Inhalt
1. Vorwort
2. Publius Ovidius Naso
3. Amores
4. II, 9b
4.1 Der Inhalt
4.2 Die Analyse
4.2.1 Vers für Vers
4.2.2 Hälfte oder Ganzes?
4.3 Das Fazit
Vorwort
Inhalt der vorliegenden Arbeit ist das Gedicht 9b aus dem zweiten Buch der Amores von Ovid. Nach einigen wenigen Angaben zu Ovids Leben und Werk soll gleich der Text im Mittelpunkt stehen. Dieser wird erst zusammengefasst und analysiert, um dann, soweit dies möglich ist, in den Kontext der Amores eingeordnet zu werden. Den Schwerpunkt stellt die Inhaltsanalyse, sprich Interpretation des Gedichtes dar. Hierbei sollen Indizien für verschiedene Theorien und Antworten auf Fragen, die sich auf das ganze Werk beziehen, gefunden werden. Diese Problemstellungen angemessen zu erläutern oder gar zu klären ist allerdings nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Zu diesem Zweck müssten natürlich die Amores in ihrer Gesamtheit detailliert untersucht werden. Stattdessen sollen Blickwinkel aufgezeigt werden, unter denen das behandelte Lied betrachtet werden kann.
Dabei wird zwar zum Teil auf Erkenntnisse der Forschung zurückgegriffen werden, die es gegebenenfalls zu diskutieren gilt; in erster Linie soll aber textimmanent, „auf eigene Faust“ gearbeitet werden. Inhalte der existierenden Forschung werden natürlich als solche gekennzeichnet.
Der Arbeit liegt die Reclam-Ausgabe der Amores zugrunde, übersetzt und herausgegeben von Michael von Albrecht, Stuttgart 1997.
Publius Ovidius Naso
Publius Ovidius Naso ist eigenen Angaben zufolge am 20. März 43 v.Chr. in Sulmo, in der Nähe Roms, geboren. Der wohlhabende Vater sieht für seine zwei Söhne die Ämterlaufbahn vor. Entsprechend nimmt Ovid das Studium der Rhetorik auf. Seine politische Karriere währt indes nicht lang, da er sich entgegen väterlicher Ratschläge vornehmlich der Dichtung widmen will. Er ist sehr erfolgreich, vor allem bei der römischen Jugend, wird jedoch im Jahre 8 n.Chr. aus nicht gänzlich geklärten Gründen von Kaiser Augustus in die Verbannung nach Tomis am schwarzen Meer geschickt. Heißt es auf der einen Seite, seine Ars amatoria seien der Grund hierfür, stehen auf der anderen vage Aussagen Ovids, er hätte etwas gesehen, das nicht an die Öffentlichkeit dringen sollte. Was dies war, bleibt vorerst Inhalt von Spekulationen. Im Jahre 17 oder 18 n.Chr. stirbt Ovid. Nach Rom hatte er bis zuletzt nicht zurückkehren dürfen.
Zu seinen elegischen Werken zählen neben den Amores die bereits erwähnte Ars amatoria, die Remedia amoris sowie die Tristia. Darüber hinaus verfasst er unter anderem eine Tragödie namens Medea, den Festkalender Fasti, den er nur zur Hälfte fertig stellen kann, ein Epos, die Metamorphosen, welches sein Hauptwerk darstellt und die Heroidenbriefe, die eine neue Literaturgattung begründen: Briefe aus Frauenperspektive in mythischem Gewand, die sowohl zu den Amores als zu den Metamorphosen Verbindungen aufweisen. Darüber hinaus eine Briefessammlung unter dem Titel Epistulae ex Ponto und ein Gedicht namens Halieutica, das unvollendet bleibt und dessen Echtheit umstritten ist. Ovid führt mit seinen Liebesdichtungen die Tradition von Gallus, Tibull und Properz zur Vollendung; setzt unter das Genre der römischen Elegie auch den Schlusspunkt.
Amores
Der Titel Amores wird zumeist mit „Liebeslieder“ übersetzt, auch Liebesabenteuer, Liebesgeschichten. Das Werk in der uns vorliegenden Form erscheint um die Zeitenwende und besteht aus drei Büchern mit insgesamt 51 Gedichten. 15 entfallen auf das erste, 20 auf das zweite und 16 auf das dritte Buch. In seinem Vorspruch erklärt Ovid, dass es einst deren fünf gab, die er nun aber auf drei gekürzt habe. In ihnen beschäftigt sich der Ich-Erzähler dem Titel entsprechend nahezu ausschließlich mit der Liebe. Während sich bei seinen Vorgängern dieser Erzähler wohl eindeutig von dem Autor trennen lässt, ist es bei Ovid nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, ob, beziehungsweise wie weit, sich reale Begebenheiten aus seinem Leben in die Dichtung mischen. Objekt der Liebe ist eine junge Dame, die zwölfmal als Corinna benannt wird, ansonsten aber namenlos bleibt. Auch wenn es wahrscheinlich ist, bleibt offen, ob es sich immer um die gleiche Person handelt.
II 9b
Der Inhalt
In dem Gedicht II, 9b beteuert der Ich-Erzähler, der im Folgenden auch als Liebender oder Liebhaber bezeichnet wird (die Bedeutungsunterschiede hierbei sollen uns kein Kopfzerbrechen bereiten), dass er auf keinen Fall ohne die Liebe leben wolle. Dabei geht es anscheinend um eine bestimmte Frau, von der abzulassen er nicht in der Lage ist. Bildhaft illustriert er, wie es ihn doch immer wieder in die Fänge der Liebschaft treibt, auch wenn die Gefühle schon nachzulassen schienen. Und das ist ihm ganz recht; freudig lässt er sich stets aufs Neue darauf ein und bedauert die Zeitgenossen, die sich mit sich selbst begnügen. Schließlich ruft er sogar den Liebesgott Cupido an und bittet ihn darum, dass dieser Zustand niemals enden möge. An dieser Stelle sei schon darauf verwiesen, dass zum Verständnis von 9b auch das vorangehende Gedicht 9a gehört. Zweifellos bilden beide eine Konstellation; was diese genauer ausmacht, soll später, unter Einbeziehung der angekündigten Forschungstheorien, erörtert werden.
Sehen wir uns das Gedicht nun genauer an.
Die Analyse - Vers für Vers
„Wenn mir ein Gott sagen würde: ‚Leb ohne Liebe!’, würde ich das ablehnen: Ein solch süßes Übel ist das Mädchen.“[1]
In diese kraftvolle Aussage legt Ovid bereits die ganze Aussage des Gedichtes. Der Liebende bekundet, dass er auch gegen Götterwillen nicht auf die Liebe verzichten würde. Er drückt dies indirekt aus, indem er den imaginären Fall entwirft, dass ein Gott ihn zu einem Leben ohne Liebe auffordere, was er daraufhin ablehnt. Es handelt sich also um ein sehr starkes Bild gleich zu Anfang, das den Stellenwert der Liebe für den Erzähler verdeutlicht. Allerdings erweitert er die Aussage durch die Formulierung „süßes Übel“ im folgenden Satz um eine ironische Komponente: Er räumt damit ein, dass es sich durchaus nicht um einen durchweg ungetrübten Genuss handelt. Spielt das darauf an, dass er der Liebe, also dem Mädchen, einer Sucht gleich verfallen ist, mit allen unerfreulichen Begleiterscheinungen? Dies würde das Problem allein auf seine Seite lagern. Oder zielt es auf Wesenszüge des Mädchens, der Puella ab, die ihm ein Übel sind? Jedenfalls präsentiert Ovid uns als Auftakt zu II, 9b eine humorvolle Doppelaussage.
Auch unklar bleibt, ob der Liebhaber von einem bestimmten Mädchen spricht, oder ob er mit seiner Formulierung das ganze weibliche Geschlecht, beziehungsweise die jüngeren, selbstverständlich aber paarungsfähigen Vertreterinnen, zu fassen versucht. Dies konfrontiert uns schon zu Beginn des Gedichtes mit der bereits angedeuteten Frage, ob sich die Amores in erster Linie um eine einzelne Puella, namentlich Corinna drehen, oder ob in den Elegien, in denen ihr Name nicht fällt (welche ja die überwiegende Mehrheit stellen!), vielleicht doch auch andere gemeint sein könnten.
Das Mädchen dieses Gedichtes beschäftigt uns auch im folgenden Vers:
„Wenn ich ihrer so recht überdrüssig bin und das Feuer in meinem Herzen nachgelassen hat, treibt meinen unseligen Geist ein unbekannter Wirbelsturm um.“[2]
Spätestens jetzt wird klar, dass der Erzähler nicht von einer verklärten Liebe spricht. Es kommt vor, dass sein Interesse an der Puella schwindet, die Leidenschaft versiegt. Mehr noch, er ist „ihrer so recht überdrüssig“, er hat zuweilen also schlicht genug von ihr. Der negative Beigeschmack, den der Begriff „Übel“ in dem vorangegangenen Satz ausgelöst hatte, wird hier noch verstärkt. Und gleich wieder vergessen gemacht: Das Nachlassen der Liebe bleibt nicht ohne Folgen; anscheinend befallen ihn nun erst recht tiefe Empfindungen, stark wie ein „Wirbelsturm“.
Werfen wir an dieser Stelle einen kurzen Blick auf die Dualität von Autor und Erzähler: Sollte in Ovids Leben tatsächlich eine Corinna existiert haben, der er mittels seiner Gedichte Unsterblichkeit verleihen wollte (wie in I, 3 bemerkt[3] ), wären diese Verse nicht sehr schmeichelnd für sie. Ovid hätte sein Werk sicher vor ihr verstecken müssen! Aber abgesehen davon, dass wir von Ovids Ehefrau wissen (die während seines Exils in Rom blieb, wohl da er damit rechnete, schnell wiederkehren zu dürfen), ist unbestreitbar, dass der Autor in den Amores kuriose Szenarien entwirft, die in oft überzeichneter und meist komischer Weise die Pfade der Liebe illustrieren sollen. Nicht zuletzt das Spielen mit der Tradition, in die Ovid sich Catull, Tibull und Properz folgend einreiht, versichert uns die zumindest überwiegende Fiktionalität seines Werkes.
„Wie ein Pferd, dessen Maul sich nicht lenken läßt, seinen Herrn in den Abgrund reißt, während dieser vergeblich den schaumbedeckten Zaum zurückzuziehen versucht; oder wie ein plötzlicher Windstoß ein Schiff, das schon das Land erreicht hat und den Hafen berührt, auf hohe See fortreißt, so bringt mich oft der ungewisse Hauch Cupidos zurück, und der purpurne Amor nimmt seine Waffen wieder auf.“[4]
Mittels zweier Bilder illustriert der Liebende die Macht, die der Gott Cupido über ihn hat. Dieser ist hier sicherlich mit Amor gleichzusetzen. Als Beleg für diese Annahme dürfe auch das erste Lied der Amores gelten, in dem der Liebhaber beide Namen verwendet und damit höchstwahrscheinlich die gleiche Gottheit meint.[5]
Cupido, Sohn der Venus, Liebesgott in Form eines geflügelten Jungen mit Pfeil und Bogen, führt den Erzähler also zu seiner Puella zurück. Und das nicht auf so sanfte Weise, wie es „der ungewisse Hauch“ implizieren mag. Es ist eben Götterhauch, auf einen Menschen gerichtet von unüberwindbarer Kraft: Vom Liebenden verglichen mit der Raserei eines tollwütigen Pferdes, das sich nicht mehr kontrollieren lässt, sowie einem Windstoß, der ein Schiff der gerade erst erreichten Sicherheit des Hafens wieder entreißt. Sprachen wir eben von tiefen Empfindungen, die den Liebenden befallen, müssen wir nun scheinbar von nackter Angst ausgehen, angesichts solcher Vergleiche mit höchst beunruhigenden, gar lebensgefährlichen Situationen. Hier zeigt sich wieder das humoristische Talent des Ovid, der gerne mit Kontrasten und Doppeldeutigkeiten arbeitet. Zwar zielen die Vergleiche in erster Linie auf die Macht Cupidos über den Liebenden ab, natürlich wird aber die Puella hintergründig in eine Beziehung zu dem Liebenden gesetzt, wie es das offene Meer für ein den Hafen suchendes Schiff ist. Man könnte auch Cupido selbst in diese Rolle kleiden, da der Erzähler zunächst ja mit ihm konfrontiert wird, mit ihm und seinen Waffen. Resultat dieser Interaktion ist aber natürlich die Rückkehr des Liebenden zu seinem Mädchen, so dass die Formel ‚Abgrund / hohe See gleich Puella’ bestehen bleiben mag. Wir sehen wieder, die Amores sind keine zahme Huldigung an das zarte Geschlecht, beziehungsweise an eine Herzensdame, sondern begehen das Feld der Liebe und Liebschaften auch abseits der rein romantisierenden Pfade.
„Triff mich, Knabe! Ich lege die Waffen ab und biete mich dir nackt dar; hier bist du stark, hier ist deine Rechte erfolgreich, hierher kommen die Pfeile schon von selbst wie auf Befehl; bei mir sind sie so zu Hause, daß sie kaum mehr ihren Köcher kennen.“[6]
Erneut der Kontrast, der das Gedicht schon zu Beginn bestimmte: Nach den in dunklen Farben gemalten Bildern des Pferdes und des Schiffes nun die Umkehrung ins Gegenteil, dadurch dass der Liebende sich der Gewalt Cupidos bereitwillig, ja regelrecht euphorisch aussetzen will. Er fordert ihn dazu auf, an ihm zu wirken: „Triff mich, Knabe!“ Unbewaffnet und unbekleidet präsentiert er sich dem Liebesgott, dass dieser auf ihn seine Pfeile verwende. Ohne jegliche Einschränkung, können wir daraus also schließen, gibt sich der Erzähler der Liebe hin, mit Haut und Haar wird er seinem Mädchen wieder verfallen.
Bei solchem Entgegenkommen ist es kein Wunder, dass der Gott leichtes Spiel hat, also „stark“ ist. Der Erzähler wird sogar poetisch, benutzt Personifikationen in seinem Aufruf: „Hier ist deine Rechte erfolgreich“ Dass Cupidos rechte Hand erfolgreich sei, bedeutet natürlich, dass sie den Pfeil zielsicher Richtung Liebenden aus der Spannung des Bogens entlässt. Und der Gott hat wohl schon häufig in dieser Form an ihm gewirkt, so oft auf ihn geschossen, dass seine Pfeile bei ihm „so zu Hause [sind], daß sie kaum mehr ihren Köcher kennen.“ Neben der rechten Hand werden hier auch die Pfeile personifiziert, insofern, dass ihnen der Körper des Liebenden bekannter als ihr artgerechter Aufbewahrungsort ist.
Natürlich stellt auch die Verwendung der Figur des Cupidos generell ein dichterisches Bild dar, das Ovid benutzt, um die Liebe in seinen Elegien lebendig und den Umgang mit ihr unterhaltsam zu gestalten. Es geht aber über eine bloße Allegorie hinaus, da Ovid seinen Liebenden Cupido auch anreden lässt und ihn beinahe als mit dem Erzähler in Kontakt tretenden Charakter auf die Handlungsebene stellt. Dabei bleibt es dennoch ein dichterisches Werkzeug, das der Liebende benutzt, um seine Empfindungen darzulegen. Die beschriebenen Personifikationen sind also Stilmittel innerhalb eines Bildes.
Dieses Bild des sich dem Cupido ergebenden Erzählers begegnet dem Leser übrigens schon sehr früh in den Amores, in dem Lied I, 2:
„Ich bekenne es, ich bin deine neueste Beute, Cupido; besiegt streck ich dir meine Hände hin – dir zu Befehl.“[7]
Die Motivation der Ergebenheit ist aber eine ganz andere:
„Es bedarf keines Krieges; ich flehe um Gnade und Frieden; das wird kein Ruhmestitel für dich sein, wenn du mich Waffenlosen mit Waffengewalt besiegst.“[8]
Der Erzähler kapituliert hier vor dem Gott, da er weiß, dass er doch nicht entkommen kann und so die vom Treffen des Pfeiles verursachte Bürde leichter zu handhaben ist:
„Leicht wird eine Last, trägt man sie geschickt.“[9]
Er stellt sich dem Cupido also nicht euphorisch fordernd entgegen wie in II, 9b, sondern aus bloßer Vernunft, um den Schaden möglichst gering zu halten. Nachvollziehbar wird diese Haltung, wenn man das Schmunzeln seines Schöpfers Ovid beachtet, dass hinter den Zeilen noch deutlich zu erkennen ist. Wie des Öfteren in den Amores entwirft der Autor die gleiche Szenerie zweimal, um sie auch unter verkehrten Vorzeichen zu beleuchten.
Kehren wir zu II, 9b zurück:
„Unglücklich jeder, der es aushält, zu ruhen, und den Schlaf ein großes Geschenk nennt.“[10]
Nun rückt der Liebende die Erotik in den Mittelpunkt. Für ihn ist die Nacht nicht zum Schlafen da, und er bedauert diejenigen, die das anders beurteilen. Auch hier dringt wieder die Intensität des Liebesdrangs hervor: „Unglücklich jeder, der es aushält…“ Für ihn ist es also nicht nur absurd den Schlaf zu loben, er kann es schier nicht ertragen nachts (oder wann es zu schlafen beliebt) zu ruhen.
„Ruhen“ könnte dabei auch noch in einem weiteren Kontext gefasst werden, vom Schlaf distanziert: Als über die Nachtruhe hinaus gehende Eigenschaft, seinen Trieben zu entsagen und/oder jedwedes Ziel vorübergehend unbeachtet zu lassen. Womöglich lässt sich hier ein Indiz für den Hintergrund des Liebenden finden. Ist er ein Sexsüchtiger, ein zwanghafter „womanizer“? An die Sucht verloren, wie ein Drogenabhängiger, der den Entzug scheitern lässt, um sich, den Abgrund schon vor Augen, mit tragischer Lust erneut den zerstörerischen Stimulationen hingibt?
Nun, vielleicht verlieren wir uns bei diesen Gedanken etwas zu sehr in diesen doch relativ kurzen, klaren Satz; nichtsdestotrotz sollte es sinnvoll sein, die mögliche Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten aufzuweisen. Besonders interessant wird es schließlich dort, wo Leerstellen uns die Möglichkeit geben, Texten eine mit uns und unserer Zeit verwobene eigene Interpretation zu geben.
Halten wir als wohl objektivere Deutung dagegen einfach fest, dass der Erzähler das Liebesspiel dem Schlaf vorzieht, und sehen, ob uns der nächste Vers vielleicht bestätigt:
„Du Tor, was ist der Schlaf anderes als das Abbild des eisigen Todes? Das Schicksal wird dir noch viel Zeit zum Ausruhen schenken.“[11]
Denn hier pointiert Ovid abermals einen Gedanken seines Liebenden. Hat dieser eben ja durchklingen lassen, dass er bessere Alternativen zum Schlaf kenne, vergleicht er ihn jetzt mit dem Tod. Ein weiteres Bild, das seine Worte in komisch-absurde Sphären hievt. War die Vorstellung des Erzählers als eines Sexsüchtigen doch nicht völlig abwegig? Jedenfalls bekommen wir ihn hier präsentiert als geradezu als liebesbesessenen Mann, der, zwischen den Zeilen gelesen, ohne Schlaf auskommt. Kann so tatsächlich der ovidische Erzähler sein? Jedenfalls in diesem Gedicht; warum nicht? Wie wir noch sehen werden, würde ihn der Autor damit vom Minne verdrossenen müden Alten (zumindest alt in der Liebe), der er noch in Lied II 9a war, zum nimmermüden „Superlover“ erhöhen – und schon im Nächsten mag es wieder anders aussehen. Doch dazu später mehr. Das bedeutet allerdings nicht, dass es in den Amores keine Kontinuität gäbe, aber es werden eben, wie wir weiter oben schon angedeutet haben, alle Schauplätze des Liebeslebens erkundet und ihre Extrempunkte ausgelotet. Dabei wandelt Ovid stets sicher auf den Pfaden der feinen Komik, verlässt sie nur selten für ernstere Ausflüge. In II 9b tut er es nicht; der Vergleich des Schlafes mit dem Tode ist natürlich nicht als seine Meinung zu interpretieren. In ihm spiegelt sich dagegen die grenzenlose Hingabe an die Liebe, selbstverständlich augenzwinkernd überdreht ins Absurde.
„Mögen mich ruhig die Worte der listigen Freundin täuschen; allein schon die Hoffnung wird mir gewiß viel Freude bringen.“[12]
Nun gilt es, den unwissenschaftlichen Begriff des Superlovers doch zu relativieren: Leisere, bescheidenere Töne machen großspurige Vergleiche vergessen. Der Liebende begehrt sein Mädchen ununterbrochen, ihrer habhaft ist er deswegen aber noch lange nicht. Hier werden wir des Aspekts gewahr, der in vielen Gedichten der Amores im Mittelpunkt steht, nämlich das ewige Werben um die Geliebte, das Warten, das zum Spiel gehört wie die erwünschte Zweisamkeit selbst. Wir sprachen von bedingungsloser Hingabe und sehen sie erneut bestätigt: „Mögen mich ruhig die Worte der listigen Freundin täuschen;“ Auch wenn sie ihm nur leere Versprechen gibt, „allein schon die Hoffnung“ befriedigt seinen Drang, wenigstens zum Teil. Auch setzt sich die Charakterisierung der Puella fort, die dem Leser zu Beginn des Gedichts einen eher unrühmlichen Eindruck vermittelte. „Listig“ ist sie, steht im Verdacht, ihn zu täuschen. Wie genau ihre Täuschung aussieht, lässt sich nur vermuten. Hält sie ihn hin, während sie noch in den Armen eines anderen Mannes liegt? Hofft der Erzähler auf ein Treffen mit ihr, auf eine dauernde Liebe, eine gemeinsame Nacht? Wahrscheinlich alles, ganz bestimmt ersteres und letzteres.
An dieser Stelle ist es wieder an der Zeit, über den Status der Beziehung des Liebhabers zur Puella nachzudenken. Ob ihr Name Corinna oder ein anderer ist, ist nicht so sehr die Frage, als vielmehr, ob die beiden bereits in einer festen Beziehung sind, eine heimliche Affäre haben, die der Liebe nur den Moment der Gelegenheit bietet, oder ob der Erzähler lediglich um das Mädchen wirbt, sei sie Ehefrau oder Hetäre. Daraus ließen sich wiederum vielleicht doch Rückschlüsse auf die Corinna-Frage ziehen. Gehen wir von einer festen Beziehung aus, in der die Leidenschaft des Liebenden zuweilen nachlässt, in die ihn Cupido aber zurück drängt, passt das nicht recht zu der Situation, in der sich der Erzähler in den anderen Elegien befindet (etwa in II, 12, wenn er über ein geheimes Treffen mit Corinna jubelt, oder in II, 2 und II, 3, als der Bewacher der Puella angesprochen wird). Aber es mutet etwas merkwürdig an, dass er ihrer überdrüssig werden kann, obwohl noch gar keine echte Zweisamkeit zustande gekommen ist. Wäre es jedenfalls möglich, (mindestens) zwei Arten der Beziehungen innerhalb der Amores zu unterscheiden, müsste dies gegen die These sprechen, dass wir es stets mit Corinna zu tun haben. (Unberücksichtigt bleibt dabei aber die Möglichkeit, dass uns verschiedene Phasen der Beziehung geschildert werden.) In II, 9b lässt sich diese Entscheidung aber nicht treffen. Mag man auch auf den ersten Blick zu der Vorstellung einer alteingesessenen Beziehung tendieren, ist eine mehr auf Hoffnungen und Begierden basierende Verbindung der beiden mindestens ebenso wahrscheinlich.
„Bald sage sie mir Liebesworte, bald überschütte sie mich mit Schmähungen.“[13]
Erneut ein Zeugnis der Unerschütterlichkeit des Liebenden. Die Puella erscheint unberechenbar; die Beziehung (welcher Art sie auch sein mag) ein Wechselbad der Gefühle – für sie, die sie ihm mal liebevoll zugeneigt, mal hartherzig abweisend gegenübersteht. Dem Protagonisten ist es, so hat es zumindest den Anschein, gleichgültig. Er liebt sie, egal was sie macht, beziehungsweise wie sie sich ihm gegenüber verhält.
„Oft möge ich ihre Nähe genießen, oft zurückgewiesen nach Hause gehen.“[14]
Die dritte und letzte Schilderung des Liebhabers, die das Verhältnis zu seinem Objekt der Begierde illustrieren. Die Aussage ist dieselbe, dass seine Liebe so groß sei, dass er neben den Höhen auch die Tiefen bereitwillig ertrage. In diesem Fall ist, analog formuliert zum vorherigen Satz, die Rede davon, dass er ebenso viele einsame Stunden erleiden muss, wie er mit ihr zusammen sein darf. Hieraus können wir schließen, dass die Puella wahrscheinlich in dem Haus eines anderen Mannes lebt, sei es als Ehefrau oder Hetäre. Dieser andere Begleiter wird in den Amores des Öfteren erwähnt, vorausgesetzt es handelt sich jeweils um ein und dieselbe Dame. Letzte Klarheit bezüglich ihrer Lebensumstände können wir nicht gewinnen.
„Daß Mars unzuverlässig ist, liegt an dir, Cupido, seinem Stiefsohn, und nach deinem Beispiel richtet sich dein Stiefvater bei seinen Kämpfen. Du bist leichtfertig und noch viel flatterhafter als deine Flügel, schenkst und verweigerst Freuden mit unfehlbarem Wankelmut.“[15]
Nach seinen Gedanken an die Puella spricht der Erzähler wieder den Liebesgott Cupido an, diesmal in klagender Form. Er wirft ihm indirekt vor, sein Leben nicht häufig genug zu beeinflussen, sprich die Dame(n) seines Herzens mit Pfeileskraft für ihn empfänglich zu machen. Da er zuvor ja schon davon berichtete, dass „Cupidos Hauch“ ihn stets zu seinem Mädchen zurückführe, müssen wir nun also annehmen, dass Cupido die Puella(e) nicht ebenso oft anhaucht. Somit bleibt dem Erzähler eben manche Freude versagt. Die „Flatterhaftigkeit“ Cupidos vergleicht er mit der Unzuverlässigkeit des Kriegsgottes Mars, der in der Mythologie der leibliche Vater des Liebesgottes ist. Stiefsohn und Stiefvater sind in diesem Zusammenhang lediglich Euphemismen. So wie Cupido also nach Aussage des Liebenden sich unwillkürlich die Opfer seiner Pfeilschüsse aussucht, so unberechenbar verhält sich Mars dabei, wem er seine Gunst im Kriege schenkt.
„Erhörst du aber meine Bitte, zusammen mit deiner schönen Mutter, so herrsche in meiner Brust, ohne sie je zu verlassen!“[16]
Die Zeit der Bilder ist vorbei, der Liebende spricht Cupido offen an. Es stellt sich allerdings die Frage, von welcher Bitte er spricht; ist es sein Gesuch, Cupido möge ihn mit Pfeilen treffen, so dass er stets verliebt sei, oder denkt er vielmehr an die Damenwelt, deren Aufmerksamkeit ihm mit Cupidos Hilfe zuteil werden soll? Nehmen wir ersteres an. Der Erzähler bittet Cupido also darum, ihn niemals aus seinem Bann zu befreien. Für immer möchte er Gefangener der Liebe sein, auch wenn es ihm, wie wir gesehen haben, nicht durchweg einfach gemacht wird. Erwägt man aber, dass seine Bitte auf das andere Geschlecht abzielen könnte, darf die Aussage als ein Handelsangebot gedeutet werden. Dafür, dass Cupido mit seinen Pfeilen auf die vom Liebenden begehrten Damen zielt, darf der Gott in dessen Brust herrschen, solange das Herz in ihr schlägt. Beiden Varianten ist gemein, dass in ihrer Intensität die Stimmung des Gedichtes gipfelt, die Intensität, die dem Erzähler eigen ist. Auch dadurch, dass er noch die Liebesgöttin Venus, zwar nicht namentlich, aber als Mutter des Cupido, erwähnt.
„Laß die Mädchen, die rastlos schweifende Schar, in dein Reich eintreten, so werden dich beide Geschlechter verehren.“[17]
Der Erzähler beendet die Anrufung des Liebesgottes mit einem Versprechen, das auch das Gedicht abschließt. In diesem Versprechen scheint nicht wenig Selbstüberzeugung zu liegen, seine Liebeskünste betreffend. Er bittet Cupido darum, sich der Damenwelt anzunehmen, sie zu Liebenden zu machen, dem Erzähler gleich. Das spricht nun dafür, dass dem vorigen Satz dieselbe Intention inne war, die zweite Variante unserer Überlegungen also. Entschieden sei die Frage damit aber nicht. Ferner festigt der Abschluss des Liedes auch die Vermutung, dass der Liebhaber sich nicht bloß auf eine Dame konzentrieren möchte. Zwar sprach er bis zu diesem Punkt nur von einer, nun wird der interessierte Blick aber auf eine ganze „Schar“ Mädchen geworfen.
Hat Cupido diese Mädchenschar dann in die Arme des Liebenden geleitet (denn darauf läuft es ja hinaus!), so dessen Versprechen weiter, werden sowohl sie als auch er selbst den Gott verehren. Sicherlich keine Überraschung, dass der Erzähler Cupido in einem solchen Szenario verehren würde, entspricht es doch voll und ganz seinen Wunschvorstellungen. Warum sollen aber auch die Frauen den Sohn der Venus verehren? Entweder sind sie von dem Können des Liebenden so beglückt, dass sie in seliger Preisung desjenigen Gottes, der ihnen dies Erlebnis bescherte, dahin schmelzen, oder sie sind dem Pfeil sei Dank in gleicher Verfassung wie ihr Liebhaber, sprich der Liebe nimmersatt und stets deren Vollziehung suchend. Wäre dem so, würde es dem Erzähler nicht mehr in gleicher Weise schmeicheln wie in ersterem Fall.
Die Unterscheidung liegt demnach in dem Cupido-Effekt. Der sorgt entweder einfach dafür, dass Frau und Erzähler zusammenfinden, oder er verwandelt die Puella in eine Liebestrunkene Sehnsüchtige. Letztlich spielt es wohl keine große Rolle; es bleibt festzuhalten, dass in dieser finalen Aussage der Wille zur Liebe abermals pointiert dargestellt wird und zum Schluss noch um die Sicht auf die Lage der Frauen erweitet wird. Nachdem der Liebende die ganze Zeit mit sich beschäftigt war, fügt er in einem Nebensatz noch beiläufig an, dass auch das andere Geschlecht zufrieden gestellt werden wird, macht damit also deutlich, dass die Lustempfindung nicht bloß für ihn bestimmt ist. Hier darf auch die Frage gestellt werden, weshalb er von der „rastlos schweifenden Schar“ spricht. Spielt das schon auf die Liebessehnsucht der Frauen an? Rastlos schweifend daher, da sie glücklos nach Liebeserfüllung suchen? Glücklos gar daher, da sie noch nicht in den Genuss kamen, den Erzähler zu treffen? Grundlos hat Ovid diese Formulierung gewiss nicht gewählt, er, der das Spiel zwischen und in den Zeilen meisterlich versteht.
Hälfte oder Ganzes?
Die Nummerierung des Gedichtes in unserer Ausgabe macht freilich klar, dass II, 9b nicht völlig eigenständig ist. (Inwieweit die einzelnen Gedichte der Amores für sich allgemein als eigenständig bezeichnet werden können, soll hier unbehandelt bleiben.) Es muss also einen Zusammenhang mit II, 9a geben. Worin dieser inhaltlich besteht und in welcher Weise sich das auf die Interpretation der beiden Werke ausüben mag, wollen wir nun untersuchen. Dazu erst ein Blick auf den Inhalt von II, 9a.
Der Erzähler spricht den Liebesgott Cupido an, bittet ihn darum, in Zukunft verschont zu werden. Nach seiner Bitte sinniert er darüber, dass unter anderen der „erschöpfte Krieger“ auf geschenktem Acker seinen Lebensabend verbringen darf, ein „ausgedientes Rennpferd“ ins Grüne entlassen und einem Gladiator, der das Schwert beiseite gelegt hat, schließlich die Ruhe der Sicherheit gewährt wird. So wäre es auch für ihn, der schon so oft den Minnedienst geleistet hat, an der Zeit, „frei von Gefahr in Frieden zu leben“.
Schon diese knappe Darstellung lässt unmissverständlich erkennen, dass die Aussage von II, 9a genau entgegengesetzt zu der von II, 9b ist. In a möchte der Erzähler von Cupido verschont bleiben, in b niemals von ihm verschont werden. Es wäre nur verständlich anzunehmen, dass es sich bei den beiden Erzählern nicht um die gleiche Person handelt. Schließlich haben sie ja unvereinbare Wünsche! Tatsächlich können wir anhand der Werke nicht beweisen, dass es in beiden Fällen der gleiche Erzähler ist. Einzige Gemeinsamkeit ist die minnereiche Vergangenheit. Als eine Gegenüberstellung zweier Männer mit ähnlichem Hintergrund, aber grundverschiedenen Zukunftsplänen könnte man die Gedichte also deuten; interessant wäre es. Behält man aber die Amores in ihrer Gesamtheit im Auge, muss klar sein, dass in beiden Gedichten derselbe Charakter auftritt. Wie ja bereits erwähnt, lässt Ovid seinen Erzähler beinah alle Stationen der Liebe durchlaufen. In dem Fall von II, 9 stellt er also zwei Grundhaltungen gegenüber. Beide Gedichte können voneinander unabhängig betrachtet werden, ergeben aber zusammen eine Paarung, die sich in dem erwähnten Gesamtkontext als solche hervorhebt, als Spiel von These und Antithese.
Könnte es aber auch sein, dass die beiden Gedichte von Ovid in Wahrheit als ein einziges gedacht sind? Die Forschung ist diesbezüglich gespalten.
Barbara Weinlich vertritt die Ansicht, dass II, 9a und II, 9b als eine Einheit betrachtet werden müssen, ohne Teilung. Sie stützt sich auf inhaltliche Aspekte:
„Zunächst verdient der Umstand Beachtung, daß Amores II, 9a und b eine gefühlsmäßige Entscheidung und deren Widerruf in Worte zu fassen versucht. Der Ovidische Liebhaber wird von zwei widerstreitenden Gefühlen heimgesucht: Sie herrschen beide in seiner Brust, einmal dominiert das eine, einmal das andere. In einer solchen Krisensituation werden Entschlüsse ebenso schnell gefaßt wie auch wieder verworfen.“[18]
Weinlich sieht den Erzähler nicht einfach in zwei unterschiedlichen Situationen, in denen er sich einmal gegen, einmal für die Liebe entscheidet. Sie deutet ihn in eine andere, übergeordnete Lage hinein. Ausgangssituation ist demnach, dass der Liebende in dem Dilemma steckt, wie es mit seinem Liebesleben weitergehen soll. In dieser Krise, wie Weinlich es nennt, ist er unfähig klar zu denken, so dass er seinen ersten Entschluss schließlich ins Gegenteil umkehrt. Diesen vertritt er dann ebenso energisch wie den vorigen. Für Weinlich ist dieser Umstand ein weiteres Indiz für die Einigkeit der Hälften:
„Diesem Umstand [der Krisensituation (Anm. des Verfassers)] trägt auch der Ton der Rede Rechnung: Sowohl die Abkehr, als auch das erneute Bekenntnis zur Liebe wirkt übertrieben und damit nicht überzeugend, sondern eher launisch. Auf der Basis dieser Überlegungen und unter Berücksichtigung der Überlieferungssituation erscheint es daher durchaus sinnvoll, Amores II, 9a und b als ein Gedicht zu betrachten.“[19]
Die von ihr angesprochene Überlieferungssituation bezieht sich darauf, dass II, 9 in den Handschriften nicht als geteiltes, sondern als ein Gedicht erhalten ist. Weinlich spricht sich zwar gegen die Teilung der Elegie aus, schlägt stattdessen aber eine andere Gliederung vor:
„Am Ende der Rede [des Erzählers in II, 9b (Anm. des Verfassers)] angelangt, kann man rückblickend eine Gliederung in drei Abschnitte erkennen: Der Absage an Cupido folgt mit V.19 beginnend eine Reflexion über das Gesagte. Sie wiederum wird ab V.35 von dem erneuten Bekenntnis zur Liebe abgelöst.“[20]
Diese Gliederung ist durchaus nachvollziehbar. Tatsächlich bilden die direkten Anreden an Cupido, im ersten Teil von a und im zweiten von b, eine Klammer. Ist das aber zwingender Beweis dafür, dass die zwei Gedichte vereint gehören? Weinlich scheint dem übergangslosen Wechsel der Ansichten nicht genügend Rechnung zu tragen. Versucht man a und b zusammenhängend zu lesen, wird man an dieser Stelle, sprich V.25, unweigerlich zu Fall gebracht. Zu abrupt der Neuanfang, zu unbeholfen der Griff zum Effekt. Gerade der überschwängliche Ton, für Weinlich ein weiterer Beleg ihrer These, bietet wohl Anlass zur Distanznahme von allzu großer Ernsthaftigkeit, rückt eine direkte Zusammengehörigkeit der Gedichte aber eher in die niederen Gefilde des Klamauks. Weniger an eine Gefühlskrise möchte man in diesem Fall denken, als an eine grell überzeichnete Komödie. Außen vor bleibt bei all diesen Überlegungen, dass Ovid seinen Amores tatsächlich viel Komik verlieh. Diese entfaltet sich bei II, 9 am besten, wenn die beiden Teile getrennt gelesen, aber als Paarung wahrgenommen werden. Dann schmunzelt man ob der gegensätzlichen Pole, die hier gegenübergestellt werden. Versucht man sie zu vereinen, nimmt man beiden die Würze. Es mag eingewandt werden, dass, abhängig von Teilung oder nicht, ein unterschiedliches Fazit gezogen werden muss. Handelt es sich um eine einzelne Elegie, ist die Entscheidung des Liebenden klar; es ist diejenige, die am Ende steht. Wenn man sie aber trennt, hat man dann zwei gleichwertige Entscheidungen, die jeweils etwa für einen eigenen Lebensabschnitt gelten, oder gar doch für zwei unterschiedliche Erzähler? Womöglich wieder zurück zur These, dass zwei grundverschiedene Männer dargestellt werden? Letzte Wahrheit wollen wir aus Respekt vor der mannigfaltigen Deutbarkeit der Kunst nicht beanspruchen, plädieren aber doch für den einen Liebenden, dessen endgültige Entscheidung einfach dadurch gekennzeichnet wird, dass sie am Schlusse der Paarung (und nicht Einheit) steht.
Da die Forschung wie bereits erwähnt uneins ist in dieser Frage, sollte mit Barbara Weinlich nur eine Position herausgegriffen und kommentiert, beziehungsweise mit einer eigenen Meinung kontrastiert werden.
Das Fazit
Essenz des Liedes II, 9b ist die bedingungslose Hingabe an die Liebe, die dank ihres kapitulierenden Tones nicht hoffnungslos romantisch, sondern absurd überdreht anmutet. Das stete Streben des Amores-Liebhabers gipfelt hier in euphorischen Ausrufen; somit stellt das Werk einen inhaltlichen Höhepunkt der Elegiensammlung dar, eine Ballung des Gefühls. Gleichzeitig ist ihm mit II, 9a eine Negation vorgeschoben, welche II, 9b zunächst relativiert, letztendlich aber überwunden wird.
Literatur
- P. Ovidius Naso: Amores Liebesgedichte, Hrsg. Michael von Albrecht, Reclam 1997
- Barbara Weinlich: Ovids Amores Gedichtfolge und Handlungsablauf, in Beiträge zur Altertumskunde, Hrsg. Michael Erler, Ernst Heitsch u.a., 1999
- Der Kleine Pauly, Hrsg. K. Ziegler, W. Sontheimer, H. Gärtner, Stuttgart 1964
[...]
[1] Ovid: Amores II, 9b, V.25-26
[2] Ebd. V.27-28
[3] Ebd. I, 3, V.19-26
[4] Ebd. II, 9b, V.29-34
[5] Ebd. I, 1, V.3, V.26
[6] Ebd. II, 9b, V.35-38
[7] Ebd. I, 2 V.19-20
[8] Ebd. V.21-22
[9] Ebd. V.10
[10] Ebd. II 9,b, V.39-40
[11] Ebd. V.41-42
[12] Ebd. V.43-44
[13] Ebd. V.45
[14] Ebd. V.46
[15] Ebd. V.47-50
[16] Ebd. V.51-52
[17] Ebd. V.53-54
[18]
[19]
[20]
- Quote paper
- Arndt Mauer (Author), 2004, Gedichtanalyse Amores II, 9b, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110173
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