Die zwei Medien, Literatur und Film, erzählen beide eine Geschichte. Sie verwenden dabei jedoch ganz unterschiedliche Mittel. In der Literatur wird dem Leser mit Hilfe des geschriebenen Wortes eine Welt dargeboten, die er mit Hilfe seiner Fantasie und seines Vorstellungs-vermögens in Bilder und Klänge verwandeln kann. Dem Leser stehen unbegrenzte Möglichkeiten für eine kreative subjektive Umsetzung des literarischen Inhalts zur Verfügung. Der Film hingegen vermittelt dem Zuschauer bereits vorgegebene Bilder und Klänge, die den Vorstellungen des Regisseurs entspringen. Das bedeutet im Fall einer Literaturverfilmung, dass vielleicht die ursprüngliche Handlung verändert wurde, dass Personen und Orte hinzugefügt oder andere Details abgewandelt wurden.
Die Verfilmung einer Literaturvorlage ist bereits Interpretation und Wiedergabe der Fantasie eines Menschen. Damit ist die ursprüngliche Idee des Schriftstellers verwandelt in eine neue optische und akustische Welt. Der Film ist also einerseits einengend, da er den Fantasien des Zuschauers keinen Freiraum lässt, andererseits hat er Mittel der Darstellung, die Literatur nicht hat. So eröffnen sich durch die filmischen Mittel neue Dimensionen, weil durch eingesetzte Bilder und Musik ganz andere Effekte entstehen. Dadurch können Emotionen einer anderen Qualität erweckt werden, als dies durch das Lesen eines Textes geschieht.
Inhaltsverzeichnis
1 Das Verhältnis von Literatur und Film
2 Biografien
2.1 Biografie Thomas Manns
2.2 Biografie Luchino Viscontis
3 „Der Tod in Venedig“
3.1 „Der Tod in Venedig“- Die Novelle
3.1.1 Die Entstehung der Novelle
3.1.2 Der Inhalt der Novelle
3.1.3 Der Aufbau der Novelle
3.1.4 Die sprachliche Gestaltung der Novelle
3.2 „Morte a Venezia - Tod in Venedig“ - Der Film
3.2.1 Die Entstehung des Films
3.2.2 Filmografische Angaben
3.2.3 Der Inhalt des Films
4 Personen
4.1 Gustav von Aschenbach
4.1.1 Gustav von Aschenbach und Thomas Mann
4.1.2 Gustav von Aschenbach und Luchino Visconti
4.2 Tadzio
5 Verschiedene Leitmotive und Symbole
5.1 Die Leitmotive aus der Novelle
5.2 Veränderungen im Film
5.2.1 Zusätzliche Symbole und Leitmotive
5.2.2 Die Bedeutung der Musik
5.3 Die Deutung der Namen
5.4 Die Bedeutung der Stadt Venedig
6 „Tod in Venedig“, eine gelungene Literaturverfilmung?
7 Literaturverzeichnis
1 Das Verhältnis von Literatur und Film
Die zwei Medien, Literatur und Film, erzählen beide eine Geschichte. Sie verwenden dabei jedoch ganz unterschiedliche Mittel. In der Literatur wird dem Leser mit Hilfe des geschriebenen Wortes eine Welt dargeboten, die er mit Hilfe seiner Fantasie und seines Vorstellungsvermögens in Bilder und Klänge verwandeln kann. Dem Leser stehen unbegrenzte Möglichkeiten für eine kreative subjektive Umsetzung des literarischen Inhalts zur Verfügung. Der Film hingegen vermittelt dem Zuschauer bereits vorgegebene Bilder und Klänge, die den Vorstellungen des Regisseurs entspringen. Das bedeutet im Fall einer Literaturverfilmung, dass vielleicht die ursprüngliche Handlung verändert wurde, dass Personen und Orte hinzugefügt oder andere Details abgewandelt wurden. Die Verfilmung einer Literaturvorlage ist bereits Interpretation und Wiedergabe der Fantasie eines Menschen. Damit ist die ursprüngliche Idee des Schriftstellers verwandelt in eine neue optische und akustische Welt. Der Film ist also einerseits einengend, da er den Fantasien des Zuschauers keinen Freiraum lässt, andererseits hat er Mittel der Darstellung, die Literatur nicht hat. So eröffnen sich durch die filmischen Mittel neue Dimensionen, weil durch eingesetzte Bilder und Musik ganz andere Effekte entstehen. Dadurch können Emotionen einer anderen Qualität erweckt werden, als dies durch das Lesen eines Textes geschieht.
2 Biografien
2.1 Biografie Thomas Manns
Thomas Mann wird am 6.6.1875 als zweiter Sohn des Senators Thomas Johann Heinrich Mann und der Deutsch-Brasilianerin Julia da Silva-Bruhns in Lübeck geboren. 1882 bis 1889 nimmt er am Privatschulunterricht teil, danach besucht er bis zum 19. Lebensjahr das Realgymnasium. Ursprünglich ist er zum Erben der 100 Jahre alten Firma „Johann Siegmund Mann, Getreidehandlung, Kommissions- und Speditionsgeschäfte“ bestimmt, doch als sein Vater im Jahre 1891 stirbt, wird die Firma liquidiert. Mit der mittleren Reife verlässt er die Schule und zieht nach München, um Journalist zu werden. 1894 macht er ein Volontariat bei der „Süddeutschen Feuerversicherungsbank“. Er arbeitet an Heinrich Manns Zeitschrift „Das zwanzigste Jahrhundert, Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt“ mit und veröffentlicht seine erste Novelle „Gefallen“. Nebenbei studiert er an der Technischen Hochschule München. Die Jahre 1895 bis 1898 verbringt Thomas Mann zusammen mit seinem Bruder in Rom und Palestrina. Er wird Redakteur des „Simplicissimus“ und absolviert 1900 seinen Militärdienst. Ein Jahr später erscheint im Oktober der Roman „Buddenbrooks, Verfall einer Familie“, der Thomas Mann über Nacht berühmt werden lässt, ihm aber auch scharfe Kritik einbringt, da das Lübecker Kaufmannsgeschlecht Züge seiner eigenen Familie trägt. 1903 erscheinen sechs Novellen, unter ihnen „Tonio Kröger“ und „Tristan“. Seine literarischen Erfolge und die Hochzeit mit Katja Pringsheim 1905 ermöglichen ihm ein finanziell sorgenfreies Leben. In den nachfolgenden Jahren werden ihm vier Kinder geboren. 1911 unternimmt Mann eine Reise zur Insel Brioni, anschließend verbringt er in Venedig und am „Lido ganz wundervolle Ferien“ [1]. Im selben Jahr beginnt er mit der Arbeit am „Tod in Venedig“. Als Krönung aller Auszeichnungen und Ehrungen für seine zahlreichen Werke erhält Thomas Mann im Jahre 1929 den Nobelpreis für Literatur. Bereits ein Jahr später warnt er die Bevölkerung vor dem Faschismus und kehrt selbst nach der Machtergreifung Hitlers 1933 von einer Vortragsreihe im benachbarten Ausland nicht mehr nach Deutschland zurück. Er lebt in der Schweiz und in den USA. Erst 1949 kommt Thomas Mann zurück ins Nachkriegsdeutschland, um in Weimar und in Frankfurt am Main Vorträge anlässlich des Goethejahrs zu halten. Als die Amerikaner ihn in der Hysterie des McCarthyismus zum Kommunisten abstempeln, kehrt er den Vereinigten Staaten den Rücken und lässt sich in der Schweiz nieder, wo er am 12.8 1955 in Zürich stirbt.
2.2 Biografie Luchino Viscontis
Luchino Visconti wird am 2.11.1906 als Sohn des Herzogs Giuseppe Visconti di Modrone und der Industriellentochter Carla Erba in Mailand geboren. Die Erziehung durch das reiche, konservative Elternhaus ist musisch orientiert. Als er mit 18 das Internat in Genua verlässt, wird er für zwei Jahre auf die Kavallerieschule in Pinerola geschickt. Im Alter von 30 Jahren zieht es ihn nach Paris, wo er Jean Renoir begegnet, der ihn als Regieassistenten für „ Une partie de campagne“ engagiert, wobei er auch Kostüme entwerfen darf. In dieser Zeit lernt er viele Künstler und Intellektuelle der französischen Linken kennen, die ihn stark beeindrucken. Ein Jahr später reist er nach Hollywood, um sich die Arbeitsweise des amerikanischen Kinos anzusehen. Da diese ihn enttäuscht, kehrt er bald nach Italien zurück und übernimmt die Ausstattung für zwei Theateraufführungen am Teatro Manzoni in Mailand. 1939 schreibt er mit Renoir und Karl Koch das Drehbuch zu dem Film „La Tosca“, der jedoch erst 1940 unter seiner Regieassistenz fertiggestellt wird. 1942 darf Visconti sein erstes eigenes Projekt „Ossessione“ (Ossessione...von Liebe besessen) verwirklichen. Es wird allerdings nach einigen Kinovorstellungen zensiert und das Filmnegativ vernichtet. 1944/45 arbeitet er im Filmbüro der Alliierten. Sein zweiter Film „La terra trema“ (Die Erde bebt) entsteht 1947/48 in Sizilien und erhält in Venedig die goldene Palme als bester Film, ist aber aufgrund der Länge und des verwendeten sizilianischen Dialekts ein kommerzieller Misserfolg. In den folgenden Jahren erzielen seine Filme (u.a. 1960 „Rocco e i suoi fratelli“ (Rocco und seine Brüder), 1962 „Il gattopardo“ (Der Leopard)) viele renommierte Filmpreise in Cannes und Venedig. Mit der Camus-Verfilmung „Lo straniero“ (Der Fremde) hat er allerdings wenig Erfolg, erst die „Trilogie zu deutschen Problemen“ mit: 1968 „La Caduta degli Dei“ (Die Verdammten), 1970 „Morte a Venezia“ (Der Tod in Venedig) und 1972 „Ludwig“ hilft ihm, seine verlorengegangene Anerkennung wieder zu erlangen. Im Jahre 1972 erleidet er einen körperlichen Zusammenbruch, der eine dreijährige Film- und Theaterpause mit sich bringt. Im Herbst 1975 beginnt er mit den Dreharbeiten zu „L’innocente“ (Die Unschuld), den er allerdings nur noch bis zum Rohschnitt fertigstellen kann, da er am 17.3.1976 in Rom stirbt.[2]
3 „Der Tod in Venedig“
3.1 „Der Tod in Venedig“- Die Novelle
3.1.1 Die Entstehung der Novelle
Thomas Mann schreibt die Novelle in der Zeit von Juli 1911 bis Juli 1912. Sie wird in der „Neuen Rundschau“ und als Buch im Hyperion Verlag veröffentlicht. Im Februar erscheint eine Ausgabe im Fischer Verlag und bis Ende 1913 haben sich bereits über 18.000 Exemplare verkauft.
Vorbilder für die Charaktere der Figuren von „Tod in Venedig“ lassen sich in verschiedenen Genres finden. So gibt es Parallelen zwischen Aschenbach und Othello: „Othello muss auch erst durch die plötzliche Begegnung mit einem jungen Weibe, im Tod in Venedig wird es. Tadzio sein, aus seiner streng geführten Lebensordnung gerissen werden, so daß aus ihm ein `unvornehm` Leidender wird.“ [3] Ebenso setzt sich Mann mit Richard Wagner und seiner Kunst auseinander, dem für ihn „repräsentative(n) deutsche(n) Künstler der Epoche“[4] Ursprünglich hatte Mann vorgehabt, die „Geschichte von Goethes letzter Liebe zu erzählen, die Liebe eines Siebzigjährigen zu jenem kleinen Mädchen, die er durchaus noch heiraten wollte (...) - eine böse, groteske und erschütternde Geschichte (...), aus der aber vorderhand einmal ´Der Tod in Venedig` geworden ist. Ich glaube, daß dieser ihr Ursprung auch über die ursprüngliche Absicht der Novelle das Richtige aussagt.“ [5] Andere Spuren lassen sich zurückverfolgen auf Reisen Thomas Manns mit seiner Frau Katja und seinem Bruder Heinrich zur Insel Brioni vor Istrien und nach Venedig. Mann schreibt darüber: „Nicht zum ersten Mal verbrachten meine Frau und ich einen Teil dieses Mais auf dem Lido. Eine Reihe kurioser Umstände und Eindrücke musste mit einem heimlichen Ausschauen nach neuen Ideen zusammenwirken, damit eine produktive Idee sich ergebe, die dann unter dem Namen des ´Tod in Venedig` ihre Verwirklichung gefunden hat.“ [6] Über weitere autobiografische Einflüsse heisst es: „Im Tod in Venedig ist nichts erfunden: Der Wanderer am Münchner Nordfriedhof, das düstere Polesaner Schiff, der greise Geck, der verdächtige Gondoliere (...)“[7] Ebenso miteingeflossen ist die Nachricht des Todes von Gustav Mahler: „Es war Mahlers - in den Zeitungen berichtetes - ´fürstliches Sterben`, das Mann veranlasste, Aschenbachs Figur die ‘leidenschaftlich strengen Züge der ihm vertrauten Künstlerfigur zu geben’.“ [8] Die Idee zur Figur des Tadzio bekommt Mann während eines Aufenthalts im Hotel des Bains. Dort begegnete er dem vierzehnjährigen Wladyslaw Baron Moes.[9]
3.1.2 Der Inhalt der Novelle
1. Kapitel: Schriftsteller Gustav von Aschenbach lebt in München. Strapaziert von seiner Arbeit sucht er Erholung bei einem Spaziergang. Er begegnet einem Wanderer, der bedrohlich und aggressiv auf ihn wirkt. Daraufhin wird er in eine Art Tagtraum versetzt, eine Vision von Urwaldlandschaften, Schwüle und Chaos: „...ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel...“ [10] Er beschließt, zur Erholung eine Reise in den Süden zu unternehmen, aber auch um eine momentane Schaffenskrise zu überwinden.
2. Kapitel: Der Leser erhält Informationen zu Aschenbachs Lebensweise und zu seiner Kunstauffassung. Aschenbachs Vater stammt aus einem alten schlesischen Adelsgeschlecht, seine Mutter ist die Tochter eines böhmischen Kapellmeisters. Der Künstler ist 40 Jahre alt und seit seiner Jugend ein angesehener Schriftsteller voller Disziplin und Leistungsdrang. Er lebt in München und war verheiratet, bis seine Frau starb. Sein äußerers Erscheinungsbild wird als etwa „mittelgroß, brünett, rasiert“ [11] beschrieben. „ Seine Gesichtszüge, die hohe zerklüftete Stirn... sind nicht das Werk eines schweren, bewegten Lebens, sondern es ist die Kunst, die jene physiognomische Durchbildung übernommen hat.“ [12]
3. Kapitel: Aschenbach reist nach Venedig. Auf dem Schiff wird ihm der Fahrschein von einem ziegenbärtigen Mann verkauft, der überschwenglich von Venedig schwärmt. Unter den Mitreisenden fällt dem Autor besonders ein greisenhafter Mann auf, der seinem Gesicht durch Schminke und Perücke falsche Jugend gegeben hat. Für Aschenbach ist es, als „ beginne eine Entstellung der Welt ins Sonderbare um sich zu greifen.“ [13] Er steigt vom Schiff in eine schwarze Gondel um, um sich zur Dampferstation am Markusplatz bringen zulassen, wird aber vom Gondoliere eigenmächtig direkt zum Hotel des Bains gebracht. Nachträglich stellt sich heraus, dass dieser gar keine Gondoliere-Konzession besitzt. Nachdem Aschenbach sein Zimmer bezogen hat, bemerkt er in der Halle beim Abendessen zum ersten Mal „einen langhaarigen Knabe von vielleicht vierzehn Jahren. Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, dass der Knabe vollkommen schön war...“ [14] Da sich das Wetter auch am darauffolgenden Tag nicht bessert, denkt der Künstler an sofortige Abreise. Dann landen seine jedoch Blicke wieder bei dem Jungen, dessen Namen - Tadzio - er nun aufgeschnappt hat und er wird doch bleiben. Bei einem Ausflug nach Venedig wird er von einer widerlichen Schwüle überrascht, die in ihm Unwohlsein hervorruft. Deshalb beschließt er, nun doch abzureisen und lässt sein Gepäck bereits zum Bahnhof transportieren. Eine neue Begegnung mit Tadzio bringt seinen Entschluss jedoch wieder ins Wanken. Aschenbach ist hin und her gerissen und als er erfährt, dass seine Koffer an einen falschen Zielort geleitet wurden, kehrt er zurück ins Hotel und gesteht sich ein, „daß ihm um Tadzios Willen der Abschied so schwer gefallen ist.“ [15]
4. Kapitel: Obwohl er sein Gepäck inzwischen wieder hat, will er nicht mehr abreisen. Er wird von Tadzio, den er als „das Schöne selbst“ [16] sieht, neu inspiriert. Um von seiner Verzauberung befreit zu werden, will der Autor ein belangloses Gespräch mit dem Jungen beginnen, was aber scheitert. Der Junge schenkt ihm aber ein Lächeln. „Es ist jedoch das Lächeln des jungen Narziß, der sich über das spiegelnde Wasser neigt.“ [17] Aschenbach gesteht sich seine Liebe zu dem Jungen ein. „Und zurückgelehnt, mit hängenden Armen, überwältigt und mehrfach von Schauern überlaufen, flüsterte er die stehende Formel der Sehnsucht, - unmöglich hier, absurd, verworfen, lächerlich und heilig doch, ehrwürdig auch hier noch: ´Ich liebe dich`.“ [18]
5. Kapitel: Die Stimmung im Hotel ändert sich, da immer mehr Gäste abreisen. Aschenbach bemerkt einen widerlichen Geruch in den Straßen von Venedig. Genauere Informationen über die Ursache will ihm aber keiner geben. Seine einzige wirkliche Angst ist allerdings, dass die polnische Familie abreisen könnte. Ohne Rücksicht auf seine eigene Würde verfolgt er den Jungen zwanghaft auf Schritt und Tritt. Nebenbei versucht er noch immer, hinter das Geheimnis der Stadt zu kommen. Eines Abends taucht eine Gruppe grotesk maskierter venezianischer Straßenmusikanten im Hotel auf und verhöhnt die Hotelgäste. Sie bringen den Geruch von Desinfektionsmitteln mit. Auch überall in den Gassen Venedigs sind die weißen Spuren der Desinfektion zu finden. Am nächsten Tag erfährt Aschenbach in einem Reisebüro die Wahrheit über die mysteriösen Vorgänge in der Stadt. Die indische Cholera ist aus dem Ganges-Delta nach Europa eingeschleppt worden und breitet sich durch die Hitze schnell aus. Es handelt sich um eine besonders gefährliche Variante, die in den meisten Fällen sogar zum Tode führt. Ihm wird dringend zur Abreise geraten. Er spielt mit dem Gedanken, Tadzios Familie zu warnen, fürchtet aber, dass dies deren sofortige Abreise bedeuten würde und schweigt deshalb lieber. In der Nacht hat er einen Traum, der ihn alle seine Hemmungen über Bord werfen lässt. Um dem Jungen besser zu gefallen, geht der Alte zum Friseur, lässt seine Haare färben und schmückt sich mit Juwelen. Im Spiegel erblickt er daraufhin einen „blühenden Jüngling“. [19] Einige Tage nachdem er Tadzio erneut durch Venedig verfolgt hat, geht Aschenbach zum Strand. Dort findet er den Jungen im Kampf mit einem Freund. Besiegt und missmutig über seine Niederlage geht er hinaus ins Meer und Aschenbach scheint es, als ob der Junge ihm zuwinke und „voranschwebe ins Verheißungsvoll-Ungeheure. Und wie so oft machte er sich auf, ihm zu folgen.“ [20] Wenig später findet man den Dichter tot in seinem Liegestuhl. „Und noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem Tode.“ [21]
3.1.3 Der Aufbau der Novelle
Der Aufbau der Novelle ähnelt einem Drama in fünf Akten. Der erste Höhepunkt befindet sich bereits im ersten Kapitel, in der Begegnung mit dem fremden Wanderer. Sie löst in Aschenbach die Reiselust aus. Die Exposition, die ja normalerweise im ersten Kapitel steht, wird im zweiten nachgeholt, indem Mann auf die Lebensumstände und die Werke des Protagonisten eingeht. Im dritten Kapitel stößt man auf den zweiten Höhepunkt, den gescheiterten Fluchtversuch Aschenbachs vor Tadzio und den Folgen. Das vierte Kapitel fungiert einerseits als retardierendes Moment, wenn berichtet wird, wie Aschenbach seine Zeit am Lido verbringt. Andererseits befindet sich hier der Wendepunkt, da sich der Autor endlich seine Liebe zu Tadzio eingesteht. Im fünften und letzten Kapitel vollzieht sich sein tragischer Absturz, der mit seinem Tod endet.
3.1.4 Die sprachliche Gestaltung der Novelle
Im „ Tod in Venedig“ wird die Handlung durch einen auktorialen Erzähler berichtet. Er steht außerhalb der Geschehnisse, kommentiert aber die Handlungen der Figuren. Der Satzbau ist hypotaktisch, d.h. viele Nebensätze sind durch Bindewörter miteinander verknüpft, wie: „sei es, dass“, „sowohl, als auch“ oder „dergestalt, dass“. Dem Leser wird das Innenleben des Protagonisten direkt vermittelt, da dieser oft Selbstgespräche führt, die eine genaue Beschreibung seiner Gefühle geben. So kann der Leser ein persönlicheres Verhältnis zu der Figur aufbauen und sie besser verstehen. Mann benutzt einen gewählten Wortschatz und eine stilisierte Sprache. Es werden oft wissenschaftliche Begriffe verwendet, ebenso Fremdwörter. Charakteristisch ist auch der Additionsstil, bei dem Eindrücke der Umwelt durch die Zusammenfügung von mehreren Adjektiven beschrieben werden.
3.2 „Morte a Venezia - Tod in Venedig“ - Der Film
3.2.1 Die Entstehung des Films
Luchino Visconti hat sich mit der Verfilmung der Novelle „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann kein leicht in Szene zu setzendes Werk ausgesucht. Es beruht vor allem auf knapper Handlung und auf den Gedanken und Betrachtungen des Protagonisten Gustav von Aschenbach. Die Thematik der Novelle scheint 1971 nicht sehr aktuell, da die 68-Bewegung immer noch nachwirkt. Hinzu kommt der homoerotische Aspekt der Novelle, weshalb sich Visconti einen Geldgeber außerhalb des katholischen und konservativen Italiens suchen muss. Trotz dieser Schwierigkeiten will der Regisseur den Film „Morte a Venezia“ verwirklichen. Er interessierte sich schon immer für die Werke Thomas Manns und hat deren Thematik bereits in frühere Filme einfließen lassen. Visconti hat die Realisierung „ des Films bewußt jahrelang hinausgeschoben..., um zuerst die nötige Reife und Erfahrung zur Darstellung der komplizierten Problematik ‘Kunst /Leben’ in einem dekadenten Künstler zu erlangen.“ [22] Obwohl der Film bei den Filmfestspielen in Cannes 1971 den „25th anniversary Price“ erhielt und 1972 von der „Association of Film Critics“ in Uruguay zum besten Film des Jahres ernannt wurde, war er in der internationalen Presse heftig umstritten, „nicht zuletzt deshalb, weil Viscontis Filme von einer sublimen Ausstattung geprägt sind, deren wahre Fracht, das Doppelbödige mit seinen vielfachen kulturhistorischen und sozialgeschichtlichen Verklammerungen, Anspielungen und Evokationen dem Gros der Filmkritik nicht in aller Deutlichkeit aufgegangen ist.“ [23]
3.2.2 Filmografische Angaben
Herstellungsland: Italien/Großbritannien
Herstellungsjahr: 1971
Produktion: Alfa Cinematographica Roma
Produzent: Luchino Visconti
Regie: Luchino Visconti
Kamera: Pasquale De Santis
Drehbuch: Luchino Visconti und Nichola Badalucco (nach der Novelle von Thomas Mann)
Musik: Gustav Mahler, Sinfonien Nr. 3 und Nr. 5
Hauptdarsteller:
Gustav von Aschenbach: Dirk Bogarde
Tadzio: Björn Andresen
Tadzios Mutter: Silvana Mangano
Frau von Aschenbach: Marisa Berenson
Alfried: Mark Burns
Laufzeit: 132 Minuten
FSK: Frei ab 12 Jahren
Prädikat: besonders wertvoll
3.2.3 Der Inhalt des Films
Der deutsche Komponist und Dirigent Gustav von Aschenbach (Dirk Bogarde) sitzt an Deck eines Schiffes und ist auf dem Weg nach Venedig, um sich von einem Zusammenbruch in München zu erholen. Während der Fahrt wird er von einem alten, geckenhaft angezogenen Mann belästigt und beunruhigt. In Venedig angekommen, rudert ihn der Gondoliere - trotz heftigen Einwandes von Aschenbach - gleich zum Lido. Das Hotel Des Bains hat die besten Räume für den Deutschen reserviert und das Personal erweist sich als ungewöhnlich besorgt. Im Salon betrachtet Aschenbach die anderen Gäste, von denen ihm besonders eine polnische Familie auffällt. Sie besteht aus der Mutter (Silvana Mangano), einer Gouvernante, drei Töchtern und einem etwa 14-jährigen Jungen, von dessen vollkommener Schönheit Aschenbach sofort geblendet ist. Je öfter er den jungen Polen Tadzio (Björn Andresen) zu sehen bekommt, desto stärker ist die Faszination, die dieser auf ihn ausübt. In imaginären Gesprächen mit seinem Freund Alfried (Mark Burns) erklärt Aschenbach seine Zuneigung als die Sympathie des Künstlers für das Schöne. Die Tage am Lido sind schwül, die Luft drückend, für Aschenbach unerträglich und - laut Hotelpersonal - eine Folge des herrschenden Sirocco. Erst das Beobachten von Tadzio beim Spiel mit seinen Freunden am Strand kann ihn etwas aufheitern. In dieser Atmosphäre blickt er auf sein Leben zurück: Bordellbesuche mit baldiger Flucht; Auseinandersetzungen mit Alfried, der behauptete, Aschenbach weigere sich zuzugeben, dass er Gefühl und Romantik besitze; glückliche Stunden mit seiner Frau und dem Kind in den Tiroler Bergen. Seine Unfähigkeit, mit Tadzio Kontakt aufzunehmen, und die Unsicherheit, mit seiner bisher nicht gekannten Zuneigung (zu einem Knaben) umzugehen, veranlassen Aschenbach zu dem Entschluss, Venedig so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Als er am Bahnhof jedoch Zeuge des Todes eines Mannes wird und sein Gepäck durch einen Irrtum fehlgeleitet wird, entschließt sich Aschenbach - mit seinen Gedanken bei Tadzio - zu bleiben. Er denkt nun ständig an den Jungen, der ihm mit einem Lächeln den ganzen Tag verschönern kann. Das Hotel leert sich mittlerweile von Tag zu Tag immer mehr. Venedigs Straßen werden von einem merkwürdigen Duft durchzogen, der laut Hoteldirektor von einem Desinfektionsmittel herrührt, das vorbeugend verwendet wird. Es gehen Gerüchte um, die von Pestfällen munkeln. Als abends eine Gruppe von Straßensängern im Hotel auftaucht, wird Aschenbach böse von ihnen brüskiert, was zur Erheiterung der anderen Hotelgäste dienen soll. Auch diese skurrilen Gestalten wollen nichts von der Pest gehört haben. Aber die nicht mehr zu übersehenden Anzeichen einer Pestepidemie mehren sich. So stellt Aschenbach Nachforschungen in einem Reisebüro an, wo er erfährt, dass es tatsächlich Pesttote gegeben hat. Eine baldige Quarantäne sei zu erwarten. Um einer Massenpanik vorzubeugen, vertusche man aber die Angelegenheit. Im Traum rennt er zu der polnischen Familie, um sie vor dem bevorstehenden Unglück zu warnen. Am nächsten Tag geht er zum Hotelfriseur, der ihm die Haare färbt und den Schnurrbart stutzt, um ihn zurück zu verwandeln in einen blendend aussehenden jungen Mann. Die folgenden Tage verfolgt er den Jungen durch die engen Gassen Venedigs, nur um ihn zu sehen, was ihn physisch und psychisch müde macht. In Träumen spürt er, dass sein Gleichgewicht von Mensch- und Künstlersein aus den Fugen geraten ist. Alfried sagt ihm nur zynisch in einem fiktiven Gespräch, dass er alt ist und somit unrein. Er geht an den Strand und beobachtet Tadzio beim Ringen mit einem Freund. Unfähig, sich aus dem Liegestuhl zu erheben, sieht er dem Jungen entzückt zu, wie der nun alleine im seichten Wasser der Sonne entgegenschreitet. Wenig später finden Hotelangestellte Aschenbach tot zusammengesackt.[24]
4 Personen
4.1 Gustav von Aschenbach
4.1.1 Gustav von Aschenbach und Thomas Mann
Beide Künstler besitzen einen Wohnsitz in München und einen Landsitz im Gebirge, wohin sie sich zum ungestörten Arbeiten zurückziehen. Die Werke beider Künstler sind Willensproduke, da beide „keine vitalen Vollblutnaturen“ [25] sind. In der Novelle heißt es: „ Aschenbach war der Dichter all derer, die, schmächtig von Wuchs und spröde von Mitteln, durch Willensverzückung und kluge Verwaltung sich wenigstens eine Zeitlang die Wirkung der Grösse abgewinnen. Ihrer sind viele, sie sind die Helden des Zeitalters.“ [26] Aschenbach und Mann haben beide eine sehr strenge Arbeitsdisziplin und arbeiten am liebsten vormittags. Eine Widerspiegelung Manns in der Person Aschenbachs ist auch in der Tatsache zu sehen, dass sich die Werke der literarischen Figur allesamt als Projekte Manns aus den Jahren 1900-1910 entpuppen. Ebenso wie Aschenbach klagt auch Mann über fehlende Arbeitslust und Erschöpfung. Im ersten Kapitel der Novelle spricht die Hauptfigur über „wachsende Müdigkeit “, „unzufriedene Langsamkeit“, über die „zunehmende Abnutzbarkeit seiner Kräfte“ [27] und die „Besorgnis, die Uhr möchte abgelaufen sein, bevor er das Seine getan“ [28] . Ein weiterer Punkt, der die beiden verbindet, ist die gemeinsame Liebe zum Meer. „Mann mochte das Meer, da es ihm lindernde Einfachheit brachte und für ihn alle Störungen der menschlichen Umwelt absorbierte.“ [29] Aschenbach liebt das Meer „aus dem Ruheverlangen des schwer arbeitenden Künstlers, der von der anspruchsvollen Vielgestalt der Erscheinungen an der Brust des Einfachen, Ungeheuren sich zu bergen begehrt“ [30]. Beide fühlen sich am Meer verjüngt und lieben die Sauberkeit des Strandes. Um an die See zu gelangen machen beide eine Reise nach Venedig, weil sie dort neue Inspirationen für ihre Werke gewinnen wollen. Für Mann wird Venedig so etwas wie seine zweite Heimatstadt. Eine weitere Parallele zwischen Autor und Protagonist liegt darin, dass beide „zweierlei Erbanlagen haben: Sie vereinen beide nordisches Ethos und südliches Vitalitätsideal in sich.“ [31]
4.1.2 Gustav von Aschenbach und Luchino Visconti
Ebenso wie Thomas Mann in der Novelle, identifiziert sich Luchino Visconti in einigen Elementen mit dem Aschenbach seines Films. „An Aschenbach schildert Visconti die eigenen Ängste, Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und Vorstellungen.“ [32] Diese Seelenverwandschaft kommt deutlich in der Art der Darstellung zur Geltung: „Viscontis Blick, der auf Aschenbach fällt, ist nicht klar, kalt und objektiv, sondern mitfühlend, bewegt und subjektiv.“ [33] Die filmisch dargestellte Verzweiflung spiegelt Viscontis Krisenzustand wider. Aschenbach reist alleine nach Venedig, ist ständig alleine und stirbt einsam am Strand. Bei Visconti ist die Einsamkeit auch ein wichtiger Aspekt, da er eine Art Außenseiter war, was sich natürlich in seinen Filmen niederschlägt.
Neben dem stets einsamen Aschenbach fungiert Tadzio als Kontrastfigur, da dieser ständig von Familie oder Freunden umgeben ist. Der Junge ist in der Pubertät, wohingegen der Alte sich in den Wechseljahren befindet. Den Unterschied alt - jung macht Visconti immer wieder durch interne Rückblicke deutlich, in denen der Künstler als junger, vitaler Mensch im Kreise seiner Familie dargestellt wird. „In der Gegenwart jedoch ist er von der Welt getrennt. Um ihn herum herrschen Kriecherei und Manipulation.“ [34]
Dieser Täuschung fällt Aschenbach in Venedig immer wieder zum Opfer. Der Gondoliere bringt ihn gegen seinen Willen zum Lido, der Hotelmanager behandelt ihn zwar mit der nötigen Höflichkeit, lässt ihn aber über die Umstände der Cholera im Dunkeln. Am Ende der Handlung sucht er noch den Barbier auf, der ihm durch das Färben der Haare neue vorgetäuschte Jugend verspricht. Er wird also „zum passiven Opfer der Verfügungen, welche die Außenwelt, zu der er keinen Kontakt mehr hat - es sei denn jenen, ihr Opfer zu sein - über ihn verhängt.“ [35] Visconti kann sich mit dieser Situation identifizieren, da er ebenso von „einem servilen Hofe umgeben war, der ihn ´benutzte, enttäuschte und ihm nicht gehorchte`“ [36].
Ebenso wie Thomas Mann kann sich Visconti gut in die Rolle des Künstlers in der Schaffenskrise hineinversetzen. Den Filmen des, durch Erfolg verwöhnten, Regisseurs von „Rocco und seine Brüder“, fehlte es an kritischer Auseinandersetzung mit aktuellen Thematiken. Der Aufschwung und der Weg aus der Krise gelingt ihm erst 1968, acht Jahre nach seinem größten Erfolg.
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt in „Tod in Venedig“ ist die Homosexualität. Thomas Mann entscheidet sich für die Thematik, „da sie den `Hauch des Verworfenen` hat und somit die Fallhöhe des früher ´würdigen´ Künstlers vergrößert. Zudem erlaubt die Homoerotik Mann den natürlichen Übergang zum griechischen Mythos (Adel der homoerotischen Liebe im antiken Griechenland) und zur dualistischen Philosophie Platons (die schöne Form als Abbild des Vollkommenen).“ [37] Sicher spielte auch die eigene verdrängte aber inzwischen bekannte homosexuelle Neigung Manns eine wichtige Rolle. Visconti ging schon in seinem Erstlingswerk „Ossessione “ auf die Problematik der Homoerotik ein. Um die Öffentlichkeit mit dem wieder brisant gewordenen Thema der Homosexualität zu konfrontieren, benutzt er die Figur des Tadzio, der älter, erwachsener und noch blonder ist als das Original der Literaturvorlage und Assoziationen an einen Strichjungen erweckt.
4.2 Tadzio
Sowohl in der Novelle als auch im Film erscheint Tadzio in verschiedenen Funktionen.
Zum einen wird er als das Wunsch-Ich Aschenbachs dargestellt, das dieser in Kunst und Leben stets anstrebte, jedoch nie erreichte. Der 14-jährige Junge ist aber auch Symbol für die Unschuld. Aschenbach begreift dadurch, dass es zur geistigen Kreativität der Unschuld bedarf.
Zum anderen repräsentiert er „den geliebten Gegenstand, durch dessen Anblick der Liebende im Sinne Platons an das absolut Schöne verwiesen wird “.[38] Der Junge verkörpert das Schöne, das für Aschenbach unerreichbar ist. „Durch Tadzio erfährt Aschenbach, dass Schönheit nur ein Weg sein kann, ein Mittel, und dass sie weder dem Geist, wie er es meint (...), noch ausschließlich den Sinnen gehört, wie Alfried es propagiert.“ [39] Durch die Schönheit des polnischen Knaben wird sich Aschenbach seiner eigenen Nichtigkeit bewusst, erfasst aber auch die Schönheit als Herausforderung an die Zeit, die Gebrechlichkeit und den Zerfall.
Tadzio gehört bei Mann ebenso wie bei Visconti zu den leitmotivischen Figuren (Wanderer, Ziegenbart, Greis, Gondoliere, Musiker u.a.), die durch sich ständig wiederholende Attribute gleichermaßen zu Boten des Teuflisch-Dionysischen wie auch des Todes werden.
5 Verschiedene Leitmotive und Symbole
5.1 Die Leitmotive aus der Novelle
Zu den symbolischen Leitmotiven, die an die Novelle gebunden sind, gehören die ´roten Haare´, die schon seit dem Mittelalter als das Zeichen des Bösen gelten und auf das Teuflisch-Dionysische deuten. Bei Visconti erscheint der obszöne Geck mit rotem Haar, ebenso wie der Straßenmusikant. Es wird also eine gedankliche Verbindung zwischen den beiden Figuren geschaffen, die sie als Böse und als Dionysosboten kennzeichnet.
Ebenso Kennzeichen für das Dionysische sind die ´Hüte`, mit denen die Menschen bekleidet sind, allerdings verändert Visconti die Zuordnung der verschiedenen Hüte auf die Personen. Am Ende, als auch Aschenbach dem Dionysischen verfallen ist, trägt er einen Strohhut.
Das ´Lachen´ kann als weiteres Motiv gesehen werden. Es soll das herrische, provozierende, ordinäre Verhalten der Personen darstellen, das zur Brutalität neigt und gegen das Aschenbach machtlos ist.
Auffällig sind auch einige Farbkombinationen wie etwa rot-blau bzw. rosa-hellblau (z.B. Tadzios Kleidung, bunte Boote, Badetücher), die auf Gegensätze hinweisen, die unwiderruflich miteinander verbunden sind.
Ein weiteres Leitmotiv ist die ´Zahl drei´ (dreimal fährt Aschenbach mit einem Boot, Tadzios drei Schwestern, Musik vom Hoteltrio ). Bei Nietzsche steht die Zahl für „die ewige Wiederkehr des Gleichen, durch die das ewige Lustprinzip erreicht werden kann “[40].
Die milchigen, bleichen Gesichter symbolisieren Leichenblässe, die ´weißen Gesichter´ charakterisieren ihre Träger (z.B. den Greis, den Cholerakranken oder Tadzio) als Todesboten.
Das Gebiss, die blassen, ungesunden Zähne sollen an den Gevatter Tod erinnern, wie er im Totentanz dargestellt wird.
5.2 Veränderungen im Film
5.2.1 Zusätzliche Symbole und Leitmotive
Visconti führt in seiner Verfilmung weitere Leitmotive und Symbole ein. So das ´stumme Lächeln´, das als einziger Kontakt zwischen Aschenbach und Tadzio gilt.
Ein weiteres neues Motiv ist der ´Lockenkopf ´ (z.B. Tadzio, der Gitarrist, Alfried und der Friseur), der in der griechischen Mythologie oft auf schreckliche Gottheiten und somit auf das Dionysische hinweist.
Hinzu kommt auch der ´Farbkomplex rot-rosa´, der als Symbol der „unbezähmten Leidenschaft und der Begierde bzw. das Dionysische schlechthin zu verstehen ist“. [41]
Das Klavier erscheint ebenfalls als Sinnbild das Dionysischen, was in einer Szene verdeutlicht wird, in der Alfried die Kunst, als zweideutig beschreibt. Ebenso wiederkehrend ist Beethovens „Für Elise“. Es wird von Tadzio gespielt und weckt in Aschenbach die Erinnerung an seinen ersten Bordellbesuch, bei dem Esmeralda dieses Stück ebenfalls spielte. Somit verbindet es die beiden Gestalten.
Für Viscontis Interpretation ist ferner die Farbe grün von Bedeutung. Sie taucht in den Rückblicken auf und ist Symbol für die Natur. Sie steht im Kontrast zu den matten Farben Venedigs und symbolisiert Aschenbachs letzten Ausweg hin zum Gesunden und Appollinischen, weg vom Kranken und Dionysischen.
5.2.2 Die Bedeutung der Musik
In der Novelle ist der Protagonist ein Schriftsteller, im Film wird Aschenbach in einen Komponisten verwandelt. Visconti nahm diese Veränderung vor, weil er von der Untauglichkeit eines Literaten als Hauptfigur überzeugt war. Außerdem kannte er die Bewunderung Manns für die Persönlichkeit des Komponisten Gustav Mahler. Bei den Werken dieses Musikers finden Widersprüche wie Kunst - Leben oder Individuum - Kollektivität musikalischen Ausdruck. „Seine Symphonien spiegeln die Zerrissenheit seiner Natur, darüberhinaus wurden sie zu Sinnbildern der widersprüchlichen Zeit, in der sie entstanden.“ [42]
Die Musik dient im Film nicht dazu, die Pausen oder die Stille zu füllen. Sie unterstreicht sie vielmehr, indem sie im Hintergrund wirkt und so den Film untermalt. Sie drückt aber nicht nur die Stimmung des Films aus, sondern hat auch eine erzählende Funktion, da sie Aschenbach zum Komponisten der Musik Mahlers macht.
Die Musik, die dem Betrachter viel unmittelbarer gegenübertritt, weil sie, durch die Bilder gestützt, stärker in den Vordergrund gerückt wird, wird etwa vom Hoteltrio gespielt, von den Straßensängern gesungen oder von Tadzio auf dem Klavier vorgetragen.
5.3 Die Deutung der Namen
Die Namens haben eine besondere Bedeutung, da die Namensträger durch sie charakterisiert werden.
Gustav von Aschenbach: Sein Vorname stammt aus dem Skandinavischen und setzt sich zusammen aus gunt (Kampf) und stafr (Stütze). Seine Lebensweise stellt also einen einzigen Kampf dar. Sein Nachname wird gebildet aus Asche und Bach wobei die Asche als Todessymbol fungiert und der Bach ein Sinnbild der Vergänglichkeit darstellt.
Alfried leitet sich aus der altenglischen Form Aelfred her, wobei aelf Alp bedeutet und raed soviel wie Ratgeber.
Esmeralda ist der spanische Name für Smaragd, dem man im Mittelalter böse Kräfte nachsagte, was als Hinweis auf das Dionysische gelten kann.
Tadzios Name ist biblischen Ursprungs und bedeutet Lobpreis (griechisch thaddaios, deutsch Thaddäus). Er symbolisiert somit das in Aschenbachs Augen perfekte Wesen.
Um das Dionysische der Personen Alfried, Tadzio, Esmeralda noch zu verstärken, betrachte man ihre Initialen: Zusammengesetzt ergeben sie das Wort ATE, das das griechische Wort für Unheil und Verblendung ist.
5.4 Die Bedeutung der Stadt Venedig
Venedig gilt als die im Süden gelegene verbotene Stadt. Sie verführt die Menschen und auch Aschenbach, der nach Italien reist, um seine Schaffenskrise zu überwinden, wird in ihren Bann gezogen. „Der kalte Moralist der Leistung kann in ihrer Schwüle nicht widerstehen.“ [43] Sie ist ebenso die Stadt des Todes und des Transzendenten mit ihren schwarzen Gondeln, den unzähligen Brücken und den vielfach verzweigten kleinen Gassen. „In Venedig erfährt Aschenbach, daß Geistigkeit und Erkenntnis immer nur auf Kosten der Vitalität und des Lebenswillens erlangt werden, daß, wenn der Widerstandswille gebrochen ist, Todesbereitschaft und Todessehnsucht entstehen.“ [44]
Aufgrund ihrer geographischen Lage ist Venedig auch die Stadt der Einsamkeit. Abgeschnitten vom Festland ist sie in ihrem Innern zusätzlich durch die Kanäle vielfach geteilt.
Für Nietzsche ist Venedig die Stadt der Musik. „Venedig ist ihm ein anderes Wort für Musik und die eigene Zweideutigkeit und Doppelseitigkeit “ [45]
6 „Tod in Venedig“, eine gelungene Literaturverfilmung?
Zum Schluss stellt sich die Frage, ob Viscontis „Tod in Venedig“ eine gelungene Literaturverfilmung darstellt. Einerseits hat der Regisseur die literarische Vorlage Detail getreu übernommen (wie bei der Auswahl des Handlungsortes „Hotel“); andererseits werden grundlegende Veränderungen vorgenommen, um die spezifisch filmischen Darstellungsmöglichkeiten zu nutzen (z.B. Verwandlung des Berufs Aschenbachs). Es tauchen natürlich grundsätzliche Probleme der filmischen Übersetzung der Mannschen Novelle auf. So löst Visconti etwa das Problem der Darstellung von Gedanken, indem er Aschenbach fiktive Gespräche mit Alfried führen lässt. Visconti fügt seiner Verfilmung einige neue Leitmotive und Symbole zu, die dazu dienen, die optischen und akustischen Mittel des Films einzusetzen (wenn Esmeralda oder Tadzio „Für Elise“ spielen) und dem Film so eine neue Dimension hinzuzufügen, ohne die Handlung unüberschaubar werden zu lassen. Um dem Film eine persönliche Note zu geben, trägt der dargestellte Protagonist nicht nur Züge Thomas Manns, Visconti verleiht ihm auch eigene Charakterzüge. So entsteht sowohl eine adäquate Verfilmung der literarischen Vorlage wie auch ein eigenständiges filmisches Kunstwerk.
7 Literaturverzeichnis
- Ackermann, Karin: Mentor Lektüre Durchblick Band 320 „Der Tod in Venedig“. München: Mentor Verlag Dr. Rahmdohr KG 1997.
- Delassalle, Beatrice: Luchino Viscontis „Tod in Venedig“ Übersetzung oder Neuschöpfung (Berichte aus der Literaturwissenschaft). Aachen: Verlag Dr. Chaled Shaker 1994.
- Faulstich, Werner; Faulstich, Ingeborg: Modelle der Filmanalyse - Kritische Informationen. München: Wilhelm Fink Verlag 1977.
- Große, Wilhelm: Erläuterungen zu Thomas Manns „Der Tod in Venedig“, Königs Erläuterungen und Materialien Band 47. C. Hollfeld: Bange Verlag 1996.
- Neuhalfen, Ellen: „Tod in Venedig“ von Luchino Visconti, Begleitheft zum Film. Duisburg: Atlas Film (Hrsg.) 1987.
- Mann, Thomas: Der Tod in Venedig. Frankfurt a.M.: Fischer Bücherei KG 1960.
- Stiftung Deutsche Kinemathek (Hrsg.): „Luchino Visconti“, Reihe Film 4. München: Carl Hanser Verlag 1985.
[...]
[1] Mentor Lektüre Durchblick, 1992, S.21
[2] Luchino Visconti Reihe Film, 1985, S. 147-148
[3] Königs Erläuterungen und Materialien, 1994, S. 11
[4] ebd. S. 12
[5] Königs Erläuterungen und Materialien, 1994, S. 11
[6] ebd. S. 14
[7] ebd. S. 14
[8] ebd. S. 15 (zit. nach E. 119 f)
[9] ebd. S. 11-15
[10] Der Tod in Venedig, S. 9
[11] ebd. S. 16
[12] Der Tod in Venedig, S. 16
[13] ebd. S. 18
[14] ebd. S. 25
[15] ebd. S. 37
[16] ebd. S. 41
[17] ebd. S. 46
[18] Der Tod in Venedig, S. 47
[19] ebd. S. 62
[20] ebd. S. 66
[21] ebd. S. 66
[22] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994 S. 1
[23] ebd. S. 2
[24] Modelle der Filmanalyse, 1977, S. 54-56
[25] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994 S. 60
[26] Der Tod in Venedig, S. 14
[27] ebd. S. 1
[28] ebd. S. 9
[29] Berichte aus der Literaturwissenschaft, S. 63
[30] Der Tod in Venedig, S. 30
[31] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994, S. 64
[32] ebd. S. 78
[33] ebd. S. 79
[34] ebd. S. 82
[35] ebd. S. 81
[36] ebd. S. 81
[37] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994, S. 84
[38] ebd. S. 86
[39] ebd. S. 87
[40] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994, S. 136
[41] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994, S. 135
[42] ebd. S. 14
[43] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994, S. 125
[44] ebd. S. 126
[45] Berichte aus der Literaturwissenschaft, 1994, S. 126
- Citation du texte
- Diplom Soziologin Christine Bulla (Auteur), 2001, Mann, Thomas - Der Tod in Venedig - Die Problematik der Literaturverfilmung am Beispiel von Thomas Manns Novelle 'Der Tod in Venedig', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109727
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