1978 begann China mit einem langanhaltenden Reformprozess, bei dem das planwirtschaftliche Produktionssystem langsam auf ein marktwirtschaftliches System umgestellt wurde. Die einzelnen Reformschritte wurden nacheinander und schrittweise durchgeführt und können damit sowohl in zeitlicher als auch räumlicher Hinsicht als graduell bezeichnet werden.
In vielen anderen postkommunistischen Ländern und verschiedenen Entwicklungsländern mit ähnlich gravierenden Reformschritten konnte man dagegen eine Bündelung verschiedenster Reformschritte beobachten, was als Big-Bang-Strategie bezeichnet werden kann. Die Imple-mentierung von Big-Bang-Strategien führte in vielen Ländern zu unmittelbaren ökonomischen und sozialen Problemen, was die Frage nahe legt, ob graduelle Reformen grundsätzlich besser sind.
Gliederung
I Einleitung
II Hauptteil
II.1 Kollektive Unsicherheit
II.1.A M-Form versus U-Form
II.1.B Das DR-Modell
II.1.B.i Big-Bang versus Gradualismus
II.1.B.ii Der Reformzeitpunkt
II.1.B.iii Komplementaritäten und Reformimpuls
II.1.B.iv Revisionskosten
II.1.B.v Die optimale Reihenfolge
II.2 Individuelle Unsicherheit
II.3 Reformen unter Sicherheit
II.3.A Bündeln von Reformen zur Gewinnung von Mehrheiten
II.3.B Teile und Herrsche
III Schluß: Welche Strategie ist optimal?
IV Literaturverzeichnis
I Einleitung
1978 begann China mit einem langanhaltenden Reformprozess, bei dem das planwirtschaftliche Produktionssystem langsam auf ein marktwirtschaftliches System umgestellt wurde. Die einzelnen Reformschritte wurden nacheinander und schrittweise durchgeführt und können damit sowohl in zeitlicher als auch räumlicher Hinsicht als graduell bezeichnet werden.[1]
In vielen anderen postkommunistischen Ländern und verschiedenen Entwicklungsländern mit ähnlich gravierenden Reformschritten konnte man dagegen eine Bündelung verschiedenster Reformschritte beobachten,[2] was als Big-Bang-Strategie bezeichnet werden kann. Die Implementierung von Big-Bang-Strategien führte in vielen Ländern zu unmittelbaren ökonomischen und sozialen Problemen,[3] was die Frage nahe legt, ob graduelle Reformen grundsätzlich besser sind.
Um diese Frage zu beantworten, ist eine Unterscheidung der Beurteilungskriterien nötig: Eine Reformstrategie kann besser sein als eine andere, weil sie (a) einen höheren Wohlfahrtseffekt erzeugt. Dies wäre die Lösung eines wohlfahrtsmaximierenden Sozialplaners, der keinen politischen Beschränkungen unterliegt. Da diese Annahme jedoch irreal ist, müssen weitere Kriterien hinzugefügt werden: Reformstrategien sind besser als andere, weil sie (b) unter gegebenen politischen Verhältnissen (Mehrheitswahlrecht, Vetorecht, Mitsprache von Interessengruppen, usw.) machbar sind und zu keiner Revision führen. Weiterhin ist aus Sicht des Reformers zu beachten, dass (c) Reformen nicht zum eigenen Machtverlust führen (zu beachten z.B. bei J-Kurven-Effekten).
Im Folgenden soll festgestellt werden, wie sich politische Beschränkungen auf die Vorteilhaftigkeit von Reformenstrategien auswirken. Es erfolgt eine Betonung auf die Kriterien (b) und (c) und es wird sich zeigen, dass nicht immer die wohlfahrtsmaximierende Strategie auch die politisch machbare ist. Am Ende kann vielleicht festgestellt werden, unter welchen Umständen welche Strategie die politischen Machbarkeitskriterien erfüllt.
II Hauptteil
II.1 Kollektive Unsicherheit
II.1.A M-Form versus U-Form
Roland (2000, S.63) sieht einen der Gründe für den Reformerfolg Chinas in der besonderen Organisationsstruktur der chinesischen Planwirtschaft. Sie war nicht wie in Osteuropa und Russland in einzelne, landesweite Branchen wie Bergbau, Landwirtschaft, Textilien, Maschinenbau usw. gegliedert und separaten, überregionalen Ministerien untergeordnet, sondern regional organisiert, so dass Branchen regionalen Verwaltungseinheiten unterstanden. Die Struktur der Sowjet-Staaten kann laut Roland (2000) angelehnt an Williamson (1975) und Chandler (1962) als U-Form bezeichnet werden, während die Organisation Chinas eher dezentral, ähnlich einer M-Form war. Die aus der regionalen Organisation resultierende Duplikation von Produktionsketten führte zwar zu einer geringeren Ausschöpfung von Skalenerträgen, war jedoch von Vorteil bei der Implementierung von Reformvorhaben. Reformen konnten erst in einer Region ausprobiert und nach guten Ergebnissen auf andere Regionen übertragen werden. Mit anderen Worten: Die M-Form-Struktur erlaubte es, zu geringeren Kosten aus Reformen zu lernen.
Dieser Sachverhalt soll angelehnt an Roland (2000) in einem auf Qian, Roland und Xu (1998) zurückgehenden organisationstheoretischen Modell dargestellt werden. Das Modell geht von zwei Reformen i = 1,2 aus, die in zwei Regionen r = A,B implementiert werden. Der Reformerfolg wird durch zwei Voraussetzungen bestimmt: Einerseits muss das Reformkonzept gut sein, andererseits braucht eine erfolgreiche Implementierung eine gute Koordination, d.h. eine gute Abstimmung der beiden Reformen aufeinander. Man kann sich dies an zwei Beispielreformen verdeutlichen: Der Restrukturierung eines Unternehmens bei gleichzeitiger Implementierung eines sozialen Auffangnetzes für entlassene Mitarbeiter. Gute Koordination erfordert die genaue Abstimmung der Anspruchskriterien (Alter, Position/Dienstgrad, Familienstand, Verweildauer im Unternehmen, Gehalt usw.) auf die Leistungskriterien (Höhe, Dauer, Art der Leistungen, Budget usw.) des Auffangnetzes. Bei Abstimmungsfehlern kann eine Restrukturierung zu sozialen Problemen führen und politische Instabilität hervorrufen.
Grundsätzlich stehen zwei Strategien zu Verfügung: Die gleichzeitige landesweite Implementierung beider Reformen (hier Big-Bang genannt) oder eine graduelle Strategie, bei der beide Reformen zuerst lokal getestet und nur bei Erfolg auf andere Regionen übertragen werden. Im Folgenden soll im Hinblick auf die unterschiedlichen Organisationsstrukturen untersucht werden, welche Strategien vorteilhaft sind.
Die Durchführung der Reform erfolgt über zwei Hierarchiestufen: Einem Top-Management und einem Middle-Management, wobei die Management-Ebenen in den unterschiedlichen Hierarchietypen unterschiedliche Aufgaben haben. Die Middle-Manager stehen in der U-Form regionenübergreifend jeweils einer Branche vor, während sie bei der M-Form branchenübergreifend einer bestimmten Region verantwortlich sind. Somit ist bei der U-Form allein der Top-Manager für die Koordination der Reformen verantwortlich, während bei der M-Form die Middlemanager die Koordination übernehmen. Es wird angenommen, dass die Middlemanager perfekt über ihre Regionen Bescheid wissen, so dass die Reformen bei der M-Form immer perfekt koordiniert sind. Bei der U-Form jedoch hängt die erfolgreiche Koordination vom Informationsfluss zwischen den Management-Ebenen ab, der nur mit einer Wahrscheinlichkeit von l (0£l£1) korrekt ist. Es sei angenommen, dass Reformkonzepte kostenlos verfügbar sind, die Koordination aber Kosten hervorruft (die Manager müssen z.B. für eine korrekte Abstimmung der Reformen ausgebildet werden). Unter diesen Annahmen, würde nach einem Fehlschlag grundsätzlich ein neues Konzept gewählt, da die Koordinationskosten ohnehin anfallen und das Top-Management bei der U-Form zudem nicht wissen kann, ob das Reformkonzept oder die Koordination für ein Scheitern verantwortlich ist. Für eine erfolgreiche Reformimplementierung muss sowohl das Reformkonzept gut sein als auch die Koordination der Reformschritte stimmen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung II.1 (in Anlehnung an Qian, Roland und Xu (1998))
M-Form-Organisation:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung II.2 (in Anlehnung an Qian, Roland und Xu (1998))
Die Auszahlungen als Maßzahl für den Reformerfolg seien wie folgt definiert:
Der Nettobarwert des Status-quo sei ½ für jede Region, das Ergebnis einer mißlungenen Reform sei 0 und bei erfolgreicher Reform sei der Nettobarwert G/2 in jeder Region. Für die Koordination entstehen Kosten in Höhe von C.
Zunächst sollen graduelle Reformen und Big-Bang in der M-Form verglichen werden:
Big-Bang in der M-Form:
Da Reformen immer korrekt koordiniert werden, hängt der Erfolg allein von der Qualität des Konzepts ab, das mit der Wahrscheinlichkeit p gut und mit der Wahrscheinlichkeit (1-p) schlecht ist. Bei einem guten Konzept beträgt die Gesamtauszahlung als Summe der Nettobarwerte beider Regionen G, bei einem schlechten Konzept null. Mit der Wahrscheinlichkeit (1-p) erfolgt eine neue Reform mit einem neuen Konzept, wobei man wieder zur Ausgangssituation gelangt und sich die Auszahlungsstruktur wiederholt. Die erwartete Auszahlung beläuft sich damit auf:
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] , d = periodischer Diskontierungsfaktor
und nach Auflösen ergibt sich: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]
[...]
[1] siehe Lin, Cai, Li (1996); Roland (2000, S. 63), McMillan (2004)
[2] Marangos (2002, S. 260) zählt hierzu Polen, Tschechoslowakei, Bulgarien, Russland, Albanien, Estland und Lettland; Martinelli, Tommasi (1998, S. 285) weiterhin Bolivien, Ghana, Mexiko, Argentinien und Peru.
[3] Martinelli, Tommasi (1998, S. 285) zählen hierzu Bolivien, Ghana, Mexiko, Polen, Argentinien und Peru; Stiglitz (1999) und McMillan (2004) Russland; siehe auch Tommasi, Velasco (1996, S. 214) für eine Gegendarstellung.
- Citation du texte
- Arno Wellner (Auteur), 2006, Reformpakete versus Einzelmaßnahmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110338
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