Gliederung
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Zum Drogenkonsum von Jugendlichen
2. Drogenkulturen
2.1 Zum Begriff der "Drogenkultur"
2.2 Cannabis
2.3 Ecstasy und Designerdrogen
2.4 Kokain
2.5 Opiate
2.5.2 Der Morphinist
2.5.2 Der Fixer
2.6. Alkohol
3. Drogenkarrieren
3.1 Zum Begriff der "Drogenkarriere"
3.2 Die Drogenkarriere aus der Innenperspektive
3.2 Die Drogenkarriere aus der Außenperspektive
3.2.1 Vom Alkohol zum Heroin: Eine Verelendungssequenz
3.2.1.1 Beispiele für Verelendungskarrieren
3.2.2 Die "Trinkerkarriere"
3.2.3 Weitere Karrieremodelle
III. Schlussteil
IV. Literaturverzeichnis
1. Aufsätze/Studien
2. Bücher
I. Einleitung
"Eine neue Drogenwelle bedroht die deutschen Schulen: Immer mehr Jugendliche und sogar Kinder rauchen Cannabis – bis zum Totalabsturz"[1] titelt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in einer kürzlich erschienenen Ausgabe. Danach haben 23 % der 15-jährigen schon Erfahrungen mit Cannabis gemacht, 11 % von ihnen kiffen sogar regelmäßig. Auch der Alkohol-Konsum von Jugendlichen ist erheblich gestiegen: 50 % der 14-jährigen wissen bereits aus eigener Erfahrung, wie sich ein Vollrausch anfühlt.[2]
Diese Zahlen machen einmal mehr deutlich, dass Drogenkonsum bei Heranwachsenden ein weit verbreitetes Phänomen ist. Auffällig ist dabei, dass der Einstieg in die legale und illegale Drogen-Szene in einem immer jüngeren Alter erfolgt. Dies lässt eine düstere Zukunftsprognose zu, denn je früher ein Jugendlicher zu Bier oder Joint greift, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass später auch andere Rauschgifte ausprobiert werden.[3]
Welcher Typ Jugendlicher in seinem Leben welche Drogen nimmt und welcher Drogen-Szene er damit zugehörig ist, soll Thema der "Drogenkulturen" im ersten Teil der Seminararbeit sein. Aus welcher sozialen Schicht kommen beispielsweise diejenigen, die sich jedes Wochenende eine "Pille schmeißen"? Wer ist der typische Kokain-Konsument? Und was macht einen Heranwachsenden aus, der Heroin nimmt und möglicherweise eine schwere Abhängigkeit entwickelt?
Für die Analyse sollen einzelne Drogenkulturen aufgezählt und ihre Szenemitglieder beleuchtet werden. Im Mittelpunkt stehen dabei Cannabis, Designerdrogen, Kokain, Heroin und Alkohol. Auf die einzelnen Gründe für den Drogenkonsum sowie auf die damit oft verbundenen Beschaffungsdelikte kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden.
Dem Aspekt der "Drogenkarriere" widmet sich Teil Zwei dieser Arbeit: In gewissen Fällen bleibt es nicht bei wöchentlichen Alkoholexzessen oder dem gelegentlichen Konsum von Marihuana oder Haschisch. Der Cannabis-Konsum wird intensiviert und irgendwann gehört ein Joint zum Wochenende einfach dazu oder wird sogar unabdingbarer Bestandteil des Alltags. Zuweilen wird zusätzlich eine harte Droge, wie beispielsweise Ecstasy, Halluzinogene oder Kokain probiert und bei positiver Wirkung ebenfalls in die Alltäglichkeit übernommen. Eine Veränderung des Drogenkonsums durch Intensivierung oder Umsteigen auf härtere Rauschmittel lässt den Verlauf einer "klassischen Drogenkarriere" anmuten. Aber was ist unter diesem Begriff genau zu verstehen? Wie unterschiedlich können Suchtkarrieren aussehen?
Bei der Analyse von "Drogenkulturen" und "Drogenkarrieren" sollen folgende Leitgedanken durch die Seminararbeit führen:
Ist es überhaupt möglich, die verschiedenen Drogenkulturen und Drogenkarrieren auseinander zu dividieren und isoliert nebeneinander zu stellen? Kann man beispielsweise von der Ecstasy- oder der Kokain-Kultur beziehungsweise der "klassischen Drogenkarriere" sprechen?
II. Hauptteil
1. Zum Drogenkonsum von Jugendlichen
Die meisten legalen und illegalen Drogen werden im Jugendalter ausprobiert.[4] In der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind Drogen solche Substanzen, die unmittelbar auf das Zentralnervensystem wirken, also eine psychoaktive Wirkung haben. Sie verändern die Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus, wobei diese Veränderungen insbesondere die Sinnesempfindungen, die Stimmungslage, das Bewusstsein oder auch das Verhalten betreffen. Genau genommen umfasst diese Definition Opiate, Cannabis, Kokain und Ecstasy ebenso wie Alkohol, Kaffee, Tabak und viele Medikamente oder auch (psychoaktive) Gewürze (z.B. Muskat oder Petersilie).[5]
Der Gebrauch von illegalen Drogen ist für die Mehrheit der Konsumenten ein "vorübergehendes Probierstadium im Prozess des Erwachsenwerdens"[6]. Er gehört zur jugendlichen Normalität, weil er zum Erfahrungsbereich junger Menschen gehört.[7] Nach einer kurzen Experimentierphase wird beispielsweise der Konsum von Cannabis von vielen wieder aufgegeben. Nur wenige gehen über den gelegentlichen Gebrauch hinaus oder steigen auf härtere Drogen um.[8]
Das Phänomen der hohen Drogenaffinität im Jugendalter hat vier hauptsächliche Gründe: Zum einen ist das Ausprobieren ein "Entwicklungsschritt". In der Pubertät werden neue Rollen gegenüber Eltern und Freunden ausprobiert und Drogen gehören auch dazu. Die zweite Ursache liegt in der gesteigerten Autonomie im Freizeitbereich, die Jugendlichen in diesem Alter zugestanden wird. Drittens haben Heranwachsende noch keine großen Verpflichtungen zu erfüllen oder Verantwortungen für andere zu tragen. Der vierte Grund für eine Nutzung psychoaktiver Substanzen ist die Vielzahl der für sich selbst zu überwältigenden neuen Aufgaben, die mit der eigenen Entwicklung zusammenhängen. Besonders in Belastungssituationen wirken Drogen dann verlockend.[9]
Die Jugend ist ferner eine Phase zunehmender Orientierungslosigkeit, in der viele Heranwachsende sich vom Elternhaus lösen und Zuflucht in neuen Bezugsgruppen suchen. Sie bieten scheinbaren Eratz und Geborgenheit – so auch die Drogen-Szene.[10] Mit der Abnabelung von Eltern und Familie geht eine engere Bindung an den Freundeskreis einher. Weil sich der einzelne den Anforderungen der Clique oft nicht entziehen kann, besteht ein starker Gruppendruck.[11] In dieser Hinsicht können Freundeskreise also als "Gefahrenquelle"[12] gedeutet werden.
Vereinzelt intensivieren die Heranwachsenden ihren Konsum oder kombinieren ihn mit anderen Drogen. Ist die Drogennutzung so weit fortgeschritten, dass der Jugendliche seine alltäglichen Entwicklungsaufgaben nicht mehr ohne die jeweilige psychoaktive Substanz bewältigen kann, liegt eine Abhängigkeit beziehungsweise Sucht vor. Genau bezeichnen beide Begriffe das "krankhafte und zwanghafte Verlangen nach der psychoaktiven Substanz"[13].
2. Drogenkulturen
2.1 Zum Begriff der "Drogenkultur"
Die Bezeichnung "Drogenkultur" ist nicht eindeutig definiert, es lassen sich somit verschiedene Deutungen herleiten. Zum Einen könnte damit eine Pflanzenkultur beschrieben sein, wie beispielsweise bei der Droge Cannabis. Darüber hinaus könnte die Bezeichnung auf historische Völker zielen, deren Kulturbestandteil es war, Drogen zu konsumieren. Als Beispiel wären hier die Indianerstämme aus Ecuador anzuführen, die bereits 3000 v. Chr. Koka konsumierten, um ihre Leistungskraft zu steigern.[14]
Ferner, und diese Auslegung soll Grundlage der kommenden Untersuchungen sein, kann mit einer "Drogenkultur" eine Subkultur gemeint sein, in der eine Beziehung zu Drogen besteht. Als Subkultur definiert sich dabei "ein Teil einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesellschaft unterscheidet"[15]. Unterscheidende Merkmale der Subkultur als Teilkultur sind dabei Aufenthaltsorte, Habitus, Einstellungen und Verhaltensmuster.[16] Jede Subkultur hat darüber hinaus ihren Sprachjargon und das trifft auch auf die einzelnen Drogen-Szenen zu: Aus Marihuana wird "Shit", aus Haschisch "Gras" und aus LSD "Trips" beziehungsweise "Acid".[17] Die Szene-Namen der einzelnen Rauschmittel können regional allerdings stark variieren.[18]
Eine Subkultur darf nicht als vollkommen isoliert betrachtet werden. Bei ihren Mitgliedern findet gewöhnlich eine ständige Auseinandersetzung mit der herrschenden Kultur statt.[19] Inwiefern dies auch auf Drogenkulturen zutrifft, wird im Folgenden analysiert. Die verschiedenen Zusammensetzungen der Subkulturen in der Drogen-Szene sollen dabei im Mittelpunkt stehen, die einzelnen Drogenarten dienen als Ausgangsbasis der Untersuchung. Aufgrund mangelnder Relevanz erfolgt keine systematische Unterteilung von legalen und illegalen Drogen.
2.2 Cannabis
Die in Deutschland am häufigsten konsumierte illegale Droge ist Cannabis. Dabei muss der Vollständigkeit halber zwischen dem stärkeren Haschisch aus dem Harz der Hanfpflanze und Marihuana aus den Blütenständen und Blättern des Hanfs unterschieden werden. Haschisch und Marihuana werden in der Regel geraucht, vereinzelt aber auch pur eingenommen.[20]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1[21]:Lifetime-Prävalenz für Cannabis in Altersgruppen: West- und Ostdeutschland 1990-1995
Cannabis wird zunehmend von jungen Menschen konsumiert und gilt als die eigentliche "Subkultur-Droge"[22]. Besonders in Ostdeutschland zeigen sich bei der Gruppe der 21-24-jährigen mehr als eine Vervierfachung der Lifetime-Prävalenz zwischen 1992 und 1995 (Abb.1). Bei den 18-20-jährigen hat die Cannabiserfahrung bereits das Niveau der westdeutschen Vergleichsgruppe erreicht. Diese im Osten stark gestiegenen Prävalenzraten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum stehen einer relativ geringen Prävalenz bei den über 25-jährigen gegenüber.[23] Drogenerfahrung wird folglich in jüngeren Jahren gemacht.
Den ersten Joint rauchen Jugendliche mit durchschnittlich 17 Jahren. Bei vielen Haschisch- beziehungsweise Marihuana-Konsumenten tritt eine zunächst gehobene Stimmung und ein Gefühl der Entspannung und des Wohlbefindens auf.[24] Allerdings stellen auch hier die meisten Probierer den Konsum der Droge relativ schnell und spontan wieder ein.[25]
Besonders weibliche Jugendliche haben kürzere, weniger exzessive Cannabiserfahrungen. Generell scheinen Mädchen und Frauen wesentlich seltener zu kiffen als ihre männlichen Altersgenossen. 1995 lag die Lifetime-Prävalenz bei Männern im Westen bei 27,0 %, im Osten bei 10,4 %. Dagegen gaben nur 12,8 % beziehungsweise 4,7 % der Frauen an, bereits Cannabiserfahrung zu haben.[26]
Generell stammen Cannabis-Konsumenten aus mittleren und gehobenen Bildungs- und Sozialschichten. Dabei spielt es keine Rolle, ob zwischen Gelegenheits-, Individual-, Freizeit- oder Dauerkonsum[27] unterschieden wird: Gymnasiasten und Realschüler konsumieren deutlich häufiger als Hauptschüler oder Schulabbrecher.[28]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2[29]: Schulausbildung und Konsumtypen-Zugehörigkeit
Generell variiert das Konsumverhalten in der Cannabis-Szene beträchtlich: Studenten, die jeden Abend eine "Tüte drehen" und sich damit dem Trend der "illegalen Alltagsdrogen"[30] anschließen, sind nicht direkt mit bereits berufstätigen Konsumenten zu vergleichen, die lediglich am Wochenende Haschisch beziehungsweise Marihuana rauchen. Eine relativ neue Gruppe in der Cannabis-Szene sind Schulkinder.[31] Die immer weiter verbreitete Annahme, dass Cannabis keine gefährliche Droge[32] und Gesundheit und Cannabis-Konsum "durchaus vereinbar"[33] seien, hat sich anscheinend auf dem Schulhof herumgesprochen. Unter den 15-jährigen sollen bereits elf Prozent regelmäßig kiffen. Dabei bleibt es nicht nur beim "Joint für die große Pause"[34]. Mit diversen Hilfsmitteln wie "Bong" oder "Blubber" wird das "Powermarihuana", das eine besonders hohe Konzentration an THC aufweist, auf schnellstem Wege dorthin inhaliert, wo es wirkt.[35]
Schülerbefragungen aus Münster beziehungsweise Duisburg zeigen ähnliche Zahlen, wenn auch weniger differenziert: Danach steigt die Anzahl derjenigen, die bereits Drogen konsumiert haben, mit jedem Schuljahr an. In der neunten Klasse beläuft sich der Anteil derer, die mindestens fünf Mal im Jahr Drogen nehmen, auf 17[36] beziehungsweise 12 %.[37] Ob es bei diesen fünf Mal jährlich bleibt oder aber täglich gekifft wird, ist hier nicht ersichtlich.
Viele regelmäßige Cannabis-Konsumenten haben bereits Erfahrungen mit anderen, teilweise härteren Drogen gemacht. Diese Cannabis-Nutzer ragen also auch in andere Drogenkulturen mit hinein. Beispielsweise finden sich die höchsten Prävalenzwerte für Cannabis dort, wo man eigentlich aufputschende Drogen erwarten würde: in der Techno-Szene. Etwa zwei Drittel der Besucher von Techno-Veranstaltungen und Techno-Clubs hat bereist Erfahrungen mit Cannabis gemacht.[38] Darüber hinaus besteht ein enger Zusammenhang zwischen Cannabis- und Alkoholgebrauch. In der Cannabis-Studie von Kleiber und Soellner, in der 1337 Cannabis-Konsumenten zu ihrem Konsumverhalten befragt wurden, gaben 8,6 % an, im vergangenen Jahr täglich Alkohol getrunken zu haben.[39] Das Verhältnis von Cannabis-Konsumenten zu Fixern ist dagegen deutlich distanziert. Sie stehen den Heroin-Konsumenten "different bis negativ"[40] gegenüber. Von den "Klappergestängen" hält man sich lieber fern.[41]
Der Konsum von Cannabis ist folglich "intra- und interindividuell hoch variabel"[42]. Mal fällt er intensiver aus, mal werden zusätzlich andere Rauschmittel genommen. Darüber hinaus reicht das Spektrum der Konsumenten vom Schüler bis zum Berufstätigen. Von einer homogenen Gruppe von "Kiffern" kann folglich nicht die Rede sein.
2.3 Ecstasy und Designerdrogen
Weil die chemische Struktur von Ecstasy und seinen Derivaten mit den jeweils erwünschten Wirkungseigenschaften "gewissermaßen am Reißbrett entworfen"[43] worden ist, werden sie "Designerdrogen" genannt. Ecstasy als populärste unter ihnen, ist originär der Markenname der chemischen Substanz Methylen-Dioxy-Meth-Amphetamin, kurz MDMA.[44]
Für die Produktion von Ecstasy-Pillen wird das ursprünglich weiße Pulver meist zu runden Tabletten gepresst oder in Gelatinekapseln abgefüllt. Die Kosten für eine Pille betragen etwa fünf bis 25 Euro.[45] Mit der Einnahme von Ecstasy wird eine sozialisierende Wirkung erzielt: Erfahrungen scheinen intensiver, Hemmschwellen nehmen ab, es entsteht das Bedürfnis nach sozialem Kontakt. Kurzum fördert Ecstasy "die Selbstakzeptanz und das Selbstwertgefühl der Anwender"[46].
Der Einstieg in den Konsum von Designerdrogen beginnt bereits deutlich vor dem 16. Lebensjahr. Die Intensität des Gebrauchs variiert stark in Abhängigkeit vom Alter und den bisherigen Konsumerfahrungen. Typischerweise wird Ecstasy ein bis drei Mal im Monat genommen und das vorwiegend am Wochenende.[47] Ein Großteil der Ecstasy-Konsumenten besitzt Abitur oder mittlere Reife beziehungsweise befindet sich in einer Lehre oder ist bereits berufstätig. Dem Konsum von Designerdrogen verfällt folglich nicht nur der partysüchtige Teenager, es ist auch die Droge "der Arzthelferin und der Verkäuferin in einer Modeboutique"[48]. In der "Info-Line"-Studie, bei der 246 Jugendliche und junge Erwachsene mit Ecstasy-Erfahrung zu ihrem Drogenkonsum befragt wurden, gaben 38,3 % an, noch bei den Eltern zu wohnen. 34,1 % lebt dagegen allein.[49]
Wenn das erste Mal zur Droge gegriffen wird, erfolgt dies meist durch die Motivation von bereits konsumierenden Freunden.[50] Darüber hinaus ist der Gebrauch von Ecstasy eng an bestimmte "Locations" gebunden. Dabei ist die Technobewegung, die sich vor allem in der Party- und Tanzkultur entfaltet hat, "der Trendsetter für den Ecstasy-Gebrauch in der öffentlichen Sphäre"[51]. Im Rahmen von Technoparties dient Ecstasy neben Musik, Ambiente und Licht der Schaffung einer "Parallelwelt". Die Ergebnisse der "Info-Line" bestätigen dies. Vom Erstkonsum bis zum letzten Ecstasy-Gebrauch blieb der Konsum bei mehr als 60 % der Befragten stark an Orte der Techno-Kultur gebunden. Etwa 20 % konsumierten auch zuhause.[52]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3[53]: Lokaler Kontext des Ecstasy-Konsums
Die Freizeit- und Partykultur bei Ecstasy-Konsumenten spiegelt sich in den verschiedenen Ausführungen der Ecstasy-Pillen wieder: Sie sind in den unterschiedlichsten Farben sowie mit Prägungen, Symbolen und Schriftzügen erhältlich.[54]
Genau wie Cannabis fällt auch Ecstasy unter den so genannten "Light Trend"[55], den Ausdruck "jugendlichen Zeitgeistes"[56] und die "illegalen Alltagsdrogen"[57]. Angeblich wurde der Öffentlichkeit mit Ecstasy deutlich gemacht, dass Drogen nicht gleich mit Verelendung gleichzusetzen sind, da "der typische Ecstasy-Konsument etwa 20 Jahre alt ist, in festen sozialen Bindungen lebt oder studiert und gesellschaftlich akzeptiert ist"[58].
Entsprechend einer Kombination aus aktueller Konsumhäufigkeit und Konsumintensität lassen sich "harte" und "weiche" Konsummuster von Ecstasy unterscheiden. Wer an maximal vier Tagen pro Monat Ecstasy konsumuniert und dabei maximal eine Pille pro Nacht nimmt, fällt in das "weiche" Muster. Wer dies übersteigt, also mindestens fünf Mal pro Monat Designerdrogen nimmt und dabei nächtlich mehr als eine Pille, gehört in die "harte" Kategorie.[59]
Generell weisen Ecstasy-Konsumenten eine höhere Affinität zu (illegalen) Drogen auf.[60] Somit ist es nicht verwunderlicher, dass singulärer Ecstasy-Konsum relativ selten vorkommt. Szene-Beobachtungen im Großraum Münster haben ergeben, dass zunehmend ein Mischkonsum aus Alkohol, Nikotin, Speed, Cannabis und Kokain vorliegt. Dabei nimmt Ecstasy nicht die Funktion einer Umstiegsdroge ein, sondern ist eine Droge unter anderen, mit der experimentiert wird.[61]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(n=114)
Abb.4[62]: Aktueller Konsum anderer Substanzen in Abhängigkeit vom Ecstasy-Konsummuster
In Abbildung 1 fällt auf, dass die "weichen" Ecstasy-Konsumenten ihren Konsum hauptsächlich mit "weichen" Drogen, also Alkohol und Cannabis koppeln, während die Jugendlichen des "harten" Konsummusters zusätzlich zum Ecstasy Halluzinogene, Kokain und Speed einnehmen.[63]
In manchen Fällen werden die Substanzen miteinander kombiniert und gleichzeitig eingenommen. Andere Konsumenten beginnen den Abend mit einer Substanz, nehmen später noch eine und beenden die Nacht mit einer dritten. Die Abfolge ist häufig Ecstasy – Speed – Cannabis.[64]
Aufgrund der hohen Drogenaffinität von Ecstasy-Nutzern zu anderen Rauschmitteln ist diese Drogenkultur nicht komplett von anderen Drogenkulturen abzugrenzen. Sie unterscheiden sich folglich keineswegs grundsätzlich von Jugendlichen, die andere illegale Substanzen nehmen: "Es zeigen sich weder besondere Konsummotive, noch stammen sie aus anderen Familien oder Schichten, noch weisen derzeit Mädchen [...] übermäßig häufig Konsumerfahrung auf."[65] Darüber hinaus zeigen sich die meisten Ecstasy-Nutzer sozial integriert, fallen also auch gegenüber drogenabstinenten Altersgenossen nicht übermäßig auf.
2.4 Kokain
Kokain ist der Hauptinhaltsstoff der Koka-Blätter, deren Sträucher vor allem an den Osthängen der Anden gedeihen. Auf welche Weise die Droge im menschlichen Körper zur Wirkung kommt, ist noch nicht restlos geklärt.[66]
Das weiße Pulver wird meist geschnupft, seltener gespritzt, und hat allgemein eine anregende Wirkung. Es macht wach und steht in dem Ruf, die künstlerische Kreativität zu fördern.[67]
Anfänglich wirkt es antriebs- und leistungssteigernd, kontaktfördernd und anregend. Es beflügelt die Sexualität und lässt Kummer und Sorgen vergessen. Kokain vereinigt damit die Wirkungen, die "dem Menschen des technischen Zeitalters sehr willkommen sein müssen"[68]. Weil Kokain so gut in das Spektrum einer leistungsorientierten Gesellschaft passt, gilt es auch als "eine typisch amerikanische Droge"[69].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.4[70]:Positive Effekte des Kokainkonsums
Ende der 70er Jahre begann sich die deutsche Musik- und Film-Szene dem Trend aus den USA anzupassen und Kokain zu konsumieren. Seitdem nimmt der Gebrauch der Droge in Deutschland kontinuierlich zu.[71]
Der Konsum von Kokain in der Bevölkerung ist dabei weniger ein jugendliches Phänomen. Die höchsten Prävalenzraten von zwei bis drei Prozent finden sich hier eher unter jungen Erwachsenen zwischen 20 und 30 Jahren. Entsprechend hoch ist das Einstiegsalter beim Erstkonsum: Mit 18,3 Jahren im Westen und 17,0 Jahren im Osten liegt es im Vergleich aller illegaler Drogen mit am höchsten. In der Techno-Szene dagegen, wo wie bereits gezeigt ein multipler Drogenkonsum herrscht, befinden sich viele junge Leute, die bereits Kokain konsumiert haben. Der Gebrauch ist dort ähnlich weit verbreitet wie der von Halluzinogenen.[72]
Wegen seines hohen Preises bezeichnet man Kokain auch als "das Suchtmittel der Reichen"[73]. Tatsächlich wird Kokain überwiegend von den oberen sozialen Schichten konsumiert. Sie fallen aber weniger auf, weil sie ihren Drogenkonsum besser tarnen können als beispielsweise Heroin-Konsumenten aus der Mittel- oder Unterschicht. Auch der Verkauf von Kokain findet vornehmlich im privaten Bereich statt.[74]
Dass Kokain vor allem eine Droge der Kreativen, Intellektuellen und Prominenten ist, liegt aber nicht nur am Preis oder an seiner Geschichte. Es lässt sich auch neurophysiologisch erklären, "warum die Denk-Elite vorneweg kokst"[75]. Jemand, der es in sich hat, aber nicht so richtig zur Geltung bringen kann, kann mit einer Prise der "Großstadtdroge"[76] das Maximale aus seinen geistigen Möglichkeiten herausholen. Dazu muss der Konsument allerdings die richtige Mischung aus Selbstverliebtheit und intellektuellem Potential besitzen, um sich mit Kokain erfolgreich in einen Selbstdarsteller zu verwandeln.[77]
Die bundesdeutsche Kokain-Szene ist dennoch vielschichtiger als bisher angenommen. Nicht nur Künstler, die "Schickeria" und gut betuchte Geschäftsleute nehmen Kokain, sondern auch Arbeiter und Angestellte. Darüber hinaus wird die Droge verstärkt im Prostituierten- und Zuhältermilieu konsumiert.[78] Eine Typologie von Kokain-Konsumenten, die sich hier anbietet, ist folgende: "Bussi-Bussi"-Society, Schüler und Studenten, Heroin-KonsumentInnen, Prostituierte und Zuhälter sowie Angehörige ethnischer Minderheiten.[79]
An dieser Stelle sei auch kurz das Kokainderivat "Crack", eine Mischung aus Kokain und kohlensaurem Natron, erwähnt. Crack wird in speziellen Pfeifen geraucht, wirkt extrem schnell und führt zu einem überwältigenden High-Gefühl. Das Suchtpotential liegt weitaus höher als bei reinem Kokain.[80] In Deutschland ist sie nicht so weit verbreitet wie in den USA, wo sie als "Ghettodroge" beziehungsweise "Rauschdroge der sozialen Unterschicht" gehandelt wird.[81]
Mehrheitlich kreativ, intellektuell und relativ gut situiert: Die typischen Kokain-Konsumente lassen sich genauer eingrenzen, als beispielsweise die Ecstasy- oder Cannabis-Nutzer. Dennoch kann auch hier nicht von der Subkultur der Kokain-Konsumenten die Rede sein, da beispielsweise auch in anderen Milieus Kokain konsumiert wird, die sich von der Elitengemeinschaft weitgehend unterscheiden.
2.5 Opiate
Schon im alten Ägypten wusste man um die Wirkung des Schlafmohns beziehungsweise um die Inhaltsstoffe seiner Frucht. Wird die unreife Fruchtkapsel eingeritzt, tritt ein dicker Saft aus, das Rohopium. Es enthält eine Fülle opiumähnlicher Stoffe, darunter auch Morphium. Aus Morphium kann mit einem einfach chemischen Vorgang Heroin hergestellt werden. Beide Stoffe unterscheiden sich chemisch nur wenig voneinander, aber Heroin entfaltet eine fünf- bis zehnfache höhere schmerzstillende Wirkung. Darüber hinaus ist auch seine suchterzeugende Wirkung stärker ausgeprägt.[82] Die Drogenkulturen zu Heroin und Morphium sollen im folgenden einzeln untersucht werden, wobei der Schwerpunkt auf Heroin liegen soll.
2.5.2 Der Morphinist
Das Bild des klassischen Morphinisten unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem eines Fixers. Morphium-Süchtige waren oder sind Angehörige von Medizinalberufen wie beispielsweise Ärzte, Krankenschwestern, Apotheker. Drogenkonsum und eventuell anschließende Abhängigkeit setzen damit in der Regel erst im Erwachsenenalter ein.
Die Person besitzt meist eine ausgeformte Persönlichkeit, lebt sozial integriert, hat oft sogar schon eine eigene Familie. Die Theorie des Gruppendrucks als Auslöser für den ersten Drogengebrauch kann hier nicht gelten: Der Betroffene wird zumeist durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen, nimmt die Droge das erste und die darauffolgenden Male allein ein. Er versucht nicht, seinen Bekanntenkreis mit in den Drogenkonsum mithinzubeziehen, sondern hält seine Abhängigkeit geheim. Der Drogenumgang ist vergleichsweise diszipliniert, es wird nur steriles Injektionsbesteck verwendet.
Der Morphinist beschränkt sich generell auf eine Drogenart.[83] Dabei gelingt es ihm meist, seinen Beruf weiterhin auszuüben, "ohne sozial abzugleiten oder gar in ein kriminelles Milieu zu geraten"[84]. Dies liegt auch unter anderem daran, dass sich Beschaffungsdelikte nur auf Unregelmäßigkeiten im Umgang mit griffbereiten Drogen oder Verschreibungen beziehen. Der Drogenumgang wird in der Regel in einem erträglichen Maße gehalten, der Erfolg eines Ausstiegs ist damit relativ hoch.[85]
2.5.2 Der Fixer
Beim Spritzen von Heroin in die Vene kommt es zu einem Rauschzustand, der von den Konsumenten als "Kick", als unübertreffbare Hochstimmung, Erlebnisfülle und Glücksgefühl beschrieben wird. Innerhalb weniger Minuten klingt er ab und endet in einem Zustand wohliger Beruhigung.[86]
Dem ersten Schuss geht in der Regel ein Gebrauch von weichen Drogen, zumeist Cannabis, voraus.[87] Spätere Fixer rauchen ihren ersten Joint dabei mit durchschnittlich 15 Jahren, also rund zwei Jahre früher als ihre Altersgenossen. Heroin wird dann das erste Mal mit 18-19 Jahren genommen.[88] Rund drei bis vier Prozent aller jugendlichen Konsumenten von illegalen Drogen werden auch injizieren.[89] Dabei ist das Hauptmotiv fürs erste Fixen, wie beim ersten Konsum einer illegalen Droge überhaupt, meist Neugier.[90] Eine Studie, in der rund 100 Fixer zu ihrem Drogenkonsum befragt wurden, ergab, dass bei Heranwachsenden aus der Arbeiterschicht der Übergang von weichen zu harten Drogen wahrscheinlicher ist, als bei Jugendlichen aus anderen sozialen Schichten.[91]
Darüber hinaus bestätigte sich die These des "broken home": Ein Großteil der befragten Fixer hatte bereits vor dem ersten Drogenkonsum keine intakte Familie mehr. Familiäre Streits und Auseinandersetzungen gab es nur wenig, den Jugendlichen wurde sogar viel Freiraum gelassen – allerdings herrschten oft "Störungen subtiler Art"[92]. Aufgrund fehlender häuslicher Kontrolle und kaum familiärer Freizeitaktivitäten setzte bei den Jugendlichen sehr frühzeitig eine Außenorientierung ein.[93]
Der Großteil der Fixern ist männlich.[94] Die Schulbildung wird meist mit einem Hauptschulabschluss beendet, Personen mit mittlerer Reife oder Abitur machten zwischen 22 und 28 Prozent aus. Im Vergleich mit altersgleichen Jugendlichen weichen die befragten Fixer damit nach unten ab und bringen außerdem eine hohe Abbrecherquote zu Tage. Auch im Ausbildungssystem sind sie unterdurchschnittlich gut platziert. Nur ein Viertel der Befragten hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung.[95]
Natürlich muss der Vollständigkeit halber darauf geachtet werden, ob es sich um sporadische Heroin-Konsumenten oder wirklich abhängige Fixer handelt. Wer es schafft, seinen Heroingebrauch auf einem niedrigen Level zu halten, ist unter Umständen auch noch fähig, sich in anderen Szenen und Subkulturen aufzuhalten und integriert zu zeigen. Wer sich hingegen nur noch "von Spritze zu Spritze"[96] schleppt und seine ganze Existenz auf die Beschaffung und den Konsum von Heroin auslegen muss, hat weniger Chancen auf Kontakte zu anderen Subkulturen. Diejenigen, die bereits "Fixer von Beruf" sind, stellen demnach eine besonders exklusive Gruppe dar.
Zwar gibt es je nach Intensität und Abhängigkeitsgrad vom Heroin Variationen, generell präsentieren sich die Konsumenten jedoch als eine relativ geschlossene Gemeinschaft. Je größer die Abhängigkeit und je größer damit die Bindung an das Rauschmittel, desto mehr wird der Konsument auch an die bestimmte Subkultur, an die Drogenkultur der Junkies, gebunden. Eine Ausnahme bildet dabei der Morphinist. Da er sich meist auf eine Drogenart spezialisiert, alleine und heimlich konsumiert und in der Regel keinen Kontakt zu anderen Konsumenten unterhält, kann seine Drogenkultur als besonders isoliert gesehen werden.
Dem Konsum von Heroin geht meist ein weicher Drogengebrauch voraus, so dass sich die Drogen-Anfangsgeschichte von Heroinabhängigen nicht unbedingt von der von Haschisch-Rauchern unterscheiden muss. Um die Subkultur der Heroinabhängigen genauer untersuchen zu können, muss ein Blick auf die entsprechende Drogenkarriere geworfen werden. Dies soll im zweiten Teil der Seminararbeit erfolgen.
2.6. Alkohol
Die bisher erfolgte Aufzählung der Drogenkulturen von Cannabis über Ecstasy und Kokain zu Heroin mag anmuten, dass der Aufbau einer konsequenten Steigerung von weichen zu harten Drogen folgt. Um die Brisanz von Alkohol und der dazugehörigen Drogenkultur zu untersteichen, soll die einzige legale Droge erst an dieser Stelle, also ganz am Ende der Drogenkulturen, erwähnt werden.
Reiner Alkohol ist eine wasserklare, farblose und brennend schmeckende Flüssigkeit, die sich mit Wasser in jedem Verhältnis mischen lässt. Alkohol wird überwiegend in Magen und Dünndarm aufgenommen und gerät auf diese Weise in die Blutbahn. Die Wirkungen reichen bei einem leichten Alkoholrausch von allgemeiner Enthemmung, Tatendrang und Kritikschwäche bis hin zu Bewusstseins- und Orientierungsstörungen bei schwerem Rausch.[97]
Alkohol ist die "älteste abendländische Kulturdroge"[98], in Deutschland trinkt etwa 95 % der Bevölkerung mehr oder weniger regelmäßig Alkohol[99]. Und zwar in dem Ausmaß, dass es zahlreiche gesundheitliche Schäden nach sich zieht. Bei jedem siebten Erwachsenen ab 18 Jahre ist derzeit zu befürchten, dass ein gesundheitlich riskanter und bereits problematischer Konsum vorliegt.[100] Damit stellt der Alkohol-Konsum das "schwerwiegendste Drogenproblem"[101] dar, dennoch wird der Gebrauch von legalen Drogen in unserem Kulturkreis mehr oder weniger direkt unterstützt.
Alkohol gehört zu unserem Alltag: Ein Glas Rotwein am Abend, ein Kasten Bier pro Wochenende oder lediglich ein Kelch Sekt bei bestimmten Anlässen – die Konsummuster bei dieser legalen Droge sind vielfältig und damit auch die Konsumententypen. Da nicht die gesamte Drogenkultur des Alkohol beleuchtet werden kann, soll hier lediglich auf die "Newcomer" in der Alkohol-Szene eingegangen werden.
Rauscherfahrungen mit Alkohol finden durchaus Anerkennung und Bewunderung in der Clique, insbesondere bei männlichen Gleichaltrigen. Das Einstiegsalter für den Alkohol-Konsum sinkt zunehmend, zur Zeit liegt es zwischen zwölf und 15 Jahren.[102] "Alcopops" sind zur Modedroge unter den Schülern geworden, bereits 50 % der 14-jährigen hatten schon einmal einen Vollrausch.[103]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6[104]: Alkohol- und Drogenkonsum Münster: Trendvergleich 2000-2002
(Angaben für die letzten 12 Monate in Prozent, ohne Sonderschulen)
Auch die Schülerbefragung in Münster 2002 zeigt, dass Alkohol zumindest in der neunten Klasse für viele mindestens ein Mal im Monat auf dem Programm steht: In Klasse Sieben sind es erst fünf Prozent, die sich mehr als ein Mal pro Monat betrinken. Eine Klasse später sind es schon 15 % und in der neunten Klasse sind bereits 28 % der Schüler mindestens ein mal im Monat betrunken.[105] Bei der kürzlich erfolgten Wiederholung der Schülerbefragung hat sich der Anteil der Neuntklässler sogar auf 31 % erhöht. Trunkenheit einmal in der Woche gaben 20% von ihnen an.[106]
Der Konsum von Alkohol wird in der Öffentlichkeit meist gar nicht als Drogengebrauch wahrgenommen. Demnach gehört Alkohol zu Festen und Feiern meist schon als Basis dazu. Je nach Drogenkultur werden zum Alkohol auch andere Drogen genommen. Wer einen Joint raucht, trinkt auch gerne ein Bier nebenher (oder andersherum). In der Techno-Szene wird der Konsum von Ecstasy beispielsweise häufig mit Alkohol verbunden (siehe Abb.4).[107]
Alkohol wird in der (deutschen) Bevölkerung nicht nur in einem besonders hohem Ausmaß konsumiert. Sein Gebrauch ist darüber hinaus in allen sozialen Schichten und Altersklassen verbreitet. Da Alkohol oft als harmlos abgetan, beziehungsweise erst gar nicht als "Rauschmittel" angesehen wird, ist die Kombination mit anderen Drogen wie Ecstasy oder Cannabis weit verbreitet. Die Drogenkultur des Alkohols ist folglich besonders heterogen.
3. Drogenkarrieren
3.1 Zum Begriff der "Drogenkarriere"
Die Bezeichnung "Karriere" wird nicht nur für berufliches Fortkommen gebraucht. In der Soziologie abweichenden Verhaltens werden gleichermaßen Entwicklungen sozialen Scheiterns mit dem Begriff belegt. Im Zusammenhang mit der Drogendiskussion ist der Begriff allgemein übernommen worden, man spricht von "Drogenkarrieren", "Suchtkarrieren" oder "Fixerkarrieren".[108]
Gewöhnlich werden Drogenkarrieren "von außen" porträtiert. Die Analyse der Suchtkarriere kann aber auch aus der Perspektive des Konsumenten selbst erfolgen. In dieser Seminararbeit soll der Schwerpunkt auf der Drogenkarriere aus der Außenperspektive liegen. Auf die subjektive Suchtkarriere soll an dieser Stelle dennoch kurz eingegangen werden.
3.2 Die Drogenkarriere aus der Innenperspektive
Durch die Illegalität der Drogenbeschaffung entstehen für den Drogenbenutzer soziale Anforderungen, die er bewältigen muss. Dazu gehört zunächst die ausreichende Beschaffung von Mitteln für den Drogenerwerb wie auch später der Handel mit Drogen. Um in der Drogen-Szene erfolgreich zu sein, müssen bestimmte Orientierungen und soziale Kompetenzen erworben werden. Die Drogenkarriere wird hier als eine Art professionelle Laufbahn gesehen, in der ähnliche Anforderungen wie in konventionellen kaufmännischen Berufen gestellt werden: Es müssen "Connections", also Beziehungen und Geschäftsverbindungen aufgebaut und aufrechterhalten werden, um eine problemlose Versorgung mit Drogen zu gewährleisten.[109]
Gemäß der bereits zitierten Fixerstudie rücken besonders im Stadium der Heroin-Abhängigkeit Drogenaktivitäten an die Stelle aufgegebener Berufs- und Schultätigkeiten. Dabei bieten sich am ehesten Drogengeschäfte als Betätigungsfeld an. Erfolgerlebnisse, die in einer professionellen Laufbahn nicht fehlen dürfen, stellen unter anderem die ausreichende Eigenversorgung aber auch die hohen finanziellen Gewinne dar, die beim Dealen erzielt werden können.
Im fortgeschrittenen Fixerdasein spielt die materielle Orientierung eine besonders große Rolle: "Teilweise sah es so aus, als ob die Befragten auf diese Weise für den sozialen Aufstieg in der Normalwelt, vom dem sie abgesprungen oder auch nur abgerutscht waren, in der Subkultur ein Äquivalent gesucht und gefunden hatten".[110]
3.2 Die Drogenkarriere aus der Außenperspektive
3.2.1 Vom Alkohol zum Heroin: Eine Verelendungssequenz
Klassisches Beispiel für den Verlauf einer Suchtkarriere ist die vom Probieren weicher Rauschmittel über das Konsumieren harter Drogen bis in die vollkommene Sucht und Verelendung.
Der erste Umgang mit einer illegalen Droge kann in drei Stufen eingeteilt werden: Ganz am Anfang steht der Prozess der Einstimmung, bei der Gespräche unter Gleichaltrigen Neugier und Konsumbereitschaft wecken.
Die zweite Phase, die des ersten Konsums, steht besonders unter dem Motivationsdruck der Bezugsgruppe.[111] Bei der schon genannten Cannabis-Studie gaben 72 % an, ihren ersten Joint von Freunden bekommen zu haben, 15 % erhielten ihr erstes Cannabis von Bekannten.[112]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(n=1337)
Abb. 7[113]: Erstmaliger Bezug von Cannabis
In Stufe drei, der Verarbeitung des ersten Drogenerlebnisses, "finden die meisten den Absprung"[114], eine Drogenkarriere wird hier also nicht eröffnet.
Ob "Haschisch den Weg zum Heroin ebnet"[115] mag dahingestellt sein. Erfolgt der (erste) Cannabis-Konsum jedoch in einem besonderen jungen Alter, ist er für eine Drogenkarriere förderlich: "Je früher mit dem Gebrauch legaler Drogen begonnen wurde, desto wahrscheinlicher ist auch der Umstieg auf weiche illegale Drogen, und je früher der Gebrauch weicher Drogen beginnt, desto wahrscheinlicher ist auch ein Umstieg auf andere härtere Drogen zu erwarten"[116].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(n=100)
Abb. 8[117]: Abfolge von Rauschgiftkonsum in der Drogenkarriere
Tatsächlich beginnt eine Drogenkarriere nur selten mit Heroin, zuvor werden meist andere legale und illegale Drogen genommen (siehe auch Abb. 8).
In einem Sample Berliner Heroinabhängiger wurde festgestellt, dass 66 % der später Heroinabhängigen mit Nikotin als erste Droge begonnen hatten. Als darauf aufbauende Sequenz zeigt sich bei 24 % eine Folge von Cannabis – Halluzinogenen – andere Drogen – Opiate. 18 % gaben die Reihenfolge Alkohol – Cannabis – Halluzinogene – andere Drogen – Opiate an. Lässt man Nikotin außer acht, begannen etwa 74 % der später Heroinabhängen mit Alkohol oder Cannabis.[118]
Es gibt eine Vielzahl kulturell verankerter Schritte im Aufbau und in der Abfolge beim Konsum von psychoaktiven Substanzen. Eine andere Analyse offenbart, dass die zuerst konsumierten Stoffe Arzneimittel sind, "es folgen Koffein, Nikotin und Alkohol und anschließend werden illegale Substanzen konsumiert, zuerst Haschisch, später dann Amphetamine und Ecstasy, dazu kommt LSD, und ganz am Schluss werden Heroin und Kokain probiert"[119]. Danach folgt die Mehrzahl der Konsumenten dieser Reihenfolge, allerdings nimmt ihr Anteil stetig ab, weil nicht alle ihr Repertoire um die nächste Drogenart erweitern.
Wie schnell jemand von weichen Drogen auf Opiate umsteigt, hängt auch von der Intensität des bisherigen Drogenumgangs ab: "Wer innerhalb des ersten halben Jahres nach Konsumbeginn ein hohes Konsumniveau erlangt, der greift auch schneller zu Opiaten."[120] Dabei scheint die Schichtzugehörigkeit einen Einfluss auf die Zeitspanne zwischen weichen und harten Drogen zu haben. Jugendliche aus niedrigen Schichten stiegen nach zwei Jahren auf harte Drogen um, Heranwachsende höherer Schichten brauchen ein Jahr länger.[121] Erwähnt sei an dieser Stelle auch, dass weibliche Fixer einen durchschnittlich kürzeren Weg von der ersten Drogenerfahrung über die erste Injektion bis in die Drogenabhängigkeit zurücklegen als männliche. Grund dafür ist die bei einigen Mädchen behaftete frühe Ausrichtung am Verhalten des Partners, die Drogengebrauch oft mit einschließt.[122]
Der injektive Konsum von Opiaten macht nicht sofort süchtig. Die Hälfte der Heroin-Konsumenten geht durchschnittlich nach einen Monat auf den täglichen Gebrauch über und tritt damit in die Phase der Abhängigkeit ein. Das bedeutet auch, dass selbst in der späten Phase des Heroingebrauchs die Drogenkarriere noch abgebrochen werden kann.[123]
Ist der Opiat-Konsum allerdings schon so intensiv, dass eine schwere körperliche Abhängigkeit vorliegt und keine sozialen Bezüge mehr außerhalb der Drogenkultur vorhanden sind, fällt ein Szeneausstieg erheblich schwerer.
3.2.1.1 Beispiele für Verelendungskarrieren
Samantha stellt ein Paradebeispiel für den Durchlauf einer Drogenkarriere mit Endstation Verelendung: Mit neun trank sie ihren ersten Wodka, mit elf kiffte sie täglich. Um ihre Sucht zu finanzieren beklaute sie ihre Schulkameraden und dealte mit Cannabis auf dem Schulhof. Irgendwann kamen dann Ecstasy und Kokain dazu. Zurzeit sitzt die 15-jährige in einer Suchtklinik.
Etwas anders sieht die Suchtkarriere von Thomas aus: Als er aufs Gymnasium kommt, probiert er das ganze Sortiment weicher und harter Drogen aus, das verfügbar ist. Er konsumiert aber vor allem Cannabis und bekommt dadurch seine Schul- und Alltagsaufgaben nicht mehr in den Griff. Nach dem zweiten Mal Sitzen bleiben kommt er auf die Realschule, wegen permanenten Schwänzens ist auch dieser Schulbesuch nach einem halben Jahr wieder vorbei. Eine Lehre bricht er nach zwei Monaten ab, so dass er sich nur noch mit Kiffen beschäftigt.[124]
Anhand des zweiten Beispiels wird deutlich, dass Drogenabhängige nicht erst alle Rauschmittel sukzessiv ausprobiert haben und beim Heroin angelangen müssen, um vollkommen am Ende zu sein. Oftmals reicht also schon übermäßiges Kiffen, um "Karriere und Leben [zu] zerstören"[125].
3.2.2 Die "Trinkerkarriere"
Eine Variation der "Verelendungskarriere" stellt die Trinksucht dar. Von den bereits beschriebenen Suchtkarrieren unterscheidet sie sich in erster Linie dadurch, dass lediglich eine Drogenart, die allerdings in hohem Maße, konsumiert wird.
Dauerhafter Alkohol-Konsum führt zu psychischer und körperlicher Abhängigkeit und schließlich zu schweren Organschäden. Alkoholismus entwickelt sich dabei in vier Stadien. In der ersten Phase beginnt der Abhängige, täglich zu trinken und den Konsum schließlich in Phase Zwei zu verheimlichen. Wegen aufkommender Schuldgefühle in Phase Drei verharmlost er den Konsum. Im letzten und chronischen Stadium hält die Trunkenheit den ganzen Tag an. Von morgens bis abends muss der Süchtige "Spiegeltrinken", das heißt ein gewisser Alkoholspiegel muss im Körper aufrechterhalten werden, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.
Neben seelischen Erkrankungen setzt am Endpunkt der "Trinkerkarriere" ein alkoholtypischer Persönlichkeitsabbau ein. Darüber hinaus "[begehen] Alkoholkranke häufiger Selbstmord(versuche) als andere Personen"[126].
3.2.2 Weitere Karrieremodelle
Drogenkarrieren können auch so typisiert sein, dass sie keine permanent steigenden Gebrauchsmuster als Anhaltspunkt haben und ihr Endstadium keine vollkommenden Verelendung darstellt. Das Karrierekonzept von Frykholm[127] beispielsweise thematisiert explizit einen Ausstiegsweg und nimmt zudem auch den Gebrauch legaler Drogen in das mehrstufige Modell mit auf: Dies Drogenkarriere beginnt beim Experimentieren von Jugendlichen mit legalen und illegalen Drogen und leitet im nächsten Schritt in den zwanghaften Gebrauch über. In den darauffolgenden Stadien entstehen Ausstiegswünsche, es kommt zu einer Behandlung und schließlich endet dieses Karrierekonzept mit der Emanzipationsphase, in der der ehemalige Konsument versucht, wieder auf eigenen Beinen zu stehen.
Darüber hinaus wird die Phase des kontrollierten Drogengebrauchs in verschiedenen Karrieremodellen unterschiedlich bewertet. In einigen Fällen stellt diese Phase noch nicht einmal eine Stufe in der Drogenkarriere dar, sondern wird als ganz eigener Karriere-Typus angesehen. Auch bei der Beurteilung eines Rückfalls gibt es unterschiedliche Theorien. Nach herrschender Meinung wird mit einem Rückfall eine neue Drogenkarriere gestartet.[128]
Ähnliches gilt für den Ausstieg aus Drogen-Szene und -konsum, mit der Drogenkarrieren vorläufig ihr Ende finden. Der Ausstieg aus dem Konsum kann als inhaltlicher Bestandteil einer Drogenkarriere aber auch als eine eigene Suchtkarriere definiert werden. Biernacki unterscheidet bei letzterer vier Phasen, in denen jeweils unterschiedliche Mechanismen und Bedingungen für den Ausstieg von Bedeutung sind. 1. Die Entscheidung, den Drogengebrauch zu verändern beziehungsweise zu beenden, 2. Aktivitäten, die Abhängigkeit zu durchbrechen, 3. Aktivitäten, eine Abstinenz zu sichern und 4. Aktivitäten, um eine konventionelle Lebensweise zu erreichen.[129]
III. Schlussteil
Wer regelmäßig Ecstasy konsumiert, greift auch häufig zu Cannabis. Das Rauchen eines Joints ist nicht selten mit dem Genuss von Alkohol verbunden und wer Heroin spritzt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits andere Drogen versucht. Die Beleuchtung der unterschiedlichen Drogenkulturen im ersten Teil der Seminararbeit hat gezeigt, dass einzelne Subkulturen der Drogen-Szene nicht klar voneinander zu trennen sind. "Drogengebrauchs-muster sind nicht in der Abgeschlossenheit eng umgrenzter Szenen verinselt"[130], es gibt folglich nicht die Heroin-Szene, die Ecstasy-Szene oder die Kokain-Szene.
Grund dafür sind zum Einen Veränderungen in der Drogenlandschaft selbst: So galt bis vor wenigen Jahren die Heroin-Szene als die eigentliche Drogen-Szene.[131] Mit den ständig neu hinzukommenden Rauschgiften wie den Designerdrogen in den 90er Jahren finden sich neue Konsumententypen und es bilden sich folglich neue Drogenkulturen.
Zum Anderen spiegeln sich gesellschaftlichen Veränderungen in der Drogen-Szene und den dazugehörigen Subkulturen wieder: Mitbedingt durch wenig Kontrolle zu Hause, viel häusliches "laissez-faire" und der zunehmenden Akzeptanz von Cannabis in der Öffentlichkeit[132], geraten immer jüngere Heranwachsende an Drogen und bringen wieder neue Konsummuster mit in die Szene.
Die ungenaue Abgrenzung einzelner Drogenkulturen kann auch als Folge eines "sozialen Diffusionsprozesses"[133] gesehen werden: Bestimmte Innovationen sind zunächst an spezifische Gruppen von Personen gebunden und breiten sich dann auf weitere Kreise aus. Für die Ausbreitung einer spezifischen Droge mag es wichtiger sein, in welche soziale Gruppe sie eingeführt wird als die Drogenart selbst.[134]
Um die verschiedenen Drogenkulturen gegenüber zu stellen, bietet sich ein anderes Unterscheidungsmerkmal an: die Exklusivität einer Drogenkultur, beziehungsweise das Verhältnis einer Drogenkultur zur "Normalbevölkerung". Während die Alkohol-Szene für jedermann mehr oder weniger offen ist, beschränkt sich der Konsum von Marihuana (mitbedingt durch die Illegalität) auf eine etwas abgesondertere Gruppe. Die Drogenkultur der Designerdrogen ist gegenüber "ebenbürtigem" Drogenkonsum relativ offen, ein Mischkonsum ist keine Seltenheit. Doch im Hinblick auf das Verhältnis der "Partydrogen-Konsumenten" zur Bevölkerung wirkt sie wie eine fast gänzlich geschlossene Szene. Noch isolierter präsentiert sich die Kokain-Kultur. Hier konsumiert hauptsächlich die elitäre Oberschicht im stillen Kämmerlein. Morphinisten und je nach fortgeschrittenem Suchtstadium können auch Fixer als die abgeschottetste Drogenkultur angesehen werden. Letztere ziehen sich meist in kleinere Cliquen zurück und setzen dies im Laufe der Fixerkarriere "bis zur völligen Vereinsamung"[135] fort.
Als Ergebnis lässt sich festhalten: Drogenkulturen sind aufgrund zahlreicher Überschneidung sowie kulturellen und subkulturellen Umgestaltungen nicht strikt von einander zu trennen. Als Entscheidungsmerkmal bietet sich jedoch ihr Maß an Exklusivität an und diese ist eindeutig von Drogenart und der Fortgeschrittenheit der Sucht abhängig: Je härter die Droge und je größer die Abhängigkeit, desto exklusiver die Subkultur.
Bei der Analyse von Drogenkarrieren sind verschiedene Betrachtungsweisen möglich. So kann die Suchtkarriere unter anderem aus der Perspektive des Abhängigen selbst erfolgen. Für ihn stellen die Drogenaktivitäten, die mit seiner Suchtkarriere verbunden sind, in erster Linie eine professionelle Laufbahn dar. Er verdient mit ihr nicht nur Geld, sondern in Szene-Kreisen auch Anerkennung.
Im Bereich der "objektiven Drogenkarriere" gibt es eine Vielzahl von Karrieremodellen mit einer ebenso großen Vielzahl von Schwerpunkten. Sie unterscheiden sich in ihrer Phasen-Unterteilung wie auch beispielsweise darin, ob sie den Prozess des Rückfalls und des Ein- und Ausstiegs als Bestandteil der Suchtkarriere betrachten.
Die verbreitetste Vorstellung von einer Drogekarriere ist die, die über eine steigernde Abfolge von immer stärkeren Substanzen in die Verelendung führt. Auch bei dieser Kategorie gibt es multiple Entwicklungswege. Abbildung 9 macht die Variabilität von Drogenkarrieren deutlich: Zwar hat die Mehrheit der mit Nummern versehenen Teilnehmer einer Fixerstudie die Suchtkarriere mit einem Gelegenheitskonsum von Drogen begonnen. Doch im Anschluss daran zeigen sich die unterschiedlichsten Konsummuster: Vom täglichen unerlaubten Opiat-Gebrauch (dailiy illicit Opiod), Aufenthalten in Therapieanstalten (institutionalized) oder Methadonsubstitutionen (Methadone Maintenance), über Verschollenheit der untersuchten Fixer (Status Unknown) oder Drogenabstinenz (Abstinenz) bis hin zum Rückfall in den täglichen Heroingebrauch ist alles im ständigen Wechsel dabei.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.9[136]: Beispiel für die Variabilität von Drogenkarrieren
Selbst bei Fixern, die wie bereits gezeigt, als eine der geschlossensten Drogenkulturen gelten, fällt eine Einordnung in eine bestimmte Drogen-Verlaufsbahn also schwer: "Our findings underscore the fact that no one career line or pattern characterizes all heroin experimenters or all heroin addicts"[137].
Gewiss lassen sich bei "Verelendungskarrieren" bestimmte Parallelen ziehen, wie beispielsweise "sequentiell steigende Gebrauchsmuster und stärkere Drogen"[138]. Dennoch darf das Karrierekonzept nicht mechanisch verstanden werden. Entwicklungen einer Drogenkarriere verlaufen nicht in einer Art automatischer Eskalation.[139] Jede Drogenkarriere entwickelt eine Eigendynamik, da letztlich nicht nur Drogenhärte und Gebrauchsintensität eine Rolle spielen. Darüber hinaus hat die individuelle Biographie jedes einzelnen Einfluss auf die Drogengebrauchsmuster. Viele Konsumenten von Cannabis oder Ecstasy beispielsweise können ihren Lebensstil noch gut halten und sind sozial unauffällig.[140]
Es gibt folglich nicht die singuläre und mechanische Drogenkarriere, um die eingangs gestellte Leitfrage zu beantworten. Die Schlussfolgerung, dass weder Drogenkulturen noch Drogenkarrieren genau voneinander abzutrennen sind und sich somit nicht isoliert nebeneinander stellen lassen, hängt auch mit den starken Interdependenzen zwischen Subkultur und Suchtkarriere zusammen. Die Drogenkultur der Heroinabhängigen beispielsweise kann gewissermaßen nur genau analysiert werden, wenn man den dazugehörigen Werdegang, also die individuellen Drogenkarrieren beleuchtet.
Ort Datum Unterschrift
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- "Wissenschaft-Online": http://www.wissenschaft-online.de/abo/lexikon/neuro/3024, abgerufen am 5.7.2004, ~ 11 Uhr
[...]
[1] Der Spiegel Nr.27/2004: Ein Joint für die große Pause, S.70 (künftig: Der Spiegel 2004, Seite)
[2] vgl. Der Spiegel 2004, S.70f.
[3] vgl. Groenemeyer, Axel: Drogenkarriere und Sozialpolitik. Entwicklungsbedingungen der Drogenabhängigkeit und Möglichkeiten der Intervention durch stationäre Behandlung. Pfaffenweiler 1990, S.49 (künftig: Groenemeyer, Seite)
[4] Freitag, Marcus u. Hurrelmann, Klaus: Illegale psychoaktive Substanzen – die neue Alltagsdroge des Jugendalters? in: Freitag, Marcus u. Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Illegale Alltagsdrogen. Cannabis, Ecstasy, Speed und LSD im Jugendalter. Weinheim/München 1999, S.10 (künftig: Freitag/Hurrelmann, Seite)
[5] http://www.wissenschaft-online.de/abo/lexikon/neuro/3024
[6] Reuband, Karl-Heinz: Drogengebrauch und Drogenabhängigkeit, in: Albrecht, Günter, Groenemeyer, Friedrich u. Stallberg, Friedrich W. (Hrsg.): Handbuch soziale Probleme. Opladen, Wiesbaden 1999. S.321 (künftig: Reuband, Seite)
[7] vgl. Kreuzer, Arthur: Jugend - Drogen - Kriminalität3, Darmstadt / Neuwied 1987, S.22 (künftig: Kreuzer, Seite)
[8] vgl. Reuband, S.321
[9] vgl. Freitag /Hurrelmann, S.10 f.
[10] vgl. Kreuzer, S.21
[11] vgl. Täschner, Karl-Ludwig: Harte Drogen – weiche Drogen? Stuttgart 1997, S. 64 (künftig: Täschner. Seite)
[12] Walter, Michael: Jugendkriminalität. Eine systematische Darstellung, 2. Auflage. Stuttgart / München / Hannover / Berlin / Weimar / Dresden 200, S.137 (künftig: Walter, Seite)
[13] Freitag/Hurrelmann, S.17
[14] vgl. Schweer, Thomas u. Strasser, Hermann: Cocas Fluch. Die Gesellschaftliche Karriere des Kokains. Opladen 1994, S. 21f. (künftig: Schweer/Strasser, Seite)
[15] Schwendter, Rolf: Theorie der Subkultur. Hamburg 1993, S.11
[16] vgl. Kreuzer, S.34
[17] vgl. Täschner, S.52 f.
[18] vgl. Freitag, Markus: Wie verbreitet sind illegale psychoaktive Substanzen? in: Freitag, Marcus u. Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Illegale Alltagsdrogen. Cannabis, Ecstasy, Speed und LSD im Jugendalter. Weinheim / München 1999, S.51 (künftig: Freitag, Seite)
[19] vgl. Kreuzer, S.35
[20] vgl. Kleiber, Dieter u. Soellner, Renate: Cannabiskonsum. Entwicklungstendenzen, Konsummuster und Risiken. Weinheim / München 1998, S.68 (künftig: Kleiber/Soellner, Seite)
[21] Graphik: Kraus, Ludwig u. Bauernfeind, Rita.: Konsumtrends von illegalen Drogen und Alkohol in der Bevölkerung 1990-1995, in: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.): Jahrbuch Sucht '98. Geesthacht 1998, S.110 (künftig: Kraus/Bauernfeind, Seite)
[22] vgl. Kreuzer, S.4f.
[23] vgl. Kraus/Bauernfeind, S.111
[24] vgl. Täschner, S.14
[25] vgl. Täschner, S.17
[26] Kraus/Bauernfeind, S.109
[27] Die verschiedenen Konsumtypen verstehen sich wie folgt: Gelegenheitskonsum: unregelmäßiger Konsum, meist am Wochenende; Individualkonsum: regelmäßiger Konsum, meist alleine und zuhause; Freizeitkonsum: strikte Trennung von Arbeit und Freizeit, konsumiert wird erst nach Feierabend, etwa sechs Mal in der Woche; Dauerkonsum: mehrmals täglich, überall und auch pur
[28] vgl. Kleiber/Soellner, S.58
[29] Graphik: Kleiber/Soellner, S.100
[30] Freitag/Hurrelmann, S.7
[31] Der Spiegel 2004, 70f.
[32] vgl. Luedtke, Jens: Illegaler Drogenumgang und Beschaffungskriminalität im Jugend- und Heranwachsendenalter, in: Raithel, Jürgen u. Mansel, Jürgen (Hrsg.): Kriminalität und Gewalt und Jugendalter. Hell- und Dunkelfeldbefunde im Vergleich. München 2003, S.145 (künftig: Luedtke, Seite)
[33] Kleiber/Soellner, S.232
[34] Der Spiegel 2004, S.70
[35] vgl. Der Spiegel 2004, S.70f.
[36] Boers, Klaus u. Reinecke, Jost: Informationen zur 3. Schülerbefragung in Münster 2002, Münster 2002, S.7 (künftig: Boers/Reinecke, Münster, Seite)
[37] Boers, Klaus u. Reinecke, Jost: Schülerbefragung 2002 – Informationen zur Studie in Duisburg, Duisburg 2002 (künftig: Boers/Reinecke, Duisburg, Seite)
[38] vgl. Freitag, S.50
[39] vgl. Kleiber/Soellner, S.47 f.
[40] Berger, Herbert, Reuband, Karl-Heinz u. Widlizek, Ulrike: Wege in die Heroinabhängigkeit. Zur Entwicklung abweichender Karrieren. München 1980, S.79 (künftig: Berger/Reuband/Widlizek, Seite)
[41] vgl. Berger/Reuband/Widlizek, S.117
[42] Kleiber/Soellner, S.231
[43] Täschner, S.39
[44] vgl. Schroers, Artur: Zum risikomindernden Gebrauch von Ecstasy in der Techno- und Party-Szene. Grundlagen, Konzepte und Ansätze akzeptanzorientierter Drogenarbeit im Ecstasybereich, in: Schneider, Wolfgang (Hrsg.): Brennpunkte akzeptanzorientierter Drogenarbeit. Berlin 1997, S.114 (künftig: Schroers, Seite)
[45] vgl. Täschner, S.40
[46] Schoers, S.115
[47] vgl. Freitag, S.53
[48] Hurrelmann, Klaus: Die Ecstasy-Welle. Ein Symptom für den Trend von den betäubenden zu den aufputschenden Drogen? in: Magazin für die Polizei 26,1995, S.8
[49] Tossmann, Peter H.: Ecstasy-Konsummuster, Konsumkontexte und Komplikationen. Ergebnisse der Ecstasy-Infoline, in: Sucht, Jg. 43, Heft 2, 1997, S.123 (künftig: Tossmann, Seite)
[50] vgl. Dollinger, Bernd: Zur sozialen Kontrolle in der "Kontrollgesellschaft": Das Beispiel Drogenkonsum, in: Kriminologisches Journal, Jg. 33, Heft 2. Weinheim 2001, S.91 (künftig: Dollinger, Seite)
[51] vgl. Schroers, S.125
[52] vgl. Tossmann, S.124
[53] Graphik: Tossmann, S.124
[54] vgl. Täschner, S.43
[55] Schroers, S.120
[56] Luedtke, S.246
[57] Freitag/Hurrelmann, S.7
[58] Dollinger, S.90
[59] Tossmann, S. 126
[60] vgl. Tossmann, S.123
[61] vgl. Schroers, S.119
[62] Graphik: Tossmann, S.127
[63] vgl. Tossmann, S.127
[64] vgl. Freitag, S.58
[65] Dollinger, S.90
[66] vgl. Täschner, S.35
[67] vgl. Schweer / Strasser, S.107
[68] Täschner, S.37
[69] Schweer / Strasser, S.47
[70] Graphik: Schweer / Strasser, S. 45
[71] vgl. Heckmann, Wolfgang: Kokain und Kokainismus in den 90ern: eine Problemanzeige, in: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.): Jahrbuch Sucht '98. Geesthacht 1998, S.158 (künftig: Heckmann, Seite)
[72] vgl. Freitag, S.58
[73] Schmidtbauer, Wolfgang u. vom Scheidt, Jürgen: Handbuch der Rauschdrogen. Frankfurt am Main 1989, S.202
[74] vgl. Schweer/ Strasser, S.157
[75] Der Spiegel Nr. 44 / 2000: Pulver für Alpha-Tierchen. Warum Kokain vor allem eine Droge für Kreative ist, http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,100389,00.html (künftig: Der Spiegel 2000, Seite)
[76] Schweer/ Strasser, S.154
[77] vgl. Der Spiegel 2000, S.1
[78] vgl. Schweer / Strasser, S.158
[79] vgl. Heckmann, S.160
[80] vgl. Täschner, S.35
[81] Schweer / Strasser, S.117
[82] vgl. Täschner, S.20 f.
[83] vgl. Kreuzer, S.54
[84] Walter, S.137
[85] vgl. Kreuzer, S.54
[86] vgl. Täschner, S.26
[87] vgl. Berger / Reuband / Widlizek, S.321
[88] vgl. Reuband, S.321
[89] vgl. Reuband, S.321
[90] vgl. Berger, S.95
[91] Berger / Reuband / Widlizek, S.25
[92] Berger / Reuband / Widlizek, S.30
[93] vgl. Kreuzer, S.31
[94] vgl. Reuband. S. 326
[95] vgl. Berger / Reuband / Widlizek, S.36 f.
[96] Täschner, S. 27
[97] vgl. Täschner, S.31 f.
[98] Böning, Jens: Umgang mit Alkohol – ein gesundheitspolitisches Zentralproblem, in: Höfling, Siegfried (Hrsg.): Kampf gegen Sucht und Drogen. München 1999, S.65 (künftig: Böning, Seite)
[99] vgl. Täschner, S.30
[100] vgl. Böning, S.66
[101] Walter, S.135
[102] vgl. Böning, S.67
[103] vgl. Der Spiegel 2004, S.71
[104] Graphik: Boers/Reinecke, Münster, S.7
[105] vgl. Boers/Reinecke, Münster, S.7
[106] vgl. Boers, Klaus et al: Kriminologische Befragung an Münsteraner Schulen, erste Ergebnisse unter: http://www.uni-muenster.de/Jura.krim/Abt_IV/aktuell/KBMS200_EErg.htm
[107] vgl. Tossmann, S.127
[108] vgl. Kreuzer, S.52
[109] vgl. Groenemeyer, S.73 f.
[110] Berger / Reuband / Widlizek, S.112
[111] vgl. Kreuzer, S.44f.
[112] vgl. Kleiber / Soellner, S.39
[113] Graphik: Kleiber/Soellner, S.39
[114] vgl. Kreuzer, S.45
[115] Täschner, S.19
[116] Groenemeyer, S.49
[117] Graphik: Kreuzer et al.: Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger. Wiesbaden 1991, S.147
[118] vgl. Groenemeyer, S.48
[119] Freitag / Hurrelmann, S.20
[120] Berger / Reuband / Widlizek, S.84
[121] vgl. Berger / Reuband / Widlizek, S.85
[122] vgl. Kreuzer, S.33
[123] vgl. Reuband, S.322
[124] vgl. Der Spiegel 2004, S.71 f.
[125] Der Spiegel 2004, S.71
[126] Täschner, S.35
[127] vgl. Groenemeyer, S.45
[128] vgl. Groenemeyer, S.67
[129] vgl. Groenemeyer, S.89 f.
[130] Schroers, S.121
[131] vgl. Täschner, S.21
[132] vgl. Kleiber / Soellner, S.229
[133] Reuband, S. 325
[134] vgl. Reuband, S.325
[135] Kreuzer, S.47
[136] Graphik: Groenemeyer, S.53
[137] Crawford, G.A., Washington, M.C. u. Senay, E.C.: Careers with Heroin, in: International Journey of the Addictions, Vol. 18, Nr.5, S.713
[138] Groenemeyer, S.65
[139] vgl. Kreuzer, S.53
[140] vgl. Dollinger, S.90
- Quote paper
- Julia Tzschätzsch (Author), 2004, Drogenkulturen und Drogenkarrieren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110052
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