Einleitung:
Wenn man sich mit dem jüdischen Volk beschäftigt, kommt man nicht darum herum, sich mit den verheerenden Folgen des Holocausts zu beschäftigen. Genau so ist es mir ergangen, als in mir vor einiger Zeit das Interesse an diesem Volk erwachte.
Obwohl ich mich anfangs nur mit der politischen Situation im Gazastreifen befasst habe, ist doch schon bald das Interesse am Holocaust und die Situation der Juden damals geweckt worden.
Als ich vor einem Jahr das erste Mal den Film „Schindlers Liste“ gesehen habe und anschließend am „Marsch der Lebenden“ teilgenommen habe, der jährlich in Auschwitz stattfindet, kam mir der Gedanke einer FBA aus Geschichte über den Holocaust.
Ich habe dieses Thema gewählt, weil ich Interesse an Geschichte und am jüdischen Volk habe.
Obwohl mich das Lesen der Bücher, die ich zu dieser Arbeit verwendet habe, manchmal emotional sehr mitgenommen hat, finde ich, dass der Holocaust und die Ausmaße, die er angenommen hat, ein sehr wichtiges Thema sind, über das niemand einfach hinwegsehen kann. Ich will aber dabei auf keinen Fall auf die Kollektivschuld anspielen! Gerade in unserer Zeit ist es wichtig, das Vergangene nicht zu vergessen. Man soll sich dessen bewusst werden, dass der Holocaust schon einmal passiert ist und hoffentlich nie mehr wieder passieren wird.
Der Spruch aus Jesaja 40,1 „Tröstet, tröstet mein Volk“, den ich in Auschwitz-Birkenau das erste Mal gehört habe, geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Verlauf des Holocausts von 1935–1942
1.1. Nürnberger Rassengesetze
1.2. Reichspogromnacht
1.3. Blitzkrieg in Polen
1.4. Wannsee Konferenz
1.5. Umsiedelung und Deportationen
2. Auschwitz
2.1. Endstation Auschwitz
2.2. Auschwitz l (Stammlager)
2.3. Auschwitz ll (Birkenau)
2.4. Auschwitz lll (Monowitz)
2.5. Organisation des Massenmords
2.6. Befreiung von Auschwitz
3. Gegenüberstellung von Opfern und Tätern des Holocausts
3.1. Dr. phil. Dr. med. Josef Mengele
3.1.1. Mengeles Werdegang bis Auschwitz
3.1.2. Mengeles Tätigkeit in Auschwitz
3.1.2.1. Selektion an der Rampe
3.1.2.2. Das Menschenlabor Auschwitz
3.1.2.3. Mengeles Arbeiten für das Kaiser-Wilhelm-Institut
3.1.3. Der Todesengel flüchtet aus Auschwitz
3.1.4. Flucht nach Südamerika
3.1.5. Buenos Aires
3.2. Dagmar Ostermann (Zeitzeugeninterview)
3.2.1. Methodische Vorgehensweise für das Interview
3.2.2. Kindheit
3.2.3. Anschluss Österreichs
3.2.4. „Auswanderung“ in die Gefangenschaft
3.2.5. Der Weg ins Konzentrationslager Ravensbrück
3.2.6. Auschwitz-Birkenau
3.2.7. Das Erlebnis mit der Mutter
3.2.8. Der Tod ihres Vaters
3.2.9. Zurück in Auschwitz-Birkenau
3.2.10. Zurück in Ravensbrück
3.2.11. Die Befreiung
3.3. Viktor Frankl
3.3.1. Frankls Prägungen in seiner Kindheit
3.3.2. Anschluss Österreichs ans Dritte Reich
3.3.3. Viktor Frankl und Otto Pötzl
3.3.4. Das Visum
3.3.5. Deportation nach Theresienstadt
3.3.6. Frankls Arbeit in Theresienstadt
3.3.7. Auschwitz
3.3.7.1. Die Erste Phase: Aufnahme ins Lager
3.3.7.2. Die zweite Phase: Das Lagerleben
3.3.7.3. Die dritte Phase: Nach der Befreiung aus dem Lager
3.3.8. Das Leben geht weiter
4. Persönliche Reflexion
4.1. Schuld und Kollektivschuld
4.2. Rache
4.3. Vergebung
4.4. Reue
4.5. Eigenverantwortung
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Bildverzeichnis
Einleitung:
Wenn man sich mit dem jüdischen Volk beschäftigt, kommt man nicht darum herum, sich mit den verheerenden Folgen des Holocausts zu beschäftigen. Genau so ist es mir ergangen, als in mir vor einiger Zeit das Interesse an diesem Volk erwachte.
Obwohl ich mich anfangs nur mit der politischen Situation im Gazastreifen befasst habe, ist doch schon bald das Interesse am Holocaust und die Situation der Juden damals geweckt worden.
Als ich vor einem Jahr das erste Mal den Film „Schindlers Liste“ gesehen habe und anschließend am „Marsch der Lebenden“ teilgenommen habe, der jährlich in Auschwitz stattfindet, kam mir der Gedanke einer FBA aus Geschichte über den Holocaust.
Ich habe dieses Thema gewählt, weil ich Interesse an Geschichte und am jüdischen Volk habe.
Obwohl mich das Lesen der Bücher, die ich zu dieser Arbeit verwendet habe, manchmal emotional sehr mitgenommen hat, finde ich, dass der Holocaust und die Ausmaße, die er angenommen hat, ein sehr wichtiges Thema sind, über das niemand einfach hinwegsehen kann. Ich will aber dabei auf keinen Fall auf die Kollektivschuld anspielen! Gerade in unserer Zeit ist es wichtig, das Vergangene nicht zu vergessen. Man soll sich dessen bewusst werden, dass der Holocaust schon einmal passiert ist und hoffentlich nie mehr wieder passieren wird.
Der Spruch aus Jesaja 40,1 „Tröstet, tröstet mein Volk“, den ich in Auschwitz-Birkenau das erste Mal gehört habe, geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Der Verlauf des Holocaust von 1935-1942
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1
1.1. Nürnberger Rassengesetze (1935)
Der Judenhass lässt sich weit bis in die Jahrhunderte zurückverfolgen. Den Begriff Antisemitismus gibt es jedoch erst seit dem 19. Jahrhundert. Er bezeichnet eine Judenfeindlichkeit, die sich auf rassische, nicht religiöse Vorurteile stützt, sich zu einer Ideologie formt und als politische Bewegung judenfeindliche Ziele verfolgt. Seinen Höhepunkt fand er in der Politik des nationalsozialistischen Deutschland,[1] basierend auf sozialdarwinistischen Rassentheorien.[2] Vor allem war den Nationalsozialisten die Blutzugehörigkeit wichtig und so formte sich ein biologischer Antisemitismus, der schlussendlich seinen schrecklichen Höhepunkt in den Gaskammern von Auschwitz und vielen anderen Konzentrationslagern fand.
Doch zur Entrechtung und Diskriminierung von Juden und anderen „Minderwertigen Rassen“, nach nationalsozialistischer Auffassung, war es ein langer und leidvoller Weg. Hier möchte ich ein paar wichtige Ereignisse genauer schildern.
Um die Juden zur Emigration zu zwingen, wurden Verordnungen schon vor 1935, also vor den Nürnberger Rassengesetzen, zur Entrechtung der Juden erstellt.
Zwei Jahre vorher (1933) wurde ein Boykott gegen alle jüdischen Ärzte, Rechtsanwälte, Notare und Kaufleute organisiert. Eine Verordnung, die ebenfalls 1933 in Kraft trat, besagte, dass alle nicht arischen Beamten zwangsweise in den Ruhestand versetzt werden sollten.
Adolf Hitler ließ am „Reichsparteitag der Freiheit“ eine gesetzliche Regelung ausarbeiten, die genau zu besagen versuchte, wer „Arier“ und „Nichtarier“ sei.[3] Schlussendlich kam es am 15. September 1935 zu den Nürnberger Rassengesetzen.
Die Nürnberger Rassengesetze enthalten das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Beide Gesetzte reduzierten den Spielraum der Juden im öffentlichen Leben auf ein Minimum.
Juden wurden nicht mehr als deutsche Reichsbürger angesehen, sondern nur noch als Staatsangehörige des deutschen Reiches. Zudem wurde versucht festzulegen, wer ein Volljude, ein Halbjude, ein Vierteljude oder ein Reichsbürger war.
- Volljude war nach nationalsozialistischer Auffassung, wer mindestens drei jüdische Großeltern hatte. Dabei galt nach dem Gesetz ein Großelternteil ohne weiteres als volljüdisch, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte.
- Als Halbjude wurde jene Person bezeichnet, unter deren vier Großeltern sich zwei Juden befanden.
- Vierteljude war derjenige, unter dessen Großeltern sich ein Jude befand.[4]
Durch das „Reichsbürgergesetz“ wurde genau definiert, wer Reichsbürger ist und was einen Reichsbürger ausmacht: § 2 des Reichsbürgergesetzes
1. Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, dass er gewillt und geneigt ist, in der Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.
2. Das Reichsbürgerrecht wird durch Verleihung des Reichsbürgerbriefs erworben.
3. Der Reichsbürger ist der alleinige Träger der vollen politischen Rechte nach Maßgabe der Gesetze.[5]
Das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, kurz Blutschutzgesetz genannt, verbot deutschen „Reichsbürgern“ sich mit Juden zu verheiraten, sowie Geschlechtsverkehr mit ihnen zu haben. Ehen, die dennoch geschlossen wurden, wurden nicht anerkannt, auch wenn sie, um dieses Gesetz zu umgehen, im Ausland geschlossen wurden.[6]
Wer diese Gesetze nicht befolgte, wurde mit Zuchthaus, Gefängnis oder mit einer Geldbuße bestraft.
Für die Deutschen galt das Blut als Träger der Rasseneigenschaft und deshalb wurde scharf darauf geachtet, dass sich das „arische Blut“ nicht durch „artfremde Blutbeimischungen“ vermischt. Durch die Nürnberger Rassengesetze wurden „Nicht-Arier“ zu Menschen minderer Rasse degradiert.[7]
1.2. Reichspogromnacht (1938)
Der 17-jährige Jude Herschel Grünspan (Grynspan) schoss am 7. November 1938 auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath. Der Grund für dies Tat war, dass am 28.Oktober 1938 15.000 Juden in einer „Nacht- und Nebelaktion“ nach Polen abgeschoben wurden, unter anderem die Familie von Herschel Grünspan. Durch eine Benachrichtigung von seiner Schwester erfuhr der sich in Paris illegal aufhaltende Herschel von dieser Aktion. Kurz entschlossen kaufte er sich eine Pistole, ging in die deutsche Botschaft und erschoss den Legationssekretär Ernst von Rath. Später ließ sich der 17-Jährige, ohne sich zu wehren, von der französischen Polizei festnehmen.
Binnen kurzer Zeit verbreitete sich die Nachricht über dieses Ereignis weltweit. In Deutschland wurden der Presse über Form und Inhalt der Berichterstattung genaue Vorschriften gemacht:
“In eigenen Kommentaren ist darauf hinzuweisen, dass das Attentat des Juden die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben muss […]. Es ist die Frage zu stellen, ob es die Absicht der jüdischen Clique war, Schwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich herauf zu beschwören.“ [8]
Durch die gespannte Stimmung, die durch die Presse erzeugt wurde, wurden schon am 7. und 8. November vereinzelte Ausschreitungen gegen Juden und jüdische Institutionen begangen.[9] Der damalige Propagandachef Joseph Goebbels ließ am 9. November eine „spontane Vergeltungsmaßnahme“ anordnen.[10] Er holte sich von Hitler auf einem Treffen der Naziführung in München zum Gedenktag des Hitler-Putsches die Erlaubnis, die SA loslassen zu dürfen.[11] Diese Vergeltungsmaßnahme ist uns heute unter dem Namen „Reichskristallnacht“ ein Begriff. Jedoch ist der Name „Reichskristallnacht“ in der Hinsicht falsch, weil dieses Pogrom mehrere Tage andauerte.
Allein in Österreich wurden 42 Synagogen und Bethäuser in Brand gesteckt und verwüstet. Tausende jüdische Geschäfte wurden geplündert, zerstört und beschlagnahmt. 6.547 Juden wurden verhaftet, 3.700 kamen in das KZ Dachau, das bereits 1933 errichtet worden war. In Deutschland betrug die „offizielle“ Bilanz des Terrors: 91 Tote, 2.676 zerstörte Gottes- und Gemeindehäuser und 7.500 verwüstete Geschäfte. 30.000 männliche Juden wurden am 10.November in verschiedene Konzentrationslager verschleppt.[12] Viele von ihnen wurden dort ermordet.[13] Ausgeführt wurden diese Aktionen von Angehörigen der Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS). Die Bevölkerung reagierte sehr unterschiedlich auf dieses Pogrom: einige schämten sich, dass eine Kulturnation so tief sinken konnte, andere sprachen mit vorgehaltener Hand, Mitleid gegenüber den Betroffenen aus, einige bedauerten die entstandenen Schäden und wieder andere warfen am darauf folgenden Tag sogar mit Steinen auf jüdische Häuser.[14]
Das Attentat auf den deutschen Diplomaten bot den Nationalsozialisten einen willkommenen Anlass zur völligen Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben in Österreich und Deutschland und die Ausdehnung des „Vierjahresplanes“[15] auf Österreich.
Am 12. November 1938 wurde in einer von Hermann Göring geleiteten Sitzung eine Verordnung zur gänzlichen Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben beschlossen. Diese Verordnung besagte, dass Juden kein selbstständiges kaufmännisches Unternehmen betreiben dürfen. Ebenfalls beschlossen wurde in dieser Sitzung, dass das jüdische Volk eine „Sühneleistung“ im Wert von einer Milliarde Reichsmark an die deutsche Bevölkerung zahlen muss, um für die während des Pogroms entstandenen Schäden aufzukommen.[16]
Während dieser ganzen Aktionen lebte in Wien ein Jude namens Viktor Frankl. Er musste tatenlos mit ansehen, wie mit einem Schlag seiner aufsteigenden Karriere als junger Arzt von den Nazis ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. Doch darauf werde ich später noch genauer eingehen.
In dieser, verharmlost so genannten „Reichskristallnacht“, wurde jegliche Idee der Freiheit des Individuums zutiefst verletzt und zerstört.
1.3. Blitzkrieg in Polen (1939)
Die deutsche Wehrmacht marschierte am 1.September 1939 in Polen ein. Dies war der Beginn eines Krieges, der die gesamte Welt mit hineinriss.
Am 23.August 1939 wurde ein „Nichtangriffspakt“ zwischen Deutschland und der UdSSR geschlossen. Auf den ersten Blick erscheint dieser Vertrag paradox, da Hitler die Russen als mindere Rasse ansah und Russland eigentlich zum Feind haben wollte.[17] Doch Hitler konnte sich keinen Zwei-Fronten-Krieg leisten, da er annehmen musste, dass Großbritannien und Frankreich bei einer nationalsozialistischen Invasion auf Polen nicht tatenlos zusehen würden.
Zwei Tage nach dem Einfall in Polen erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg. Ein Krieg, der von den Westmächten nicht geplant war, aber angesichts der Politik, die Hitler ausübte, nicht zu vermeiden war. Polen hatte unter der NS- Herrschaft unter allen besetzten Ländern am meisten zu leiden. Ungefähr sechs Millionen Polen – 18 % der Bevölkerung – verloren während des Krieges ihr Leben.[18]
Das Ziel nach dem Einmarsch in Polen war die vollständige „Germanisierung“. Ein unvorstellbares Töten begann. Arthur Greiser war einer der Hauptverantwortlichen für das Leiden der Polen unter den Nazis. Man wollte die Polen nur als Sklaven haben und deshalb versuchte man die Polen durch genetische Manipulation zu versklaven, ähnlich wie es der Kommunist Pol Pot dreißig Jahre später in Kambodscha versuchte. Dies sah praktisch so aus, dass man die „Intelligenz“ auszuschalten versuchte, dass nur noch „Dumme“ übrig blieben. Man wollte die Polen nur noch auf denkbar niedrigstem Niveau existieren lassen.[19] Im November 1939 wurde an der Jagellonischen Universität in Krakau die gesamte Professorenschaft festgenommen und in ein Konzentrationslager gebracht. Diese Professorenschaft wurde jedoch vierzehn Monaten später wieder freigelassen, da die Nachricht von der Internierung der Professoren ins Ausland gedrungen war und so wachsender Druck, vor allem durch den Papst, ausgeübt wurde. Zu dieser Zeit, also ganz am Anfang des Krieges, waren die Nazis noch durch äußeren Druck beeinflussbar.[20]
Nach dem anfänglichen Chaos nahmen die Pläne für die Verwaltung Polens schon bald Gestalt an. Das Land wurde, wegen des „Nichtangriffsvertrages“, zwischen Deutschland und der UdSSR aufgeteilt. Das „deutsche Polen“ wurde in drei große Gebiete, die je einem überzeugten Nazi unterstellt wurden, aufgeteilt. Albert Forster wurde Gauleiter von Danzig-West-Preußen, Arthur Greiser übernahm den Warthegau und Hans Frank wurde zum Generalgouverneur des dritten Gebietes ernannt, das von den Besetzern den Namen „Generalgouvernement“ erhielt.[21] Der Warthegau und Danzig-Westpreußen wurden in das deutsche Reich eingegliedert, das Generalgouvernement hingegen wurde als „Mülleimer“ für Juden und Polen gesehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Besetztes Polen 1939 (Abb.2)
Die Nazis hatten eine genaue Vorstellung ihrer „rassischen Neuordnung“. Polen, die in Gebieten des Warthegaus oder Danzig-West-Preußens wohnten, wurden vertrieben, um Platz für die Deutschen zu schaffen. Unter anderem finden wir hier ein Mann, auf den ich später noch eingehen werde, Josef Mengele, dessen Aufgabe es war, die rassenbiologische Einordnung der Bevölkerung im besetzten Polen in vier Kategorien aufzuteilen: Die Gruppe I galt als deutschblütig, Gruppe II galt als eindeutschungsfähig, Gruppe III als Arbeitssklaven und schlussendlich Gruppe IV als Juden oder „andere Schädlinge“, die es zu vernichten galt.[22] Von hier aus führte sein Lebensweg nach Auschwitz, wobei nicht geklärt ist, ob er freiwillig ging oder von seinem „Professorenvater“, Otmar von Verschuer, dazu animiert wurde.
Die Neuordnung Polens erforderte eine gewaltige Bevölkerungsverschiebung, mit dieser Aufgabe wurde Heinrich Himmler beauftragt. Heinrich Himmler war Hauptbeteiligter an der systematischen Ausrottung des jüdischen Volkes. Die „Endlösung“ wurde 1942 auf der Wannseekonferenz beschlossen.
1.4. Die Wannseekonferenz (1942)
Am 20. Januar 1942 berief der von Hermann Göring beauftragte Reinhard Heydrich die Wannseekonferenz ein. Heydrich war offiziell von Reichsmarschall Hermann Göring beauftragt worden, einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen. Es war das erste Mal, dass der Begriff „Endlösung“ in schriftlicher Form auftrat. Dies war der Beginn der systematischen Vernichtung der Juden in Europa. Heydrich beabsichtigte auf dieser Konferenz, die Organisation und die Durchführung der Endlösung der Judenfrage mit allen daran zu beteiligten Ämtern und Dienststellen aufeinander abzustimmen.
An dieser Konferenz nahmen mit Reinhard Heydrich 15 Personen teil. Staatssekretäre verschiedener Ministerien sowie hohe Partei- und SS- Funktionäre.[23]
Die 15 Teilnehmer der Wannseekonferenz:
- Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA)
- Adolf Eichmann, Leiter im Referat IV B4 („Judenangelegenheiten“) des RSHA
- Heinrich Müller, Chef der Geheimen Staatspolizei (GESTAPO)
- Otto Hofmann, SS- Gruppenführer - Rasse- und Siedlungshauptamt
- Rudolf Lange, SS- Sturmbannführer – Sicherheitspolizei
- Eberhard Schöngarth, SS- Oberführer – Sicherheitsdienst
- Gerhard Klopfer, SS- Oberführer – Parteikanzlei
- Wilhelm Kritzinger, Ministerdirektor . Reichskanzlei
- Josef Bühler, Staatssekretär – Amt des Generalgouverneurs in Krakau
- Georg Leibbrandt, Reichsamtsleiter, Reichsministerium f. d. besetzte Ostgebiet
- Alfred Meyer, Gauleiter – Reichsministerium f. d. besetzte Ostgebiet
- Erich Neumann, Staatssekretär – Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan
- Martin Luther, Unterstaatssekretär – auswärtiges Amt
- Wilhelm Stuckart, Staatssekretär – Reichsministerium des Inneren
- Roland Freisler, Staatsekretär - Reichsjustizministerium[24]
Ziel der Konferenz war, Klarheit in grundsätzlichen Fragen zu schaffen, die „Endlösung der Juden“ betreffend.[25] Protokoll führte SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Durch seine geschickte Wortwahl, in der er das Protokoll führte, war es für nicht Eingeweihte nicht möglich die eigentliche Bedeutung dieses Protokolls zu erahnen. Zum Beispiel benützte er statt dem Wort „Vernichtung“ das nichts- sagende Wort „Endlösung“ oder anstatt „Verschleppung“ benutzte er das Wort „Evakuierung“. Es handelte sich um 11 Millionen Juden, die für Endlösung in Frage kamen, wobei in diese Zahl auch Juden aus Ländern einbezogen wurden, mit denen sich Deutschland nicht im Krieg befand, wie z.B.: Schweden, Spanien und die Schweiz. Ebenfalls geklärt wurde auf dieser Konferenz, dass Halbjuden im Hinblick auf die Endlösung den Juden gleichgestellt oder in bestimmten Fällen sterilisiert werden sollten.[26]
Nach der Errichtung des Generalgouvernements im besetzten Polen, hat der Reichsführer- SS die Auswanderung von Juden verboten.
„Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. […] Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt. […] Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in so genannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden.“[27]
Ebenfalls beschlossen wurde, dass die Nürnberger Rassengesetze die Grundlage für das Endlösungsvorhaben bilden sollten. Probleme für die restlose „Bereinigung des Problems“ waren die Mischehen und die Mischlingsfragen. Mischlinge 1.Grades waren den Volljuden gleichgestellt, wobei ein paar Ausnahmen gemacht wurden, und zwar:
„Mischlinge 1. Grades verheiratet mit Deutschblütigen, aus deren Ehe Kinder (Mischling 2. Grades) hervorgegangen sind. Diese Mischlinge 2. Grades sind im wesentlichen den Deutschen gleichgestellt.[…] Der von der Evakuierung auszunehmende Mischling 1.Grades wird –um jede Nachkommenschaft zu verhindern und das Mischlingsproblem endgültig zu bereinigen – sterilisiert. Die Sterilisierung erfolgt freiwillig. Sie ist aber Voraussetzung des Verbleibens im Reich. Der sterilisierte „Mischling“ ist in der Folgezeit von allen eingehenden Bestimmungen, denen er bislang unterworfen ist, befreit. “[28]
Zum Schluss der Konferenz wurden verschiedene „Lösungsmöglichkeiten“ besprochen:
„… sowohl seitens des Gauleiters Dr. Meyer als auch seitens des Staatsekretär Dr. Bühler der Standpunkt vertreten wurde, gewisse vorbereitende Arbeiten im Zuge der Endlösung gleich in den betreffenden Gebieten selbst durchzuführen, wobei jedoch eine Beunruhigung der Bevölkerung vermieden werden sollte.“[29]
Durch die Wannseekonferenz wurde ein europaweiter Genozid mit allen Mitteln koordiniert und systematisiert.
1.5. Umsiedelung und Deportation
Wie oben schon erwähnt, erforderte der Plan der „Neuordnung Polens“ eine gewaltige Bevölkerungsverschiebung. Deutsche oder „Reinrassige“ kamen nach Danzig-West-Preußen oder in den Warthegau. Juden und Polen kamen in das „Generalgouvernement“. Menschen die umgesiedelt werden mussten, wurden mit dem Zug an die gewünschte Stelle transportiert. Doch nicht nur in Polen fand diese Tragödie statt, in allen besetzten Ländern Europas wiederholte sie sich. Ende 1941 begannen die Deportationen in Polen und Deutschland und breiteten sich über ganz Westeuropa aus. Zwei Jahre später sollte sie ihren letzten Höhepunkt mit der Verschleppung und Ermordung der ungarischen Juden erreichen. Menschen, die von der Deportation betroffen waren, erhielten eine schriftliche Anweisung, was und wie viel sie mitnehmen durften. Am Bahnhof mussten die Koffer mit Namen und Adresse beschriftet werden, dies diente dazu, dass die Juden glaubten, dass ihnen das Gepäck nachgeschickt und sie selbst zur Arbeit nach Polen geschickt werden würden. Das Reichsverkehrsministerium und die ihm unterstellte Deutsche Reichsbahn stellten die Züge zur Verfügung und arbeiteten die Fahrpläne aus. In jedem Land fanden sich willige Helfer für diese Aktionen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auschwitz
Abb.: 3
2.1. Endstation Auschwitz
Im Mai 1940 wurde in einem Vorort der Stadt Auschwitz (Oswiecim) in Oberschlesien ein Konzentrationslager für polnische politische Gefangene errichtet. Örtliche Polizisten hatten den Bau des KZs gefordert, da die vorhandenen Gefängnisse nicht mehr ausreichten.[30] Das Lager wurde auf einem leer stehenden Barackengelände errichtet. Heinrich Himmler, Reichsführer der Schutzstaffel (RFSS), ernannte am 4. Mai 1940 Rudolf Höß zum Kommandanten von Auschwitz.[31] Ursprünglich diente es nur als Durchgangs- und Quarantänelager bzw. als Exekutionsort für polnische Geiseln, Widerstandskämpfer und so genannte „Intelligenzler“. Am 14.Juni 1940 kam der erste Transport in Auschwitz an, der etwa 700 polnische Häftlinge umfasste. Auf Befehl Heinrich Himmlers wurde das Lager 1941 ausgebaut, für geeignet schien das bereits geräumte Dorf Birkenau (Brzezinka), welches drei Kilometer vom Stammlager Auschwitz entfernt lag. Im selben Jahr, im Frühjahr, wurden die Buna-Werke der IG- Farbenindustrie errichtet, die etwa 7 Kilometer vom Stammlager (Auschwitz I) entfernt lagen. Anfangs mussten die Häftlinge den 7 Kilometer langen Weg jeden Tag zu Fuß zurücklegen. 1942 errichtete die IG-Farbindustrie in unmittelbarer Nähe das Arbeitslager Monowitz (Auschwitz III).[32]
Im Sommer 1941 wurde Rudolf Höß zum Reichsführer der SS nach Berlin beordert, dort wurde ihm gesagt, dass der „Führer“ den Befehl zur „Endlösung“ der Juden gegeben habe und die SS habe diesen auszuführen. Der Ort, an dem die „Endlösung“ der Juden durchzuführen war, war Auschwitz. Und zwar aus zwei Gründen, erstens wegen seiner günstigen verkehrstechnischen Lage und zweitens war das Gebiet leicht zu tarnen und abzusperren. Nähere Anweisungen erhielt er von Adolf Eichmann.[33] Zu diesem Zeitpunkt war aber noch völlig unklar, wie diese so genannte „Endlösung“ anzugehen war. Todesurteile wurden entweder an der Mauer von Block 11 oder außerhalb der Lagerzäune in zwei Kiesgruben durchgeführt.[34] Im Jahr 1941 reiste eine Ärztekommission nach Auschwitz und selektierte dort 573 Häftlinge, meist Kranke, Krüppel und Invalide, diese wurden in die Euthanasie-Anstalt nach Sonnstein gebracht. Diese Häftlinge wurden dort angeblich durch Kohlenmonoxid vergiftet. Zur gleichen Zeit erprobten Ärzte in Auschwitz die serienweise Tötung von Häftlingen durch intravenöse Injektionen von Perhydrol, Benzin, Äther, Evipan und Phenol im Stammlager (Auschwitz I) des Krankenbaus Block 21. Doch all diese Massentötungen entsprachen nicht den Vorstellungen der SS. Karl Fritzsch schaffte im August 1941 den Durchbruch, der ganz im Sinne seiner Vorgesetzten war, die Vergasung durch Zyklon B. Im Ersten Weltkrieg wurde dieses hochgiftige Gas zur Bekämpfung von Schädlingen verwendet, z.B.: für die Fleckfieber übertragende Kleiderlaus. Eingeatmetes Zyklon B blockiert die Sauerstoffaufnahme und führt zum Erstickungstod. Rudolf Höß überzeugte Adolf Eichmann sehr schnell von der Effektivität dieses Gases und am 15.Februar 1942 kamen die ersten Transporte aus Oberschlesien. Die Juden, die sich auf diesem Zug befanden, wurden sofort ins Gas geschickt.[35]
2.2. Auschwitz I (Stammlager)
Arthur Liebehenschel, der von November 1943 bis Mai 1944 Kommandant in Auschwitz war, ließ den gesamten Lagerbereich in drei Lager aufteilen: Auschwitz I, Auschwitz II und Auschwitz III. In Auschwitz I war die Zentralverwaltung des gesamten Lagerkomplexes untergebracht. Die Gesamtausdehnung einschließlich aller Nebenlager betrug 40 km2. Insgesamt existierten drei Hauptlager und 39 Nebenlager. Die allgemeine Zahl der Opfer von Auschwitz wird in den Jahren 1940-45 auf 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen geschätzt.[36]
Um das rechteckige Stammlager, Auschwitz I, war ein vier Meter hoher Stacheldrahtzaun gespannt, der mit Starkstrom geladen waren. Am Zaun entlang waren Wachtürme aufgestellt, auf denen die SS Wache hielt. Später wurde sogar noch ein zweiter Stacheldrahtzaun errichtet. Über dem an der Nordseite liegenden Eingangstor steht die zynische Inschrift „Arbeit macht frei“[37]. Diesen Spruch ließ Rudolf Höß in Metallbuchstaben in Form eines Spruchbandes, dort zu seiner Dienstzeit anbringen. Dazu schreibt er in seinen Aufzeichnungen:
„Die Arbeit in der Gefangenschaft ist nicht nur ein wirksames Zuchtmittel, im guten Sinne, indem sie den Gefangenen dazu anhält, sich selbst in Zucht zu halten. […]Sie ist auch ein Erziehungsmittel für Gefangene, die an und für sich haltlos sind, für solche, die einer Gewöhnung zu Stetigkeit und Ausdauer bedürfen, und für diejenigen, die durch die segensreiche Wirkung der Arbeit dem Verbrechertum noch entrissen werden können. – Dies oben Gesagte hat alles nur Gültigkeit in normalen Verhältnissen. So ist auch die Devise: „Arbeit macht frei“ zu verstehen.“[38]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Tor zum Stammlager, mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ (Abb.4)
Die ersten Frauentransporte erreichten Auschwitz I im März 1942. Viele dieser Frauen fielen den brutalen Sterilisationsversuchen, die vom Gynäkologen Prof. Carl Clauberg durchgeführt wurden, zum Opfer. Im selben Gebäude, in dem Prof. Carl Clauberg experimentierte, findet sich noch ein anderer Arzt, der durch seine Grausamkeit Aufsehen erregte – Dr. Dr. Josef Mengele.
In Auschwitz I befand sich auch ein Lagerbordell, das im Sommer auf Geheiß Himmlers in Block 24 etabliert wurde. Es diente zur Belohnung von privilegierten Insassen und wurde auch von der Wachmannschaft benutzt. Hierfür wurden Frauen für die Arbeit im Bordell selektiert.
2.3. Auschwitz II (Birkenau)
Als Auschwitz II wurde das Lager Birkenau bezeichnet. Dieser gesamte Lagerkomplex diente der Massenvernichtung von Menschen in Gaskammern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die, von den Nazis gesprengten Gaskammern in Birkenau (Abb.5)
Das Lager hat ein Ausmaß von annähernd 2 km2. Das Umgehen des Lagers dauerte beinahe anderthalb Stunden.[39] Insgesamt umfasste das Lager bis zu 100.000 Häftlinge. Es war in mehrere Sektionen unterteilt, die wiederum in Felder unterteilt waren. Das Haupttor mit der berüchtigten „Rampe“ befand sich an der Ostseite des Lagers zwischen den Abschnitten B I und B II. Die Abschnitte B I und B II waren voneinander durch eine Straße, einen Graben und die „Rampe“ getrennt. Abschnitt B II umfasste wiederum sieben Lager: drei östlich der Straße, die von Süden nach Norden (B II a, B II b, B II c) führte und vier westlich von ihr (B II d, B II e, B II f, B II g).[40]
Der Lagerabschnitt B II e war das Zigeunerlager. Dr. Dr. Josef Mengele meldete sich am 30. Mai 1943 zum Dienstantritt bei Standortarzt Eduard Wirths und übernahm den Posten des Lagerarztes im Zigeunerlager B II e.[41] Im Jahr 1944 begann man den Abschnitt B III zu bauen, dieser Abschnitt wurde jedoch nie fertig gestellt.[42] Umgeben war das Lager, gleich wie Auschwitz I, von einem elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun.
Zwei Bauernhäuser, die vom Dorf Birkenau noch stehen gelassen worden waren, wurden im Frühjahr 1942 zu Gaskammern umgebaut, diese wurden zur Tarnung Bunker I und Bunker II genannt.
2.4. Auschwitz III (Monowitz)
Als Auschwitz III wurde das Lager Monowitz, welches die IG-Farbindustrie errichten ließ, und alle übrigen Nebenlager, wie beispielsweise Fürstengrube, Königshütte, Jawiszowice, Bobrek, Janina und andere kleinere Lager bezeichnet. Die Nebenlager entstanden in den Jahren 1942-1944, meist ließen Firmen ein Lager errichten, um die Häftlinge in der Nähe zu haben und so den Arbeitseinsatz der Häftlinge zu steigern. Das größte von ihnen war das IG-Farbindustrie- Nebenlager. Als täglichen Lohn kassierte die SS pro Facharbeiter vier Reichsmark, pro Hilfsarbeiter drei Reichsmark.[43]
2.5. Organisation des Massenmords
Bald nach der Einführung des Zyklon B Gases als Tötungsmittel trafen nach und nach Transporte in Auschwitz ein, die sofort ins Gas geschickt wurden. Ein Häftling namens Kielar Wieslaw beschrieb die genaueren Umstände:
„Im Frühling kamen- immer nachts- Judentransporte, die nicht ins Lager, sondern in ein Bauerngehöft geleitet wurden, das im Wäldchen Birkenau lag. Das Haus dort war so hergerichtet, dass jeweils eine größere Anzahl von Menschen getötet werden konnte, die über ein Nebenlager des Bahnhofs Auschwitz herbeigebracht wurden. Nachdem ein Transport in der Gaskammer des scheinbar harmlosen Bauernhäuschen vergast worden war, mussten eine Gruppe junger kräftiger Juden ihre Leidensgenossen aus der Gaskammer holen und sie in Gruben auf einer Wiese in nächster Nähe des Häuschens verscharren. Waren so die Spuren des Verbrechens beseitigt, brachte man sie zu uns auf den Krankenbau und stellte sie in einer Schlange vor dem Ambulatorium auf. Das war immer am späten Abend, nach dem Gong zur Bettruhe, wenn das Lager bereits schlief. […] Den Juden wurde gesagt, dass sie nach der erschöpfenden Arbeit Stärkungsspritzen erhalten sollten. Sie befanden sich auf dem Krankenbau, das konnte kein Misstrauen wecken. Klehr, im weißen Arztkittel, empfing sie einzeln in seinem „Behandlungszimmer“, wobei er hinter jedem Patienten die Tür sorgfältig schloss. Nach dem Eingriff, der jeweils kurz dauerte, sah er auf den Korridor und rief den nächsten auf. “[44]
Die Juden wurden in Wahrheit durch die Karbolsäure Phenol ermordet. Der Marsch zu dem früheren Bauernhäuschen bedeutete den sicheren und schnellen Tod.[45]
Als Rudolf Höß mit dem Befehl zur Vernichtung der Juden aus Berlin zurückkam, besuchte Adolf Eichmann Auschwitz, um Höß in die Pläne der einzelnen Länder einzuweihen, von denen Juden nach Auschwitz deportiert werden sollten.
Vorgesehen waren zuerst Ostoberschlesien und die daran grenzenden Teile des Generalgouvernements, dann die Juden aus Deutschland und der Tschechoslowakei. Anschließend der Westen, Frankreich, Belgien und Holland.[46]
Nach der Entdeckung der Effektivität von Zyklon B durch Carl Fritzsch wurde im September 1941 mit den Massenvernichtungen begonnen.
Rudolf Höß beschrieb in seinen autobiographischen Aufzeichnungen die erste Vergasung, deren Opfer Juden aus Ostoberschlesien waren:
„An der Bahnrampe wurden die Juden von einer Bereitschaft des Lagers von der STAPO (GESTAPO) übernommen und in zwei Abteilungen durch den Schutzhaftlagerführer nach dem Bunker, wie die Vernichtungsanlagen bezeichnet wurden, gebracht. Das Gepäck blieb an der Rampe und wurde dann nach der Sortierstelle – Kanada[47] genannt – zwischen DAW (Deutsche Ausrüstungswerke) und dem Bauhof gebracht. Die Juden mussten sich bei dem Bunker ausziehen, es wurde ihnen gesagt, dass sie zur Entlausung in die auch so bezeichneten Räume gehen müssten. Alle Räume, es handelte sich um fünf, wurden gleichzeitig gefüllt, die gasdicht gemachten Türen zugeschraubt und der Inhalt der Gasbüchsen durch besondere Luken in die Räume geschüttet.
Nach Verlauf einer halben Stunde wurde die Türen wieder geöffnet, in jedem Raum waren 2 Türen, die Toten herausgezogen und auf kleinen Feldbahnwagen auf einem Feldbahngleis nach den Gruben gefahren. Die Kleidungsstücke wurden mit Lastwagen nach der Sortierstelle gebracht. Die ganze Arbeit, Behilflichsein beim Ausziehen, Füllen des Bunkers, Räumung des Bunkers, Beseitigung der Leichen sowie das Ausschachten und Zuschütten der Massengräber wurde durch ein besonderes Kommando von Juden durchgeführt, die gesondert untergebracht waren und laut Anordnung Eichmanns nach jeder größeren Aktion ebenfalls vernichtet werden sollten. Während der ersten Transporte schon brachte Eichmann einen Befehl der RFSS, wonach den Leichen die Goldzähne auszuziehen und bei den Frauen die Haare abzuschneiden seien. Diese Arbeit wurde ebenfalls von dem Sonderkommando durchgeführt. Die Aufsicht bei der Vernichtung hatte zu der Zeit jeweils der Schutzhaftlagerführer bzw. der Rapportführer. […] Das Einwerfen des Gases erfolgte durch die ausgebildeten Desinfektoren[48] – SDGs (Sanitätsdienstgrade).“[49]
Bei den Verbrennungen im Freien zeigte sich, dass dies auf Dauer nicht durchzuführen sei, weil bei schlechtem Wetter oder starkem Regen der Verbrennungsgeruch viele Kilometer über das Land zog, so das die umliegende Bevölkerung von den Juden-Verbrennungen sprach. Dies führte zum Bau der Krematorien und 1943 zum Bau zweier kleinerer Anlagen. Die beiden großen Öfen wurden im Winter 1942/43 gebaut und deren Betrieb wurde im Frühjahr ´43 aufgenommen. Die Öfen konnten innerhalb von 24 Stunden ca. 2000 Leichen verbrennen. Die höchste erreichte Zahl innerhalb von 24 Stunden von Verbrennungen und Vergasungen betrug 9000, als durch Zugverspätungen statt drei Zügen fünf Züge ankamen, die noch dazu stärker belegt waren.[50]
Die Krematorien wurden von der Erfurter Firma Topf & Söhne hergestellt. Während des Zweiten Weltkrieges produzierte Topf & Söhne auch Rüstungsgüter, vor allem Granaten und Ersatzteile für die „Heinkel 111“, den Standardbomber der deutschen Luftwaffe.
Im Bereich D „Feuerungsbau“ wurden seit 1914 Einäscherungsöfen für Krematorien entwickelt. Schon bald war es der Firma gelungen, sich in dem neuen Markt als Branchenführer zu etablieren. Die Abteilung D IV „Spezialofenbau“ im dritten Stock des Gebäudes arbeitete seit 1939 intensiv für die SS. Die Firma lieferte nicht nur Verbrennungsöfen, sondern perfektionierte auch die Gaskammern.[51]
Die systematische Vernichtung wurde bereits 1944 eingestellt. Um die Verbrechen zu verwischen, sprengte die SS im Januar 1945 die Gaskammern von Auschwitz, die Krematorien wurden demontiert, um angeblich im KZ Mauthausen wieder aufgebaut zu werden.[52]
2.6. Befreiungen von Auschwitz
Im August 1944 nährte sich die Rote Armee dem KZ Auschwitz, zu diesem Zeitpunkt begann die SS mit der Evakuierung der Häftlinge. 65.000 „arbeitsfähige“ Häftlinge wurden ins „Altreich“ gebracht, um in Rüstungsbetrieben zu arbeiten. Zahlreiche Gegenstände der ermordeten Juden, die in der Sortierstelle „Kanada“ gelagert waren, wurden ebenfalls ins „Altreich“ überstellt. Am 17. Januar begann die Endphase der Evakuierungen des KZ Auschwitz und seiner Nebenlager, diese „Endphase“ ist heute noch unter der Bezeichnung „Todesmärsche“ bekannt. 56.000 Häftlinge wurden in Richtung Westen geschickt, um der Befreiung der Roten Armee zu entgehen, zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge kamen bei diesem Marsch ums Leben.[53]
Am 26. Januar tauchten immer wieder vereinzelte SS-Kommandos in Auschwitz auf und erschossen wehrlose Insassen, plünderten Sammelstellen des gelagerten Häftlingseigentum und sprengten die bereits abgebrochenen Krematorien II, III und V in die Luft.[54]
Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. 7.500 kranke, erschöpfte und ausgemergelte Häftlinge im Stammlager und in den Nebenlagern wurden als Überlebende des Massenmords in Auschwitz gezählt.[55]
Die Befreier fanden über 1.000.000 Kleider, ca. 44.000 Paar Schuhe und sieben Tonnen Menschenhaar, die von der SS zurückgelassen worden war[56].
Nach der Errichtung des Lagers 1940 bis zu seiner Befreiung 1945 sind von mindestens 1.300.000 nach Auschwitz Deportierten etwa 900.000 direkt ins Gas geschickt worden. Etwa 200.000 weitere starben an Hunger und Krankheiten oder wurden nach kurzer Zeit ins Gas geschickt.[57]
Einige Tage nach der Befreiung wurde die Weltöffentlichkeit über die Gräueltaten informiert.
Am 20. Dezember 1963 begann in Frankfurt am Main der erste so genannte Auschwitz-Prozess gegen 22 Aufseher und Angehörige der Lagerleitung des KZs.
Im Jahr 1979 wurde das Lagergelände Auschwitz in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.[58]
Seit 1988 findet jährlich der Marsch der Lebenden zur Erinnerung an den Holocaust statt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.6 Abb.7
Gegenüberstellung von Tätern und Opfern des Holocausts
3.1. Dr. phil. Dr. med. Josef Mengele
3.1.1. Mengeles Werdegang bis Auschwitz
Josef Mengele ist eine der Personen, die den Schrecken und die Verletzung der Menschenrechte zur Zeit des Holocausts widerspiegelt. Die Frage stellt sich, wie ein Mensch, der nur mit einer Handbewegung Tausende von Menschen in den Tod schickte, ohne gerechte Strafe entkommen konnte. Nach dem vierzigsten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz wurde die Suche nach Josef Mengele intensiviert.[59] Die Belohnungssumme, die höchste, die je auf einen Menschen für Hinweise zu seiner Ergreifung ausgesetzt wurde, betrug am Ende 10 Millionen Mark.[60] Wie es überhaupt dazu kam, d.h. welche Personen Josef Mengele beeinflussten und welche Faktoren mitspielten, dass er NS-Arzt von Auschwitz wurde, darauf möchte ich nun näher eingehen.
Josef Mengele wurde am 16. März 1911 in Günzburg in Schwaben als ältester von drei Söhnen geboren. Sein Vater, Ing. Karl Mengele, war ein erfolgreicher Fabrikbesitzer. Seine Mutter war Walburga Mengele, geborene Hupfauer.[61] Im Juli 1912 wurde sein Bruder Thaddäus und im Januar 1914 sein Bruder Alois geboren.[62] Die Familie Mengele war in Günzburg sehr angesehen, dort findet sich sogar eine Karl-Mengele- Straße, die nach dem Gründungsvater des Unternehmens „Karl Mengele & Söhne“ benannt ist.[63]
Mengele schrieb in seinen autobiographischen Aufzeichnungen, dass der Grundton seiner Familie „ eher Achtung und Respekt, als Liebe und Zuneigung “ war.[64] Die Familie Mengele war streng katholisch und so wurden auch die Kinder erzogen. Das Haus war jedoch nicht von christlicher Nächstenliebe erfüllt. In seinen Memoiren beschrieb Mengele seinen Vater als „ kalte Person “ und seine Mutter als „ nicht viel besser, wenn es um Liebe ging “[65] Mengele war ein sonniges und spaßiges Kind, dessen Lieblingsbeschäftigung das Reiten war. Mit fünfzehn Jahren diagnostizierte man Osteomylitis, eine Entzündung des Knochenmarks, die in schweren Fällen zur Lähmung führen kann. Mengele überstand die Krankheit ohne nennenswerte Behinderung.[66]
Josef Mengele erlebte zwar keine behütete und beschirmte Kindheit in der Geborgenheit seiner Familie, aber es war eine von wirtschaftlicher Not freie Jugendzeit in dem überschaubaren Beziehungsgeflecht der kleinen Stadt Günzburg in Schwaben. Nichts in seinen äußeren Lebensbedingungen kann somit als notwendige Voraussetzung für seine spätere Entwicklung gedeutet werden.[67]
Nach seinem Schulabschluss wollte Mengele zunächst Zahnmedizin studieren. Aber sein früherer Schulkollege, Julius Diesbach, ein Medizinstudent, überzeugte ihn schnell, dass eine Spezialisierung auf Zahnmedizin später immer noch möglich wäre, wenn er vorher das Studium der Medizin wählen würde. Wenn er sich schon für Medizin interessieren würde, dann könnte er doch zunächst die denkbar breiteste Ausbildung wählen. Am selben Tag noch schrieb sich Josef Mengele bei den Medizinern ein.[68] Im Jahr 1930, Mengeles erstem Studienjahr, vervielfachte sich die Sitze der NSDAP bei den Reichstagswahlen von 12 auf 107 und sie wurde so zweit stärkste Partei. Josef Mengele betraf dies insofern, weil seine Professoren an der Universität Vertreter der sozialdarwinistischen Theorie waren, die besagt, dass bestimmte Menschen aufgrund biologischer Unzugänglichkeiten als „lebensunwert“ betrachtet werden.[69] Jedoch widmete sich Josef Mengele mehr seinem Studium und zeigte wenig Interesse an Politik und Kultur. Zusätzlich zu seinem Medizinstudium wählte Mengele das Fach Anthropologie. Diesem Fach fiel im Dritten Reich eine besondere politische Rolle zu. Es sollte den wissenschaftlichen Nachweis für die Minderwertigkeit der nicht arischen Rassen, das Grunddogma der NS-Ideologie, erbringen.[70] Zu dieser Zeit kam Josef Mengele mit vielen Menschen zusammen, die den Nationalismus in höchsten Tönen lobten. Um einige Namen zu nennen, z.B. Professor Ernst Rüdin, ein international angesehener Psychiater, bei dem Mengele regelmäßig Vorlesungen besuchte, lobte die Nürnberger Rassengesetze wegen „ der Verhinderung weiteren Eindringens jüdischen Blutes in die deutsche Erbmasse “ und die Angehörigen der SS wegen ihres Zieles einer „ erbgesundheitlich wertvollen Sippe deutscher, nordischer bestimmter Art “[71]. Ein anderer Professor, der Mengele prägte, war Th. Mollison, Leiter des anthropologischen Instituts der Universität München.[72] Th. Mollison wurde Josef Mengeles geistlicher Mentor, er führte ihn in die Gedankenwelt der Eugenik und Rassenhygiene ein. 1935, also in dem Jahr, in dem die Nürnberger Rassengesetze verkündet wurden, erwarb Mengele mit seiner Doktorarbeit “Rassenmorphologische Untersuchung des vorderen Unterkieferabschnittes bei vier rassischen Gruppen“ den Titel eines Dr. phil. an der Münchner Universität.[73] Auch wenn man sagen kann, dass Mengeles Arbeit eine seriös abgehandelte medizinische Arbeit war, merkt man schon an dem Titel, dass Mengele sich zunehmend für die rassenbiologische Einteilung verschiedener Bevölkerungsgruppen interessierte. Einige Jahre später setzte er diese „Rasseneinteilung“ in die Tat um, als ihm die Aufgabe zugeteilt wurde, im besetzten Polen eine rassenbiologische Einordnung der Bevölkerung vorzunehmen.
Nach seiner Staatsprüfung trat Mengele ein viermonatiges Medizinpraktikum an der Kinderklinik der Universität Leipzig an. Dort lernte er seine spätere Frau Irene Schönbein kennen.[74] Nach diesem viermonatigen Praktikum wurde er auf Empfehlung seines Doktorvaters Professor Mollison als Forschungsassistent an das Reichsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene der Universität Frankfurt am Main berufen[75] Diese Berufung sollte Josef Mengeles Leben verändern. Er wurde in den Mitarbeiterstand von Prof. Otmar von Verschuer, einem der führenden europäischen Genetiker, der sich vor allem der Zwillingsforschung widmete, aufgenommen.[76] Mengele war beeindruckt von den Lehren Verschuers und machte ihn zu seinem Vorbild. Er wurde Verschuers Lieblingsassistent. Dies äußerte sich unter anderem so, dass Verschuer, wenn er verhindert war, sich zu seinen Vorlesungen und Übungen bevorzugt von Mengele vertreten ließ.[77] Otmar von Verschuer und Josef Mengele waren zwei Menschen mit gleichem Interesse, die sich vorzüglich ergänzten. Im Jahre 1938, vor allem ein ausschlaggebendes Jahr für Österreich, das in diesem Jahr zur Ostmark wurde, und für die Juden Wiens, die durch die Reichspogromnacht merkten, dass es sich nun nicht mehr um „nur“ einen mit Worten verletzenden Antisemitismus handelt, der sich gegen sie richtete, sondern so propagiert wurde, dass es um Leben und Tod ging, in diesem Jahr promovierte Mengele unter Verschuers Obhut zum Doktor der Medizin. „Sippenuntersuchung bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte“ war der Titel seiner Dissertation.[78] Ein Jahr vorher, 1937, trat Mengele der NSDAP bei, er erhielt den Parteiausweis mit der Nummer 55794974.[79]
1939 heiratete Josef Mengele Irene Schönbein, die er in seiner Praktikumszeit in Leipzig kennen gelernt hatte. Die Hochzeit schien aber anfangs gefährdet zu sein, da nicht einwandfrei ausgeforscht werden konnte, ob Irene Schönbein frei von jüdischem Blut war. Irenes Vater war unehelich geboren worden und ihr Großvater war zudem noch unbekannt.[80] Schlussendlich gab das Rasse- und Sicherheitshauptamt die Hochzeit 1939 doch frei, Josef Mengele wurde jedoch das Zertifikat vorenthalten, das seine Frau und seine künftigen Kinder als rassisch „rein“ auswies.[81]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Josef Mengele 1938 (Abb.8)
Mitte Juni 1940 wurde er zur Sanitätsersatzabteilung 9 in Kassel berufen. Da er dort an einen strengen Ausbildner geriet, der die Untergebenen regelrecht fertig machen wollte, reichte es Mengele schon bald und er meldete sich zur Waffen SS. Ob dies der einzige Grund für den Übertritt Mengeles zur Waffen SS war, ist nicht geklärt.[82] Vorerst wurde Mengele einer militärärztlichen Ausbildung unterzogen. Am 4. November 1940 kam er als Truppenarzt zur Waffen-SS-Division „Wiking“. In dieser Division wurden ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse, das Eiserne Kreuz II. Klasse und die Ostmedaille 41/42, der so genannte „Gefrierfleischorden“[83], verliehen. Nach einer leichten Verwundung, die ihm zusätzlich das Verwundetenabzeichen einbrachte, verabschiedete sich Mengele von der Truppe.[84] Nachdem er von 23. Juli 1942 bis 13. Februar 1943 in Berlin als Gutachter des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS gearbeitet hatte, seine Aufgabe war die rassenbiologische Einordnung der Bevölkerung im besetzten Polen[85] (siehe auch Blitzkrieg in Polen), wurde er am 24. Mai 1943 vom Führungshauptamt der SS aufgefordert sich als Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz zu melden.[86] Laut Guido Knopp dürfte sein geistige Mentor Verschuer Mengele letztendlich mit folgenden Worten bestärkt haben, nach Auschwitz zu gehen:
„Da bietet sich eine große Gelegenheit für die Wissenschaft. Viele Rassen sind dort, viele Menschen. Gehen Sie nur. Es liegt im Interesse der Wissenschaft.“ [87]
Am 30. Mai 1943 meldete sich Josef Mengele zum Dienstantritt bei Standortarzt Eduard Wirths und übernahm den Posten des Lagerarztes im Zigeuner- Familienlager B II e, in Auschwitz Birkenau.
3.1.2. Mengeles Tätigkeit in Auschwitz
Mengele war ein ehrgeiziger und karrieresüchtiger junger Arzt, dem es nicht schwer fiel sich in die Vernichtungsanlage Auschwitz einzuleben. Nach kurzem Aufenthalt im Lager wurde er auf eine gewisse Krankheit aufmerksam, die nur in Lagerteilen der Zigeuner ausbrach. Diese Krankheit nennt sich Wangenkrebs oder Wasserkrebs, auch Noma genannt. Vor allem betroffen von dieser Krankheit waren Kinder und Jugendliche. Die Noma Erkrankung wurde vor allem durch einen Vitaminmangel im Organismus verursacht. Auf der Mundschleimhaut bildet sich zuerst ein dunkles Bläschen, das sich schnell vergrößert und auch die Gesichtshaut angreift. Das Gewebe zerfällt rasch und es kommt zu einer Öffnung in der Mundhöhle. Der Krebs kann, sofern nicht vorher der Tod eintritt, das halbe Gesicht „wegfressen“.[88] Diese Krankheit ist heute überwunden, und schien schon damals überwunden zu sein. Deshalb erregte sie das Interesse von Mengele. Lucie Adelsberger, die im Zigeunerlager Häftlingsärztin war, schilderte die katastrophalen Zustände, in denen sich die Kinder befanden:
„Die Kinder waren wie die Erwachsenen nur Haut und Knochen, ohne Muskeln und ohne Fett, und die dünne pergamentartige Haut scheuerte sich über den harten Kanten des Skeletts überall durch und entzündete sich in schweren Wunden. Krätze bedeckte den unterernährten Körper von oben bis unten und entzog ihm die letzte Kraft. Der Mund war von Noma-Geschwüren zerfressen, die sich in die Tiefe bohrten, die Kiefer aushöhlten und krebsartig die Wangen durchlöcherten. […]Bei vielen schoppte der Hunger den sich zersetzenden Organismus mit Wasser voll. Sie schwollen zu unförmigen Klumpen an, die sich nicht rühren konnten. Durchfall, durch Wochen hindurch, löste ihren widerstandslosen Körper auf, bis bei dem stehten Wegfließen von Substanz nichts mehr von ihnen übrig blieb. […] Vor Hunger und Durst, Kälte und Schmerzen kamen die Kinder auch nachts nicht zur Ruhe. Ihr Stöhnen schwoll orkanartig an und hallte im ganzen Block wider, bis sie erschöpft nachließen und nach kurzer Pause zu neuem Crescendo ansetzten. Nacht für Nacht flutete das Jammern der leidenden Kreaturen auf und ab, wie die Wogen eines Meeres, eine nicht endende Symphonie menschlicher Qual.“[89]
Die Leichen der toten Kinder wurden bis zum Abtransport zum Krematorium gesammelt. Unter der Aufsicht Mengeles wurden die Köpfe vom Rumpf getrennt und anschließend in mit Chemikalien gefüllte Glasgefäße gelegt.
Auf Befehl von Mengele wurde im Frühjahr 1943 ein Kindergarten, in dem sich einige hunderte Kinder im Säuglingsalter bis zum sechsten Lebensjahr aufhielten, errichtet. Die Kinder erhielten je nach Alter einen halben Liter Milch, Schokolade, Marmelade und Weißbrot. Die Lebensmittel gelangten nur teilweise zu den Kindern, da sie oft von den SS Männern gestohlen wurden.[90] Doch wer glaubt, dass Mengele die Lebensbedingungen der Kinder verbessern wollte, liegt falsch. Mengele ließ diesen Kindergarten errichten, um die Kinder als „Versuchsobjekte“ zu benutzen. Wenn er sie nicht mehr brauchte oder wenn sie für ihn uninteressant geworden waren, überließ er sie ihrem Schicksal, was gleichbedeutend mit dem Tod war.
Neben der Nomastudie interessierte sich Mengele vor allem für die Zwillingsforschung, für Kinder mit angeborenen Anomalien sowie für Menschen mit unterschiedlicher Färbung der Iris, der so genannten Heterchromie. Bei diesen Fällen blühte er regelrecht auf und bestand darauf, diese selbst zu untersuchen.[91] Mengele war, wie viele andere, die in einem Konzentrationslager tätig waren, sehr diszipliniert und ordnungsliebend. Das Zigeunerlager wurde am 1. Juli 1944 aufgelöst, die wenigen Überlebenden wurden entweder ins Stammlager oder in andere Konzentrationslager im Reich verlegt. Bald darauf erschien Mengele in Begleitung einiger SS-Männer und Häftlinge des „Sonderkommandos“, um die Spuren des Massenmordes an den Zigeunern zu beseitigen.[92] Dabei spielten sich schreckliche Szenen ab, wie ein Augenzeuge im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1964 berichtete:
„Fürchterliche Szenen spielten sich ab. Frauen und Kinder lagen vor Mengele und Boger auf den Knien und riefen: „Erbarmen, erbarmen Sie sich!“ Es hat alles nichts genützt. Sie wurden brutal zusammengeschlagen und getrennt und auf die Lastwagen gestoßen. Es war eine fürchterliche, grausame Nacht … Die Geschlagenen blieben regungslos liegen und wurden auf die Lastwagen geschmissen.“[93]
Alle Zigeuner die zusammengeholt worden waren, wurden mit den Lastwägen zu den Gaskammern gebracht und dort vergast. Es waren mehr als 3.000 Zigeuner, die in jener Nacht vergast wurden. Die Zigeuner-Zwillinge brachte Mengele am Tag der Liquidierung in das Stammlager, da er sie zu medizinischen Zwecken nicht töten lassen wollte. Als ihm die Lagerleitung diese Schonfrist verweigerte, erschoss Mengele persönlich die Kinder im Vorraum eines Krematoriums in Birkenau.[94] Eduard Wirths, Standortarzt von Auschwitz, charakterisierte Mengele folgendermaßen:
„Dr. M. hat einen offenen, ehrlichen, festen Charakter. Er ist absolut zuverlässig und gerade […] Mit Umsicht, Ausdauer und Energie hat er alle ihm gestellten Aufgaben oft unter schwierigsten Voraussetzungen zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erfüllt und sich jeder Lage gewachsen gezeigt. […]“[95]
Mengele übernahm 1944 den Häftlingskrankenbau Abschnitt B II f, gleichzeitig war er verantwortlich für die ambulant medizinische Versorgung der Abschnitte B I, B I b, beides waren Frauenlager und des Abschnitts B II a, das Männer-Quarantänelager. Außerdem war er verantwortlich für die Abschnitte B II b, das Familienlager für Juden aus Theresienstadt B II c, das Lager für ungarische Juden und B II d, das Männerlager. All diese Lager waren unter seiner medizinischen Verantwortung.[96]
3.1.2.1. Selektion an der Rampe
Die Selektion wurde von den Lagerärzten durchgeführt. Sie kannte kein Maß, keine Abstufung, sie kannte nur eine einzige Entscheidung: rechts oder links, Leben oder Tod! Nachdem ein Transport eingetroffen war, hatten die SS-Ärzte zu entscheiden, wer fähig war zu arbeiten oder wer vergast werden sollte.75 bis 80 Prozent eines jeden Transportes kamen auf die linke Seite – die zu den Gaskammern führte. Meist befanden sich Mütter mit ihren Kindern, Alte, Schwangere und körperlich Behinderte darunter. Die Selektierten mussten in einen unterirdischen Betonraum gehen und dort die Kleider ausziehen. Die Kleider legten sie auf Bänke, die mit Nummern versehen waren. Die SS-Wachmannschaft sagte ihnen, dass sie sich die Nummer merken sollten, damit anschließend beim Anziehen keine Unordnung entstehe. Die meisten Todgeweihten wussten zwar, was ihnen bevorstand, doch klammerten sich einige an diesen Hoffnungsschimmer. An den Türen stand, zur Beschwichtigung, „Desinfektionsraum und Bad“. Nach der Entkleidung wurden sie in die Gaskammern gepfercht und vergast. Nach der Vergasung, die etwa 20 Minuten dauerte, wurden den Leichen die Goldzähne herausgebrochen und anschließend wurden sie verbrannt. Die Asche wurde in die Weichsel geschüttet.
Keinen anderen sah man so oft auf der Rampe wie Mengele. Er wurde zum Sinnbild der deutschen Selektionsmedizin. Meist war er für Menschen, die eine anstrengende Fahrt ohne Essen und Trinken hinter sich hatten, der erste Mensch, den sie sahen. Ein Augenzeuge berichtet: „Er hatte immer eine Hand in der Uniformjacke, während er mit der anderen Hand jeweils in die eine oder andere Richtung zeigte, womit er im Ergebnis über Leben und Tod entschied.“[97]
Der Gefangene Efraim Stiebelmann erinnerte sich an eine Selektion, die Mengele durchführte und bei der es zu einer schrecklichen Szene kam:
„Es traf ein Transport aus Lodz ein, und Mengele wählte aus, wer zur Arbeit und wer ins Gas sollte. Eine Frau mit einem Mädchen von 13 bis 14 Jahren wollte sich von ihrem Kind, das ins Gas sollte, nicht trennen. Mengele gab dem Posten Befehl, der Frau das Kind mit Gewalt wegzunehmen. Die Frau sprang darauf auf den Posten los, biss und zerkratzte ihm das Gesicht. Daraufhin hat Mengele die Pistole gezogen und Frau und Kind erschossen. […] Daraufhin schickte Mengele auch die Leute dieses Transportes, die schon zur Arbeit ausgewählt waren, ins Gas mit dem Bemerken: >Weg mit der Scheiße! <“[98]
Mengele begutachtete die Häftlinge aus fünf Meter Entfernung und dann bestimmte er über Leben und Tod.
Er war, neben Fritz Klein, der einzige Arzt, der nüchtern selektierte. Für die anderen Ärzte war das Selektieren anwidernd, sie betranken sich, bevor sie einen Transport selektierten. Mengele hingegen huschte bei jedem ankommenden Transport zwischen den Leuten herum, um sich Opfer für seine perversen Versuche herauszusuchen.
Interessant ist, dass Mengele die Juden nicht als minderwertig betrachtete. Ella Lingens, eine Häftlingsärztin, erinnerte sich an ein Gespräch mit Mengele: „Er sagte einmal zu mir, es gebe nur zwei begabte Völker auf der Welt: Deutsche und Juden. Eines der Völker müsse die Welt beherrschen. Mengele wollte, dass die Deutschen die Welt beherrschen.“[99]
3.1.2.2. Das Menschenlabor Auschwitz
Wie schon erwähnt, hatte Mengele eine besondere Vorliebe für Zwillinge, ob das Interesse an der Zwillingsforschung von ihm ausging oder ob sein Doktorvater Verschuer ihn dazu trieb, ist nicht geklärt.
Mengele ließ eigene Einrichtungen für Zwillinge errichten. Ihnen wurde wie den anderen Häftlingen eine Nummer eintätowiert, aber mit der Erweiterung „ZW“. Sie durften ihre eigenen Kleider behalten und ihnen wurden die Haare nach der Ankunft in Auschwitz nicht geschoren. Mengele baute eine persönliche Beziehung zu den Zwillingen auf, er wurde von den Kindern „Onkel Doktor“ genannt. Professor Yehuda Bauer von der Universität in Jerusalem beschrieb Mengeles Beziehung zu den Zwillingen folgendermaßen:
„Leute, die Experimente an Mäusen, Affen oder Ratten vornehmen, sind dazu imstande, weil sie sich nicht mit den Objekten ihrer Experimente identifizieren. Macht man Experimente mit weißen Ratten, dann weiß man, weiße Ratten können recht niedlich sein. Einige dieser Ärzte entwickeln also eine Beziehung: dies ist ein niedliches Tierchen, ich muss es töten, aber solange es noch lebt, haben wir eine Beziehung zueinander. Das ist die Art von Beziehung, die zwischen Mördern und ihren Opfern aufgebaut wird.“[100]
Ein überlebender Zwilling berichtete von den Operationen, die Mengele an seinem Zwillingsbruder durchführte:
„Eines Tages wurde mein Zwillingsbruder Tibi zu irgendwelchen speziellen Versuchen abgeholt. Dr. Mengele hatte sich von Anfang an mehr für Tibi interessiert. Ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht, weil er der ältere Zwilling war. Mengele hat Tibi mehrmals operiert. Nach einer Wirbelsäulenoperation war mein Bruder gelähmt. Er konnte nicht mehr laufen. Dann haben sie ihm die Geschlechtsorgane herausgenommen. Nach der vierten Operation habe ich Tibi nicht mehr wieder gesehen. […] Was ich damals fühlte, lässt sich nicht in Worte fassen. Ich hatte schon den Vater, die Mutter und meine beiden älteren Brüder verloren – und nun auch meinen Zwillingsbruder.“[101]
3.1.2.3. Mengeles Arbeiten für das Kaiser-Wilhelm-Istitut in Berlin
Mengele führte die Untersuchungen selbstständig und mit größtem medizinischem Interesse durch, doch manche Arbeiten erledigte er auch für das Kaiser-Wilhelm-Institut, das von Verschuer geleitet wurde. Zwei große Projekte wurden von Verschuer in Auftrag gegeben, die Mengele in Auschwitz durchführte. Die Projekte hießen „Spezifische Eiweißkörper“ und „Augenfarbe“. Beim Projekt „Spezifische Eiweißkörper“ infizierte Mengele Zwillingspaaren mit Typhusbakterien, nahm ihnen Blut in gewissen Krankheitsstadien ab und schickte es zur Untersuchung an das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin. Der Sinn dahinter war, zu sehen wie verschieden oder gleichartig die Zwillinge darauf reagierten. Auch durch das Projekt „Augenfarbe“ lässt sich die intensive Kooperation zwischen Mengele und dem Kaiser-Wilhelm-Institut veranschaulichen. Bei diesem Projekt wurden Menschen, speziell mit dem Phänomen heterochromatischer Augen (= verschieden färbige Augenpaare) durch Herzinjektionen getötet, um ihnen die Augen herauszunehmen, die anschließend an das Institut nach Berlin geschickt wurden. Dort wurden sie wissenschaftlich ausgewertet. Nach dem Krieg gab Verschuer zu, von Mengele interessante Präparate erhalten zu haben, aber als man ihm erzählte, dass diese Präparate von Menschen stammten, die eigens dafür getötet worden waren, gab er sich völlig bestürzt.[102]
Mengele ging sogar soweit, dass er versuchte die Augenfarbe zu ändern, um den „perfekten“ Arier zu züchten. Bei diesen Experimenten verloren die Opfern teilweise oder in manchen Fällen sogar völlig ihre Sehkraft. Das gleiche probierte er auch mit den Haaren, er spritzte verschiedene Lösungsmittel in die Kopfhaut, um die Haare blond zu färben.[103]
Mengele nahm wie Dr. Carl Clauberg Sterilisationen an Frauen vor. Mengele, der auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrung hatte, spritzte den Frauen irgendwelche Säuren oder bestrahlte sie mit Röntgenstrahlen mit so hoher Dosis, dass die Nebenfolgen extreme Verbrennungen waren.[104]
Eine weitere Exzesstat, die in Auschwitz stattfand und bei der unter anderem Dr. Mengele und Rudolf Höß dabei waren, schilderte Annani Silowitsch Petko.
Als ein Waisenhaus oder ein Kindergarten in Dnepropetrowsk geräumt wurde und es schwierig war, die Kinder in den Gaskammern zu ermorden, wurde eine Grube im Stammlager von Auschwitz gegraben und die Kinder wurden dort verbrannt. Die oben erwähnte Augenzeugin bestätigte diese bestialische Tat:
„Nach einer Weile traf eine große Gruppe [SS Offiziere] auf Motorrädern ein, unter ihnen Mengele. Sie fuhren auf den Hof und stiegen ab. Sowie sie angekommen waren, bildeten sie einen Kreis um die Flammen; das Feuer brannte horizontal. Eine Weile später trafen Lastwagen ein, Kipper mit Kindern darauf. Etwa zehn solche Lastwagen. Als sie auf dem Hof waren, gab ein Offizier einen Befehl, die Lastwagen fuhren rückwärts an das Feuer heran, und dann wurden die Kinder direkt ins Feuer, in die Grube abgeworfen. Die Kinder begannen zu schreien; einigen gelang es, aus der brennenden Grube zu kriechen; ein Offizier ging herum mit Stöcken und stieß die zurück, denen es gelang, herauszukommen. Höß und Mengele waren dabei und erteilten Befehle.“[105]
Laut Augenzeugenberichten handelte es sich um dreihundert Kinder, die auf diese bestialische Weise getötet wurden.
Für Mengele war Auschwitz nur ein Labor, in dem es interessante „Stücke“ zum Experimentieren, zu beobachten und zu sezieren gab. Mengele zeigte keine Gefühle, egal ob er seine Versuche an Säuglingen, an schwangeren Frauen oder an erwachsenen Männern vornahm. Er erledigte seine Aufgaben mit einer perversen Gleichgültigkeit dem Opfer gegenüber.
3.1.3. Der Todesengel flüchtet aus Auschwitz
Als die sowjetischen Truppen immer näher rückten, flüchtete Mengele am 17. Januar 1945 aus Auschwitz. An diesem Tag wurden die Häftlinge in andere Lager überführt, die Strecken dorthin mussten sie zu Fuß gehen. Diese Märsche sind heute noch unter dem Namen „Todesmärsche“ bekannt. 58.000 Häftlinge wurden an diesem Tag bei eisiger Kälte aus dem Lager geführt, tausende von ihnen kamen ums Leben.
Am 27. Januar 1945, gegen neun Uhr früh, trat der erste russische Soldat der 100. Infanteriedivision durch die Tür des Krankenreviers im IG-Farben-Außenlager Monowitz. Um drei Uhr Nachmittags trafen die Aufklärungseinheiten kampflos im Stammlager Auschwitz und in Birkenau ein. Von den etwa dreitausend Zwillingspaaren, die Mengeles grausame Versuche durchleiden mussten, hatten nur 180 überlebt. Mengele war in der Zwischenzeit im dreihundert Kilometer entfernten Konzentrationslager Groß Roßen, wo er seit 18. Januar als Lagerarzt tätig war. Sein Aufenthalt war kurz, denn als sich die sowjetischen Truppen diesem Lager näherten, flüchtete Mengele erneut.[106]
Am 2. Mai 1945 traf er in Saaz (Sateec) im Sudetenland ein, wo er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Zu dieser Zeit schon stand Mengele auf der Liste der Kriegsverbrecher. Und sein Name stand außerdem im zentralen Register für „Kriegsverbrecher und Verdächtige aus Sicherheitsgründen.“ Doch zu dieser Zeit herrschte ein absolutes Chaos und die Informationen konnten nicht rasch genug weitergeleitet werden. Ungefähr sechs Wochen später wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.
Dr. Fritz Ulmann, Leiter des Wehrmachtlazaretts, den Mengele kurz nach seiner Gefangennahme kennen gelernt hatte, berichtete, dass Mengele in der Gefangenschaft an starken Depressionen litt. Er berichtete Ulmann von seiner Tätigkeit in Auschwitz und vom seiner Angst, entdeckt zu werden. Ulmann half Mengele, sich eine neue Identität zu beschaffen. Bei den Papieren, die Mengele für die Entlassung bekam, gab er den Namen Fritz Hollmann an. Er machte sich auf den Weg nach Donauwörth, er hoffte dort seinen Schulkameraden Dr. Albert Miller anzutreffen. Er bat Miller seine Familie zu verständigen und vorübergehend bei ihm bleiben zu dürfen. Noch bevor Miller ihm den Wunsch erfüllen konnte, wurde dieser wegen seiner NSDAP- Mitgliedschaft verhaftet. Mengele flüchtete darauf hin in sein Heimatdorf Günzburg, das fünfzig Kilometer entfernt liegt. Doch von seiner Familie traf er nur seinen Bruder Karl an, sein Vater war wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft in Arrest, sein jüngster Bruder Alois war zu dieser Zeit noch in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft.[107] Mengele versteckte sich weiter in den Wäldern, bis der Herbst kam. Er fand für einige Wochen Unterschlupf bei einem Apothekerpaar. Das Ehepaar erinnerte sich, dass Mengele sich immer wieder mit folgenden Worten energisch verteidigte:
„Ich habe nichts zu verbergen. In Auschwitz geschahen schreckliche Dinge, und ich habe mein Bestes getan, um zu helfen. Man konnte nicht alles tun. Es gab schlimme Katastrophen. […] Ich habe niemanden getötet oder ihm wehgetan. Ich kann beweisen, dass ich dessen unschuldig bin, was man gegen mich vorbringen könnte. Ich sammle Fakten zu meiner Verteidigung. Ich möchte mich stellen und vor Gericht freigesprochen werden.“[108]
Mengele fand am 30. Oktober 1945 unter dem Namen Fritz Hollmann eine Stelle als Knecht.
Mengele litt unter der Einsamkeit, er konnte keinen Kontakt zu seiner Familie aufnehmen, da dies noch zu gefährlich war. An einem Sonntag im Herbst 1946 besuchte Irene Schönbein ihren Mann zum ersten Mal. Diese Treffen fanden anschließend fast alle zwei Monate statt. Doch Irene Mengele litt unter der Ehe und sagte einmal, dass die Entfremdung zwischen ihr und ihrem Mann bei jedem Mal größer wurde. Ihr Leben hätte sie sich anderes vorgestellt. Für sie war Mengele vor und nach dem Krieg ein völlig anderer Mensch, dazu sagte sie Folgendes:
„Ich kannte Josef Mengele als einen absolut ehrenwerten, anständigen, gewissenhaften, sehr charmanten, eleganten und lustigen Menschen, sonst hätte ich ihn nicht geheiratet. Ich kam aus einer guten, wohlhabenden Familie und hatte viele Heiratsmöglichkeiten. Ich glaube, sein Ehrgeiz wurde schließlich sein Verderben.“[109]
Mengeles Sohn Rolf berichtete, dass sein Vater krankhaft eifersüchtig gewesen sei. Dies ging soweit, dass Irene Schönbein die Scheidung einreichte. Mengele schrieb in seinen Aufzeichnungen, dass seine Ehe mit dem Dritten Reich untergegangen war.
Durch die Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesse wurde man öffentlich auf Mengele aufmerksam, da Rudolf Höß auf die Frage, was er über Experimente an Menschen in Auschwitz wüsste, Folgendes aussagte: „Zum Beispiel gab es in Auschwitz Experimente zur Sterilisierung, die von Prof. Klauberg [Clauberg] und Dr. Schumann vorgenommen wurden, auch Experimente an Zwillingen durch den SS-Sanitätsoffizier Dr. Mengele.“[110] Mengele wurde noch nervöser, als in Nürnberg die Ärzteprozesse begannen. Seltsamerweise wurde in diesen Prozessen kein einziges Mal der Name Josef Mengele erwähnt. Durch bürokratische Schwierigkeiten stieß ein Mitarbeiter des Auffindungs- und Ergreifungsbereichs auf einen Hinweis, dass Mengele bereits tot sei. Von all dem wusste Mengele jedoch nichts, er ging davon aus, dass die Amerikaner nach ihm suchten und so beschloss er Deutschland zu verlassen.
3.1.4. Flucht nach Südamerika
Im Sommer 1948 gab er seine Stelle als Knecht am Hof von Georg Fischer in Mangolding auf. Bis 1949 versteckte er sich in den Wäldern in der Gegend seines Heimatortes Günzburg. Im Herbst 1948 entschloss er sich nach Argentinien auszuwandern, wo der Faschistenführer Juan Domingo Peron, der im Jahre 1943 an die Macht kam, zahlreichen Anhängern des NS- Regimes seit Jahren Schutz gewährte.[111] Zwischen der Nordsee und dem Mittelmeer gab es ein Netz von deutschen und italienischen Faschisten, die Ersatzpapiere für „angeblich verlorene Ausweise“ ausstellten. So gelang es zum Beispiel auch Adolf Eichmann nach Lateinamerika zu gelangen.[112]
Mengeles Familie bezahlte die beträchtliche Summe von siebentausend Mark für die gefälschten Papiere. Die ganze Flucht war bis ins Detail geplant. Mengele stieg in den Zug nach Innsbruck. Von dort fuhr er zu einem Gasthof in Steinach am Fuß des Brenner-Passes. Auf seiner Flucht traf Mengele immer wieder mysteriöse Personen, die ihm halfen. Durch so einen „Helfer“ gelangte Mengele bei Nacht über einen alten Schmuggelpfad nach Italien. In Italien fuhr er mit dem Zug nach Sternizing. Dort angekommen wurde ihm eine völlig neue Identität gegeben. Er hieß nicht mehr „Fritz Hollmann“, sondern „Helmut Gregor“, der am 6. August in Termeno/ Oberetsch geboren wurde und Ingenieur war. Durch einen anderen „Helfer“ wurde Mengele schlussendlich aus Europa herausgeschleust. Von Genua fuhr er mit dem Schiff „North King“ nach Argentinien.[113]
3.1.5. Buenos Aires
Am 20. Juni 1949 erreichte Josef Mengele alias „Helmut Gregor“ Buenos Aires. Auf sich alleine gestellt suchte er sich einen Job und entschloss sich als Zimmermann zu arbeiten. Ein Zimmer teilte sich Mengele mit einem anderen Zimmermann, der eines Tages auf die chirurgischen Instrumente, die Mengele bei sich hatte, aufmerksam wurde. Doch Mengele bestritt seinen Beruf als Mediziner.
Erste Kontakte zur Nazi-Szene in Buenos Aires bekam Mengele durch Gerard Mealbranc, der Mengele bei sich im Haus aufnahm.
Mengele wurde mit verschiedenen Personen, die im ehemaligen Dritten Reich hoher Ämter innehatten, bekannt gemacht. Unter anderem Adolf Eichmann, der zu jener Zeit unter dem Decknamen „Ricardo Klement“ in Buenos Aires lebte. Eichmann wurde zu dieser Zeit schon gejagt, da seine Rolle als Organisator der „Endlösung der Judenfrage“ bei den Nürnberger Prozessen viele Male erwähnt worden war.[114]
Während seiner Zeit in Südamerika wurde Mengele von seinen Eltern in Günzburg finanziell unterstützt.
Als die Scheidung von Irene Schönbein auch bürokratisch abgeklärt war, heiratete Mengele Martha, die Frau seines verstorbenen Bruders Karl. Martha zog mit ihrem Sohn aus erster Ehe nach Buenos Aires. Um sich ein Haus zu kaufen und für die standesamtliche Trauung benötigte Mengele einen gültigen Ausweis und zusätzlich eine Geburtsurkunde, die „Helmut Gregor“ jedoch nicht besaß. Schließlich beantragte Mengele bei der deutschen Botschaft einen amtlichen Identitätsnachweis. Er legte seine Geburtsurkunde, die Heiratsurkunde, das Scheidungsurteil von Irene Mengele und eine Erklärung vor. Weder die deutsche Botschaft in Buenos Aires noch das Amt in Bonn, die Mengeles Papiere zur Überprüfung zugeschickt bekamen, wussten, dass Josef Mengele von der Kriegverbrecherkommission der Vereinigten Staaten seit 1945 gesucht wurde. Mengele erhielt seinen Identitätsnachweis also ohne weitere Probleme. Die Hochzeit mit Martha fand am 25. Juli 1958 in Nueva Helvecia in Uruguay statt. Das Glück schien perfekt.
Im Frühling wurde vom Schriftsteller Ernst Schnabel das Buch „Anne Frank – Spur eines Kindes“ herausgebracht. In diesem Buch wird das Schicksal eines jüdischen Mädchens, das in Auschwitz Birkenau war, geschildert. Unter anderem wurde der KZ-Arzt Josef Mengele in diesem Buch auch erwähnt. Ebenfalls erwähnt wird, dass viele SS- Leute verschwunden sind, ein Satz in diesem Buch lautet: „Keiner weiß zum Beispiel, wo Dr. Mengele ist, ob er umkam oder ob er heute noch irgendwo lebt.“[115]
Nach Erscheinen dieses Buches wurden die Ermittlungen gegen Josef Mengele intensiviert. Und Mengele musste abermals untertauchen. Sein Versteck war bei einem Nazi-Freund namens Armand Reinaerts in Paraguay. Zwischen Deutschland und Paraguay existierte kein Auslieferungsabkommen. Wenn Mengele es also schaffen würde die paraguayische Staatsbürgerschaft zu erhalten, würde er vor der deutschen Justiz endgültig sicher sein. Voraussetzung war aber, dass der Antragstellende bereits fünf Jahre ununterbrochen in Paraguay gelebt hatte. Hier kamen Mengeles Freunde ins Spiel, die für Mengele bürgten. Auf Grund dessen wurde Mengele am 27. November 1959 die Staatsangehörigkeit von Paraguay verliehen. 1962 forderte die deutsche Regierung die Auslieferung Mengeles. Das Ersuchen wurde abgelehnt. Martha Mengele, die sich ein normales Leben mit Josef Mengele nicht vorstellen konnte, trat 1961 die Heimreise nach Europa an, sie sah ihren Mann nie wieder.
Nachdem Adolf Eichmann von dem israelischen Geheimdienst Mossad entführt worden war, wurde Mengele immer unruhiger. Auch informierte die Presse das erste Mal über die Verbrechen des NS- Arztes. In dieser Zeit teilte man auch Mengeles Sohn Rolf mit, der bis zu diesem Zeitpunkt glaubte, dass sein Vater in russischer Kriegsgefangenschaft ist, wer sein Vater wirklich war. Er war schockiert über diese Tatsache. Und der rege Briefwechsel zwischen Mengele und seinem Sohn versiegte.[116]
„Peter Hochbichler“ alias Josef Mengele tauchte in Brasilien unter. Für die folgenden dreizehn Jahre war Mengele auf der Farm der Stammer tätig. Mengele wurde immer unzufriedener, seinen Tagebüchern ist zu entnehmen, dass es mit seiner psychischen Verfassung permanent bergab ging. Mengele führte ein Leben voller Selbstmitleid und Überforderung. Nachdem er erfahren hatte, dass Eichmann gehängt worden war, bekam er unbeschreibliche Angst davor, entdeckt zu werden. Gitta Stammer berichtete, dass er beim Spazierengehen bis zu fünfzehn Hunde mitnahm, die ihn beschützen sollten. Durch die mürrische, depressive Art von Mengele entstanden immer wieder Streitereien zwischen Mengele und den Stammers. Bis sich die Lage so zuspitze, dass Mengele fort ging.
1964 wurden Josef Mengele beide Doktortitel entzogen, mit der Begründung dieser unwürdig zu sein. Mengele lernte die Bosserts kennen und blieb bei ihnen. In seine Tagebücher schrieb er:
„18.6.1968: Meine Stimmung ist sehr labil! Ich habe Angst vor der Zukunft!
15.7.1968: Schlecht gestimmt, obwohl körperlich ohne Beschwerden. Alles so trüb und aussichtslos! Das Verlassensein nagt an der Lebenskraft.“[117]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Josef Mengele (Abb.9)
Am 7. Februar 1979 war Josef Mengele mit den Bosserts am Strand von Bertigoa. Als er mit seinem Freund Wolfram Bossert schwimmen ging, erlitt er einen Schlaganfall, der es ihm unmöglich machte, wieder ans Ufer zu gelangen. Josef Mengele, der Todesengel, von Auschwitz, war tot – 34 Jahre nach Auschwitz.[118]
Mengele lebte sein Leben nach Auschwitz in ständiger Angst entdeckt zu werden, er versank in Selbstmitleid und wurde von Alpträumen geplagt, schlussendlich stand er alleine da, seine zwei Frauen hatten sich von ihm abgewandt und sein Sohn Rolf, der Rechtsanwalt ist, lebte wegen Mengeles Vergangenheit in einem ständigen Konflikt,.
-Es liegt in der Kraft jedes Einzelnen sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden-
3.2. Dagmar Ostermann (Zeitzeugeninterview)
3.2.1. Methodische Vorgehensweise beim Interview
- Konzentrationslager Ebensee: Übermittlung der Adresse von Frau Ostermann
- 22. November: Anruf bei Frau Ostermann; Terminfixierung für 4. Dezember
- 4. Dezember: Interview in Wien
- Dauer: 4 Stunden
- Aufzeichnung: Diktiergerät
Den nachstehenden Text gebe ich mit Hilfe meiner Aufzeichnungen durch ein Diktiergerät wieder. Es handelt sich hierbei um eine inhaltliche Wiedergabe und nicht um eine wörtliche.
Im Text fließen immer wieder persönliche und zum Teil interpretierte Ereignisse von Frau Ostermann ein, die ich absichtlich nicht ausgelassen habe, da sie dem Text eine gewisse Lebendigkeit geben.
3.2.2. Kindheit
Dagmar Ostermann wurde am 6. Dezember 1920 in Wien geboren. Ihre Mutter war Christin und kam im Ersten Weltkrieg 1917 als Rotkreuzschwester nach St. Pölten, wo sie ihren zukünftigen Mann, Oswald Böck, kennen lernte, der Jude war. Damals war es schwierig, wenn zwei Menschen mit verschiedener Religionsangehörigkeit heiraten wollten. Denn es galt bis 1938 das österreichische Ehegesetz und ab 1938 wurde das deutsche Ehegesetz mit der standesamtlichen Trauung eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt haben alle Mensche, die katholisch waren, in der katholischen Kirche geheiratet, evangelische in der evangelischen Kirche und Juden in der Synagoge, nur Leute ohne Religionszugehörigkeit heirateten standesamtlich. Frau Ostermanns Mutter wechselte 1919 zum Judentum, denn aus der Kirche auszutreten war damals nicht üblich und so heiratete sie in einer Synagoge. Und als Frau Ostermann auf die Welt kam, war sie Jüdin.
Frau Ostermanns Vater arbeitete am Frachtenbahnhof, dort trafen oft Lebensmitteltransporte ein und so konnte Oswald Böck öfter Lebensmittel nach Hause bringen.
Die gesamte Verwandtschaft von Frau Ostermanns Mutter war in Deutschland, und dort gab es nach dem Krieg nicht viel zu essen, so äußerte sie den Wunsch, ihren Bruder nach Österreich einzuladen. Der Vater hatte das beste Verhältnis zu seinen Schwägern und Schwägerinnen und so hatte er keine Bedenken. So kam der Bruder von Frau Ostermanns Mutter nach Wien. Erich, so hieß er, lernte ein Mädchen kennen, das ihn zu einer Jugendgruppe mitnahm, von dort kam er ganz begeistert wieder zurück, weil in dieser Gruppe die deutsche Kameradschaft und das deutsche Reich so hochgejubelt wurden. Er trat 1922 dieser Gruppe bei, ohne zu wissen was das genau für ein Verein war, später erfuhr er, dass er bei den Nationalsozialisten war. Alfred, der andere Bruder, kam auch nach Wien und trat diesem „Verein“ ebenso bei. Und so wurde im Laufe der Jahre die gesamte Verwandtschaft mütterlicherseits nationalsozialistisch. „Sie waren alle Nationalsozialisten, aber sie waren keine Antisemiten“ betonte Frau Ostermann in ihrem Interview.
Die Eltern von Frau Ostermann ließen sich 1924 scheiden. In zweiter Ehe heiratete ihre Mutter wieder einen Juden, nämlichen ihren Scheidungsanwalt, und ihr Vater wieder eine Christin. In zweiter Ehe hieß ihre Mutter Rosenfeld, die Ehe ging aber ebenfalls auseinander.
Frau Ostermann reiste oft nach Deutschland zu ihren Verwandten, dies war bis zum Jahr 1934 kein Problem. Erst nach der Ermordung von Dollfuß, als die tausend Mark Grenze eingeführt wurde, brauchte man bestimmte Papiere und bestimmte Gründe, um über die Grenze zu kommen. Frau Ostermanns Großmutter schrieb, dass sie einen Unfall hatte und dringend jemanden benötige, der sich um sie kümmere. Das waren ohne weiters Gründe, um die Papiere zu erhalten, um über die Grenze zu kommen. Frau Ostermann sagte in ihrem Interview, dass sie schon damals den Nationalsozialismus in Deutschland gespürt habe. Unter der Weimarer Republik waren alle Parteien erlaubt, ebenso die Nationalsozialisten. Und so konnte man schon ab und zu die Nazis, die SA, in kleinen Gruppen marschieren sehen. Frau Ostermann erinnerte sich noch an die furchtbaren Lieder, die gesungen wurden wie zum Beispiel: „ Wenn Judenblut vom Messer spritz…“ oder „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“. Ihr Onkel Alfred, der bei der SA war, sagte dazu nur, dass es ja nur Lieder seien, und dass man sie singt und gleich wieder vergisst. Im Interview sagte Frau Ostermann, dass sie ihm heute Folgendes geantwortet hätte „Jede Zeitepoche und jede Geschichtsepoche hat ihre eigenen Lieder und ihre Gedichte“.
In Dresden, der Stadt, in der ihre Verwandtschaft wohnte, war nur eine kleine jüdische Gemeinde und so lernte Frau Ostermann zu dieser Zeit keinen einzigen Juden in Dresden kennen.
Obwohl 1935 die Nürnberger Rassengesetze verkündet wurden, hatte sie keine Hassgefühle oder sonst irgendeine Art von Antisemitismus verspürt. 1936 war auch noch die Olympiade in Deutschland, die ein Schwarzer gewonnen hatte.
3.2.3. Anschluss Österreichs 1938
Am 11. März 1938 saß Frau Ostermann mit einem bekannten jüdischen Arzt in einem Wiener Cafè – im Cafè Börse. In diesem Cafè lief die ganze Zeit über das Radio, und an diesem 11. März, um ungefähr 8.45, hörten sie plötzlich eine Sondermeldung. Schuschnigg kam ans Mikrofon und hielt eine ganz kurze Rede, Frau Ostermann konnte sich nur noch an seine letzten Worte erinnern, die folgende waren: „Ich weiche der Gewalt. Gott schütze Österreich.“ Eine Minute später grüßte derselbe Ansager, der Schuschnigg zuvor angesagt hatte, mit „Heil Hitler“. Frau Ostermann lief sofort zu ihrer Mutter nach Hause, weil sie wusste, wie sensibel die Mutter gegenüber dem Nationalsozialismus war. Ihre Mutter ist seit 1933 nie mehr nach Dresden zu ihren Verwandten gefahren. Sie hat Deutschland gemieden, obwohl sie eigentlich gebürtige Deutsche war. Frau Ostermann ging also auf die Straße, um nach Hause zu laufen. Die ganze Ringstraße war voll mit österreichischen Polizisten, die aber alle schon die Hakenkreuzbinde am Arm hatten – fünf Minuten nach der Ansprache, so, als ob alles bis ins Detail organisiert gewesen wäre. Es wurden Straßenabsperrungen errichtet und man musste seinen Ausweis herzeigen. Als sie nun endlich zu Hause bei ihrer Mutter angekommen war, fand sie diese in Tränen aufgelöst. Sie hatte ebenfalls die Ansprache gehört. Frau Ostermann wollte sie trösten und ihr zureden, dass es nicht so schlimm sei. Im Interview gab sie selbst zu, dass sie sich der Tragweite dieses Ereignisses nicht bewusst war. Ihre Mutter jedoch war schon seit längerem skeptisch. Um ihre Mutter zu trösten, sagte sie, dass sie doch ein wenig spazieren gehen solle. Und so gingen sie auf die Gasse, vor zum Schottentor, die voll behängt war mit Transparenten der Vaterländischen Front, auf denen stand „Wählt am 13. mit JA“[119] und überall hingen die Krukenkreuze. Als Frau Ostermann nun mit ihrer Mutter hinkam, war schon die Feuerwehr da und riss die Transparente herunter, eine halbe Stunde nachdem Schuschnigg abgedankt hatte. Frau Ostermann sagte in ihrem Interview, dass, wenn ein Feuer ausgebrochen wäre, die Feuerwehr nicht so schnell an Ort und Stelle gewesen wäre wie zu diesem Ereignis. An diesem Tag hatte sie ihr erstes negatives Erlebnis. Sie sah, wie ein großer kräftiger Mann in Zivil, aber mit der Hakenkreuzbinde, auf einen dunkelhäutigen Brillenträger einschlug und dabei schrie: „Du Saujud! Du Saujud!“ Der dunkelhäutige Mann schlug zurück und sagte: „Ich bin kein Jude, aber selbst wenn ich einer wär´, hättest du keinen Grund, mich zu schlagen“.
Durch die Zeitschrift „Der Stürmer“, die von Julius Streicher herausgegeben wurde, wurden Menschen auf ihr Äußeres reduziert. Es waren zum Beispiel Karikaturen von Juden darin, mit großen Lippen, großen Nasen, dunklen Augen, und darunter standen gemeine Bemerkungen über das jüdische Volk. Wenn jetzt jemand annährend so aussah wie diese Karikaturen, wurde er geschlagen, so wie es mit dem dunkelhäutigen Mann war, den Frau Ostermann gesehen hatte. Man war ab diesem Moment vogelfrei.
Im Haus, in dem Frau Ostermann wohnte, wohnte auch ein Mann namens Herr Tehser. Dieser Mann war der Erste, der in jüdische Wohnungen ging und sich nahm, was er wollte. Frau Ostermann fügte hinzu, dass viele Leute Mitleid hatten, aber man konnte nirgendwo Anzeige erstatten. Die Menschen waren machtlos.
Am 12. März, Frau Ostermann ging zu diesem Zeitpunkt in die Handelschule Alina, machte sie sich auf den Weg zu ihrer Schule. Sie ging an einer Bäckerei vorbei, der Bäckerei Lehmann, und da hing 12 Stunden nach der Machtübernahme ein Schild in der Auslage, auf dem stand: „Juden und Hunden ist der Zutritt verboten“. Als sie zur Schule kam, standen alle Schüler davor, und eine Schulkollegin zeigte mit dem Finger zum Schultor, und da standen zwei SA-Leute. Erst da erfuhr sie, dass die zwei Brüder Alina, die Gründer dieser Schule, Juden waren, die man schon verhaftet hatte. Frau Ostermann beschrieb die Situation als sehr bedrückend, weil ja ein Großteil der Schüler christlich war, und die durften in die Schule, nur die Juden mussten draußen bleiben.
Als sie nach Hause kam, sah sie ihre jüdischen Nachbarn am Boden knien, die mit scharfer Lauge die Krukenkreuze von der Pestsäule entfernen mussten. Es gab viele Leute, die sich einen Spaß gemacht haben und gelacht haben, aber wieder betonte Frau Ostermann, dass es auch viele gab, die kopfschüttelnd vorbei gegangen sind und sich wahrscheinlich für ihre Landsleute geschämt haben. Sie sagte ebenfalls, dass es seit der Machtergreifung Hitlers bis zum Ende des Krieges in ganz Deutschland keinen Boden reibenden Juden gegeben hat. Das war eine rein österreichische Erfindung.
Am 15. März ist ihr Onkel Alfred zusammen mit den anderen Deutschen in Österreich, in seiner Wehrmachtsuniform, einmarschiert. Während der Zeit, die er in Österreich war, wohnte er bei seiner Schwester, also in einer jüdischen Wohnung. Zu dieser Zeit sah ihr Onkel Alfred das erste Mal die Boden reibenden Juden. Er sah zum ersten Mal, dass Juden ihres Aussehens wegen geschlagen werden und so machte er den Vorschlag, Frau Ostermann nach Deutschland mitzunehmen, mit der Begründung, dass sich das in Österreich auch wieder beruhigen wird, so wie es sich in Deutschland auch wieder beruhigt hat. Mitte April 1938 fuhr Frau Ostermann mit ihrem Onkel Alfred nach Dresden.
3.2.4. „Auswanderung“ in die Gefangenschaft
In Dresden arbeitete sie in einer Kleiderfabrik. Frau Hopf, die die Fabrik leitete, hatte kein Problem damit, dass sie Jüdin war. Im Jahr 1941 wurde sie aber entlassen, da Frau Hopf von der GESTPO eine Auflage bekommen hatte, keine Juden in ihrer Fabrik zu beschäftigen. Ungefähr drei Wochen später wurde sie zu einem gewissen Herrn Köhler bestellt, der sie tadelte, weil sie als Jüdin in einer deutschen Fabrik gearbeitet hatte. Ebenfalls sagte er ihr, was sie als Jüdin nicht tun dürfe: Juden durften in kein Kino, in kein Theater, in kein öffentliches Lokal, in kein Schwimmbad, in keine Parkanlage, sie durften keine öffentlichen Fernsprechanlagen benutzen, sie durften keine Elektrogeräte haben, kein Radio, kein Grammophon, Schmuck und Pelze mussten sowieso abgegeben werden.
Frau Ostermann fiel natürlich unter die Nürnberger Rassengesetzte, bildete aber eine Ausnahme, und zwar war sie ein Mischling 1. Grades. Wenn der eine Elternteil, egal ob Vater oder Mutter, jüdisch war und der andere christlich, hier war jetzt ausschlaggebend, welcher Religion sie im Jahre 1935 zur erlass der Nürnberger Rassengesetzte angehört hatten, so war das Kind, dass aus dieser Ehe hervorging ein Mischling 1. Grades. Der Mischling 1. Grades, der zum Zeitpunkt der Nürnberger Rassengesetzte christlich war oder konfessionslos, war ein anerkannter Mischling. Derselbe Mischling, der 1935 bei der Verkündung der Nürnberger Rassengesetzte der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hatte, war ein Geltungsjude. Mischlinge durften nur Mischlinge heiraten. Und so läutete eines Tages ein junger Mann an Frau Ostermanns Tür, der ebenfalls ein Mischling 1. Grades war und sagte, er suche eine Frau zum Heiraten. Natürlich hat Frau Ostermann diesen Mann nicht geheiratet, aber es zeigt, dass so etwas in dieser Zeit durchaus möglich war.
Auf Geheiß dieses Herrn Köhler wurde Frau Ostermann in einer Firma eingestellt, in der es eine eigene Judenabteilung gab. Jeder bekam eine gelbe Armbinde und zu diesem Zeitpunkt hat sie das erste Mal Juden in Dresden kennen gelernt. Sie freundete sich mit einem Mädchen namens Eva Angel an. Im Herbst 1941 kam das Gesetz, dass Juden einen gelben Davidstern auf ihrer linken Brust tragen müssen. Ende November wurde das Gesetz erlassen, dass Juden an die Wohnungstür einen Stern anbringen müssen. Frau Ostermann, die zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Großmutter wohnte, hätte ebenfalls einen Stern an die Wohnungstür anbringen müssen, was sie aber nicht tat, sie zog noch vorher aus. Das Gesetz besagte nämlich, dass, auch wenn die Wohnung einem Arier gehörte, aber ein Sternträger darin wohnt, der Stern an die Tür angebracht werden musste. Und so kam es, dass Frau Ostermann zusammen mit ihrer Freundin Eva Angel in eine Wohnung zog. Ein paar Tage später waren sie schon zwanzig Leute in dieser Wohnung, da alle Sternträger in Wohnungen mit Sternen hineingepfercht wurden.
Einige Zeit später, erinnerte sich Frau Ostermann, hat es an der Tür geläutet und die GESTAPO stand vor der Tür – „Hausdurchsuchung“. Sie warfen alles durcheinander, schlitzen die Bettewäsche auf, rissen Bücher und Fotoalben auseinander. Frau Ostermann rannte zu ihrer Tante, der Frau von ihrem Onkel Alfred, und erzählte ihr, was geschehen war. Die Tante war überzeugte Nationalsozialistin, sie wäre nie ohne Parteiabzeichen auf die Straße gegangen, sie hatte aber ihre Nichte Frau Ostermann sehr gern und sie gingen oft Arm in Arm spazieren. Die Eine mit dem Stern und die Andere mit dem Parteiabzeichen. Sie rannte also zu ihrer Tante und berichtete, was die GESTAPO angerichtete hatte. Die Tante entgegnete: „Ich muss mir das nicht anschauen, du hast heute Nacht einen Alptraum gehabt, das ist nicht wahr.“
3.2.5. Der Weg ins Konzentrationslager Ravensbrück
Eines Tages kam eine Freundin von Frau Ostermann in die Wohnung. Sie war keine Jüdin und sagte, dass sie ein Cafè entdeckt habe, in das man auch mit Stern hinein könne. Ein paar Mal sind sie dort hingegangen, aber am 22. April ereignete sich Folgendes. Am 22. April ging sie mit ihren Freunden also in dieses Cafè, beim Hineingehen hielt sie ihre Tasche so, dass man den Stern nicht sehen konnte, was eine sehr gefährliche Angelegenheit war, denn auf Stern-Verdecken oder Entfernen, standen sechs Wochen Gefängnis. Als sie sich gerade gesetzt hatten, kam ihre Freundin Lotte, die Schreiberin bei der GESTAPO war und sagte, dass sie gehört habe, dass die GESTAPO über dieses Cafè spricht und dass es zu gefährlich sei, sich hier zu treffen. Kaum hatte sie das gesagt, kamen zwei GESTAPO Beamte in Zivil und forderten Ausweisleistung. Adresse und Name wurden aufgeschrieben. Alle zeigten ihren Ausweis her und dann fragte der Beamte Frau Ostermann, ob sie ihren Ausweis nicht herzeigen wolle. Natürlich hatte sie einen Ausweis dabei, aber vorne auf ihrem Ausweis war ein großes „J“ gedruckt und innen stand neben ihrem Vornamen der Zusatzname Sara, den jede jüdische Frau tragen musste, bei den Männern war dieser Zusatzname Israel. Sie zeigte also ihren Ausweis her und der Beamte fragte sie, ob sie nicht wisse, dass sie sich hier nicht aufhalten dürfe und mit denen nicht verkehren dürfe. Er deutete auf ihre Freunde. Frau Ostermann entgegnete, dass die nicht wissen, dass sie Jüdin sei. Sie dachte, dass sie jetzt mitgenommen werden würde, da sie drei Gesetze übertreten hatte: Sie war in einem öffentlichen Lokal gewesen, hatte ihren Stern verdeckt und war mit Ariern zusammen gewesen. Er hatte sie aber nicht mitgenommen, ihre Daten und das Geschehnis wurden aufgeschrieben und die zwei Beamten gingen wieder weg. Frau Ostermann ist aus dem Cafè gegangen und ist zum Hauptpostamt gegangen und hat ihre Mutter in Wien angerufen. Ihre Mutter hat ihr gesagt, sie solle nichts machen, sie werde nach Dresden kommen.
Zehn Tage später hat sie eine Vorladung von der GESTAPO für den 18. August bekommen zwecks Befragung. Ihre Mutter wollte sie nicht gehen lassen, aber zwei Tage vor der Vorladung kam ihr Onkel Alfred von der Ostfront zurück und begleitete sie zu dieser Befragung. Am 18. August ging sie also mit ihrem Onkel dort hin, zeigte dem Beamten, der bei der Tür saß den Zettel, und dann warteten sie. Frau Ostermann erinnerte sich, dass sie sich nicht hinsetzten durfte, sie musste am Gang stehen bleiben. Beamte, die an ihr vorbei gingen, haben ausgespuckt vor ihr, als sie den Stern an ihrer Brust sahen.
Nach ungefähr zwei Stunden wurde sie in den zweiten Stock gerufen. Sie kam in ein Zimmer, in dem drei Beamte saßen. Sie stellte sich auf Befehl zur Wand und wartete, die Beamten unterhielten sich aber nur über sie, ob sie hübsch wäre oder nicht, ob sie eine Rassenschande wert wäre oder nicht. Nach einiger Zeit kam ein SS-Untersturmführer herein und fragte sie, ob sie wisse, warum sie hier wäre. Sie verneinte. Dann fragte er, wie sie mit ihrer Mutter in Verbindung stehe und sie antwortete, dass sie brieflich in Verbindung wären. Der SS-Mann erwiderte darauf, dass sie doch am 22. April um so und so viel Uhr am Hauptpostamt telefoniert hätte. Deswegen wurde sie angezeigt. Sie wurde in ein Polizeigefängnis eingesperrt, das einige Zeit später GESTAPO- Gefängnis wurde. Man sagte ihr, dass man sie eine Woche einsperren müsse, dass es nicht heißt, dass sie wegen ihrer Nazi Verwandtschaft bei ihr eine Ausnahme machen würden.
Im Gefängnis wurde sie alle zwei Tage zu einem Verhör gebracht. Dort wurde sie gefragt, ob sie mit Juden zusammen arbeite und ob sie wisse, ob die Juden, die sie kenne, alles abgegeben hätten und so weiter. Man wollte sie zu einem Spitzel machen. Frau Ostermann sagte aber nichts und nach dem dritten Verhör ließ man sie in Ruhe. Nach zwei Wochen war sie immer noch nicht entlassen worden. Eines Nachts wurde die Zellentür aufgesperrt und ihr Name gerufen. Sie wurde einen Stock tiefer in ein Büro gebracht. Sie wurde vor ein Stehpult geführt, auf dem ein rosa Zettel lag, auf dem „Schutzhaftbefehl“ stand und sie musste diesen Zettel unterschreiben. Sie wusste, dass „Schutzhaftbefehl“ Konzentrationslager bedeutete. Damals hatte sie nur von folgenden Konzentrationslagern gewusst: Ravensbrück, das Konzentrationslager für Frauen, Sachsenhausen – Oranienburg für Männer, Buchenwald und Dachau.[120]
Frau Ostermann wurde nach Ravensbrück überstellt. Zehn Frauen wurden mit ihr zusammen mit einem Zug dort hingebracht. Der Zug sah von außen wie ein normaler Personenzug aus, nur innen war er anders. Innen war ein Mittelgang und rechts und links waren kleine Abteile. Auf der rechten Seite waren die Männer und auf der linken Seite die Frauen. Sie wurden zuerst nach Berlin in das Gefängnis Berlin- Alexanderplatz gebracht. Das Gefängnis war so voll, dass sie auf dem Gang schlafen musste. Es diente als Sammelstelle, weil es sich nicht lohnte, zehn Frauenhäftlinge nach Ravensbrück zu bringen. Deshalb wurde hier „gesammelt“. Wenn genug Leute beisammen waren, hat man sie in die jeweiligen Lager transportiert. Nach zwei Tagen wurden sie wieder in einen der oben beschriebenen Züge nach Ravensbrück transportiert. Auf der Fahrt nach Berlin und auf der Fahrt nach Ravensbrück war normale Polizeibewachung. Als sie in Ravensbrück ankamen, wurden ihnen die Kleider abgenommen und sie bekamen gestreifte Hosen, Hemden und Unterhosen und beige Kopftücher. Danach bekamen sie Zwirn und Nadel und dann mussten sie die jeweilige Nummer, die sie bekamen, auf die Brust und auf den Jackenärmel annähen. Zusätzlich dazu bekamen sie verschiedene „Winkel“ (Dreiecke). Der rote Winkel war für politischen Häftlinge, ein roter Winkel überkreuzt mit einem gelben war für Juden, der grüne war für Berufsverbrecher, der schwarze war für Asoziale und der grüne war für Bibelforscher, heutige Zeugen Jehovas. Nachdem sie alles angenäht hatte, wurde sie auf Block 1 gebracht. Die Blockälteste war die spätere österreichische Nationalratsabgeornete Rosi Jochmann, die aus politischen Gründen verhaftet worden war. Was Frau Ostermann seltsam vorgekommen ist, war, dass die Kapos beim Appell die Juden, also die Menschen mit einem roten und gelben Winkel überkreuzt, nicht zur Arbeit mitgenommen hatten. Sie dachte sich schon, dass sie mit den Juden etwas anderes vorhatten. Und am sechsten Tag in Ravensbrück kam die Rapportführerin, eine SS-Frau und verkündete, dass sich alle Sternträger am nächsten Tage auf dem Appellplatz einzufinden hätte. Am nächsten Tag waren 522 Frauen am Appellplatz. Sie mussten sich in Fünfer-Reihen aufstellen und zum Bahnhof gehen. Der einzige Unterschied zu den anderen Transporten war, dass jetzt nicht mehr Polizeibewachung war, sondern GESTAPO-Bewachung. Frau Ostermann erinnerte sich, dass die Fahrt sehr lange dauerte und Richtung Osten ging. Irgendwann ist sie eingeschlafen, bis sie mit einem Ruck geweckt wurde. Die Türen wurden aufgerissen und es wurde geschrieen: „Raus! Raus! Raus!“. Sie konnte nicht sehen, wer geschrieen hatte, sie hatte nur Uniformen gesehen, weil es noch dunkel war. Sie mussten sich wieder in Fünfer-Reihen aufstellen und einen Stacheldraht entlang gehen, bis sie durch ein Tor kamen und dann mussten sie sich aufstellen. Wie oben erwähnt, war es noch sehr dunkel, und obwohl sie nur Baracken sah und keinen einzigen Baum oder Strauch, dachte sie, die Häftlinge hätten Laub und Geäst zusammen gerecht, weil neben ihr bei einer Baracke ein großer Haufen lag. Als es heller wurde, sah sie, dass es kein Geäst war, sondern ein Haufen von nackten Leichen, die aufeinander gestapelt waren und wegen der dünnen Gliedmaßen sah es aus wie Geäst. Als sie dort standen und warteten, kamen Gestalten, bei denen man nicht sagen konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, sie hatten keine Haare. Ein paar hatten gestreifte Häftlingskleidung an und ein paar nur Fetzten. Eine dieser Gestalten, ein so genannter „Muselmann“, eine Bezeichnung, die Häftlinge erfunden hatten für Häftlinge, die schon ganz abgemagert waren, kam auf die Schar von Frauen zu und fragte: „Von wo kommt’s’ ihr?“ Und Frau Ostermann antwortete: „Wir kommen aus Ravensbrück, aber wo sind wir eigentlich hier?“ Und er antwortet: „Dass wisst's ihr nicht? Ihr seid's in Auschwitz-Birkenau.“
3.2.6. Auschwitz-Birkenau
Es war der 6.Oktober 1942 und das erste Mal, dass Frau Ostermann den Namen Auschwitz hörte. Im Interview sagte sie, dass sie keine Angst hatte, sie hat sich nur geekelt vor dem Geruch, vor den Leichenbergen und vor dem Schmutz. Als es hell wurde, kam ein Oberscharführer namens Stark mit einer Liste. Der ganze Transport kam ins Lager, weil jeder einen Akt hatte. Und alles, was einen Akt hatte, musste aktenmäßig behandelt werden. Dieser Oberscharführer Stark las nun die Liste vor, und wenn man aufgerufen wurde, musste man zu einem Tisch vorgehen. Dort saßen zwei Häftlingsmänner und man bekam eine Nummer auf den Unterarm tätowiert.[121] Als dieser Herr Stark schon beim Buchstaben „K“ war, ging Frau Ostermann vor, entschuldigte sich und sagte ihm, dass er ihren Namen nicht vorgelesen hätte. Er fragte sie, wie sie heiße und sie sagte, sie heiße Dagmar Bock. Der Oberscharführer sah die Liste durch und sagte nach einiger Zeit, dass sie gar nicht auf der Liste stehe. Frau Ostermann, die noch nie sehr feig war, wie sie selbst sagte, antwortete ihm, dass er sie doch einfach wieder nach Hause schicken solle. „Das geht nicht, aber stell’ dich dort drüben separat zum Zaun!“ sagte Herr Stark. Und so wurde Frau Ostermann als Letzter die Nummer tätowiert. Sie bekam die Nummer 21946. Nachdem jeder eine Nummer bekommen hatte, gingen sie zu einem Gebäude, das „Sauna“ hieß. Als sie bei Oberscharführer Stark vorbeiging, hörte sie noch wie er sagte: „Schade um die schönen blonden Haare“. Sie hatte noch gar nicht realisiert, dass alle Menschen, die ihr entgegen kamen, keine Haare mehr hatten. Die „Sauna“ war ein großes Gebäude, dort wurden ihnen die Kleider abgenommen und die Harre geschoren. Die Haare wurden nach Deutschland geschickt. Dort wurden Decken, Dichtungen und andere Sachen gemacht. Anschließend mussten sie nackt, mit dem Gewand über dem Arm, das ihnen zugeteilt wurde, an einem Tisch vorbei gehen. An diesen Tischen saßen Häftlinge, die Karteikarten auf den Tisch stehen hatten, es waren die Karteikarten, der Häftlinge aus Ravensbrück. Sie mussten beim Vorbeigehen den Namen und die Nummer nennen und die Häftlinge schrieben die neue Nummer auf die Karteikarten und strichen die alte weg. Die Karte wurde dann auf einen Nebentisch gelegt, an dem ein SS-Mann in weißer Uniform saß. Der Arzt deutete mit seinem Zeigefinger jeweils auf die linke oder auf die rechte Seite. Frau Ostermann sah, dass auf der einen Seite nur junge Leute waren und auf der anderen ältere. Dort erblickte sie auch eine alte Bekannte, die ungefähr 42 oder 43 Jahre alt war. Frau Ostermann fragte sie, ob sie schon wisse, auf welchem Block sie sei. Und sie antwortete, sie komme auf Block 25. Frau Ostermanns letzten Worte an diese Frau waren: „Ich bin auf Block 3. Ich komme Sie nachher besuchen.“ In Ravensbrück war es möglich, Freunde oder Bekannte in anderen Blöcken zu besuchen, wenn man nicht arbeitete.
Als alle eingeteilt waren, kam eine der Schreiberinnen zu Frau Ostermann und sagte, dass man auf Block 25 niemanden besuchen kann. Und diese Schreiberin sagte noch zu ihr: „Weißt du nicht, was das eben war? Das war eine Selektion. Du bist für die Lebenden bestimmt, die anderen kommen in die Gaskammer.“ Natürlich hatte Frau Ostermann bis zu diesem Zeitpunkt nie etwas von Selektionen gehört. Als sie es nun hörte, brüllte sie los, dass es eine Gemeinheit wäre, solche Sachen zu verbreiten. Die Deutschen wären doch ein Kulturvolk, die hatten einen Schiller, einen Goethe, einen Lessing gehabt, die verbrennen und vergasen doch keine Menschen. Zwei Stunden später wusste sie, dass es doch wahr ist.
Block 25 war sozusagen eine Sammelstelle für die Gaskammern.
Frau Ostermann war also für die Lebenden bestimmt und musste jetzt auf Außenarbeit gehen. Mittags wurde das Essen für die SS und für die Häftlinge zu den Arbeitsstellen gebracht. Natürlich mussten sie das Geschirr immer wieder sauber machen. In der Nähe der Arbeitsstelle war ein Bach und so fragte Frau Ostermann ab und zu, ob sie sich waschen dürfe, denn für sie war das Waschen, wie sie sagte, sehr wichtig. Im Lager konnte man sich fast nie waschen und auf die Latrine durfte man auch nur mit Begleitung der Blockältesten gehen. Die Latrinen waren in einem Block, dem so genannten „Latrinenblock“. In diesem Block war eine große Grube, die mit einem ca. 30 cm langen Betonband eingefasst war. Später wurde diese Grube ganz zugegraben und oben wurden Löcher hinein gemacht, es waren also dann Plumpsklos. Das hat man aus einem ganz einfachen Grund gemacht: Die „Muselmänner“, wie man die ganz abgemagerten Häftlinge nannte, konnten sich vor Schwäche nicht mehr halten, wenn sie auf dem 30 cm langen Betonband saßen und fielen hinein. Man durfte sie nicht herausholen, dass war Aufgabe des Totenkommandos. Das Totenkommando ging mit Rollwagen durch das Lager und hat in den Krankenbauten, in den Blocks und in den Latrinen die Toten eingesammelt und sie auf Block 25 gebracht und von dort wurden die Toten anschließend zu den Krematorien gebracht.
Frau Ostermann hat immer versucht so sauber wie möglich auszusehen. In Birkenau gab es Waschblocks, aber während des Tags ist dort fast nie Wasser geronnen, nur in der Nacht lief das Wasser, in der Nacht durfte man den Block aber nicht verlassen. Frau Ostermann meinte, dass die SS das mit Absicht gemacht hat. Manchmal schlich sie sich aus ihrem Block und lief zu dem Waschblock. Dort gab es natürlich auch eine Blockälteste, die einen nur hinein ließ, wenn man ihr Brot gab. So hat Frau Ostermann manchmal ihr Brot hergegeben, um sich waschen zu können. An dieser Stelle im Interview sagte sie, dass sie fast keinen Hunger gelitten hat, also nicht in dem Ausmaß wie manch andere.
Am dritten Tag, als alle zum Zählappell gingen, wurde ihre Nummer gerufen. Sie ging vor und stand vor einem SS-Mann namens Huste-Gerbere, der ihr sagte, dass sie am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit ausrücken dürfe. Am nächsten Morgen kam ein junges Mädchen und holte sie ab und sagte ihr, dass sie auf die Schreibstube der politischen Abteilung komme. Zuerst musste sie sich entlausen und duschen und anschließend in die Kleiderkammer gehen. Sie nahm sich relativ saubere Kleider und unterhielt sich anschließend noch mit den jungen Mädchen, die dort waren. Nach einer Weile kam Herr Unterscharführer Stark und sagte zu ihr, dass sie Häftlingskleider brauche, sie komme nämlich nach Auschwitz I. Natürlich hatte Frau Ostermann noch nie etwas von Auschwitz I gehört. Sie holte sich Häftlingskleider und dieser Unterscharführer sagte ihr, dass sie am nächsten Tag nach Auschwitz I ausrücken müsse. Frau Ostermann musste nun jeden Tag von Birkenau nach Auschwitz I gehen, weil im Stammlager noch keine Blocks für Frauen waren.
3.2.7. Das Erlebnis mit ihrer Mutter
Sie arbeitete auf der politischen Abteilung, die sich „Standesamt“ nannte. Hier wurden den ganzen Tag Totenscheine und Sterbebücher geschrieben. Am 8. Dezember wurde ein bisschen außerhalb von Auschwitz I für die Frauen, die im Büro angestellt waren, das Stabsgebäude eröffnet. Nun mussten sie nicht mehr täglich von Birkenau nach Auschwitz I gehen. Ab diesem Moment, als sie im Stabsgebäude wohnte, durfte sie einmal im Monat Briefe schreiben und auch erhalten. Natürlich war die Wortanzahl vorgegeben und die Briefe wurden zensuriert. Eines Tages wurde sie zum Oberscharführer Kirschner geführt. Als sie in seinem Büro war, sah sie ein großes Paket auf dem Tisch liegen und dieser Herr Oberscharführer Kirschner sagte, dass ihre Mutter da gewesen sei. Sie habe aber keine Besuchserlaubnis gehabt und so habe sie dieses Paket hier gelassen. In diesem Augenblick dachte sich Frau Ostermann, dass ihre Mutter nicht ganz normal wäre, dass sie nach Auschwitz komme. Fünf Wochen später wurde sie wieder zu Oberscharführer Kirschner gerufen. Doch diesmal nicht in sein Büro, Herr Kirschner stand auf der Straße und als er Frau Ostermann sah, deutete er mit dem Finger zum Ausgang. Frau Ostermann sah hin und erblickte ihre Mutter, als sie gerade durch das Tor ging. Sie rief „Mama“ und wollte mit ausgebreiteten Armen zu ihr hinlaufen, aber Herr Kirschner verbot es ihr. Nach dem Krieg erfuhr sie, wie sich das alles zugetragen hatte. Ihre Mutter hatte bald angefangen ausländische Radiosender zu hören und sie hörte von den Vernichtungslagern und auch von Auschwitz und sie schrieb ja jeden Monat einen Brief nach Auschwitz. So wollte sie sich überzeugen, ob es wirklich so war. Ihre Muter hatte sich von dem kleinen Dorf Auschwitz zu dem Lager durchgefragt und so kam sie zu dem kleinen Posten vor dem Stammlager. Der Mann fragte, wohin sie wolle und ihre Mutter antwortete, sie wolle zur politischen Abteilung. Der Mann hatte sich wahrscheinlich gedacht, dass, wenn sie die politische Abteilung kenne, sie auch dazu gehöre und hat ihr gesagt, wo sie sei. Nun stand sie im Lager und wusste nicht genau, wohin sie jetzt gehen solle. Da kam ein SS-Mann und brachte sie zum Oberscharführer Kirschner und der fragte: „Gnädige Frau, was wünschen Sie?“ Und Frau Ostermanns Mutter antwortete: „Ich will meine Tochter besuchen.“ Herr Kirschner fragte, in welcher SS-Einheit ihre Tochter denn wäre und sie entgegnete ihm: „Meine Tochter ist bei keiner SS-Einheit, meine Tochter ist Häftling bei Ihnen“. Herr Kirschner meinte, dass es das nicht gäbe, denn in der politischen Abteilung haben nur jüdische Mädchen gearbeitet. Er fragte, wie sie denn heiße, ihre Tochter, und sie antwortete: „Dagmar Bock.“ Er fragte seine Sekretärin, ob es hier in der politischen Abteilung eine Dagmar Bock geben würde und die Sekretärin sagte ihm, dass sie drüben beim „Standesamt“ arbeite. Herr Kirschner sah Frau Ostermanns Mutter völlig perplex an und sie entgegnete ihm Folgendes: „Sie wundern sich, dass ich hier vor Ihnen ohne Stern stehe und meine Tochter wahrscheinlich mit einem Stern bei Ihnen Häftling ist. Ich hab ein furchtbares Verbrechen begangen, ich hab im Jahre 1919 einen Juden geheiratet und das Produkt dieser Ehe ist jetzt bei Ihnen Häftling.“ Sie erklärte ihm alles, wo ihre Tochter festgenommen worden sei und wo sie gewohnt habe in Dresden und erzählte ihm von der jüdischen Wohnung in der Osterallee 2 und Herr Kirschner fragte: „Was, in der Osterallee 2? Da hat auch meine Schwester gewohnt.“ Durch all die Zufälle wurde sie ihm sympathisch und er sagte, dass er ihr keine Besuchserlaubnis geben könne, aber er gab ihr den Rat, nach Berlin ins Reichsicherheitshauptamt zu gehen und sich dort eine Besuchserlaubnis zu holen. Frau Ostermanns Mutter ist also nach Berlin gefahren zum Reichssicherheitshauptamt, dem Sitz von Himmler und Konsorten. Sie glaubte, dort ohne weiteres eine Besuchserlaubnis zu bekommen. Sie wurde von einem Zimmer zum anderen geschickt und schließlich war sie bei der richtigen Adresse und man fragte sie, für welches Lager sie eine Besuchserlaubnis brauche. Als sie sagte, dass ihre Tochter in Auschwitz I sitze, weil sie ein Mischling sei, hat man sie, fluchend und schimpfend, raus gejagt, weil sie ja schuld wäre, dass ihre Tochter in Auschwitz sei. Ohne Besuchserlaubnis fuhr sie noch einmal nach Auschwitz und sagte Herrn Kirschner, dass sie keine bekommen habe. Er konnte sie aber nicht zu ihr lassen ohne diese Erlaubnis, ermöglichte aber, dass sie die Tochter, also Frau Ostermann, wenigstens beim Hinausgehen sehen konnte.
3.2.8. Der Tod ihres Vaters
Nach der Scheidung hat ihr Vater, wie schon erwähnt, noch einmal geheiratet, hat sich aber im Jahr 1938 wieder scheiden lassen. Und zu dieser Zeit hat Frau Ostermanns Mutter sich wieder um ihn gekümmert. Sie hat ihm etwas zu essen gebracht, zum Anziehen, etwas zum Rauchen und was er sonst noch brauchte. Dadurch hat der Vater im Laufe der Jahre von seiner geschiedenen Frau auch erfahren, dass seine Tochter in Auschwitz ist.
1943 wurde Herr Oswald nach Theresienstadt deportiert. Theresienstadt war damals das Vorzeigelager. Im Frühjahr 1943 kam das Rote Kreuz, um sich zu überzeugen, dass dort auch alles mit rechten Dingen zugehe und man hat die Juden gegen die Nazis Fußball spielen lassen, man hat Obststände aufgestellt und ein paar Kinder schön angezogen. Das Rote Kreuz war beruhigt über die Zustände und fuhr wieder weg. Als die Nazis bemerkt haben, wie überzeugend alles rüber gekommen war, hat man noch einen Propagandafilm gedreht. Dieser Film hieß „Hitler schenkt den Juden eine Stadt“.
Frau Ostermann wusste nicht, dass ihr Vater nach Theresienstadt und anschließend nach Auschwitz deportiert wurde, bis eines Tages ein Häftling in die politische Abteilung kam, der die Wäsche für die SS in den verschiedenen Lagern austeilte. Dieser Häftling ging also in die politische Abteilung und fragte nach einer Dagmar Bock. Dagmar Bock ging hin zu ihm und fragte, was er von ihr wolle. Jener fragte sie, ob sie jemanden kenne, der Oswald Bock heiße.
„Ja, mein Vater“ antwortete sie. Der Häftling sagte ihr, dass Herr Bock in Birkenau im Theresienstädter Familienlager sei und ihm einen Zettel für Frau Ostermann mitgegeben hätte, auf dem stand, dass er wisse, dass sie in der politischen Abteilung sei, weil es ihm ihre Mutter gesagt hätte.[122] Frau Ostermann hat sofort etwas von ihrem Brot abgebrochen und ihm mitgegeben und den Häftling gefragt, ob er wieder käme. Und er sagte, er wisse nicht, wann, aber er komme wieder. Und so hat Frau Ostermann die Zigarettenstummel der SS-Männer gesammelt und zu neuen Zigaretten zusammengedreht und ihm mitgeschickt. Brot konnte sie nicht sammeln, weil es hart wurde. Immer, wenn dieser Häftling kam und Wäsche brachte, gab sie ihm die Zigaretten mit. Eines Tages kam er wieder und sagte: „Du brauchst mir nichts mehr mitzugeben. Der Papa ist nicht mehr draußen“. Sie ist zu ihren Kolleginnen gegangen und hat gefragt, ob sie wüssten, was mit den Theresienstädter Judenlager sei, und die Antwort war: „Die sind ja gestern alle ins Gas gegangen“.
Frau Ostermann ist eine der wenigen, die genau wissen, wann ihr Vater gestorben ist. Es war der 8.März 1944.
3.2.9. Zurück nach Auschwitz-Birkenau
Eine Freundin von Frau Ostermann sagte ihr, dass es eine Adresse geben würde, wo die Briefe nicht zensuriert werden würden. So schrieb Frau Ostermann die Briefe über diese Adresse an ihre Mutter, obwohl sie nichts anderes hinein schrieb als sonst auch. Die Briefe flogen aber auf. Und so musste sie zurück nach Birkenau. Sie kam ins Strafkommando und musste Innenarbeit leisten. Später leistete sie Außenarbeit, 50m vom Krematorium II entfernt. Sie musste Karpfenteiche trocken legen und ebnen. Hier sagte Frau Ostermann, dass sie einen sehr netten SS- Mann traf, der sich sehr freute, dass sie Wienerin war, weil er auch einer war. Er nahm ihr jeden Tag ein Stück Brot und Margarine mit zur Arbeit. Er erzählte ihr auch, dass er nicht freiwillig bei der SS war. Er hatte eine Schussverletzung im Krieg erlitten und war nicht mehr kriegstauglich und musste so zur SS gehen.
Am 7.Oktober hörte Frau Ostermann Geschrei und Schüsse draußen, es war der erste Aufstand in Birkenau. Das Sonderkommando von Krematorium IV sprengte das Krematorium.
Am 1.November war eine große Selektion, die von Berlin her befohlen wurde, durch diese Selektion ist Frau Ostermann aber wieder durchgekommen. Am 2.November 1944 standen in der Früh Viehwagons bereit in die jeweils 80-90 Frauen aufgeladen wurden. Es war das erste Mal, dass Frau Ostermann mit einem Viehwagon transportiert wurde. Es wurden zwei Kübel hineingestellt, um sich entleeren zu können, und es ging zurück nach Ravensbrück.
3.2.10. Zurück in Ravensbrück
Am 4. November kamen sie in Ravensbrück an. Frau Ostermann kam aber nicht ins Lager, sondern in ein großes Zelt. Die Lager waren alle schon überfüllt, weil man alle Häftlinge aus dem Osten ins Reichsinnere brachte, weil der Russe immer näher kam.
In den Zelten gab es keine Bettgestelle, man musste auf dem Boden schlafen. Außen am Zelt war alles gefroren und innen taute alles, weil so viele Menschen im Zelt untergebracht waren. Man musste sogar im Stehen schlafen, weil kein Platz zum Liegen war. Am nächsten Tag traf Frau Ostermann eine Blockälteste aus dem Jahre 1942, die ihr eine Decke und eine neue Hose schenkte.
Bis Mitte Dezember blieben sie in Ravensbrück, bis eines Tages eine SS-Division kam und 500 Frauen aussuchten, unter anderem auch Frau Ostermann; man brachte sie nach Malchov. Sie kamen zur Firma Dynamit Nobel, dort mussten sie Spritkapseln erzeugen. Sie waren in einem kleinen Lager untergebracht, das mit der Zeit aber auch immer voller wurde, weil die Todesmärsche begonnen hatten und viele Lager geräumt wurden.
Ab 7. März arbeiteten sie nicht mehr, weil ständig Überflüge der Alliierten waren. Und am 30. April hieß es, dass das Lager verlassen werden muss. Im Lager befanden sich fast nur kranke Menschen. Von der SS war niemand mehr da, nur noch Leute vom Volkssturm, die aber auch bewaffnet waren. Zwei Tage gingen sie auf einer Straße, vom Volkssturm geführt. Es fuhren Lastwägen vorbei mit Zivilisten und Soldaten, die schrieen: „Lasst’s euch nichts mehr gefallen, der Krieg ist eh schon aus“. Am zweiten Tag übernachteten sie bei einem Bauern, alles bunt gemischt, von SS-Leuten über Häftlinge bis zu Soldaten.
3.2.11. Die Befreiung
In der Früh kam ein Soldat angelaufen und schrie: „Zwei Kilometer von hier, in Lybs, stehen die ersten amerikanischen Panzer!“ Die Häftlinge sind aufgesprungen und gelaufen, bis sie die Panzer sahen. Plötzlich waren sie frei. Die Amerikaner sagten, dass sie jetzt machen könnten, was sie wollen. Sie schliefen noch eine Nacht auf einem Feld, Frau Ostermann konnte aber nicht schlafen und hörte plötzlich jemanden marschieren. Als sie aufblickte, sah sie, dass die Russen kamen. An dem Ort wo sie war, war ein Treffpunkt der Russen und der Amerikaner. Am nächsten Morgen wurde durch ein Mikrofon verkündigt, dass die Leute, die bei den Amerikanern bleiben wollen, nach Norden gehen sollen und wer bei den Russen bleiben wolle, solle an Ort und Stelle bleiben. Da Frau Ostermann unbedingt nach Wien zurück wollte, blieb sie auf der russischen Seite. Ein paar Leute und sie organisierten einen Pferdewagen, da sie den gleichen Weg hatten. Ein politischer Häftling namens Rudi stieß auch zu der Gruppe, er wollte ebenfalls nach Wien. In Herzberg an der Elster, vierzehn Tage nach der Befreiung, haben sie der Bürgermeister von Herzberg und der russische Stadtkommandant gebeten einen Vortrag über Konzentrationslager zu halten. Dafür bekam sie einen Passierschein in Russisch und in Deutsch. Sie ist dann über Berlin, das völlig zerstört war, weiter nach Dresden, wo sie durch Zufall ihre Großmutter gefunden hat, die aber nicht mehr in ihrem Haus wohnte. Das Haus war durch die schweren Luftangriffe auf Dresden 1945 zerstört worden. Sie wollte aber nicht in Dresden bleiben und ist weiter gegangen mit ihrem Weggefährten Rudi. Bis Prag hatten sie einen Zug gehabt. Von Prag ging ein Zug nach Österreich, doch nach drei Kilometern waren die Schienen kaputt. Sie stiegen also aus, im Zug hatten sich ihnen ein Ehepaar und ein paar jüngere Leute angeschlossen. Sie kletterten über eine Böschung auf die Landstraße und gingen zu Fuß weiter. Bei Perg in Oberösterreich hat sich ein Teil der Gruppe verabschiedet. Der andere Teil ist dann noch zu Fuß durch das Waldviertel weiter gegangen. Am 30. Mai kam sie mit Rudi an der Donau im 2. Bezirk an. Alle Brücken an der Donau waren gesprengt und überall hingen Strickleitern herunter, erinnerte sich Frau Ostermann. Hier verabschiedete sich ihr Freund Rudi und sie ging weiter. Als sie vor der Colingasse stand, sah sie, dass kein Haus beschädigt war, bis auf das Haus der Colingasse 3. Das Haus war eine Brandruine. Frau Ostermann sagte, dass sie wenig geweint habe im Lager, aber als sie vor dem Haus stand, fing sie an zu weinen. Als sie aufblickte, sah sie einen Zettel, auf dem der Name ihrer Mutter und ihre Adresse draufstanden. Sie wusste nicht, wie lang dieser Zettel schon dort hing, und nach allem, was passiert war, lehnt sie nun an der Ruine und weinte. Ihr Ärmel war verrutscht und man sah die Nummer, die sie im Konzentrationslager bekommen hatte und eine Frau klopfte ihr auf die Schulter und fragte, was das für eine Nummer sei. Frau Ostermann sagte, dass das eine Nummer aus dem Konzentrationslager sei. Die Frau fragte nicht, wie es war, oder tröstete sie, sondern fragte, ob sie sich die Nummer aufschreiben dürfe, weil sie die Nummer im Lotto setzen wollte. Dies war die erste Begegnung mit einer Wienerin. Sie ging dann zu der Adresse, die auf dem Zettel stand. Ihre Mutter wohnte nicht dort, aber die Leute wussten, wo sie wohnte. Ihre Mutter wohnte immer wo anders. Das Haus in der Colingasse haben junge Nazis am Ende des Kriegs angezündet, um die Russen zu vertreiben, und so hat Frau Ostermanns Mutter am Ende des Krieges noch alles verloren.
Frau Ostermann musste sozusagen noch mal bei Null anfangen. Sie ging zu einem Amt, um sich eine Wohnung zu suchen. Es war schon Mitte Juni und sie hatte die Ärmel hochgekrempelt, während sie dem Beamten erklärte, wie das Haus ihrer Mutter abgebrannt war. Sie sagte absichtlich nicht, dass sie im KZ war. Aber der Beamte starrte immer nur auf ihre Nummer am Arm und sagte, als Frau Ostermann fertig war: „ Was glauben's, auf solche wie sie haben wir gewartet“. Das war der Moment, an dem sie das erste Mal böse wurde und sagte: „Ich werde Ihnen was sagen, Sie haben auf mich gewartet. Sie sind wahrscheinlich ein Nazischwein gewesen und haben die Front nur von hinten gesehen. Sie sind dick und ausgefressen“. Die Leute hinter ihr haben applaudiert. Ein anderer Beamter hat sie dann beruhigt und ihr versichert, dass sie eine Wohnung bekommen würde. Sie habe eine Wohnung bekommen, aber in dieser Wohnung wohnte eine Frau mit ihrem Kind und Frau Ostermann wollte niemandem die Wohnung wegnehmen. Der Beamte sagte ihr aber, dass es ein Gesetz gibt, dass alle Deutschen, die nach 1938 nach Österreich gekommen sind, wieder zurück müssen nach Deutschland und diese Frau stand schon auf der Liste. Frau Ostermann ging mit ihrer Mutter zu dieser Frau und entschuldigte sich und zog dort ein. Sie arbeitete bei der Volkssolidarität. Einer Institution für KZ-Witwen, Waisenkinder von KZ Häftlingen. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen. Er war aber nicht im KZ, er war nach Jugoslawien geflüchtet.
Frau Ostermann sagte, dass sie damals keinen Christen geheiratet hätte. Aus folgendem Grund: In jeder Ehe gibt es einmal Streit und sie hätte es nicht ausgehalten, wenn ihr Mann einmal im Streit statt „du dumme Gans“ „du Saujüdin“ gesagt hätte. Sie war 17 Jahre mit ihrem Mann verheiratet, ließ sich aber dann scheiden. Sie arbeitete in einer Trafik.
1982 ging sie in Pension und 1985 hat Frau Rosi Jochmann sie gebeten auch als Zeitzeugin in Schulen zu gehen. So besuchte Frau Ostermann Schulen und berichtete dort von ihrem KZ Aufenthalt. Nach der Waldheimaffäre wurde immer mehr mit Überlebenden zusammengearbeitet.
Als man vor 10 Jahren 50 Jahre Befreiung von Auschwitz feierte, ist Frau Ostermann mit Bundespräsident Klestil nach Auschwitz gefahren. 1997 wurde sie für das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich vorgeschlagen. Über Frau Ostermann sind schon mehrere Bücher veröffentlicht worden, unter anderem „Die Begegnung“. Für dieses Buch traf sie sich drei Tage mit einem SS- Arzt namens Dr. Hans Wilhelm Münch, der in Auschwitz im Hygieneinstitut arbeitete, und führte mit ihm ein Gespräch. Dieser Arzt wurde nicht verurteilt, weil er bei Selektionen nicht teilgenommen hatte. Frau Ostermann sagte, dass sie mit gemischten Gefühlen zu diesem Treffen ging, doch es entwickelte sich sehr gut. Keiner von beiden wurde laut, Frau Ostermann sagte, dass sie diesem SS-Arzt lediglich Behauptungen widerlegte, die nicht richtig waren. Am Schluss ließ sie sich sogar mit ihm fotografieren. Frau Ostermann sagte in ihrem Interview Folgendes zu diesem Thema „Vergeben, ja! Vergessen, nein!“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Frau Ostermann mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik Österreich. (Abb.10)
3.3. Viktor Frankl
Viktor Frankl ist wahrscheinlich einer der berühmtesten Holocaust-Überlebenden. Nicht allein wegen seines Buches „…trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“[123], sondern auch weil er Begründer der Logotherapie ist.
Das Wort Logotherapie setzt sich aus den griechischen Wörtern therapeuo – „heilen“ oder „ganz machen“ und logos, welches mehr Bedeutungen haben kann, wie zum Beispiel „Wort“ und „Rede“, aber auch „Vernunft“ und „Sinn“ zusammen. Logotherapie bedeutet also „Heilung durch Sinn“ oder „Ganz werden durch Sinn“. Sie lehrt uns, uns selbst zu vergessen und mit ganzem Herzen für andere Menschen da zu sein.[124] Schon bevor Frankl 1942 deportiert wurde, hatte er als junger Psychiater die Grundelemente der so genannten Dritten Wiener Schule zusammengetragen.[125] Frankls neuer und dritter Ansatz der Wiener Schule heißt Logotherapie und Existenzanalyse. Er nennt sie auch „Höhenpsychologie“, da man den wahren Sinn nur außerhalb des eigenen Ichs finden kann. Er betonte in den dreißiger Jahren, dass der Mensch etwas oder jemanden braucht, für das es sich zu leben lohnt, oft zitierte er Nietzsches Satz: „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“. Viktor Frankls Vater, seine Mutter, sein Bruder, seine Schwägerin und seine Frau, mit der er nur ein Jahr verheiratet gewesen war, kamen in verschiedenen Konzentrationslagern zusammen mit sechs Millionen weiteren Juden und fünfzehn Millionen Menschen, die die Nazis als gefährlich und unerwünscht empfanden, um. Er selbst überlebte auch nur mit knapper Not.[126] Wie es dennoch dazu kam, dass er Begründer einer Bewegung wurde, die dazu drängt, dem Leben einen Sinn zu geben, auf das möchte ich hier nun genauer eingehen.
3.3.1. Frankls Prägungen in seiner Kindheit
Viktor Emil Frankl kam am 26. März 1905 in Wien als zweiter Sohn des Ehepaars Gabriel und Elsa Frankl, geborene Lion, zur Welt. Sein zweieinhalb Jahre älterer Bruder hieß Walter August, und vier Jahre nach der Geburt von Viktor kam Stella Josefina zur Welt. Viktor Frankl wuchs in einem Wien auf, das dem naturwissenschaftlichen und technologischen Fortschritt mit großen Schritten entgegeneilte. Die Menschen waren überzeugt, dass Bildung, Wissen und Aufklärung in einer neuen Völkergemeinschaft dem Krieg ein für allemal ein Ende setzen würden.[127]
Gabriel Frankl brachte ein bescheidenes, aber sicheres Einkommen nach Hause, um die Familie ernähren zu können. Frankls Mutter war, wie es den Konventionen entsprach, Hausfrau. Und im Gegensatz zu den Familienverhältnissen der Mengeles schenkte Elsa Frankl der ganzen Familie emotionale Geborgenheit.[128] Frankl besuchte, wie seine Geschwister, die Grundschule am Czerninplatz. Er interessierte sich schon als Kind, und im späteren Alter für geistigen Gedankenaustausch mehr als für Kinderspiele.[129]
Viktor Frankl erlebte also eine behütete Kindheit in Wien, noch ahnte niemand etwas von den bevorstehenden Ereignissen. Die Frankls lebten in der Czerningasse 6 im 20. Bezirk, genau gegenüber von ihnen, in der Czerningasse 7, wohnten die Adlers. In dieser Gegend war ein hoher jüdischer Bevölkerungsanteil, deshalb erhielt die Gegend den Spitznamen „Mazzesinsel“. Doch noch jemand wohnte, zu der Zeit noch unbekannt im 20. Bezirk, Adolf Hitler. Er war in das neue Männerheim in der Meldemannstraße eingezogen. 1913, als Frankl acht Jahre alt war, verließ Adolf Hitler Wien und ging nach München, wo er 20 Jahre später zum Reichskanzler aufstieg.[130]
Als 1914 der 1. Weltkrieg ausbrach, veränderte sich auch das Leben der Frankls. Die unbeschwerten Jahre waren vorbei.
Frankls Eltern waren fromme, praktizierende Juden, all ihr Wissen über den jüdischen Glauben gaben sie ihren Kindern mit auf den Weg. Tägliche Gebete, koschere Speisen und am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, fasten, so verbrachten die Franks die Zeit vor Hitlers Nazi-Regime. Obwohl sie in einer Gegend aufwuchsen, die großteils von Juden bewohnt war, bekamen sie den Antisemitismus dennoch zu spüren.[131] 1916 beendete Frankl die Volksschule, der Krieg dauerte nun schon zwei Jahre, und wie viele Familien kamen die Frankls nur knapp über die Runde. Im Herbst 1916 trat Frankl im Alter von elf Jahren in das Sperlgymnasium ein. Einen Vorfall möchte ich hier wiedergeben, der zeigt, dass Frankl schon sehr früh gegen die Vorstellung ankämpfte, das Leben habe keinen Sinn.
„Der Biologielehrer schritt zwischen den Bänken auf und ab und dozierte. Plötzlich machte er eine Bemerkung, die den Zynismus jener Zeit widerspiegelte. „Letzten Endes ist das Leben nichts anderes als ein Verbrennungsprozess, ein Oxidationsvorgang.“ Ohne den Finger zu heben und sich zu Wort zu melden, wie es damals üblich war, sprang Viktor auf und warf ihm die Frage entgegen: „Ja, was hat denn das ganze Leben dann für einen Sinn?“ Der Lehrer wusste darauf keine Antwort.“[132]
Im Alter von dreizehn Jahren begann er einen Briefwechsel mit Freud, dem er seine Fragen sandte, die ihn schon im frühen Alter beschäftigten. Diese Briefe gingen jedoch alle verloren, als die Familie Frankl deportiert wurde.
1923 maturierte er am Sperlgymnasium, unter anderem mit einer Abhandlung „Die Psychologie des philosophischen Denkens“.[133] Im Herbst fing Frankl mit seinem Medizinstudium an der Wiener Universität an. Während seines Studiums entwickelte Frankl Depression und Suizid zu seinem Schwerpunktthema. Mit einundzwanzig hielt Frankl bereits Vorträge über Sexualität, Selbstmord und den Sinn des Lebens und reiste sogar schon ins Ausland.[134] Frankl half beim Aufbau einer Beratungsstelle für Suizidprävention. Der Anstieg der Selbstmordrate war zu dieser Zeit enorm. Immer mehr Jugendliche nahmen sich das Leben aus Angst vor schlechten Noten, schulischem Prüfungsdruck, der durch die Familie verstärkt wurde oder auch wegen sexueller Probleme. Das Projekt erregte die öffentliche Aufmerksamkeit, weil die Selbstmordrate unter den beratenen Jugendlichen fast auf Null zurückgegangen war. Trotz seines sozialen Engagements stand für Frankl sein Medizinstudium an erster Stelle. Er spezialisierte sich auf Psychiatrie und profitierte davon, dass die Wiener Universität als Erste in Europa eine Fakultät zur ausschließlichen Behandlung von psychisch gestörten Patienten aufgebaut hatte.[135] 1930 erhielt Frankl seinen Doktortitel. Er interessierte sich immer mehr für die Fächer Neurologie und Psychiatrie. Seine erste Praktikumsstelle war in der Nervenheilanstalt „Am Rosenhügel“. Hier blieb er aber nur einen Monat. Seine Zeit als Assistenzarzt war von wesentlich längerer Dauer. Er arbeitete ein Jahr lang in der Abteilung für Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät. Sein Vorgesetzter war der berühmte Gehirnpathologe und Psychiater Otto Pötzl. Keiner von beiden ahnte, dass dies der Beginn einer einzigartigen langjährigen beruflichen und persönlichen Zusammenarbeit sein würde. Zwischen Frankl und Pötzl bestand ein Altersunterschied von über dreißig Jahren.[136]
Ein paar Jahre später war Frankl der einzige Assistenzarzt, der selbstständig psychotherapeutisch arbeiten durfte. Nach Beendigung seiner Tätigkeit im Maria-Theresien-Schlössel begann Frankl an der Landes-Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ zu arbeiten. Der Architekt der gesamten Anlage war Otto Wagner. Auf dem höchsten Punkt des Geländes erhebt sich die Kirche Sankt Leopold, die bekannt ist unter dem Namen „die Kirche am Steinhof“. Diese Kirche wurde eigens für die psychisch Kranken eingerichtet. Die Patienten der Steinhof-Klinik waren in zwölf großen Gebäuden untergebracht, den so genannten Pavillons – sechs für Männer und sechs für Frauen. Frankl, der bis zu diesem Zeitpunkt noch zu Hause wohnte, zog nun in ein Wohnhaus, das extra für Ärzte, die „Am Steinhof“ arbeiteten, gebaut worden war. Heimweh war nicht das einzige Problem für Frankl, auch das übersteigerte Verantwortungsgefühl für seine Patienten machte ihm zu schaffen. Frankl arbeitete in Pavillon 3.[137] Dieser Pavillon wurde auch „Selbstmörderpavillon“ genannt. Frankl betreute als Oberarzt jährlich bis zu 3000 selbstmordgefährdete Frauen. Vor allem versuchte er ständig mit den Patienten zu reden, um ihren Zustand besser begreifen zu können. Schon bald merkte Frankl, dass Menschen, die einen Sinn in ihrem Leben sehen, von ihren Selbstmordgedanken los kommen.
„Später im Konzentrationslager, beobachtete ich, dass die Gefangenen so lange keinen Selbstmord begingen, solange sie noch an einen Sinn glaubten und auf ein Ziel in der Zukunft hin ausgerichtet waren, auf jemanden, den sie liebten, etwas Transzendentes.“[138]
Frankl ging mit Humor auf seine Patienten zu. Für ihn war es ein Mittel, um Patienten von ihren Problemen etwas zu distanzieren. Er brach damit die Konventionen der dreißiger Jahre. In den Jahren, in denen er am Steinhof arbeitete, formte sich zusehends die Grundlage für die später bekannte Logotherapie.
Seine Schwester Stella war verheiratet, gleich wie sein Bruder Walter, und seine Eltern führten ein ruhiges und bescheidenes Leben in der Czerningasse. In der Zeit zwischen 1933 und 1937 war Frankl wohl mehr mit seiner Berufslaufbahn beschäftigt, als die Tragweite dessen zu erfassen, was im benachbarten Deutschland vor sich ging. In Deutschland wurden schon bald nach der Machtergreifung Hitlers offizielle Maßnahmen gegen Juden ergriffen.[139]
Frankl eröffnete eine Privatpraxis in der Alser Straße. Doch die Nationalsozialistische Invasion warf ihre Schatten auf die viel versprechende Karriere des jungen Arztes Viktor Frankl.
3.3.2. Anschluss Österreichs ans Dritte Reich
Sigmund Freud feierte seinen achtzigsten Geburtstag, doch die Angst, dass sein Lebenswerk unter Hitler zerstört werden könnte, überschattete alles andere. Viele Psychoanalytiker flüchteten bereits aus Deutschland, um sich vor dem Naziterror in Sicherheit zu bringen. Im Mai 1933 wurden öffentliche Bücherverbrennungen organisiert. Auf der Liste der geächteten Autoren standen unter anderen Thomas Mann, Jack London, Karl Marx, Franz Kafka, Albert Einstein und Sigmund Freud. Der warnende Satz von Heinrich Heine, „Dort, wo man Bücher verbrennt, werde man am Ende auch Menschen verbrennen“ gewinnt hier eine abscheulich wahre Bedeutung. Wäre Viktor Frankl zu dieser Zeit schon berühmter gewesen, wäre sein Name sicher auch auf den Listen der geächteten Autoren gestanden.[140]
In der Alser Straße 32, Wohnung Nummer 12, im Wohnzimmer seiner Schwester Stella eröffnete Frankl seine Praxis als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Frankl hielt weiterhin Vorträge und eines Tages bat ihn ein Freund einen Vortrag für ihn zu übernehmen, es war der 11. März 1938. Frankl machte sich an jenem besagten Freitag auf den Weg zu seinem Vortrag, als er auf die Straße schritt, strömten Menschenmassen zum Ring, unter ihnen befanden sich Männer der SS und der SA. An den Häusern hingen Hakenkreuzfahnen und viele Menschen trugen bereits Hakenkreuzbinden um den Arm. Derselbe Hitler, der Wien 1913 verlassen hatte, kehrte nun als militärischer Oberbefehlshaber zurück.
Nachdem Frankl den Vortrag gehalten hatte, kehrte er nach Hause zurück. Schuschnigg hatte bereits abgedankt.
„Als ich die Urania verließ, sah ich auf den Straßen draußen jubelnde und johlende Menschen, viele mit Fackeln in der Hand. Das war die Ankunft des Dritten Reichs… Ich lief nach Hause und fand meine Mutter weinend im Bett. Kanzler Schuschnigg hatte soeben abgedankt, und im Radio spielte eine unsäglich traurige Musik.“ [141]
Viele begrüßten Hitler mit Jubel. Doch Sozialisten, Juden, Schuschnigg-Anhänger waren sich der Tragweite der Situation sehr wohl bewusst.
Freud konnte mit seiner Familie noch ausreisen, da die Nazis wussten, dass es einen weltweiten Aufschrei der Empörung geben würde, würden sie dem berühmten Psychoanalytiker etwas antun. Kurz nach dem Anschluss waren schon die ersten Züge unterwegs nach Dachau und Buchenwald. Viele versuchten auszuwandern, doch es war schwer ein Visum zu bekommen und die meisten Staaten wollten keine jüdischen Familien aufnehmen. Auch Frankl stand auf der Warteliste der US-amerikanischen Botschaft. Frankl musste seine Praxis in der Wohnung von Stella aufgeben und zu seinen alten Eltern zurückziehen. Stellas Wohnung wurde arisiert und so auch der gesamte Besitz. Frankl arbeitete nun in der Wohnung seiner Eltern als Arzt, aber an der Fassade des Hauses der Alser Straße war ein blaues Schild angebracht, auf dem stand „Dr. Viktor Emil Israel Frankl Judenbehandler für Neurologie und Psychiatrie“. Er durfte nur noch jüdische Patienten behandeln. Die Hoffnungen, auf eine große Karriere, wurden durch die Ankunft der Nazis zerstört. Das Novemberpogrom oder die verharmlosend so genannte „Reichskristallnacht“ löste eine weitere Auswanderungswelle aus. Frankls Schwester Stella wanderte mit ihrem Mann nach Australien aus und auch sein Bruder floh mit seiner Frau nach Italien. Auch Frankl schmiedete Pläne zur Auswanderung, doch die Monate vergingen und er erhielt kein Visum. Als 1939 der Krieg ausbrach, starb Freud, ohne erfahren zu müssen, dass seine Schwester in Theresienstadt verhungerte und die anderen Verwandten in Auschwitz ermordet wurden.[142]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Viktor Frankl (Mitte) 1942 (Abb.:11)
3.3.3. Viktor Frankl und Otto Pötzl
Frankl wurde trotz des Krieges 1940 Leiter der Neurologischen Abteilung am Rothschild-Spital. Dieses Spital wurde 1938 eine Notfallklinik für Juden, die der Nazigewalt zum Opfer fielen. Als Frankl anfing dort zu arbeiten, stand das Spital bereits unter GESTAPO- Aufsicht.
Zusammen mit seinem Freund Otto Pötzl organisierte Frankl geheim die Rettung von mehreren jüdischen Patienten. Frankl und Pötzl stellten falsche Diagnosen, um psychotische oder schizophrene Menschen vor dem Euthanasieprogramm der Nazis zu retten. Pötzl, der Mitglied der NSDAP war, war alles andere als ein Nazi oder ein Antisemit, doch das Versprechen der Nazis Wohlstand und Arbeitsplatz zu sichern war verlockend. Pötzl behandelte in seiner Klinik jüdische Patienten, was offiziell verboten war.
Drei Jahre nachdem Frankl seine Tätigkeit am Steinhof beendet hatte, übernahm die SS die Leitung und tausende von geistesgestörten und schwer behinderten Kindern fielen dem Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer.
Obwohl Frankl eine hohe Stellung hatte, wurde er diskriminiert wie alle anderen Juden. Einen Vorfall beschrieb Frankl in dem Buch von Klingberg:
Es konnte gefährlich sein, die Straßenbahn von der Czerningasse ins Rothschild-Spital zu nehmen. Ich musste natürlich den gelben Stern tragen. Aber ich hatte einen Berechtigungsausweis für die Straßenbahn. Eines Tages weigerte sich der Schaffner, mich mitzunehmen. Ich sagte ihm, ich sei Leiter der neurologischen Abteilung im Rothschild-Spital… Der Schaffner hielt mir entgegen, mein Ausweis sei sonntags nicht gültig. Ich erwiderte, dass ich als Leiter der Abteilung auch am Sonntag ins Krankenhaus müsse, wenn ich dort gebraucht würde. Er sagte: „Sie steigen sofort aus, sonst lasse ich Sie während der Fahrt rauswerfen.“[143]
3.3.4. Das Visum
Die Situation in Österreich wurde immer schlimmer. Frankl wartete auf sein Visum, um in die USA ausreisen zu könne und eines Tages kam dieses Visum auch und er wurde aufgefordert, sich in der amerikanischen Botschaft zu melden. Seine Eltern, obwohl sie nicht ausreisen konnten, freuten sich, dass ihr Sohn ausreisen und so sein Lebenswerk sichern könnte. Frankl jedoch war unschlüssig, ob er seine Eltern zurück lassen sollte, denn er wusste, dass sie, sobald er weg wäre, ins Konzentrationslager verschleppt werden würden. Er war sozusagen ein Schutz für seine Eltern. An jenem Tag ging er am Stephansdom vorbei und hörte Orgelmusik, er setzte sich hinein um nachzudenken. Doch er kam zu keinem Entschluss. Als er nach Hause kam, sah er auf dem Küchentisch ein kleines Stück Marmor liegen, das sein Vater in einer zerstörten Synagoge gefunden hatte. Sein Vater sagte ihm, dass dies ein Stück der Gesetzestafel gewesen sei. Auf dem Marmorstück war ein hebräischer Buchstabe eingraviert. Sein Vater erklärte ihm, dass dieser Buchstabe das Initial für nur ein Gebot sein konnte, nämlich „ Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange lebest im Land “ Frankl erkannte dieses Ereignis als Antwort auf seine Frage und ließ sein Visum verfallen.[144]
Als Frankl fünfunddreißig Jahre alt war, lernte er Tilly Grosser kennen, die als Stationsschwester im Rothschild-Spital arbeitete. Frankl und Tilly waren einige der letzten Juden die zu dieser Zeit noch heirateten, denn das jüdische Standesamt wurde 1941 geschlossen. Die Nazis brachten zwar kein Gesetz heraus, das verboten hätte, dass Juden heiraten, aber man wurde sofort ins Konzentrationslager geschickt, sobald man auf ein Standesamt ging. Ebenfalls ins Konzentrationslager wurde man geschickt, wenn man als jüdische Frau schwanger wurde. Das führte zu einem sprunghaften Anstieg der Schwangerschaftsunterbrechungen. Auch Tilly wurde schwanger, und das junge Paar musste sich nun zwischen Konzentrationslager oder Abtreibung entscheiden. Tilly trieb ab[145] und beide lebten bei Frankls Eltern in der Czerningasse, bis zur Deportation.
3.3.5. Deportation nach Theresienstadt
Im September 1942 erhielten die Frankls, wie viele Juden zuvor, die Deportationsbenachrichtigung. Frankl erinnerte sich im Buch von Klingberg:
„Eines Tages erhielt ich einen Bescheid. Jede Woche wurden tausend bis zweitausend Menschen in ein Konzentrationslager im Osten deportiert, aber von Auschwitz hatte niemand eine Ahnung. Wir dachten alle, die Transporte gingen nach Litauen, in die Tschechoslowakei, nach Polen oder sonst wohin. Ich glaubte, als Stationsarzt am Rothschild-Spital könnte ich, solange das Krankenhaus bestand, mit meinen Eltern in Wien bleiben. Eines Tages kam ein Anruf. Wir sollten am folgenden Tag bereit sein, eine Eskorte würde uns zum Sperlgymnasium bringen, und unser Gepäck dürfte nicht schwerer sein als zehn Kilo pro Kopf. Wir standen am nächsten Tag mit dem vorschriftsmäßigen Gepäck bereit.“[146]
Sein Vater nahm ein Fläschchen Whiskey mit, mit dem sie anstoßen wollten, wenn Hitlers Reich unterginge. Im Sperlgymnasium wurden sie im Mädchentrakt untergebracht und mussten ein paar Tage dort bleiben. Frankl und seinem Vater wurden die Haare und der Bart geschoren. Frankl sagte, dass er mit seinem Vater nie über dieses Ereignis geredet hat. Es war für beide eine große Demütigung.
Am 24. September, es war ein Donnerstag wurden die Juden auf Lastwagen verfrachtet und zum drei Kilometer entfernten Aspangbahnhof transportiert. Von dort aus wurden die Frankls mit dem Transport IV/II nach Bauschowitz transportiert. Bauschowitz war der nächstgelegene Bahnhof von Theresienstadt. Frankl musste während dieser Fahrt als Psychiater den Transport betreuen. Theresienstadt[147] war von den Nazis ein errichtetes Ghetto, es war eine Art Zwischenstation, das Tor zum Vernichtungslager Auschwitz.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Theresienstadt (Abb.: 12)
Die Zustände in Theresienstadt waren katastrophal. In dem Jahr als die Frankls deportiert wurden erreichte die Deportation ihren Höhepunkt und in den ehemals für 4000 Bewohner errichteten Gebäuden waren 53.000 Juden untergebracht. Drei Jahre missbrauchten die Nazis Theresienstadt für ihre Zwecke. In diesen drei Jahren wurden insgesamt 140.000 Menschen hier her gebracht. 90.000 wurden von hier in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz-Birkenau gebracht. Viele starben wegen Krankheit, Hunger, Seuchen schon in Theresienstadt. Weniger als 17.000 überlebten[148]
Als die Frankls nun am Bahnhof Bauschowitz ankamen, mussten sie ungefähr eine Stunde zum Ghetto hingehen. Frankls Vater war in einer heiteren Stimmung und sagte lächelnd zu seinem Sohn „Immer nur heiter, Gott hilft uns weiter“. Begrüßt wurden sie von den Häftlingen mit folgenden Worten: „Willkommen in Theresienstadt. Jetzt sitzt ihr in der Scheiße“.[149]
1941 wurde einen Kilometer weit weg vom Ghetto die „kleine Festung“ errichtet. Sie diente als Polizeigefängnis. Dort hatte die SS ihren Sitz. Unter Zwangsarbeit von Häftlingen wurde dort für die SS ein Schwimmbad errichtet. Bewohner des Ghettos wurden zur Bestrafung in die kleine Festung gebracht. Jeder wusste, dass man von dort nicht lebend zurückkam und wenn doch, war man ein Krüppel.
Eines Tages schickte ein Lageraufseher Frankl ohne jeden Grund in die kleine Festung. Frankl erzählte, dass er dort, unter der Aufsicht eines SS-Mannes völlig sinnlose Arbeiten verrichten musste:
„Der Mann zwang mich, völlig sinnlose Dinge zu tun und hatte seinen Spaß dabei. Es regnete, und ich musste immer wieder hin und her laufen, einen Eimer Wasser holen und auf den Komposthaufen gießen, der größer war als ich. Aber der Eimer war zu schwer für mich. Ich kam nicht rauf, und außerdem hatte ich furchtbaren Hunger. Er nahm den Eimer und zeigte mir, wie ich es zu machen hätte. Selbstverständlich schaffte ich es nicht. Daraufhin versetzte er mir einen Kinnhaken. Ich erschrak und sank zu Boden, in den Dreck. Meine Brille fiel herunter, und ich glaube, die Gläser zerbrachen. Mit zweiunddreißig Verletzungen wurde ich in meine Baracke zurück geschleppt. Als mich Tilly sah, sagte sie nur: „Um Gottes willen! Was haben sie dir angetan!““ [150]
Tilly, die Krankenschwester war, kümmerte sich um ihren Mann. Und Frankl ging es bald wieder besser.
Im Ghetto wurden Frauen, Männer und Kinder in verschiedenen Gebäuden untergebracht. Frankl kam auf den so genannten „Genieblock“. Viele Ärzte, die ebenfalls wie Frankl bei Otto Pötzl studiert hatten, waren auf diesem Block. Frankl merkte bald, dass das Leben im Ghetto einfacher war, wenn man lachte und so erzählten sich die Ärztekollegen Geschichten über Pötzl und seine Ticks.
Eines Tages wurde Frankls Vater in den Krankenbau gebracht. Atemnot und das Gefühl zu ersticken machten ihm panische Angst und Frankl merkte, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Unter den wenigen Dingen, die ins Ghetto geschmuggelt wurden, befand sich eine Ampulle mit Morphium, die Frankl seinem Vater spritzte um ihn vor unnötigen Schmerzen zu schützen. Nachdem er ihm die Spritze gegeben hatte, ging er mit einem guten Gefühl aus dem Krankenzimmer, er hatte das Seinige getan, er war wegen seiner Eltern in Wien geblieben und hatte seinen Vater in den Tod begleitet. Nach dessen Tod begrüßte und verabschiedete sich Frankl immer mit einem Kuss von seiner Mutter. Er wollte, falls sie sich nicht mehr sehen, dass sie sich an seine Liebe und an seine Zuneigung an sie erinnert.[151]
Frankls Bruder Walter befand sich mit seiner Frau auf der Flucht in Italien. In einem Lager, das unter dem Schutz des Papstes stand, fanden sie Zuflucht,[152] doch als die Nazis Norditalien besetzten, wurde dieses Flüchtlingslager aufgelöst und Walter und seine Frau Elsa wurden in ein Nebenlager von Auschwitz verschleppt, in dem sie beide umkamen.
3.3.6. Frankls Arbeit in Theresienstadt.
Durch seine Arbeit in Wien wusste er wie man Menschen vor Selbstmord schützen konnte. Er organisierte Interventionsgruppen, die ihm dabei halfen. Ein Beispiel veranschaulicht seine Arbeit in Theresienstadt sehr gut:
„Wenn die Nachricht kam, dass ein neuer Transport mit tausenden Menschen eingetroffen war, schickte ich eine Gruppe von Helfern zum Bahnhof Bauschowitz, damit sie sich um die Leute kümmerten…Denn in den ersten Nächten mussten die Neuankömmlinge auf den großen Dachböden der Baracken auf Stroh schlafen – was alle Hoffnung zerstörte, die sie sich bis dahin noch gemacht hatten. Manche waren bereits völlig verzweifelt … Den alten Leuten hatte man einen geruhsamen Platz in einem schönen Altersheim versprochen, man hatte ihnen gesagt, dass sie nicht zu arbeiten bräuchten (sic) und so weiter.
Wir halfen ihnen über den ersten Schock hinwegzukommen, und trösteten sie mit der Aussicht, dass sie in ein paar Tagen einen Platz bekämen … Viele hatten Englisch gelernt, weil sie auf ein Visum in den Vereinigten Staaten gehofft hatten. Ich sorgte dafür, dass diese Leute drei Mal in der Woche unter Anleitung eines Freiwilligen eine halbe Stunde lang englische Konversation machten, damit sie weiter an ihre Zukunft glaubten und an der Hoffnung festhielten, der Krieg gehe bald zu Ende […]“[153]
Frankl gründete ebenfalls einen Geheimtrupp, der ihn sofort informieren sollte, falls jemand vorhatte sich umzubringen. Er besuchte die betreffende Person und versuchte sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Immer wieder half ihm Nietzsches Satz „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie!“. Frankl war es zu verdanken, dass die Selbstmordrate drastisch zurückging.
3.3.7. Auschwitz
Im Oktober 1944 stand Frankl auf der Liste von Leuten, die nach Auschwitz abtransportiert werden sollten. Es war möglich sich freiwillig auf diese Liste schreiben zu lassen, viele taten dies um bei ihren Verwandten bleiben zu können. Als Tilly erfuhr, dass ihr Ehemann abtransportiert werden sollte, ließ sie ihren Namen ebenfalls auf die Liste setzt. Obwohl Frankl sie anflehte, dies nicht zu tun. Frankls Mutter war nicht auf der Liste, obwohl sie schon fünfundsechzig war. Am Tag des Transports halfen Frankl und seine Frau den Mitgefangenen, sie beruhigten sie und vermieden so, dass Panik ausbrach.
Es dürfte der 19. Oktober gewesen sein, als sich Frankl von seiner Mutter verabschiedete und in den Viehwagon stieg. Er bat sie noch ihn zu segnen. Es war das letzte Mal, dass Frankl seine Mutter sah. Vier Tage später wurde sie mit einem der letzten Transporte ebenfalls nach Auschwitz gebracht und dort vergast.
Während der Zugfahrt wurde ihnen bewusst, dass sie nach Auschwitz kamen. Auschwitz war schon damals ein Ort des Schreckens, dem sein Ruf vorauseilte.
In seinem Buch „…trotzdem JA zum Leben sagen“ teilte Frankl das Lagerleben in drei Phasen ein: Die erste Phase: Die Aufnahme ins Lager, Die zweite Phase: Das Lagerleben, Die dritte Phase: Nach der Befreiung aus dem Lager.
3.3.7.1. Die erste Phase: Aufnahme ins Lager
Viktor erinnerte sich an den letzten Augenblick, den er mit Tilly teilte:
Als wir uns trennten, sahen wir einander ganz ruhig an, denn mit einer solchen Situation werden Gefühle nicht fertig. Wir nahmen unsere Eheringe und warfen sie weg. In so einer Situation trotz man entweder der Situation oder man stirbt – man widersetzt sich sogar schon, wenn man einander unter derartigen Umständen einfach voller Liebe zulächelt.[154]
Ein SS-Mann stand vorne und deutete mit dem Finger jeweils nach links oder nach rechts. Während seines Aufenthalts in Auschwitz musste Frankl vier Selektionen über sich ergehen lasse. Er war sich sicher, dass Mengele der Arzt war, der selektierte. Nach der Selektion mussten die Häftlinge in die Desinfektionsräume gehen und anschließend ihre Kleider abgeben. So wurden Frankl seine Notizen für „Ärztliche Seelsorge“, die er in das Futter seines Mantels eingenäht hatte, weggenommen.
Frankl beschrieb, dass die erste Reaktion, bei der Aufnahme ins Konzentrationslager, Galgenhumor war, um sich mit der Situation nur ansatzweise zurechtzufinden. Er erwähnte auch, dass man eine gewisse Neugier entwickelt. Eine Neugierde, ob man überlebt, was morgen passiert und ob man morgen überhaupt noch leben werde. Frankl meinte, dass jeder, der in solch einer Situation war, sei es auch für noch so kurze Zeit, sich überlegte in den Draht zu gehen.[155] Doch Frankl schwor sich selbst, keinen Suizid zu begehen. Am ersten Tag in Auschwitz schlich sich ein Bekannter in den Block von Frankl und wollte die anderen trösten und sie aufmuntern. Er sagte zu ihnen, dass sie keine Angst vor den Selektionen haben sollen. Er riet ihnen sich zu rasieren, weil die Wangen dadurch rosiger wirkten, wenn daran herumgeschabt wird. Man musste gesund wirken[156] „ Nur nicht krank werden, nur nicht krank aussehen! Wollt ihr am Leben bleiben, dann gibt es nur ein Mittel: den Eindruck der Arbeitsfähigkeit erwecken.“[157]
Bei der zweiten Selektion hielt Mengele Ausschau nach Menschen mit bestimmten Krankheiten. Bei der dritten Selektion wäre Frankl beinahe mit einer Gruppe von Männern an ein unbekanntes Ziel geschickt worden, was den Tod hätte bedeuten können, wenn ihn nicht ein Kapo, den er von Theresienstadt kannte, gegen jemand anderen ausgetauscht hätte. Bei der vierten Selektion wurde Frankl für die Arbeit im Dachauer Lagersystem bestimmt. Nach drei Tagen im Konzentrationslager Auschwitz wurde er erneut auf einen Viehwagon verfrachtet und in ein anderes Lager gebracht.[158] Tilly wurde nach Bergen-Belsen gebracht, wo sie im Alter von vierundzwanzig Jahren starb. Am 23. Oktober, Frankl und Tilly waren erst wenige Tage voneinander getrennt, feierte sie in Auschwitz ihren letzten Geburtstag.
Frankl wurde also mit 2000 anderen Häftlingen nach Kaufering III gebracht. Kaufering gehörte zu den Außenlagern von Dachau. Die Häftlinge waren glücklich, dass es „nur“ Kaufering war, wo sie hingebracht worden waren, denn dort gab es keinen Kamin, und das bedeutete kein Gas.
3.3.7.2. Die zweite Phase: Das Lagerleben
Jeden Morgen mussten sie um fünf Uhr aufstehen und sich am Appellplatz melden. Anschießend gab es einen „Kaffee“ und dann wurden die Häftlinge mit Lastwagen zum ungefähr zehn Kilometer entfernt gelegenen Arbeitsplatz gefahren. Die Arbeit war schwer und mit dem Essen, das man bekam, fast nicht zu schaffen. Die Häftlinge mussten Schienen verlegen und Eisenschienen für die Züge schleppen.[159]
Frankl erklärt die zweite Phase folgendermaßen:
„Die Reaktionsweise, wie wir sie gekennzeichnet haben, beginnt nach wenigen Tagen sich zu wandeln. Nach dem ersten Stadium des Schockes schlittert der Häftling in das zweite Stadium hinein, in das Stadium der Apathie. Es kommt allmählich zu einem inneren Absterben. […] Dann ist da der Ekel. Der Ekel vor all der Häßlichkeit, schon rein äußerlich, von der sich ein Häftling umgeben findet.“[160]
Weiters erklärt Frankl, dass man je länger im Konzentrationslager ist, desto weniger fühlt man. Die Neuankömmlinge, die noch nie gesehen haben, dass ein Kamerad immer wieder zusammengeschlagen wird, sehen voller Mitleid weg. Der Häftling, der aber schon länger im Konzerntrationslager ist und jeden Tag die Ungerechtigkeit miterlebt, kann zusehen, wie ein Kamerad zusammengeschlagen wird, weil schon etwas gestorben ist in ihm. Tote, Sterbende, Leidende, Kranke, all diese Anblicke rühren einen nicht mehr, weil man bereits abgestumpft ist.[161]
Die einzige Flucht aus der Realität, waren Tag- und Nachtträume. Doch diese hatten kaum sexuelle Inhalte. Die sexuelle Aktivität erlischt wegen physischer und emotionaler Erschöpfung. Die Tag- und Nachtträume handelten vielmehr vom Essen und von Körperpflege. Essen war das Hauptthema der Häftlinge und man unterhielt sich fast ständig darüber.[162]
Eines Tages sagte der Chefarzt von Kaufering, dass ein neuer Transport zusammengestellt wurde. So eine Verlegung barg viele Risiken, gleichzeitig aber auch viele Möglichkeiten. Frankl, so sagte der Chefarzt, könnte sich als Arzt auf die Liste setzen lassen. Dies war ein hohes Risiko, denn der gesamte Transport könnte auch ins Gas geschickt werden. Frankl ließ sich dennoch auf die Liste setzten, denn lieber wollte er als Lagerarzt sinnvoll sterben, als sinnlos in einem Lager leiden. Der Transport von Kaufering ging nach Türkheim, das ebenfalls wie Kaufering ein Außenlager von Dachau war. Diese Entscheidung stellte sich als Lebensrettung heraus, denn Türkheim war ein „Schonungslager“ für kranke Häftlinge. Doch obwohl es ein Schonungslager war, gab es trotzdem bedrohlichen Hunger, Dreck, Kälte und natürlich Zwangsarbeit. Außerdem grassierte in Türkheim der Typhus und so war es auch für Frankl gefährlich dort als Arzt zu arbeiten. Frankl erkrankte an Typhus und bekam sehr hohes Fieber, doch er war sich der Gefahr bewusst in der Nacht ins Delirium zu sinken und schließlich zu sterben. So zwang er sich wach zu bleiben und in diesen Nächten rekonstruierte er sein Skript „Ärztliche Seelsorge“, das man ihm in Auschwitz weggenommen hatte. Mit Hilfe von Aspirin konnte er sein hohes Fieber senken. Frankl war ca. sieben Wochen in Türkheim und das Ende des Krieges nahte. Frankl meinte, dass sich die Lage im Konzentrationslager gegen Ende gebessert hätte, da die SS wusste, dass der Krieg verloren war und so versuchten sie sich noch Freunde zu schaffen. In Türkheim war ein Lagerkommandant, namens Hoffmann, der unter den Häftlingen als menschlich galt. Frankl schrieb über Hoffmann:
„Auch unter der Lagerwache gab es Saboteure. Ich will hier nur jenen Lagerführer aus dem Lager, in dem ich zuletzt war und aus dem ich befreit wurde, erwähnen. Er war SS-Mann. Nach der Befreiung des Lager stellte sich jedoch heraus, wovon bis dahin nur ein Lagerarzt (selber ein Häftling) wusste: der Lagerführer hatte aus eigener Tasche nicht geringe Geldbeträge insgeheim hergegeben, um aus der Apotheke des nahen Marktfleckens Medikamente für seine Lagerinsassen besorgen zu lassen! Die Geschichte hatte ein Nachspiel: Nach der Befreiung versteckten jüdische Häftlinge den SS-Mann vor den amerikanischen Truppen und erklärten deren Kommandanten gegenüber, sie würden ihm den SS-Mann einzig und allein unter der Bedingung ausliefern, dass ihm kein Haar gekrümmt wird.“[163]
In den letzten Wochen vor der Befreiung nahm Frankl sogar ein bisschen zu, aber seine Krankenakte zeigte, dass er Herzrhythmusstörungen hatte und einen beschädigten Herzmuskel, ein Hungerödem und Erfrierungen an drei Fingern.[164]
3.3.7.3. Die dritte Phase: Nach der Befreiung aus dem Lager
Am 27. April 1945 rollte die amerikanische Militäreinheit aus Texas durch die Tore von Türkheim und beendete den Terror für die noch Lebenden. Nach der Befreiung wanderte Frankl durch die Landschaft:
„Du weißt in diesem Augenblick nicht viel von dir und nicht viel von der Welt, du hörst in dir nur einen Satz, und immer wieder denselben Satz: „Aus der Enge rief ich den Herrn, und er antwortete mir im freien Raum.“ […] Aber an diesem Tag, zu jener Stunde begann dein neues Leben – das weißt du. Und Schritt für Schritt, nicht anders, trittst du in dieses neue Leben, wirst wieder Mensch“[165]
Frankl schildert die Befreiung in seinem Buch „…trotzdem Ja zu Leben sagen“ zuerst als etwas Unreales. Denn man träumte als Häftling oft davon und ließ sich von seinen Träumen täuschen, und wenn der große Tag auf einmal dann doch da ist, ist man in gewisser Weise überfordert gleich zu realisieren, was nun vor sich geht. Wenn man dann realisiert hat, dass man wirklich ein freier Mann ist, nach all den Jahren der Demütigung und der Verachtung, löst sich langsam der Druck, der jahrelang auf einem gelastet hat, von der Seele und man beginnt zu reden. Frankl sagt in seinem Buch, als ob der Betreffende unter einer Art seelischen Zwang stünde, so dranghaft ist dieses Erzählen. Wenn einmal die Zunge gelöst ist, dauert es nicht lange, bis die Barriere zu den Gefühlen überwunden ist und man wirklich fühlt, dass es vorbei ist.[166]
Als Frankl nach Wien zurückkam, fand er es völlig zerstört vor, auch fiel ihm die Abwesenheit der Juden auf. Viele Juden kamen nicht mehr aus den Lagern zurück. In den ersten Tagen erfuhr er, dass seine Mutter in den Gaskammern von Auschwitz getötet worden war und dass Tilly in Bergen-Belsen, in dem Konzentrationslager, in dem auch Anne Frank umgekommen war, gestorben war. Frankl erfuhr später mehr über Tillys Tod. Am 15. April 1945 befreiten die britischen Truppen Bergen-Belsen und fanden dort 60.000 lebende Gefangene, unter ihnen auch Tilly. Doch nach der Befreiung starben mindestens 20.000 an Unterernährung und verschiedenen Krankheiten. Auch Tilly konnte die Freiheit nicht lange genießen. Sie brach im Lager Hohne bei Bergen zusammen und starb. Als Frankl von dem Tod seiner Mutter und seiner Frau hörte, wurden seine schlimmsten Ängste bestätigt.[167]
3.3.8. Das Leben geht weiter
Im Februar 1946 bekam Frankl eine Stelle an der Poliklinik in der Mariannengasse, wo er auch Elly Schwindt kennen lernte, die seine zweite Frau werden sollte. Sie arbeitete ebenfalls an der Poliklinik, aber auf der Zahnabteilung, wo sie Zahnarzthelferin war. Elly war keine Jüdin, aber für sie und ihre Familie war es kein Problem einen Juden zu heiraten. 1947 bekam Frankl die Bescheinigung von Tillys Tod, zu diesem Zeitpunkt war Elly schon im vierten Monat schwanger und ein paar Tage später wurden Viktor Frankl und Elly Schwindt in einer schlichten Zeremonie in der Währinger Straße getraut. Am 14. Dezember 1947 wurde Gabriele geboren.[168]
Mit Frankls Ideen zur Gründung der Logotheraphie ging es bergauf. Er begründete die österreichische Ärztegesellschaft für Psychotherapie und wurde deren 1. Präsident.
1955 erhielt er den Professorentitel für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, Gastprofessuren führten Frankl in die ganze Welt. Er gilt als einer der größten Fachleute auf seinem Gebiet. Frankl verfasste 32 Bücher, viele davon wurden in 10-20 Sprachen übersetzt. 29 Ehrendoktorate erhielt er quer über die ganze Welt.[169]
Nach seinem fünfundachtzigsten Geburtstag wurde er fast blind und seine letzten sieben Lebensjahre sah er nur noch verzerrte und trübe Bilder.
Nach einer Bypass-Operation war Frankl nicht mehr aus dem Koma erwacht. Am Dienstag, den 2. September 1997 starb Viktor Frankl. Sein Tod wurde durch den Tod von zwei berühmten Frauen, Prinzessin Diana und Mutter Theresa, in den Hintergrund gerückt.[170] Frankl wurde von Liebe seitens seiner Familie, seiner Tochter und ihrem Mann und ihren zwei Kindern Alexander und Katja und natürlich von Elly, bis in den Tod getragen. Obwohl er Schmerzen hatte, ertrug er seinen Weg, ohne sich darüber zu beklagen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Viktor Frankl (Abb.:13)
- Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie -
4. Persönliche Reflexion
Da ich mich nun fast ein halbes Jahr mit dem Holocaust beschäftigt habe, ist es für mich wichtig, diese ganze Arbeit noch einmal Revue passieren zu lassen und die Gedanken, die mir während des Arbeitens durch den Kopf gegangen sind, aufzuschreiben. Da es unmöglich wäre alles aufzuschreiben werde ich mich auf einige Aspekte konzentrieren, wegen denen ich immer wieder zum Nachdenken angeregt wurde. Diese sind zum Beispiel Rache, Vergebung, Reue etc.
Da ich öfters an die Grenzen meines Wissens gestoßen bin, habe ich viel mit anderen Menschen über den Holocaust gesprochen. Da ich auch denke, dass man, wenn man sich so intensiv mit diesem Thema beschäftigt, wie ich in der letzten Zeit, immer Menschen braucht, die einen wieder in die Realität zurückholen. Deshalb werden in meiner persönlichen Reflexion nicht nur Ideen von mir zu finden sein, sondern auch andere Meinungen einfließen.
Schuld und Kollektivschuld
Mein Gott, ich schäme mich und wage nicht, mein Gesicht zu dir zu erheben. Welch schwere Schuld haben wir uns aufgeladen. Der Berg unserer Sünde reicht bis an den Himmel.[171] Esra 9,6
Schuld , die Schuld, keine Mehrzahl: Verpflichtung zu einer Gegenleistung[172]
Um zu vergeben oder um sich zu rächen, muss überhaupt einmal eine Schuld passieren. An wem haben sich die Nationalsozialisten schuldig gemacht? An einer Kulturnation, am jüdischen Volk oder an sich selbst? Etwas zu begehen, für das man schuldig gesprochen wird ist eine Sache, eine andere ist, mit Schuld zu leben, sowie Mengele es gemacht hat. Die logische Schlussfolgerung von Schuld wäre, sie zu erkennen und sich zu einer Gegenleistung zu verpflichten. Doch noch schlimmer als die eigentliche Schuld ist für mich, seine eigene Schuld nicht einmal zu erkennen. Mengele zum Beispiel rechtfertigte sich, nichts getan zu haben, unschuldig zu sein, auf Befehl gehandelt zu haben. Sich vor sich selbst zu rechtfertigen, ist Verdrängung eines Problems, dessen man sich sehr wohl bewusst ist. Natürlich war Mengele nicht die Ursache des Holocausts, doch trug er einen wesentlichen Beitrag dazu. Wie sagte Aristoteles einst: „Das Ganze ist mehr, als die Summe seiner Teile“.
Nun spricht man beim Holocaust keinesfalls nur von der Schuld der Täter. Die Kollektivschuld ist gerade bei Christen und Geistlichen ein sehr umstrittenes Thema. Ich persönlich kann mich zu diesem Thema nicht äußern, da ich nicht weiß, was ich darüber denken soll! Natürlich sollte man sich fragen, wie man selbst gehandelt hätte, wäre man damals Bürger des deutschen Reichs gewesen. Man sollte sich selber niemals ausschließen, was das Mitlaufen betrifft, auch heute noch. Doch im Nachhinein sollte man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was die Kollektivschuld betrifft, sondern darauf achten, dass man hier bei uns, im Kleinen Diskriminierung, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit im Keim erstickt!
Rache
Da betete ich: „Herr, allmächtiger Gott! Du bist ein gerechter Richter, du kennst jeden Menschen ganz genau. Laß (sic!) mich mit eigenen Augen sehen, wie du sie für ihre Bosheit bestrafst! Dir habe ich meinen Fall anvertraut.[173] Jeremia 11,20
Rache , die Rache: Vergeltung[174]
Über Rache oder Vergeltung habe ich sehr oft nachgedacht. Ich denke das war der Punkt, an dem man verzweifeln könnte. Gerade, wenn man in seiner eigenen Familie nachforscht und merkt, dass viele Großonkel Nazis waren. Man weiß eigentlich nicht, ob man als Nachkriegsgeneration Rachegedanken haben darf. Während des Schreibens der Arbeit, habe ich sehr wohl Rachegedanken bekommen, umso mehr war ich von Frau Ostermann fasziniert, die ein Interview mit einem SS-Arzt gemacht hatte. Gerade das Niederschreiben von Frau Ostermanns Interview und das Recherchieren über Viktor Frankl haben für mich wieder ein ganz anderes Licht auf die Holocaust Thematik geworfen. Frankl, mit seinem Drang, dem Leben trotz allem einen Sinn zu geben, ist wie Balsam für meine Seele gewesen, nachdem ich über Mengele geschrieben hatte. Viele Fragen haben sich in mir aufgetan, als ich über den Todesengel von Auschwitz geschrieben habe und die größte war wohl die Frage nach Gerechtigkeit und ob es überhaupt Gerechtigkeit gibt auf dieser Welt. Doch umso mehr hat es mein Vertrauen gestärkt, dass es einen Gott geben muss, der irgendwann richten wird, über die Lebenden und die Toten. Nachdem ich die Verfilmung von Simon Wiesenthal gesehen habe, stimme ich mit seiner Aussage voll überein: Recht nicht Rache!
Vergebung
Doch bei dir finden wir Vergebung. Ja, du vergibst, damit wir dir in Ehrfurcht begegnen.[175] Psalm 130,4
Vergebung , die Vergebung, keine Mehrzahl: Nachsicht, Verzeihung, Gnade[176]
Ich habe mich immer gefragt wer eigentlich vergeben darf, wer befugt ist zu sagen, „Ich vergebe dir!“. Sind das nicht nur die Menschen, die im Konzentrationslager überlebt haben, oder die unmittelbar am Krieg beteiligt waren und Leid davon getragen haben? Wenn ich über Vergebung nachdenke fällt mir wieder der Film von Simon Wiesenthal ein. Ein SS-Mann erzählte ihm, was er für Schandtaten begangen hat und bat Herrn Wiesenthal, kurz vor seinem Tode, um Vergebung. Das Wort Vergebung, nur so ein kleines Wort und trotzdem, wenn Herr Wiesenthal es gesagt hätte, wäre dieser SS-Mann wahrscheinlich in „Ruhe“ gestorben. Ein seltsames Wort, das es vermag ein Gewissen zu bereinigen, wenn man es ausspricht. Trotzdem erscheint es mir in Angesicht der Schwere der Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zu einfach um gesagt zu werden. Normalerweise regen sich Menschen immer auf, dass alles so kompliziert ist und wenn es um Vergebung geht, nur darum dieses Wort auszusprechen und ernst zu meinen, ist es auf einmal zu einfach, zu banal, als dass man es sagen könne! Doch ich stelle mir immer die Frage, was ich gemacht hätte, wäre ich Häftling oder SS-Aufseher gewesen. Doch traue ich mich nicht zu sagen, ob ich überhaupt um Vergebung gebetet hätte, weil es, wie beim SS-Mann der Simon Wiesenthal um Vergebung bat einfach zu leicht ist, schließlich kann man nicht in das Herz eines Menschen hineinsehen und als Häftling Vergebung erteilen erscheint mir auch seltsam, man kann schließlich nicht als einzelner für sechs Millionen sprechen. Vergebung erscheint mir, wenn es um den Holocaust geht, als etwas, das von Menschen nicht geregelt werden könnte, doch wahrscheinlich sollte es gerade so sein, dass Menschen anfangen sich untereinander um Vergebung zu bitten. Gerade deshalb gefällt mir der Satz den Frau Ostermann bei ihrem Interview sagte sehr gut: „Vergeben, ja! Vergessen, nein!“.
Reue
Bereue deine Sünde, und ändere dich von Grund auf. Bitte Gott, dass er dir diese abscheulichen Gedanken vergibt! Apostelgeschichte 8,22.[177]
Reue, die Reue keine Mehrzahl: Bedauern, Bereitschaft zur Buße [178]
Reue, oder sich seine Schuld eingestehen. Das ist die Grundlage, dass man jemanden verzeihen kann. Doch wie man schon so oft gehört hat, hat die Propaganda des Dritten Reichs den Verstand so vergiftet, dass sich die meisten ihrer Schuld nicht einmal mehr bewusst waren. So erkläre ich es mir zumindest, denn was Menschen dazu treibt andere Menschen zu vergasen, nur aus einer Laune heraus, ohne sich anschließend reuig zu zeigen, ist für mich unerklärlich! Ebenfalls für mich unerklärlich ist, wie Mengele mit seinem Gewissen überhaupt noch weiterleben konnte. Für mich als normalen Menschen ist es selbstverständlich ein schlechtes Gewissen zu bekommen, wenn ich etwas falsch gemacht habe, umso weniger ist es für mich nachvollziehbar, dass Männer wie Mengele, Höß oder Himmler damit leben konnten, an der Spitze einer Tötungsmaschenerie gestanden zu haben, die Millionen Menschen auf dem Gewissen hat. Immer wieder hört man, dass die Täter sagen, sie hätten nur auf Befehl gehandelt, wie oft habe ich mir schon gedacht, wie schön es wäre Menschen für eine gute Sache genau so aufmarschieren zu sehen, wie sie im Dritten Reich der schlechten Sache nachmarschiert sind. Gut und Böse zu unterscheiden gehört zu einem gesunden Menschenverstand, deshalb bleibt es für mich aus menschlicher und psychologischer Sicht unerklärlich wie ein Mensch, innerhalb von wenigen Jahren, den Blickwinkel einer ganzen Nation so verdrehen konnte, dass es zum Holocaust kam!
Eigenverantwortung
Seid immer dazu bereit, denen Rede und Antwort zu stehen, die euch nach der Begründung eures Glaubens fragen. 1.Petrus 3,15[179]
Verantwortung , die Verantwortung, keine Mehrzahl: Verpflichtung[180]
Schon als Kind lernt man sich für etwas zu verantworten, das man falsch gemacht hat. Auch, wenn man es vertuschen will kommen die Eltern drauf, oder das schlechte Gewissen plagt einen, bis man es nicht mehr aushält. Hier reden wir aber nur von einer Tasse, die kaputt gegangen ist. Doch es macht deutlich, dass Eigenverantwortung schon im Kindesalter anfängt.
Viele Philosophen haben sich schon Gedanken zur Verantwortung gemacht. Für wen und vor wem ist der Mensch verantwortlich? Für die Natur, für seine Mitmenschen und für sich selbst. Frankl zeigte zum Beispiel Verantwortung für seine Mitmenschen, indem er sich um sie kümmerte, obwohl er selbst nicht mehr viel Kraft besaß. Man sollte sich jederzeit vor seinem Gewissen verantworten können. Franz Kafka sagte einmal: „Menschen werden schlecht und schuldig, weil sie reden und handeln, ohne die Folgen ihrer Worte und Taten vorauszusehen“. Ein Europa, das gerade einen Weltkrieg erlebt hatte und die großen Aufklärer unserer Zeit hervorbrachte, schlitterte in den nächsten Krieg, weil sich zu wenige der Folgen der Worte bewusst waren, die von den Nazis propagiert wurden. Für so vieles müsste man die Nazis verantwortlich machen. Beim Holocaust angefangen, das viele Wissen, dass mit den Leuten in den KZs starb, die Leute, die ihr Leben im Exil verbringen mussten, als gutes Beispiel wäre hier Kurt Tucholsky zu nennen, bis hin zum unerträglichen Leid der Mütter über ihre gefallenen Söhne an der Front. Sind all diese Dinge auf ein mangelndes Verantwortungsgefühl zurück zuführen? Dieses sinnlose Sterben und Dahinvegetieren unzähliger Menschen!? Sicher nicht. Doch gewiss es ist ein Beitrag dazu, was geschehen ist. Homo sapiens - der denkende Mensch, so nennen wir uns! Es ist traurig und erschreckend wie die schönsten und edelsten Gaben des Menschen so ins Gegenteil verkehrt werden können. „Aufklärung ist die Maxime, jederzeit selbst zu denken“, sagte Immanuel Kant und ich füge hinzu „und sein Denken und Handeln vor Gott und der Welt verantworten zu können“.
Literaturverzeichnis:
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Bildverzeichnis:
Deckblatt: „Der Holocaust aus verschiedener autobiographischer Sicht“. Eigenaufnahme von Jedida Oberlerchner. Aufgenommen in Polen Auschwitz-Birkenau, am 06.05.2005.
Abb.:1 „Der Verlauf des Holocausts 1935-1939“. Eigenaufnahme von Jedida Oberlerchner. Aufgenommen in Polen Auschwitz I, am 06.05.2005.
Abb.: 2 „Besetztes Polen 1939“. http://www.russlanddeutschegeschichte.de/images/teil%203/warthegau.gif. [27.11.2005].
Abb.: 3 „Auschwitz“. http://www.photographycorner.co.uk/auschwitz.htm. [15.01.2006].
Abb.: 4 „Das Tor zum Stammlager, mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei““. Eigenaufnahme von Jedida Oberlerchner. Aufgenommen in Polen Auschwitz I, am 06.05.2005.
Abb.: 5 „Die, von den Nazis gesprengten Gaskammern in Auschwitz Birkenau“ Eigenaufnahme von Jedida Oberlerchner. Aufgenommen in Polen Auschwitz-Birkenau, am 03.08.2005.
Abb.: 6 „Judenstern“. http://www.rrz.uni-hamburg.de/rz3a035/karolinenstrasse1.html. [15.01.2006].
Abb.: 7 „SS-Zeichen“ http://images.google.at/imgres?imgurl=http://www.andi.nrw.de/Bilder/(07)_SS-.JPG&imgrefurl=http://www.andi.nrw.de/Rechtsextremismus/symbole.htm&h=101&w=94&sz=8&tbnid=bQqsDWxQ4VJPBM:&tbnh=78&tbnw=72&hl=de&start=54&prev=/images%3Fq%3Dss%2Bzeichen%26start%3D40%26svnum%3D10%26hl%3Dde%26lr%3D%26client%3Dfirefox-a%26rls%3Dorg.mozilla:de:official_s%26sa%3DN [28.01.2006].
Abb.: 8 „Josef Mengele 1938“.
http://www.rrz.uni-hamburg.de/rz3a035/karolinenstrasse1.html [06.11.2005].
Abb.: 9 „Josef Mengele“. http://www.kawvalley.k12.ks.us/schools/rjh/marneyg/archived_projects/2001Holocaust/01_mengele4_kat.jpg. [15.01.2006].
Abb.: 10 „Frau Ostermann mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik Österreich“. Eigenaufnahme von Jedida Oberlerchner. Aufgenommen in Wien, am 04.12.2005.
Abb.: 11 „Viktor Frankl (Mitte) 1942“. http://www.lettertothestars.at/die_holocaust_dokumentation/doew/disketten/kapitel_vii/images/gross/vii-p20.jpg. [15.01.2006].
Abb.: 12 „Theresienstadt“. http://www.bibl.u-szeged.hu/bibl/mil/ww2/holocaust/theresienstadt.jpg. [15.01.2006].
Abb.:13 „Viktor Frankl“ http://www.existenzanalyse.co.at/viktorfrankl.html [28.01.2006].
[...]
[1] Vgl. http://lexikon.umkreisfinder.de/Antisemitismus [01.11.2005].
[2] Vgl. http://jetzweb.de/niebel/nazizeit.htm [01.11.20005].
[3] Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/nuernberg/ [15.09.2005].
[4] Vgl. http://www.judentum-projekt.de/geschichte/nsverfolgung/gesetz/ [15.09.2005].
[5] http://www.shoa.de/content/view/228/46/ [15.09.2005].
[6] Vgl. http://www.judentum-projekt.de/geschichte/nsverfolgung/gesetze/ [15.09.2005].
[7] Vgl. http://www.judentum-projekt.de/geschichte/nsverfolgung/gesetze/ [15.09.2005].
[8] http://www.judentum-projekt.de/geschichte/nsverfolgung/progromnacht/ [07.10.2005].
[9] Vgl. http://www.judentum-projekt.de/geschichte/nsverfolgung/progromnacht/ [07.10.2005].
[10] Vgl. http://www.doew.at/projekt/hohlocaust/shoah/1938/pogrom.html [ 15.09.2005].
[11] Laurence Rees: Die Nazis. Eine Warnung der Geschichte. 03/2001 München S. 94.
[12] Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/kristallnacht/ [ 07.10.2005].
[13] http://www.doew.at/projekt/hohlocaust/shoah/1938/pogrom.html [ 15.09.2005].
[14] Vgl. Rees (2001). S. 95.
[15] Ziel des Vierjahresplans war, die Wirtschaft und die Armee innerhalb von vier Jahren in Kriegsbereitschaft zu setzen. Beauftragt wurde Hermann Göring für dieses Vorhaben. Staat und Partei griffen also in die Produktionsprozesse ein.
[16] Vgl. http://www.doew.at/projekt/holocaust/shoah/1938/pogrom.html [ 15.09.2005].
[17] Vgl. Rees (2001). S. 148.
[18] Rees (2001). S. 153.
[19] Rees (2001). S. 159 ff.
[20] Rees (2001). S. 162.
[21] Rees (2001). S.165.
[22] Diplomarbeit von Silvia Konetschny: Josef Mengele der Todesengel von Auschwitz Wien 04/2000 S. 50.
[23] http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/wannsee/ [16.10.2005].
[24] http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/wannsee/ [16.10.2005].
[25] http://www.wsg-hist.uni-linz.ac.at/Auschwitz/HTMLd/Wannsee.html [15.09.2005].
[26] Vgl. http://www.wsg-hist.uni-linz.ac.at/Auschwitz/HTMLd/Wannsee.html [15.09.2005].
[27] http://www.ns-archiv.de/verfolgung/wannsee/wannsee-konferenz.php [16.10.2005].
[28] http://www.ns-archiv.de/verfolgung/wannsee/wannsee-konferenz.php [16.10.2005].
[29] http://www.ns-archiv.de/verfolgung/wannsee/wannsee-konferenz.php [16.10.2005].
[30] Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz/ [16.10.2005].
[31] Vgl. Konetschny (2000). S. 54.
[32] Vgl. Konetschny (2000). S. 55.
[33] Vgl. Rudolf Höß: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen. Hrsg. v. Martin Broszat. 4. Aufl. München 1978 S. 157.
[34] Konetschny (2000). S. 57.
[35] Vgl. Konetschny (2000). S. 57 ff.
[36] Vgl. www.auschwitz.org
[37] Vgl. Konetschny (2000). S.64.
[38] Höß (1978). S. 65.
[39] Vgl. Konetschny (2000). S. 64 f.
[40] Vgl. Konetschny (2000). S.65.
[41] Vgl. Konetschny (2000). S. 77.
[42] Vgl. Konetschny (2005). S.65.
[43] Vgl. Konetschny (2000) S. 55
[44] Wieslaw Kielar: Anus Mundi. Fünf Jahre in Auschwitz. Frankfurt/Main 1979 S. 118.
[45] Vgl. Konetschny (2000). S. 60.
[46] Vgl. Höß (1978). S.157.
[47] Kanada war eine von den Häftlingen geprägte Bezeichnung für die Stelle, an der die Güter der Deportierten gelagert und sortiert wurde. Der Wortgebrauch wurde damit erklärt, dass sich Häftlinge unter Kanada ein Land mit unbegrenztem Reichtum vorstellten, und unter den Effekten war buchstäblich alles zu finden. Diese Bezeichnung wurde auch von der SS übernommen. Hermann Langbein: Der Auschwitz-Prozess. Eine Dokumentation. Bd. 2. Frankfurt/Main 1995. S 1008
[48] In der ersten Zeit wurde Zyklon B nur durch Angestellte der Firma Tesch & Stabenow unter größten Vorsichtsmaßnahmen angewandt. Später wurden einige SDG (Sanitätsdienstgrade) als Desinfektoren bei der Firma ausgebildet. Rudolf Höß, Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen. Hrsg. v. Martin Broszat. München 1978 S. 159.
[49] Höß (1978). S. 160.
[50] Vgl. Höß (1978). S. 167 f.
[51] Vgl. http://www.topfundsoehne.de/ [16.10.2005].
[52] Vgl. www.auschwitz.org
[53] Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz/ [15.09.2005].
[54] Vgl. Konetschny (2000). S. 160.
[55] Vgl. Konetschny (2000). S.160.
[56] www.auschwitz.org
[57] Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz/ [15.09.2005].
[58] Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz/ [15.09.2005].
[59] Vgl. Zdenek Zofka: Der KZ-Arzt Josef Mengele zur Typologie eines NS-Verbrechers. 1986 S 245.
[60] Vgl. Inge Byhan: So entkam mein Vater (1985). S.21.
[61] Vgl. Werner Brockdorff: Flucht vor Nürnberg. Pläne und Organisation der Fluchtwege der NS-Prominenz im „Römischen Weg“. Wels 1969. S. 122.
[62] Vgl. Zofka (1986). S. 245-267.
[63] Vgl. Konetschny. S. 9.
[64] Vgl. Ulrich Völklein: Josef Mengele – Der Arzt von Auschwitz. Göttingen 1999. S. 34.
[65] Vgl. Gerald Posner: und John Ware Mengele. Die Jagd auf den Todesengel. Aus dem Englischen von Manfred Schmitz. Berlin 1998. S.22.
[66] Vgl. Posner (1998). S.23.
[67] Vgl. Völklein (1999). S. 52.
[68] Vgl. Konetschny (2000). S. 19.
[69] Vgl. Guido Knopp: Hitlers Helfer. Täter und Vollstrecker. München 1998. S. 318.
[70] Vgl. Zofka (1986). S.250.
[71] Vgl. Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich. Aus dem Amerikanischen von Annegrete Lösch. Berlin 1998. S.51.
[72] Vgl. Zofka (1986). S.250.
[73] Vgl. Zofka (1986). S. 250-251.
[74] Vgl. Völklein (1999). S. 72-74.
[75] Vgl. Knopp (1998). S.319.
[76] Vgl. Posner (1998). S. 29.
[77] Vgl. Völklein (1999). S. 79.
[78] Vgl. Zofka (1986). S. 251.
[79] Vgl. Helena Kubica: Dr. Mengele und seine Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. S. 375. –In : Hefte von Auschwitz. Nr. 20. Oswiecim 1997.
[80] Vgl. Völklein (1999). S. 71-74.
[81] Vgl. Posner (1998). S. 34.
[82] Vgl. Konetschny (2000) S. 48.
[83] Diese Medaille wurde allen unzureichend ausgerüsteten Soldaten der Winterkämpfe 1941/42 verliehen. Konetschny (2000). S.49.
[84] Vgl. Völklein (1999). S. 90.
[85] Vgl. S. 9. 1.3 Blitzkrieg in Polen.
[86] Vgl. Völklein (1999). S. 92.
[87] Knopp (1998). S. 326.
[88] Kubica (1998). S. 324.
[89] Lucie Adelsberger: Auschwitz. Ein Tatsachenbericht. Das Vermächtnis der Opfer für uns Juden und für alle Menschen. Berlin 1957. S. 75-76.
[90] Vgl. Konetschny (2000). S. 80.
[91] Völklein (1999). S. 120.
[92] Völklein (1999). S. 121-122.
[93] Wolfgang Benz: Der Holocaust. 3. Aufl. München1997. S.99-100.
[94] Vgl. Konetschny (2000). S. 84.
[95] Lifton (1998). S.391.
[96] Vgl. Völklein (1999). S. 110.
[97] Ernst Klee: Auschwitz. Die NS-Medizin und ihre Opfer. 4.Aufl.Frankfurt/Main 1997. S. 471.
[98] Hermann Langbein: Der Auschwitz-Prozess. Eine Dokumentation. Bd.1. Frankfurt/Main 1995. S. 52-53.
[99] Knopp(1998). S. 330.
[100] Posner (1998). S. 60.
[101] Till Bastian: Furchtbare Ärzte. Medizinische Verbrechen im Dritten Reich. 2. Aufl. München 1996. S. 83.
[102] Langbein (1995). S. 501.
[103] Vgl. Konetschny (2000). S. 124-125.
[104] Vgl. Konetschny (2000). S. 138.
[105] Posner (1998). S. 68.
[106] Vgl. Konetschny (2000). S. 160.
[107] Vgl. Konetschny (2000). S. 161–165.
[108] Posner (1999). S. 92.
[109] Posner (1999). S. 101.
[110] Knopp (1998). S. 348.
[111] Konetschny (2000). S. 173.
[112] Vgl. Völklein (1999). S. 225-227.
[113] Vgl. Konetschny (2000). S. 174-176.
[114] Konetschny (2000). S. 180.
[115] Ernst Schnabel: Anne Frank – Spur eines Kindes. Ein Bericht. Frankfurt/Main 1997. S. 140.
[116] Vgl. Konetschny (2000). S. 191-193.
[117] Völklein (1999). S. 284.
[118] Vgl. Konetschny (2000). S. 211.
[119] Hitler ließ nach dem Anschluss Österreichs eine Volksabstimmung machen, um zu zeigen, dass der Anschluss von Österreich „gewollt“ gewesen war. Die Wahl war allerdings manipuliert, da SA –Männer genau beobachteten, wer „JA“ und wer „NEIN“ ankreuzte.
[120] Kassette 1/ Seite A Ende.
[121] Frau Ostermann hat diese Nummer heute nicht mehr, sie hat sie weg machen lassen. Sie hat mir ihren Arm gezeigt, dort ist eine ungefähr fünf Zentimeter lange Narbe.
[122] Kassette 1/ Seite B Ende.
[123] Das Buch wurde in 26 Sprachen übersetzt und ca. neun Millionen Mal verkauft.
[124] Vgl. Haddon Klingberg: Jr. Das Leben wartet auf dich. Elly und Viktor Frankl. Wien 2002. S. 18.
[125] Die erste Wiener Schule wurde von Sigmund Freud begründet – die Tiefenpsychologie. Begründer der zweiten Wiener Schule war Alfred Adler – die Individualpsychologie.
[126] Vgl. Klingberg (2002) S. 21.
[127] Vgl. Klingberg (2002) S. 32.
[128] Vgl. Klingberg (2002) S. 38.
[129] Vgl. Klingberg (2002) S. 38.
[130] Vgl. Klingberg (2002) S. 40-42.
[131] Vgl. Klingberg (2002) S. 46.
[132] Vgl. Klingberg (2002) S. 66-67.
[133] http://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Frankl [05.12.2005].
[134] Vgl. Klingberg (2000) S. 88.
[135] Vgl. Klingberg (2000) S. 98-99.
[136] Vgl. Klingberg (2000) S. 99.
[137] Vgl. Klingberg (2000) S. 108-110.
[138] Klingberg (2000) S. 112.
[139] Vgl. Klingberg (2000) S. 127-129.
[140] Vgl. Klingberg (2000) S. 133.
[141] Klingberg (2000) S. 137.
[142] Vgl. Klingberg (2000) S. 143.
[143] Klingberg (2000) S. 148 f.
[144] Vgl. Klingberg (2000) S. 151 f.
[145] Mehr als dreißig Jahre später, 1978 veröffentlichte Frankl das Buch The Unheard Cry For Meaning. Es trägt die Widmung: „To Harry or Marion, an unborn child“. Klingberg (2000) S. 158.
[146] Klingberg (2000) S. 162 f.
[147] Noch während der Einquartierung deutscher Truppen im Jahre 1941 wurde ein Teil der Stadt Terezin (Theresienstadt) zu einem Ghetto umfunktioniert. 1942 dehnte sich das Ghetto auf die ganze Stadt aus. Es diente als Sammel- und Durchgangslager für die jüdische Bevölkerung mehrerer Länder im Prozess der nationalsozialistischen Massenvernichtung. http://www.rz-home.de/~pmichael/Prag-Vorbereitung/teresienstadt.htm [15.01.2006].
[148] Vgl. Klingberg (2000) S. 167.
[149] Vgl. Klingberg (2000) S. 168.
[150] Vgl. Klingberg (2000) S.170.
[151] Vgl. Klingberg (2000) S. 176 f.
[152] http://logotherapy.univie.ac.at/d/chronik.html [05.12.2005].
[153] Vgl. Klingberg (2000) S. 179 f.
[154] Klingberg (2000) S. 194.
[155] „In den Draht gehen“ = lagerübliche Bezeichnung für die Selbsttötung, durch berühren des mit Hochspannung geladenen Stacheldrahts.
[156] Viktor E. Frankl: …trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. 21.Auflage München 2002. S. 34 -38.
[157] Frankl (2002). S. 39.
[158] Vgl. Klingberg (2000) S. 197.
[159] Vgl. Klingberg (2000) S. 201.
[160] Frankl (2002) S. 41.
[161] Vgl. Frankl (2000) S. 41 f.
[162] Vgl. Klingberg (2000) S. 204.
[163] Klingberg (2000) S. 210 f.
[164] Vgl. Klingberg (2000) S. 211.
[165] Frankl (2002) S. 143.
[166] Vgl. Frankl (2002) S. 142 f.
[167] Vgl. Klingberg (2000) S. 219-222.
[168] Vgl. Klingberg (2000) S. 315-318.
[169] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Frankl [05.12.2005].
[170] Vgl. Klingberg (2000) S.484.
[171] Die Bibel. Hoffnung für alle. 1. Aufl. Basel 2000. Esra 9,6.
[172] Wörterbuch. Reader’s Digest. Falken Verlag. 2001. S. 430.
[173] Die Bibel. Jeremia 11,20.
[174] Wörterbuch. S. 375.
[175] Die Bibel. Psalm 130,4.
[176] Wörterbuch. S. 556.
[177] Die Bibel. Apostelgeschichte 8,22.
[178] Wörterbuch. S.390.
[179] Die Bibel. 1.Petrus 3,15.
[180] Wörterbuch. S.549.
- Citar trabajo
- Jedida Oberlerchner (Autor), 2006, Der Holocaust aus verschiedenen autobiographischen Sichten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109915
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