Beeinflusst die Sprache, die wir sprechen, d. h. die grammatikalischen und semantischen Strukturen unserer Sprache, die Art, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen? An den deutschen Universitäten wurde die Bezeichnung Studenten weitgehend durch Studierende verdrängt, offizielle Berufsbezeichnungen werden immer öfter durch Neologismen ersetzt (z. B. Hausmeister durch Gebäudemanager), Produkt– und Firmennamen ändern sich (Raider zu Twix, Viag Interkom zu O2), Behinderte nennen sich selbst Menschen mit Behinderung, andere Begriffe werden als diskriminierend empfunden und im Sprachgebrauch ausgetauscht (Schwarze statt Neger). Diese Beispiele zeigen, dass der Name oft mehr sein soll als ein bloßer Verweis auf etwas Außersprachliches. Kann das Umbenennen aber ein Umdenken herbeiführen oder auch nur fördern? Welche Verbindung besteht zwischen Form und Struktur der sprachlichen Einheiten und dem Denken über deren Inhalt? Oder allgemeiner gefragt: Beeinflusst die Sprache, die wir sprechen, unsere Wahrnehmung und die Art, wie wir denken? Oder ist das Denken der Sprache immer vorgängig und kann durch sie daher „nicht wirklich“ verändert werden?
Im zwanzigsten Jahrhundert wurde dieser Gedanke von verschiedenen Autoren (z. B. von Lev Wygotsky oder Leo Weisgerber) aufgegriffen. Am einflussreichsten war dabei sicherlich die sog. Sapir-Whorf-Hypothese (so benannt nach den amerikanischen Linguisten Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf), von der in dieser Arbeit ausgegangen wird.
Die Sapir-Whorf-Hypothese dient dabei in zweierlei Hinsicht als Hintergrund. Zum einen entstand die empirische Forschung zum Einfluss der Sprache auf das Denken, deren Darstellung einen Hauptteil dieser Arbeit bildet, aus der Auseinandersetzung mit den Thesen von Sapir und Whorf.
Zum anderen wird in dieser Arbeit ein bestimmter Aspekt der Sapir-Whorf-Hypothese näher betrachtet, nämlich inwieweit Einzelsprachen den Hintergrund für das Denken, d. h. für das Weltbild ihrer Sprecher, bilden. In diesem Zusammenhang wird auch eine Verbindung der Sapir-Whorf Hypothese mit poststrukturalistischen Ansätzen (Jacques Derrida) versucht werden.
Inhaltsangabe
Titelblatt
Inhaltsangabe
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
1 Kann die Sprache das Denken beeinflussen?
1.1 Perspektivität von Sprache
1.2 Selektivität von Sprache
1.3 Sprache und Denken
2 Die Sapir-Whorf-Hypothese
2.1 Benjamin Whorfs sprachliches Relativitätsprinzip
2.1.1 Sprachliche und physikalische Relativität
2.1.2 Hopi-Zeit
2.1.3 Isolierte Erfahrungsfelder - Isolierte Bedeutungsfelder
2.1.4 Phänotypen - Kryptotypen
2.1.5 Nicht-sprachliche Evidenzen für sprachliche Relativität
2.2 Die Theorie der sprachlichen Relativität seit Whorf
2.2.1 Die „starke“ und die „schwache“ Sapir-Whorf-Hypothese
2.2.2 Verhaltensorientierte Untersuchungen
2.2.3 Strukturorientierte Untersuchungen
2.2.4 Denken ohne Sprache
3 Der sprachliche Hintergrund
3.1 40 Wörter für Schnee – Bedeutung als Hintergrund
3.2 Was zählt, ist die Zahl 2000 – Systeme als Hintergrund
3.3 Ursprung = Anfang – Bedeutungssysteme als Hintergrund
3.4 Bedeutungssysteme als Weltsicht
4 Sind die Farben für jeden gleich?
4.1 Physiologische Grundlagen der Farbwahrnehmung
4.2 Farben und Farbwörter
4.2.1 Die Relativität der Farbwörter
4.2.2 Die Universalität und Evolution der Farbwörter
4.3 Beeinflusst die Sprache die Farbwahrnehmung?
5 Ist der Raum für jeden gleich?
5.1 Die Orientierung im Raum
5.2 Die sprachliche Kodierung des Raums
5.2.1 Der relative Bezugsrahmen
5.2.2 Der intrinsische Bezugsrahmen
5.2.3 Der absolute Bezugsrahmen
5.3 Beeinflusst die Sprache die Raumwahrnehmung?
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 – Kippbild: Vase (S. 23)
(Quelle: Internet)
Abbildung 2 – Kippbild: Schwarze Blöcke (S. 24)
(Quelle: Internet)
Abbildung 3 – Evolution der „Basic Color Terms” (S. 72)
(Adaptiert von: Berlin/Kay (1991) [11969]. S. 4.)
Abbildung 4 – Die Bereiche der deutschen Farbwörter (S. 74)
(Quelle: MacLaury, 2001. S. 1230.)
Abbildung 5 – Rechteckiger Raum (S. 79)
Abbildung 6 – „Animals-in-a-row“ Experiment (S. 89)
(Adaptiert von: Pederson u. a, 1998. S. 576.)
Einleitung
An den deutschen Universitäten wurde die Bezeichnung Studenten weitgehend durch Studierende verdrängt, offizielle Berufsbezeichnungen werden immer öfter durch Neologismen ersetzt (z. B. Hausmeister durch Gebäudemanager), Produkt– und Firmennamen ändern sich (Raider zu Twix, Viag Interkom zu O2), Behinderte nennen sich selbst Menschen mit Behinderung, andere Begriffe werden als diskriminierend empfunden und im Sprachgebrauch ausgetauscht (Schwarze statt Neger). Diese Beispiele zeigen, dass der Name oft mehr sein soll als ein bloßer Verweis auf etwas Außersprachliches. Besonders bei Produktbezeichnungen zeigt sich, dass Eigenschaften wie Klang und Länge des Namens, das Erscheinungsbild des Schriftzugs oder der Kontext, aus dem der Name bekannt ist (auch wenn dieser überhaupt nichts mit dem Bezeichneten zu tun hat - wie etwa im Fall von Ver.di), bei der Wahl des Namens berücksichtigt werden.
In anderen Fällen soll die Einführung neuer Bezeichnungen offenbar erwünschte gesellschaftliche Entwicklungen unterstützen. Der Blick auf die bezeichnete Personengruppe soll sich durch unbelastete Begriffe in eine neutralere Richtung verschieben. Ist es aber tatsächlich möglich, durch neue Benennungen die Assoziationen, die mit den alten verbunden sind (z. B. Studenten = männliche Studenten), zurückzudrängen? Kann das Umbenennen ein Umdenken herbeiführen oder auch nur fördern? Welche Verbindung besteht zwischen Form und Struktur der sprachlichen Einheiten und dem Denken über deren Inhalt? Oder allgemeiner gefragt: Beeinflusst die Sprache, die wir sprechen, unsere Wahrnehmung und die Art, wie wir denken? oder ist das Denken der Sprache immer vorgängig und kann durch sie daher „nicht wirklich“ verändert werden?
Das Ziel dieser Arbeit ist es, ausgehend von solchen und ähnlichen Fragen, die Rolle der Sprache in unserem Denken zu beleuchten.
Der Zusammenhang von Sprache und Denken wird bereits in Platons Kratylos-Dialog behandelt und war seitdem immer wieder (implizit und explizit) Thema der Sprachphilosophie. Wilhelm von Humboldt entwickelte im neunzehnten Jahrhundert in Anlehnung an Vorstellungen von Johann G. Herder und anderen, die Theorie, dass Einzelsprachen Einfluss auf das Denken bzw. die Kultur ihrer Sprecher nehmen.[1] Im zwanzigsten Jahrhundert wurde dieser Gedanke von verschiedenen Autoren (z. B. von Lev Wygotsky oder Leo Weisgerber) erneut aufgegriffen. Die einflussreichste Wiederaufnahme der Theorie von Humboldt ist dabei sicherlich die sog. Sapir-Whorf-Hypothese (so benannt nach den amerikanischen Linguisten Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf), von der in der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird.
Die Sapir-Whorf-Hypothese dient dabei in zweierlei Hinsicht als Hintergrund. Zum einen entstand die empirische Forschung zum Einfluss der Sprache auf das Denken, deren Darstellung einen Hauptteil dieser Arbeit bildet, aus der Auseinandersetzung mit den Thesen von Sapir und Whorf.
Zum anderen soll in dieser Arbeit ein bestimmter Aspekt der Sapir-Whorf-Hypothese näher betrachtet werden, nämlich inwieweit Einzelsprachen den Hintergrund für das Denken, d. h. für das Weltbild ihrer Sprecher, bilden.
Im ersten Kapitel wird eine allgemeine Einführung in das Thema gegeben, es werden zunächst die sprachlichen Mechanismen erläutert, die auf einen möglichen Einfluss der Sprache auf das Denken hinweisen.
Im zweiten Kapitel folgt dann die Darstellung der Sapir-Whorf-Hypothese und ihrer Rezeptionsgeschichte. In diesem Zusammenhang werden auch die wichtigsten empirischen Untersuchungen auf diesem Gebiet beschrieben.
Im dritten Kapitel soll anhand eines Beispiels versucht werden, eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie die Sprache den Hintergrund für unser Denken bilden könnte.
Im vierten und im fünften Kapitel werden schließlich zwei größere Komplexe der empirischen Forschung, in denen die sprachliche Kodierung der Farben bzw. des Raums im Mittelpunkt stehen, ausführlich dargestellt.
1 Kann die Sprache das Denken beeinflussen?
Die Sprache beeinflusst das Denken durch die Information, die durch sie übermittelt wird.[2] Einen Großteil unseres Wissens erhalten wir nicht durch eigene Anschauung, sondern dadurch, dass es uns mitgeteilt wird. Diese sprachlich vermittelten Kenntnisse beeinflussen nun, genau wie jede andere Information, die wir erhalten, unser Denken und Handeln. Sie sind Bestandteil unserer Gesellschaft. Kulturelle, politische, aber auch naturwissenschaftliche Inhalte sind ohne Zuhilfenahme von Sprache kaum zu erlernen. Die Information in dem Satz:
(1) Ulan Bator hat 500 000 Einwohner.
erhält man zum Beispiel schwerlich durch eigene Erfahrung, selten wird sie anders als durch Sprache übermittelt werden. Dieser offensichtliche Einfluss von Sprache auf das Denken wird nun i. d. R. als wenig problematisch erachtet, da man vorrausgesetzt, dass die Information und deren Träger, die Sprache, voneinander getrennt sind. So kann die gleiche Information umformuliert oder in jede beliebige Sprache übersetzt werden. Nicht die Sprache selbst beeinflusst demzufolge das Denken, sondern nur deren Inhalt. Der Satz:
(2) In der Hauptstadt der Mongolei leben eine halbe Million Menschen.
enthält (zumindest im Kern) die gleiche Information wie (1). Obwohl alle sprachlichen Elemente ausgetauscht wurden, beziehen sich beide auf dieselbe Tatsache – und diese Tatsache ist unabhängig vom Medium der Übermittlung. Selbst wenn die Information vage ist (die Einwohnerzahl steht nicht genau fest), kann die Sprache nach allgemeinem Verständnis doch die Informationen so exakt wie möglich wiedergeben – tut sie das nicht, wird die Aussage falsch: Ulan Bator hat 5 Einwohner.
Aus dieser Perspektive besteht für die Sprache selbst nur eine geringe Möglichkeit, Einfluss auf das Denken zu nehmen, weil Fakten und Zusammenhänge unabhängig von der sprachlichen Form entweder richtig oder falsch sind.
Die Beeinflussung durch Sprache würde sich so auf Fälle beschränken, in denen Informationen durch „verwirrende“ oder mehrdeutige Aussagen verschleiert werden, etwa wie in diesem Beispiel:
(3) A man rode into town on Friday. He stayed for three nights and then left on Friday.
Die Schwierigkeit den Satz auf Anhieb zu verstehen, ergibt sich aus einer sprachspezifischen, der Form entspringenden Doppeldeutigkeit, die eine unter normalen Umständen recht obskure Lesart zulässt (sein Pferd heißt Friday). Diese und ähnliche Arten des Einflusses des sprachlichen Ausdrucks auf das Denken sind leicht auflösbar und halten nur solange an, bis dem Leser die zweite Bedeutung des Satzes klar wird. Missverständnisse dieser Art werden normalerweise durch verdeutlichende Zusätze vermieden und stellen daher nur in Ausnahmefällen ein Problem dar. Ein Einfluss von Sprache auf Denken könnte also demnach in jedem Fall vermieden werden.
Die Sichtweise auf Sprache, die sich aus dieser Argumentation ergibt, lässt sich anhand einer Gefäßmetapher darstellen: Wörter und Sätze sind Gefäße, mit denen ein Inhalt (Informationen) von einem Sprecher (Sender) zu einem Hörer (Empfänger) transportiert wird. Gefäß und Inhalt sind ohne Schwierigkeiten voneinander zu trennen.
Betrachtet man diese Metapher allerdings etwas genauer, stellt man fest, dass jeder Inhalt seine je eigenen Gefäße besitzt, der Inhalt BAUM wird durch das Wort <Baum>, (oder im Kontext durch den Ausdruck <das Ding da vorne>) übermittelt, aber eben nicht durch <Tisch>. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Bedeutung einer Aussage dem Hörer nicht direkt zugänglich ist, sondern dass er sie aus der Form der sprachlichen Einheiten erschließt oder, um wieder zur Metapher zurückzukehren, darin, dass die übergebenen Gefäße eigentlich leer sind, Sprecher und Hörer also den Inhalt getrennt voneinander einfüllen müssen.
Dieses Erschließen geht nun allerdings über das pure Zuordnen von Bedeutungen hinaus, das System Sprache besteht ja gerade darin, (neue) Informationen durch die Kombination bekannter Begriffe (bzw. Konzepte) zu kodieren:[3]
(4) Ein Stein liegt auf einem Buch.
Durch die systematische Kombination (anhand der deutschen Grammatik) der Konzepte STEIN, LIEGEN AUF und BUCH wird eine Information übermittelt.
Insbesondere bei der Beschreibung komplexer Sachverhalte zeigen sich dabei zwei Merkmale sprachlicher Kodierung. Erstens nimmt jede Beschreibung eine bestimmte Perspektive ein, so könnte der Sachverhalt in (4) auch durch:
(5) Ein Buch liegt unter einem Stein.
wiedergegeben werden. Zweitens wählt jede Beschreibung bestimmte Fakten aus, die explizit genannt werden, während andere unerwähnt bleiben. So wird in (4) und (5) nichts darüber gesagt, um welches Buch es sich handelt, wie groß der Stein ist, wo sich Buch und Stein befinden usw.
In allen sprachlichen Äußerungen zeigen sich diese beiden Eigenschaften, eine Aussage beschreibt etwas immer aus einem bestimmten Blickwinkel und lässt Informationen, die nicht relevant scheinen oder sich offenbar aus dem Kontext ergeben, beiseite.
1.1 Perspektivität von Sprache
Der bevorzugte Blickwinkel kann nun sehr stark von Sprache zu Sprache variieren. Sprecher einer bestimmten Einzelsprache sind gewohnt, dass immer gleiche Aspekte zur Beschreibung herangezogen werden. So beschreiben etwa die Sätze:
(6a) Das Glas ist halb voll.
und
(6b) Das Glas ist halb leer.
denselben Sachverhalt und werden auf Anhieb verstanden; andere Perspektiven hingegen, wie Das Ding besteht zu einem Drittel aus Wasser (und zu je einem Drittel aus Glas und Luft) oder Das Glas ist zu 95% gefüllt (wenn man von dem Gewicht der Füllung ausgeht – Luft ist sehr viel leichter als Wasser) sind missverständlich und kommen nicht vor.
Verschiedene Perspektiven können also unter Umständen zu sich widersprechenden Ausdrücken führen - Sprachen bevorzugen allerdings bestimmte Perspektiven. Ist es nun möglich, dass die gewählte Perspektive das Denken beeinflusst?
Slobin geht davon aus, dass eine solche Präferierung der Perspektive ein bestimmtes „thinking for speaking“ (d. h. ein bestimmtes Denken im Zuge des Sprechens, um sprachliche Formulierungen hervorzubringen) erzeugt.[4] So werden im Deutschen und Englischen die Art der Bewegung vorzugsweise durch das Prädikat und die Richtung durch eine Präposition kodiert: He ran [Art] into [Richtung] the house. Im Französischen und Spanischen wird dagegen die Richtung vorzugsweise durch das Prädikat angegeben, während ein Zusatz die Art der Bewegung beschreibt: Il est entré [Richtung] dans la maison en courant [Art:“ rennend“]. Dieser Unterschied führt nun dazu, dass dieselben Ereignisse tendenziell verschieden umschrieben werden. Slobin bringt ein Beispiel aus einer deutschen Übersetzung von Don Quixote. Der Satz: [...] cuando don Quijote salió[5] de la venta [...] (wörtlich: als Don Quijote die Schenke verließ) wurde dort mit: [...] als Don Quixote aus der Schenke ritt [...] übersetzt.[6] Obwohl eine direkte Übersetzung möglich ist, wählte der Übersetzer die idiomatischere, d. h. die im Deutschen üblichere Version. Für Slobin sind solche Unterschiede rein sprachliche Erscheinungen,[7] er bestreitet ausdrücklich, dass sich aus ihnen unterschiedliche Tendenzen des Denkens oder Handelns der Sprecher ableiten ließen.[8]
Kay weist darauf hin, dass die Wahrheitsbedingungen unabhängig von der Perspektive einer Aussage sind (auch wenn der Inhalt durch die Verschiebung der Perspektive nicht exakt der gleiche sei).[9] Als Beweis bringt er folgende Beispiele:
(7a) Sydney sold the armadillo to Sybil for $50.
(7b) The armadillo was sold to Sybil for $50 (by Sidney).
(7c) Sybil bought the armadillo from Sydney for $50.
(7d) The armadillo was bought (by Sybil) from Sidney for $50.
(7e) Sybil paid Sidney $50 for the armadillo.
(7f) $50 was paid to Sidney (by Sybil) for the armadillo.[10]
Wenn eine dieser Aussagen richtig ist, sind alle richtig. Die Bedingungen, unter denen sie wahr sind, sind also für alle gleich. Für Kay folgt daraus, dass die unterschiedlichen Perspektiven, die Sprachen einnehmen, kein Hinweis auf einen Unterschied im Denken der jeweiligen Sprecher seien, da zum einen verschiedene Perspektiven auch in einer Einzelsprache vorkämen (der Unterschied zwischen Sprechern der gleichen Sprache also genau so groß wäre wie zwischen Sprechern verschiedener Sprachen), aber auch, weil der Wahrheitswert einer Aussage nicht von deren Formulierung abhänge.
Im Zentrum seiner Argumentation steht dabei die Unabhängigkeit der Wahrheitsbedingungen. Dinge sind da oder nicht da – gleichgültig, wie sie beschrieben werden. Ob man Autobahnabfahrten mit Exit (=Ausgang) in den U.S.A. oder mit Entrada (=Eingang) in Mexiko bezeichne, mache für das Denken über eine Abfahrt keinerlei Unterschied.[11]
Entscheidend wäre also demzufolge nicht, ob Sprecher verschiedener Sprachen in ihrer Art des Ausdrucks übereinstimmen, sondern nur, ob sie in dem, worauf sie sich beziehen übereinstimmen.[12] Ob ich Tisch und Stuhl sage, oder auf kroatisch stol (= Tisch) und stolica (wörtlich: „Tischin“) und damit das Verhältnis zwischen Stuhl und Tisch analog zum Gegensatzpaar Mann-Frau betrachte, ist demnach ohne Belang, solange ich mich auf die gleiche außersprachliche Realität beziehe.
Der Einfluss von Sprache auf das Denken ist gemäß dieser Argumentation nur marginal: Sprachen unterscheiden sich, aber gleichgültig, wie unterschiedlich die Perspektiven auch sind, das, was sie beschreiben, ist für alle gleich, und deshalb müssen somit auch alle Sprachen in ihrem Bezug auf die Realität gleich sein.
Die Sichtweise auf Sprache ähnelt dabei der oben beschriebenen Gefäßmetapher, allerdings wird doch berücksichtigt, dass unterschiedliche Sprachen gleiche Inhalte nicht nur phonetisch, morphologisch und syntaktisch unterschiedlich kodieren, sondern auch semantisch.
Eine geeignetere Metapher, um diese Herangehensweise darzustellen, wäre deshalb, die Sprache als Färbemittel zu beschreiben: Die Welt ist farblos, die Muster, die sie besitzt (Kreise, Dreiecke, Erhöhungen) werden erst durch den Indikator Sprache sichtbar, d. h. die Struktur der Welt ist festgelegt und unveränderbar, aber eben nur durch Sprache zugänglich. Jede Sprache gibt der Wahrnehmung der Welt nun eine andere Farbe, aber alle Färbungen dienen dazu, die gleichen Muster zu offenbaren, d. h. Sprachen sind völlig unterschiedlich, aber sie haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich an den gleichen Gesetzmäßigkeiten der Realität orientieren.
In der Literatur ist die Kodierung von Phänomenen aus unterschiedlicher Perspektive dennoch einer der Hauptansatzpunkte für die Frage nach der Möglichkeit des Einflusses von Sprache auf Denken. Der Großteil der sprachlichen Differenzen, die in dieser Arbeit noch beschrieben werden (etwa die Kodierung von Farben, des Raums oder der Kategorisierung von Objekten) sind mit der grundsätzlichen Perspektivität von Sprache verknüpft. Welche Auswirkungen solche Differenzen haben können, wird später ausführlich erläutert werden.
1.2 Selektivität von Sprache
Jede Äußerung vermittelt nicht nur einen bestimmten Blickwinkel auf das, was beschrieben wird, sondern sie reduziert die Vielzahl der Eigenschaften des Beschriebenen auf einige wenige, die explizit genannt werden. Welche Informationen weggelassen werden, hängt dabei zum einen von der Perspektive ab (siehe oben), zum anderen vom Kontext, in dem die Äußerung stattfindet. Um das zu verdeutlichen, folgendes naheliegende Beispiel:
(8) Ich hab heute den ganzen Tag an meiner Magisterarbeit geschrieben.
Der Satz ist für einen Deutschen weder unvollständig noch zweideutig. Für eine Übersetzung ins Englische gäbe es nun aber dennoch zwei Möglichkeiten:
(8b) I’ve been writing my MA-thesis all day. [Ich schreibe noch an ihr]
(8c) I was writing my MA-thesis all day. [Ich habe bereits aufgehört an ihr zu schreiben]
Im Kroatischen müsste man sich wiederum zwischen zwei Möglichkeiten die Bedeutung von (8c) wiederzugeben entscheiden:
(8d) Pisao sam magistarski cijeli dan. [Der Schreiber ist männlich]
(8e) Pisala sam magistarski cijeli dan. [Der Schreiber ist weiblich]
Der Kontext des deutschen Satzes (8) transportiert nun zweifellos alle diese Informationen (Ich bin ein Mann, und ich bin offensichtlich gerade am schreiben), aber sie werden nicht explizit genannt. Ebenso ist ein Satz, wie: Ich bin ein Mann, ich habe den ganzen Tag an meiner Magisterarbeit geschrieben und schreibe noch daran möglich, wenn auch unüblich, denn voraussetzbare Informationen werden in der Regel nicht erwähnt, wird das getan, so hat dies eine besondere Bedeutung.
Die Unterschiede zwischen dem, was in verschiedenen Sprachen ausgedrückt werden muss und dem, was bei Bedarf ausgedrückt werden kann, sind nun sehr groß. In der Indianersprache Kwakiutl wird z. B. der Unterschied zwischen Singular und Plural nicht markiert.[13] In der gleichen Sprache müsste jedoch die Übersetzung des Satzes: Der Mann ist krank die Information enthalten, ob sich der Mann in der Nähe befindet oder nicht, und ob er für den Sprecher oder Hörer sichtbar ist oder nicht.[14] Obwohl alle diese Informationen auch in einem deutschen Satz ausgedrückt werden könnten, kommen sie nur sehr selten vor. Die Frage, ob der Mann sichtbar ist oder nicht, stellt sich für einen deutschen Sprecher bei der Formulierung des Satzes nicht, d. h. die Tatsache, dass hier eine Information fehlt, die in einer anderen Sprache niemals fehlen darf, wird in der Regel überhaupt nicht wahrgenommen.
Auf diesen Aspekt der Selektivität wird bei der Darstellung der Sapir-Whorf Hypothese noch näher eingegangen werden.
Die Selektivität einer Sprache geht nun aber über bloße grammatische Vorgaben hinaus. In Aussagen werden Ereignisse und Situationen oft nur angedeutet, bestimmte Begriffe schaffen Kontexte, die es erlauben für das Verständnis unerlässliche (aber weggelassene) Informationen zu erschließen:
(9) Jürgen besuchte ein Restaurant in Tunis. Der Kellner erhielt ein großzügiges Trinkgeld.[15]
Das Wort „Restaurant“ eröffnet einen Kontext, aus dem das Ereignis und der Bezug der beiden Aussagen zueinander abgeleitet werden kann: Jürgen hat in dem Restaurant gegessen, das Essen war gut, der Kellner, der ihn bedient hat, war nett und erhielt deshalb am Ende ein großzügiges Trinkgeld von ihm.
Um einen Satz wie (9) zu verstehen, reicht es nicht aus, zu wissen, was das Wort „Restaurant“ bezeichnet. Ein richtiges Verständnis ist nur möglich, wenn bekannt ist, welchen Kontext das Wort „Restaurant“ impliziert. Um zu verdeutlichen, dass es einen Unterschied zwischen bezeichnetem Ding (bzw. Konzept) und dem von ihm erzeugten Kontext gibt, sei folgendes Beispiel genannt:
(10) Ich fahre morgen nach England, deshalb hab ich mir heute noch mal ne schöne Tasse Kaffee im Restaurant gegönnt.
Für jemanden, der noch nie in England war, ist der Zusammenhang zwischen Kaffee und England wahrscheinlich nicht ersichtlich, für jemanden jedoch, der jemals Kaffee in England getrunken hat, ergibt er sich sofort: Englischer Kaffee ist normalerweise sehr viel schwächer als deutscher. „Viel zu schwacher Kaffee“ ist nun aber sicherlich nicht Teil des Denotats des Begriffs „England“. Um solche Äußerungen zu verstehen, muss ich mit „England“ mehr verbinden als nur das Land selbst. Ich muss Assoziationen nachvollziehen können, und durch den Begriff „England“ erzeugte Kontexte verstehen.
Solche Assoziationen und Kontexte sind nun aber nicht objektiver Teil der Bedeutung - trotzdem hat sie jeder Sprecher und braucht sie auch für eine funktionierende Kommunikation. Die gedankliche Verbindung mehrerer Sachverhalte erfolgt immer unter Mithilfe der Kontexte, die durch sie erzeugt werden. Auf diese Art können Konzepte miteinander verknüpft werden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben: Autopanne, Regen, netter Autofahrer, Tankstelle, heißer Kaffee. Diese Wörter erzählen eine Geschichte, weil sie Bilder erzeugen, die ineinander greifen, und nicht weil eine Autopanne irgend etwas mit Regen, netten Autofahrern oder heißem Kaffee zu tun hätte.
Das nächste Beispiel ist ein sogenanntes „Lateral Thinking Puzzle“; obwohl jede Angabe in der Beschreibung zutrifft, entsteht beim Leser ein falsches Bild der Situation:
(11) In einem Raum liegt die Leiche eines Mannes, neben ihm ein Beutel mit Schmuck, ein Fenster ist geöffnet, der Mond scheint herein. In dem Raum stehen allerlei Möbel, ein Kronleuchter hängt von der Decke. Der Mann hatte das Fenster von außen gewaltsam geöffnet und ist so in den Raum eingedrungen, dann hat er angefangen nach Schmuck und Wertsachen zu suchen – bis er erstickt ist. Warum?
Das Rätsel soll demonstrieren, dass die bloße Nennung von Begriffen bestimmte Situationen evoziert. Das, was mit den Begriffen verbunden wird, ergänzt einander und trägt zur Entstehung eines immer vollständigeren Bildes bei. Jeder Begriff schafft einen Kontext und aktiviert ein Schema[16]. Das Ganze der Beschreibung wird zu mehr als die Summe seiner Teile. Der Tote scheint offensichtlich ein Einbrecher zu sein, der den Schmuck gestohlen hat. Diese Deutung drängt sich auf, obwohl sie nirgends explizit gestützt wird – Tatsächlich ist sie falsch: Der Mann ist ein Taucher auf Schatzsuche in einem Wrack.
Auch bei diesem Beispiel lässt sich natürlich vorbringen, dass es auf einer Täuschung beruht, auch hier geht es darum, den Leser absichtlich (genau wie in Satz (3)) in die Irre zu führen, die Auflösung löst auch hier den Einfluss der Sprache auf das Denken.
Der Satz sollte jedoch lediglich zeigen, dass die Kontexte, die durch Begriffe erzeugt werden, falsch sein können. Für diese Kontexte muss sich aber ein Sprecher (oder Autor) nicht rechtfertigen, weil er sie ja überhaupt nicht ausdrücklich formuliert – trotzdem sind sie da. Erst diese mitgedachten Kontexte erzeugen ein vollständiges Bild einer Situation. Auch auf diesen Punkt werde ich später noch einmal zurückkommen.
Die Phänomene der Perspektivität und der Selektivität von Sprache lassen sich nun von zwei verschiedenen Ausgangspunkten aus betrachten.
Geht man davon aus, dass die Sprache, die wir sprechen, unser Denken formt, dass also die Struktur der Sprache immer auch die Struktur des Denkens ist und es somit kein Denken außerhalb dieser Struktur geben kann, dann gibt es auch keinen objektiven Maßstab, an dem sich das verifizieren ließe. Jede Objektivität wäre nur scheinbar, denn es gäbe außerhalb der Sprache keine Struktur, keine Bedeutung und keinen Inhalt. Aus dieser Sicht „stanzen Worte Bedeutungen in das Chaos“. Ein Beispiel soll das verdeutlichen. Angenommen der dreidimensionale Raum wäre keine Eigenschaft der Welt um uns herum, sondern nur eine „Erfindung“ unseres Geistes. Die Dinge, die uns umgeben, wären dann trotzdem unabhängig von unserer Wahrnehmung existent, allerdings wären es im eigentlichen Sinn dieses Wortes keine „Dinge“, noch würden sie uns „umgeben“. Alles, was sich sagen ließe, wäre, dass etwas existiert, was sich vom Ich unterscheidet. Der Raum ist die Vorraussetzung für jedwede Wahrnehmung und für jede Art wahrgenommener Struktur. Angenommen die Sprache würde eine solche Funktion besitzen, dann gäbe es zwar „etwas“ außerhalb der Sprache, aber dieses „etwas“ hätte keine Eigenschaften, die sich unabhängig von Sprache wahrnehmen ließen. Perspektivität und Selektivität wären dann formende Eigenschaften der Sprache. Ein solcher Standpunkt lässt sich unmöglich beweisen oder widerlegen, jede empirische Untersuchung braucht einen objektiven Maßstab, den sie hier nicht haben könnte: Ihr liegt in jedem Fall eine sprachlich formulierte Theorie zugrunde, sie wird von Sprechern durchgeführt, und schließlich anhand von Sprache beschrieben und erstellt.
Geht man andererseits davon aus, dass das Denken der Sprache vorgängig ist, d. h. dass das Denken im Sinne einer Hierarchie immer kontrollierend über der Sprache steht, dann gäbe es keinen formenden Einfluss der Sprache, jeder Einfluss wäre eine Täuschung, die aufgelöst werden könnte, wobei man sich an der außersprachlichen Realität[17], die dem Denken zugänglich wäre, orientieren könnte. Aber auch dieser Standpunkt lässt sich weder beweisen noch widerlegen, denn jede angenommene objektive Tatsache könnte im Ursprung sprachlich sein. Jeder Versuch einer Widerlegung durch den Verweis auf Auswirkungen der Sprache auf das Denken könnte andererseits immer damit beantwortet werden, dass genau diese Auswirkungen ja gerade beschrieben wurden, d. h. dem Denken zugänglich sind und somit also durch das Denken „entlarvt“ werden konnten.
Die Frage, ob die Sprache das Denken oder ob umgekehrt das Denken die Sprache determiniert (im Sinne eines alles bestimmenden Hintergrunds), ist damit durch empirische Untersuchungen nicht zu beantworten. Ein Beispiel soll das verdeutlichen. Der Schluß:
((A→B) Λ (B→C)) → (A→ C)
ist ein logisches Grundgesetz d. h. es ist universal gültig (das bekannteste Beispiel dafür ist „Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch, also ist Sokrates sterblich“). Dieses Grundgesetz lässt sich (genau wie alle logischen Gesetze) immer nur durch Sprache (d. h. mittels eines Systems von Zeichen) formulieren. Man könnte daher davon ausgehen, dass dieses Gesetz sprachlich ist und es nur deshalb auch ein Gesetz des Denkens ist, weil die Struktur der Sprache das Denken absolut bestimmt. (Natürliche Sprachen wären dann nur die Oberfläche für eine universelle Sprache, der das Denken folgt).[18]
Wenn man nun aber umgekehrt davon ausgeht, dass das Denken die Sprache bestimmt, dann ist dieses logische Gesetz ein Gesetz des Denkens, die Sprache folgt dann diesem Gesetz, weil sie vollständig vom Denken bestimmt wird und uns erscheint dieses Gesetz nur so, als ob es ausschließlich sprachlich wäre. Um nachzuweisen, dass entweder das Denken die Sprache oder umgekehrt die Sprache das Denken determiniert, müsste die Ursache für die Gültigkeit logischer Gesetze festgestellt werden. Empirische Untersuchungen können aber nur nachweisen, dass logische Gesetze gültig sind, aber nicht warum sie gültig sind. Die Frage, ob sich die Strukturen der Sprache im Denken spiegeln oder umgekehrt die Strukturen des Denkens in der Sprache, ist daher, wenn von einem absolut bestimmenden Verhältnis (in eine Richtung) ausgegangen wird, nicht zu leisten. Beobachtete Effekte können jedoch Hinweise darauf geben, welchen Einfluss Denken und Sprache aufeinander haben, wenn man voraussetzt, dass ein solcher Einfluss (in beide Richtungen) existieren könnte. Um eine solche Möglichkeit genauer betrachten zu können, sollen zunächst die Begriffe Sprache und Denken näher untersucht und definiert werden.
1.3 Sprache und Denken
Sprache und Denken sind Teil der menschlichen Kognition, d. h. des menschlichen Geistes,[19] beiden liegen mentale Prozesse zugrunde. In dieser Arbeit wird Denken als der nicht-sprachliche Teil der Kognition verstanden werden. Im Sinne dieser Definition umfasst das Denken damit die Funktionen der Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung nicht-sprachlicher Information.[20] Damit werden also der kognitive Teil der Wahrnehmung, sowie das Erinnern nicht-sprachlicher Inhalte dem Denken zugerechnet. Diese Definition lässt zunächst außer Acht, dass die Wahrnehmung der Umwelt und das Nachdenken über sie, d. h. etwa das Lösen von Problemen oder die Kategorisierung von Objekten, im allgemeinen als getrennte Vorgänge bestimmt werden. Daher soll auf beide Punkte kurz eingegangen werden.
Die Wahrnehmung der Umwelt erfolgt über die Reizung unserer Sinnesorgane, aus diesen Reizen wiederum konstruiert die menschliche Kognition ein Gesamtbild unserer Umwelt. Dabei ist anzumerken, dass zwischen diesem Abbild der Welt und der Welt selbst eine Differenz besteht. Die Wahrnehmung der Farben etwa entsteht dadurch, dass die verschiedenen Rezeptoren der Netzhaut durch bestimmte Wellenlängen des Lichts angeregt oder gehemmt werden. Das Auge unterteilt dadurch das Kontinuum, das das Spektrum der Wellenlängen des Lichts eigentlich bildet, in vier verschiedene Farben (Rot, Grün, Blau und Gelb), aus deren Mischung sich alle Farben ergeben (eine ausführlichere Darstellung folgt in Abschnitt 4.1).[21] Das Lichtspektrum ist also nicht wirklich in Farben eingeteilt, sondern diese Einteilung entsteht erst durch den Wahrnehmungsapparat.
Welche Strukturen der Mensch nun tatsächlich aktiv produziert und welche er nur passiv, als Eigenschaften der Außenwelt, wahrnimmt, ist eines der Grundprobleme der Erkenntnisphilosophie. So vertritt etwa Kant die radikale Position, dass der Rahmen der menschlichen Wahrnehmung durch die vom Menschen in die Welt hineinprojizierten Eigenschaften Raum, Zeit, Substanz und Kausalität gebildet werde.[22]
Wie auch immer das Verhältnis zwischen der Struktur der Welt und ihrer Strukturierung durch den Menschen aussehen mag, so kann doch davon ausgegangen werden, dass bei allen Menschen, aufgrund ihrer physischen Gleichheit, auch die Wahrnehmung grundsätzlich auf die gleiche Art funktioniert. Der Begriff „objektive Realität“ wird davon ausgehend in dieser Arbeit als die Realität verstanden werden, die sich für uns als Menschen ergibt, und nicht als die Realität, die unabhängig vom Menschen existiert.
Neben dem Denken, das direkt mit der Wahrnehmung verbunden ist, gibt es nun aber auch ein Denken über das Wahrgenommene: Die Verknüpfung mentaler Inhalte. Auf welche Weise diese Verknüpfung stattfindet bzw. was eigentlich dabei genau verknüpft wird, kann hier, aufgrund der Vielzahl verschiedener Erklärungsmodelle, nicht diskutiert werden. Eine bestimmte Art der Verknüpfung, die Kategorisierung, soll trotzdem zur Verdeutlichung ausführlicher untersucht werden.
Die klassische Theorie der Kategorisierung, in Anlehnung an Aristoteles, geht davon aus, dass sich Kategorien durch gemeinsame Merkmale ihrer Elemente konstituieren. So haben z. B. alle Elemente der Kategorie Vogel nach allgemeinem Verständnis u. a. die Eigenschaften Tier, besitzt Schnabel, besitzt Flügel und Federn, legt Eier und ist in der Lage zu fliegen gemeinsam. Die Schwierigkeit Kategorien auf diese Weise zu bestimmen, besteht darin, einen Kanon von Eigenschaften zu finden, der einerseits für alle Elemente dieser Kategorie gilt, andererseits aber Elemente anderer Kategorien ausschließt. So gibt es Vögel, die keine Federn besitzen (Pinguine) oder die nicht fliegen können (Strauße), andererseits gibt es Tiere, die fliegen können (Fledermäuse), einen Schnabel besitzen (Schnabeltier) oder Eier legen (Reptilien), die keine Vögel sind. Solche Ausnahmen lassen sich für nahezu alle Kategorien finden.
Ausgehend von empirischen Untersuchungen entwickelte Eleanor Rosch ein verändertes Modell der Kategorisierung. Sie bestreitet zunächst die im oben beschriebenen Modell implizite Annahme, dass Kategorien logisch von einander abgrenzbare Entitäten seien, deren Elemente innerhalb einer Kategorie gleichberechtigt nebeneinander stehen. Sie geht vielmehr davon aus, dass sich Kategorien aus besseren und schlechteren Exemplaren zusammensetzten.[23] Ein Rotkehlchen sei z. B. ein besseres Beispiel eines Vogels als ein Pinguin.[24] Bessere Exemplare bezeichnet Rosch als Prototypen oder Cognitive Reference Points.[25] Diese Prototypen seien Orientierungspunkte innerhalb einer Kategorie und würden eher als andere Elemente als zentraler Ausgangspunkt genommen. In Experimenten wurde etwa die Möglichkeit 996 is essentially 1000 öfters gewählt als die umgekehrte Version 1000 is essentially 996, weil 1000 als ein solcher Orientierungspunkt empfunden werde.[26]
Die Verbindung zwischen den einzelnen Elementen komme durch sogenannte Familienähnlichkeiten zustande.[27] Mit diesem von Wittgenstein stammenden Begriff ist gemeint, dass die einzelnen Elemente einer Kategorie jeweils nur einen Teil der Merkmale besitzen, die für diese Kategorie typisch sind. In einer Familie kann etwa die Tochter große Ähnlichkeit mit Mutter und Sohn haben, während der Sohn fast überhaupt keine Ähnlichkeit mit der Mutter aufweist. Ein Pinguin hat etwa mit einem Rotkehlchen den Schnabel und das Eierlegen gemein, er hat die gleiche Farbe wie eine Elster und er besitzt etwa die Größe eines Schwans. Die Eigenschaften, die die Kategorie Vogel konstituieren sind in der Gruppe, aber sie sind nicht Eigenschaften jedes Elements.
Die Eigenschaften der Prototypen werden nun für die Kategorie als repräsentativer betrachtet. So beurteilten Amerikaner in einem Experiment die U.S.A. als ein sehr repräsentatives Beispiel für die Kategorie Land („country“). Bei einer darauffolgenden Einschätzung wurde die Ähnlichkeit von Mexiko mit den U.S.A. höher eingeschätzt als umgekehrt die Ähnlichkeit der U.S.A. mit Mexiko.[28] In einem anderen Experiment hielten es die Probanden für wahrscheinlicher, dass eine Vogelkrankheit von Rotkehlchen auf Enten übertragen werde als umgekehrt von Enten auf Rotkehlchen (das Rotkehlchen ist ein Prototyp der Kategorie Vogel).[29] D. h. da Prototypen „perfekte“ Beispiele einer Kategorie sind, ist tendenziell alles, was mit dieser Kategorie zu tun hat, zuallererst eine Eigenschaft dieser Prototypen. Andere Beispiele werden in Bezug auf diese besseren Beispiele beurteilt.
Nachdem bis hierher erläutert wurde, wie der Begriff Denken in dieser Arbeit verstanden werden soll, geht es nun um die nähere Definition des Begriffs Sprache.
Sprache transportiert Informationen aufgrund ihrer Eigenschaft als Zeichensystem. Gemäß Saussure bestehen sprachliche Zeichen aus einem Signifikant (dem Lautbild) und der Vorstellung, die mit diesem Signifikant fest verknüpft ist, dem Signifikat (der Bedeutung).[30] Bei Saussure entstehen abgrenzbare Vorstellungen erst durch die Einteilung der „Nebelwolke“[31] des Denkens durch die Laute der Sprache.[32] In diesem Zeichenmodell hat also die Sprache eindeutig strukturierende Funktion.
Im Semiotischen Dreieck von Ogden und Richards hingegen wird dem Signifikant/Signifikat-Modell noch ein drittes Element, der Referent (d. h. der außersprachliche Inhalt) hinzugefügt.[33] Diese Ergänzung hat zur Folge, dass sich die Struktur der Sprache nicht nur, wie bei Saussure, durch das Verhältnis zwischen Ausdruck und Bedeutung ergibt, sondern durch den Bezug dieser Zweiheit auf nicht-sprachliche Entitäten. In dieser Arbeit wird begrifflich zwischen Signifikant, Bedeutung und Inhalt(= Referent) unterschieden werden. Die Annahme einer außersprachlichen Realität allerdings, d. h. einer außersprachlich strukturierten Realität, wird damit nicht vorrausgesetzt, weil sie den Einfluss von Sprache auf Denken von vornherein, aufgrund ihrer Prämissen, begrenzen würde. Wenn die Welt bereits geformt wäre, könnte sie nicht durch Sprache geformt werden.
Welches Verhältnis besteht nun zwischen Sprache und Denken bzw. anders ausgedrückt, welche Verbindung besteht zwischen sprachlicher Bedeutung und nicht-sprachlichen Konzepten?
Der Bedeutung von Wörtern auf der sprachlichen Seite stehen die kognitiven Konzepte des Denkens gegenüber. Nach allgemeinem Verständnis entsprechen sich Bedeutung und Konzept. Die Bedeutung des Wortes [tisch] entspricht genau einem bestimmten Konzept, das wir auch außersprachlich mit bestimmten Bildern oder konkreten Gegenständen verbinden können (eben mit Bildern von Tischen und mit Tischen selbst).[34]
Für diese Identität kommen nun vier mögliche Erklärungen in Betracht. Erstens, die Übereinstimmung steht von Beginn fest. Konzepte und Bedeutungen sind getrennt voneinander und beeinflussen sich nicht, trotzdem entsprechen sie sich. Die Veränderung von Sprachen widerspricht allerdings dieser Annahme. Zweitens, die Konzepte sind für die Bedeutungen verantwortlich, d. h. Konzepte werden unabhängig von Sprache erlernt und dann nur noch durch die Sprache benannt. Drittens, der umgekehrte Fall, Bedeutungen formen Konzepte, durch das Erlernen und den Gebrauch von Sprache entstehen nicht-sprachliche Kategorien. Und schließlich viertens, der Einfluss von Bedeutungen und Konzepten ist wechselseitig. Fertige Konzepte werden einerseits benannt, Benennungen erzeugen aber ihrerseits ebenfalls eine Struktur, die wiederum Konzepte erzeugt. Diese vier Möglichkeiten bilden den Hintergrund für die Frage nach dem Einfluss von Sprache auf Denken.
In diesem ersten Kapitel wurde erläutert, wie die durch das Thema gestellte Frage verstanden werden soll und welche prinzipiellen Möglichkeiten es zu einer Antwort gibt. Im nächsten Kapitel soll nun die Sapir-Whorf-Hypothese, die explizit einen Einfluss der Sprache auf das Denken postuliert, sowie deren Rezeption dargestellt werden.
2 Die Sapir-Whorf-Hypothese
Die Bezeichnung „Sapir-Whorf-Hypothese“ entstand erst Mitte der fünfziger Jahre,[35] über zehn Jahre nach Benjamin Whorfs Tod (1941). Tatsächlich ist sie irreführend, da Whorf das „linguistic relativity principle“ (das sprachliche Relativitätsprinzip), wie er es nannte, in weiten Teilen erst nach dem Tode Edward Sapirs im Jahre 1939 entwickelte. Die folgende Darstellung bezieht sich daher vor allem auf Schriften Whorfs. Da dieser aber selbst immer wieder auf Sapir verweist[36] bzw. längere Passagen von ihm zur Untermauerung eigener Gedankengänge zitiert,[37] wird Sapirs Werk insofern berücksichtigt, als es zum Verständnis der von Whorf entwickelten Thesen beiträgt.
Die Form, in der das Werk Whorfs vorliegt (einzelne, recht kurze Artikel, die ursprünglich unabhängig voneinander veröffentlicht wurden), erschwert die systematische Wiedergabe seiner Erörterungen. Die folgende Darstellung konzentriert sich deshalb, um so zu einem zusammenhängenden Bild zu kommen, zunächst auf zwei Hauptpunkte seiner Argumentation.[38] Diese sind seine Verwendung des Begriffs Relativität, die offenbar an den Begriff der physikalischen Relativität angelehnt ist[39] und sein Bezug zur Gestalt Psychologie der dreißiger Jahre.
2.1 Benjamin Whorfs sprachliches Relativitätsprinzip
2.1.1 Sprachliche und physikalische Relativität
Whorf formuliert das sprachliche Relativitätsprinzip wie folgt:
We are thus introduced to a new principle of relativity, which holds that all observers are not led by the same physical evidence to the same picture of the universe, unless their linguistic backgrounds are similar, or can in some way be calibrated.[40]
Die Verwendung der Begriffe relativity, oberservers, und physical evidence weist auf einen absichtlichen Bezug zur physikalischen Relativitätstheorie hin.[41] Tatsächlich erwähnen beide, Sapir und Whorf, die Einsteinsche Relativität im Zusammenhang mit der sprachlichen Relativität.[42]
Um die von Whorf intendierte Analogie verständlich zu machen, hier zuerst ein kurzes Beispiel physikalischer Relativität. Ein Raumschiff fliegt über eine Wiese, auf der just in diesem Moment eine Lampe aufleuchtet. Für einen Beobachter auf der Wiese ließe sich nun feststellen, falls er die entsprechenden Messinstrumente besitzt, dass sich das Licht der Lampe in alle Richtungen gleichförmig ausbreitet. Das Licht erreicht für ihn zwei gleichweit von der Lichtquelle entfernte Punkte A und B, über die die Rakete gerade hinwegfliegt, zur gleichen Zeit. Für einen Beobachter in der Rakete hingegen erreicht das Licht die beiden Punkte nacheinander.[43] Weiterhin ist für den Beobachter in der Rakete die Wiese kürzer (Lorentz-Kontraktion) und der zeitliche Ablauf auf ihr langsamer (Zeit-Dilatation) als für den Beobachter auf der Wiese. Für letzteren wiederum ist es genau umgekehrt, für ihn ist die Rakete verkürzt und zeitliche Abläufe in ihr wären, wenn er das Innere wahrnehmen könnte, verlangsamt.
Die Relativitätstheorie geht davon aus, dass Zeit, Raum und Masse nicht absolut sind, sondern abhängig vom (Inertial)-System, in dem sich der jeweilige Beobachter befindet. Mit anderen Worten, der gleiche Vorgang wird von Beobachtern verschiedener Systeme verschieden wahrgenommen. Dabei unterliegt keiner der Beobachter einer Täuschung, die Relativität erzeugt eine in Teilen unterschiedliche Realität für Beobachter in verschiedenen Systemen.
Die Analogie zum sprachlichen Relativitätsprinzip lässt sich wie folgt beschreiben: Verschiedene Sprachen werden zunächst als von einander getrennte Systeme erfasst, die in sich vollständig sind. Sapir schreibt dazu:
The outstanding fact about any language is its formal completeness [...] we may say that a language is so constructed that no matter what any speaker of it may desire to communicate, no matter how original or bizarre his idea or his fancy, the language is prepared to do his work. He will never need to create new forms or to force upon his language a new formal orientation […] The world of linguistic forms, held within the framework of a given language, is a complete system of reference […][44]
Diese „formale Vollständigkeit“ hat nach Sapir nun allerdings zur Folge, dass verschiedene Sprachen, d. h. unterschiedliche sprachliche Systeme, nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen sind:
Inasmuch as languages differ very widely in their systematization of fundamental concepts, they tend to be only loosely equivalent to each other as symbolic devices and are, as a matter of fact, incommensurable in the sense in which two systems of points in a plane are, on the whole, incommensurable to each other if they are plotted out with reference to differing systems of coordinates.[45]
Für Whorf entsteht die Unvereinbarkeit sprachlicher Systeme vor allem aufgrund ihrer Grammatik, d. h. der Struktur, in die ihre Lexeme eingebettet sind, und nur zu einem geringeren Teil aufgrund der Bedeutung dieser Lexeme selbst:
[…] they [most people, Anm. d. Verf.] naïvely suppose that speech is nothing but a piling up of Lexations, and that this is all one needs in order to do any and every kind of rational thinking; the far more important thought materials provided by structure and configurative rapport are beyond their horizons.[46]
Die Inkongruenz sprachlicher Systeme entsteht gemäß Whorf daher nicht anhand einzelner, unvereinbarer Konzepte, sondern aufgrund der auf der Grammatik basierenden Verknüpfung von Konzepten. Dieser Ansatz wird noch einmal explizit in einer zweiten Definition des sprachlichen Relativitätsprinzips formuliert:
[…] the „linguistic relativity principle [...] means, in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammars toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts of observation, and hence are not equivalent as observers but must arrive at somewhat different views of the world.[47]
Weltbilder, die durch eine bestimmte Grammatik konstituiert würden, könnten daher vollständig nur in der jeweiligen Sprache bzw. durch eine adäquate Beschreibung dieser Sprache ausgedrückt werden.[48]
Am Beispiel der Hopi-Sprache erläutert Whorf ausführlich die Unterschiede, die seiner Meinung nach zwischen zwei verschiedenen „sprachlichen“ Weltbildern liegen können. Eines seiner Hauptargumente ist dabei die Auffassung der Zeit in der Hopi-Sprache.
2.1.2 Hopi-Zeit
Während im Deutschen (oder Englischen) das Prädikat immer eine zeitliche Einordnung zulässt (entweder Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft), beschränkt sich die Tempus-Flektion in der Hopi-Sprache auf das Suffix –ni, das eine Erwartung (also den Bezug auf Zukünftiges) ausdrückt. Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird nicht markiert.[49] Statt dessen wird in Hopi-Verben, durch das Anhängen entsprechender Suffixe, Aspekt zum Ausdruck gebracht. Aspekt bezieht sich, vereinfacht ausgedrückt, auf das Resultat oder das Andauern der beschriebenen Handlung, d. h. er ist entweder perfektiv (resultativ) oder imperfektiv (durativ).[50] So bedeutet das Wort „peena“gemalt haben - die Handlung ist abgeschlossen, ein Ergebnis liegt vor, das Wort „penta“ hingegen bedeutet malen - die Handlung dauert noch an.[51] Der perfektive Aspekt impliziert dabei oft einen Bezug zur Vergangenheit, der imperfektive Aspekt verweist dagegen oft auf die Gegenwart.[52] Wie der Aspekt allerdings genau im konkreten Fall einzuordnen ist, wird vom Kontext des Satzes, von eventuell vorhandenen Zeitadverbien und schließlich von der Bedeutung des Verbs selbst bestimmt. Hinzu kommt, dass sich in einigen Fällen der Aspekt selbst ändern kann, je nachdem, welches Suffix auf welches Verb trifft.[53]
Whorfs Untersuchungen der Hopi-Sprache führten ihn zu dem Schluss, dass in ihr ein zyklisches Zeitverständnis zum Ausdruck komme, im Gegensatz zu einer eher quantitativ orientierten Auffassung (Zeit als Menge) in indo-europäischen Sprachen. Als Beispiel nennt er etwa die Raum-Zeit Metaphorik. Fast jede Beschreibung zeitlicher Abläufe verwendet im Englischen (und Deutschen) Begriffe, die ursprünglich aus der räumlichen Betrachtung, bzw. aus der Umschreibung der Bewegung im Raum, stammen (z. B. „Er wartete lange.“ „Die Zeit verging schnell.“ „ Im Sommer.“ usw.). Whorf behauptet nun, dass solche Metaphern in der Hopi-Sprache gänzlich fehlten.[54] Ebenso würden Zeitspannen niemals als Menge verstanden (Er blieb fünf Tage), sondern immer nur als ein Später-Werden (Er ging am fünften Tag).[55] Auch seien Bezeichnungen wie Sommer, Winter usw. niemals Substantive, sondern eine „Art Adverbien“, Äußerungen wie „dieser Sommer“ seien unmöglich, statt dessen werde „sommer jetzt“ verwendet.[56] Das Bild der Zeit, das sich aus diesen (sprachlichen) Merkmalen der Hopi-Sprache ergebe, sei gegenüber dem unseren von Grund auf verschieden:
After long and careful study and analysis, the Hopi language is seen to contain no words, grammatical forms, constructions or expressions that refer directly to what we call „time“, or to past, present, or future, or to enduring or lasting [...][57]
Neuere Untersuchungen lassen Whorfs Ergebnisse allerdings fraglich erscheinen. So widerlegt Malotki an Hunderten von Beispielen die meisten Aussagen Whorfs über die Zeit in der Hopi-Sprache. Er nennt Morpheme mit räumlicher Bedeutung, die auch temporal verwendet werden. (ep = dort, aber santit ep = am Sonntag[58] ), ebenso weist er darauf hin, dass zwar Whorfs Einordnung der Begriffe tömö (= während der kalten Jahreszeit) und taala (= während der warmen Jahreszeit) als Adverbien richtig sei, daneben gebe es aber auch nominale Formen.[59] Schließlich ließen sich im Hopi auch quantitative Zählungen von Zeitabschnitten feststellen: pakwt taala pept taalat aape wuuyavoningwu (= Zehn Tage sind länger als neun).[60]
Ein weiterer kritischer Punkt der Argumentation Whorfs soll an diesem Beispiel (der Zählung der Tage) aufgezeigt werden. Im Hopi werden Ordinalzahlen durch Anhängen des Suffix –s an die Kardinalzahlen gebildet:[61] paayi (= drei)[62] - paayi s taala (= am dritten Tag)[63]. Bei genauerer Betrachtung des Suffixes –s lässt sich feststellen, dass es am ehesten dem deutschen Mal (engl. times) entspricht:[64] paayis itam tsovaltiqe (=Wir haben uns drei Mal getroffen).[65] Der Ausdruck paayis taala bedeutet also wörtlich übersetzt: „drei Mal Tag“. Geht man von Malotkis Beispielen aus, dann ist diese Form der Zählung der Tage häufiger als die quantitative („drei Tage“). Berücksichtigt man nur die Sprache der Hopi, dann ließe sich also unter Umständen eine Tendenz zu einer eher zyklischen Zählung (d. h. einem Hopi-Bild der Zeit im Sinne Whorfs) feststellen. „Drei Tage“ wäre dann nicht die Summe der Addition dreier Tage, sondern die Wiederkehr des immer selben Tages, drei mal hintereinander. Aber selbst wenn sich eine solche Tendenz tatsächlich bestätigen ließe, wäre das noch kein Beweis oder auch nur Hinweis dafür, dass die Wahrnehmung der Zeit durch die Hopi dadurch beeinflusst wird. Um das zu demonstrieren, folgender Satz:
(12) Wie heißt Du?
Die zweite Person (Singular wie Plural) ist im Deutschen geschlechtsneutral, d. h. es wird nicht zwischen männlichem und weiblichem Adressaten unterschieden. Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass dem Sprecher der Unterschied gleichgültig ist, oder dass die geschlechtsneutrale Form eine solche Gleichgültigkeit fördert. Im Gegenteil, das Geschlecht der Gesprächspartner ist neben dem sozialen Status wahrscheinlich eine der wichtigsten Rahmenbedingungen.
Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht möglich ist von formalen Gegebenheiten der Sprache auf Strukturen im Denken der Sprecher zu schließen. Die Hopi-Sprache mag von der unseren noch so verschieden sein, die Folgerung, dass das Denken ihrer Sprecher sich ebenfalls von unserem grundsätzlich unterscheidet, ergibt sich daraus nicht.[66] Andererseits ist ein solcher Effekt natürlich nicht von vornherein ausgeschlossen, er kann aber nur anhand nicht-sprachlicher Evidenzen aufgezeigt werden.
Die Bestimmtheit und Ausschließlichkeit, mit der Whorf seine Thesen über die Hopi-Sprache vorbringt und die Tatsache, dass ein Großteil seiner Beispiele nicht richtig oder doch zumindest sehr ungenau ist, führten zu dem Vorwurf, dass er die Hopi-Sprache schlecht analysiert habe und die gezogenen Schlüsse daher jeder Grundlage entbehrten.[67]
Malotki allerdings, dessen Forschungen die Rechtfertigung für diese Vorwürfe bildet, stimmt mit den Grundgedanken Whorfs durchaus überein.[68] Ebenso ist auch er davon überzeugt, dass eine adäquate Beschreibung des Weltbilds der Hopi nur in deren Sprache möglich sei:
To gain better insights into the nature of „Hopiness“, much of what has been recorded in the literature needs to be reworked from a Hopi linguistic perspective. Most meaningfully, of course, this work would be carried out by the Hopi themselves in their native tongue. Presenting a cultural concept in the source language not only gives it transparency, it also establishes a criterion of credibility far exceeding that which a linguistic code from outside the culture can project.[69]
Und auch er, obwohl er keinen Zweifel daran lässt, dass er Whorfs Aussagen zu diesem Thema für grundsätzlich falsch hält, attestiert den Hopi einen anderen „Sinn für Zeit“ („sense of time“[70] ) als ihn westliche Kulturen besäßen.[71]
Es lässt sich also sagen, dass, obwohl Malotki die konkreten Aussagen Whorfs über die Hopi-Sprache fast alle widerlegt, er mit ihm doch darin übereinstimmt, dass das Weltbild der Hopi untrennbar mit deren Sprache verbunden ist und generell eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Sprache und Kultur existiert. Zur Frage, wie groß diese Abhängigkeit ist, schreibt er folgendes:
The degree of interdependence between language and culture is, of course, difficult if not impossible to determine. Questions about the influence which a given language has on the thought and cultural patterns of its community, and which, in turn, ask about the effect of cultural patterns respective language, are notoriously difficult to answer. It is safe to say however, that appraising a culture on its own terms, i. e., its own vernacular, is bound to lead to more meaningful findings than describing the same culture from a linguistic basis which happens to be intrinsically alien to it.[72]
Malotki geht es somit in erster Linie darum, einen Zusammenhang zwischen dem Verständnis einer fremden Kultur und dem Verständnis, der in ihr verwendeten Sprache herzustellen und weniger um die Frage, inwieweit sich Sprache und Kultur gegenseitig (aktiv) beeinflussen.
2.1.3 Isolierte Erfahrungsfelder - Isolierte Bedeutungsfelder
Im vorigen Abschnitt wurde Whorfs These erläutert, dass sprachliche Systeme relativ zueinander sind, d. h. auf der Grundlage unterschiedlicher Weltbilder funktionieren. Es bleibt allerdings die Frage, wie eine solche Relativität zustande kommt. Hier kommt die wohl am meisten zitierteste Textstelle von Whorf in den Blick:
The categories and types that we isolate from the world of phenomena we do not find there because they stare every observer in the face; on the contrary, the world is presented in a kaleidoscopic flux of impressions which has to be organized by our minds – and this means largely by the linguistic systems in our minds. We cut nature up, organize it into concepts, and ascribe significances as we do, largely because we are parties to an agreement to organize it this way – an agreement that holds throughout our speech community and is codified in the patterns of our language. The agreement is, of course, an implicit and unstated one, but its terms are abolutely obligatory; we cannot talk at all except by subscribing to the organization and classification of data which the agreement decrees. [Herv. i. Org.][73]
Aus diesem Zitat scheint hervorzugehen, dass die Sprache unsere Welt formt, d. h. unsere Umwelt unstrukturiert sei (wie die sich ständig verändernden Bilder des Kaleidoskops) und ihr erst durch die Kategorien der Sprache eine Form eingepresst werde. Dass Whorf allerdings eine andere Lesart beabsichtigte, zeigen diese Ausführungen:
[...] we must have a way of describing phenomena by non-linguistic standards, and by terms that refer to experience as it must be to all human beings, irrespective of their language or philosophies. This is possible, the way having been shown by Gestalt Psychology. Visual perception is the standard, norm, and framework of all experience. The forms and laws of visual perceptions are the same for all individuals – even the most glaring abnormalities, like color-blindness, are relatively minor, and do not disturb the universal configurative principles of visual perception. We need not cite these laws here – see, e. g. Kurt Koffka, “Gestalt Psychology”. The basic principle is the contrast of figure and ground, involving the differing degrees of organization, stability, and fixity in figures or outlines of all sorts.[74]
Whorf ging also durchaus davon aus, dass die Wahrnehmung bestimmten Gesetzen folge, die für die Sprecher aller Sprachen gleichermaßen gelten, und dass sich daraus ein gemeinsamer Orientierungspunkt ergebe. Um verständlich zu machen, dass sich die beiden Zitate nicht widersprechen, sondern im Gegenteil ergänzen, werde ich kurz die Figure/Ground Konzeption von der Whorf im letzten Zitat spricht, erläutern.
Angenommen vor mir steht ein Tisch, auf dem ein Buch liegt, dann ist es mir möglich Buch und Tisch aufgrund meiner visuellen Wahrnehmung voneinander zu trennen. Ich nehme wahr, dass das Buch auf dem Tisch liegt, während der Tisch unter dem Buch ist. Diese Wahrnehmung ist allerdings schon eine Schlussfolgerung, denn in Wirklichkeit präsentiert sich mir ein homogenes Bild, eine Oberfläche, die teilweise auf die eine und teilweise auf eine andere Art strukturiert ist. Dass das Buch nicht Teil der Oberfläche oder unter dem Buch ein Loch ist, sondern, dass der Tisch sich im Gegenteil unter dem Buch weiter erstreckt, ergibt sich nur mittelbar aus der visuellen Wahrnehmung und ist somit ein aktiver Prozess der Kognition. Diese Aufspaltung in Hintergrund („ground“) und Figur („figure“) ist, gemäß der Gestaltpsychologie,[75] eines der Gesetze der perzeptuellen Wahrnehmung[76] und auch Whorf geht davon aus (siehe obiges Zitat), dass es allgemeine, d. h. sprachunabhängige, Gültigkeit besitzt.
Die Tatsache, dass sich das Buch auf dem Tisch, d. h. die Figur auf dem Hintergrund befindet, ist also durch keine sprachliche Kategorisierung, mag sie auch noch so verschieden von der unseren sein, zu verändern. Whorf formuliert das so:
If the perceptual influences are such as to cause one normal person to see a definite outline, they will cause all other normal persons to see the same outline. For example, all people see the constellation Ursa Major as the outline which we call dipper-shaped, though they may not call it a dipper or have such a utensil in their culture, and though there are, of course, no lines connecting the stars into this or any other outline.[77]
D. h. Umrisse werden von allen gleich wahr genommen, aber nicht gleich interpretiert. Whorf benutzt die Begriffe „isolates of experience“[78] (isolierte Erfahrungsfelder) und „isolates of meaning“[79] (isolierte Bedeutungsfelder), um zwischen dem, was direkt durch die Erfahrung gegeben ist einerseits und dem, was durch Interpretation zu Bedeutung wird andererseits, zu unterscheiden.
Der Zusammenhang zwischen isolierten Erfahrungsfeldern und isolierten Bedeutungsfeldern soll an den Abbildungen 1 und 2 demonstriert werden. In der Abbildung 1 sieht man, entweder eine Vase oder zwei Gesichter im Profil. Die Formen, die visuell wahrgenommen werden, lassen beide Interpretationen zu. Aus einer feststehenden Form entstehen damit für den Betrachter zwei Möglichkeiten für das, was auf dem Bild zu sehen ist - abhängig davon, was als Figur oder als Hintergrund interpretiert wird. Die Umrisse in dem Bild entsprächen hier den isolierten Erfahrungsfeldern, die Vase (oder die Gesichter) wäre(n) die isolierten Bedeutungsfelder. In Abbildung 1 ist dieser Kippeffekt wahrscheinlich universal, d. h. für alle Betrachter gleichermaßen wahrnehmbar. In Abbildung 2 hingegen kann man diesen Effekt nur sehen, wenn man lesen kann, bzw. lateinische Buchstaben kennt. Nur dann wird das Schwarze als Hintergrund interpretiert werden und das Weiße als Figur (als das Wort LIFT). Die Formen und Umrisse, die wir wahrnehmen sind durch die Wahrnehmung selbst vorgegeben - Was diese Formen sind, wird dadurch aber nicht determiniert. Die Isolierung der Figur aus dem Hintergrund ist ein kognitiver Prozess. In dem Bild wird das gesehen, „was den meisten Sinn macht“. Für einen monolingualen Chinesen macht das Wort LIFT keinen Sinn, deshalb wird er das Weiße eher als Hintergrund interpretieren und schwarze Blöcke sehen, für uns dagegen ist es schwierig, nachdem man das Wort erst einmal entdeckt hat, darin noch etwas anderes zu sehen als LIFT. Der Grund dafür liegt nicht etwa darin, dass unsere Wahrnehmung das Bild in irgendeiner Weise umformt, sondern in unserem Weltwissen, aufgrund dessen das Bild interpretiert wird. Im Fall des Wortes Lift ist dieses Wissen sprachlich. Wenn ich nun noch einmal auf Abbildung 2 schaue, dann sehe ich das Wort Lift, weil ich weiß, dass es da ist, die Tatsache, dass auf dem Bild schwarze Blöcke zu sehen sind, tritt in den Hintergrund.
Dieses Prinzip der Wahrnehmung wendet Whorf nun auf die sprachliche Kategorisierung an. Zur Demonstration soll zunächst ein Beispiel von Sapir dienen. Der Satz Der Stein fällt („The stone falls“) setzt sich aus dem Subjekt Stein und dem Prädikat fällt zusammen.[80] Für uns ist das eine adäquate Analyse der Situation. Tatsächlich ergibt sich diese Aufspaltung aber so nicht zwingend aus dem beobachteten Ereignis. Die Nootka-Sprache drückt die gleiche Situation mit einem Verb aus, das allgemeine Bewegung oder Position eines Steins oder steinförmigen Objekts ausdrückt, und einem Element, das die Richtung nach unten beschreibt. Unsere Form Der Stein fällt würde also einer Form Es steint runter („It stones down“) entsprechen, beides absolut zutreffende Beschreibungen des gleichen Vorgangs,[81] allerdings werden die isolierten Erfahrungsfelder in andere isolierte Bedeutungsfelder aufgeteilt.
Ein anderes Beispiel, das Whorf nennt, sind die Sätze Ich ziehe den Zweig zur Seite weg („I pull the branch aside“) und Ich habe einen zusätzlichen Zeh an meinem Fuß („I have an extra toe on my foot“). Im Deutschen (und Englischen) haben diese Sätze nichts miteinander gemein. In der Sprache der Shawnee allerdings entsprechen den beiden Sätzen sehr ähnliche Konstruktionen (ni-l’θawa-’ko-n-a und ni-l’θawa-’ko-θite [82] ). Die Ähnlichkeit der beiden Sätze kommt daher, dass in beiden im Zentrum steht, dass eine unnatürliche Gabelung entsteht. Die Zweige werden zur Seite gebogen, dadurch vergrößert sich „künstlich“ die Gabelung am Anfang des Astes und durch den zusätzlichen Zeh entsteht am Ende des Fußes ebenfalls eine unnatürliche „Gabelung“.[83]
Verschiedene Sprachen verbinden also, gemäß Whorf, unterschiedliche Merkmale erfahrener Situationen miteinander. Die Verknüpfungen können dabei so verschieden sein, dass sie von Sprechern anderer Sprachen zuerst überhaupt nicht wahrgenommen werden.
Hier kommt das bereits angesprochene Phänomen der Selektivität in den Blick, Sprachen beschreiben nicht alle Merkmale einer Situation (das wäre aufgrund der Menge auch völlig unmöglich), sondern eben nur das, was sich aufgrund des sprachlichen Systems in den Vordergrund schiebt, für die Sprecher einer Sprache bedeutet das aber, gemäß Whorf, dass sie die Welt normalerweise aus der Perspektive wahrnehmen, die ihnen ihre Sprache vorgibt. Diese Vorgaben, die „fashions of speaking“[84] seien für die Sprecher der gewohnte Blick auf die Welt.
Gemäß Whorf ist diese selektive Auswahl ein unbewusster Vorgang, die Identifizierung der Figur vor dem Hintergrund geschieht automatisch und ist zunächst nicht durch das Bewusstsein steuerbar:
[...] the study of language [...] shows that the forms of a person’s thoughts are controlled by inexorable laws of pattern of which he is unconscious. These patterns are the unperceived intricate systematizations of his own language […] every language is a vast pattern-system, different from others, in which are culturally ordained the forms and categories by which the personality not only communicates, but also analyzes nature, notices or neglects types of relationship and phenomena, channels his reasoning, and builds the house of conciousness.[85]
Diese unbewusste Segmentierung könne nun nur dadurch ins Bewusstsein gebracht werden, dass die Strukturen anderer Sprachen mit der eigenen kontrastiert werden. Geschieht das nicht, wird das Weltbild, das uns die Sprache präsentiert, unkritisch angenommen und so für uns zu einem objektiven Bild der Welt und somit nicht nur Grundlage unseres alltäglichen Denkens, sondern auch Grundlage der wissenschaftlichen Forschung. Whorf schreibt dazu:
I believe that those who envision a future world speaking only one tongue, whether English, German, Russian, or any other, hold a misguided ideal and would do the evolution of the human mind the greatest disservice. Western culture has made, through language, a provisional analysis of reality and, without correctives, holds resolutely to that analysis as final. The only correctives lie in all those other tongues which by aeons of independent evolution have arrived at different, but equally logical, provisional analyses.[86]
Als Grundlage für eine solche kontrastive Untersuchung nennt Whorf bestimmte sprachliche Merkmale, auf die im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden soll.
2.1.4 Phänotypen - Kryptotypen
Die im obigen Abschnitt beschriebene Aufspaltung der Umwelt durch Sprache, d. h. die Kategorisierung, die jede Sprache vollzieht, wird nun, gemäß Whorf, durch die Struktur offener und verdeckter Kategorien („overt/covert categories“[87] ) erzeugt.
Ein Beispiel für eine offene Kategorie (oder Phänotyp – engl. „Phenotype“[88] ) ist die Pluralflektion. Einzahl und Mehrzahl können i. d. R. durch die Form des Substantivs und durch andere Elemente des Satzes ( finites Verb, deklinierte Adjektive usw.) voneinander getrennt werden. Die unterscheidenden Merkmale sind im Satz vorhanden. (Der Mann schläft vs. Die Männer schlafen).[89] Bei verdeckten Kategorien (oder Kryptotypen – engl. „Cryptotypes“[90] ) ist eine Unterscheidung nicht ohne weiteres möglich, weil sie aus dem Satz i. d. R. nicht ersichtlich sind. Ein Beispiel wäre die Zuordnung von Geschlechtern zu Namen (Karl vs. Karin), die nicht aus den Namen selbst und nicht zwingend aus dem Satz hervorgehen muss. Weiterhin wird in Sätzen wie Karin gelang es Karl zu überzeugen vs. Karin schaffte es Karl zu überzeugen, nicht deutlich, dass die beiden Sätze unterschiedlich aufgebaut sind (im ersten Satz ist Karin Dativobjekt im zweiten Subjekt).[91]
Verdeckte Kategorien sind nicht immer verdeckt, in bestimmten Situationen („reactances“[92] ) treten die Unterschiede zu Tage. So wird bei der Verwendung von Pronomen deutlich, dass Karin („sie“) weiblich sein muss und Karl („er“) männlich. Im zweiten Fall zeigt sich der Unterschied bei dem Versuch die Sätze ins Passiv zu setzen: *Es wurde von Karin gelungen, Karl zu überzeugen vs. Es wurde von Karin geschafft, Karl zu überzeugen.
Über den Einfluss, den die Kryptotypen ausübten, finden sich bei Whorf widersprüchliche Angaben,[93] so schreibt er an einer Stelle, dass sie rationaler seien, als offene Kategorien:
[...] many American Indian and African languages abound in finely wrought, beautifully logical discriminations about causation, action, result, dynamic or energic quality, directness of experience, etc., […] In this respect they far out-distance the European languages. The most impressively penetrating distinctions of this kind often are those revealed by analyzing to the covert […] levels. Indeed, covert categories are quite apt to be more rational than overt ones. English unmarked gender is more rational, closer to natural fact, than the marked genders of Latin or German.[94]
An einer anderen Stelle hingegen weist er darauf hin, dass verdeckte Kategorien doch nicht rationale (d. h. für alle Beobachter gleiche) Erfahrungen, ausdrückten:
Likewise with various covert categories of exotic languages: where they have been thought to be recognitions of objective differences, it may rather be that they are grammatical categories that merely accord up to a certain point with objective experience. They may represent experience, it is true, but experience seen in terms of a definite linguistic scheme, not experience that is the same for all observers.[95]
Sein Hauptanliegen in diesem Zusammenhang ist es jedoch, darauf hinzuweisen, dass offene und verdeckte Kategorien bei der Analyse einer Sprache berücksichtigt werden müssen:
It will be seen that, in a language such as Hopi, the meanings of grammatical forms result from the interplay of phenotype and cryptotype, and not from phenotype alone. This concept is of course extensible to many other languages than Hopi. Linguistics up to now has studied almost entirely the phenotypes alone. Study of cryptotypes opens up a more psychological phase of linguistics.[96]
Das Zusammenspiel von Phänotypen und Kryptotypen sei also der Schlüssel zur Analyse des Weltbilds, das einer Sprache inhärent ist.
2.1.5 Nicht-sprachliche Evidenzen für sprachliche Relativität
Obwohl Whorf sprachliche Unterschiede in den Mittelpunkt seiner Argumentation stellt und seine Schlussfolgerungen über die Verbindung von Sprache und Denken weitgehend auf ihnen aufbaut, führt er doch an einigen Stellen nicht-sprachliche Auswirkungen an, die durch Sprache hervorgerufen würden.
So berichtet er aus seiner Erfahrung als Mitarbeiter einer Feuer-Versicherungsgesellschaft von explizit sprachlichen Auslösern für achtloses Verhalten, das zu Bränden geführt habe. Der Ausdruck leere Benzintonnen („empty gasoline drums“) etwa habe dazu verleitet in der Nähe dieser Tonnen zu rauchen (die verbleibenden Dämpfe in solchen Tonnen sind allerdings hochexplosiv).[97] In einem anderen Fall wurde angenommen, dass Kalkstein („limestone“), da Steine nicht brennen, keinesfalls entflammbar sei. Durch säurehaltige Dämpfe in der Fabrik wandelte sich der Kalkstein allerdings in das brennbare Kalzium-Azetat um und fing Feuer.[98] Whorf beschreibt noch mehrere solcher Beispiele mit dem Hinweis, das hier sprachliche Formen ein bestimmtes Verhalten ausgelöst hätten. Das Wort „leer“ bedeutete eben nicht nur leer, sondern auch ungefährlich in diesem Zusammenhang, das Wort „Stein“ bezeichnete nicht nur eine bestimmte Substanz, sondern evozierte Eigenschaften, die Steine „normalerweise“ haben – aber eben nicht dieser.
Die Kategorisierung der Sprache hat somit, folgt man diesen Beispielen, Einfluss auf das Verhalten und damit auf das Denken ihrer Sprecher.
Ein zweites Beispiel, das Whorf nennt, ist der Zusammenhang zwischen kulturellen und sprachlichen Formen:
The Hopi linguistic segmentations of experience with respect to the phenomena of water and rain […] (distinction between and usage of ‘wild water’ and ‘fixed water’, lack of our segmentation ‘wet’, importance of the segmentation ‘rain’ or ‘rain-aspect of nature’) are in harmony with Hopi climatic conditions, economic importance of and cultural attitudes towards water and rain.[99]
Merkmale der Kultur spiegeln sich also, gemäß Whorf, in Gegebenheiten der Sprache wieder. Die Richtung der Kausalität ist dadurch natürlich nicht festgelegt, die Kultur (bzw. das Denken) könnte die Sprache ihren Bedürfnissen angepasst haben, ohne dass ein Einfluss in die andere Richtung eine Rolle gespielt hätte. Bei diesem Beispiel muss jedoch berücksichtigt werden, dass Whorf weder davon ausging, dass alleine die Sprache die Kultur (bzw. das Denken) formt, noch dass die Kultur alleine für die sprachlichen Formen verantwortlich ist. Aus seinen Ausführungen lässt sich eher schließen, dass für ihn sprachliches und nicht-sprachliches Denken gleichberechtigt nebeneinander stehen, d. h., dass die Sprache Teil des Denkens und Teil der Kultur ist:
There is no causal connection, in either direction, between language and (non-linguistic) cultural features. The plea for more correlated study of a given language and study of the culture of its community does not rest on any such consideration, but on the fact that l[angua]ge itself is culture, and that l[angua]ge and the rest of culture (with language extracted from it) belong together as really inseparable parts of great whole – the culture in a broad sense. [Anm. in eckigen Klammern v. Verf.].[100]
Die Tatsache, dass Whorf überhaupt keine Hierarchie in dem Verhältnis Sprache-Denken annahm, sondern im Gegenteil davon ausging, dass es sprachliche Universalien (etwa die Gesetze der Wahrnehmung in der Gestaltpsychologie) und einen determinierenden Einfluss von Sprache (wie Whorf ihn aufgrund der in diesem Abschnitt 2.1 beschriebenen Beispiele postuliert) gibt, ist für die nun folgende Betrachtung der Interpretationen seiner Thesen wichtig.
2.2 Die Theorie der sprachlichen Relativität seit Whorf
Im letzten Abschnitt wurden die verschiedenen Aspekte beschrieben, die das Gesamtkonzept der Sapir-Whorf-Hypothese (im Sinne Whorfs) bilden. Dabei wurde herausgestellt, dass Whorf seine Theorie in Analogie zur physikalischen Relativität einerseits und in Anlehnung an die von der Gestaltpsychologie postulierten Gesetze der Wahrnehmung andererseits, entwickelte. In diesem Abschnitt sollen nun die theoretische Auseinandersetzung mit Whorfs Werk und im besonderen die daraus resultierenden Versuche seine Thesen empirisch zu überprüfen, im Vordergrund stehen.
2.2.1 Die „starke“ und die „schwache“ Sapir-Whorf-Hypothese
Whorfs Schriften erschienen zu seinen Lebzeiten nie zusammengefasst in Buchform, sie blieben aber auch nach seinem Tod einflussreich. So finden sich seine Grundgedanken etwa in Kluckholm und Leightons Werk über die Navaho (1947).[101] 1950 wurden zunächst vier seiner Artikel erneut veröffentlicht.[102] Nach mehreren linguistischen Konferenzen zur sprachlichen Relativität und ersten empirische Untersuchungen[103] erschien 1956 schließlich Language, Thought and Reality, eine Sammlung ausgewählter Artikel von Whorf,[104] die bis heute die Grundlage der Rezeption der Sapir-Whorf-Hypothese bildet. Im Vorwort dieser Ausgabe schreibt Stuart Chase:
Whorf as I read him makes two cardinal hypotheses:
First, that all higher levels of thinking are dependent on language.
Second, that the structure of the language one habitually uses influences the manner in which one understands his environment. The picture of the universe shifts from tongue to tongue. [Herv. i. Org.][105]
Chase geht von einem Nebeneinander dieser beiden Hypothesen bei Whorf aus. Denken sei abhängig von Sprache und die Muttersprache beeinflusse die Wahrnehmung der Umwelt. Aus diesem Nebeneinander entwickelte sich in der Rezeption bis Anfang der siebziger Jahre ein Gegensatz.[106] Penn schreibt 1972:
It is suggested that „the“ Whorf hypothesis might better be regarded as two hypotheses, an extreme one asserting the dependence of thought on language and a mild one suggesting some influence of linguistic categories on cognition. The extreme hypothesis will be shown to be the one that Whorf, Sapir, Humboldt and Herder each asserted at some time.[107]
Diese Zweiteilung der Sapir-Whorf-Hypothese, in eine “extreme” oder starke Version, die postuliert, dass Sprache Denken determiniert und eine “mildere” oder schwache Version, die davon ausgeht, dass Sprache Denken lediglich beeinflusst, hat sich seitdem weitgehend durchgesetzt und findet sich in der Mehrzahl der Arbeiten zu diesem Thema.[108] In der Regel wird dabei lediglich die starke Version mit den ursprünglichen Thesen Whorf und Sapirs verbunden, wobei bei einigen Autoren, etwa bei Devitt und Sterelny,[109] angemerkt wird, dass sich auch bei Whorf und Sapir Belege für die starke und die schwache Version finden ließen.
Wie oben (Abschnitt 2.1) erläutert wurde, behauptet Whorf nicht, dass Sprache alleine Denken bestimmt, vielmehr versucht er zu zeigen, dass Sprache und Denken ineinander verflochten sind. Aus dieser Verflechtung heraus entwickelt sich bei ihm das Verhältnis von Sprache und Denken – und eben nicht aufgrund einer Hierarchie.[110] Ob die Sprache das Denken nun determiniert oder nur beeinflusst, ist die falsche Frage auf Whorfs Antwort.
Da aber die Einteilung in eine starke und eine schwache Sapir-Whorf-Hypothese den Ausgangspunkt der meisten empirischen Untersuchungen bildet, soll darauf kurz eingegangen werden.
Eine Form des sprachlichen Determinismus wurde bereits in Abschnitt 1.2 diskutiert, nämlich dass die Strukturen der Sprache auch gleichzeitig die des Denkens sind. In der Rezeption der Sapir-Whorf-Hypothese finden sich darüber hinaus noch weitere Lesarten der „starken Version“, die kurz beschrieben werden sollen.
John Watson vertrat 1920 die Ansicht, dass Sprache und Denken nicht getrennt seien und das Denken daher in der Sprechmuskulatur stattfinde.[111] Er behauptete darauf aufbauend etwa, dass Gehörlose nur denken könnten, wenn sie mit den Händen (als Ersatz für die Sprechmuskulatur) gebärdeten.[112] Diese Vorstellung ist aus heutiger Sicht nicht zu halten (und wurde im übrigen auch von Whorf explizit abgelehnt[113] ). Eine zweite Lesart geht davon aus, dass die Elemente und die Struktur der Muttersprache das Denken determinieren. Diese Lesart wird in der Regel mit Whorf assoziiert. Als Argumente gegen einen solchen Determinismus lassen sich etwa die Fähigkeit jedes Menschen, prinzipiell alle Sprachen zu erlernen (auch wenn der Erstspracherwerb abgeschlossen ist), anführen oder die Möglichkeit auch komplizierte Bedeutungen und Inhalte in andere Sprachen zu übersetzen.[114] Weiterhin ist es jedem Sprecher möglich, die Inhalte von Homonymen zu unterscheiden, obwohl sie der sprachlichen Form nach identisch sind. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, zwei verschiedene Schattierungen von „Rot“ können unterschieden werden, auch wenn ihre Namen unbekannt sind. Diese Phänomene schließen aus, dass die Muttersprache monokausal das Denken bestimmt.
Eine dritte Interpretation des sprachlichen Determinismus ergibt sich aus einer Weiterführung der zweiten und findet sich etwa bei Pinker:
[...] the famous Sapir-Whorf hypothesis of linguistic determinism, stating, that people’s thoughts are determined by the categories made available by their language, and its weaker version, linguistic relativity, stating that differences among languages cause differences in the thoughts of their speakers. People who remember little else from their college education can rattle off the factoids: […]
But it is wrong, all wrong. The idea that thought is the same thing as language is an example of what can be called a conventional absurdity […][115]
Pinker verwendet hier die Aussagen “thoughts are determined by the categories made available by their language” und “thought is the same thing as language”, als wären sie synonym. Das ist allerdings ein Non-Sequitur. Aus A→B (Wenn A, dann B) folgt nicht A=B. Aus einem kausalen Verhältnis, sei es auch noch so determinierend, kann nicht die Identität gefolgert werden. Eine schwarz-weiß Kopie wird sicherlich vom farbigen Original determiniert, ohne jedoch mit ihm identisch zu sein. Andererseits ist eine solche Identität dadurch nicht ausgeschlossen – sie wird allerdings weder von Sapir noch von Whorf jemals behauptet.
Die starke Version der Sapir-Whorf-Hypothese ist somit, je nach Interpretation, entweder nicht empirisch falsifizierbar (siehe Abschnitt 1.2) oder sie wird durch gegebene Fakten unwahrscheinlich.
Ausgangspunkt empirischer Untersuchungen (soweit sie dieser Einteilung folgen) ist daher die schwache Version der Hypothese, die besagt, dass die Sprache das Denken lediglich beeinflusst.[116]
Lucy unterscheidet je nach Art des Einflusses zwischen drei Stufen. Der semiotischen Stufe („semiotic level“), der funktionalen Stufe („functional level“) und schließlich der strukturellen Stufe („structural level“).[117]
Der Einfluss auf der semiotischen Stufe ist der Einfluss von Sprache allgemein (d. h. aller natürlichen Sprachen in gleichem Maße) auf das Denken. Die Frage ist hier also, ob das Vorhandensein einer Sprache, d. h. eines Systems von Zeichen, das Denken in irgendeiner Form verändert (im Vergleich etwa zu Tieren, die dieses System nicht besitzen).[118] Gelman und Markman untersuchten z. B., ob Urteile von vier bis fünfjährigen Kindern durch sprachliche Kategorien beeinflusst werden können. Den Kindern wurden Bilder von tropischen Fischen und Delphinen gezeigt, daraufhin wurde ihnen gesagt, dass der tropische Fisch ein Fisch sei und unter Wasser atme, während der Delphin ein Säugetier sei und aus dem Wasser auftauche, um zu atmen. Die Kinder sollten dann anschließend entscheiden, wie ein Hai, der ebenfalls auf einem Bild abgebildet war, atme. Der Hai auf dem Bild sah dem Delphin ähnlicher als dem Tropenfisch, den Kindern wurde aber gesagt, dass es sich dabei um einen Fisch handele. Die Kinder antworteten in der Mehrzahl richtig. D. h. sie ordneten den Hai und den Tropenfisch in die selbe Kategorie ein und orientierten sich damit an der Klassifikation, die ihnen die Sprache vorgab. Hier spielte also die sprachliche Kategorie eine größere Rolle als der direkte visuelle Vergleich.[119] In einem anderen Experiment verhielt es sich genau umgekehrt. Dort wurde den Kindern erklärt, dass ein Stein, im Gegensatz zu Salzkörnern, nicht vom Wind weggeweht werde. Auf die Frage, wie sich ein größerer Brocken Salz, der ihnen gezeigt wurde, verhalte, antworteten die meisten Kinder richtig. Sie gaben also in diesem Fall bei der Zuteilung von Eigenschaften der unmittelbaren Wahrnehmung (bzw. der eigenen Erfahrung) den Vorzug.[120] Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass Kinder sich beim Spracherwerb ebenfalls, wenn auch nicht ausschließlich, an Kategorien orientieren, die ihnen die Sprache vorgibt. Gopnik vergleicht den Spracherwerb bei Kindern mit einem Physik-Studenten, dem das Wort (und das Konzept) Entropie unbekannt ist. Durch die verschiedenen Kontexte, in denen dieser Begriff immer wieder in seinem Studium auftaucht, bildet sich nach und nach ein Verständnis des Konzepts Entropie. Durch das Erlernen von Wörtern könnte also auf diese Art das Verständnis von Konzepten unterstützt werden;[121] träfe das zu, würde der Erwerb von Sprache im allgemeinen die kognitive Entwicklung, d. h. das Denken, beeinflussen. Auf ähnliche Untersuchungen wird später noch genauer eingegangen werden.
Der mögliche Einfluss auf das Denken durch einen spezifischen Gebrauch von Sprache bildet die funktionale Stufe. Ein Beispiel hierfür wäre die Annahme, dass Männer und Frauen Sprache verschieden verwenden, bzw. die gleichen Aussagen unterschiedlich interpretieren.[122] So würden, gemäß einem Beispiel, das Cameron zitiert, Frauen dazu neigen, in bestimmten Situationen Aufforderungen indirekt zu formulieren. Männer würden diese indirekten Aufforderungen als weniger dringlich einstufen, als sie gemeint sind.[123]
In den folgenden Unterabschnitten werden ausführlich Experimente zum Einfluss auf der strukturellen Stufe dargestellt. Der Einfluss auf dieser Stufe entsteht durch die Verschiedenheit natürlicher Sprachen und deren Auswirkungen auf die Kognition. Lucy trennt auf dieser Stufe drei verschiedene empirische Herangehensweisen. Er unterscheidet zwischen strukturorientierten Untersuchungen („structured-centered approaches“), bei denen sprachliche Unterschiede als Ausgangspunkt dienen, bereichsorientierten Untersuchungen („domain-centered approaches“), bei denen ein bestimmter universeller Bereich der Umwelt im Zentrum steht (z. B. der Raum) und schließlich verhaltensorientierten Untersuchungen („behavior centered approaches“), in denen versucht wird, einen Zusammenhang zwischen Unterschieden des Verhaltens bzw. Denkens und sprachlichen Formen zu zeigen.
Um zu verdeutlichen, dass jede dieser Herangehensweisen einen anderen Fokus besitzt, sei ein kurzes Beispiel genannt. Der Ausdruck khaw-niaw bedeutet in der Lao-Sprache (Thailand) soviel wie „klebriger Reis“.[124] Der Bereich „klebriger Reis“ wird also im Lao und im Deutschen durch einen feststehenden Begriff abgedeckt. Eine bereichsorientierte Untersuchungen würde daher eher davon ausgehen, dass sich beide Sprachen in diesem Punkt nicht unterscheiden. Eine strukturorientierte Untersuchung hingegen würde feststellen, dass das Gegenteil von klebrigem Reis im Lao nicht körniger Reis ist - khaw-niaw ist das Hauptnahrungsmittel der Lao, es wird auf eine ganz bestimmte Art zubereitet und auf eine ganz bestimmte Art gegessen. Der Reis ist mit dem Lao-Sein fest verbunden.[125] Aus dieser Perspektive würden also eher die Differenzen beider Sprachen in den Vordergrund treten. Eine verhaltensorientierte Untersuchung würde schließlich feststellen, dass die Bedeutung, die der Reis im Denken und Verhalten der Lao spielt, sich in der Sprache wiederspiegelt und dadurch möglicherweise gefestigt wird. So wird die Frage: Haben Sie schon gegessen ? wörtlich durch Hatten Sie schon geformten Reis? formuliert.[126]
Die empirischen Herangehensweisen können also unter Umständen zu unterschiedlichen Bewertungen gleicher Phänomen führen. Im Folgenden werden einige empirische Studien im Bereich der verhaltens- und der strukturorientierten Untersuchungen beschrieben. Komplexe von bereichsorientierten Untersuchungen werden ausführlich später in Kapitel 4 und 5 diskutiert.
2.2.2 Verhaltensorientierte Untersuchungen
Alfred Bloom bemerkte, dass Chinesen auf hypothetische Fragen ablehnend reagierten und solche Fragen als „unChinese“ bezeichneten.[127] Diesen wahrgenommen Unterschied im Verhalten (d. h. in der Bewertung kontrafaktualen Denkens) versuchte er nun auf ein bestimmtes sprachliches Merkmal zurückzuführen. Das Chinesische drückt den Irrealis der Gegenwart (Wenn es regnete, wäre die Straße nass) durch die gleiche Konstruktion aus wie den Realis (Wenn es regnet, ist die Straße nass), der Unterschied muss vom Hörer aus der konkreten Situation bzw. aus dem sprachlichen Kontext erschlossen werden.[128]
Bloom behauptete nun, dass Sprecher des Englischen eher die kognitiven Schemata entwickelten, die hypothetisches Denken ermöglichten als Sprecher des Chinesischen, da das Englische eine bestimmte sprachliche Form hierfür besitze, den „Subjunctive“, das Chinesische aber nicht.[129]
Um das zu belegen, wurden eine Reihe von Experimenten durchgeführt. Dabei wurde jeweils ein englischer Text mit hypothetischem Inhalt ins Chinesische übersetzt. Die jeweilige Version wurde Chinesen (bzw. Taiwanesen) und Amerikanern zusammen mit Fragen vorgelegt, die erkennen lassen sollten, ob der hypothetische Inhalt verstanden worden war oder nicht. Das Ergebnis bestätigte Blooms Hypothese, fast alle Amerikaner beantworteten die Fragen richtig, während ein hoher Prozentsatz der Chinesen sie falsch beantwortete.[130]
Der Untersuchung wurde vielfach vorgeworfen, dass sie mit fehlerhaften und irreführenden chinesischen Übersetzungen gearbeitet habe.[131] Schon allein dieser Punkt macht die Ergebnisse des Experiments fragwürdig, denn es sollte ja von sprachlichen auf kognitive Strukturen geschlossen werden, das ist aber nur möglich, wenn die Bedingungen in beiden Sprachen gleich sind, d. h. der Ausgangstext in beiden Sprachen völlig idiomatisch ist.
Weiterhin konnten die von Bloom erzielten Ergebnisse bei Wiederholungen des Experiments nicht bestätigt werden.[132] Von verschiedenen Seiten wurden Bloom außerdem methodologische Fehler vorgeworfen[133] und schließlich wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass Bloom den Zusammenhang zwischen dem kulturellen Stellenwert hypothetischer Aussagen und ihrer sprachlichen Form nicht beweisen könne.[134] Bloom kann man außerdem vorwerfen, dass auch er, wie Whorf, versucht, den Einfluss von Sprache auf Denken durch rein sprachliche Mittel (anhand der Beantwortung von Fragen) nachzuweisen.[135]
In einer anderen Untersuchung diente das unterschiedliche Ergebnis von amerikanischen und walisischen Kindern in einem Intelligenztest als Ausgangspunkt. In diesem Test wurde (durch das Wiederholen von Zahlenreihen) die Länge des Kurzzeitgedächtnisses gemessen (d. h. wie lange sich die Probanden die Zahlen merken konnten). Dabei schnitten amerikanische Kinder signifikant besser ab als walisische.[136] Experimente zeigten nun, dass selbst bilinguale Personen, die besser walisisch als englisch sprachen, länger brauchten die Zahlenreihen auf walisisch vorzulesen. Das Verhältnis von auf walisisch-artikulierten Ziffern (0-9: dim, un, dau, tri, pedwar, pump, chwech, saith, wyth, naw)[137] zu englisch-artikulierten Ziffern war dabei 5:6, d. h. in der gleichen Zeit wurden im Schnitt fünf walisische und sechs englische Ziffern gelesen. Vorangegangene Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Gedächtnisspanne für kurze Wörter im Schnitt größer ist als für längere.[138] In Experimenten wurde nun überprüft, ob die längeren walisischen Zahlen mit der kürzeren Gedächtnislänge der walisischen Testpersonen in Verbindung standen. Dabei wurde getestet, ob bilinguale Testpersonen (die wiederum besser walisisch als englisch sprachen), Zahlenreihen besser (d. h. länger) auf englisch memorieren konnten als auf walisisch - was tatsächlich zutraf.[139] Aus diesem Resultat wurde geschlossen, dass die Ursache für die Ergebnisse in oben erwähntem Intelligenztest auf die unterschiedliche Länge der Namen der Ziffern in beiden Sprachen zurückzuführen sind. Weiterhin wurde vermutet, dass auch Fähigkeiten wie Kopfrechnen durch diesen Effekt beeinflusst werden.[140]
Andere Studien untersuchten den Zusammenhang zwischen Erstspracherwerb verschiedener Sprachen und kognitiver Entwicklung. Bei Langzeittests mit koreanischen Kindern (das Alter war während der Tests zwischen 383 und 673 Tage) zeigte sich, dass die Kinder Aufgaben, die zielorientiertes Handeln erfordern („means-ends tasks“), wie etwa das Heranziehen von weiter entfernten Dingen mit einem Spielzeugrechen,[141] (in Bezug auf ihr Alter) früher lösen konnten als amerikanische Kinder des selben Alters. Ihre Fähigkeit verschiedene Objekte zu kategorisieren (d. h. etwa Fisher-Price Figuren spontan zu sortieren[142] ) blieben allerdings hinter der amerikanischer Kinder zurück.[143]
Es wurde nachgewiesen, dass koreanische Mütter, wenn sie mit ihren Kindern sprachen, signifikant mehr Ausdrücke benutzten, die sich auf Handlungen bezogen, als amerikanische Mütter.[144] Andere Tests zeigten, dass koreanische Kinder an der 50-Wort Grenze mehr Verben erlernen[145] und früher anfangen diese zu flektieren als amerikanische Kinder, dafür aber weniger Nomina benutzen als diese.[146] Diese Ergebnisse legen nahe, dass zwischen der Fähigkeit handlungsorientierte Aufgaben zu lösen und der Beherrschung von Verben bzw. der Fähigkeit Objekte zu kategorisieren und der Beherrschung von Nomina, ein Zusammenhang besteht. Die beschriebenen Untersuchungen weisen somit darauf hin, dass Merkmale der Sprache kognitive Fertigkeiten auf einer bestimmten Entwicklungsstufe fördern bzw. hemmen können.
Bei einem anderen Test zeigte sich ein sprachlicher Einfluss auf sog. „False Belief“ Aufgaben („false belief tasks”). Das Verständnis, dass eine andere Person möglicherweise einen falschen Glauben hat, d. h. einen Kenntnisstand besitzt, der vom eigenen abweicht, ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich beim Menschen erst um das vierte Lebensjahr.[147] Dieser Umstand wird bei den „False Belief“ Aufgaben ausgenutzt, um die kognitive Entwicklung von Kindern zu messen. In einem solchen Test wird dem Kind z. B. die Geschichte von Baobao erzählt, der ein Stück Schokolade in einen Korb legt. Während seiner Abwesenheit verändert die Mutter den Aufbewahrungsort der Schokolade. Die Kinder werden nun gefragt, wo Baobao die Schokolade nach seiner Rückkehr suchen wird, im Korb oder an dem neuen Ort. Die meisten Dreijährigen beantworten die Frage falsch, unterscheiden also nicht zwischen ihrem eigenen Wissen und dem von Baobao.[148] Experimente mit chinesischen Kindern zeigten nun, dass die Formulierung der Frage die Erkenntnis eines falschen Glaubens beeinflusst. Im Chinesischen gibt es verschiedene Möglichkeiten das Verb „glauben“ auszudrücken (z. B: xiang, yiwei, renwei, cai, juede, xiangxin und dang [149] ). Bei dem oben beschriebenen Test antworteten 53% der Dreijährigen richtig, wenn das Verb xiang in der Frage verwendet wurde, wohingegen wesentlich mehr (70%) bei dem Verb dang richtig antworteten („Wo glaubt (xiang / dang) Baobao, dass seine Schokolade ist?“). Das Verb dang wird normalerweise öfter als xiang in Situationen verwendet, in denen tatsächlich ein falscher Glaube vorliegt (z. B. in „Er glaubte (dang), ich sei sein Lehrer“).[150] Auch die Ergebnisse dieser Untersuchung weisen darauf hin, dass Merkmale einer Einzelsprache die kognitive Entwicklung, d. h. das Verständnis bestimmter Sachverhalte bei Kindern, beeinflussen können.
Im folgenden Unterabschnitt sollen nun Untersuchungen beschrieben werden, in denen sprachliche Strukturen als Ausgangspunkt dienen.
2.2.3 Strukturorientierte Untersuchungen
John Lucy verglich in einer Untersuchung das Englische mit der Maya-Sprache Yucatec.[151] Als Ausgangspunkt diente ihm die unterschiedliche Numerus-Flektion in beiden Sprachen. In den meisten Fällen ist im Englischen bei Substantiven, die sich auf (belebte oder unbelebte) Objekte beziehen der Singular bzw. Plural markiert (car(s), dog(s) usw.). Bei Substantiven, die sich auf nicht zählbare Entitäten beziehen (z. B sugar) wird nicht zwischen Singular und Plural unterschieden. Im Yucatec ist dagegen die Markierung des Plural immer optional, kommt aber häufiger bei belebten als bei unbelebten Entitäten vor.[152]
Ein zweiter Unterschied liegt in der Art der Zählung. Während im Englischen Substantive direkt durch Numerale bestimmt werden können (one candle), müssen Numerale im Yucatec immer durch sogenannte Klassifikatoren („numeral classifiers“) ergänzt werden. Das Yucatec besitzt etwa 100 solcher Klassifikatoren.[153] Diese beziehen sich auf bestimmte Eigenschaften des Substantivs und bestimmen es näher. Der Ausdruck „eine Kerze“ wird z. B. durch ’un-tz’lit kib’ (wörtlich: ein lang-dünn Wachs) widergegeben. Das Substantiv kib kann man je nach Kontext mit Wachs oder mit Kerze übersetzen. Welche Form das Wachs hat, wird im Yucatec erst durch den Klassifikator spezifiziert.[154] Im Deutschen entsprechen solchen Klassifikator-Konstruktionen Ausdrücke wie „ein Klumpen Lehm“ oder „ein Kopf Salat“.
Geht man von den sprachlichen Gegebenheiten aus, dann betont das Englische die Form eines Objekts, weil sie semantisch im Wort selbst kodiert ist, während im Yucatec die Betonung auf der Substanz liegt, aus der das Objekt gefertigt ist, während seine Form erst in den Blick kommt, wenn es quantitativ spezifiziert wird. Um herauszufinden, ob dieser Unterschied in der Sprache einen Unterschied im Denken nach sich zieht, führte Lucy verschiedene Experimente durch. Bei einem Test sollten die Probanden entscheiden, welches von zwei möglichen Objekten am besten zu einem Ausgangsobjekt passe („triads–task“). So musste z. B. entschieden werden, ob entweder ein Plastikkamm mit Griff oder ein Holzkamm ohne Griff einem Plastikkamm ohne Griff ähnlicher sei. Die meisten amerikanischen Testpersonen orientierten sich an der Form (und wählten Plastikkamm und Holzkamm mit Griff), während die Sprecher des Yucatec das Material als Wahlkriterium bevorzugten (und Plastikkamm mit und ohne Griff wählten).[155] Außerdem fiel auf, dass Yucatec-Sprecher bei diesen Tests, bevor sie eine Entscheidung trafen, das Material, aus dem die Objekte bestanden, genau untersuchten, während die Englisch sprechenden Probanden die Objekte nur ansahen.[156] Die Ergebnisse dieses und ähnlicher Tests belegten, dass Sprecher des Yucatec die Präferenz besitzen, Objekte nach ihrem Material zu kategorisieren, während Sprecher des Englischen eine Kategorisierung nach der Form bevorzugten, d. h. die Klassifikation der Sprache beeinflusste in dieser Untersuchung die nicht-sprachliche Klassifikation.[157]
Klassifikatoren sind ein recht häufiges sprachliches Phänomen und finden sich z. B. in einer ganzen Reihe von südostasiatischen Sprachen. Zhang und Schmitt untersuchten den Einfluss von Klassifikatoren im Chinesischen (Mandarin). In einem Test sollten englische und chinesische Sprecher die Ähnlichkeit von Objektpaaren beurteilen, die (im Chinesischen) den gleichen Klassifikator besitzen, wie etwa Pilz und Flamme („duo“)[158] oder Schlange und Fluss („tiao“)[159]. Der Test ergab, dass chinesische Sprecher die Ähnlichkeit solcher Paare sehr viel höher einschätzten als englische Sprecher.[160] In einem weiteren Test wurde untersucht, ob die Klassifikator-Zugehörigkeit die Einschätzung von Werbeplakaten beeinflussen könne.
Chinesischen und japanischen Testpersonen wurden eine Reihe von Fotos gezeigt. Auf diesen Fotos waren je zur Hälfte Objekte abgebildet, die im Chinesischen entweder den Klassifikator ba oder den bereits erwähnten Klassifikator tiao fordern. ba signalisiert Greifbarkeit eines Objekts (in diese Kategorie fallen etwa: Türschlüssel, Lineale, Zangen, Bürsten, Regeschirme oder Besen [161] ). Im Japanischen forderten alle abgebildeten Objekte den selben Klassifikator („hon“). Auf der Hälfte der Bilder war zusätzlich eine Hand zu sehen. Den Testpersonen wurde nun gesagt, dass es sich bei den Objekten um Produkte handele, die durch das Foto beworben werden sollten. Danach wurden sie aufgefordert, die Wirksamkeit dieser Werbung einzuschätzen. Die Fotos wurden von den chinesischen Sprechern signifikant besser eingeschätzt, wenn „ba“-Objekte mit einer Hand (als Signal für Greifbarkeit) abgebildet waren. Bei „tiao“-Objekten mit und ohne Hand zeigte sich dieser Effekt nicht. Bei den japanischen Teilnehmern des Experiments ließen sich überhaupt keine Unterschiede feststellen, weder bei der Einschätzung von „ba“ und „tiao“ Objekten, noch bei der Einschätzung der Fotos mit oder ohne Hand.[162] Die formal-sprachliche Kategorisierung durch Klassifikatoren beeinflusste also in diesem Beispiel die Evaluation von Werbeplakaten.
Eine andere Untersuchung nahm ein damit zusammenhängendes Merkmal des Japanischen zum Ausgangspunkt. Im Japanischen wird grammatisch, vergleichbar mit Yucatec, nicht zwischen zählbaren Objekten und nicht-zählbaren Substanzen unterschieden, sondern zwischen belebten und unbelebten Entitäten. Experimente zeigten nun, dass dieser sprachliche Unterschied schon das Verhalten zweijähriger Kinder beeinflusst. Die japanischen Kinder unterschieden zwar genau wie amerikanische zwischen Objekten und Substanzen (und damit entgegen der japanischen Sprache inhärenten Kategorisierung), trotzdem ließen sich bei einigen Objekten sprachspezifische Unterschiede in der Zuordnung feststellen. Bei erwachsenen Japanern zeigte sich allerdings ein wesentlich ausgeprägterer Einfluss der Sprache.[163] Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Einfluss von Sprache auf den Prozess der Kategorisierung schon sehr früh einsetzt, andererseits aber bestimmte „Voreinstellungen“, d. h. angeborene Dispositionen, vorhanden sind, die den Ausgangspunkt für die Kategorisierung bilden.
Bei einer zweiten Gruppe von Untersuchungen stand das grammatische Geschlecht (Genus) im Mittelpunkt. Die Klassifikation von Substantiven nach Genera ist in den meisten europäischer Sprachen zu beobachten. Welche Genera dabei unterschieden werden, ist von Sprache zu Sprache verschieden. Das Französische z. B. unterscheidet zwischen Maskulinum und Femininum (le, la), das Deutsche zwischen Maskulinum, Femininum und Neutrum (der, die, das) und das Schwedische zwischen Neutrum und Utrum (-en, -et [164] ). Während sich im Englischen grammatisches und natürliches Geschlecht (Sexus) weitgehend entsprechen, ist es im Deutschen (wie im Französischen oder Schwedischen) nicht möglich vom Genus auf das Sexus zu schließen, folglich die Beispiele: der Tisch (geschlechtsneutral), das Mädchen (weiblich) und die Memme (männlich). In einer Reihe von Experimenten wurde nun untersucht, ob das Genus von Substantiven das Denken über deren Referenten beeinflusst. So wurden einer Gruppe von Deutschen und Spaniern (auf englisch) Vornamen für Dinge beigebracht. Die Objekte wurden so ausgewählt, dass sie entgegengesetzte Genera in beiden Sprachen besaßen. In jeweils der Hälfte der Fälle waren weiterhin das Geschlecht des Namens und das Genus des Objekts identisch (z. B. der Apfel = Patrick). Es zeigte sich, dass die Objekt:Vornamen-Paare am besten erinnert wurden, in denen eine Übereinstimmung zwischen Genus des Objekts und Sexus des Vornamens bestand. Dieser Effekt zeigte sich bei den deutschen wie bei den spanischen Testpersonen (die Ergebnisse der Sprechergruppen waren, da ein Maskulinum in der einen Sprache einem Femininum in der anderen Sprache entsprach und umgekehrt, genau über Kreuz).[165]
In einem anderen Experiment sollten Deutsche und Spanier Ähnlichkeiten zwischen Objekten und Personen auf Fotos bewerten. Auch bei diesem Test war das Genus der Objekte in beiden Sprachen genau entgegengesetzt und die Instruktionen wurden auf Englisch gegeben. Es zeigte sich, dass die Ähnlichkeit höher bewertet wurde, wenn sich das Genus des Objekts und der Sexus der Person entsprachen. D. h. ein Apfel (span. „la manzana“) war für deutsche Testpersonen eher einem Mann ähnlich, für die spanischen Testpersonen eher einer Frau. Dieser Effekt zeigte sich auch, wenn bei der Bewertung zufällige Buchstabenreihen vorgelesen werden mussten („verbal interference task“), um zu verhindern, dass die Testpersonen die Bezeichnungen der Objekte in ihrer Muttersprache zu Hilfe nehmen konnten.[166]
Die bis hierher beschriebenen Untersuchungen zeigen starke Evidenzen für einen Einfluss der Sprache auf das Denken. Trotzdem bleibt die Frage, ob diese Auswirkungen der sprachlichen Form auf Denken eher ein zu vernachlässigendes Kuriosum darstellen, das nur in ganz bestimmten „extremen“ Situationen auftritt, oder ob dieses „Miteinander“ von Sprache und Denken die Normalität aller unserer Gedanken und Äußerungen ist.
Um diese Frage zu beantworten, sollen im nächsten Unterabschnitt Fälle beschrieben werden, die dafür sprechen, dass das Denken und die Sprache voneinander getrennt sind.
2.2.4 Denken ohne Sprache
Susan Schaller beschreibt die Geschichte von Ildefonso, einem gehörlosen Mann aus Mexiko, der bis zu seinem siebenundzwanzigsten Lebensjahr weder sprechen konnte, noch die Funktion von Sprache kannte.[167] So berichtet Schaller von den ersten Begegnungen, dass er jede Gebärde immer nur wiederholte, ohne zu verstehen, dass damit Bedeutungen (wie etwa „Wie heißt du?“) ausgedrückt werden.[168] Andererseits schien Ildefonso zu begreifen, dass die Lehrerin versuchte, ihm etwas beizubringen. Aber auch alle folgenden Versuche ihm das Prinzip von Sprache, d. h., dass Gebärden auf etwas referieren, näher zu bringen (etwa durch die Gebärde Baum ausgeführt vor einem Baum) blieben erfolglos.[169] Sie schaffte es schließlich, ihm mit Münzen einfache Additionen beizubringen. Obwohl er allerdings verstand, dass die aufgeschriebenen Zahlen auf die Anzahl der Münzen verwiesen, begriff er weiterhin nicht den Zeichencharakter der Gebärden. Nach vielen weiteren Versuchen wurde ihm nach mehreren Tagen von einem Moment auf den anderen klar, dass das Wort „C-A-T“Katze bedeutet.[170] Jahre später, nachdem Ildenfonso längst die Gebärdensprache erlernt hatte, wurde er gefragt, wie es war, ohne Sprache zu denken. Seine Antwort war allerdings, auch nach mehrmaligem Nachfragen, nur eine Beschreibung seiner Situation als Kind. Diese Beschreibung zeigt allerdings, dass es ihm als Kind möglich war, ohne die Verwendung von Sprache zu denken:[171]
„Ich weiß noch, wie ich sehr jung war und mir zum erstenmal Wörter auf Papier oder in Büchern auffielen. Ich wußte nicht, was das war, aber ich war neugierig. Eines Tages sah ich Kinder mit Büchern die Straße hinunterlaufen. Sie waren so groß wie ich, und ich wußte, sie lernten, was in diesen Büchern war. Ich zeigte auf sie und bat meine Eltern, mich mitgehen zu lassen, mich dahin zu schicken, wo diese Kinder hingingen.“ [Dieses Bitten vollzog sich durch Niederknien und Falten der Hände, wie er es in der Kirche gesehen hatte; Anm. d. Verf.][172]
In einem anderen Fall beschreibt Susan Curtiss die Geschichte von Genie, einem amerikanischen Mädchen, das bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr von seinen Eltern vollständig von der Außenwelt isoliert worden war. Bei seiner Auffindung kannte es zwar nur wenige Wörter,[173] sein Verhalten jedoch war eher mit dem einer Sechs -bis Siebenjährigen vergleichbar.[174] Der begrenzte aktive wie passive Wortschatz des Kindes sowie die Abhängigkeit der damaligen Intelligenztests von Sprache machten es allerdings schwierig seine kognitive Fähigkeiten zu ermitteln.[175] Auch hier zeigt sich, dass kognitive Fähigkeiten unabhängig von Sprache entwickelt werden können.
Solche Fälle zeigen, dass Denken auch ohne Sprache möglich sein muss. Sie scheinen somit zu belegen, dass der Einfluss der Sprache auf das Denken nur minimal sein kann. Wenn Denken ohne Sprache möglich ist, dann kann die Sprache offenbar nicht essentieller Teil des Denkens sein. Diese Schlussfolgerung geht allerdings davon aus, dass vom „defizienten“ Fall auf den „normalen“ geschlossen werden kann, so als ob der Mensch analog zu einer Maschine funktioniert. Angenommen jemand, der nichts von Autos versteht, will herausfinden, wie sie funktionieren. Er setzt voraus, dass alle Autos im Prinzip gleich sind. Er beobachtet nun einen Wagen, der keine Stoßstange besitzt und stellt fest, dass dieser ohne Probleme fahren kann. Er schließt daraus, dass die Stoßstange bei keinem Auto zum Fahren benötigt wird. Er geht weiterhin gemäß diesem Beispiel vor und findet so heraus, welche Teile zum Fahren notwendig sind und welche nicht. Wenn etwa der Keilriemen fehlt, sieht er, dass der Motor trotzdem arbeitet, aber die Räder sich nicht drehen. Somit hat der Keilriemen nichts mit dem Motor zu tun, sondern nur mit der Übersetzung auf die Räder usw.
Die Funktionsweise eines Autos lässt sich u. U. auf diese Weise herausfinden, ob bei einem Menschen das allerdings analog dazu möglich ist, d. h. ob vom dem Effekt, den eine Schädigung oder ein Fehlen erzeugt, auf die Funktion des geschädigten oder fehlenden Teils geschlossen werden kann, ist nicht ohne weiteres vorauszusetzen.[176] Bei einer Maschine erfüllt jedes Teil nur eine bestimmte Funktion. Bei Menschen wird der „Ausfall von Teilen“ aber zumindest partiell kompensiert. Intakte Teile des Körpers können neue Funktionen übernehmen. So gibt es Menschen, die blind oder gehörlos geboren werden - visuelle bzw. audiovisuelle Information können also unter keinen Umständen Teil ihrer Kognition sein, trotzdem können sie Sprache (im Fall der Gehörlosen Gebärdensprache) perfekt erlernen. Die Konzepte: Himmel, Mond, Wald, Foto usw . werden zwar von einem (ab der Geburt) blinden Menschen verstanden, sein Verständnis unterscheidet sich aber sicherlich von meinem, der ich diese Dinge sehen kann. D. h. die Tatsache, dass von Geburt an blinde Menschen offensichtlich ohne visuelle Informationen denken, bedeutet nicht, dass auch mein Denken völlig unbeeinflusst von Bildern arbeitet. Analog dazu beweisen die Fälle, in denen Menschen ohne Sprache denken (weil sie keine erlernen konnten) nicht, dass es für jemanden, der sprechen kann, ebenfalls möglich ist, unabhängig von Sprache zu denken.
Es gibt allerdings eine Reihe von Evidenzen für die Modularität der Kognition, d. h. dafür, dass kognitive Fähigkeiten durch das Zusammenspiel getrennter kognitiver Subsysteme entstehen.
Durch die Schädigung des Gehirns können sog. Aphasien auftreten. Aphasien äußern sich in Beeinträchtigungen der Produktion und des Verständnisses der Laut- als auch der Schriftsprache.[177] Typisch für das Sprechen Erkrankter sind dabei Wortfindungsstörungen, Paraphrasien (Lautsequenzen, die semantisch oder phonologisch vom gemeinten Wort abweichen) und morphologische und syntaktische Abweichungen von der Norm auf Satzebene. Beim Verständnis treten oft Vertauschungen phonologisch (Kasse/Tasse) oder semantisch (Teller/Tasse) ähnlicher Wörter auf.[178]
Die eben beschriebenen Symptome kommen allerdings nicht bei allen Erkrankten in gleichem Maße vor, bestimmte Bündel von Merkmalen treten i. d. R. zusammen auf. Aufgrund dieser Bündel werden mehrere Arten von Aphasien unterschieden.
Typisch für die sog. Broca-Aphasie ist etwa die erhebliche Verlangsamung der Sprachproduktion, die mit großer Sprachanstrengung verbunden ist, die Produktion von phonematischen Paraphrasien und der Agrammatismus (d. h. die Auslassung von Funktionswörtern, der Wegfall von Flexionen und die geringe syntaktische Komplexität der Äußerungen). Das Sprachverständnis der Patienten ist dagegen kaum beeinträchtigt.[179] Die sog. Wernicke-Aphasie hingegen wird durch die starke Beeinträchtigung des Sprachverständnisses, durch phonematische und semantische Paraphrasien und durch den Paragrammatismus charakterisiert.[180] Kennzeichnend für den Paragrammatismus ist die flüssige, „häufig [...] kaum zu bremsende“[181] Sprachproduktion, wobei oft falsche Flexionsmorpheme verwendet werden.[182]
Bei einem Experiment wurde nun Broca- und Wernicke-Aphasikern ein Lückentext vorgelegt, in dem Präpositionen eingefügt werden sollten. Es zeigte sich, dass Broca-Aphasiker eher lexikalische Präpositionen korrekt ergänzen konnten, d. h. Präpositionen mit einem eigenständigen semantischen Gehalt („Die Vase steht auf [ neben / unter ] dem Tisch“), während Wernicke-Aphasiker vor allem obligatorische Präpositionen, d. h. Präpositionen, die durch das Verb determiniert sind („Fritz hoff auf besseres Wetter“), richtig einsetzten.[183] Das Ergebnis dieser Untersuchung weist somit darauf hin, dass unterschiedliche kognitive Funktionen an der Verarbeitung syntaktischer und semantischer Eigenschaften eines Wortes beteiligt sind. Solche kognitiven Subsysteme können getrennt voneinander geschädigt sein.
Die unterschiedlichen Arten von Aphasien sind also eine starke Evidenz dafür, dass (zumindest bei Erwachsenen[184] ) die Kognition nach Funktionen unterteilt, d. h. modular aufgebaut ist.
Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen arithmetischen Fähigkeiten und Sprache geben nun einen Hinweis darauf, wie dieses Zusammenspiel verschiedener Subsysteme (oder Module) funktionieren könnte.
In einem Experiment mit bilingualen Testpersonen, die Russisch und Englisch sprachen, wurde untersucht, ob das Lösen mathematischer Aufgaben dadurch beeinflussbar ist, in welcher Sprache das Lösen dieser Aufgaben erlernt bzw. geübt wurde.[185] Probanden mit der Erstsprache Russisch wurden dazu in verschiedenen mathematischen Aufgaben entweder auf russisch oder auf englisch unterwiesen.[186] Man trainierte die Testpersonen etwa auf russisch in Additionen mit der Zahl 54 als Ausgangselement (z. B. 54+34=?) und im Schätzen von dritten Wurzeln für Zahlen unter 5000 (z. B. ?3 = 42875), auf englisch unterwies man sie in Additionen mit der Zahl 64 als Ausgangselement und im Schätzen von Logarithmen im Binärsystem für Zahlen unter 8500 (z. B. 0011? = 1001).[187] Bei den folgenden Tests zeigte sich nun, dass die Probanden die Additionsaufgaben schneller in der Sprache lösen konnten, in der diese geübt worden waren, während die Aufgaben, die kein exaktes Ergebnis, sondern nur eine Schätzung erforderten, gleich schnell in beiden Sprachen, d. h. unabhängig von der Sprache des Trainings, gelöst wurden. Das Experiment weist somit darauf hin, dass die exakte Addition von Zahlen stärker an Sprache gebunden ist als das bloße Schätzen von Ergebnissen.
Spelke und Tsivkin erklären diese Ergebnisse damit, dass verschiedene kognitive Subsysteme mit Hilfe der Sprache vernetzt würden. Experimente haben gezeigt, dass Kinder bereits vor dem Spracherwerb kleine Zahlen (d. h. Ansammlungen von bis zu vier Punkten) voneinander unterscheiden können.[188] Größere Zahlen werden von ihnen nur approximativ unterschieden, d. h. nur dann, wenn die Differenz zwischen den vorgelegten Mengen groß genug ist. So konnten sechs Monate alte Kinder zwischen 8 und 16 Objekten unterscheiden, aber nicht zwischen 8 und 12 Objekten.[189] Aus diesen Ergebnissen schließen Spelke und Tsivkin, dass Kinder vor dem Spracherwerb zwei getrennte kognitive Systeme besitzen, um Zahlen zu repräsentieren. Ein exaktes System, das es ermöglicht, Mengen von bis zu vier Objekten genau voneinander zu trennen, und ein zweites System, das es ermöglicht, zwischen vagen Mengen von Objekten zu unterscheiden. Nach dieser Theorie unterscheiden Kinder z. B. zum einen exakt zwischen Mengen von drei und vier Objekten, zum anderen setzen sie eine Menge von vier Objekten in Kontrast zu acht Objekten und unterscheiden zwischen beiden Mengen durch „Schätzen“, d. h. durch die visuell-räumliche Wahrnehmung. Erst durch die Sprache, d. h. durch das Zählen, erhielten die Kinder die Möglichkeit, die exakte Bestimmung kleiner Mengen mit der Wahrnehmung großer Mengen zu verbinden, d. h. das exakte System mit dem approximativen zu verknüpfen.[190] Folgt man dieser Theorie, dann würde die Sprache dazu benutzt, kognitive Fähigkeiten, die in ihren Grundzügen angeboren sind, miteinander zu verzahnen und dadurch neue Funktionen (z. B. die exakte Bestimmung großer Mengen) zu ermöglichen.
In diesem Abschnitt wurde zunächst die Unterteilung der Sapir-Whorf-Hypothese in eine starke und in eine schwache Form behandelt, die den Ausgangspunkt für die empirischen Überprüfungen der Hypothese bildet.
Die danach beschriebenen Untersuchungen zeigen starke Evidenzen für einen Einfluss der Sprache auf das Denken. Zum einen hat sich gezeigt, dass die sprachliche Entwicklung von Kindern mit deren kognitiver Entwicklung verknüpft ist. Das zeigt der sprachliche Einfluss auf das Schlussfolgern von Eigenschaften bei Kindern (im Hai ≠ Delphin-Experiment) oder auf die Fähigkeit zu kategorisieren bzw. zielorientiert zu handeln (beim Vergleich zwischen vietnamesischen und amerikanischen Kindern) sowie in den Auswirkungen des xiang / dang -Unterschieds auf die Ergebnisse in der „False Belief“ Aufgabe. Zum anderen konnten auch bei Erwachsenen Auswirkungen sprachlicher Klassifikation auf nicht-sprachliches Handeln nachgewiesen werden (etwa bei der veränderten Kategorisierung in Klassifikator-Sprachen oder beim Einfluss des Genus auf die Einschätzung von Ähnlichkeit).
Schließlich wurden Evidenzen beschrieben, die nahe legen, dass die Kognition modular organisiert ist, d. h. dass etwa die Fähigkeit zu sprechen und Sprache zu verstehen getrennt sind und erst durch das Zusammenspiel verschiedener kognitiver Subsysteme entstehen. Andererseits gibt es aber auch Hinweise darauf, dass kognitive Subsysteme, die an sich unabhängig von Sprache arbeiten, durch Sprache verbunden werden.
Obwohl diese Ergebnisse dafür sprechen, dass sprachliche Strukturen ein wichtiger Bestandteil des Denkens sind, geben sie andererseits nur einen geringen Hinweis darauf, dass die Sprache, wie Pinker es ausdrückt, ein „insidious shaper of thought“[191], d. h. ein hinterhältiger Former der Gedanken, ist. Die Strukturen der Sprache haben zwar Einfluss auf die Geschwindigkeit der kognitiven Entwicklung, vielleicht bilden sie sogar ein Werkzeug, um mathematische (und andere) Aufgaben zu lösen, aus den beschriebenen Untersuchungen kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Sprache unserem Denken Grenzen setzen könnte, d. h. dass durch die sprachliche Struktur das Denken in eine bestimmte Richtung geleitet wird. Auch wenn Menschen in unserem Kulturkreis die Objekt-Klassifizierung anhand der Form näher liegt als anhand des Materials, ist auch die Orientierung am Material für uns durchaus einsichtig, d. h. die Kategorisierung anhand der Form ist sicherlich keine Conditio-sine-qua-non unseres Denkens. Ähnliches gilt für den Einfluss des Genus. Ein Apfel mag von einem Deutschen eher mit einem Mann assoziiert werden, jedem Deutschen ist aber natürlich in der Regel bewusst, dass ein Apfel nicht wirklich ein Geschlecht hat.
Die Möglichkeit, dass die Sprache tatsächlich nicht nur beeinflusst, was wir „normalerweise“ Denken, sondern auch das, was wir denken können, d. h. etwa einen Einfluss auf das wissenschaftliche („objektive“) Denken hat, soll daher im nächsten Abschnitt näher erläutert werden.
3 Der sprachliche Hintergrund
In diesem Abschnitt soll anhand eines Beispiels dargestellt werden, worin die Annahme eines starken Einflusses der Sprache auf das Denken bestehen könnte. Dabei soll gezeigt werden, dass uns die Sprache, die wir sprechen, eine bestimmte Art des Denkens vorgibt, der wir uns (auch durch „objektives“ wissenschaftliches Vorgehen) nicht ohne weiteres entziehen können.
Wenn die Struktur einer Einzelsprache das Denken ihrer Sprecher stark beeinflusst, dann unterliegt potentiell jede Verwendung von Sprache diesem Einfluss. Mit anderen Worten, falls uns unsere Muttersprache ein Weltbild, d. h. bestimmte Denkmuster aufnötigt, dann ist es nicht möglich, sich mit der Sprache außerhalb dieser Denkmuster zu bewegen.
Ein Nachweis, dass die Sprache unser Denken manipuliert, könnte dann nur dadurch erfolgen, dass die Struktur unserer Sprache (d. h. auch der verwendeten Metasprache) mit einer fremden Struktur kontrastiert wird.
Der naheliegendste Weg, um einen solchen Kontrast zu zeigen, wäre der Vergleich mit anderen natürlichen Sprachen, wie ihn z. B. Whorf durchgeführt hat. Das Problem eines solchen Vergleichs ist, dass, um den Kontrast transparent zu machen, die Beispiele aus mindestens einer der verglichenen Sprachen (z. B. des Hopi) in eine Metasprache (im Falle Whorfs Englisch) übersetzt werden muss. Durch diese Übersetzung wird aber die Andersartigkeit der fremden Sprache zu einem Element der Metasprache. Wenn etwa Whorf, wie oben beschrieben wurde, die Andersartigkeit des Zeit-Begriffs im Hopi behauptet, dann muss diese Aussage vom Leser in Bezug auf den Begriff „Zeit“ interpretiert werden: „die Hopi haben eine andere Sicht der Zeit “ oder „die Hopi haben überhaupt keinen Begriff von Zeit “ oder „das, was für uns Zeit ist, ist für die Hopi etwas völlig anderes“ usf. Unser Konzept von Zeit wird damit zum Ausgangspunkt für das Verständnis der „Zeit“ in der Hopi-Sprache. Die Hopi orientieren sich aber nicht an unserem Verständnis von Zeit (außer man setzt voraus, dass dieses Verständnis a priori für alle Menschen gleich ist), daher ist es durchaus möglich, dass durch die Übersetzung die Differenz, die eigentlich zwischen beiden Sprachen besteht, zum Teil aufgehoben wird, und dass die vollständige Differenz zwischen zwei sprachlichen Systemen sich nur dann ergibt, wenn beide Sprachen beherrscht werden. Die Relativität zweier Sprachen könnte damit von jemandem, der diese Sprachen nicht spricht, kaum nachvollzogen und in noch geringerem Maße überprüft werden. Empirische Untersuchungen könnten zwar auch in diesem Fall Hinweise auf Unterschiede im Denken geben (wie oben gezeigt wurde), allerdings setzen solche Untersuchungen eine sprachunabhängige, objektive Perspektive voraus. Eine Vorraussetzung, die ja gerade nicht getroffen werden kann.
In diesem Abschnitt soll versucht werden, den Einfluss von Sprache auf das Denken durch ein (weitgehend) einzelsprachliches Vorgehen zu zeigen. Dabei soll das herrschende Verständnis sprachlicher Strukturen mit poststrukturalistischen Vorstellungen kontrastiert werden. Als Hintergrund dient hierbei die Grammatologie von Jacques Derrida.
Die Darstellung eines solchen Kontrasts beinhaltet ipso facto sprachliche Irritationen, da das gewohnte Verständnis bekannter Begriffe (z. B. Sprache, Bedeutung oder Verständnis) verändert werden wird. Um diese Irritationen zu minimieren, soll der Kontrast nicht als Ganzes beschrieben, sondern schrittweise argumentativ an Beispielen entwickelt werden.
3.1 40 Wörter für Schnee – Bedeutung als Hintergrund
Die Vielfalt der Schneewörter der Eskimosprache war lange Zeit ein Paradebeispiel für die unterschiedliche Wahrnehmung der Umwelt in verschiedenen Sprachen.[192] Die Untersuchung einzelner Eskimo-Dialekte hat allerdings gezeigt, dass Eskimos Schnee keineswegs begrifflich differenzierter unterscheiden als etwa das Englische. Dem Begriff Schnee entsprechen z. B. im Kalaallisut (Westgrönland) nur die Begriffe quanik (fallender Schnee, Schneeflocke) und aput (liegender Schnee) - das sind genau so viele wie im Englischen: snow und flake.[193]
An diesem Beispiel bzw. an der Rezeption dieses Beispiels soll gezeigt werden, dass die Kontexte und Prämissen, die durch Bedeutungen gesetzt werden, nicht ohne weiteres aufhebbar sind. Ausgangspunkt ist dabei zunächst die konkrete Frage nach der Anzahl der Schneewörter:
(13) Wie viele Wörter für Schnee haben die Eskimos?
Die Frage ist so unspezifisch wie möglich formuliert, trotzdem sind die einzelnen Elemente, d. h. die Begriffe <Wörter>, <für Schnee> und <Eskimos> keinesfalls unproblematisch.[194]
In der Sprache der Eskimos gibt es einen fließenden Übergang zwischen Wort und Satz, was sich aus dem im Vergleich zu indo-europäischen Sprachen wesentlich ausgeprägteren Flektionssystem ergibt. Der Ausdruck nanusiuqtuq (Er jagte den Eisbär) z. B. entsteht durch Flektion des Ausdrucks nanu(q) (Eisbär).[195] Einzelne Wörter können also in der Sprache der Eskimos per se wesentlich mehr ausdrücken als etwa einzelne Wörter im Deutschen.
Bei dem Ausdruck <für Schnee> ergibt sich das Problem, welche Begriffe genau als Wörter für Schnee gelten können (sind z. B. Schneesturm und Lawine Synonyme für Schnee?).
Das größte Problem jedoch zeigt sich bei dem Begriff Eskimo. Eskimos gibt es in Sibirien, Alaska, Kanada und Grönland, die Sprachen der verschiedenen Völker lassen sich zwei größeren Familien (östliches und westliches Eskimo) zuordnen, die sich wiederum in verschiedene Dialekte aufspalten. Das Vokabular differiert dabei zum Teil erheblich.[196]
Diese Analyse sollte zeigen, dass Begriffe mehr sind als Verweise auf außersprachliche Entitäten oder Übermittler eindeutiger Informationen.
Jede Frage (und jede Aussage) unterstellt von vorneherein bestimmte Sachverhalte. Die Frage Was ist das? unterstellt z. B., dass das ein klar zu identifizierendes, von seiner Umwelt abgegrenztes Objekt ist, das sich in der Nähe befindet (oder dem Antwortenden zumindest bekannt ist). Jede Aussage impliziert solche Voraussetzungen. Sie sind der Hintergrund, vor dem die Bedeutung einer Äußerung erfasst wird. Die Ursache für die Notwendigkeit eines solchen Hintergrunds liegt in der bereits beschriebenen Selektivität von Sprache. Aussagen wählen bestimmte Eigenschaften des beschriebenen Sachverhalts aus, die explizit genannt werden. Andere Eigenschaften müssen aus dem Gesagten erschlossen werden. Im Fall einer Frage „Wie viele Wörter für Schnee hat ein Volk X?“ impliziert der Begriff <Wörter>, dass die Unterteilung in Wörter und Sätze, wie sie im Deutschen zu finden ist, eine universale Struktur aller Sprachen ist, und dass dem Begriff <Schnee> zum einen ein Inhalt entspricht, dessen Grenzen nach außen hin (etwa zu dem Begriff Eis) universal sind, zum zweiten, dass der Begriff <Schnee> in allen Sprachen im gleichen Kontext steht (etwa als Teil der Bedeutung von Schneesturm).
Im Fall des Begriffs „Eskimo“ (oder welches Volk man auch immer für das Volk X einsetzen will) zeigt sich die Tendenz einem Lexem einen Inhalt zuzuordnen.[197] D. h. allein schon die Tatsache, dass „Eskimos“ ein Wort ist, während „Deutsche“ und „Engländer“ zwei Wörter sind, ist ein sprachlicher Hinweis darauf, dass Eskimos mehr Dinge gemeinsam haben als Deutsche und Engländer. Alle diese Prämissen sind nun nicht in der Frage selbst formuliert, trotzdem schwingen diese Voraussetzungen in ihr mit und bestimmen so unbewusst die Erwartungshaltung des Fragers. Die erwartete Antwort (d. h. die Nennung einer bestimmten Zahl) macht nur vor dem Hintergrund dieser Prämissen Sinn. Will man nun eine Antwort geben, die von diesen Prämissen abgekoppelt ist, muss zuerst die Frage zurückgewiesen werden.
Die Tatsache, dass Aussagen bestimmte Kontexte mittransportieren, bedeutet natürlich nicht, dass wir diesen Kontexten „ausgeliefert“ sind, oder dass diese Kontexte für uns eine absolute Verbindlichkeit besitzen. Im Gegenteil, neue Fakten können unser Bild revidieren (im Fall der Schneewörter im Eskimo wurde ja genau das gerade versucht). Trotzdem sind sprachliche Prämissen nur sehr schwer aufhebbar. Das soll an mehreren Beispielen demonstriert werden.
Neuere Veröffentlichungen weisen durchaus darauf hin, dass das Schneewörterbeispiel falsch ist, so schreiben z. B. Devitt und Sterelny (1999):
The number of Eskimo words for snow is legendary, and the legend suggests that the contemporary Eskimo thinks thoughts about snow, that the typical speaker does not. Sadly for this example, the legend is apparently merely a legend (Pinker 1994; 64-5) [Herv. v. Verf.][198]
Es wird eindeutig gesagt, dass die Vielfalt der Schneewörter eine Legende ist, um so überraschender ist daher, was direkt danach folgt:
But even if the Eskimos are less vocabulary-enriched with respect to snow than legend has it, the point surely survives. Every specialist group with their own technical vocabulary illustrates both the point and its limitations. Wine tasters, chess and bridge masters can all think certain thoughts more easily than the rest of us. But while this is a sign of the influence of language it does not show prevention or constraint. And very often there will not even be any incommensurability. [Herv. v. Verf.][199]
In diesem Zitat scheinen Eskimos zunächst implizit Spezialisten für Schnee zu sein, darauf folgt die Behauptung, dass jede Gruppe von Spezialisten ihr eigenes, spezialisiertes Vokabular hat. Abgesehen von der Tatsache, dass das Leben in einer kalten Region Eskimos per se noch nicht zu Experten für Schnee macht (Matrosen sind auch keine Experten für Wasser), ist diese Argumentation in sich widersprüchlich. Zuerst wird gesagt, dass die Vielfalt der Schneewörter bei den Eskimos nur eine Legende sei, dann aber wird behauptet, dass Eskimos ein Beispiel für Experten seien, und dass alle Experten ein ausgefeiltes Vokabular für ihr Gebiet hätten (implizit also auch Eskimos). Diese Argumentation wird dann auch konsequent weitergeführt:
[...] very likely, all Eskimo words for snow can be translated into English. Of course, each Eskimo word is likely to require a complex English phrase […] The ultimate explanation of this difference in thought between the Eskimoes and the English is obvious enough and has nothing to do with language: they live in different natural environments. [Herv. v. Verf.][200]
Wenn die Vielzahl von Eskimo-Schneewörtern eine Legende ist, warum sollte dann ihre Übersetzung eine komplexe englische Konstruktion erfordern? Warum sollte es in diesem Punkt überhaupt eine umweltbedingte Differenz des Denkens geben?
Bemerkenswert an dieser Passage ist, dass ein offensichtliches Faktum, das auch als solches explizit anerkannt wird, im Laufe der Betrachtung durch eine tiefer liegende Prämisse verdrängt wird, nämlich dass Schnee essentieller Teil des Lebens der Eskimos ist und diese sich daher „logischerweise“ sehr gut mit Schnee auskennen und eine entsprechende Begrifflichkeit besitzen. Ein weiteres Beispiel stammt von Lehmann (1998), es ist die Fußnote zur Zitierung der ersten Nennung des Schneewörterbeispiels bei Franz Boas:
Daß sich diese Illustrierung als Paradebeispiel durchsetzte, hatte weitreichende Konsequenzen für das Verständnis (bzw. Missverstehen) der Hypothese [gemeint ist die Sapir-Whorf Hypothese, Anm. d. Verf.]; zur unwissenschaftlichen Eskalation der Schneewörter in späteren Zitierungen siehe Pullum 1991. [Herv. v. Verf.] [201]
Pullum, der in diesem Zitat als Quelle genannt wird, bemängelt nicht nur, dass das Schneewörterbeispiel (in Bezug auf die Menge) eskaliert ist, sondern vor allem, dass es falsch ist.[202] Warum weist Lehmann hier also nicht auf diesen Hauptkritikpunkt von Pullum hin, sondern erwähnt nur die „unwissenschaftliche Eskalation der Schneewörter“? Dass die Anzahl der Schneewörter von Zitierung zu Zitierung immer größer wurde, schließt nicht aus, dass das Beispiel an sich stimmt. Genau das wird aber in Pullums Artikel im Kern bestritten. In einem anderen Beispiel, das von Murphy (1996) stammt, zeigt sich die Tendenz, Pullums Fakten umzuinterpretieren noch stärker:
Eskimos [...] have N words for snow [N varies widely – see Pullum, 1991], whereas English only has one, snow.[203] [Herv. v. Verf.]
Und auch Lucy (1992a) verweist zwar auf eine Quelle, in der die Validität des Schneewörterbeispiels bestritten wird:
Martin (1986) provides a history of the use and misuse of the „snow“ example which rightly criticizes the lack of careful attention to linguistic analysis of „Eskimo“ languages.[204]
Trotzdem scheint auch er weiterhin davon auszugehen, dass die Eskimos viele Wörter für Schnee besitzen:
Brown and Lenneberg[205] argued at some length that English speakers can and do make the same distinctions the Eskimo make by using phrases (for example, „good-packing snow and bad-packing snow“). What they clearly did not grasp is that for the English speakers these referents remain varieties of snow, whereas there is no evidence at all that the Eskimo regard these […] referents as varieties of the same thing. The only way it can make sense to argue that the Eskimo are making the same distinctions is to constrain the possible meanings of the Eskimo lexical forms severely [...] [Herv. v. Verf.][206]
und an anderer Stelle:
Brown and Lenneberg attempted to give an account of why differences in terminology such as those between Eskimo and English exist. [Herv. v. Verf.][207]
Auch Martin lässt keinen Zweifel daran, dass das Schneewörterbeispiel falsch ist, warum geht Lucy hier also implizit weiterhin davon aus, dass die Eskimos mehrere Wörter für Schnee besitzen bzw. Schnee anders unterscheiden als Amerikaner?
Mit diesen Beispielen sollte nicht kritisiert werden, dass wissenschaftliche Argumentationen durch nicht abgesicherte Informationen belegt wurden, sondern es sollte gezeigt werden, dass diese Beispiele eine irrationale Argumentation beinhalten. In allen Beispielen scheinen die Autoren davon auszugehen, dass das Schneewörter-Beispiel an sich richtig ist, obwohl alle explizit oder durch den Verweis auf entsprechende Literatur darauf hinweisen, dass es falsch ist. Die neuen Fakten über die Eskimosprache werden offenbar vor dem Hintergrund vorhandener Prämissen uminterpretiert. Die negative Information über das Schneewörter-Beispiel scheint unbewusst so „hingebogen“ zu werden, dass sie mit den alten Prämissen (die sich aus dem ergeben, was „allgemein“ über Eskimos bekannt ist) übereinstimmt.
Das Verständnis des Wortes „Eskimo“ beinhaltet für uns die Vorstellung einer homogenen Gruppe, in deren Welt Schnee eine essentielle Rolle spielt. Neue Informationen, d. h. veränderte Sachverhalte scheinen zuerst nur vor diesem Raster wahrgenommen zu werden und werden deshalb zunächst im Sinne dieser vorhandenen Prämissen umkonstruiert - sogar wenn sich ein eklatanter Widerspruch ergibt. Die Tatsache, dass Eskimos Experten für Schnee sind, ist „einleuchtend“ und „logisch“ – daran zu rütteln, erfordert mehr als das bloße Faktum, dass es nicht so ist. Die Tatsache, dass Eskimos viele Wörter für Schnee besitzen, ist offenbar absolut stimmig. Diese Stimmigkeit wird dem Beispiel auch nicht genommen, wenn es widerlegt wird. Für die eben zitierten Autoren scheint das Beispiel eine absolut bestechende, innere Logik zu haben, die unabhängig von der Realität ist. Das folgende Beispiel aus Li und Gleitman (2002) zeigt das noch einmal deutlich:
[...] consider the well-known claim by Whorf (1956) that Eskimo populations have a large number of words differentiating among types of snow. […] Would such Eskimos populations be affected in their discrimination of snow types if they continued to live where and as they now do, but came to speak English rather than Eskimo language?[208]
Eine Fußnote zeigt nun, dass beiden Autorinnen bekannt ist, dass das Beispiel nicht stimmt:
We are referring to Whorf’s famous discussion of snow […] According to Pullum (1991), citing Martin (1986), Whorf was incorrect in thinking that the Inuit or Yupik dialects are rich in snow words – various morphological and translation confusions and unchecked references led to the gross inflation of a snow vocabulary no more extensive than that found in English. Still, the oft-mentioned snow case is a handy example of the way that Whorf and his various intellectual descendents have thought about the relations between language and thought. [Herv. v. Verf.][209]
Im Rest des Artikels wird dann das Schneewörter-Beispiel so behandelt, als ob es wahr wäre:
Do the Eskimos think so well about snow because they have a lot of snow words, as Whorf improbably maintained? That would certainly be a lucky coincidence for the Eskimos! […] Or, conversely, do Eskimos have a lot of snow words because they think so well about snow?[210]
Dieses Beispiel zeigt noch einmal, wie stark die Prämissen sind, die mit den Eskimos verbunden werden. Das Schneewörter-Beispiel ist falsch, es kann daher lediglich zeigen, dass Whorf (und andere) einen Fehler begangen haben. Es ist aber sicherlich ungeeignet, Argumente über den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken zu verdeutlichen, wie das Li und Gleitman versuchen, außer man geht davon aus, dass dieses Beispiel trotz allem doch „irgendwie“ stimmt. Alles, was an einem falschen Beispiel demonstriert oder bewiesen wird, ist per se fragwürdig, auch wenn dieses Beispiel noch so praktisch („handy“) ist. Auch in diesem Beispiel stellt also die Prämisse, dass Eskimos Experten für Schnee sind, die tatsächlichen Fakten in den Schatten.
Trotzdem gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die Bedeutung des Wortes Eskimo oder unsere Einstellung gegenüber Eskimos unser Denken in irgendeiner Weise determiniert. Das Wissen um die Zusammenhänge kann die Bedeutung des Wortes Eskimo verändern. Die bloße Möglichkeit ist aber kein Garant dafür, dass es auch geschieht (wie an den Beispielen gezeigt wurde). Die Eigenart sprachlicher Prämissen besteht darin, dass es zum großen Teil verdeckte, d. h. unbewusste Prämissen sind, sie tauchen in der Aussage selbst nicht auf – sie sind aber notwendig, um die Aussage zu verstehen. Da diese Prämissen aber nicht offen zu Tage treten, sind sie zunächst logisch auch nicht angreifbar. Erst wenn sie explizit formuliert werden, ist es überhaupt möglich, sie durch Fakten zu widerlegen.
Natürlich lässt sich auch hier einwenden, dass Vorurteile gegenüber Eskimos sicherlich unabhängig von sprachlichen Formen sind. Es sollte jedoch lediglich demonstriert werden, dass die Struktur unserer Sprache unser Weltbild stützt, indem zunächst selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Begriffe wie „Wort“, „Schnee“ oder „Eskimos“ objektiv sind, d. h., dass in allen Sprachen hinter diesen Begriffen dieselbe Bedeutung und derselbe Inhalt steht. Diese Prämisse ist aber sicherlich in vielen Fällen falsch.
In diesem Abschnitt sollte gezeigt werden, dass Wortbedeutungen Träger von verdeckten Prämissen sind, und dass neue Informationen über den Inhalt eines Wortes zunächst vor dem Hintergrund dieser teils unbewussten Prämissen wahrgenommen werden. Im nächsten Schritt soll es nun darum gehen, dass auch Systeme Träger von verdeckten Prämissen sein können.
3.2 Was zählt, ist die Zahl 2000 – Systeme als Hintergrund
In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass nicht nur Wortbedeutungen Prämissen setzen, sondern auch Systeme, d. h., dass auch die Art, wie Entitäten gewohnheitsmäßig verknüpft werden, die Wahrnehmung neuer Fakten beeinflusst.
Unsere Zeitrechnung (d. h. die Rechnung ab der Geburt Jesu Christi) wurde im 6. Jhd. eingeführt, zu dieser Zeit war ein Zahlensystem üblich, in dem es noch keine Null (als Ziffer) gab, daher ist Jesus nach diesem System der Jahreszählung im Jahr 1 geboren und nicht im Jahr Null (in unserer Zeitrechung gibt es überhaupt kein Jahr Null, das Jahr vor dem Jahr 1 n. Chr. ist das Jahr 1 v. Chr).
Heutzutage folgt die Jahreszählung, etwa bei der Lebenszeit, dem mathematischen System mit der Null als Anfangspunkt. An meinem 27 Geburtstag war ich 27 Jahre alt. Jesus war aber gemäß der Zeitrechung nach seinem 27. Geburtstag in seinem 27. Jahr, also erst 26.
Der Beginn des neuen Jahrtausends wurde nun weltweit Sylvester 1999/2000 gefeiert, dabei war allgemein bekannt, dass das neue Millennium „eigentlich“ erst ein Jahr später beginnt. Die heutige Art der Zählung (mit der Null als Anfang) wurde auf die Zeitrechnung (mit der Eins als Anfang) einfach übertragen - dass sich daraus ein Widerspruch bzw. eine Differenz von einem Jahr ergibt, wurde nur marginal zur Kenntnis genommen. Die Struktur eines bestehenden Systems, dessen Umgang wir gewohnt sind, wurde auf ein anderes System mit anderer Struktur einfach übertragen. D. h. auch hier wurde ein bestehendes Faktum im Sinne vorhandener Prämissen uminterpretiert: „die Verschiebung um ein Jahr ist marginal, was zählt, ist die Zahl 2000“.
Die Effekte, die ein System erzeugt, sind in diesem Fall ein Teil der Prämissen. Man geht z. B. davon aus, dass ein System, in dem man gewohnt ist zu denken, richtige Ergebnisse liefert. Würde etwa jemand behaupten, dass 1+1=3 ist und diese Tatsache durch ein tausendseitiges Buch mit neuartigen mathematischen Formeln begründen, könnte man, ohne das Buch zu lesen, dieses neue System sofort zurückweisen, weil „unser System“ die Zwei als Ergebnis vorgibt. Im Fall der Rechnung 1+1 ist eine solche Schlussfolgerung sicherlich richtig, im Fall des Milleniumwechsels hingegen ist sie falsch.
In diesem Schritt sollte gezeigt werden, dass gewohnte Systeme Träger von Prämissen sind. Systeme, die weniger bekannt sind, werden zunächst vor einem vertrauten Raster wahrgenommen und entsprechend umkonstruiert, auch wenn sich ein Widerspruch ergibt.
3.3 Ursprung = Anfang – Bedeutungssysteme als Hintergrund
In diesem Abschnitt soll eine Synthese der Ergebnisse der beiden vorangegangenen Abschnitte versucht werden. In 3.1 wurde festgestellt, dass Begriffe verdeckte Prämissen implizieren, die schwer aufhebbar sind und die Interpretation neuer Fakten beeinflussen. In 3.2 wurde gezeigt, dass das gleiche auch für die Wahrnehmung von Systemen gilt, auch hier werden neue Fakten (oder neue Systeme) zunächst „durch die Brille“ des bekannten Systems gesehen. Nun soll gezeigt werden, dass auch Systeme von Begriffen Träger verdeckter Prämissen sein können.
Als Beispiel soll zunächst der Begriff „Beleidigung“ dienen. Der Duden gibt unter „beleidigen“ folgende Erläuterung: „jmd. (durch eine Äußerung, Handlung o. ä.) in seiner Ehre angreifen, verletzen“.[211]
Diese Definition lässt offen, wie solche ehrverletzenden Äußerungen oder Handlungen beschaffen sein müssen. Wenn ich von meinem Verständnis des Begriffs „Beleidigung“ ausgehe, kann fast alles, abhängig von der Person und der Situation, beleidigend sein (etwa wenn man einem trockenen Alkoholiker zuprostet). Allgemein lässt sich sagen, dass mit einer Beleidigung i. d. R. ein zumeist verbaler Angriff verbunden ist. Beleidigend können aber auch Fauxpas sein, d. h. Aussagen, die beleidigend oder verletzend wirken, aber „nett“ gemeint sind (z. B. Mitleidsbekundungen wie „Sie tun mir sehr leid“ gegenüber Rollstuhlfahrern oder Blinden etc.).
Die juristische Definition von Beleidigung weicht davon etwas ab. Als Beleidigung gilt die Kundgabe von Nichtachtung, Geringschätzung oder Missachtung durch Werturteile oder durch das Behaupten von Tatsachen.[212] Beleidigungen sind gemäß §185 StGB strafbar, wenn sie angezeigt werden (§194 StGB). Eine Beleidigung kann immer nur vorsätzlich erfolgen (wobei bedingter Vorsatz genügt; es reicht also aus, wenn der Täter weiß, dass seine Äußerung beleidigend sein könnte).[213] Im juristischen Sinne kann man also jemanden nicht unabsichtlich beleidigen. Darüber hinaus wird die Beleidigung rechtlich von der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§189 StGB), von der üblen Nachrede (§186 StGB) und der Verleumdung (§187 StGB) abgegrenzt, während im normalen Sprachgebrauch üble Nachrede, Verleumdung usw. wohl auch durch das Verbreiten von Beleidigungen geschehen kann. Unterschiede ergeben sich außerdem bei der Bewertung konkreter Aussagen. Äußerungen wie „Bullen sind Schweine“ oder „Studenten sind faul“ sind, wenn sie sich nicht direkt an Personen richten, nicht justiziabel, da es sich dabei juristisch um allgemeine Werturteile handelt.[214] Die Aussage „Soldaten sind Mörder“ allerdings kann rechtlich als Beleidigung interpretiert werden, wenn sie sich konkret auf die Bundeswehr (als Institution) bezieht.[215]
Im Gegensatz dazu ist im allgemeinen Verständnis die Aussage „Bullen sind Schweine“ wahrscheinlich in jedem Fall eine Beleidigung, während „Soldaten sind Mörder“ eher ein allgemeines Werturteil darstellt (da der Begriff „Mörder“ zunächst nur impliziert, dass das Töten durch Soldaten unmoralisch ist), selbst wenn sie im Zusammenhang mit der Bundeswehr geäußert wird.
Sicherlich ist die juristische Sichtweise der Beleidigung nicht vollständig von der allgemein-sprachlichen abgekoppelt. Der Paragraph 185 StGB ahndet weitgehend das, was auch ich als Nicht-Jurist unter Beleidigung verstehe. Allerdings muss der rechtliche Begriff der Beleidigung vor einem anderen Hintergrund gesehen werden. Straftaten können immer nur vorsätzlich (oder in besonderen Fällen auch fahrlässig) begangen werden, niemals aber aus Versehen. Diese Prämisse grenzt den rechtlichen Begriff der Beleidigung von außen ein. Eine Eingrenzung, die im normalen Sprachgebrauch nicht existiert. Herablassendes Verhalten, versehentliches Nicht-Grüßen oder die Verwendung von Du statt Sie sind per se Beleidigungen, die negative Folgen haben können. Ob diese Beleidigungen absichtlich geschehen sind oder nicht, kann eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Weiterhin steht die Beleidigung juristisch dadurch, dass sie als Straftat behandelt wird, in einer Reihe mit anderen Straftaten (Betrug, Erpressung, Mord usw.) und wird rechtlich zunächst wie diese behandelt. Im allgemeinen Verständnis ist dagegen die Beleidigung wahrscheinlich eher ein Normverstoß als ein Verbrechen und wird daher in einer Reihe mit Rücksichtslosigkeit, unmäßigem Fluchen oder schlechtem Benehmen gesehen werden.
Anhand dieses Beispiels sollte gezeigt werden, dass Begriffe als Elemente unterschiedlicher (Bedeutungs-) Systeme funktionieren können. Unterschiedlich strukturierte, voneinander getrennte Systeme können allerdings die gleichen Begriffe enthalten. Mit gleich ist hier mehr gemeint als eine rein lautliche Gleichheit. Der Begriff „Beleidigung“ muss im rechtlichen wie im allgemein-sprachlichen Sinne einen gemeinsamen Kern haben, weil sonst für den Nicht-Juristen nicht ersichtlich wäre, was in §185 StGB überhaupt unter Strafe gestellt ist. Ein solcher gemeinsamer Bedeutungskern kann allerdings nur mit Schwierigkeiten eindeutig formuliert werden. Würde man z. B. sagen, dass Beleidigungen in beiden Fällen ehrverletzend sind, dann würde auf den ersten Blick ein solcher Bedeutungskern definiert. Der rechtliche Begriff Ehre ist aber nicht mit dem allgemein-sprachlichen identisch. Ändert man etwa die rechtliche Definition des Begriffs Ehre (etwa durch die Erweiterung Tiere, Pflanzen und Tote haben eine Ehre), würde man damit automatisch auch die Definition des rechtlichen Begriffs Beleidigung verändern (Tote besitzen z. B. im rechtlichen Sinne keine Ehre und können deshalb nicht beleidigt werden). Im allgemeinen Sprachgebrauch ist dagegen das Verständnis der Beleidigung eher von Begriffen wie Demütigung, Anschreien, unnötiger Kommentar und im weiteren Sinne wohl auch durch den Begriff Ehre geprägt, es hängt aber sicherlich nicht von vorgegebenen Definitionen ab.
Es lässt sich also sagen, dass die Aussage „Beleidigungen sind ehrverletzend“ zwar in jedem Fall richtig ist, die Stellung dieser Definition im Rechtssystem ist aber eine andere als im sprachlichen System, dessen Umgang wir gewohnt sind.
Durch dieses Beispiel sollte gezeigt werden, dass die Bedeutung eines Begriffs durch die Struktur geprägt wird, als dessen Element sie funktioniert.
Ein weiteres Beispiel soll diesen Punkt verdeutlichen. Stroinska beschreibt, wie sie bei einem Mordprozess in den U.S.A als Übersetzerin helfen sollte, auf Band aufgenommene Verhöre eines Polen, der des Mordes an seiner Frau beschuldigt worden war, zu bewerten. Ein Teil der Anklage stützte sich auf die Tatsache, dass der Verdächtige während des Verhörs niemals gefragt hatte, wie seine Frau gestorben sei. Daraus wurde geschlossen, dass er es bereits weiß und daher die Tat begangen haben muss. Stroinska beurteilt das Verhör nun wie folgt:
[...] I must agree that the accused never posed the question ’How did my wife die?’ This, however, does not mean that he never asked how she died. He repeatedly asked in Polish ’Co sie stalo?’, which was translated into English, without any hesitation, as ’What happened?’ There is no doubt that ’what happened?’ is a correct, word-for-word translation of the Polish co sie stalo?, and that the Polish speaking officer had not done anything wrong translating it that way. However, he missed an important point in his interpretation. In Polish, co sie stalo? is not only a possible way to ask about a tragic event of this kind; it is practically the only way to ask. The equivalent of the English question ’How did she die?’ (jak ona umarla?) sounds very technical and could be asked by a police doctor or a forensic examiner, but not by a concerned relative.[216]
An diesem Beispiel sollte noch einmal verdeutlicht werden, dass sprachliche Systeme die Bedeutungen ihrer Elemente mit bedingen. Die Frage co sie stalo? auf polnisch entspricht der Frage what happened? auf englisch, allerdings ist es irreführend zu glauben, dass die Bedeutung beider Ausdrücke identisch ist. Beide Fragen sind Teil verschiedener Systeme, ihre Bedeutungen entsprechen sich, sie meinen aber nur in etwa das gleiche. Bei jeder Übersetzung muss das System, als dessen Element sie funktionieren, mit berücksichtigt werden. Ein Wort trägt das sprachliche System immer in sich. Man kann einen Begriff in eine andere Sprache übersetzen, aber dadurch wird er zu etwas anderem. Das soll kurz anhand einer Metapher verdeutlicht werden. Wenn verschiedene Maler das gleiche Gebäude malen, können ihre Bilder sehr unterschiedlich ausfallen, der Stil dieser Maler drückt jedem Bild einen unverwechselbaren Stempel auf. Der Stil des Malers ist der Kontext, in dem ein Bild gesehen werden muss, genauso ist die Einzelsprache der Kontext, in dem ein Wort einer Sprache steht. Hätten Van Gogh und Monet die gleiche Kirche gemalt, hätten die Bilder sicherlich anders ausgesehen, nicht nur im Detail, sondern grundsätzlich. Trotzdem hätte man wahrscheinlich ohne Probleme erkennen können, dass es sich dabei um die gleiche Kirche handelt. Ein Maler präsentiert in einem Bild immer auch seine Sicht, betont bestimmte Dinge, lässt andere Dinge vielleicht beiseite usw. Das, was ein Bild objektiv darstellt, ist untrennbar mit dem Stil des Malers verbunden. Das gleiche gilt für ein Wort, es ist Teil einer Sprache und gleichzeitig Referent auf etwas Außersprachliches. Beide Eigenschaften sind aber nicht voneinander zu trennen.
Im nächsten Schritt soll nun gezeigt werden, dass durch Systeme von Begriffen (in einer Sprache) bestimmte Sichtweisen in den Vordergrund gestellt werden können. Als Beispiel soll das Wort Ursprung dienen. Ursprung bezeichnet einen Beginn oder eine Ursache. Ursprung ist der Anfangspunkt der Entstehung von etwas. Der Ursprung der Welt wäre, wenn man religiös ist, die Schöpfung durch Gott in sechs Tagen oder der Urknall, wenn man sich an der (derzeit herrschenden) naturwissenschaftlichen Lehrmeinung orientiert. So unterschiedlich die Annahmen von Schöpfung und Urknall auch sein mögen, so haben sie doch die Fokussierung auf den Ursprung als zeitlichen Anfang gemeinsam. Das Wort Ursprung trägt „in sich“ die Bedeutung eines zeitlichen „als erstes“. Der Ursprung einer Entwicklung liegt zeitlich vor der Entwicklung selbst.
Es ließe sich aber auch ein Ursprung denken, der die Welt ständig erschafft, d. h. unabhängig von einem zeitlichen Ablauf einfach da ist, seit Anbeginn und solange die Welt existieren wird. Eine Ursache kann zeitgleich mit ihrer Wirkung existieren. Unser Herz schlägt (Ursache) und erhält uns am Leben (Wirkung), hört es auf zu schlagen, sterben wir. Oder der Kopf (Ursache) drückt eine Delle in ein Kissen (Wirkung). Die Vorstellung aber, dass der Ursprung nicht punktuell als Anstoß, sondern als aktive Grundlage verstanden werden kann, ist zunächst weniger naheliegend, weil die Begriffe, die Ursprung beschreiben in ihrer Tendenz einen zeitlichen Anfang implizieren: Anfang, Beginn, Schöpfung, Urknall, Herkunft, Ausgangspunkt, Entstehung, Erschaffung usw. Jeder dieser Begriffe beinhaltet ein zeitliches „als erstes“ einer Entwicklung. Das gleiche gilt auch für die Definition, die der Duden für Ursprung gibt: „Ort oder Zeitraum, von dem etw. ausgegangen ist, seinen Anfang genommen hat.“ [Herv. v. Verf.][217]
Trotzdem ist die Frage nach dem Ursprung der Welt, nach der Ursache, warum die Welt so ist, wie sie ist, nicht zwingend identisch mit der Frage nach dem zeitlichen Anfang.
Im allgemeinen Verständnis ist aber die Frage nach der Beschaffenheit der Welt, d. h. etwa nach der Grundlage der Naturgesetze, stärker mit dem Anfang der Welt verbunden als etwa mit ihrem Ende oder dem Jetzt. Der Anfang ist DIE Ursache und damit der Ursprung. Das Jetzt wird aus dem „Ursprung“ heraus erklärt.
Die Untersuchung des Ursprungs ist im allgemeinen nicht die Frage nach dem aristotelischen „unbewegten Beweger“, der die Zahnräder der Welt ständig antreibt, damit die Welt läuft, sondern sie ist die Frage nach dem ersten Dominostein einer Reihe, in der bis heute ein Stein den nächsten anstößt.
In diesem Abschnitt sollte gezeigt werden, dass Wortbedeutungen Teil von Begriffssystemen sind. Die Bedeutungen der Begriffe in solchen Systemen stützen sich gegenseitig ab. Je nachdem, wie solche Systeme von Begriffen beschaffen sind, tritt dabei eine bestimmte Sicht in den Vordergrund. Eine solche Sicht ist natürlich nicht absolut. Die Aussage Ursprung ist Anfang ist aber sicherlich in unserem Kulturkreis eine weit verbreitete Wahrnehmung des Konzepts Ursprung.
3.4 Bedeutungssysteme als Weltsicht
In diesem Abschnitt soll nun gezeigt werden, dass Begriffssysteme, wie sie oben beschrieben wurden, unserem Denken Grenzen setzen können. Um das zu zeigen, muss allerdings zunächst etwas weiter ausgeholt werden. Ausgangspunkt ist ein Zitat Jacques Derridas, in dem eine Grundthese der Grammatologie formuliert wird:
„Wir werden zu zeigen versuchen, daß es kein sprachliches Zeichen gibt, das der Schrift vorherginge.“[218]
Diese Aussage scheint zunächst paradox. Die Schrift wird allgemein als Abbild der gesprochenen Sprache wahrgenommen, es gibt Menschen, die nicht schreiben, aber sprechen können und es gibt darüber hinaus ganze Völker, die keine Schrift besitzen.
Die gesprochene Sprache funktioniert dem gemäß unabhängig von der Schrift, und jede Art von Schrift kann somit immer nur von einer gesprochenen (oder gebärdeten) Sprache abgeleitet sein.[219] Diese Ableitung hat zur Folge, dass jeder geschriebene Text in Bezug auf den zeitlichen Punkt seiner Aufschrift verstanden werden muss. Das soll an einem Beispiel erläutert werden.
Sie wachen morgens auf, setzen sich auf und sagen zu sich selbst: „Ich bin krank.“ Dieser Satz könnte für einen Außenstehenden alles mögliche bedeuten, man könnte denken, Sie fühlen sich krank, oder aber Sie haben einen Termin, den Sie nicht einhalten wollen und der Satz „Ich bin krank.“ ist Ausdruck des endgültigen Entschlusses, ihn nicht wahrzunehmen, oder aber Sie haben etwas schlimmes getan und der Satz „Ich bin krank“ ist eine Art Selbstanklage usw. Sicher ist allerdings, dass SIE in diesem Moment wissen, was Sie meinen, gleichgültig, was es bedeuten könnte, wie abstrus es auch immer ist, welche Kontexte man berücksichtigen muss, um den Satz zu verstehen. Im Moment der Artikulation ist für Sie klar, was gemeint ist. Sie haben keinerlei Interpretationsspielraum. Sie haben keine Möglichkeit, sich selbst misszuverstehen. Der Signifikant: „Ich bin krank“ ist in diesem Moment absolut determiniert, die Verbindung Signifikat – Signifikant fest. Der Signifikant ist, wie Derrida es ausdrückt, durchsichtig.[220]
Nimmt man nun an, dass die eben erläuterte Wahrnehmung richtig ist, dann folgt daraus, dass es einen festen, bestimmbaren Sinn gibt, dass ein Signifikant auf ein ganz spezielles, letztendlich erfassbares Signifikat verweist. Bildlich ausgedrückt könnte man sagen, dass der Signifikant auf das Signifikat „draufgenagelt“ wird, in dem Moment, in dem man ihn äußert. Damit hat jeder Signifikant ein fest bestimmbares Signifikat. Natürlich variiert dieses Signifikat von Mal zu Mal, es hängt vom Kontext ab, vom Sprecher etc. Jeder individuelle Signifikant hat aber sein Signifikat, seinen Sinn, seine Bedeutung.
Nun schreiben Sie etwas. Und das gleiche, was für das gesprochene Wort gilt, gilt auch für die Schrift, nur dass es nun eine Vermittlung gibt, die Schrift verweist nun auf die Stimme, auf die (innere) Stimme der Person in dem Moment, als sie es schrieb, und die Stimme wiederum hat ihre unmittelbare Nähe zum Sinn. Um nun den Sinn des geschriebenen Wortes zu finden, muss der Umweg über die Stimme gemacht werden, über die Stimme als sie präsent war, über die Stimme als sie die Vorlage für das geschriebene Wort war. Entscheidend für das Verständnis eines Textes ist, was der Autor im Moment der Niederschrift sagen wollte. Die Annahme einer solchen Nähe der (inneren) Stimme zum Sinn nennt Derrida Phonozentrismus.
Die Bestimmung des Sinns aus der Präsenz heraus ist nun gemäß Derrida eines der Hauptmerkmale unseres Denkens: des Logozentrismus. In ihm werde der Sinn des Seins als Präsenz bestimmt.[221] Das ist so zu verstehen, dass jeder Ursprung als Punkt bestimmt wird, der irgendwann einmal präsent war. Dieser Punkt ist das (gedachte) Zentrum jeder Struktur. Wie das zu verstehen ist, zeigt sich z. B. an der Definition, die der Duden für Struktur gibt: „Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander, gegliederter Aufbau, innere Gliederung“.[222] D. h. die Struktur wird in Bezug auf ein Ganzes verstanden, das in sich gegliedert ist. Der Begriff Struktur bezieht sich damit auf eine Totalität, die von dem Prinzip her, dem die Struktur folgt, verstanden wird. Die Struktur ist damit in sich geschlossen, weil es nichts außerhalb dieser Struktur gibt, was das Prinzip dieser Struktur ursprünglich bestimmt. In dieser Struktur gibt es eine Gliederung, eine Ordnung, ein Prinzip, ein Gesetz, d. h. EIN ZENTRUM, das alle Elemente dieser Struktur bestimmt –nichts, was von außen kommt, greift dieses Zentrum an.
Dieses Zentrum kann nun je nach Art der Struktur und der Weltanschauung verschiedene Namen haben: Prinzip, Wahrheit, Objektivität, Signifikat, Ganzes, Gott, Grundstruktur, Grundlage, Kern (einer Sache), Ursprung, Intension usw. Jedes Verständnis einer Struktur macht nur „Sinn“ in Bezug auf ein solches Zentrum, das ist es, was Logozentrismus meint. Will ich etwas verstehen, muss ich den Kern der Sache kennen, einen objektiven Standpunkt einnehmen, mir die Grundlagen erarbeiten, das Ganze sehen oder die Wahrheit akzeptieren. Allen diesen Begriffen ist aber gemein, dass es Ideale sind, niemand kann einen absolut objektiven Standpunkt einnehmen, niemand kennt die Wahrheit, niemand kann die Prinzipien einer Struktur bis aufs letzte bestimmen.
Derrida postuliert nun eine veränderte Wahrnehmung, die an einem von Saussure stammenden Beispiel[223] demonstriert werden soll. Der franz. Name Lefèvre wird auch Lefèbvre geschrieben, allerdings mit gleicher Aussprache, Lefèbvre wurde nun aufgrund der gleichen Schreibung von v und u in früheren Zeiten zu Lefèbure und in diesem modifizierten Namen wurde nun das b ausgesprochen. Diese Aussprache ist nun für Saussure eine „lautliche Deformation“, eine „Missgeburt“, die nicht aus dem natürlichen Spiel der Sprache entsprungen sei.[224] Derrida hingegen findet Lefèbure „nicht schlecht“[225]. Für Saussure ist eine solche Entstehung von Wörtern ein Fehler, für Derrida ist sie das Prinzip der Sprache selbst.
Akzeptiert man, dass Begriffe auch auf diese Art entstehen können, und dass darüber hinaus auch Bedeutung aus diesen „Täuschungen“ und „Fehlern“ hervorgehen kann, dann entsteht das Signifikat auch zwischen den Signifikanten. Wenn es aber zwischen den Signifikanten entsteht, ist es nicht länger Signifikat im ursprünglichen Sinn dieses Wortes. Wenn der Signifikant das Signifikat beeinflusst, wird das Signifikat selbst zu einem Signifikanten. Der Ursprung von Bedeutung ist dann nicht mehr das Signifikat, sondern das Dazwischen, das Verhältnis der Signifikanten zueinander, die Differenz zwischen ihnen, in der Terminologie Derridas: die „différance“[226].
Laut Derrida stehen alle Signifikanten gleichberechtigt nebeneinander: Schriftbild, Lautbild, Bedeutung (bzw. Konzept) und Inhalt, d. h. das Schriftbild beeinflusst den Inhalt – nicht in Ausnahmefällen, aus Versehen, aufgrund einer Täuschung, sondern grundsätzlich, als Prinzip. Der Signifikant des Signifikanten (d. h. die Schrift) wird damit zum allumfassenden Gesetz.
Dieses Modell scheint offenbar dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen. Wie sollte z. B. das Wort <Mond> das Ding MOND beeinflussen? Aber schon der Ausdruck das Ding MOND setzt den Mond als Ganzheit voraus, der Mond ist aber nie als Ganzes da. Wir sehen den Mond am Himmel, aber was wir sehen, ist nur ein Abbild, ein Teil dessen, was der Mond ist. Dieser Blick auf den Mond ist nur ein Signifikant hinter dem der Mond als Signifikat steht. Selbst wenn ich auf dem Mond stehe, sehe ich ihn nur aus einer bestimmten Perspektive. Der Mond als Ganzes ist als Ideal da, als Ursache der Gezeiten, der Sonnenfinsternis, als Ursprung des Mondgesteins (auf der Erde), als Grundlage für jedes Bild des Mondes.
Jedes Bild des Monds fügt aber auch etwas neues hinzu, es offenbart nicht nur, wie der Mond wirklich ist, sondern der Mond als Ganzes wird durch dieses Bild vervollständigt. Eine bestimmte Beleuchtung, ein bestimmter Winkel eines Fotos lässt den Mond auf eine ganz bestimmte Art aussehen. Ein Bild des Mondes addiert etwas zu dem „Ding“ Mond hinzu. Damit wird der Mond als Ganzes durch ein Zusammenspiel von Signifikanten in die Unendlichkeit verlagert, weil immer etwas hinzugefügt werden kann.
Für die Sprache bedeutet das, dass jeder Signifikant, jedes Auftauchen eines Wortes, jedes erneute Lesen eines Textes eine Verschiebung beinhaltet (weil immer etwas hinzugefügt wird). Alle Signifikanten bewegen sich, es gibt kein Signifikat durch das sie in ihrer Position gehalten würden.
Hier ergibt sich nun ein Problem mit Begriffen wie Kommunikation, Verständnis oder Bedeutung. Wenn das eben erläuterte Modell stimmt, dann ist zunächst unklar, wie wir uns verstehen können, weil es keine feste Bedeutung gäbe, auf die Bezug genommen werden kann. Es scheint nicht möglich diesen Schluss zu widerlegen. Der Grund hierfür liegt in den oben erläuterten verdeckten Prämissen, denn die Vorstellung, wie Bedeutung entsteht, bildet einen Teil der Bedeutung des Begriffs Bedeutung selbst. Genauso beinhaltet der Begriff Verständnis schon zu einem großen Teil die Antwort auf die Frage, warum wir uns verstehen. Wir wissen aber nur, dass wir uns verstehen und dass Wörter Bedeutungen haben. Warum das so ist, kann nicht als gegeben vorausgesetzt werden.
Wie das Zusammenspiel der Signifikanten ohne Bezug auf ein Signifikat funktioniert, soll an einer Metapher verdeutlicht werden.
Stellen Sie sich vor, Sie schauen auf das Meer. Sie sehen Wellen, die aus Wellenbergen bestehen, die nacheinander heranrollen. Das sind aber nur die größeren, die kleineren sind für Sie anscheinend auf einmal da, verschwinden, tauchen wieder auf oder vielleicht sind die, die neu auftauchen auch neue Wellen, die von irgendwoher kommen, die Wellen beeinflussen sich gegenseitig, vereinigen sich, trennen sich, prallen aufeinander usw. Nehmen Sie an, jeder Wellenberg steht für die Verwendung eines Wortes, die Welle als Ganzes für die Bedeutung des Wortes. Die Richtung der Welle kann ich feststellen, aber natürlich kann sich diese Richtung ändern und zwar von jetzt auf gleich, der Wind dreht und die Welle geht in eine andere Richtung, der Wind lässt nach, und die Welle geht wieder ihren vorherigen Gang, aber vielleicht wird sie auch von einer anderen Welle verschluckt, vielleicht verschwindet sie einfach, vielleicht hat sich die Welle aufgeteilt, wer sollte den Unterschied erkennen können? Kein Wellenberg ist wie der nächste, der eine ist schwächer, der andere stärker, Schaumkronen, Treibholz, alles ist anders von Wellenberg zu Wellenberg, aber irgendwie ist die Welle als Ganzes da, aber vielleicht auch nicht, vielleicht ist sie ganz woanders.
Derridas Konzeption kann hier nur angedeutet werden. Durch die Beschreibung sollte lediglich eine Ahnung seiner Auffassung vermittelt werden. Das Ziel war dabei zu zeigen, dass die gängige Vorstellung von Begriffen wie Bedeutung, Sprache oder Struktur nicht zwingend die einzig mögliche Vorstellung bildet. Unser Denken beinhaltet eine ganz bestimmte Interpretation dieser Begriffe, die bestimmte Gedankengänge absurd erscheinen lässt und andere als einzig mögliche hervorhebt.
Ob Derridas Konzeption nun tatsächlich ein Ersatz für das gängige Modell ist, kann hier nicht diskutiert werden. In diesem Abschnitt sollte lediglich demonstriert werden, dass es eine Alternative zur gewohnten Wahrnehmung gibt, die aber nicht durch gewohnte Begriffe ausgedrückt werden kann, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Diese Widersprüche ergeben sich aufgrund der Begriffssysteme, als dessen Teil diese Begriffe funktionieren. Akzeptiert man, dass diese Begriffssysteme nur eine mögliche Sicht darstellen, erscheint die Derridasche Konzeption als ebenso möglich wie die allgemein herrschende.
In diesem Kapitel sollte gezeigt werden, dass uns unsere Sprache eine bestimmte Art des Denkens vorgibt. Auch diese Vorgaben sind für die Sprecher nicht absolut verbindlich, aber je grundsätzlicher diese Vorgaben sind, um so schwieriger wird es, überhaupt deutlich zu machen, worin diese Vorgaben bestehen, weil sie für die Sprecher dieser Sprachen zunächst „logisch“ sind. Es sind keine Vorgaben, die hinterfragt werden könnten, sondern es sind Vorgaben, die sich nach allgemeinem Verständnis durch den gesunden Menschenverstand für jeden ergeben müssen. Etwas, was mit dem gesunden Menschenverstand begründet wird, ist aber sicherlich determinierend.
In den nächsten beiden Kapiteln soll es nun um die Frage gehen, ob die Wahrnehmung der Farben und des Raums für alle Menschen gleich ist, bzw. inwieweit eine Einzelsprache deren Wahrnehmung verändern kann.
4 Sind die Farben für jeden gleich?
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, ob und inwieweit die Wahrnehmung der Farben und ihre sprachliche Kodierung universal sind. Um diese Frage zu beantworten, sollen als erstes die physiologischen Mechanismen beschrieben werden, die das Sehen von Farben beim Menschen ermöglichen.
4.1 Physiologische Grundlagen der Farbwahrnehmung
Das Licht fällt durch die Pupille in das Auge ein und trifft auf die Netzhaut (Retina). Die Retina besteht aus mehreren Zellschichten, die das Licht durchdringen muss, bevor es auf die lichtempfindlichen Fortsätze der Sehzellen (der untersten Schicht) trifft. Die Sehzellen können in zwei Arten unterteilt werden, in Stäbchen („rods“) und in Zapfen („cones“), wobei es wiederum (mindestens) drei verschiedene Arten von Zapfen gibt.[227] Stäbchen sind wesentlich lichtempfindlicher als Zapfen und übersteigen deren Anzahl im Verhältnis 1:18. Im gelben Fleck (Fovea), dem Teil der Retina, wo die Sehzellen am dichtesten stehen, kommen hingegen ausschließlich Zapfen vor. In der Regel wird davon ausgegangen, dass nur die Zapfen am Farbensehen beteiligt sind, so kann man etwa bei Dunkelheit (in der ausschließlich Stäbchen ansprechen) keine Farben unterscheiden.[228]
Die Farbwahrnehmung ist die Fähigkeit, verschiedene Wellenlängen des Lichts voneinander zu unterscheiden, unabhängig von deren Intensität (d. h. von der Helligkeit des Lichts). Der Mensch kann dabei etwa Wellenlängen zwischen 400 nm (violett) und 700 nm (rot) wahrnehmen.[229] Einzelne Zapfen können allerdings nicht zwischen Wellenlänge und Intensität des Lichts unterscheiden („principle of univariance“), da aber unterschiedliche Zapfenarten auf verschiedene Wellenlängen unterschiedlich stark reagieren, d. h. die Absorptionsrate von Photonen bei verschiedenen Zapfen je nach Wellenlänge variiert, kann durch das Zusammenspiel verschiedener Zapfen, Wellenlänge und Intensität des Lichts (d. h. Farbe und Helligkeit) getrennt werden.[230]
Zeigt man z. B. jemandem, der nur eine Art Zapfen besitzt (Monochromat), ein zweigeteiltes Feld, dessen Hälften jeweils mit Licht bei 630 nm (rot) bzw. 590 nm (grün) bestrahlt werden, dann unterscheiden sich die beiden Hälften für den Probanden lediglich in ihrer Helligkeit (etwa wie bei einem Schwarz/Weiß-Film). Erhöht man nun die Lichtintensität auf der roten Seite, erscheinen beide Hälften für ihn irgendwann gleich. Bei jemandem, der zwei Arten von Zapfen besitzt (Dichromat), lässt sich dieser Effekt so nicht erzielen, weil die beiden Arten von Zapfen bei gleicher Intensität unterschiedlich reagieren, d. h. erhöhe ich einfach nur die Intensität auf der einen Seite, absorbieren die Zapfen weiterhin unterschiedlich viele Photonen und erlauben somit weiterhin eine Unterscheidung zweier Farben. Der gleiche Effekt wie beim ersten Beispiel kann allerdings erzeugt werden, wenn auf einer Hälfte Licht zweier Wellenlängen miteinander vermischt wird. Durch die richtige Austarierung dieser Mischung können die Zapfen genau so erregt werden, dass der Eindruck entsteht, dass beide Hälften des Feldes die gleiche Farbe haben.
Bei einem gesunden Menschen kann dieser Effekt durch die Mischung dreier Farben erzielt werden.[231] Das Farbfernsehen funktioniert z. B. nach diesem Prinzip (alle Farben werden dort durch Mischungen der Farben blau, rot und grün erzeugt).[232] Demnach hat also der Mensch mindestens drei verschiedene Arten von Zapfen.[233]
Die Verarbeitung der verschiedenen Signale der Zapfen erfolgt nun durch sog. Opponenten-Zellen („opponent-cells“) in der Retina und im Lateral Geniculate Nucleus (LGN), einem Teil des Thalamus, der durch den Sehnerv mit der Retina verbunden ist. Opponenten-Zellen werden von Signalen bestimmter Zapfenarten erregt, während sie durch Signale anderer Zapfenarten gehemmt werden. Der Input dieser Zellen besteht somit aus mindestens zwei verschiedenen Signalen (von mindestens zwei verschiedenen Zapfenarten). Durch diese Kombination erregender und hemmender Signale entsteht nun ein antagonistischer Effekt.[234] In Experimenten reagieren solche Zellen z. B. bei einer Belichtung mit Grün mit einem erregenden, bei der Belichtung mit Rot mit einem hemmenden Signal (+Gr –R).[235]
Es werden vier Klassen solcher Opponenten-Zellen unterschieden:
[+Gr –R] [+B(lau) –G(elb)]
[-R +Gr] [-G +B]
Diese Unterteilung stützt sich vor allem auf das Phänomen, dass Licht niemals als Mischung zwischen Grün und Rot bzw. Blau und Gelb erscheint. Das wird damit erklärt, dass sich Rot und Grün (bzw. Gelb und Blau) in den Opponenten-Zellen gegenseitig hemmen (und sich bei gleicher Intensität gegenseitig aufheben).[236] Ob es allerdings tatsächlich genau vier Arten von Opponenten-Zellen gibt, denen bestimmte Farben genau zugeordnet werden können, ist umstritten.[237]
Weiterhin ist unklar, warum wir Farben und Helligkeit in jedem Fall getrennt wahrnehmen können, da die Opponenten-Zellen auch auf achromatische Stimuli reagieren.[238]
Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die Fähigkeit Farben wahrzunehmen durch die bis heute bekannten physiologischen Mechanismen nur z. T. erklären lässt.[239]
4.2 Farben und Farbwörter
Obwohl sich weder in den Schriften von Sapir noch von Whorf etwas zu Farbwörtern in verschiedenen Sprachen findet,[240] wurde die Kodierung der Farben in den fünfziger Jahren zum Hauptuntersuchungsbereich, an dem die Sapir-Whorf-Hypothese überprüft werden sollte. Im folgenden soll die Entwicklung dieser Forschungen chronologisch nachvollzogen werden.
4.2.1 Die Relativität der Farbwörter
Eric Lenneberg beschäftigte sich Anfang der fünfziger Jahre mit der Frage, wie die Sapir-Whorf-Hypothese empirisch überprüft werden könne. Lenneberg warf Whorf vor, dass sich dessen Theorie (dass die Sprache nicht-sprachliches Verhalten beeinflusst) allein auf die Untersuchung sprachlicher Zusammenhänge stütze und seine Argumentation daher zirkulär sei. So seien etwa in dem Beispiel mit den leeren Benzintonnen (siehe Abschnitt 2.1.5.) die Tonnen nicht wirklich leer gewesen. Nicht der Begriff „leer“ hätte in diesem Fall das Verhalten verursacht, sondern der Arbeiter hätte umgekehrt das Wort „leer“ benutzt, weil ihm die tatsächlichen Fakten unbekannt gewesen seien.[241]
Lenneberg entwickelte ausgehend von dieser Kritik eine Methodologie, die ihm adäquat schien, die Sapir-Whorf-Hypothese zu testen. Ausgangspunkt war dabei das von Sapir formulierte Prinzip, dass jeder Sachverhalt in allen Sprachen ausgedrückt werden kann (siehe Abschnitt 2.1.1.).[242] Lenneberg schloss nun, dass wenn es möglich ist, jeden Inhalt in allen Sprachen zu formulieren, dieser Inhalt in allen Sprachen gleich sein muss, d. h. er ging davon aus, dass sich Sprachen nicht in dem unterschieden, was sie beschreiben, sondern nur darin, wie sie es beschreiben:
[...] if we believe, as we do, that we CAN say anything we wish in any language, then it would seem as if the content or subject matter of utterance does not characterize or, indeed, give us any clear information on the communicative properties of a language. Thus we are led to the somewhat banal conclusion that the only pertinent linguistic data in this type of research is the HOW of communication and not the WHAT. This HOW I call the codification; the WHAT I call the message.[243]
Problematisch an diesem Ausgangspunkt ist die implizite Voraussetzung, dass die Trennung zwischen dem WIE einer Äußerung und dem WAS von vorneherein möglich ist. Damit wurde der Fokus von Whorfs Ansatz verschoben, dessen Kern ja gerade darin bestand, dass das, was uns als sprachunabhängige Erfahrung erscheint, eben nicht zwingend objektiv sein muss.[244] Lenneberg hingegen setzt eine sprachunabhängige Objektivität, die von der Sprache klar zu trennen ist, voraus. Für seine Methodologie ist deshalb auch ein Vergleich zwischen verschiedenen Sprachen überhaupt nicht notwendig, da ja bereits einzelsprachlich ein Kontrast existiert, nämlich zwischen objektiver Realität und deren sprachlicher Kodierung.[245] Für Whorf hingegen ist der zwischensprachliche Vergleich essentiell, um eben genau den objektiven Standpunkt zu entwickeln, den Lenneberg voraussetzt.[246]
Ausgehend von Lennebergs Ansatz wurde nun ein Experiment durchgeführt, dass den Einfluss des WIE der sprachlichen Kodierung, d. h. der Kodierbarkeit („codability“) eines bestimmten Bereichs der Realität, auf die Kognition ermitteln sollte. Als objektiver Bereich diente dabei das Farbenspektrum.[247] In einem ersten Versuch wurde experimentell der Grad der Kodierbarkeit von 24 Farben bestimmt, d. h. es wurde getestet wie schnell (englischsprachige) Probanden eine Farbe benennen konnten, ob sie dazu mehrere Wörter brauchten und wie groß dabei die Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Probanden war.[248] In einem zweiten Experiment wurde nun Testpersonen zuerst 4 der 24 Farben gleichzeitig gezeigt. Kurz darauf wurden sie aufgefordert diese vier Farben aus 120 Farben auf einer Tafel heraus zu suchen.[249] Es ergab sich dabei tatsächlich eine Korrelation zwischen Kodierbarkeit und Erkennungsvermögen. Farben, die schnell, mit einem Wort und übereinstimmend benannt worden waren, konnten auch besser wiedererkannt werden.[250]
Ein ähnlicher Test mit Sprechern des Zuni (einer Indianer-Sprache im Südwesten der U.S.A.) bestätigte diesen Zusammenhang. Im Zuni wird begrifflich nicht zwischen Gelb und Orange unterschieden,[251] was dazu führte, dass Zuni-Sprecher im Wiedererkennungstest Gelb und Orange öfter verwechselten als die englischsprachigen Testpersonen.[252]
Lantz und Stefflre ersetzten die Kodierbarkeit in späteren Experimenten durch die „communication accuracy“, die misst, wie leicht Farben zwischen Versuchspersonen kommuniziert werden können;[253] das grundsätzliche Ergebnis von Brown und Lenneberg, dass die sprachliche Kodierung von Farben Einfluss auf deren Erinnerbarkeit (und damit auf die Kognition hat), wurde aber auch in den folgenden Jahren durch mehrere Untersuchungen bestätigt.[254]
4.2.2 Die Universalität und Evolution der Farbwörter
1969 veröffentlichten Brent Berlin und Paul Kay eine Untersuchung, deren Ergebnisse in Frage stellte, dass die sprachliche Auffächerung des Farbenspektrums arbiträr ist, d. h. dass die Benennung der Farben in allen Sprachen unabhängig voneinander vollzogen wird (ein Umstand, der bei den vorangegangenen Farbwortuntersuchungen vorausgesetzt worden war[255] ). Berlin und Kay gingen in ihrer Untersuchung von der Erfahrung aus, dass sich Farbwörter verschiedener Sprachen recht leicht übersetzen ließen:
Our hypothesis was based on our intuitive experience in several languages of three unrelated major stocks. Our feeling was that color words translate too easily among various pairs of unrelated languages for the extreme linguistic relativity thesis to be valid.[256]
Da es in jeder Sprache eine potentiell unendliche Anzahl von Farbwörtern gibt (d. h. unendliche viele Möglichkeiten Farben zu beschreiben, z. B. blattgrün, himmelblau usw.), konzentrierte sich ihre Forschung dabei auf die sog. „basic color terms“ (BCTs), die sie implizit als (in jeder Sprache) gegeben voraussetzten.[257] Es wurden vier Kriterien angegeben, die einen BCT definieren sollten: (1) Er muss monolexemisch sein (damit scheiden alle Zusammensetzungen [wie etwa himmelblau ] aus); (2) er darf nicht in der Bedeutung eines anderen Farbworts enthalten sein (damit scheidet z. B. mint aus, das unter den Oberbegriff grün fällt); (3) sein Bezug darf nicht auf eine enge Klasse von Objekten beschränkt sein (damit scheidet etwa blond aus, das nur die Farbe von Haar oder Fell bezeichnet); (4) er muss psychologisch „salient“ sein, d. h. er muss in einer Wortliste früh genannt werden und im Idiolekt aller Informanten vorhanden sein.
Für uneindeutige Fälle wurden weitere vier Kriterien angegeben: (5) zweifelhafte Formen sollten ähnliche morphologische Eigenschaften haben wie andere BCTs (damit würde etwa türkis ausscheiden: rötlich, gelblich usw., aber nicht *türkislich);
(6) Farbwörter, die auch Objekte bezeichnen (im Englischen gold und silver) sollten ebenfalls nicht zu den BCTs zählen; (7) kürzlich eingeführte Lehnwörter scheiden ebenfalls u. U. aus. (z. B. beige);[258] (8) ebenso können morphologisch komplexe Bezeichnungen u. U. wegfallen (z. B. blau-grün).[259] Auf die Problematik dieser Definition soll später eingegangen werden.
In einer ersten Stufe des Versuchs wurden durch Befragung von Muttersprachlern die BCTs von zwanzig verschiedenen Sprachen ermittelt.[260] Dann wurde jeder dieser Informanten aufgefordert, auf einer Farbtafel[261] den Fokus (z. B. das röteste Rot) und die Grenzen jedes BCT seiner Sprache zu markieren. Der Versuch zeigte, dass die Farb-Foki in allen Sprachen ähnlich waren, die Grenzen unterschieden sich allerdings erheblich.
Weiterhin ergaben die Versuche eine Höchstzahl von elf BCTs (weiß, schwarz, rot, grün, gelb, blau, braun, lila, rosa, orange und grau [262] ). Außerdem zeigte sich ein bestimmtes Muster für das Vorkommen der BCTs in den untersuchten Sprachen, woraus eine allgemeine Regel abgeleitet wurde: Alle Sprachen besitzen BCTs für schwarz und weiß; besitzt eine Sprache drei BCTs, ist rot der nächste; besitzt sie vier, ist entweder grün oder gelb der nächste; besitzt sie fünf, kommt je nachdem grün oder gelb hinzu; besitzt sie sechs, ist blau der nächste; besitzt sie sieben ist braun der nächste; besitzt sie acht oder mehr, kommen lila, rosa, orange und grau (in beliebiger Reihenfolge) hinzu. Aufgrund dieses Musters wurde nun auf eine chronologisch-evolutionistische Entwicklung des Farbvokabulars geschlossen, d. h. es wurde postuliert, dass Sprachen im Laufe ihrer Entwicklung ihr Farbvokabular (in dieser Abfolge) immer weiter erweiterten. Berlin und Kay gingen dabei analog zu oben beschriebenem Muster von sieben Entwicklungsstufen aus:[263]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 – Evolution der „Basic Color Terms“
Dieses Ergebnis wurde nun durch Daten aus 78 weiteren Sprachen, die aus verschiedenen Quellen stammten (einschlägige Literatur, persönliche Gespräche mit anderen Wissenschaftlern), bestätigt.[264]
Berlin und Kay gingen davon aus, dass in allen Sprachen das gesamte Farbspektrum mit den dort vorhandenen BCTs benannt werden könne. Im Fall einer Sprache der Stufe 1[265] hieß das, dass mit dem BCT für schwarz auf alle dunklen Farbtöne (Dunkelrot, Dunkelblau usw.) referiert wird, während der BCT für weiß alle hellen Farbtöne (Hellrot, Hellgrün usw.) einschließt.[266] Der Fokus dieser zwei BCTs bleibt aber in diesen Sprachen der gleiche wie in den Systemen mit 11 BCTs (d. h. Schwarz und Weiß).
Entwickelt sich nun eine Sprache zu einem Stufe-2-System, kommt der BCT für rot hinzu (mit Fokus in Rot), der alle Arten von Rot, Orange, die meisten Gelbtöne, Braun, Rosa und Lila beinhaltet. Auf Stufe 3 entsteht entweder der BCT für grün (der Gelbgrün, Grün, Blau-Grün und Blau-Lila beinhaltet) oder der BCT für gelb (der Hellgrün, Gelb und Hellbraun beinhaltet), beide BCTs haben jeweils wieder ihren Fokus in Grün bzw. Gelb.
Die Entwicklung schreitet gemäß Berlin und Kay auf diese Weise voran, bis alle elf BCTs entstanden sind.[267]
Die Theorie der Evolution der BCTs wurde im Laufe der Zeit mehrmals an neue Daten angepasst. Die wichtigsten Änderungen sollen im folgenden beschrieben werden.
Eleonor Rosch führte (unter ihrem damaligen Namen Eleonor Rosch Heider) eine Reihe von Untersuchungen mit Sprechern des Dugum Dani (Neu Guinea) durch, das, ausgehend von den zwei BCTs mili (schwarz) und mola (weiß), als System der Stufe 1 klassifiziert worden war.[268] Ihre Untersuchungen ergaben, dass die Farbwörter mili und mola das Farbenspektrum nicht, wie im Modell von Berlin und Kay vorgesehen, (ausschließlich) in helle und dunkle Farben aufspalten, sondern, dass beiden Begriffen vor allem eine Unterteilung in kalte und warme Farben zugrunde liegt. (Kalte Farben sind blaue und grüne Farbtöne, warme Farben alle Arten von Rot, Orange, Gelb, Rosa und [rötlichem] Lila). Eine weitere Revision des ursprünglichen Modells ergab sich durch die Entdeckung, dass mili und mola mehrere Farb-Foki besitzen können. So sahen 67% der Dani den Fokus von mola nicht bei Weiß, sondern im Fokus unserer Farbe Rot.[269]
Rosch schloss aufgrund dieser Ergebnisse auf die Existenz von universalen Farb-Foki, die sich durch die Physiologie des menschlichen Wahrnehmungsapparats ergeben und unabhängig von der jeweiligen Sprache sind.[270] Mehrere von ihr durchgeführte Versuche bestätigten diese These, so konnten Farb-Foki grundsätzlich (von Amerikanern wie von Dani) in Experimenten besser erinnert werden als andere Farbtöne. Weiterhin fiel es Dani-Sprechern leichter, neue Farbwörter für Farb-Foki zu lernen. Roschs Untersuchungen zeigten damit starke Evidenzen dafür, dass die von Berlin und Kay gefundene sprachübergreifende Übereinstimmung in der Wahl der Farb-Foki, physiologische Ursachen hat.[271]
Davon ausgehend veränderten Kay und McDaniel das ursprüngliche Schema der Farbwort-Evolution.[272] Sie ersetzten die elf BCTs[273] durch die sechs Grundfarben („primary basic color category“) schwarz, weiß, rot, grün, blau und gelb, die sie mit neurologischen Prozessen („fundamental neural responses“) gleichsetzten (eine Annahme, die später von Kay korrigiert werden musste,[274] da, wie in Abschnitt 4. 1. erläutert wurde, der psychologische Prozess der Farbwahrnehmung nicht eindeutig mit neurologischen Prozessen in Verbindung gebracht werden kann).
Die sechs Grundfarben bildeten nun für Kay und McDaniel den universalen Ausgangspunkt für die Evolution der Farbwörter. Auf Stufe 1 gibt es in diesem Modell noch keine Grundfarben, sondern nur zwei zusammenfassende Farbkategorien („composite basic color categories“), die die (universalen) Foki von Weiß, Rot und Gelb einerseits und von Schwarz, Grün und Blau andererseits beinhalten, auf Stufe 2 wird dann der Fokus Weiß von der zusammenfassenden Farbkategorie für Rot und Gelb getrennt. Die Evolution der Farbwörter schreitet auf diese Art fort, wodurch eine schrittweise Trennung der Foki der Grundfarben entsteht.[275] Auf Stufe 5 sind schließlich alle Grundfarben voneinander getrennt. Auf den folgenden Stufen entstehen nun, durch die Ausdifferenzierung des Übergangs zwischen den Grundfarben, die abgeleiteten Farben („derived basic color categories“). So wird etwa auf Stufe 6 der Übergang zwischen Gelb und Schwarz zu braun. Auf Stufe 7 kommen dann die restlichen Farben hinzu: rosa (Rot und Weiß), lila (Rot und Blau), orange (Rot und Gelb) und grau (Schwarz und Weiß).
1976 wurde die „Word Color Survey“ (WCS) begonnen, die zum Ziel hatte, die 1969 von Berlin und Kay durchgeführte Studie auf eine breitere empirische Basis zu stellen[276] und die recht harte Kritik an der Art der Durchführung der ersten Studie[277] zu entkräften. Durch die Auswertung der WCS ergab sich erneut eine Revision des Evolutionsschemas.
Es wurden die Farbwörter von 110 Sprachen ermittelt, methodisch wurde dabei ähnlich wie bei der Berlin/Kay-Studie verfahren (den Probanden wurden die zu benennenden Farben diesmal allerdings einzeln gezeigt und nicht, wie bei der ersten Studie, alle auf einmal). Das Ergebnis für die deutschen Farbwörter zeigt Abbildung 4 (die Helligkeit nimmt von A nach J ab, die Zahlen am oberen Rand sind Koordinaten der Munsellschen Farbkugel).
Die wichtigste Änderung, die sich durch die Auswertung der WCS ergab, ist die Reduktion der Evolutionsstufen auf fünf. Die Farben der Stufen sechs und sieben (Braun, Lila, Rosa, Orange und Grau) können nun auf jeder Stufe in beliebiger Reihenfolge hinzukommen. Für die verbleibenden fünf Stufen werden fünf (statt ursprünglich zwei) mögliche Entwicklungspfade angegeben,[278] wobei einige Sprachen als Übergangsformen zwischen verschiedenen Stufen bestimmt werden.[279]
Ein prinzipielles Problem bleiben allerdings auch in diesem erweiterten Schema Sprachen, die Grün und Gelb in eine Farbkategorie zusammenfassen.[280] Folgt man dem Farbwort-Evolutionsschema haben bereits Sprachen der Stufe 1 unterschiedliche BCTs für kalte und für warme Farben, d. h. schon auf dieser Stufe fallen Grün und Gelb in verschiedene Farbkategorien. Hat eine Sprache nun ein Kategorie, die Grün und Gelb zusammenfasst, bedeutet das entweder, dass diese Sprache nicht dem Evolutionsschema folgt (damit wäre dieses Schema nicht mehr universal), oder dass es innerhalb dieses Schemas zu einer „Rückentwicklung“ kommen kann, indem Farben, die auf einer früheren Stufe bereits getrennt waren, nun wieder zusammengefasst werden (womit die Grundthese des gesamten Schemas [die Evolution der Farbwörter] in Frage gestellt würde).
Um dieses Phänomen zu erklären, schlug MacLaury vor, dass nicht nur der Farbton, sondern auch der Helligkeitsgrad der Farbwörter einem evolutionären Schema folge. Damit könnten Grün/Gelb-Kategorien dadurch erklärt werden, dass die Ausdifferenzierung in dieser Sprache bis dahin nicht anhand des Farbtons, sondern anhand des Helligkeitsgrad statt gefunden habe.[281]
Ein weiteres Problem für das Evolutionsschema sind Sprachen, die keine BCTs für das gesamte Farbspektrum besitzen.[282] So besitzt das Yeli Dnye (Papua Neu Guinea) keine zusammenfassenden Farbkategorien, d. h. keine Farbkategorie beinhaltet mehr als einen (universalen) Fokus, übereinstimmende Benennungen gibt es allerdings nur für die Farben Schwarz, Weiß, Rot und Grün.[283]
Die Existenz von Sprachen, die bestimmte Farben nicht benennen, stellt in Frage, inwieweit das Farbenspektrum tatsächlich als semantischer Inhalt universal ist - eine Voraussetzung, die die gesamte Farbwortforschung (ausgehend von Lenneberg s.o.) bestimmt hat. Wenn es Sprachen gibt, die bestimmte Farben nicht benennen, fällt der Maßstab weg, an dem eine sprachübergreifende Evolution aller Sprachen gemessen werden könnte.
Ähnliche Probleme hatten sich schon in früheren Untersuchungen gezeigt. So neigen einige Sprachen dazu die Farbe eines Objekts nicht isoliert zu bezeichnen, sondern durch Ausdrücke, die neben der Farbe auch andere Eigenschaften übermitteln.[284] Ein deutsches Beispiel dafür wäre etwa der Ausdruck „grüne Tomaten“, grün bedeutet hier nicht nur Grün (als Farbe), sondern auch „unreif“.
Sprachen, in denen solche kontextualisierten Farbwörter („contextualised colour terms“) eine wesentlich wichtigere Rolle spielen als in westlichen Sprachen, werden nun durch das Evolutionsschema nicht adäquat erfasst, weil diese Farbwörter (nach der Defintion von Berlin und Kay s.o.) nicht als BCTs gelten. Das Bellona (Polynesien) z. B. besitzt BCTs für weiß, schwarz und rot. Daneben gibt es aber eine Fülle von kontextualisierten Farbwörtern,[285] z. B. Ghenaghena, dessen Bedeutung wie folgt beschrieben wird:
Restricted to the skin colour of pawpaw when completely ripe. Sometimes, but rarely, used about the colour of the sky at sunrise. A translation of the term may be the process of ‘just starting to become yellow’ especially about fruits and leaves.[286]
An diesen Beispielen zeigt sich, dass die von Berlin und Kay gegebene Definition von „Basic Color Term“ stark von den Gegebenheiten der englischen Sprache beeinflusst wurde, d. h. es muss bezweifelt werden, ob diese Definition auf die Terminologie aller Sprachen angewendet werden kann.[287]
Wenn man nun in Betracht zieht, dass die Eigenschaft Farbe nicht zwingend sprachlich so kodiert werden muss, wie es in westlichen Sprachen der Fall ist,[288] dann ergibt sich auch ein Problem damit, wie die BCTs in den verschiedenen Sprache ermittelt wurden (nämlich durch das Benennen von gefärbten Kärtchen). Allein schon durch die Prozedur der Farbwortermittlung könnten Sprachen dadurch in ein Schema gepresst werden, das den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht.
Im arabischen Meer lebt der Riesenhusar (Sargocentron spiniferum), ein etwa 45cm langer, feuerroter Fisch. Vor seinen Feinden schützt sich der Riesenhusar mit einem Giftstachel und durch eine effektive Tarnung: Die rot gefärbte Haut des Fisches erscheint in seinem Lebensraum (in einer Meerestiefe bis zu 120 Metern) dunkelblau.
Die Tatsache, dass der Riesehusar rot ist, kann sicherlich nicht bestritten werden, es gibt Fotos und Filmaufnahmen, Exemplare finden sich in Zoos usw. Man könnte sagen, dass seine Farbe „objektiv“ rot ist. Trotzdem gibt es jeden Grund anzunehmen, dass die rote Farbe mit dem Fisch, d. h. mit der Art, wie er überlebt, wie er sich fortpflanzt, wie er sich vor seinen Feinden schützt usw. nichts zu tun hat. Betrachte ich den Fisch nun aber losgelöst von seiner Umwelt, d. h. isoliert von dem natürlichen System, in dem er normalerweise existiert, muss ich zu dem offensichtlichen Schluss kommen, dass seine Farbe „objektiv“ Rot ist. Jeder Schluss, der sich auf diese Tatsache stützt, ist nun aber in jedem Fall falsch, etwa, wenn ich behaupten würde, dass die rote Farbe etwas mit seinem Paarungsverhalten zu tun hat. Jede Analogie mit anderen Tieren, etwa mit roten Vögeln, wäre von vorneherein völlig verfehlt. Um zu verstehen, welche Bedeutung die Farbe des Fisches hat, muss ich verstehen, wie der Fisch lebt und nicht, welche (physikalisch messbare) Farbe sich bei ihm unter objektiven Bedingungen zeigt.
Das Beispiel sollte zeigen, dass die physikalisch nachweisbare Existenz eines außersprachlichen Inhalts noch kein Garant dafür ist, dass dieser Inhalt universal ist. Auch ein objektiver Inhalt ist immer Teil eines Systems, die Isolation von diesem System kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. Farben als abstrakte Entitäten zu sehen, ist sicherlich nicht falsch. Aber es ist nur eine Perspektive aus theoretisch unendlich vielen Möglichkeiten. In einer Umwelt, in der Kleidung, Wände, Möbel und sogar Lebensmittel gefärbt sind, ist es sicherlich sinnvoll, Farben als abstrakte Eigenschaften zu definieren. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass es zu allen Zeiten und in jeder Umgebung sinnvoll ist. Das Evolutionsschema von Berlin und Kay setzt aber genau das voraus, indem an die Spitze der Evolution Sprachen mit (möglichst vielen) abstrakten Farbwörtern gesetzt werden. Eine große Anzahl von abstrakten Farbwörtern ist aber per se noch kein Zeichen von kultureller Überlegenheit (wovon Berlin und Kay offensichtlich ausgehen[289] ) - sonst müsste man konsequenterweise annehmen, dass Karl Lagerfeld fast allen Deutschen kulturell überlegen ist.
4.3 Beeinflusst die Sprache die Farbwahrnehmung?
Wie oben erläutert wurde (siehe Abschnitt 2.1.3.), ging Whorf, anders als von Berlin und Kay behauptet,[290] durchaus von dem Vorhandensein perzeptueller Universalien aus. Selbst die ursprüngliche (und stärkste) Form des Farbwort-Evolutionsschemas von 1969 wäre damit keine adäquate Widerlegung der Whorfschen Thesen. Whorfs sprachliches Relativitätsprinzip setzt (universale) isolierte Erfahrungsfelder voraus, allerdings (und hier liegt der große Unterschied zu der Tradition der Farbwortforschung) setzt er nicht voraus, dass Erfahrungen im allgemeinen universal sind. Angefangen bei Lenneberg wurde in der Farbwortforschung aber immer vorausgesetzt, dass Menschen gar nicht anders können, als Farben (definiert nach Farbton, Sättigung und Helligkeit) als abstrakte Entitäten wahrzunehmen und sie entsprechend zu benennen. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, dass der größte Teil der Farbwortforschung das Suchen nach „Basic Color Terms“ in verschiedenen Sprachen war.
Auch Farbwort-Untersuchungen, deren Ergebnisse „Whorfsche Effekte“ zeigten, unterliegen diesen Prämissen. So untersuchten Kay und Kempton 1984 den Einfluss von sprachlichen Farbkategorien auf die nicht-sprachliche Farbkategorisierung. In einem Experiment wurde Sprechern des Tarahumara (Mexico), einer Sprache mit einer zusammenfassenden Farbkategorie für Grün und Blau („siyoname“), jeweils drei Farbkärtchen mit Farbtönen zwischen Grün und Blau vorgelegt, von denen die zwei ähnlichsten ausgewählt werden sollten („triads-task“). Der gleiche Test wurde mit Amerikanern durchgeführt. Das Ergebnis zeigte, dass die amerikanischen Probanden dazu neigten, die Ähnlichkeit von Farbtönen gemäß der lexikalischen Kategorie, der sie zugeordnet werden (grün bzw. blau), zu beurteilen, d. h. in Tests wurden blaustichige blau-grüne Farbkärtchen, eindeutig blauen Kärtchen zugeordnet, obwohl die dritte grünstichige Blau-Grün Alternative, „objektiv“ ähnlicher war. Bei den Tarahumara-Sprechern (mit einem Wort für beide Farben) zeigte sich dieser Effekt nicht.[291] Ähnliche Untersuchungen in anderen Sprachen konnten diese Beobachtung bestätigen.[292]
Obwohl diese Versuche Whorfs Thesen zu untermauern scheinen, beschneiden sie durch ihre Prämissen gleichzeitig ihren Geltungsbereich. In allen diesen Versuchen wird vorausgesetzt, dass Farbe universal ist. Das geht aber über die wahrscheinlich unstrittige Annahme, dass die Wahrnehmung für alle Menschen universal ist, weit hinaus. Sicherlich ist Farbe durch physiologische Mechanismen determiniert,[293] aus der Universalität dieser physiologischen Mechanismen kann aber nicht auf die Universalität der Kategorie Farbe geschlossen werden.[294]
5 Ist der Raum für jeden gleich?
In diesem Kapitel soll es um die Frage gehen, ob sprachliche Strukturen die Wahrnehmung des Raums beeinflussen. Im ersten Abschnitt wird zunächst die Rolle der Sprache bei der räumlichen Orientierung genauer betrachtet.
5.1 Die Orientierung im Raum
Untersuchungen haben gezeigt, dass verschiedene Tierarten (von Insekten bis Säugetieren) einen wesentlich besseren Orientierungssinn besitzen als der Mensch. Während Tiere ein sehr präzises Wissen über die eigene Position relativ zu Objekten ihrer Umwelt zu haben scheinen, lässt sich bei Menschen (insbesondere in technologisierten Gesellschaften) feststellen, dass sie oft lange Umwege gehen, weil sie einen weit entfernten Zielpunkt nicht relativ zum eigenen Aufenthaltsort lokalisieren können.[295] Um herauszufinden, wie sich der Orientierungssinn bei Menschen und Tieren unterscheidet, wurden eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt.[296] In einem Experiment wurden hungrige Ratten in eine rechteckige Testkammer gesetzt, in der sich an einer Stelle (noch sichtbares) halbvergrabenes Futter befand. Danach wurden die Ratten aus der Testkammer genommen und desorientiert. Setzte man sie nun danach wieder zurück in die Kammer, in der das Futter nun vollständig vergraben war, suchten die Ratten das Futter mit gleicher Häufigkeit an den zwei Stellen, die sich durch die rechteckige Form der Kammer ergeben. Hatte sich das Futter vorher etwa in Ecke 1 (siehe Abbildung 5) befunden, suchten die Ratten nun in der Mehrzahl in Ecke 1 oder in Ecke 4, (Ecke 1 und 4 haben die gleichen geometrischen Eigenschaften: eine kurze Wand links und eine lange Wand rechts). Die Ratten orientierten sich also bei ihrer Suche an der Form der Kammer. Dieses Verhalten ließ sich auch dann noch feststellen, wenn sich in der Kammer andere Orientierungshinweise befanden (etwa unterschiedliche Muster in den Ecken, bestimmte Gerüche oder unterschiedlich gefärbte Wände). Die Ratten konnten diese Hinweise, wie ebenfalls in Versuchen nachgewiesen wurde, zwar wahrnehmen und erinnern, allerdings benutzten sie diese Hinweise nicht, um sich in der Kammer zu orientieren, d. h. um die Stelle wiederzufinden, wo das Futter vergraben war.[297]
Ein ähnliches Experiment wurde nun mit Kindern im Alter zwischen 18 und 24 Monaten durchgeführt. In einem einfarbigen rechteckigen Raum mit einem Behälter in jeder Ecke wurde für das Kind sichtbar in einem dieser Behälter (in Ecke 1) ein Spielzeug versteckt. Dann wurde das Kind mit zugehaltenen Augen mehrere Male gedreht und danach ermutigt nach dem Spielzeug zu suchen. Die meisten Kinder suchten nun das Spielzeug in Ecke 1 oder in Ecke 4, und zeigten somit, dass sie die Form des Raums zur Orientierung verwendeten. Das gleiche Experiment wurde nun noch einmal in einem Raum mit einer blauen Wand (Wand 3) und drei weißen Wänden durchgeführt. Auch in diesem Experiment zeigte sich, dass die Kinder in beiden Ecken gleich häufig suchten, die blaue Wand als Orientierungshilfe also vollständig ignorierten. Weitere Experimente zeigten, dass auch andere Orientierungshinweise, wie etwa unterschiedliche Gegenstände in der Mitte der Wände oder eine auffällige Farbe des Behälters, in dem das Spielzeug versteckt wurde, keinen Einfluss auf das Verhalten der Kinder zeigte. In allen Fällen wurde in den beiden gegenüberliegenden, geometrisch passenden Ecken mit gleicher Häufigkeit gesucht. Die Orientierungsstrategie der Kinder glich somit in diesen Experimenten dem vorher beschriebenen Verhalten der Ratten.
Auch für die Kinder konnte nachgewiesen werden, dass sie die nicht-geometrischen Hinweise wahrnahmen und sich daran erinnern konnten. Das zeigte sich in einem Experiment, in dem zwei unterschiedlich gefärbte Behälter (in Ecke 1 und Ecke 2) verwendet wurden. In einem der Behälter (Ecke 1) wurde, wiederum sichtbar für das Kind, das Spielzeug versteckt. Dann wurden die Augen des Kindes abgedeckt und die Behälter in die jeweils weiter entfernte, gegenüberliegende Ecke verschoben (d. h. in Ecke 3 und Ecke 4). Der Behälter mit der richtigen Farbe befand sich nun in der Ecke mit den falschen geometrischen Eigenschaften (Ecke 3), während der Behälter mit der falschen Farbe in der geometrisch richtigen Ecke stand (Ecke 4). Wurden die Kinder nun desorientiert, suchten sie (erwartungsgemäß) im falschen Behälter in der (geometrisch) richtigen Ecke, wurden sie allerdings nicht desorientiert, suchten sie in der Mehrzahl im richtigen Behälter, der in der geometrisch falschen Ecke stand, zeigten also damit, dass sie die Färbung als unterscheidendes Merkmal wahrnahmen (obwohl sie diese nicht zur Reorientierung verwenden konnten).[298]
Der gleiche Versuch wurde nun auch mit Erwachsenen durchgeführt. Im einfarbigen rechteckigen Raum zeigte sich dabei das gleiche Verhalten wie bei den Kindern. Die Erwachsenen beschränkten ihre Suche nach dem versteckten Objekt auf die beiden geometrisch richtigen Ecken (1 und 4). War eine Wand des Raumes blau, nutzten allerdings alle Erwachsenen diesen Orientierungshinweis und suchten nur in der richtigen Ecke. Fragte man die Probanden nach dem ersten Experiment (im einfarbigen Raum), wie sie die richtige Ecke gefunden hatten, antworteten die meisten, dass sie einfach geraten hätten (was darauf hinweist, dass sich die Wahl der Ecken unbewusst vollzog, da alle Testpersonen die geometrisch richtigen Ecken auswählten), während nach dem zweiten Versuch fast alle die blaue Wand erwähnten.
Aus diesen Antworten ergab sich die Vermutung, dass der Grund, warum sich Erwachsene anhand „fester“ Merkmale der Umwelt reorientieren können, etwas mit der Fähigkeit zu tun hat, räumliche Verhältnisse sprachlich zu kodieren.
Um diese Vermutung zu überprüfen, wurde oben beschriebenes Experiment erneut durchgeführt, nun allerdings mussten die (erwachsenen) Probanden während der Prozedur entweder einen Prosatext nachsprechen oder einen Rhythmus mitklatschen, beides wurde jeweils über einen Lautsprecher eingespielt. Das überraschende Ergebnis war, dass die Probanden, die den Text nachsprachen, in beiden geometrisch passenden Ecken nach dem Objekt suchten, auch wenn eine der Wände blau war. Die Testpersonen, die den Rhythmus nachgeklatschten, beschränkten ihre Suche hingegen weiterhin auf die richtige Ecke mit der blauen Wand.[299]
Eine Aufgabe, die die Produktion von Sprache blockierte, verhinderte also, dass die Testpersonen die blaue Wand zur Reorientierung verwenden konnten.
Diese Experimente weisen somit darauf hin (genau wie die in Abschnitt 2.2.4 beschriebenen Untersuchungen zum sprachlichen Einfluss auf mathematische Fähigkeiten), dass die Verknüpfung kognitiver Subsysteme, d. h. im vorliegenden Fall der Orientierung anhand der Form und die Verarbeitung nicht-geometrischer Hinweise, unter Mithilfe von Sprache erfolgt.
Bemerkenswert an den Ergebnissen dieser Untersuchungen ist, dass sie auf eine Rolle der Sprache bei der Entwicklung universaler Fähigkeiten hinweisen. Jeder (gesunde) Mensch ist in der Lage sich im Raum anhand fester Merkmale zu orientieren (oder das Lösen mathematischer Aufgaben zu erlernen). Daher würde man eher erwarten, dass sich diese Fähigkeiten aus angeborenen Dispositionen entwickeln und nicht durch den Erwerb von Sprache.[300]
Durch das Ergebnis dieser Untersuchung (dass sprachliche Fähigkeiten und räumliche Orientierung zusammenhängen) ergibt sich die Frage, ob auch unterschiedliche sprachliche Kodierungen des Raums (in verschiedenen Sprachen) einen Einfluss auf die kognitive Verarbeitung räumlicher Verhältnisse haben können. Diese Möglichkeit soll im nächsten Abschnitt näher untersucht werden.
5.2 Die sprachliche Kodierung des Raums
In räumlichen Beschreibungen wird eine Struktur auf eine Szene im Raum projiziert. Die Position eines Objekts z. B. wird in der Regel durch Bezug auf (mindestens) ein anderes Objekt beschrieben:
(13) Das Fahrrad steht vor der Kirche.
Typischerweise liegt dabei der Fokus auf einem der beiden Objekte. Die Position des Fokus-Objekts (in diesem Fall das Fahrrad) wird dabei in Bezug auf ein Referenz-Objekt (in diesem Fall die Kirche) bestimmt, die Position des Referenz-Objekts wird dabei als bekannt vorausgesetzt.
Das Referenz-Objekt unterscheidet sich normalerweise vom Fokus-Objekt dadurch, dass es größer und geometrisch komplexer ist als dieses, früher an der beschriebenen Stelle stand bzw. sich länger dort befand und insgesamt eher als Hintergrund für das Fokus-Objekt wahrgenommen wird.[301]
Das Verhältnis zwischen beiden wird deutlich, wenn man versucht den Fokus in (13) umzukehren:
(14) ?Die Kirche steht vor dem Fahrrad.
Dieser Satz ist ungeeignet, die Position der Kirche näher zu spezifizieren, weil die Kirche als Hintergrund interpretiert wird, vor dem die Position des Fahrrads bestimmt wird.
Talmy bezeichnet daher Fokus- und Referenz-Objekt in Anlehnung an die Unterscheidung in der Gestalt-Psychologie (siehe Abschnitt 2.1.3) als „figure“ (Figur) und „ground“ (Hintergrund).[302]
Das Verhältnis zwischen Figur und Hintergrund kann nun, je nachdem von welchem Bezugsrahmen („frame of reference“) ausgegangen wird, sprachlich unterschiedlich ausgedrückt werden. Levinson unterscheidet zwischen einem relativen, einem intrinsischen und einem absoluten Bezugsrahmen.[303]
5.2.1 Der relative Bezugsrahmen
Der relative Bezugsrahmen geht von einem Beobachter aus, der von Figur und Hintergrund getrennt ist und aus dessen Perspektive die Situation beschrieben wird:
(15) Der Ball liegt links neben dem Fahrrad.
In diesem Fall ist der Ball die Figur und das Fahrrad das Hintergrund-Objekt. Der Ball liegt vom (unabhängigen) Beobachter aus gesehen links neben dem Fahrrad. Bewegt sich der Beobachter nun um das Fahrrad herum, liegt der Ball rechts neben dem Fahrrad. Die räumliche Beziehung zwischen Figur und Hintergrund ändert sich also relativ zum Beobachter. Beobachter und Sprecher müssen dabei nicht (wie in Beispiel 15) übereinstimmen:
(16) Karin schoss rechts am Tor vorbei.
Entscheidend ist, dass sich der Bezugsrahmen mit dem Beobachter bewegt. Typisch für den relativen Bezugsrahmen ist in vielen Sprachen weiterhin, dass die Koordinaten des Beobachters auf das Hintergrund-Objekt projiziert werden, wie etwa in dem Satz:
(17) Die Katze sitzt vor dem Baum.
Der Baum wird in diesem Beispiel so behandelt, als ob er ein Vorne hätte, das in Richtung des Beobachters zeigt. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass der Baum als Person gesehen wird, die den Beobachter ansieht. Etwas kann sich vor und hinter dieser Person befinden. Diese Koordinaten sind nun aber nicht fest, sondern sie ändern sich wiederum, wenn der Beobachter um den Baum herumgeht - dann befindet sich die Katze hinter dem Baum, d. h. das was vorher vorne war, ist nun hinten und umgekehrt. Auch die Beschreibung in (17) vollzieht sich also in einem relativen Bezugsrahmen.[304]
Die Sichtweise des Baumes als Person wird allerdings im Deutschen (und Englischen) nicht konsequent durchgehalten, da der Satz Die Katze sitzt links neben dem Baum bedeutet, dass sie vom Beobachter (=Sprecher) und nicht vom Baum (als Person, die den Sprecher ansieht) aus gesehen links sitzt. Es gibt allerdings Sprachen, die die Projektion der Koordinaten vollständig durchführen. So bedeutet der Ausdruck marattuku valattuppakkam im Tamil (Indien) wörtlich übersetzt: „die rechte Seite des Baumes“, gemeint ist damit aber die vom Beobachter aus gesehen linke Seite.[305]
Weiterhin gibt es Sprachen, z. B. das Hausa (U.S.A.), in denen die Koordinaten in solchen Fällen vertauscht sind - das Hintergrund-Objekt wird dort als Person gesehen, die einem den Rücken zukehrt (d. h. die Katze sitzt in diesen Sprachen dann wörtlich vor dem Baum, wenn sie für uns hinter dem Baum sitzt).[306]
5.2.2 Der intrinsische Bezugsrahmen
Der intrinsische Bezugsrahmen orientiert sich im Gegensatz zum relativen an inhärenten Eigenschaften des Hintergrunds. Die Position der Figur wird allein durch den Bezug auf diese Eigenschaften des Hintergrunds spezifiziert,[307] wie etwa in den folgenden Beispielen:
(18) Das Fahrrad steht an der Vorderseite der Kirche.
(19) Das Haus steht am spitzen Ende der Insel.
(20) Das Spielzeug befindet sich an der blauen Wand.
(21) Der Ball liegt vor mir.[308]
In all diesen Aussagen erfolgt die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Figur und Hintergrund durch den Bezug auf Merkmale des Hintergrund-Objekts (Vorderseite, spitzes Ende, blaue Farbe, Vorderseite des Beobachters), die nicht an die Perspektive eines außenstehenden Beobachters gebunden sind.
Im intrinsischen und im relativen Bezugsrahmen können nun die gleichen Begrifflichkeiten verwendet werden, was zu doppeldeutigen Aussagen führt:
(22) Die Katze sitzt vor der Kirche.
Dieser Satz kann einerseits bedeuten, dass die Katze zwischen dem Beobachter und der Kirche sitzt, damit würde die Position der Katze relativ zum Beobachter angegeben (vor welcher Seite der Kirche sie sitzt, wäre dann aus der Aussage nicht ersichtlich). Andererseits kann der Satz aber auch bedeuten, dass sich die Katze an der Vorderseite, d. h. etwa am Haupteingang der Kirche, befindet. Welche Bedeutung die richtige ist, ergibt sich nur aus dem Kontext.
5.2.3 Der absolute Bezugsrahmen
Der absolute Bezugsrahmen orientiert sich nun an festen Koordinaten, d. h. etwa an den Himmelsrichtungen:
(23) Die Katze sitzt nördlich der Kirche.
In unserem Kulturkreis wird der absolute Bezugsrahmen (in der Horizontalen[309] ) im normalen Sprachgebrauch nur im Zusammenhang mit Landkarten oder mit Orten verwendet, deren geographische Lage allgemein bekannt ist, wie etwa in diesem Beispiel:
(24) Der Alexanderplatz liegt östlich vom Kurfürstendamm.
Aussagen wie (23) sind für uns dagegen eher ungewöhnlich. Es gibt allerdings viele Sprachen, die räumliche Beschreibungen vor allem durch Verwendung eines absoluten Bezugsrahmens ausdrücken. So fehlen im Guugu Yimithirr (Australien) Ausdrücke, die unserem rechts, links, davor, dahinter usw. entsprechen würden. Alle Raumverhältnisse werden durch den Bezug auf Himmelsrichtungen ausgedrückt. Statt also zu sagen „Rück ein Stück nach rechts!“ wird in dieser Sprache wörtlich gesagt „Rück ein Stück nach Norden!“ (bzw. nach Süden, Westen, Osten, je nachdem in welche Himmelsrichtung der Betreffende rücken soll).[310]
Das Guugu Yimithirr geht dabei von vier Himmelsrichtungen aus, die als Benennungen von Quadranten verstanden werden, d. h. die Himmelsrichtungen verweisen dort auf die Seiten von Quadraten, und nicht, wie in unserem System, auf Punkte. Außerdem weichen die einzelnen Richtungen (gungga-, jiba-, naga-, guwa-) im Vergleich zu den Richtungen Norden, Süden, Osten, Westen etwas im Uhrzeigersinn ab.[311]
Ein solches System impliziert für die Sprecher, dass sie sich zu jedem Zeitpunkt, d. h. auch in der Nacht oder wenn sie sich auf unbekanntem Terrain bewegen, darüber im klaren sein müssen, welche Richtung welcher Himmelsrichtung entspricht und diese Informationen auch, etwa für die spätere Wiedergabe von Ereignissen, im Gedächtnis behalten müssen.[312] Dass das tatsächlich geschieht, zeigte sich bei dem Vergleich von Filmaufnahmen einer Erzählung, die zweimal in einem Abstand von zwei Jahren aufgenommen worden war. Die Gesten der Erzähler verwiesen auf beiden Filmen auf die gleichen Himmelsrichtungen (etwa beim Zeigen eingeschlagener Wege).[313]
Der absolute Bezugsrahmen stellt in dieser Sprache die Normalität der Beschreibung räumlicher Verhältnisse dar. So lässt sich etwa aus Beschreibungen von Filmen oder von Bildern in Büchern ableiten, in welche Himmelsrichtung der Fernseher gestanden bzw. das Buch gelegen hat.[314]
Levinson gibt in diesem Zusammenhang ein kurzes Gespräch (auf Englisch) mit einem Guugu-Yimithirr Sprecher wieder, in dem ihm erklärt wurde, wo in einem Laden die Fisch-Filets zu finden sind:
RH: ‘They have plenty of fish fillet in the store’
SCL: ‘I’ve never seen it –where’
RH: ‘on the side’ (gesturing), ‘in the frozen food container, far end this side’.
We were standing in a hospital 45 km from the said store. I was expected to note that the gesture was to the North-East, so that next time I was in the store I would look in the North-East corner.[315]
Wie die Sprecher solcher Sprachen es schaffen, zu jeder Zeit einen „absoluten Sinn“ für die Himmelsrichtungen zu behalten, etwa auch während der Fahrt auf kurvenreichen Straßen[316], ist nicht bekannt.[317]
Um zu testen, wie weit diese Fähigkeiten gehen, unterzog Levinson, während verschiedener Ausflüge in den Busch, seine Begleiter (Männer zwischen 35 und 70 Jahren, die sowohl Guugu-Yimithirr als auch Englisch sprachen) einem Experiment. An beliebigen Stellen wurde dabei angehalten (bevorzugt wurden Stellen mit beschränkter Sicht) und die Begleiter wurden gefragt, in welcher Richtung bestimmte Orte (in Entfernungen bis zu 350 km) zu finden seien. Die Aufgabe erforderte von den Probanden zunächst die Bestimmung der Himmelsrichtungen und davon ausgehend die Berechnung des Winkels zwischen dem Aufenthaltsort und dem Zielort. Die Antworten der Probanden waren spontan und hatten eine durchschnittliche Abweichung von der richtigen Richtung von 13.9° - das sind weniger als 4%.[318]
5.3 Beeinflusst die Sprache die Raumwahrnehmung?
Welcher Bezugsrahmen in welcher Situation verwendet wird, ist von Sprache zu Sprache unterschiedlich. Im Deutschen kann etwa der absolute Bezugsrahmen nur in ganz bestimmten Kontexten verwendet werden, wohingegen der relative und der intrinsische in den meisten Beschreibungen möglich sind. Im Guugu Yimithirr dominiert dagegen, wie oben beschrieben wurde, der absolute Bezugsrahmen, die Unterscheidung zwischen Rechts und Links kommt nur durch die unterschiedliche Bezeichnung der rechten und der linken Hand zum Ausdruck (ein Satz wie „Auf deiner linken Schulter sitzt eine Fliege“ müsste aber wieder wörtlich durch „Auf deiner nördlichen [bzw. südlichen, westlichen, östlichen] Schulter sitzt eine Fliege“ übersetzt werden).[319]
Um nun zu testen, ob der dominante Bezugsrahmen in einer Sprache nicht-sprachliches Verhalten beeinflusst, wurde nun mit Sprechern dreizehn unterschiedlicher Sprachen (wobei darauf geachtet wurde, weniger bekannte Sprachfamilien mit einzubeziehen)[320] eine Reihe von Experimenten durchgeführt.[321]
In einem ersten Versuch („man-and-tree task“) wurde getestet, welche verbalen Beschreibungen der Raumverhältnisse von den Sprechern bevorzugt werden. Zu diesem Zweck wurden zwei Sprecher (der gleichen Sprache) nebeneinander (d. h. Seite an Seite) an einen Tisch gesetzt, der in der Mitte durch einen Schirm (als Sichtschutz) geteilt war. Jeder der Probanden hatte nun 12 Fotos vor sich, auf denen die Figur eines Mannes und eines Baumes zu sehen war. Auf jedem Bild waren beide unterschiedlich zueinander positioniert. Eine der Testpersonen wurde nun als Leiter („director“) bestimmt, die andere als Sucher („matcher“). Die Aufgabe des Leiters war es nun, die Fotos der Reihe nach so zu beschreiben, dass der Sucher sie identifizieren konnte.[322] Dem Sucher war es dabei erlaubt nachzufragen.[323]
Durch diese Methode wurde ermittelt, welche Bezugsrahmen in welchen Sprachen dominierten. Die meisten Sprachen verwendeten mehrere Strategien, um die Fotos zu beschreiben. Die niederländischen Sprecher etwa benutzten den relativen und den intrinsischen Bezugsrahmen, typisch war etwa folgende Beschreibung:[324]
„Let’s see, then the man also to the right of the tree [relativ] and let’s see, is looking at you [intrinsisch].“ [Herv. und Anm. in Klammern v. Verf.][325]
Im Gegensatz dazu verwendeten die Sprecher der Maya-Sprache Mopan ausschließlich den intrinsischen Bezugsrahmen:
„You should find this little child…who…the bush is located at his back…His stick is in (his) right hand.” [“right hand“ bezieht sich hier auf die rechte Hand der Figur, d. h. auf eine inhärente Eigenschaft][326]
Ein Beispiel für eine Sprache, in der der absolute und der intrinsische Bezugsrahmen verwendet wurde, ist die Maya-Sprache Tzeltal. Das Tzeltal besitzt für den horizontalen und für den vertikalen Bezugsrahmen die gleichen Begriffe, d. h. alan bedeutet „nach Norden“ und „nach unten“ (engl. „downhill“), während ajk’ol „nach Süden“ und „nach oben“ (engl. „uphill“) bedeutet.[327] Eine typische Beschreibung in dieser Sprache war:
„Again there’s a tree standing there. Thus the tree is at the uphill side [absolut]. The man is thus standing downhill there [absolut]. Thus he’s looking towards the trail there [intrinsisch, mit dieser Beschreibung ist gemeint, dass die Figur vor sich auf den (imaginären) Weg schaut].” [Herv. und Anm. in Klammern v. Verf.][328]
In jeder getesteten Sprache zeigten sich individuelle Strategien für die Beschreibung der Fotos.
Jeder Bezugsrahmen ist nun ein in sich geschlossenes System. Das bedeutet etwa, dass aus einer Beschreibung im absoluten Bezugsrahmen nicht auf eine Beschreibung im relativen oder intrinsischen Bezugsrahmen geschlossen werden kann. Aus dem Satz Der Löffel liegt nördlich der Butter kann nicht geschlossen werden, ob der Löffel rechts oder links (bzw. vor oder hinter) dem Beobachter liegt. Ebenso wenig geht daraus hervor, ob der Löffel vor oder hinter (bzw. rechts oder links) der Butter liegt. Das gleiche gilt für den umgekehrten Fall.[329]
Geht man nun davon aus, dass das räumliche Denken universal, d. h. unabhängig von Sprache ist (und somit für alle Menschen gleich), denn dann müsste der Raum entweder von jedem Menschen zu jeder Zeit auf der Grundlage aller drei Bezugsrahmen wahrgenommen werden (oder auf eine Art, aus der alle drei Bezugsrahmen hervorgehen), oder aber das Denken über den Raum müsste durch einen äußeren Einfluss bestimmt werden, der sich bei Völkern mit verschiedenen dominanten Bezugsrahmen unterscheidet.
In einem weiteren Experiment sollte nun überprüft werden, ob die unterschiedliche sprachliche Kodierung von Raumverhältnissen nicht-sprachliches Verhalten beeinflusst. In diesem Experiment wurden nun ausschließlich Sprachen miteinbezogen, in denen entweder eindeutig der relative Bezugsrahmen (Niederländisch, Japanisch) oder der absolute Bezugsrahmen (Arrernte, Tzeltal, Longgu) dominierte.[330]
In diesem Versuch („animals-in-a-row task“) wurde den Testpersonen auf einem Tisch drei verschiedene Tierfiguren in einer Reihe gezeigt (siehe Abbildung 6). Die Probanden wurden aufgefordert, sich die Anordnung so wie sie ist („just as they are“[331] ) einzuprägen. Nachdem die Testperson fertig war, wurde sie nach einer Zeitspanne von 30 Sekunden an einen zweiten Tisch geführt. Dieser Tisch stand so, dass sich die Testperson um 180° drehen musste, um vor ihm zu stehen. Danach wurden sie aufgefordert die Tierfiguren so aufzustellen wie an Tisch 1 („Make it again, just the same“[332] ). Alle Probanden gingen davon aus, dass es sich bei dem Versuch, um einen Gedächtnistest handelte.
Ziel dieses Experiments war es, zu ermitteln, ob Sprecher unterschiedlicher Sprachen die Tiere an Tisch 2 verschieden ausrichten würden. Durch die Rotation des Probanden um 180°, ergibt sich auch eine Rotation der Tierfigur-Reihe um 180°, wenn sich der Proband am relativen Bezugsrahmen orientiert. Im absoluten Bezugsrahmen bleibt die Ausrichtung der Figuren dagegen genau gleich.
Die Resultate dieses Experiments zeigten, dass Testpersonen, in deren Sprache der relative Bezugsrahmen dominierte, dazu neigten, die relative Variante zu wählen, während die absolute Variante von Testpersonen mit einem sprachlich absoluten Bezugsrahmen bevorzugt wurde.[333]
Diese Untersuchung wies somit darauf hin, dass die Strukturen der Sprache einen Einfluss auf die Kognition, d. h. auf nicht-sprachliches Verhalten, haben.
Li und Gleitman wiederholten dieses Experiment nun mit amerikanischen Studenten, dabei variierten sie bei verschiedenen Durchführungen des Versuchs jeweils den Testort.[334] Ein erstes Experiment fand in einem geschlossenen Raum mit heruntergelassenen Rollos statt. Die Testpersonen bevorzugten in diesem Experiment eindeutig die relative Variante. Durch den oben beschriebenen „man-and-tree“ Test hatte sich vorher gezeigt, dass der relative Bezugsrahmen in den Beschreibungen der amerikanischen Probanden dominierte,[335] das Ergebnis bestätigte also die in Pederson u. a. (1998) gemachten Beobachtungen.
In einem zweiten Versuch waren die Rollos nun nicht heruntergelassen, die Testpersonen konnten durch das Fenster eine Straße und die Universitätsbibliothek sehen. Unter diesen Bedingungen entschieden sich nun signifikant mehr Probanden für die absolute Variante. Ein dritter Versuch wurde schließlich draußen, auf einem Platz zwischen Universitätsgebäuden durchgeführt. Dort wählten nun genauso viele Testpersonen die relative wie die absolute Variante.[336]
Aufgrund dieser Ergebnisse wurde vermutet, dass die größere Menge an Orientierungshinweisen auf freiem Gelände den Probanden eher die Möglichkeit vor Augen führte, dass es zwei mögliche Lösungsvarianten für die Aufgabe gab. Um diese Hypothese zu testen, wurde der Versuch nun noch einmal in einem geschlossenen Raum (und hochgezogenen Rollos) mit einer zusätzlichen Figur (zwei küssenden Enten) auf Tisch 1 und Tisch 2 durchgeführt. In allen Versuchen standen die Enten am rechten äußeren Rand von Tisch 1 (d. h. auf Abb. 6. rechts neben dem Hirsch) und in jeweils der Hälfte der Fälle entweder am linken oder am rechten Rand von Tisch 2. Da sich die Enten auf beiden Tischen befanden, boten sie einen potentiellen Orientierungspunkt, um daran die Tierfiguren auszurichten. Tatsächlich zeigte sich, dass die Mehrzahl der Probanden die Richtung der Tiere nach der Position der zusätzlichen Figur ausrichtete, d. h. befanden sich die Enten auf Tisch 2 links, dominierte die relative Variante, befanden sie sich rechts, dominierte die absolute Variante.[337]
Aus diesen Ergebnissen wurde geschlossen, dass nicht der bevorzugte sprachliche Bezugsrahmen das räumliche Denken beeinflusst, sondern das Vorhandensein und die Menge von Orientierungshinweisen („landmark cues“). Weiterhin wurde davon ausgehend postuliert, dass die Dominanz des absoluten Bezugsrahmens in einer Sprachen durch die Beschaffenheit der Umgebung, in der deren Sprecher leben, verursacht wird (etwa durch ein starkes Süd-Nord Gefälle im Gebiet der Tzeltal-Sprache, s. o.), d. h. dass die Sprache nur Ausdruck des Denkens der Sprecher sei, während dieses Denken aus natürlichen Gegebenheiten der Umwelt hervorgehe.[338]
Die Untersuchung von Li und Gleitman wurde in mehreren Punkten in Levinson u. a., (2002) kritisiert. So wurde bemängelt, dass das Ziel der Experimente gegenüber den Testpersonen nicht ausreichend verschleiert worden war (zwischen 20% und 70% der Probanden fragten während der Experimente, wie der Satz „Make it the same“ genau gemeint sei).[339] Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass die Sprachen mit dominanten absoluten Bezugsrahmen nicht nur von Völkern gesprochen werden, die in ähnlichen Umgebungen leben (bzw. einen ähnlichen kulturellen Hintergrund besitzen), somit also der Schluss, dass sich die Dominanz des absoluten Bezugsrahmen durch Merkmale der Umwelt ergibt, nicht zu halten sei.[340] Schließlich konnten Wiederholungen des „animal-in-a-row“ Experiments im Freien mit niederländischen Studenten nicht bestätigen, dass bei größerer Verfügbarkeit von Objekten zur Orientierung die Tendenz zur Wahl der absoluten Variante zunimmt.[341]
Der Hauptkritikpunkt in Levinson u. a. (2002) allerdings bezieht sich auf Li und Gleitmans Interpretation des Begriffs „absolut“. In ihrer Untersuchung gehen beide davon aus, dass die Verfügbarkeit von auffälligen Objekten als Orientierungshinweise die Wahl des absoluten Bezugsrahmens während der Experimente förderte. Die Wahrnehmung (bzw. die Beschreibung) eines Objekts in Bezug auf inhärente Eigenschaften eines anderen Objekts ist aber per definitionem nicht absolut, sondern intrinsisch.
Li und Gleitman gehen offenbar davon aus, dass der absolute Bezugsrahmen durch Abstraktion eines intrinsischen Bezugsrahmens entsteht. Mit anderen Worten, sie nehmen etwa an, dass die Sprecher des Tzeltal immer wissen, wo Süden ist, weil südlich ihrer Heimat für sie sichtbar ein Gebirge liegt.
Tzeltal-Sprecher behalten diesen absoluten Bezugsrahmen aber bei, selbst wenn sie sich an einem ihnen völlig fremden Ort befinden.[342] Die Verfügbarkeit auffälliger Objekte hat keinen (direkten) Einfluss auf den absoluten Bezugsrahmen. Wenn also in den Experimenten von Li und Gleitman die Wahl der relativen oder der absoluten Variante durch die Positionierung einer dritten Figur als Orientierungshinweis beeinflusst wurde, dann spricht das für den Wechsel zwischen einem relativen und einem intrinsischen Bezugsrahmen.[343] Diese beiden Bezugsrahmen sind aber der „normale“ Hintergrund der räumlichen Beschreibungen im Englischen (wie auch im Deutschen oder Niederländischen).
Die Ergebnisse der Untersuchung von Li und Gleitman entkräften somit nicht die Evidenzen, die darauf hinweisen, dass der Bezugsrahmen, der in einer Sprache dominiert, die Wahrnehmung von Objekten im Raum beeinflusst.
Auch in anderen Untersuchungsreihen zeigte sich ein Einfluss der sprachlichen Kodierung des Raums auf das Denken. So wurde nachgewiesen, dass die unterschiedliche Strukturierung räumlicher Kategorien in verschiedenen Sprachen[344] das Verhalten von Kleinkindern (sogar noch bevor diese anfangen zu sprechen) beeinflusst.[345] In einer anderen Untersuchung fanden sich Unterschiede zwischen indonesischen und englischen Sprechern. Das Indonesische unterscheidet nicht (wie das Englische) zwischen verschiedenen Tempora. Es konnte gezeigt werden, dass sich dieser sprachliche Unterschied in nicht-sprachlichen Verhalten (bei der Bewertung der Ähnlichkeit und bei dem Erinnern von Fotos, die Menschen vor, während und nach einer Aktion zeigten) niederschlug.[346] In einer anderen Reihe von Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Raum-Zeit Metaphern einen Einfluss auf das Denken über zeitliche Abläufe besitzen.[347] Im Englischen (und Deutschen) wird die Zeit als horizontale Linie empfunden („Ostern liegt vor uns“), im Chinesischen (Mandarin) kann sie dagegen auch als vertikale Linie gesehen werden (wörtlich: „Ostern liegt unter (xia) uns“). In Experimenten wurden nun englischen und chinesischen Sprechern Bilder gezeigt, auf denen zwei Objekte zu sehen waren. Dann wurden ihnen zeitliche Aussagen vorgelegt, die jeweils eine ganz bestimmte Metapher verwendeten (z. B. März kommt vor April). Die Probanden konnten schneller entscheiden, ob diese Aussagen richtig oder falsch waren, wenn sich die Objekt-Anordnung im vorher gesehenen Bild und die Metapher der vorgelegten Aussage entsprachen, d. h. wenn die Objekte, im Fall der Amerikaner, horizontal, bzw. im Fall der Chinesen vertikal (oder ebenfalls horizontal, je nach verwendeter Metapher) angeordnet waren.[348]
Schlussbetrachtung
Die Möglichkeit, dass die Struktur der Sprache unsere Gedanken verändern könnte, ist, je nach Standpunkt, entweder faszinierend oder bedrohlich. Faszinierend deshalb, weil jede Sprache damit eine andere Weltsicht bereithalten könnte. Bedrohlich deshalb, weil damit die „Objektivität“ unseres Denkens gefährdet wäre. Wenn die Sprache das Denken beeinflusst, dann denken Sprecher verschiedener Sprachen verschieden. Jeder wäre damit ein Gefangener seiner Sprache.
Whorfs Thesen gingen aus seiner Faszination für fremde Sprachen hervor und aus seiner Erfahrung, dass durch den Einblick in diese Sprachen die eigene Weltsicht relativiert wurde. Zum Deterministen wurde er erst durch die Rezeption, die seine Thesen im Umkehrschluss als Eingrenzung der Möglichkeiten der eigenen Sprache verstand.
Das Anliegen von Whorf bestand aber vielmehr darin zu zeigen, dass der Einblick in andere sprachliche Systeme einen anderen Blick auf die Welt vermittelt. Revolutionäre wissenschaftliche Erkenntnisse, von Kopernikus bis Einstein, beruhten immer auf einem radikalen Perspektivwechsel, durch den neue Fragen und neue Antworten entstanden. Whorfs Hauptziel lag in einer solchen Relativierung der Perspektive durch die Untersuchung fremder Sprachen. Welche Möglichkeiten vorhanden sind, wenn man sich dieser Relativierung verschließt, stand nicht im Zentrum seines Interesses.
Dieses Anliegen ging in der Rezeption seines Werks (bis heute) weitgehend unter. Die Frage, ob die Sprache Einfluss auf das Denken hat, wird i. d. R. vor dem Hintergrund einer als bekannt vorausgesetzten objektiven Realität untersucht. Das „radikal Andere“, das fremde Sprachen unter Umständen bieten, wird damit aus dem Bereich der wissenschaftlichen Forschung (weitgehend) ausgeklammert.
Daher sind die Ergebnisse der beschriebenen Untersuchungen, die starke Evidenzen für den Einfluss der Sprache auf das Denken zeigen, m. E. nur Hinweise auf die grundsätzliche Verschiedenheit, die zwischen verschiedenen Sprachen und verschiedenen Kulturen besteht.
Die kulturelle und sprachliche Verschiedenheit muss indes nicht bedeuten, dass die Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Kulturen unüberbrückbar sind - Gemeinsamkeiten müssen aber vor dem Hintergrund der vorhandenen Unterschiede gesehen werden und nicht, wie etwa in der Farbwortforschung, als Ausgangspunkt um diese Unterschiede zu erklären.
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[...]
[1] Koerner, 1995, 1999.
[2] Bloom/Keil, 2001. S. 352.
[3] Vgl. Sapir, 1979 [11921]. S. 84.
[4] Slobin, 1996, 2000.
[5] span. salir: herausgehen; abreisen; abfahren, verlassen.
[6] Slobin, 2000. S. 125.
[7] In der Tat weisen empirische Untersuchungen darauf hin, dass der Art/Richtung- Unterschied keine Auswirkungen auf nicht-sprachliches Denken besitzt. Papafragou u. a., 2002.
[8] Slobin, 1996. S. 85.
[9] Kay, 1996. S. 110.
[10] Kay, 1996. S. 102.
[11] Kay, 1996. S. 97f.
[12] Devitt/Sterelny, 1999. S. 226.
[13] Boas (2002) [11911]. S. 37; Sapir, 1979 [11921]. S. 94.
[14] Boas (2002) [11911]. S. 43.
[15] Schwarz, 1992. S. 90.
[16] Schwarz, 1992. S. 87ff.
[17] Zur Frage, inwieweit eine außersprachliche Realität als eine vom Menschen unabhängige Objektivität verstanden werden kann oder lediglich als eine Realität, die sich durch die physische Beschaffenheit des Menschen ergibt, siehe 1.3.
[18] Die These, dass eine universale Sprache des Denkens (die "Mentalese") existiere, wird z. B. von Pinker vertreten: „People do not think in English or Chinese or Apache; they think in a language of thought. This language of thought probably looks a bit like all these languages; presumably it has symbols for concepts, and arrangements of symbols that correspond to who did to whom […] But compared with any given language, mentalese must be richer in some ways and simpler in others. […] Knowing a language, then, is knowing how to translate mentalese into strings of words or vice versa.” Pinker, 1994. S. 82.
[19] Schwarz, 1992. S. 11.
[20] Vgl. Schwarz, 1992. S. 12.
[21] Mollon, 1995. S. 144.
[22] Kant, 1997 [11787].
[23] Rosch, 1973, 1975a, 1975b.
[24] Lakoff, 1986. S. 44.
[25] Rosch, 1975a. S. 533.
[26] Rosch, 1975a. S. 534.
[27] Rosch/Mervis, 1975.
[28] Lakoff, 1986. S. 41.
[29] Lakoff, 1986. S. 42.
[30] de Saussure, 2001. S. 76ff.
[31] de Saussure, 2001. S. 133.
[32] de Saussure, 2001. S. 132ff.
[33] Ogden/Richards (1972) [11923]. S. 10f.
[34] Empirsiche Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass zwischen Bedeutung und nicht-sprachlichem Konzept durchaus Differenzen bestehen können. So sollten Engländer, Chinesen und Spanier 60 Behältnisse benennen und diese danach aufgrund physischer, funktionaler und allgemeiner Ähnlichkeit sortieren. Dieses Experiment ergab, dass die sprachliche Kategorisierung sich wesentlich von der nicht-sprachlichen unterschied, d. h., dass also kein 1:1 Verhältnis zwischen sprachlicher Zuordnung zu einer Gruppe (z. B. Dose) und der nicht-sprachlichen Zuordnung bestand, bei der durchaus davon ausgegangen wurde, dass die „Dose“ eher einer Flasche ähnelt; Malt u. a. 1999.
[35] Vgl. Koerner, 1999. S. 61.
[36] Whorf, 1956. [Thinking in primitive communities]. S. 78.
[37] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 134.
[38] Diese beiden Ausgangpunkte folgen Lee, 1996, 2000.
[39] Lee, 2000. S. 48ff.
[40] Whorf, 1956. [Science and linguistics]. S. 214.
[41] Vgl. auch Lee, 2000. S. 49. und Malotki, 1983. S. 1.
[42] Sapir, 1949. [The grammarian and his language]. S. 159 u. Whorf, 1956. [An American Indian model of the universe]. S. 58.
[43] Dieser Effekt ergibt sich aus der postulierten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (c), c ist unabhängig von der relativen Bewegung des Beobachters immer gleich.
[44] Sapir, 1949. [The grammarian and his language]. S. 153.
[45] Sapir, 1964 [11931]. S. 128.
[46] Whorf, 1956. [Thinking in primitive communities]. S. 83.
[47] Whorf, 1956. [Linguistics as an exact science]. S. 221.
[48] Whorf, 1956. [An American Indian model of the universe]. S. 58.
[49] Malotki, 1983. S. 624.
[50] In Wirklichkeit ist der Zusammenhang wesentlich komplizierter, so zählt Malotki allein zwanzig Suffixe auf, von denen jedes einen anderen Aspekt (z. B. Regelmäßigkeit, kausaler Zusammenhang, Beginn einer Handlung etc.) ausdrückt. Malotki, 1983. S. 626.
[51] Grune, 1995. S. 7f.
[52] Malotki, 1983. S. 625.
[53] Malotki, 1983. S. 667, Fußnote 228.
[54] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 146.
[55] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 139f.
[56] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 143.
[57] Whorf, 1956. [An American Indian model of the universe]. S. 57.
[58] Malotki, 1983. S. 27ff.
[59] Malotki, 1983. S. 405 u. S. 409.
[60] Malotki, 1983. S. 530.
[61] Dies gilt nur für die Zahlen von eins bis vier, die anderen Zahlen weichen von diesem Schema ab. Malotki, 1983. S. 503.
[62] Malotki, 1983. S. 504.
[63] Malotki, 1983. S. 244.
[64] Malotki, 1983. S. 503.
[65] Malotki, 1983. S. 512.
[66] Das Argument, dass Whorf seine Thesen ausschließlich auf sprachliche Belege stütze, wurde häufiger gegen ihn vorgebracht, vgl. Lenneberg, 1953. S. 464. u. vgl. Murphy, 1996. S. 183.
[67] Pinker, 1994. S. 63.
[68] Er schreibt, zum Beispiel: “Language does not double our experience world; rather it is a dynamic and creative process which not only deals with the objects encountered in this world in a quite eclectic fashion, but also evaluates them according to its own way.” Malotki, 1991. S. 44.
[69] Malotki, 1991. S. 71.
[70] Malotki, 1983. S. 632.
[71] Malotki, 1983. S. 632.
[72] Malotki, 1991. S. 44.
[73] Whorf, 1956. [Science and linguistics]. S. 213f.
[74] Whorf/Trager, 1996. S. 259.
[75] Die Darstellung folgt Koffka (1936), da Whorf selbst mehrmals auf diese Quelle verweist.
[76] Koffka, 1936. S. 178.
[77] Whorf, 1956. [Gestalt Technique of the stem composition in Shawnee]. S. 164.
[78] Whorf, 1956. [Gestalt Technique of the stem composition in Shawnee]. S. 164.
[79] Whorf, 1956. [Science and linguistics]. S. 208.
[80] Auf den Unterschied zwischen bestimmten und unbestimmten Artikeln wird hier nicht eingegangen, obwohl sich selbst in diesem kontextlosen Fall eine leichte Verschiebung der Bedeutung ergeben würde: Der Stein fällt-Ein Stein fällt, eine Verschiebung, die in anderen Sprachen so nicht ausgedrückt werden kann: kroat. kamen pada (= Stein fällt).
[81] Sapir, 1949. [The grammarian and his language]. S. 158f.
[82] Whorf, 1956. [Language and logic]. S. 234.
[83] Whorf, 1956. [Language and logic]. S. 234.
[84] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 158.
[85] Whorf, 1956. [Language, mind and reality]. S. 252.
[86] Whorf, 1956. [Language and logic]. S. 244.
[87] Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 88.
[88] Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 93.
[89] Vgl. Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 88.
[90] Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 92.
[91] Whorfs ursprüngliches Beispiel wurde an das Deutsche angepasst (siehe Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 89f.)
[92] Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 89.
[93] Vgl. Lucy 1992a. S. 28f.
[94] Whorf, 1956. [Thinking in primitive communities]. S. 80.
[95] Whorf, 1956. [Grammatical categories]. S. 92.
[96] Whorf, 1956. [Discussion of Hopi Linguistics]. S. 105.
[97] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 135.
[98] Whorf, 1956. [The relation of habitual thought and behavior to language]. S. 135f.
[99] Whorf/Trager, 1996. S. 269.
[100] Whorf/Trager, 1996. S. 267.
[101] Kluckholm/Leighton, 1947. S. 182f. u. 208f.
[102] Lucy 1992a. S.69 u. Lee, 1996. S. 16f.
[103] Lee, 1996. S. 17.
[104] Whorf, 1956.
[105] Chase, 1956. S. vi.
[106] Vgl. Lee, 1996. S. 84ff.
[107] Penn, 1972. S. 10.
[108] Neuere Beispiele sind etwa: Takano, 1989. S. 141f, Pinker, 1994. S. 57, Zhang,/Schmitt, 1998. S. 375f, Devitt/Sterelny, 1999. S. 218ff, Bloom/Keil, 2001. S. 352, Boroditsky, 2001. S. 2, Papafragou u. a. 2002. S. 190f.
[109] Devitt/Sterelny, 1999. S. 218.
[110] Vgl. Lee, 1996. S. 65.
[111] Watson, 1920. S. 88.
[112] Watson, 1920. S. 89.
[113] Whorf, 1956. [Thinking in primitive communities]. S. 66f.
[114] Die Übersetzung muss natürlich, neben der Sprache, auch immer den Kontext und den kulturellen Hintergrund miteinbeziehen. Die direkte Übertragung von Sprache ist also nur Teil der Übersetzung. (Vgl. Stroinska, 2001. S. 14.)
[115] Pinker, 1994. S. 57.
[116] Vgl. Lucy, 1999 u. Boroditsky, 2003.
[117] Lucy, 1997a. S. 292.
[118] Lucy, 1997a. S. 292.
[119] Gelman/Markman, 1986. S. 203.
[120] Gelman/Markman, 1986. S. 204f.
[121] Gopnik u. a., 1996. S. 199 u. Gopnik, 2001. S. 51f.
[122] Tannen, 1991.
[123] Das Beispiel lautet: „Would you like to finish the report today?“, der von Chefinnen als Anordnung geäußert, von männlichen Untergebenen aber u. U. als optionale Bitte verstanden werde; vgl. Cameron, 1998. S. 447f.
[124] Vgl. Enfield, 2000. S. 140.
[125] Enfield, 2000. 147f.
[126] Enfield, 2000. 147f.
[127] Bloom, 1981. S. 13.
[128] Bloom, 1981. S. 14ff.
[129] Bloom, 1981. S.20f u. Bloom, 1984.
[130] Bloom, 1981. S. 30.
[131] Au 1983, 1984, Liu 1985, Cheng 1985, Takano 1989, S. 159.
[132] Au, 1983, 1984, Liu 1985.
[133] Takano 1989, Lucy 1992a. S. 218, Wardy 2000. S.25ff.
[134] Cheng 1985, Lardiere 1992, Lucy 1992a. S.236.
[135] Vgl. Lucy 1992a. S. 251.
[136] Ellis/Hennelly, 1980. S. 50.
[137] Ellis/Hennelly, 1980. S. 44.
[138] Ellis/Hennelly, 1980. S. 43.
[139] Ellis/Hennelly, 1980. S. 44f.
[140] Ellis/Hennelly, 1980. S. 50.
[141] Gopnik, 2001. S. 57.
[142] Gopnik u. a., 1996. S. 204.
[143] Gopnik u. a., 1996.
[144] Gopnik, 2001. S. 57.
[145] Kim u. a., 2000.
[146] Gopnik, 2001. S. 56.
[147] Lee u. a., 1999. S. 2.
[148] Lee u. a., 1999. Appendix II u. S. 8.
[149] Lee u. a., 1999. S. 3.
[150] Lee u. a., 1999. S. 3.
[151] Lucy, 1992b u. Lucy/Gaskins, 2001.
[152] Lucy/Gaskins, 2001. S. 260.
[153] Lucy, 1992b. S. 50.
[154] Lucy/Gaskins, 2001. S. 260f.
[155] Lucy/Gaskins, 2001. S. 266f.
[156] Lucy/Gaskins, 2001. S. 271f.
[157] Lucy/Gaskins, 2001. S. 272.
[158] „duo“ ist der Klassifikator für amorphe Objekte, wie Flammen, Wolken, Spray. Zhang/Schmitt, S. 378.
[159] „tiao“ ist der Klassifikator für lange, dünne, oft biegsame, Objekte, wie Straßen, Boote, Fische, Hosen, Seile, Seifenstücke. Zhang/Schmitt, S. 378.
[160] Zhang/Schmitt, 1998. S. 380.
[161] Zhang/Schmitt, 1998. S. 378.
[162] Zhang/Schmitt, 1998. S. 382f.
[163] Imai/Gentner, 1997. S. 182.
[164] Im Schwedischen wird der bestimmte Artikel an das Substantiv angehängt: das Auto: bilen - ein Auto: en bil.
[165] Boroditsky u. a, in press.
[166] Boroditsky u. a., in press u. Boroditsky, 2003.
[167] Schaller, 1992.
[168] Schaller, 1992. S. 27f.
[169] Schaller, 1992. S. 36.
[170] Schaller, 1992. S. 51.
[171] Schaller, 1992. S. 214f.
[172] Schaller, 1992. S. 214.
[173] Curtiss, 1978. S. 13.
[174] Curtiss, 1978. S. 15.
[175] Curtiss schreibt: „There were many problems involved in testing Genie. Standard psychological tests could not be used at first because such tests rely heavily on verbal comprehension and verbal responses. Other instruments, less dependent on language abilities, had to be used in any attempts to assess Genie.” Curtiss, 1978. S. 47.
[176] Vgl. Kelter, 1990. S. 20.
[177] Höhle, 1995. S. 15.
[178] Höhle, 1995. S. 20.
[179] Höhle, 1995. S. 23 u. S. 12.
[180] Höhle, 1995. S. 24.
[181] Höhle, 1995. S. 24.
[182] Lott, Petra, 1999. S. 15f.
[183] Höhle, 1995. S. 76ff.
[184] Bei Untersuchungen wurde festgestellt, dass Kinder, deren linke Gehirnhälfte nicht intakt ist (Aphasien entstehen in der Regel durch Schädigungen in der linken Gehirnhälfte; Lott, 1999. S. 6.), Sprache trotzdem perfekt erlernen können, dass also genetisch nicht absolut festgelegt ist, welche Bereiche des Gehirns, welche Funktionen erfüllen; Bates/Roe, 2001.
[185] Dehaene, u. a., 1999.
[186] Dehaene, u. a., 1999. S. 971.
[187] Dehaene, u. a., 1999. S. 973. Fußnote 10.
[188] Spelke/Tsivkin, 2001. S. 82.
[189] Spelke/Tsivkin, 2001. S. 83.
[190] Spelke/Tsivkin, 2001. S. 83ff.
[191] Pinker, 1994. S. 19.
[192] Das Beispiel stammt ursprünglich von Franz Boas, der damit lediglich zeigen wollte, dass zusammenhängende Inhalte durch phonetisch unterschiedliche Konstruktionen kodiert werden können. Auf den Inhalt Wasser könne im Amerikanischen durch rain, dew, wave, river, lake usw. referiert werden, auf den Inhalt Schnee im Eskimo durch aput, qana, piqsirpoq und qimuqsuq (liegender, fallender, verwehter Schnee und Schneeverwehung). (Boas, (2002) [11911]. S. 25f.). Whorf übernahm dieses Beispiel, allerdings benutzte er es in einem völlig anderen Zusammenhang, nämlich als Argument für die unterschiedliche Aufteilung der isolierten Erfahrungsfelder in isolierte Bedeutungsfelder (siehe Abschnitt 2.1.3): „We have the same word for falling snow, snow on the ground, snow packed hard like ice, slushy snow, wind driven flying snow-whatever the situation may be. To an Eskimo, this all-inclusive word would be almost unthinkable; he would say that falling snow, slushy snow, and so on, are sensuously and operationally different, different things to contend with; he uses different words for them and for other kinds of snow.” (Whorf, 1956 [Science and linguistics]. S. 216.). Dieses angebliche Beispiel sprachlicher Diversifikation hat sich seitdem sehr start verbreitet, in manchen Quellen steigt die genannte Zahl der Schneewörter im Eskimo dabei auf mehrere Hundert an. Vgl. Pullum, 1991. S. 164f.
[193] Martin, 1986. S. 422.
[194] Vgl. Pullum, 1991. S. 168f.
[195] Das Beispiel stammt aus dem Inuktitut, das u. a. im nördlichen Kanada gesprochen wird. Der Ausdruck „nanusiuqtuq“ besteht aus den Elementen nanu(q) [Eisbär] dem verbalen Kern –siuq- [folgen] und dem Flexionsmorphem –tuq. Nowak, 1996. S. 12 u. S. 277.
[196] Nowak, 1996. S.12f.
[197] Vgl. Lamb, 2000. S. 175.
[198] Devitt/Sterelny (1999). S.219f.
[199] Devitt/Sterelny (1999). S. 220.
[200] Devitt/Sterelny (1999). S. 220.
[201] Lehmann (1998), S. 18.
[202] Pullum schreibt explizit: „But the truth is that the Eskimo do not have lots of different words for snow, and no one who knows anything about Eskimos [...] has ever said they do.” Pullum, 1991. S. 160.
[203] Murphy, 1996. S. 183.
[204] Lucy 1992a. S. 294. Fußnote 20.
[205] Lucy bezieht sich hier auf Brown/Lenneberg, 1954.
[206] Lucy, 1992a. S. 149.
[207] Lucy, 1992a. S. 159.
[208] Li/Gleitman, 2002. S. 272.
[209] Li/Gleitman, 2002. S. 272. Fußnote 4.
[210] Li/Gleitman, 2002. S. 290.
[211] [Duden], 1989. Unter beleidigen.
[212] Joecks, 2001. S. 324f.
[213] Joecks, 2001. S. 327.
[214] Joecks, 2001. S.320f.
[215] Joecks, 2001. S. 328f.
[216] Stroinska, 2001. S. 13.
[217] [Duden], 1989. Unter Ursprung (1).
[218] Derrida, 1983. S. 29.
[219] So schreibt etwa Saussure: „Sprache und Schrift sind zwei verschiedene Systeme von Zeichen; das letztere besteht nur zu dem Zweck, um das erstere darzustellen.“ De Saussure, 2001. S. 28.
[220] Derrida, 1986. S. 60.
[221] Derrida, 1983. S. 76.
[222] [Duden], 1989. Unter Struktur (1).
[223] Auch das Wort „Beispiel“ macht natürlich nur Sinn vor dem Hintergrund einer Grundstruktur, d. h. eines Zentrums, das damit umrissen werden soll.
[224] de Saussure, 2001. S. 37.
[225] Derrida, 1983. S. 74.
[226] différance ist ein von Derrida stammender Kunstbegriff.
[227] Abramov, 1997. S. 98.
[228] Baylor, 1995. S. 105f.
[229] Baylor, 1995. S. 104.
[230] Abramov, 1997. S. 92.
[231] Abramov, 1997. S. 94f.
[232] Baylor, 1995. S. 112.
[233] Ob das Farbensehen tatsächlich direkt etwas mit den drei verschiedenen Arten von Zapfen zu tun hat, ist fraglich. So sind die Sehzellen (Zapfen wie Stäbchen) durch andere Zellen der Retina (horizontale, bipolare und amakrine Zellen) verbunden, wodurch die Signale unterschiedlicher Sehzellen gebündelt und dann über die sog. Ganglienzellen (der obersten Zellschicht der Retina) an das Gehirn weitergeleitet werden. Die drei Farben entstehen also eigentlich durch (mindestens) drei Arten der Bündelung von Sehzellen und nicht durch drei Arten von Zapfen; vgl. Abramov, 1997. S. 98.
[234] Abramov, 1997. S. 104.
[235] Baylor, 1995. S. 122f. u. Abramov, 1997. S. 100f.
[236] Abramov, 1997. S.106.
[237] Vgl. Saunders/van Brakel, 1997. S. 172f u. vgl. Abramov, 1997. S. 107.
[238] Abramov, 1997. S. 109.
[239] Abramov schreibt: „Note that from psychophysics alone we cannot determine how the nervous system actually carries out some functions- all we can specify is the set of operations that it must be carrying out“; Abramov, 1997. S. 110.
[240] Vgl. Kay/Maffi, 1999. S. 743.
[241] Lenneberg, 1953. S. 463f.
[242] Sapir, 1949. [The grammarian and his language]. S. 153.
[243] Lenneberg, 1953. S. 467.
[244] Vgl. Whorf, 1956. [Science and linguistics]. S. 207-211.
[245] Vgl. Lenneberg, 1953. S. 470.
[246] Vgl. Lucy, 1992. S. 141.
[247] Brown/Lenneberg, 1954.
[248] Brown/Lenneberg, 1954. S. 459. u. Lehmann, 1998. S. 168.
[249] Brown/Lenneberg, 1954. S. 460.
[250] Brown/Lenneberg, 1954. S. 461.
[251] Es existieren im Zuni zwar mehrere Wörter für „gelb“, allerdings unterscheiden sich diese nicht durch den bezeichneten Farbton, sondern dadurch, dass damit die Farben unterschiedlicher Objektgruppen beschrieben werden; Lenneberg/Roberts, 1956. S. 23.
[252] Brown/Lenneberg, 1954. S. 461. u. Lenneberg/Roberts, 1956. S. 31.
[253] Lantz/Stefflre, 1964.
[254] Lehmann, 1998. S. 168.
[255] Vgl. Brown/Lenneberg, 1954. S. 457f.
[256] Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 2.
[257] Berlin und Kay schreiben dazu: „Every language has an indefinitely large number of expressions that denote the sensation of color. […] But psychologists, linguists, and anthropologists have long operated with a concept of basic color term, or basic color word […]; Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 5.
[258] Engl. orange wird von Berlin und Kay ebenfalls zu den BCTs gezählt, obwohl es ein Objekt bezeichnet und ein Fremdwort ist (mit der Begründung, dass es kein kritischer Fall sei); Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 6.
[259] Vgl. Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 6f. u. vgl. Hickerson, 1971. S. 258.
[260] Diese Sprachen waren: Arabisch (Libanon), Bulgarisch, Katalanisch (Spanien), Ungarisch, Ibibio (Nigeria), Indonesisch, Japanisch, Koreanisch, Pomo (U.S.A.), Spanisch (Mexiko), Swahili (Ostafrika), Tagalog (Philippinen), Thai (Thailand), Tzeltal (Mexiko), Urdu (Indien) und Vietnamesisch; Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 7.
[261] Die Farbtafel bestand aus 329 Farben der sog. Munsellschen Farbkugel, die nach den Kriterien der Sättigung , (die Sättigung nimmt z. B. von blau zu graublau ab), der Helligkeit (die Helligkeit nimmt von hellblau zu dunkelblau ab) und des Farbtons (der Farbton verändert sich etwa beim Übergang von grün zu blau) dreidimensional aufgeteilt ist. Die in den Versuchen verwendeten Farben waren alle maximal gesättigt und unterschieden sich nur durch Helligkeitsgrad und Farbton; vgl. Lehmann, 1998. S. 168. Fußnote 9. u. Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 5.
[262] Die englischen Farbwörter purple und pink wurden mit lila und rosa übersetzt, weil die adäquateren Übersetzungen purpur und pink im Deutschen wohl nicht als BCTs gelten können; vgl. MacLaury, 2001. S. 1231.
[263] Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 4.
[264] Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 45ff.
[265] Als Beispiel für Sprachen der Stufe 1 geben Berlin und Kay die Dani-Sprachgruppe (Neu Guinea) an. In diesen Sprachen finden sich nur zwei BCTs (z. B. siŋ [schwarz] und holo [weiß] im Jale); Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 24.
[266] Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 17.
[267] Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 17ff.
[268] Vgl. Kay/McDaniel, 1978. S. 616. u. Rosch, 1972. S. 16.
[269] Vgl. Kay/McDaniel, 1978. S. 616f.
[270] Rosch, 1972. S. 11 u. S. 20.
[271] Eine Wiederholung der Experimente von Rosch in jüngerer Zeit konnte diese Ergebnisse allerdings nicht bestätigen; Davidoff u. a., 1999. u. Robertson u. a., 2000.
[272] Kay/McDaniel, 1978.
[273] Es gibt eine ganze Reihe von Sprachen mit zwölf BCTs, z. B. Polnisch, Russisch (Wierzbicka, 1990. S. 100.) und Türkisch (Özgen/Davies, 1998.) mit jeweils zwei BCTs für blau und Tsakhur (Daghestan) mit einem BCT für türkis (Davies u. a., 1999). Aufgrund dieser und ähnlicher Daten wurde die Annahme, dass es maximal elf BCTs gibt, aufgegeben; vgl. Kay, in press.
[274] Kay, Paul, in press. Fußnote 3.
[275] Kay und McDaniel beschreiben die Farbwörter als Fuzzy Sets, d. h. in ihrem Modell ist die Grenze einer Farbe 1 der Fokus einer Farbe 2; die Farbtöne, die zwischen 1 und 2 liegen sind graduelle Abstufungen, die zu beiden Farbkategorien gehören, so ist z. B. Orange eine Mischung aus Rot und Gelb, je röter das Orange, umso weniger gelb ist es, aber erst im Fokus von Rot ist der Anteil von Gelb tatsächlich 0 (und damit der Anteil von Rot 1); vgl. Kay/McDaniel, 1978. S. 623.
[276] Kay u. a., 1997. S. 22.
[277] Durbin schreibt z. B. über die Berlin/Kay-Studie: „The circumstances under which these studies were made compel one to say that the reliability and validity of the experiments are zero.” Durbin, 1972. S. 259.
[278] Kay/Maffi, 1999.
[279] Kay u. a., 1997. S. 32.
[280] Vgl. Saunders, 1992. S. 117ff.
[281] MacLaury, 1992.
[282] Vgl. Kay, 1999c u. vgl. Levinson, 2000.
[283] Levinson, 2000. S. 40.
[284] siehe Conklin, (1964) [11955], Kuschel/Monberg, 1974, Friedl, 1979, Turton, 1980, Prasse, 1999.
[285] Kuschel/Monberg, 1974. S.221ff.
[286] Kuschel/Monberg, 1974. S. 221.
[287] Vgl. Lehmann, 1998. S. 184 u. S. 192.
[288] Eine ganze Reihe von Sprachen besitzt z. B. keinen Ausdruck, der unserem Begriff “Farbe” entspricht; vgl. Kuschel/Monberg, 1974. S. 218 u. vgl. Levinson, 2000. S. 10.
[289] Berlin und Kay schreiben mit Bezug auf die einzelnen Stufen des Farbwort-Evolutionsschemas: „Such information as we have, although vague, suggests that the sequence of elaboration of color lexicon is an evolutionary one accompanying, and perhaps a reflex of, increasing technological and cultural advancement.“ Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 16.
[290] Berlin und Kay schreiben: „Briefly, the doctrine of extreme linguistic relativity holds that each language performs the coding of experience into sound in a unique manner. Hence, each language is semantically arbitrary relative to every other language. According to this view, the search for semantic universals is fruitless in principle. The doctrine is chiefly associated in America with the names of Edward Sapir and B. L. Whorf.” Berlin/Kay, 1991 [11969]. S. 2.
[291] Kay/Kempton, 1984.
[292] z. B., Davies u. a., 1998. u. Robertson u. a., 2000. S. 387.
[293] So bestätigen auch neuere Untersuchungen, dass es (in allen untersuchten Sprachen) eine Tendenz gibt, die (als universal angenommenen) Farb-Foki als bestes Beispiel einer Farbe zu wählen. So wählten bei einem Experiment mit Sprechern des Berinmo (Papua Neu Guinea) 10 von 25 Probanden Fokal-Rot als bestes Exemplar für die Farbkategorie mehi, 4 von 25 Fokal-Gelb für wor, und 4 von 25 Probanden wählten einen Farbton Nahe Fokal-Grün für nol. Damit wurden die Farb-Foki öfter gewählt als jeder andere Farbton, allerdings wählten, wie diese Zahlen zeigen, die meisten Probanden keinen fokalen Farbton. Robertson u. a., 2000. S. 372 u. S. 386, vgl. auch Kay, 2002.
[294] Vgl. Saunders, 1992. S. 105ff.
[295] Es gibt allerdings Sprachen, z. B. das Tzeltal (Mexiko), die Verhältnisse von Objekten im Raum durch ein absolutes Bezugssystem beschreiben und deren Sprecher tatsächliche eine Art „mentalen Kompass“ entwickeln (auf diese Sprachen wird ausführlich in Abschnitt 5.2 u. 5.3 eingegangen). Levinson u. a., 2002. S. 173. Fußnote 17.
[296] Spelke/Tsivkin, 2001. S.71f.
[297] Spelke/Tsivkin, 2001. S. 72f.
[298] Spelke/Tsivkin, 2001. S. 73ff.
[299] Spelke/Tsivkin, 2001. S. 78f.
[300] Darauf, dass die Sprache tatsächlich einen solchen Einfluss auf Universalien haben könnten, weisen auch Untersuchungen auf anderen Gebieten hin. So zeigte sich bei einem Experiment, das Lucy und Shweder durchführten, dass Farb-Foki besser erinnert werden konnten, wenn während des Versuchs keine Konversation erlaubt war, während sich bei nicht-fokalen Farben kein solcher Effekt zeigte. D. h. auch in diesem Experiment wurde offensichtlich eine angenommene Universalie (die Foki der Farben) in irgendeiner Weise durch die Produktion von Sprache beeinflusst. Lucy/Shweder, 1988.
[301] Talmy, 1983. S. 230f.
[302] Talmy, 1983. S. 232.
[303] Levinson, 1996. S. 138ff.
[304] Vgl. Levinson, 1996. S. 142ff.
[305] Pederson, 1995. S. 38. u. Levinson, 1996. S. 143.
[306] Levinson, 1996. S. 143. u. Talmy, 1983. S. 253.
[307] Levinson, 1996. S. 140f.
[308] In (21) sind Beobachter und Hintergrund (= mir) identisch, d. h. der Beobachter ist nicht von Figur und Hintergrund getrennt, der Bezugsrahmen ist deshalb nicht relativ, sondern intrinsisch.
[309] Die Beschreibung vertikaler Raumverhältnisse vollzieht sich auch im Deutschen in einem absoluten Bezugsrahmen, der sich durch die Gravitation ergibt, die feststehenden Richtungen sind dabei oben und unten.
[310] Levinson, 1992. S. 3 u. S. 6.
[311] Levinson, 1992. S. 4.
[312] Vgl. Levinson, 1992. S. 9.
[313] Levinson, 1992. S. 16.
[314] Levinson, 1992. S. 17. u. S. 3.
[315] Levinson, 1992. S. 9.
[316] Levinson, 1992. S. 9.
[317] Levinson, 1996. S. 145.
[318] Levinson, 1992. S. 10f.
[319] Pederson u. a., 1998. S. 571.
[320] Diese Sprachen waren: Mopan (Belize [Lateinamerika]), Tzeltal (Mexiko), Yucatec (Mexiko), Totonac (Mexiko), Kilivila (Papua New Guinea), Longgu (Solomon Islands [Südpazifik]), Kgalagadi (Botswana), Haillom (Namibia), Arandic (Australien), Tamil (Indien), Belhare (Nepal), Niederländisch und Japanisch. Pederson u. a., 1998. S. 560.
[321] Pederson u. a., 1998. S. 559.
[322] Eine typische Beschreibung eines Fotos (auf Deutsch) wäre etwa:„ Der Mann steht rechts vom Baum und wendet mir den Rücken zu.“
[323] Pederson u. a., 1998. S. 562f.
[324] Zitiert werden die in Pederson u. a. (1998) angegebenen Übersetzungen.
[325] Pederson u. a., 1998. S. 573.
[326] Pederson u. a., 1998. S. 569f.
[327] Brown, 2001. S. 514f.
[328] Pederson u. a., 1998. S. 573.
[329] Pederson u. a., 1998. S. 575.
[330] Pederson u. a., 1998. S. 577.
[331] Pederson u. a., 1998. S. 577.
[332] Pederson u. a., 1998. S. 578.
[333] Pederson u. a., 1998. S. 578ff.
[334] Li/Gleitman, 2002.
[335] Li/Gleitman, 2002. S.273f.
[336] Li/Gleitman, 2002. S. 276f.
[337] Li/Gleitman, 2002. S. 280f.
[338] Li und Gleitman schreiben: “[...] linguistic systems are merely the formal and expressive medium that speakers devise to describe their mental representations and manipulations of their reference world. Depending on the local circumstances in which human beings find themselves, they select accordingly from this linguistically available pool of resources for describing regions and directions in space.” Li/Gleitman, 2002. S. 290. [Herv. i. Org.]
[339] Levinson u. a., 2002. S. 172. u. Li/Gleitman, 2002. S. 278.
[340] Levinson u. a., 2002. S. 182.
[341] Levinson u. a., 2002. S. 170.
[342] Levinson u. a., 2002. S. 172f.
[343] Dass das tatsächlich zutrifft wurde durch eine Variante des „animals-in-a-row“ Experiments nachgewiesen, in dem die (niederländischen) Probanden nur um 90° gedreht wurden. Auf beiden (quadratischen) Tischen befand sich jeweils wieder die gleiche Figur zur Orientierung. Hätten die Probanden zwischen einem relativen und einem absoluten Bezugsrahmen gewechselt, hätten sie die Tierreihe, die auf Tisch 1 parallel zu ihnen stand auf Tisch 2 im rechten Winkel zu sich aufstellen müssen. In diesem Experiment zeigte sich allerdings kein signifikanter Unterschied zur Variante, in der die Testpersonen um 180° gedreht wurden. Levinson u. a., 2002. S. 176ff.
[344] Im Englischen können z. B. die Szenen: „put magnet on refrigerator“, „put cup on table“, „put hat on“ alle durch Verwendung der Präposition „on“ beschrieben werden. Im Koreanischen verlangt die Beschreibung dieser Szenen hingegen jeweils die Verwendung eines anderen Verbs (Pwuchita, Nohta, Ssuta). Bowerman/Choi, 2001. S. 482f.
[345] Bowerman/Choi, 2001.
[346] Boroditsky u. a., 2002.
[347] Boroditsky, 2000, 2001, Gentner u. a., 2002.
[348] Boroditsky, 2001. S. 9ff.
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- Patrick Schmitt (Author), 2003, Beeinflusst die Sprache das Denken?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110262
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