[17] SPIEGEL 11/02, „Blödel-Attacke im deutschen Kino“, Seite 250, über die drei nächsten Titel „Feuer, Eis und Dosenbier“, „Was nicht passt, wird passend gemacht“ und „Knallhart Jungs“, nach „666 – Trau keinem, mit dem Du schläfst“.
[18] Berger, S. 209 „This latter point brings us to what can be described as the „bad news“ of the findings of this study. Germany’s and Japan’s unwillingness or inability to respond to military security threats is much greater than is assumed by those who believe that their behavior is merely the consequence of the free ride on security they receive from the United States. This, of course, makes the problem of achieving an equitable sharing of the burden of international security far more intractable.“
[19] FOCUS 9/2002, S. 218
[20] Aus: The Guardian, England, July 2001, www.guardian.co.uk , über die Suchmaschine erscheinen bei Eingabe des Stichwortes „The Patriot“ gleich mehrere „Verrisse“ des Films und Berichte über die Auseinandersetzungen
[21] Spiegel 1/2002
[22] Bei einer Chinareise über Neujahr 2001/2002 waren meine Frau und ich überrascht über die zahlreichen Weihnachtsmänner, die in Peking und Shanghai als Aufkleber und Plakate Läden und Restaurants „schmückten“. Von der Reiseleitung erfuhren wir, dass die städtische Jugend –überwiegend religionslos- seit einigen Jahren begeistert das Weihnachtsfest feiere, dass sie „aus den Filmen“ kenne. Auch sei es inzwischen Brauch in Chinas Städten, am Hochzeitstag zwei Zeremonien zu vollziehen: einmal in traditioneller, chinesischer Tracht – und einmal im weißen Brautkleid, am besten in einer Kirche und zum Hochzeitsmarsch...
- Citation du texte
- Michael Blume (Auteur), 2002, Populärkultur (Kinofilme) als Indikator politischer Kultur? Vergleichende Studie: USA und Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110389
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